Kapitel 17:
By TeeKay
Lizzy lief durch einen dunklen Tunnel. Hinter sich hörte sie immer wieder Schritte. Wie ein gehetztes Tier schaute sie sich um – aber die Wände um sie herum waren aus festem Stein – keine Tür, keine Abzweigung war zu sehen. Die Schritte kamen näher. Sie rannte weiter. Immer weiter. Das Blut pochte in ihren Ohren und ihre Beine gaben bei jedem Schritt nach – doch schon fühlte sie, wie eisige Hände sich nach ihr ausstreckten, ihre Haut berührten – auf einmal wurde ihr bewusst, dass sie nackt war. Nackt, kalt und einsam. Ihr Haar wirbelte um sie herum, als sie weiterhetzte. Auf einmal – ein Stein, eine Stufe, sie konnte es nicht sehen – und sie stürzte. Doch bevor sie auf den kalten Boden fiel, spürte Elisabeth, wie starke Arme sie auffingen. Eine vertraute Stimme flüsterte ihr beruhigende Worte ins Ohr. Sie konnte in der Dunkelheit sein Gesicht nicht erkennen, aber sie spürte, wie William sie in seine Arme hob, und forttrug von diesem schrecklichen Ort. Auf einmal trat er durch eine Tür, die sie vorher nicht gesehen hatte, und sie waren wieder in seinem hellen Schlafzimmer, in Pemberley. Sie atmete tief den Duft von seinen dunklen Ebenholzmöbeln ein, gemischt mit dem Geruch seines nahen Körpers. Sanft legte ihr Mann sie auf sein Bett, dann legte er sich neben sie und zog sie sanft zu sich, streichelte ihr Gesicht und schaute ihr ernst in die Augen.
„Warum liebst du mich nicht mehr, Elisabeth?" Sie warf die Arme um seinen Hals, und presste sich an seine Brust. „Ich liebe dich doch, William, mit meinem ganzen Herzen – so sehr, dass ich manchmal denke, ich würde zerspringen. Ich liebe dich, ich liebe dich."
„Warum willst du mich dann nicht mehr bei dir haben?" Sie trennte sich von ihm, schaute ihn an. „Weil du mich nicht mehr liebst, und ich könnte es nicht aushalten, jeden Tag mit dir so zu leben, als wäre nichts passiert. Das kann ich einfach nicht."
William grinste sie an. „Nein, so was kannst du wirklich nicht –bei dir geht's immer um die Wahrheit, nicht war?" Dann wurde er wieder ernst. „Aber woher hast du nur diese absurde Idee, dass ich jemanden anderen lieben könnte, mein Engel?"
„Ach William, ich bin so müde... ich will schlafen... ich bin so müde..." Von weitem hörte sie noch die Worte: „Dann halte ich dich einfach fest..." Damit sank sie in einen ruhigen, tiefen Schlaf.
Darcy starrte auf seine Frau, die zwar tief schlief, aber sich trotzdem wie eine Ertrinkende an ihn festklammerte. Wie war er überhaupt hier gelandet, in ihr Mädchenzimmer, dessen Umrisse er jetzt nur dunkel in dem Licht der klaren Vollmondnacht erkennen konnte. Die zwei Tage, seitdem er Janes Brief bekommen hatte, waren wie im Traum an ihm vorbei geflogen. Er hatte kaum – oder eher gar nicht überlegt, bevor er London Hals über Kopf Richtung Longbourn verlassen hatte. Die ganzen vorsichtig erdachten Pläne, seiner Frau aus dem Weg zu gehen, die ganzen vernünftigen Entschlüsse waren vergessen, als er Janes Satz las: „Lizzy braucht dich, Mr. Darcy."
Als er das Haus der Bennets betrat, war er erst einmal zusammengezuckt. Die drei Menschen, die ihn begrüßten, schienen völlig Fremde zu sein – und doch waren es nur Mr. Bennet, Mary und Kitty gewesen. Der erste hatte ihn fast abwesend die Hand geschüttelt und war dann wieder wortlos ins Haus zurückgekehrt, Kitty hatte ihn gar nicht angeschaut – und doch hatte er ihre rot verheulten Augen gesehen. Nur Mary hatte sich bleich und leise sich für sein Kommen bedankt und ihn ins Haus gebeten – doch ihm war auch in ihrem Blick nicht eine gehetzte Unruhe entgangen. Oft hatte er sich bei den Besuchen bei seiner Verlobten über den Lärm und die ständige fröhlich-aufgeregte Unruhe in diesem Haus geärgert und sich gewünscht, dass ein bisschen mehr Bedachtsamkeit und Ruhe herrschen würde, wie es bei seinem eigenen Zuhause mit Georgiana der Fall war. Doch jetzt ertappte er sich dabei, den geschäftigen Wirbel der Bennets zurückzuwünschen – es war sicherlich besser als diese Grabesstimmung, die momentan herrschte. Als er das Haus mit den beiden Mädchen betreten hatte, verabschiedete sich Kitty schnell wieder in das Zimmer ihrer Mutter.
Mary hatte ihn in den Salon geführt, ihn zum Sitzen aufgefordert und war gleich zum Punkt gekommen.
„Mr Darcy, ich erspare Ihnen einfach die übliche Standardkonversation, die solchen Gespräche im Allgemeinem vorausgehen." Er hatte nur genickt und sich gewundert, ob diese junge Frau wirklich jenes dauer-predigende Mädchen war, dass ständig mit Foydyce-Zitaten um sich geworfen hatte.
„Meine Mutter ist am – nun, sie liegt im Koma und der Arzt hat schon alle Hoffnungen aufgegeben" Mary seufzte. „Lizzy hat – Lizzy ist bei dieser Nachricht zusammengebrochen. Sie wissen ja, dass sie... in anderen Umständen ist, und der viele Stress, die Sorge um meine Mutter und alles – das hat sie so schwach gemacht dass sie einfach zusammengebrochen ist." „Aber was hat der Arzt denn gesagt? Können wir denn nichts machen?" Darcy stand auf und pilgerte durchs Zimmer.
„Nein, wenn Lizzy nicht will." Er starrte sie an. Was sollte das den bedeuten? Wollte Lizzy vielleicht... Mary schaute ihn an, eine Falte durchzog ihre Stirn. „Es ist nicht so, dass sie es aufgegeben hat, zu leben – Meine Tante sagte mir mal, dass eine Frau, die schwanger ist, immer für ihr Leben kämpft, wenigstens für das Leben in ihr..."Gedankenverloren starrte Mary aus dem Fenster. „Aber Dr. Malcom sagte, dass es sei, als wolle sie nicht aus ihrem halb schlafenden, halb phantasierenden Zustand aufwachen, als ob sie nicht in die Realität zurückkehren wollte. Er sagte, es ist als ob sie sich dorthin verzogen hätte, und nicht mehr raus will. Auch wenn es kein schöner Ort sein kann, an dem sie sich befindet, denn manchmal schreit sie vor Angst vor Sachen, die sie dort sieht – oder sie weint." Mary sagte ihm nicht, dass sie dabei auch immer wieder sprach, und ständig nach Mr. Darcy schrie.
Dieser war bei Marys Worten langsam wieder in den Sessel gesunken, fassungslos, dass seine schöne, lebenslustige Frau in solch einen Zustand fallen konnte.
„Darf ich jetzt zu ihr gehen?"
Mary nickte, stand auf und führte ihn die Treppe hoch, in Lizzys Zimmer. Als er sie sah, zuckte er wieder zusammen – sie warf sich stöhnend von einer Seite zur anderen und stöhnte dabei leise. Er bemerkte kaum, dass Mary das Zimmer wieder verließ.
William hatte sich sofort neben sie geworfen, und sie in seine Arme genommen, mit seinen Händen immer wieder ihr Haar und die nasse Stirn gestreichelt, als könnte er die bösen Träume, die seine Liebste plagten, dadurch verscheuchen. Er hatte gespürt, wie sie sich langsam entspannt hatte in seinen Armen, und irgendwann hatte sie ihre Augen geöffnet – doch ihr Blick sagte ihm, dass sie sich immer noch in einer Welt, in der er sie nicht erreichen konnte, befand. Dann hatte sie ihm ihre Liebe gestanden, und auch was sie plagte – dass er sie nicht mehr lieben könnte. Doch bevor sie ihm gesagt hatte, warum sie das glaubte, war sie in einen tiefen Schlaf gefallen, in dem sie sich jetzt immer noch befand.
Er seufzte leise und küsste ihren Kopf. „Warum, Liebste, müssen wir eigentlich immer so kompliziert sein? Warum können wir uns nicht einfach normal lieben, wie die anderen?" Er schloss die Augen.
Lizzy wachte auf. Einen Augenblick wunderte sie sich, wo sie war. Dunkle Träume hatte sie gehabt. Sie fühlte, dass jemand sie festhielt, und sie hörte den leisen Atem Darcys. Dass er es war, hatte sie sofort gewusst. Ihr schien es auch, als hätte er ihr irgendwann etwas gesagt, als hätten sie gesprochen – doch sie konnte sich nicht mehr an die Worte erinnern.
Sie sog leise den Geruch seines Körpers ein und rückte sich neben ihm zurecht. Ihr Kopf sagte ihr, dass es Wahnsinn war, dass sie eigentlich sofort aufstehen und gehen sollte, ihn verlassen – sich nicht weiter an ihn binden. Doch sie war einfach zu müde und schwach, um sich Gedanken über Morgen zu machen – jetzt spürte sie nur den Trost, den er ihr gab, die Sicherheit, nach der sie sich gesehnt hatte. Zufrieden legte sie ihren Arm um ihn.
„Bist du wach, Liebes?" Er drehte sich auf einmal auf die Seite, stützte seinen Kopf auf seinen Arm und schaute sie an. „Wie an unserem ersten Morgen." Dachte sie. „Ja, William ich bin wach." Sie schaute ihn an. „Danke, dass du gekommen bist. Ich weiß gar nicht, was genau passiert ist. Irgendwann war ich einfach... fort." Er nickte. „Mary hat mir erzählt, dass du einfach zusammengebrochen bist, nach dem der Arzt die Nachricht..." er sprach nicht weiter, aber Lizzy wusste auch so, was er sagen wollte. Sie starrte die Decke an. „Ist sie schon...?" „Nein."
Beide schwiegen und hingen einen Augenblick ihren Gedanken nach. Doch dann spürte Lizzy, wie Williams Hand sich langsam auf ihren inzwischen schon deutlich gewölbten Bauch legte. Er grinste. „Also so fühlt sich das an, wenn man Vater wird." Sie legte ihre Hand auf seine, und gemeinsam streichelten sie ihr zukünftiges Kind.
„Wie wollen wir sie eigentlich nennen?" Lizzy lachte. „Woher weißt du eigentlich, dass es ein Mädchen ist, Mr. Darcy? Es könnte doch auch ein Junge sein – du brauchst doch einen Erben, oder?" Er schüttelte den Kopf. „Für einen Erben haben wir später noch Zeit." Dabei grinste er sie frech an, und in seinen Augen leuchtete jenes Feuer, das nur für Lizzy vorbehalten war. Dann legte er sich auf den Rücken, tat die Hände hinter seinen Kopf und schaute verträumt aus dem Fenster. „Ich möchte erst einmal eine Tochter haben, die ich ganz schrecklich verwöhnen kann, so wie ihre Mutter."
Lizzy legte ihren Arm um ihn und verbarg ihr Gesicht in seiner Schulter. „William, du bist schrecklich." Er zog sie näher an sich heran, und fast unhörbar flüsterte er: „Liebste, komm zurück nach Pemberley. Geh nicht nach Bournemouth. Bleib bei mir." Mit zitternder Stimme fügte er noch hinzu: „Bitte."
Sie schloss die Augen, ein Frieden breitete sich in ihr aus. „Ich bleibe."
Elisabeth stand vor dem Spiegel, doch sie nahm ihr Spiegelbild kaum war. Sie wusste, dass sie nach der letzten Nacht nicht mehr die Willenskraft hatte, ihn wieder zu verlassen. Sie ließ sich auf eine Lüge ein, das wusste sie. Doch es war so eine süße Lüge, vielleicht könnte sie sich ja irgendwann dazu bringen, sie wirklich zu glauben. William war glücklich, das wusste sie. Lag es daran, dass sie zurückkam? Oder dass er wieder eine Frau im Bett und dazu noch ein Kind im Haus hatte? Sie erinnerte sich jetzt an ein Gespräch, dass sie einmal mit ihrem Vater geführt hatte, nachdem sie von einer Hochzeit in der Nachbarschaft zurückgekommen waren, in der die fehlende Liebe zwischen dem Brautpaar sogar für die damals 14-jährige Lizzy spürbar gewesen war. Sie hatte ihn gefragt, warum Menschen heiraten, wenn sie sich nicht lieben. Und ihr Vater hatte in einer seiner wenigen Momenten, in der er Ironie und Sarkasmus vergaß, gesagt. „Weil das immer noch besser sein kann, als jeden Tag in ein leeres Haus zurückzukehren." Er hatte sie dann etwas abwesend angeschaut, war aber bald wieder in die gewöhnte Ironie zurückgefallen und irgendetwas über die ganzen älteren Damen kommentiert, die die ganze Zeremonie über ununterbrochen in ihre Taschentücher geschnäuzt hatten.
War es das? War Darcy es vielleicht leid, allein zu sein? Natürlich, da waren seine Freunde und Georgiana – aber auf einmal wurde ihr bewusst, dass eine eigene Familie doch unersetzbar sein konnte. Und die Art, wie er mit ihr über ihr zukünftiges Kind gesprochen hatte, zeigte ihr, wie sehr er sich auf die Vaterschaft freute.
Sie schüttelte den Kopf. Sie würde zurückkehren, und bei ihm bleiben. Und trotzdem kam es ihr vor, als würde sie in ein Gefängnis zurückkehren – ein Gefängnis ohne Liebe.
