Stunden später saß T'Pel zu Hause und meditierte.

Dabei dachte sie über Rianah nach. Das Gespräch mit ihren Eltern war nicht so verlaufen, wie sie es geplant hatte. Nur die Mutter war da gewesen. Aber sie schien zumindest Rianahs Problem verstanden zu haben.

Natürlich würde sie die Familie noch eine Weile betreuen müssen.

Begreifen war nur der erste Schritt.

Und sie musste unbedingt mit dem Vater reden. Sie bezweifelte, dass dies genauso leicht werden würde, wie mit der Mutter zu reden. Rianahs Probleme mit ihren Eltern, konnten nicht von der Mutter her rühren. Sie war für eine Vulkanierin ungewöhnlich verständnisvoll. Rianah dürfte dies eher als positiv empfinden.

Sie war ein wenig erleichtert, dass sie nie so große Probleme mit ihren Kindern gehabt hatte.

Aber ihr hätte auch ein Mann zur Seite gestanden, der eigentlich gut mit Kindern umgehen konnte. Besonders, wenn er einen persönlichen Bezug zu ihnen hatte.

Nun darüber nachzudenken brachte sie nicht weiter. Sie hatte keine behinderten Kinder.

Und außerdem wurde sie auch ein wenig betrübt, bei diesen Gedanken (Was sie aber nie zugegeben hätte. Immerhin war sie Vulkanierin.).

Denn ihr Mann war nicht bei ihr. Er wurde vermist und war vor sieben Monaten und 29 Tagen für tot erklärt wurden.

Ein Umstand, den sie bis heute nicht akzeptierte. Solange keine Leiche gefunden wurde, würde sie ihn nicht aufgeben.

T'Pel würde auf Tuvoks Rückkehr warten, egal wie lange es dauern möge. Weil sie genau wusste, dass er das gleiche tat.

Immerhin waren sie seit 71 Jahren verheiratet.

Es klingelte und T'Pel erwachte aus der Meditation.

Wie seltsam, sie erwartete niemanden. Und auf Vulkan kündigt man einen Besuch immer an. Es musste also ein sehr enges Familienmitglied sein.

Und tatsächlich, als sie die Tür öffnete erkante sie ihre Tochter Asil.

Sie hob ihre Augenbrauen. Das einzige Anzeichen ihrer Überraschung. Normalerweise kündigte sich Asil immer an. Es musste also etwas außergewöhnliches Vorgefallen sein.

"Mutter. Störe ich?", fragte Asil ruhig.

"Komm herein. Ich habe gerade meditiert.", erklärte T'Pel. "Was ist geschehen?"

Die beiden gingen in das Wohnzimmer und setzten sich hin.

"Es geht um meinen Vater.", begann Asil und sah ihre Mutter sehr genau an. Sie wusste, dass T'Pel nicht gern über dieses Thema redete. T'Pel vermisste ihren Mann, wie sie alle. Doch niemand von ihnen würde das zugeben. Schließlich waren sie Vulkanier.

"Was ist mit ihm?", fragte T'Pel scheinbar gelassen. Doch ihr inneres schien sich zu verkrampfen. Gab es irgendetwas neues? Aber dann hätte man sie zuerst informieren müssen.

"Die 'älteste Mutter' unserer Familie ist heute auf mich zugekommen. Sie bat mich, noch einmal mit dir über die Beerdigung zu reden.", sagte sie geradeheraus.

"Ich dachte, dass wäre geklärt.", erwiderte T'Pel abweisend und versteifte sich. Seit Tuvok für tot erklärt wurde, musste sie immer wieder über dieses Thema reden.

"Du weißt, dass ich deinen Standpunkt immer respektiert habe.", begann Asil langsam.

"Aber du bist der Meinung, ich sollte seinen Tot akzeptieren.", stellte T'Pel fest.

"In der Tat.", sagte Asil schlicht. Zwar gab es noch sehr viele Argumente, die sie hätte anführen könnte, aber die kannte T'Pel alle. Es wäre unlogisch, sie zu wiederholen.

T'Pel erhob sich und trat ans Fenster. Vermutlich hatte ihre Tochter recht. Aber sie war immer noch nicht bereit, ihn aufzugeben. Er war ihr Ehemann. Sie hatte ihm ewige Treue geschworen. Was sollte sie nur tun?

"Mutter?", sagte Asil vorsichtig und ging auf T'Pel zu.

"Gib mir noch einen Monat. Wenn wir bis dahin nichts von ihm hören, stimme ich der Beerdigung zu.", sagte T'Pel nach einigen Minuten des Schweigens.

Asil stimmte dem zu. Sie kannte ihre Mutter lange genug, um zu wissen, dass sie nicht mehr erwarten konnte.

Asil blieb noch zum Abendessen und sie unterhielten sich ein wenig.

Nach dem Abendessen verabschiedeten sie sich und T'Pel entschied, sich noch mal die Unterlagen ihrer Patienten zu widmen.

Obwohl es auf Vulkan fast genauso viele debile Personen, wie auf jeden anderen Planeten gab, waren hier weniger Psychologen. Und weniger Patienten.

Auf Vulkan lebten immerhin nur Logiker.

Psychologie gehörte demzufolge nicht zu den angesehensten Wissensgebieten. Viele versuchten selbst damit zurecht zukommen. Und scheiterten meist kläglich. Einige wenige baten immerhin Verwandte um Hilfe, doch auch dies war nur selten erfolgreich.

Wenn die Umgebung erst auf die Krankheit aufmerksam wird, reicht gewöhnlich eine ambulante Behandlung nicht mehr aus.

Für T'Pel war dies unverantwortlich. Schließlich konnten sie nichts für ihre Krankheit.

Stolz kann manchmal sehr gefährlich sein, überlegte T'Pel.

Doch diese Überlegungen wurden durch etwas anderes unterbrochen. Vor ihren geistigen Auge entstand das Bild eines Vulkaniers.

Tuvok.

Sie versuchte das Bild zu verdrängen. Sich Sorgen zu machen war unlogisch. Und sie konnte ohnehin nichts ändern.

Sie konzentrierte sich wieder auf die Akten und überlegte, wie sie die Beziehung zwischen Rianah und ihrer Schwester verbessern konnte.

Einen Monat. Wieso hatte sie nur diesen Vorschlag gemacht?

Wenn sie ehrlich war, dann nur deshalb, um Zeit zu schinden. T'Pel konnte sich nicht mehr länger dem Druck der anderen widersetzen.

Doch auf der Beerdigung würde sie sich seinen Tod endgültig eingestehen müssen. Das wollte sie aber nicht. Sie wollte nicht wahr haben, dass er für immer fort war. Dass sie ihn nie mehr wieder sehen würde.

Innerlich rief sie sich zur Ordnung. Seit wann hatte sie sich so wenig unter Kontrolle?

Eine weitere Meditation würde mir sicher gut tun, entschied sie. Und danach musste sie ins Bett. Morgen früh musste sie ausgeschlafen sein.