Unbekannter Ort
„Also, wie schwer bist du verletzt?", fragte Eames endlich, als sie genug hatte von der Stark-und-Stumm-Vorstellung ihres Partners. Auf die Frage folgte eine lange Stille seitens Goren.
„Ich bin nicht . . ."
„Bitte, Bobby.", bettelte sie leise. „Lüg mich nicht an. Nicht jetzt."
„Mein Kopf tut ziemlich weh.", gab er zögernd zu.
„Da bin ich mir sicher.", stimmte sie zu. „Dieser Hurensohn hat deinen Kopf beinah zerschlagen."
Darauf antwortete Goren nicht. Er war jedoch nicht überrascht. Die Wahrheit war, dass sein Kopf schlimmer schmerzte als jeder Kopfschmerz und jede Migräne die er je gehabt hatte. Er war sogar froh dass seine Augen verbunden waren; er bezweifelte, jetzt Licht aushalten zu können. Selbst die leise Stimme seines Partners fühlte sich an als würde jemand mit einem Hammer von innen gegen seinen Schädel schlagen.
Statt still zu sein versuchte er jedoch, die Unterhaltung in eine andere Richtung zu steuern.
„Wie sieht's bei dir aus?"
Wenn sie fähig gewesen wäre ihn zu schlagen, hätte sie das wahrscheinlich getan. Aber sie musste ehrlich antworten, nachdem sie das gleiche von ihm verlangt hatte.
„Mein Kopf tut auch weh.", sagte sie. „Und meine rechte Schulter . . . sie könnte ausgerenkt sein. Ich hab Angst, Bobby."
„Ich auch.", gab er zu.
Heiße Tränen füllten ihre Augen hinter dem rauen Stoff und ein unglücklicher Schluchzer entwischte ihr bevor sie ihn aufhalten konnte. Einen Moment später fühlte sie ihren Partner sich neben ihr bewegen; und dann fühlte sie seine Wange, rau mit Stoppeln, ihre Stirn streifen.
„Du brauchst eine Rasur."
Goren erstarrte, verblüfft von der unerwarteten Bemerkung. Kurz darauf fing er an leise zu lachen.
„Das stört dich wirklich, oder? Dass ich so gut wie nie rasiert bin."
Sie musste trotz ihrer verzweifelten Lage lächeln.
„Nur eine von deinen vielen Marotten mit denen ich gelernt habe zu leben. Eines von den vielen Dingen die dich zu dem machen, der du bist. Es hat mich früher irritiert, aber jetzt nicht mehr."
Sie zögerte, fragte dann vorsichtig. „Wie ist das mit mir. . . du weißt schon . . ."
„Ob ich von dir irritiert bin?"
„Ja."
Goren lächelte kaum merklich.
„Nein, bin ich nicht. Ich glaube du hast mich nie . . . irritiert. Du warst immer da wenn ich dich gebraucht haben. Ich .. . ich konnte dir nie sagen, wie dankbar ich dafür bin."
Sie fühlte einen warmen Funken irgendwo in ihrem Innern. Sie lehnte sich vor und küsste ihn auf die Stirn.Dabei schmeckte sie Blut, sagte aber nichts darüber.
„Ich glaube, du hast es mir gerade gesagt. Danke, Bobby."
Eine Decke der Stille breitete sich über sie und so lagen sie für eine Weile, voll Angst und gefangen von einer unbekannte Bedrohung. Einziger Trost war die Nähe des anderen und das Wissen, nicht allein zu sein.
„Ah, sieh sich einer das an. Eure Knebel sind ab."
Goren und Eames erstarrten als sie die Stimme hörten. Schritte kamen näher und hörten vor ihnen auf.
„Ich könnte eure Münder wieder zukleben, aber ich glaube das brauche ich nicht wirklich. Selbst wenn ihr euren Atem mit Hilfeschreien verschwenden würdet, würde euch niemand hören. Nicht hier, wo wir sind."
„Erik?", fragte Goren zögernd. Der Entführer lachte.
„Das stimmt, Detective. Ich wette, Ihr hübscher Partner hat Ihnen den Tipp gegeben, nicht wahr? Na ja, kein Problem. Oh, sorry dass ich Sie so gebunden habe. Normalerweise bin ich ein bisschen netter, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Ich meine, schließlich seid ihr eure Knebel los geworden, oder nicht? Ich wollte mir nicht meinen Plan dadurch durchkreuzen lassen, dass einer von euch loskommt. Und das hier verspricht richtig spektakulär zu werden."
„Sie sind verrückt.", sagte Eames mit rauer Stimme und versuchte ihre Angst nicht zu zeigen. „Sie haben den Verstand verloren, Erik. Wenn Sie uns nicht gehen lassen haben Sie bald jeden Polizisten in New York auf Ihren Fersen."
„Sie hat Recht, Erik.", fügte Goren hinzu. „Sie haben Glück wenn Sie lange genug leben, um angeklagt zu werden."
Mathers lachte wieder.
„Ihr beide habt eine Menge Humor. Ich meine, wirklich! Ihr wusstest nicht mal dass ich es war, bis mich Detective Eames im Lagerhaus gesehen hat. Wenn es nicht so wäre, wäre ich jetzt nicht hier um mit euch zu sprechen. Also glaubt nicht dass eure Bullenfreunde in näherer Zukunft die Haustür eintreten. Selbst wenn sie herausfinden, dass ich der Kerl bin ist dieses Haus unter einem Alias eingetragen, das ich vor Jahren zufällig gewählt habe. Also sind wir zur Zeit vollkommen sicher."
Mathers wechselte die Stellung und stellte vor jeden Detective ein Gefäß mit Wasser.
„Ich habe hier Wasser für euch. Das sollte erstmal genug sein. Ich muss jetzt gehen, aber ich verspreche es wird nicht mehr lange dauern. Versprochen."
Dann verschwand er.
„Was wird nicht mehr lange dauern?", fragte Eames hilflos. Goren antwortete nicht, sondern reckte sich, bis seine Lippen einen Trinkhalm fanden. Kurz darauf floss himmlisch kühles Wasser in seinen trockenen, wunden Hals. Er schluckte ein paar mal, bevor er wieder sprach.
„Es ist okay, Eames. Es ist nur Wasser."
Auch sie streckte sich und schaffte es, ein paar Schlucke zu nehmen.
„Na ja,", sagte sie dann. „Wenigstens lässt er uns nicht verdursten."
„Ich wünschte ich wüsste was er plant", sagte Goren.
„Wenn es so ist wie bei den anderen fünf Opfern,", sagte Eames grimmig, „dann haben wir drei oder vier Tage Folter vor uns, bevor er uns umbringt."
„Wir werden unsere Chance bekommen.", murmelte Goren und klang dabei zuversichtlicher als er sich wahrscheinlich fühlte. „Wir müssen nur bereit sein wenn es passiert. Und wir müssen zusammen bleiben. Was auch geschieht, wir müssen zusammen bleiben."
Eames war still, sie dachte über seine Worte und ihre trostlose Lage nach.
„Du denkst wirklich, Deakins wird alles tun um uns zu finden?"
„Er wird. Ich wette, er ist sogar schon dabei. Wir werden das durchstehen, Alex. Trau mir."
Sie lächelte unter Tränen, irgendwie beruhigt, dass er ihren Vornamen benutzte.
„Ich traue dir.", antwortete sie leise.
