Gore
Mountain
Nördlich
von Saratoga
Deakins stieg aus dem SUV, den Blick fest auf das Haus gerichtet. Es sah unverdächtig aus, aber der Gedanke dass seine Detectives hier gefangen gehalten worden waren – oder vielleicht immer noch gefangen gehalten wurden – ließ ihn wünschen, dass es bis auf die Grundmauern abbrennen würde.
„Captain?"
Er schaute sich um und sah Logan und Bishop die ihm mit dem örtlichen Polizeileutnant entgegenkamen.
„Das ist Lieutenant Pete Harrison.", stellte ihn Logan vor. „Lieutenant, Captain Deakins, er leitet die Major Case Squad."
In einer oberflächlichen Geste schüttelten die beiden Männer sich die Hände. Deakins war noch nicht so lange von der reinen Polizeiarbeit weg, dass er nicht die Verärgerung in den Augen des anderen Mannes bemerkt hätte. Anscheinend war er nicht sehr begeistert davon, dass andere Polizisten in sein Revier eindrangen.
„Ihre Detectives haben mich über das nötigste informiert.", sagte Harrison. „Ich persönlich denke, dass Sie auf der falschen Spur sind. Ich kenne den Jungen, dem das Haus gehört. Ich glaube nicht, dass er so etwas tun würde."
„Haben Sie Lucas Graham in letzter Zeit gesehen?", fragte Deakins, wobei er aus den Augenwinkeln beobachtete, wie die Mitglieder der CSU Teams aus New York und Miami aus ihren Fahrzeugen ausstiegen und ihre Ausrüstung entluden. Die Polizisten, die sie mitgebracht hatten, waren schon in Position, bereit in das Haus einzudringen.
„Lucas Graham . . .?", wiederholte Harrison verwirrt. „Wenn Sie nach einem Lucas Graham suchen, sind Sie am falschen Ort. Hier wohnt niemand mit diesem Namen."
Deakins runzelte die Stirn. „In den Unterlagen steht, dass dieses Haus unter diesem Namen gekauft wurde."
„Darüber weiß ich nichts.", sagte Harrison wegwerfend. „Aber der Junge, der hier wohnt, heißt Erik Mathers."
„Mathers . . .?", wiederholte Bishop überrascht. „Captain . . ."
„Das ist der Bruder des Mannes, der vor fast zwei Wochen ermordet wurde.", sagte Logan angespannt. „Der war ursprünglich Goren und Eames' Hauptverdächtiger."
Deakins schnippte die Finger in Richtung der Vordertür.
„Die Tür auf, sofort!"
„Halt!", stieß Harrison hervor. „Sie können nicht einfach hineinstürmen . . ."
Deakins schwenkte ein dünnes Blatt Papier unter Harrisons Nase.
„Dieser Durchsuchungsbefehl erlaubt es uns. Wir haben zwei vermisste Personen, Lieutenant Harrison, und wahrscheinlich ist der Besitzer dieses Hauses dafür verantwortlich. Wenn Sie uns nicht helfen wollen, gehen Sie verdammt noch mal aus dem Weg! Logan, Bishop, gehen Sie rein!"
Logan und Bishop tauschten halbe Lächeln aus und Logan signalisierte Mack und Horatio, dass sie bereit waren, hineinzugehen. Sie gingen voraus, traten die Tür ein und gingen mit gezogener Waffe ins Haus. Horatio und Mack waren gleich hinter ihnen, während die restlichen Polizisten die Umgebung sicherten und nach Flüchtenden Ausschau hielten.
Drin führte Logan einen dunklen Flur entlang zum ersten Zimmer, der ersten Tür links. Er schob sie vorsichtig auf und Bishop ging hinein und suchte das Zimmer ab, bevor sie als Alles-Klar-Zeichen nickte.
Sie gingen den Flur weiter entlang, einer immer den anderen deckend, wenn sie ein Zimmer kontrollierten, bis sie das ganze Haus abgesucht hatten.
„Alles klar.", sagte Logan grimmig, als sich Deakins zu ihnen gesellte. Deakins nickte und sah Mack und Horatio an.
„Okay. Schicken Sie ihre Leute rein. Mal sehen, ob sie Beweise finden, dass Goren und Eames hier waren."
Mack und Horatio wechselten Blicke aber keiner sagte ein Wort, stattdessen holten sie ihre Leute.
Einige Zeit später
„Nichts?", stieß Deakins ungläubig hervor. „Sie machen wohl Scherze!"
Mack zuckte sichtlich unter der Wucht von Deakins' Explosion zusammen.
„Da ist nichts. Keine Fasern, kein Blut, nichts. Er hat sie nicht hierher gebracht."
„Das ist nicht, was ich hören will!", schnappte Deakins. „Ich will hören, dass wir auf der richtigen Spur sind. Verdammt, Mack, die Zeit läuft uns davon!"
„Ich hab doch gesagt, Sie finden nichts.", sagte Harrison, ein bisschen zu selbstgefällig. Deakins drehte sich wütend zu ihm um.
„Zwei meiner Detectives werden vermisst, und wir haben nur noch zwei Tage, um sie lebend zu finden. Alle Beweise bis jetzt deuten auf den Mann hin, von dem Sie so überzeugt sind er könnte kein Mörder sein. Entweder, Sie fangen an, uns zu helfen, oder Sie gehen uns aus dem Weg. Haben Sie mich verstanden, Lieutenant?"
Harrisons Lächeln verschwand schnell.
„Sie meinen, zwei Polizisten werden vermisst? Davon hat keiner was gesagt. Oh Gott, warum hat das niemand gesagt?"
Deakins starrte ihn wütend an.
„Das sollte nicht nötig sein."
„Okay.", sagte Harrison grimmig. „Okay . . . tut mir leid. Ich werde helfen. Einer meiner Leute wird ein paar von Ihren CSIs an die andere Seite der Stadt bringen, zu dem Van, den Erik vor ein paar Tagen zurückgebracht und dort abgestellt hat."
„Sein Van?", unterbrach Logan. „Heißt das, er ist jetzt in der Stadt?"
„Nicht in der Stadt.", antwortete Harrison. „Seit ein paar Monaten ist er fast jede Woche hier gewesen, um zu jagen. Er bleibt nie in seinem Haus, darum wusste ich, dass Sie dort nichts finden würden. Es tut mir leid, ich hätte das eher sagen sollen."
„Er kommt jede Woche her?", fragte Horatio. „Wann genau?"
„Zumindest jede Woche in den letzten paar Monaten. Davor ist er nur alle drei bis vier Monate aufgetaucht. Normalerweise kommt er zeitig am Montagmorgen an . . . allerdings haben ein paar Leute gesagt, dass er letzten Montag erst am frühen Nachmittag kam. Er fährt hoch auf den Berg, lädt ab was immer er mitgebracht hat und fährt zurück in die Stadt. Er stellt den Van ab und wandert zurück auf den Berg. Dann sieht man ihn normalerweise nicht bis spät am Donnerstag oder Freitag. Er kommt zurück vom Berg, nimmt den Van und fährt wieder hinauf. Ich dachte immer, er lädt die Beute auf, die er gemacht hat. Sehen Sie, er geht zum Jagen dorthin."
„Kommt es Ihnen nicht seltsam vor, dass er sein Fahrzeug nicht dort oben behält?", fragte Mack mit gerunzelter Stirn. Harrison zuckte die Schultern.
„Ein wenig. Aber ich habe ihn mal gefragt und er sagte er stellt sich selbst Herausforderungen."
„Wo genau auf dem Berg geht er hin?", fragte Deakins und bemühte sich dabei, ruhig zu bleiben. Wieder zuckte Harrison die Schultern.
„Zu seiner Hütte, denke ich."
„Seine Hütte?", warf Logan ein. „Er hat eine Hütte auf dem Berg?"
„Klar. Ansonsten würde er nicht mehr als einen Tag dort oben überleben. Nachts sinken die Temperaturen bis zum Gefrierpunkt. Wenn man dann keinen Schutz hat, ist man schnell Vergangenheit."
„Wo ist Mathers' Fahrzeug?", verlangte Deakins zu wissen.
„Auf dem Parkplatz vor der Kneipe."
„Ich würde es zu schätzen wissen, wenn einer Ihrer Officers meinen CSIs den Weg zeigen könnte. Und ich möchte genau wissen, wo diese Hütte ist."
Harrison schaut ungemütlich drein.
„Ich weiß nicht wo die Hütte ist . . ."
Er grunzte überrascht, als ihn Deakins am Kragen packte und zu sich heranzog.
„Dann finden Sie jemanden der es weiß! Und halten Sie Rettungsteams in Bereitschaft. Wir gehen auf diesen Berg."
Logan sagte trocken zu Bishop. „Ich hätte nicht gedacht, dass Deakins so wütend sein kann. Einen Moment lang dachte ich, er würde Harrison den Kopf abreißen."
Bishop schaute über ihre Schulter zu Deakins, der sich mit Mack Taylor und Horatio Caine beriet. Drei der CSIs waren mit einem von Harrisons Leuten zu dem Van gegangen, die anderen bereiteten sich auf den Berg vor.
„Er mag es nicht, herumgeschubst zu werden.", murmelte sie. Logan grunzte.
„Wem sagen Sie das. Besonders wenn es um das Wohlergehen seiner beiden Stars geht . . ."
Er hörte auf zu sprechen, als Bishop ihn mit einem harten blick fixierte.
„Warum tun Sie das?", fragte sie. „Sind Sie neidisch auf sie, oder was?"
Logan trat von einem Bein aufs andere. „Ich weiß nicht. Vielleicht eine Selbstschutzreaktion."
„Oder einfach ein fettes Ego.", gab Bishop zurück. „Was ist, Logan? Hassen Sie es, zu wissen, dass es einen Polizisten gibt, der schlauer ist als Sie?"
Logans Ausdruck verdunkelte sich. „Das war unter der Gürtellinie. Ich habe Ihnen doch gesagt, ich mag zwar Goren nicht besonders, aber das heißt nicht, dass ich ihn nicht respektiere. Er und Eames sind gute Polizisten. Ich habe kein Problem, das zuzugeben. Ich habe nur noch nie einen Vorgesetzten so für seine Detectives einstehen sehen, wie Deakins das tut. Ich bin einfach überrascht, das ist alles."
Bishop schaute noch einmal zu Deakins. „Er will nicht, dass sie sterben.", sagte sie leise.
„Das will keiner von uns.", stellte Logan klar. „Aber möglicherweise können wir das nicht verhindern."
Sie warf ihm einen scharfen Blick zu und er hielt abwehrend die Hände hoch. „Ich möchte nicht, dass sie sterben, Bishop. Ich habe nur auf eine Tatsache aufmerksam gemacht. Sie wissen es genauso gut wie ich. Selbst wenn wir diese Hütte finden, und Mathers hatte sie dort festgehalten, könnten sie jetzt sonst wo sein. Sie haben das am Anfang selbst gesagt. Wir könnten dort oben monatelang suchen und sie nicht finden. Darum bringt ja Mathers seine Opfer hierher."
Bishop biss die Zähne zusammen, um ihren wachsenden Ärger zurückzuhalten.
„Ich werde optimistisch bleiben. Denken Sie, was Sie wollen, Logan, aber behalten Sie ihre Meinung für sich."
Sie ging weg um sich der Gruppe Officers und CSIs anzuschließen, die auf den Berg gehen würden. Logan schaute ihr hinterher, seufzte leicht und folgte ihr dann.
„Denkt ihr, wir finden etwas?", fragte Wolfe, als er, Erik Delko und Danny Messer auf den Van vor der Kneipe zugingen.
„Das hoffe ich doch.", sagte Danny grimmig. „Denn wenn Mathers sie nicht hierher gebracht hat, sind sie so gut wie tot. Wir haben keine anderen Spuren."
Wolfe und Delko wechselten grimmige Blicke und folgten dann Danny zu dem Van.
„Unverschlossen.", kommentierte Danny als sie die hinteren Türen offen fanden. „Mutig."
„Die Leute hier kümmern sich um ihren eigenen Kram.", erklärte der Officer der sie begleitete. „Wir liegen einsam hier . . . nicht viele Fremde kommen her. Die Leute sehen keinen Grund, abzuschließen."
„Unser Glück.", kommentierte Delko. Danny lächelte und öffnete die Türen.
„Whoa!", sagte Wolfe leise.
„Noch eine heiße Spur.", sagte Danny grimmig, als er das Blut im Innern des Vans betrachtete. „Sozusagen. Hoffen wir, dass dieses Blut menschlich ist. Ryan, geben Sie mir ein paar Tupfer!"
Ryan gab es ihm und Danny kletterte vorsichtig in den Van um Proben zu nehmen. Er gab sie Delko, der sie sofort auf Blut testete. Eine Minute später sah er grimmig auf.
„Es ist menschliches Blut. Ich wette, ein Teil davon gehört unseren Detectives."
„Das werden wir nicht sicher wissen, solange es nicht vollständig analysiert ist.", sagte Danny. „Aber im Moment brauchen wir nur die Bestätigung, dass es menschlich ist. Wir wissen, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen. Eric, wollen Sie Ihren Boss anrufen und ihm sagen, was wir gefunden haben?"
Delko nickte und machte den Anruf.
Horatio schaute zu Mack und Deakins nachdem er mit Delko gesprochen hatte.
„Sie haben blut in Mathers Van gefunden. Menschliches Blut."
Deakins wirbelte herum und sah Harrison an, der jetzt eindeutig blass geworden war. „Ich will wissen, wo diese Hütte ist, Lieutenant. Und zwar sofort!"
Harrison zuckte wieder zusammen. „Ich rufe Jamie Winters an. Wenn es irgendjemand weiß, dann er. Er kennt diesen Berg besser als jeder andere hier."
„Schicken Sie jemanden um ihn zu holen.", verlangte Deakins. „Wir brauchen jede Hilfe, die wir bekommen können."
„Erik Mathers? Sicher, ich weiß, wo seine Hütte ist. Er mag es aber nicht, wenn ihr jemand nahe kommt. Das letzte Mal, als ich dort war, wollte er mich nicht einmal zur Tür hereinlassen. Nicht dass ich wirklich eingeladen werden wollte."
Sie waren auf ihrem Weg den Berg hinauf, ein Konvoi aus sieben Autos und einem großen Van, nachdem einer von Harrisons Leuten Jamie Winters von seinem angestammten Platz in der Kneipe weggeholt hatte. Der Mann war siebenundfünfzig, silberhaarig und wetterhart. Wie Harrison gesagt hatte, wusste er eine Menge über die Bergregion. Er war auch neugierig gewesen, als er herausfand, dass sie nach Erik Mathers suchten.
„Kennen Sie Mathers gut?", fragte Bishop wobei sie sich in ihrem Sitz herumdrehte um Winters ansehen zu können. Er lachte kurz und unlustig.
„Niemand hier kennt diesen Jungen wirklich. Dafür hat er gesorgt. Er spricht mit niemanden, wenn er nicht angesprochen wird, und selbst dann gibt er meist nur kurze Antworten. Er mag es nicht, wenn sich jemand in seine Sachen einmischt. Er ist wirklich seltsam und wenn Sie mich fragen, gefährlich."
„Auf welche Weise gefährlich?", fragte Logan und ignorierte Harrisons abwehrendes Schnauben aus dem hinteren Teil des Vans.
„Ein paar Sachen, die er einmal in der Kneipe gesagt hat. Das ist aber schon eine Weile her. Fast zwei Jahre denke ich. Ich erinnere mich daran, weil er vorher achtzehn Monate lang nicht hier war. Jedenfalls haben wir etwas getrunken und einer der Jungs hat erwähnt, dass er zu einem dieser Paintball Spiele eingeladen wurde. Erik war da und er sagte, dass Paintball etwas für Weicheier ist. Er sagte, es müsste ein Spiel geben, bei dem die Männer richtige Waffen bekämen . . . wo sie sich wirklich gegenseitig jagen könnten. Er sagte, Paintball wäre keine Herausforderung, weil niemand verletzt wird und jeder das weiß. Er sagte, es ist nur eine Herausforderung, wenn jemand wirklich um sein Leben fürchtet.
Aber was mich wirklich erschreckt hat – und auch die anderen – war sein Gesichtsausdruck als er das sagte. Ich schwöre, seine Augen wurden glasig, als er darüber redete. Er fing fast an zu sabbern, so erregt war er. Ich sage Ihnen, seitdem wollte ich mit dem Jungen nichts zu tun haben. Er hatte einen Blutdurst in seinen Augen, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Es war erschreckend."
Wider schnaubte Harrison laut und abwertend. Deakins warf ihm einen mörderischen Blick zu.
„Lieutenant, wenn ich Sie wäre, würde ich dort hinten keinen Mucks von mir geben.", sagte Mack Taylor trocken, ohne seine Augen von dem forensischen Bericht zu nehmen, den er studierte. Harrison ging sofort in die Defensive.
„Hey, könnt ihr allmächtigen Stadtbullen mir nicht ein bisschen Luft lassen? Ich konnte doch nicht wissen, was Erik hier tut. Verdammt, es gibt nicht einmal feste Beweise, dass er verantwortlich ist. Ich weiß nur, dass er einen gültigen Jagd- und Waffenschein hat. Ich hatte keinen Grund, das weiter zu untersuchen. Selbst wenn, hätte ich nicht gewusst, wonach ich suchen sollte. Und was seinen Van angeht, jeder zum Jagen in die Berge geht kommt mit einem blutbedeckten Fahrzeug zurück."
„Mit Tierblut vielleicht.", knurrte Deakins. „Aber nicht mit menschlichem."
Harrison gab nicht nach. „Woher wollen Sie wissen, dass es nicht sein eigenes ist? Vielleicht hatte er einen Unfall . . ."
Nun schnaubte Logan wegwerfend. „Und vielleicht finden wir, dass er dort oben fröhlich mit Goren und Eames kampiert."
„Was hat Erik getan?", fragte Winters mit gerunzelter Stirn.
„Wir glauben, dass er für mindestens fünf Morde verantwortlich ist.", erklärte Horatio leise. „Und dass es jetzt zwei weitere Menschen auf diesen Berg gebracht hat."
Winters war geschockt. „Sie meinen . . . er jagt sie . . . wie Tiere? Oh Gott . . ."
„Sie müssen uns zeigen, wo seine Hütte ist, Mr. Winters.", sagte Mack leise. „Wir kümmern uns um den Rest."
Winters nickte seine Zustimmung. „Natürlich"
Sie fuhren eineinhalb Stunden lang eine schmale, sich windende Straße den Berg hinauf. Als sie einen Aussichtspunkt am Ende der Straße erreichten, sprach Winters wieder.
„Näher kommen wir nicht heran. Ab hier müssen wir laufen."
Stumm stiegen sie alle aus den Fahrzeugen aus in die kalte Bergluft.
Nachdem er einen schweren Mantel übergezogen hatte, überließ Deakins die anderen ihren Vorbereitungen, ging an die Waldgrenze und starrte stumm in die Dunkelheit jenseits der Bäume. Er war sich schmerzlich bewusst, dass es schnell Nacht wurde und der Gedanke an Bobby und Alex irgendwo da draußen in der frostigen Nacht war wie ein Messer in seinen Eingeweiden.
Soviel er auch für gute Ergebnisse betete, wusste er doch wie schlecht es in Wirklichkeit stand. Er wusste wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, seine besten Detectives lebend zu finden. Selbst wenn Mathers sie zusammen gelassen hatte . . . selbst mit Bobby Gorens unglaublicher Intelligenz und Intuition und Alex' sturer Bestimmtheit und Willensstärke . . . welche Chance hatten die beiden wirklich?
Zögernd rief er sich das Gespräch ins Bewusstsein, das er vor zwei Tagen mit Gavin Eames, Alex' Vater, geführt hatte, als er dem Mann sagen musste, dass seine Tochter und ihr Partner in den Händen eines Psychopathen waren. Gavins erste Reaktion war durch und durch die eines Polizisten gewesen. Hatten sie eine Spur? Noch wichtiger, hatten sie einen Verdächtigen? Es hatte Deakins krank gemacht, beide Fragen verneinen zu müssen.
Gavins zweite Reaktion war die eines liebenden Vaters gewesen. Er war unter Tränen zusammengebrochen und hatte Deakins angefleht, alles in seiner Macht stehende zu tun, um sie lebend wieder zu finden. Diese Versprechen hatte Deakins bereitwillig gemacht, aber beide kannten die Chancen. Und die standen nicht gut.
„Die beiden, die vermisst werden . . ."
Deakins sah sich um und fand Winters neben sich. Der ältere Mann sprach leise weiter.
„Das sind Freunde von Ihnen, nicht wahr."
Das war keine Frage. Deakins blieb stumm und überlegte einen Moment lang. In Wahrheit hatte er Bobby und Alex nie als Freunde gesehen. Kollegen und Untergebene, ja, aber Freunde . . .?
„Ja.", sagte er leise, und von neuem schmerzte es ihn, als er das vor Winters und vor sich selbst zugab. „Das sind sie. Sie sind auch zwei verdammt gute Polizisten."
Das überraschte Winters. „Polizisten? Erik hat zwei Polizisten entführt? Dieser verdammte Idiot! Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, aber er unterschreibt doch sein eigenes Todesurteil wenn er Polizisten tötet."
Deakins antwortete nicht darauf. Winters sah ihn fragend an.
„Er hat sein Todesurteil schon unterschrieben, nicht wahr? Sie planen nicht, ihn lebend zu fassen, oder?"
„Wir würden es vorziehen, ihn lebend zu fassen.", sagte Deakins vorsichtig. „Ob das aber passiert, liegt teilweise an ihm."
Winters lächelte leicht.
„Mein Bruder ist Polizist, Captain Deakins. Ich kenne die ‚Bruderschaft'. Erik hat eine Grenze überschritten, als er zwei Polizisten entführte. Selbst wenn Sie sie lebend finden, werden sie wahrscheinlich ziemlich zerschlagen sein. Ich brauche keine Beweise um zu wissen, dass Erik ein sadistischer Bastard ist. Es würde mich nicht überraschen, wenn er mit einer Kugel im Kopf oder Herz endete. Und ich finde, das wäre gar keine schlechte Sache."
Deakins schaute Winters mit unleserlichem Ausdruck an. Die beiden Männer starrten einander einen Moment lang an, bis Logan herankam und Deakins auf die Schulter tippte.
„Wir sind bereit, Captain."
Deakins nickte und zog seinen Mantel zurecht.
„Alles klar. Wohin, Mr. Winters?"
Winters zeigte auf eine Öffnung in den Bäumen, wo ein schmaler, scheinbar viel begangener Pfad zu sehen war.
„Dort entlang. Nach etwas zwei Meilen verlässt man den Pfad und geht nach Nordwesten. Dann sind es noch sieben oder acht Meilen bis zu der Hütte."
„Okay.", murmelte Deakins, der den langen, angespannten Marsch fürchtete. „Gehen wir."
