Nächster Tag
CSU, One Police Plaza
„Mack?"
Detective Mack Taylor sah von seinem Schreibtisch auf als Stella hereinkam und musste den Impuls zu lächeln hinunterschlucken. Normalerweise hackte sie auf ihm herum, wenn er zuwenig schlief, aber diesmal sah sie nicht besser aus. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, eine Bemerkung darüber zu machen.
„Hast du überhaupt geschlafen, Stella?"
Sie warf ihm einen drohenden Blick zu.
„Fang gar nicht erst an, Mack. Du weißt dass seit gestern früh keiner von uns geschlafen hat; und gerade du brauchst uns nicht belehren. Besonders nicht, während zwei Polizisten verschwunden sind und ein Serienkiller frei herumläuft."
Er nickte entschuldigend. „Entschuldige, du hast Recht. Was gibt es?"
Sie wedelte mit einem Hefter vor ihm herum. „Ein paar Nachforschungen für dich. Ein Vergleich der Wunden unserer fünf Opfer hat die Alarmglocken schrillen lassen. Ihre Wunden und die Art des Todes passen genau auf elf ermordete Menschen in Florida, vor zweieinhalb Jahren."
„Florida?"
„Ja. Und der Mörder ist nie gefasst worden."
„Hört sich an als wäre er nach Norden gezogen. Wer hat die Ermittlung dort geleitet?"
Stella grinste und sah sehr selbstzufrieden aus.
„Den Kerl der die Ermittlung geleitet hat, kann ich dir nicht geben. Er ist im Ruhestand und vor einem Jahr nach Deutschland gezogen. Aber ich kann dir sagen, wer die CSU Ermittlungen geleitet hat."
„Wer?"
„Lieutenant Horatio Caine."
CSI Miami Dade County
Florida
Horatio Caine lehnte sich langsam zurück, in einem der seltenen Momente in denen er die Augen schließen und sich ausruhen konnte. Das Team hatte gerade erst einen großen Fall abgeschlossen und bis jetzt waren sie noch nicht wieder gerufen worden.
Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem leichte Lächeln. Es war der junge Ryan Wolfe gewesen, der das letzte Teil des komplizierten und komplexen Rätsels gefunden und ihnen so erlaubt hatte, endlich den heimtückischen Mörder festzunageln. Wolfe mochte ein Neuling sein, aber er hatte voll und ganz bewiesen, dass es richtig gewesen war, ihn einzustellen.
Das Telefon klingelte.
Horatio runzelte leicht verärgert die Stirn als er abnahm und betete dass es nicht schon wieder ein Fall war.
„Caine", meldete er sich; und es gelang ihm nicht ganz, seine Stimme neutral zu halten.
„Ich hab dich doch nicht geweckt, oder?", fragte eine bekannte Stimme am anderen Ende. Horatio setzte sich aufrecht hin.
„Mack Taylor?"
„Ja", bestätigte Mack. „Wie geht's dir, Horatio?"
„Gut.", antwortete Horatio argwöhnisch. Sein Instinkt warnte ihn, dass etwas nicht stimmen konnte wenn ihn der Leiter des New Yorker CSU anrief. „Mir geht's gut. Und dir?"
„Mir ging's schon mal besser.", gab Mack zu. „Ich sag dir, warum ich anrufe, Horatio. Wir haben hier eine ernste Situation und die Zeit wird knapp. Ich hoffe, du kannst uns helfen."
„Worum geht es?"
„Wir haben hier einen Serienkiller. Bis jetzt gibt es fünf Opfer; und wenn wir den Kerl nicht bald schnappen wird es mit Sicherheit noch zwei andere geben. Wir wissen nicht viel, aber die Wunden der Opfer passen zu den Wunden der elf Opfer die ihr vor zweieinhalb Jahren hattet. Nach meinen Informationen hast du die CSI Ermittlungen geleitet."
Horatio stockte merklich der Atem.
„Sag mir, Mack, haben eure Opfer merkwürdige punktförmige Stichwunden?"
„Alle."
„Und Pfeilwunden? Wie von Armbrustpfeilen?"
„Ja, das auch."
„Der Jäger.", sagte Horatio mit rauer Stimme.
„Wie bitte?"
„Der Jäger.", wiederholte Horatio. „Wir haben ihn nie gefasst. Als wir ihn endlich identifiziert hatten, war er verschwunden."
„Ihr habt ihn identifiziert?", fragte Mack hoffnungsvoll überrascht.
„Ja und nein. Er verwendete falsche Papiere und wir haben seine richtige Identität nie herausbekommen. Aber mit Hilfe der Person die sein zwölftes Opfer werden sollte, konnten wir eine Zeichnung anfertigen."
Mack fühlte seine Hoffnung steigen und musste sich bemühen sie im Zaum zu halten.
„Ihr hattet einen Überlebenden?"
„Ja. Wenn euer Mörder derselbe ist, der uns vor zweieinhalb Jahren entwischte, habt ihr ein ernsthaftes Problem. Besonders wenn er den Einsatz erhöht und zwei Geiseln genommen hat. Wie lange sind die beiden schon verschwunden?"
„Mehr als vierundzwanzig Stunden jetzt. Wir wissen, dass wir weniger als vier Tage haben um sie zu finden. Die ganze NYPD läuft auf Hochtouren."
„Das kann ich verstehen."
„Nein, Horatio, ich denke du verstehst noch nicht ganz. Die beiden die gestern entführt wurden sind zufällig die Detectives der Major Case Squad, die die Morde untersucht haben."
Horatios Magen überschlug sich.
„Zwei Polizisten . . ."
„Genau. Und wenn sie sterben, wird die gesamte Polizei seinen Kopf wollen. Ich würde ihn gern lebend ergreifen, aber noch mehr möchte ich die Detectives lebend finden. Ich brauche deine Hilfe, Horatio."
„Mack, ich würde gern nach New York kommen, wenn du einverstanden bist."
Horatio konnte die Erleichterung am anderen Ende fast hören.
„Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest."
„Und ich würde gern mein Team mitbringen."
Das Angebot war unerwartet, aber nicht unwillkommen.
„Wie viele?"
Horatio zählte in Gedanken ab. Er selbst, Calleigh, Eric, Ryan . . . und Alexx . . .
„Fünf, mit mir.", antwortete er.
„Wie bald könnt ihr hier sein?"
Horatio lächelte leicht.
„Wir werden ein Flugzeug chartern . . ." Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war halb elf. „Um zwei sind wir da."
Elfte Etage
One Police Plaza
Deakins starrte Mack Taylor lange und angestrengt an, bevor er auf das gerade gesagte reagierte.
„Habe ich das richtig verstanden, Detective Taylor. Sie haben praktisch eine gesamte CSI-Abteilung aus Miami hierher eingeladen. Und zwar wegen ein paar Ähnlichkeiten zwischen den Wunden unserer Opfer und denen einer Mordserie vor zweieinhalb Jahren."
„Nicht nur ein paar Ähnlichkeiten, Captain Deakins. Fast alles ist identisch, von den Wunden bis zur Art des Todes."
„Also haben wir einen Nachahmer? Ist es das was Sie mir sagen wollen?"
Trotz Deakins' gereiztem Ton zuckte Mack mit keiner Wimper.
„Nein, Sir. Der Mörder in Miami wurde nie gefasst. Die Morde hörten auf, nachdem das letzte Opfer entkommen konnte."
Deakins erstarrte und sah Mack geschockt an.
„Sie hatten einen Überlebenden?"
„Ja, Sir. Einen Überlebenden, mit dessen Hilfe sie ein Phantombild anfertigen konnten."
Der Captain atmete geräuschvoll aus.
„Tut mir leid, Mack. Ich sollte nicht so ungeduldig sein . . ."
„Es ist aber verständlich, Sir. Mir ginge es genauso, wenn einer meiner Leute verschwunden wäre."
Deakins schaute an Mack vorbei zu den beiden Schreibtischen, die unbesetzt dastanden. Er konnte Alex und Bobby fast dort sitzen sehen, bei der Schreibarbeit . . . Ideen und Informationen austauschend . . . Sie nicht hier zu haben war, als ob man in seinem Lieblingsrestaurant einen leeren Teller serviert bekam. Und die Möglichkeit, die beiden nie wieder lebend zu sehen, war undenkbar.
Er schaute zurück zu Mack und wusste nur zu gut, dass sein Gesicht aschgrau war und er wegen Sorge und Schlaflosigkeit dunkle Ringe unter den Augen hatte.
„Wann werden sie hier sein?"
Mack lächelte erleichtert.
„Noch in dieser Stunde."
CSI,
Miami, Florida
Lieutenant Caine wartete stumm darauf, dass sich sein ganzes Team versammelte. Endlich kamen Ryan Wolfe und Calleigh Duquesne um die Zahl voll zu machen. Sogar die Leichenbeschauerin, Alexx Woods, war auf Horatios Wunsch gekommen.
„Horatio, was ist los?", fragte Alexx stellvertretend für alle.
Horatio sprach mit leiser, grimmiger Stimme. „Außer Wolfe solltet ihr euch alle an unseren Serienkiller erinnern, den Jäger."
Es wurde still.
„Der Jäger?", wiederholte Wolfe. „Ich habe von ihm gehört. Er verschwand . . ."
„Richtig, das tat er.", stimmte Horatio zu. „Und jetzt sieht es so aus, als wäre er in New York wieder aufgetaucht."
„New York?", fragte Calleigh überrascht. Horatio nickte.
„Ich habe gerade mit Mack Taylor gesprochen. Bis jetzt haben sie fünf Leichen, und es könnten bald mehr werden. Unser Mörder wird großkotzig. Zwei Detectives der Major Case Squad, die die Morde untersuchten sind verschwunden. Mack sagt dass sie laut den Beweisen wahrscheinlich vom Mörder entführt wurden."
„Oh, scheiße.", murmelte Delko. „Wie lange schon?"
„Ein bisschen mehr als vierundzwanzig Stunden.", antwortete Horatio. „Wir haben also weniger als vier Tage, um sie lebend zu finden."
„Wir . . .?", wiederholte Alexx.
Horatio schaute sie grimmig an. „Am Flughafen wartet ein Gulf Stream Jet auf uns. Schnappt euch eure Sachen. Wir fliegen nach New York."
„Horatio . . ."
Er drehte sich um und sah, dass Alexx noch verwirrt dastand.
„Was ist, Alexx?"
„Horatio, ich kann nicht einfach packen und nach New York fliegen . . . meine Kinder . . ."
„Es tut mir leid, dass ich dich in diese Position gebracht habe.", entschuldigte sich Horatio leise. „Aber das ist eine ernste Situation. Die Zeit wird knapp für zwei entführte Detectives. Wir kennen diesen Kerl. Wir kennen seinen Stil, seine Signatur, wir wissen genau, was er mit seinen Opfern macht. Sie brauchen unsere Hilfe dort."
„Aber wozu brauchen sie mich?"
„Du musst dir die fünf ersten Opfer anschauen. Die könntest etwas sehen, was ihnen entgangen ist. Wir suchen nach jedem Anhaltspunkt, der uns sagen könnte, wo sie getötet wurden und wo sie also nach ihren Detectives suchen müssen."
„Horatio, ich sage das nicht gern.", sagte Alexx leise. „Aber die Chancen stehen nicht gut. Du weißt, wie gut der Mörder ist, wenn es derselbe ist. Selbst wenn wir es schaffen, ihn zu finden, wird es wahrscheinlich zu spät für die beiden Polizisten sein."
Horatio nickte. Er akzeptierte ihre Worte, obwohl er offensichtlich nicht zustimmte.
„Nun, Alexx, wir werden es zumindest versuchen."
