Kapitel 8:

Die nächsten Tage war Elisabeth damit beschäftigt, nicht an Marianne zu denken. Zwar kamen die Gedanken an die fremde Frau immer wieder und zu den ungünstigsten Zeiten, wenn sie zum Beispiel gerade mit Fitzwilliam einen Spaziergang machte oder sie sich angeregt unterhielten, aber Lizzie war gewillt die Gefühle, die in solchen Situationen in ihr hochstiegen, einfach zu ignorieren. Sie versuchte zu vergessen, dass sie nicht die Einzige war, mit der er sich so vertraut unterhalten hatte, nicht die Einzige, die er in seinem Leben im Arm gehabt und geküsst hatte. Da sie schon immer ein Mensch gewesen war, der Schwierigkeiten und Probleme weggelacht und verdrängt hatte, fiel es ihr nicht sonderlich schwer, so zu tun, als wäre nichts, und den Schmerz in die hinterste Ecke ihres Herzens zu verbannen. Und doch war der Schmerz da, ihr ständiger Begleiter Tag und Nacht.

Aber über der Liebe, die ihr Ehemann ihr entgegenbrachte, vergaß sie langsam Marianne und die eifersüchtigen Fragen, welche Beziehungen diese Frau zu ihrem Gatten gehabt hatte. Ja, es hatte diese andere Frau gegeben, aber er hatte sich für sie entschieden, sie war seine Ehefrau vor Gott und der Welt und sie wusste, dass er sie liebte. Das konnte ihr kein Gespenst aus der Vergangenheit nehmen.

Sie glaubte mittlerweile sogar, dass sie kein Problem damit hätte, dass er früher eine andere Frau geliebt hatte. Sie vollkommen zufrieden mit sich und der Welt, bis sie eines Abends merkte, dass sie nicht die einzige Person war, die anscheinend Geheimnisse hatte. Sie hatte sich mit Fitzwilliam darüber unterhalten im Sommer einen Rosengarten anzulegen und, als sie nun um seine Meinung zu dem Standort dieses Gartens bat, blickte er einfach an ihr vorbei und gab keine Antwort.

„Was ist los, Fitzwilliam?", fragte sie irritiert. Was beschäftigte ihn so, dass er sie mit Nichtbeachtung strafte?

Ihr Gatte wandte ihr seinen Blick zu und sie sah darin eine Mischung aus Schmerz, Geistesabwesenheit und Verwirrung. „Was ist denn los, William?", fragte sie erneut, diesmal mit Nachdruck, so dass Fitzwilliam aus seinen Gedanken gerissen wurde.

„Oh, Entschuldigung, Elisabeth, ich war wohl mit meinen Gedanken woanders. Was hast du noch mal gesagt?", erkundigte er sich höflich. Doch seine Ehefrau wollte nicht mehr über den Rosengarten reden: „Nichts wichtiges. Aber sag mir doch, Fitzwilliam, was dich beschäftigt! Du sahst aus, als würdest du über sehr unangenehme Geschäfte nachdenken. Gibt es Probleme bei der Unterbringung der Waisenkinder oder macht dir etwas anderes Sorgen?"

„Ich mache mir keine Sorgen", entgegnete Fitzwilliam ausweichend, während er aus dem Fenster an ihr vorbeistarrte, „ich bin einfach nur etwas müde." Dabei gähnte er, als wollte er seine Aussage damit bestätigen. „Hier stimmt doch etwas nicht", dachte Lizzie und hakte noch einmal nach: „William, das stimmt nicht. Du weißt das genauso gut wie ich. Also was ist los? Vielleicht kann ich dir ja eine Hilfe sein. Du brauchst doch keine Geheimnisse vor mir zu haben." Bei diesen Worten zuckte sie selbst fast zusammen, denn eines dieser Geheimnisse, die er vor ihr hatte, hatte sie ja bereits zufällig gelüftet. Fitzwilliam jedoch blieb vollkommen ruhig und gelassen: "Ich habe keine Geheimnisse vor dir, Elisabeth. Ich bin einfach nur müde." Lizzie sah ihm an der Nasenspitze an, dass das nicht stimmte, denn er blickte ihr bewusst nicht in die Augen und gähnte so laut, dass es nur gespielt sein konnte. Lizzie war, als griffe eine eisige Hand nach ihrem Herzen. Er hatte Geheimnisse vor ihr. Dass sie auch Geheimnisse vor ihm hatte, vergaß sie in diesem Moment völlig. Der Gedanke, dass ihr Ehemann kein Vertrauen zu ihr hatte, lastete schwer auf ihr. Doch sie versuchte sich nicht anzumerken, dass sie ihn durchschaut hatte und wusste, dass etwas anderes ihn beschäftigte, sondern lächelte und erkundigte sich, ob er nicht lieber ins Bett gehen wollte, wenn er so müde war.

Fitzwilliam Darcy nickte mit einem dankbarem Lächeln, sei es, weil er bemerkte, dass Elisabeth ihn durchschaut hatte und froh war, dass sie nicht weiter nachhakte, sei es, weil er glaubte, sie hätte ihm sein Schauspiel abgenommen, und erleichtert darüber war. Aber als Lizzie nicht mit ihm zu Bett gehen wollte, verschwand sein Lächeln abrupt und er musterte seine Gattin prüfend mit hochgezogenen Augenbrauen.

"Ich will meine Ideen zu dem Rosengarten noch mit Mrs. Reynolds besprechen", war Lizzies blitzschnell gefundene Ausrede und dann fügte sie mit einem Schmunzeln hinzu, "vielleicht wird sie ja wach genug sein, um mir zuzuhören." Der neckische Ton in Lizzies Stimme bezwang alle Zweifel, die Darcy eben noch zu dem Grund für ihr Aufbleiben gehabt hatte. Lachend verabschiedete er sich von seiner Gattin, wobei er es sich aber nicht nehmen ließ, sie zu bitten, sobald sie ihre Unterredung mit Mrs. Reynolds beendet habe, zu ihm ins Bett zu kommen. Lizzie versprach das, allerdings ohne die geringste Intention ihr Versprechen auch einzuhalten.

Sie hatte eine lange Unterredung mit Mrs. Reynolds über den von ihr geplanten Rosengarten und ging dann direkt in ihr eigenes Zimmer. Dort machte sie sich bettfertig und versuchte einzuschlafen, aber der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Ihr fehlte ihr Ehemann so sehr, dass sie sich von einer Bettseite auf die andere wälzte. Sie hoffte und befürchtete es zugleich, dass Fitzwilliam wie bei seiner Rückkehr von einer Woche aus London, noch zu ihr ins Bett kriechen, aber er kam nicht. Es war schon weit nach Mitternacht, als sie endlich Schlaf fand.

Am nächsten Morgen schlief Lizzie ungewöhnlich lang. Sie wunderte sich beim Aufwachen zunächst, dass ihr Gatte sie nicht geweckt hatte, als er aufgestanden war, dann aber kamen die Erinnerungen daran, dass sie letzte Nacht in getrennten Betten geschlafen hatten. Nun bei Tageslicht konnte Lizzie ihr gestriges Verhalten ihrem Gatten gegenüber nur bedauern. Es war so kindisch gewesen zu denken, dass die Angelegenheit, die er ihr verheimlichte, mit dieser Marianne zu tun hatte. Wahrscheinlich handelte es sich um ein geschäftliches Problem, bei dem sie ihm keinen Rat geben konnte und mit dem er sie nicht belasten wollte. Jedenfalls stand Lizzie hastig auf und kleidete sich eilends an, um ihren Fitzwilliam zu suchen. Was musste er nur von ihr denken? Er wunderte sich gewiss, wieso sie ihn in letzter Zeit so kühl behandelte.

Lizzie suchte im ganzen Haus nach ihrem Ehemann, aber sie fand ihn nicht. Er war mit seinem Frühstück schon fertig und war weder in seinem Zimmer noch in der Bibliothek. Auch in keinem der Gesellschaftszimmer traf sie ihn an und ausgeritten war er offensichtlich auch nicht. Schließlich kam ihr ein böser Verdacht und sie beschloss einmal in Mariannes Zimmer nachzuschauen. Eigentlich tat sie das nur, um sich zu vergewissern, dass er dort nicht war. Doch als sie dann die Tür zu dem betreffenden Raum öffnete, sah sie ihn mit dem Rücken zum Fenster stehen. Sie musste zweimal hinschauen, um zu glauben, dass dort tatsächlich ihr Ehemann stand. Ihre erste Reaktion war Unglauben: Es konnte doch nicht sein, dass er sich hier in diesem Zimmer aufhielt. Nein, ihre Augen mussten sich täuschen! Aber dann kam die Erkenntnis, dass er tatsächlich hier in diesem Zimmer stand und offensichtlich keinen triftigen Grund hatte hier zu sein, außer dem, den sie nicht akzeptieren konnte – dass er diese Frau immer noch liebte.

Lizzie beobachte ihren Gatten einige Momente prüfend. Er war in Gedanken versunken, so viel sah sie schon von weitem und an seiner angespannten Körperhaltung konnte sie feststellen, dass diese Gedanken keineswegs erfreulicher Natur waren. "Vielleicht hat er diese Marianne in London getroffen", schoss es ihr durch den Kopf und sobald ihr dieser Gedanke kam, verursachte er einen schalen Geschmack in ihrem Mund. Denn wenn er tatsächlich diese Marianne getroffen, was war dann zwischen ihnen beiden vorgefallen, dass er so nachdenklich und sorgenvoll aussah. "Vielleicht bedauert er ja unsere Heirat und wünscht sich, er hätte Marianne geheiratet, oder sein Treffen mit ihr war weniger offizieller Art", dachte sie.

Während ihr diese Ideen durch den Kopf spukten, fiel es ihr schwer ruhig zu bleiben. Bei dem letzten Gedanken hätte sie sogar fast vor Entsetzen über eine solche Möglichkeit aufgeschrieen. Rasch verließ sie das Zimmer, bevor ihr Gatte noch ihre Anwesenheit bemerken konnte. Kaum dass sie den Raum verlassen hatte, rannen ihr auch schon Tränen über die Wangen. "Das kann, das darf nicht wahr sein", schrie ihr Herz, aber ihr Verstand konnte keine andere Erklärung dafür geben, dass Fitzwilliam Mariannes Zimmer aufsuchte, als ein Treffen zwischen ihm und dieser Frau in London. Sie wollte nicht daran glauben, aber was sollte sie sonst glauben? Wie konnte sie es sich sonst erklären, dass Fitzwilliam sich im Zimmer seiner ehemaligen Geliebten aufhielt?

Überwältigt von dem nagenden Schmerz der Eifersucht flüchtete sich Lizzie auf ihr Zimmer, wo sie versuchte Ordnung in ihre Gedanken zu bringen, was ihr allerdings nicht im Geringsten gelingen wollte. Sie war immer noch völlig in Gedanken vertieft, als Fitzwilliam plötzlich hinter ihr hereintrat. Da sie glaubte, dass es Betty wäre, drehte sie sich nicht herum. Doch dann spürte sie auf einmal zwei starke Hände, die ihre Taille umfassten. "Warum bist du gestern nicht mehr gekommen? Ich habe auf dich gewartet", flüsterte ihr Gatte ihr ins Ohr, sein Mund kaum einen Zentimeter von ihrem Ohr entfernt. Lizzie zuckte aufgrund der Berührung zusammen.

"Was ist los mit dir?", fragte ihr irritierter Ehemann. Lizzie suchte verzweifelt nach einer Erklärung für ihr abweisendes Verhalten. Das Erste, was ihr dabei in den Sinn kam, sprudelte aus ihrem Mund: "Fitzwilliam, ich habe nur meine...", begann sie, doch dann wurde ihr bewusst, dass eine Dame so etwas gegenüber ihrem Ehemann oder irgendeinem Mann nicht offen ansprechen durfte und sie brach ab.

Fitzwilliam wurde derzeit ungeduldig, da er sich mittlerweile ernste Sorgen um seine Gattin machte: "Elisabeth, was ist los? Ist etwas mit deiner Familie? Hast du einen Brief aus Longbourn bekommen, der schlechte Nachrichten enthielt?"

"Nein, meiner Familie geht es gut", erwiderte Lizzie, die immer noch nach einer passenden Umschreibung für ihre Ausrede suchte, und ihm kaum zugehört hatte.

"Was ist es dann?", wollte ihr beunruhigter Gatte wissen, "geht es dir nicht gut? Bist du krank?" "Nein, nein", entgegnete Lizzie, die die übermäßige Sorge ihres Mannes amüsierte. Bei soviel Umsorgung vergaß sie die Ängste, die sie vor ein paar Minuten geplagt hatten, fast vollständig.

Dennoch musste sie immer noch einen Grund für ihr komisches Verhalten gestern Nacht und an diesem Morgen bringen. Leicht beschämt begann sie: "Fitzwilliam, mir geht es gut, ich habe nur derzeit diese Schwierigkeiten, die jede Frau zeitweise hat." Ein unverständlicher Blick ihres Ehemanns war die Reaktion darauf. "Was für Schwierigkeiten?", fragte er unwissend, während er Lizzie aufmerksam musterte. "Ich blute", antwortete seine junge Ehefrau daraufhin, die beschloss, dass Direktheit in dieser Situation das Beste wäre. Wenn sie ihn schon anlog, dann wenigstens ohne lange Nachfragen seinerseits. Es fiel ihr schon so schwer genug diese Farce aufrechtzuerhalten.

Doch der schockierte Gesichtsausdruck ihres Gatten zeigte Lizzie, dass sie noch nicht direkt genug gewesen war. "Was? Du blutest? Wieso hast du das nicht gesagt? Ich rufe sofort einen Arzt! Wo hast du dich denn verletzt?", rief er bestürzt, während er Lizzie zu sich drehte, um sie eingehend und mit sorgenvollem Blick zu mustern.

Lizzie konnte nicht anders als laut loszulachen und sein irritierter Gesichtsausdruck steigerte ihren Lachanfall nur noch.

Schließlich als sie wieder etwas Luft bekam, erklärte sie Fitzwilliam zwischen erneuten Lachanfällen, was mit ihr los war: "Ich brauche keinen Arzt... es ist alles okay,... ich habe nur... ich habe nur meine monatliche Blutung... ist ganz normal... brauchst dir... keine Sorgen zu machen... das hat jede... Frau.. einmal monatlich." Trotz ihrer eher unzusammenhängenden Sätze verstand ihr Ehemann sie, jedenfalls deutete die feuerrote Verfärbung seines Kopfes darauf hin.

Doch trotz der Peinlichkeit ihrer Unterhaltung für beide Seiten hatte dieselbe für eine Entspannung der Situation geführt. Lizzie war durch die Sorge, die sich ihr Ehemann um sie machte, insoweit beruhigt worden, dass Fitzwilliam sie tatsächlich liebte und es offensichtlich nicht bereute sie geheiratet zu haben. Und ihr Gatte konnte sich nun das wundersame Verhalten seiner Elisabeth am gestrigen Abend und an diesem Morgen besser erklären.

Obwohl er eben noch mit blinder Begriffsstutzigkeit geschlagen gewesen war, wusste er nun genau, wie er seine unpässliche Ehefrau verwöhnen konnte. Er bot ihr an, Betty zu rufen, damit sie ein warmes Bad nehmen konnte und, als sie das ablehnte, ließ er es sich nicht nehmen zumindest nach einer Wärmflasche schicken zu lassen. Lizzie war gerührt von soviel Fürsorge und schämte sich zutiefst ihn angelogen zu haben. Er war so ein wunderbarer Ehemann, wie hatte sie nur jemals glauben können, dass er noch eine andere liebte? Gewiss war er nur zufällig in das Zimmer von Marianne gegangen und das Problem, das ihn beschäftigte, war ein ganz anderes. Sie musste endlich beginnen, ihm zu vertrauen. Er würde doch nie etwas tun, was sie verletzen könnte. Wieso kam sie dann überhaupt auf den Gedanken, er hätte sich mit dieser Marianne getroffen oder sie sogar mit ihr hintergangen? Das war echt paranoid.

Lizzie ließ sich jedenfalls an diesem Tag nicht mehr von Misstrauen aus der Ruhe bringen und die liebevolle Pflege ihres Gatten angesichts ihres vorgetäuschten Zustandes hätte auch jedes Misstrauen im Keim erstickt. Und als sie am Abend in seinen Arm gekuschelt in ihrem Bett lag und Fitzwilliam sanft mit seiner freien Hand ihren Bauch streichelte, konnte sie nicht anders als ihr Misstrauen und vor allem die daraus resultierende Lüge im Stillen zu verfluchen. Denn wie gerne hätte sie in dieser Situation noch mehr von ihrem Ehemann gespürt als nur seine Hand auf ihrem Bauch.