"Bitte setzen sie sich.", sagte T'Pel zu Rianahs Vater.

"Um was geht es?", fragte er, ohne sichtliches Interesse und setzte sich.

Er hält das für Zeitverschwendung, schloss T'Pel aus seinen Reaktionen.

"Mit Sicherheit, hat ihre Ehefrau ihnen schon erzählt, warum Rianah Selbstmord begehen wollte.", begann T'Pel und musterte ihn genau.

Aus ihren Akten wusste sie, dass er Sovan hieß und 75 Jahre alt war. Allerdings stand dort nichts über seinen Charakter.

"In der Tat. Aber was hat das mit mir zutun?", fragte er gleichgültig.

"Sie ist ihre Tochter.", erklärte T'Pel ruhig. "Und Rianahs Probleme beziehen sich auch auf sie."

"Wie ich mit meinen Kindern umgehe, geht sie gar nichts an.", erklärte er vollkommen gefühllos.

"Doch wenn eine Kindeswohlgefährdung vorliegt schon.", sagte sie ebenso gefühllos. Dieser Mann schien Rianah offenbar überhaupt nicht zu verstehen. Kein Wunder, dass das Kind litt.

"Und wer gibt ihnen das Recht, darüber zu urteilen?"

"Meine Position als Kinderpsychologin. Doch ich hab nicht die Absicht ihnen Rianah wegzunehmen. Ich will nur, dass es ihr gut geht.", sagte T'Pel, um die Situation noch herumzureißen.

"Dann behandeln sie sie.", sagte er nur.

"Aber das kann ich nicht, ohne ihre Hilfe. Nichts wird sich ändern, wenn sie nicht die Verhältnisse in ihrer Familie ändern.", erklärte T'Pel geduldig.

"Rianah muss nur logischer werden. Dann wäre alles wieder in Ordnung."

"Wieso sind sie dann nicht zu einem Hohemeister gegangen?", bohrte T'Pel nach.

"Das hat absolut nichts mit dieser Sache zu tun." T'Pel bemerkte eine Spur Ungeduld in seiner Stimme. Allerdings ließ sie es sich nicht anmerken, denn das hätte die Situation nur verschlechtert.

"Das ist offenbar pure Zeitverschwendung. Ich gehe jetzt.", sagte er und erhob sich tatsächlich.

"Das sollten sie nicht tun, wenn sie ihrer Tochter helfen wollen."

Doch Sovan achtete schon gar nicht mehr auf ihre Worte. Mit großen Schritten war er an der Tür und im nächsten Moment verschwunden.

Die nächste Woche verlief weniger gut. Rianah und ihre Eltern machten zwar kleine Fortschritte. Und es war immer jemand bei ihr, wenn ihre Schwester ins Krankenhaus musste.

Aber leider zeigte sich der Vater genauso verständnislos, wie sie befürchtet hatte.

Rianahs Verhältnis zu ihm war sehr angespannt.

Er schien ein dominanter Typ zu sein. Das passte nicht zu der rebellischen Natur von Rianah.

Ein Problem, dessen Lösung einige Zeit beanspruchen würde.

Asil besuchte sie noch einmal. Allerdings ging sie nicht wieder auf die Beerdigung ein.

Und für dieses Wochenende hatte sich ihr Sohn, Elieth, angekündigt. Er studierte momentan an einer Universität. Kam aber fast jedes Wochenende heim.

Am Samstagvormittag entschloss sich T'Pel dazu, für ihren Sohn und sie Plomeksuppe zu kochen.

Normalerweise benutzte sie Replikatoren, weil es damit sehr viel schneller ging. Doch wenn es ihre Termine zuließen, kochte sie sehr gerne selbst.

Und es schmeckte auch allen sehr gut.

Halb Zwölf traf ihr Sohn dann ein.

"Du kochst wieder.", stellte Elieth fest, nachdem sie sich begrüßt hatten. "Soll ich dir helfen?"

"Du kannst Teller herausholen. Ansonsten bin ich fertig.", entgegnete T'Pel.

Er tat, wie ihm geheißen und T'Pel füllte die Teller.

Während des Essens unterhielten sie sich über Elieths Studium.

"Ich finde es sehr interessant und komme gut voran. Die Lehrer loben mich sehr oft.", erklärte er und versuchte dabei nicht allzu geschmeichelt auszusehen.

T'Pel tat so, als würde sie es nicht bemerken und sagte stattdessen: "Sehr gut. Du bist offenbar genauso intelligent, wie dein Vater."

Elieth nickte zum Zeichen, dass er das Kompliment verstanden hatte. Er freute sich darüber, aber es erinnerte ihn auch an etwas anderes.

"Du stimmst der Beerdigung zu, wenn wir bis zum Monatsende nichts von ihm hören.", sagte Elieth und seine Mutter konnte Trauer aus seiner Stimme heraushören.

"In der Tat. Bis dahin sind es noch 24 Tage. Wir können nur hoffen, dass bis dahin noch etwas geschieht, ansonsten werden wir wohl die Tatsachen akzeptieren müssen." T'Pel konnte sehen, wie Elieth überrascht die Augenbraue hochzog. Hoffen ist schließlich unlogisch. Und sie würde auch nie zu jemanden anders solche Worte sagen. Aber er war ihr Sohn.

Elieth, der seine Überraschung schnell überwunden hatte, sagte nun: "Glaubst du, dass er noch lebt?"

"Ich weiß es nicht.", sagte sie ehrlich, obwohl sie wusste, dass Elieth eine andere antwort bevorzugt hätte.

Die Tage vergingen und der vereinbarte Monat war schon fast abgelaufen. T'Pel hatte noch öfters um Gespräche mit Sovan gebeten. Doch er war dazu nicht bereit gewesen. Auch seine Frau schien keinen Einfluss auf ihn zu haben.

Ansonsten kam sie mit Rianah sehr gut zurecht. Aber das Mädchen litt stark unter dem Verhalten ihres Vaters. Wenn sich daran nichts änderte, würde sie den Fall vor das Jugendamt bringen müssen.

Nun saßen Rianah und T'Pel in ihrer Praxis. Die beiden unterhielten sich über Rianahs Lage.

"Wie geht es dir?", begann T'Pel das Gespräch.

"Es geht, ganz gut.", erklärte Rianah, darum bemüht, keine Gefühle zu zeigen. In Sachen Logik machte das Mädchen große Fortschritte. Leider machte es das auch schwerer, zu ihr vorzudringen.

In diesen Moment ging die Tür auf und T'Lanna steckte den Kopf herein.

"Die beiden sind da.", sagte sie nur.

"Schicken sie sie herein.", antwortete T'Pel.

Im nächsten Moment betraten Rianahs Mutter, T'Rea und ihre zweite Tochter die Praxis.

Nun, mal sehen, ob wir die beiden Geschwister einander näher bringen können, dachte T'Pel.

Sie hatte T'Rea vorhin gebeten, T'Van her zu bringen. Da Rianah immer noch nicht gut mit ihr auskam. Obwohl sich die Beziehung schon ein wenig gebessert hatte.

"Setze dich.", forderte T'Pel die beiden auf, während T'Rea wieder hinausging, um zu warten. Die Anwesenheit der Mutter bei der Therapie war nicht erforderlich und könnte sogar hinderlich sein.

"T'Van willst du mit deiner Schwester was spielen?", fragte T'Pel leise. Sie wusste noch nicht genau, was sie von den Mädchen halten sollte, schließlich hatte sie noch nie mit ihr gesprochen. Darum beschloss sie, das kleine Mädchen sehr genau zu beobachten.

Vielleicht erfuhr sie so, was Rianah ihr verheimlichte. Denn sie war sich absolut sicher, dass der Streit mit ihrer Schwester und die Strenge und Gleichgültigkeit des Vaters nicht das einzigste Problem ihrer jungen Patientin war.

"Mit ihr?", entgegnete T'Van abweisend. Rianahs Gesicht verzog sich vor Zorn.

Doch bevor ein Streit losbrach, sagte T'Pel schnell:

"Ja. Wieso auch nicht? Was hast du gegen sie? Immerhin ist sie deine Schwester.", stellte sie fest und beobachtete die beiden Schwestern genau.

Sie warfen sich giftige Blicke zu und dann begannen beide gleichzeitig den anderen schlecht zu machen.

T'Pel verstand nur Bruchstückhaft was die beiden sagten.

"...was besseres!", "...hasse dich!", "Will dich...", "...in Ruhe!", glaubte sie herauszuhören.

"Bitte hört auf.", sagte sie nur ruhig. Sie anzuschreien würde ohnehin nichts bringen. Und von Logik zu reden auch nichts. T'Van konnte damit nichts anfangen und Rianah würde das nur noch mehr aufregen. Das würde schwieriger werden, als sie gedacht hatte.

Die beiden Mädchen starrten sie böse an.

"Wollt ihr wirklich, dass das so bleibt?", begann T'Pel.

Nach einer Weile schüttelten beide leicht den Kopf.

"Gut, dann spielen wir jetzt ein Spiel."

"Mit der?", fragte Rianah wenig begeistert. Sie verstand überhaupt nicht, was das sollte. Sie dachte immer, hier ging es um sie. Doch nun war schon wieder Rianah dabei.

Doch als ihr T'Pel einen strengen Blick zuwarf, verstummte sie.

Auch ihre Schwester wagte nicht zu widersprechen. Wenn sie ehrlich war, schüchterte diese Frau sie etwas ein. Normalerweise stand sie immer im Mittelpunkt. Wieso setzte T'Pel sie also auf die gleiche Stufe, wie Rianah?

"Es ist ein Rollenspiel. Rianah, du spielst T'Van und du, T'Van, spielst deine Schwester. Verstanden?"

"Ja.", sagten die beiden gleichzeitig. Aber T'Pel konnte den beiden ihre Zweifel ansehen. Trotzdem sagte sie nichts dazu, die Mädchen würden schon merken, wozu das 'Spiel' gut war.

"Also los geht's. Und nicht vergessen, ihr seid jetzt der jeweils andere."

Beide sahen sich zunächst verständnislos an. Doch dann stellte Rianah die Frage, die ihr schon seit Jahren ein schlechtes Gewissen bereitete:

"Du bist meine ältere Schwester, warum kümmerst du dich nie um mich?"

Im ersten Augenblick war T'Van sehr überrascht, auch brauchte sie ein Moment, um zu verstehen, was Rianah meinte.

"Weil du ein verwöhntes kleines Balg bist, dass ständig alles bekommt was es will!", rief sie dann aus.

"Ich bin krank. Du bist nur eifersüchtig, weil Vater mich viel lieber hat!", rief Rianah dann wütend aus.

"Du bist überhaupt nicht krank! Mangelndes Logikempfinden, auf anderen Planeten würde man sich einen Dreck darum kümmern!", rief T'Van aus. Und die ganze Wut darüber, jahrelang als Krüppel bezeichnet zu werden sprach aus ihr. "Und Vater hat mich viel lieber als dich!" Mit Verwunderung hörte T'Pel Eifersucht aus ihren Worten. Was hatte das jetzt zu bedeuten?

"Dich soll er lieber mögen? Was sollte er an einen Krüppel wie dir schon finden?", schrie Rianah, während sie sich erhob. Das Rollenspiel hatte sie längst vergessen und auch T'Pel.

"Wieso kommt er dann immer zu mir? Und lässt dich links liegen?", versuchte T'Van ihre Schwester zu reizen.

"Das reicht jetzt.", sagte T'Pel noch immer beherrscht. Obwohl sie kaum glauben konnte, was sie da hörte.

Rianah drehte sich entsetzt um. Tränen rannen ihr über das Gesicht. Jetzt wusste sie es also. Und dabei hat ihr Vater ihr doch immer gesagt, niemand dürfte es je erfahren. Bestimmt würde er jetzt böse auf sie sein.

"Was meint ihr damit?", fragte T'Pel nach. Was es wirklich das, was sie befürchtete?

"Nichts, gar nichts.", sagte Rianah abweisend.

T'Pel hob die Augenbraue, offenbar hatte das Mädchen noch nicht genügend Vertrauen zu ihr.

"Du willst nicht darüber reden.", stellte T'Pel fest. Sie entschied sich, mit Rianah zu reden. Schließlich war sie der Patient und nicht ihre Schwester. Vorerst jedenfalls.

"Nein.", sagte diese aber nur stur.

"Hat dir dein Vater gesagt, du sollst nicht mit mir darüber reden?"

"Ja!", rief sie aus. "Und ich werde ihn auch nicht enttäuschen!"

"Aber deine Mutter macht sich sorgen um dich, deswegen bist du doch hier. Du hast immerhin versucht dich umzubringen."

"Das ist mein Problem.", rief sie wütend.

"Tut dir dein Vater weh?", fragte sie ganz vorsichtig. In der Hoffnung das sich ihre Vermutung nicht bestätigen würde.

"Er mag mich. Nur mich!", erklärte sie fast hypnotisiert.

"Das stimmt nicht. Vater mag nur mich!", schrie T'Van nun und wollte auf ihre Schwester losgehen.

T'Pel hielt sie am Arm fest und rief T'Lanna und T'Rea zu sich.

Zu dritt schafften sie es mühsam die Beiden zu bändigen.