Disclaimer
Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.
Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.
Kapitel 3
Sünde und Vergebung
Im vergangenen Jahr hatte Balian hart gearbeitet und sich einen gewissen Respekt im Dorf erarbeitet, aber das war auch alles, was die Bewohner bereit waren, ihm entgegenzubringen. Balian hatte nach der Beerdigung des alten Schmieds sein neues Leben zunächst damit begonnen, die Schmiede wieder herzurichten. Er erneuerte dabei auch den tragenden Querbalken über der Esse. Aber dieser neue Balken war für Balian mehr als nur ein Bauteil, denn er trug eine von Balian eingebrannte lateinische Inschrift. Worte, die er von seinem Dienstherrn, dem Baumeister des Barons, mit auf den Weg bekommen hatte. Für Balian enthielten diese Worte Anspruch und Mahnung, waren es doch Worte von einem der wenigen Menschen, die gut zu ihm waren.
Balian hatte außer durch seine Arbeit kaum Kontakt zu den Bewohnern, und sie betrachteten ihn noch immer mit Unbill. Für sie warBalian trotz der letzten Worte des Schmieds, die durch den Priester bekannt gemacht wurden, das in Sünde empfangene Kind; und nach wie vor bezahlte er für die Sünde seiner Eltern. Er begegnete dem in seiner ganz eigenen Weise und suchte nicht unbedingt die Nähe der Menschen. Er arbeitete gut, schnell und günstig. Und trotz der abweisenden Haltung der Dorfbewohner half Balian, wann immer jemand in Not war und seiner Fähigkeiten bedurfte. Er war ein gläubiger Mensch und besuchte wie alle anderen am siebten Tag der Woche die Kirche. Er ließ sich nichts zuschulden kommen, und dennoch blieb er dieser Gemeinschaft fremd.
Zwei Jahre waren inzwischen vergangen, in denen er alleine in der Schmiede lebte. In diesen Jahren war die Tochter des Sattlers zu einer jungen Frau herangewachsen. Sie war keine Schönheit, aber sie war vom ersten dem Moment, als sie Balian das erste Mal traf, die einzige des Dorfes, die für Balian ein Lächeln hatte, wenn es keiner sah.
Balian fühlte sich zu dem jungen Mädchen mit Namen Julie hingezogen, aber wie aus Selbstschutz versagte er es sich, ihr näher zu kommen. Das Mädchen war das einzige freundliche Wesen im Dorf für ihn, aber er war zu oft an seinen Makel erinnert worden. Balian hatte Angst, daß sich ihre Freundlichkeit plötzlich in Abscheu wandeln könnte. Und so begegneten sie fast ein Jahr einander nur
flüchtig.
Im Winter dieses Jahres wurde der Vater von Julie sehr krank und starb. Balian half von diesem Augenblick an der Witwe und Julie unaufgefordert, wo immer er konnte. Langsam verdrängte sein rücksichtsvolles Wesen den Argwohn der Witwe, und Balian und Julie kamen sich näher. Im Mai des Jahres bat dann Balian die Mutter von Julie um deren Hand und kurz darauf wurde die Vermählung vollzogen. Die Bewohner des Dorfes waren damit nicht einverstanden und so war die Hochzeit eine Feier in sehr kleinem Kreis. Die Mutter grämte die Anfeindung sehr, obgleich sie selbst vor einem Jahr noch genauso reagiert hatte. Sie wollte dies nicht erdulden und gab deshalb dem Werben eines Freiers aus einem weiter entfernten Dorfes, trotz der Trauer um ihren erst kurz bestatteten Gatten, bald nach.
Und so hatten Balian und Julie nur sich und ihre Liebe. Aber Julies Liebe brachte Heilung für Balians geschundene Seele, und er lernte wieder das Lachen. Er liebte sie sehr, und wann immer Balian sie ansah, brachte das Glück, das er empfand, seine Augen zum Strahlen; und das Lächeln, das er ihr schenkte, ließ Julie die Anfeindungen der Dorfbewohner, die einmal ihre Freunde und liebe Nachbarn gewesen waren, vergessen. Aber die Dorfbewohner vergaßen nichts.
Neun Monate später war das Glück von Balian vollkommen. Julie hatte ihm einen Sohn geschenkt und er dankte Gott jedesmal im Stillen für diese Gnade, wenn er Julie mit seinem Kind auf dem Arm sah. Julie wurde in Balians Augen jeden Tag schöner, und er liebte seinen Sohn und seine Frau auf das Innigste.
Julie saß gerade im Obstgarten unter den blühenden Obstbäumen. Der Garten lag hinter der Schmiede, in der Balian an der Esse stand, als ein schlaksiger und etwas verwahrloster Junge mit seinem älteren Bruder zu Balian trat. Der Ältere war einer der Helfer des Priesters, die Balian beim Beerdigen des alten Schmieds geholfen hatten.
Balian sah auf und grüßte die Beiden. Der Kleine sah wirklich erbärmlich aus und stand da, als wenn er zur Schlachtbank geführt werden sollte.
„Was gibt es, kann ich euch helfen?" fragte Balian den Älteren.
„Balian." Der Ältere sah verlegen zu Boden, bevor er weiter sprach, „ich kam um dich zu fragen, ob du nicht meinen Bruder als Lehrling annehmen wolltest. Ich habe nichts und kann nichts. Mir fällt es schwer meinen Bruder zu versorgen und er soll eines Tages nicht genauso dastehen wie ich."
Balian sah den Jüngeren an und fragte: „Und du? Du siehst nicht so aus, als wenn du das wolltest?"
Der Junge antwortete erst auf einen Schubs seines größeren Bruders hin:
„Die Leute im Dorf reden über dich. Keine guten Dinge. Und ich habe Angst vor dir."
Balian sah die Beiden überrascht an. Daß die Dorfbewohner ihn mieden und hinter seinem Rücken tuschelten, das wußte er. Aber daß sie so schlecht von ihm redeten, daß ein Knabe Angst vor ihm hatte, machte ihn doch betroffen. Balian war nicht überzeugt, daß der Junge sich als Lehrling machen würde. Aber er brauchte Hilfe, seine gute Arbeit hatte sich in den Dörfern der Grafschaft herumgesprochen. Er nickte dem Älteren zu und sagte:
„Ich werde ihn nehmen. Kost und Logis hat er frei. Du brauchst mir kein Lehrgeld zahlen, wenn du mir nur ab und an bei größeren Arbeiten zur Hand gehst."
Und zum Jüngeren meinte er:
„Geh hinter in den Garten und stell dich meiner Frau vor und bitte sie darum, dir etwas Besseres zum Anziehen und etwas Essen zu geben."
Der Ältere nickte Balian zu, er verbeugte sich ein wenig wie zum Dank und ging.
Balian sah ihm nachdenklich hinterher. Er wußte, wie es um sein Verhältnis zum Dorf bestellt war, aber das, was er heute gehört hatte, riß alte Wunden wieder auf. Der Junge und seine Frau kamen aus dem Garten. Sie hatte ihren Sohn sanft in einem Arm und die andere Hand lag auf der Schulter des Knaben. Sie lächelte Balian zu und nickte. Balian ging zu ihr und fragte Julie:
„Der Knabe sagte, daß die Dorfbewohner Übles von mir erzählen. War das immer so? Ich weiß, daß sie mich verachten, weil ich ein Bastard bin und in Sünde von meiner Mutter empfangen wurde, aber schlecht?"
Julie sah Balian traurig an und meinte:
„Nein schlecht im Sinn von böse haben sie nicht von dir gesprochen. Sie sagten nur, daß die Sünde deiner Mutter auch deine sei und ihr beide keine Gnade vor Gott finden werdet."
Da meldete sich der Knabe zu Wort:
„Mein Bruder hatte es mir verboten zu sagen, aber das Üble, das von Euch erzählt wird, kommt von dem neuen Priester. Er hat Euch in der Feste des Barons von Blanchard gesehen und sagt, daß Ihr Euch immer geschlagen habt und immer Ärger macht. Und daß Ihr nicht Gottes Segen habt und dies auch auf das Dorf zurückfallen wird."
Balian war erstaunt:
„Wir haben einen neuen Priester? Was ist mit Camon?"
Der Knabe antwortete:
„Camon bat um Unterstützung oder Ablösung. Der Neue ist noch beim Erzbischof, war aber schon einige Male im Dorf."
Balian atmete tief durch und nickte. „Nun dann werde ich ihn sicher noch kennenlernen."
Balian ahnte nicht, wie sehr ihm dieser Priester noch das Leben zur Hölle machen würde.
Tage später, es war Bettag, lernte Balian beim Kirchgang mit seiner Frau den Priester kennen. Der Gottesdienst fand in der Kapelle der Burg des Erzbischofs statt und so kam es zu der Begegnung, auch wenn der Priester noch nicht das Amt des alten Gottesmannes übernommen hatte. Balian erkannte ihn sofort wieder. Er war einer der Schüler des Priesters in der Burg von Baron Blanchard, und auch einer der Jungen, die immer besonders gehässig zu ihm gewesen waren. Dieser Mann war bereits als Junge ein Fanatiker und Heuchler, und Balian hatte seinetwegen oft unberechtigte Strafen einstecken müssen. An diesem Tag holten Balian die Schatten seiner Jugend wieder ein. So verschlossen wie nach dieser Begegnung hatte Julie ihren Gemahl noch nie erlebt, und sie sorgte sich um ihn. Balian dagegen ging wortlos in die Schmiede und arbeitete wie besessen, um seine Wut und seine bösen Ahnungen unter Kontrolle zu bringen. Er war so in seine Arbeit vertieft, daß er das entsetzte Gesicht seines Lehrlings gar nicht bemerkte. Dieser sah ihn an, als wäre er der
Teufel selbst.
Und nicht weit entfernte sich ein Schatten von einer Erhebung, von der aus die Schmiede eingesehen werden konnte. Der Priester war Balian gefolgt und hatte ihn mit brennenden Augen beobachtet. Tief in seinem Herzen haßte er Balian für seine Demut und die Zuneigung, die der alte Priester in der Burg ihm zuteil werden ließ. Er würde hier, in dieser Grafschaft, der Beichtvater werden, und er würde Balian zeigen, wie Gott zu ihm stand, und wo er seiner Meinung nach seinen Platz hatte.
Im gleichen Jahr (1184) in Jerusalem
Godfrey, Baron von Ibelin, hatte die Stadtmauer von Jerusalem verlassen und war auf dem Weg in den Palast. Er war zu einer Besprechung mit dem König gerufen worden, und hier würde er auch seine Freunde Tiberias und André treffen und sie über seine Entscheidung informieren können. Auch dem König mußte er dies mitteilen, und er hoffte auf seine Zustimmung.
Im Palast waren die Durchgänge ins Freie mit feinen Tüchern verhangen, um das gleißende Sonnenlicht fernzuhalten. Das milde und diffuse Licht, und die leicht wehenden Tücher, wurden mit den Flammen der einzelnen brennenden Öllampen und Kohlebecken zu einem Wirbel tanzender Schatten. Die ganze Atmosphäre der Räumlichkeiten war warm, aber prächtig. Die Wände waren mit Mosaiken in Blau und Gold geschmückt, die Farben der Einrichtung und die Schönheit der Räume verschlugen einem den Atem.
Aber Godfrey, sah von alledem nichts. Er war zu sehr in Gedanken, um diese Pracht wahrzunehmen. Zudem war es für ihn alltäglich, war er doch ein enger Vertrauter des Königs und häufig im Palast.
Godfrey, durchschritt die Räume und ein Wächter eilte voraus, um ihn beim König anzukündigen. Godfrey durfte die Räume des Königs betreten, ohne lange auf eine Aufforderung warten zu müssen. Dies war ein Privileg, das Godfrey genoß, hatte er doch den König von klein auf behütet und war sein liebster Lehrer. Godfrey war es auch, der erkannte, daß Balduin von der Lepra befallen war und diese schreckliche Nachricht seinem Vater überbrachte1.
Es schmerzte Godfrey zutiefst, den Zerfall des Königs beobachten zu müssen. Balduin war ein geschickter Taktiker und ein weiser Politiker. Der junge König hatte schon früh erkannt, und sich hier gegen die Wünsche seines Vaters gestellt, daß Jerusalem ein heiliger Ort aller Religionen war und daß der Mensch nicht das Recht hatte, hier Gott vorzugreifen und zu entscheiden, welcher Glaube der richtige Weg war. Balduin hielt die Stadt offen für Pilger aller Glaubensrichtungen und forderte dafür lediglich, daß die Gesetze Jerusalems geachtet und befolgt wurden. Er folgte damit dem Beispiel der Moslems, die Herren dieser Stadt gewesen waren, bevor sie von Christen erobert wurde. Tiberias hatte als Statthalter dabei die schwierige Aufgabe, die fanatischen Fraktionen, vor allem unter den christlichen Rittern, in Schach zu halten. Godfrey fiel die Aufgabe zu, den Pilgerweg zu sichern.
André und Tiberias waren bereits beim König anwesend. Godfrey verneigte sich vor seinem Herrn und grüßte seine Freunde.
„Herr, darf ich sprechen?" begann Godfrey sogleich. Balduin sah ihn verwundert an, gab aber das Zeichen seines Einverständnisses.
Godfrey sah seinem König tief in die Augen und sprach aus, was er so lange Zeit in seinem Herzen verborgen hatte.
„Ich habe ein Kind in Frankreich vor vielen Jahren zurückgelassen, und – so Gott will – lebt es und seine Mutter noch. Ich möchte ihm seinen rechtmäßigen Platz an meiner Seite geben und werde deshalb nach Frankreich zurückkehren. Ich bitte Euch, mein Herr, mir dazu die Erlaubnis zu geben."
Balduin sah seinen Mentor betroffen an.
„Ihr habt ein Kind, einen Sohn?
Godfrey:
„Ob es ein Sohn war, kann ich nicht sagen. Ich bin vor der Geburt Eurem Vater in das Heilige Land gefolgt. Seine Mutter und ich hatten keine Zukunft, aber ich habe sie im Zorn zurück gelassen, weil sie eine Entscheidung für ihre Zukunft getroffen hatte, die mich damals in meinem jugendlichen Stolz zutiefst verletzt hatte. Ich war ungerecht, und es ist an der Zeit dies zu korrigieren. Ich weiß nicht was mich erwarten wird und kann nur auf Vergebung hoffen."
Balduin erhob sich von seinem Stuhl und näherte sich Godfrey. „Fürwahr, mein Freund, Ihr müßt gehen und Euch Sicherheit verschaffen. Bringt Euer Kind und seine Mutter nach Ibelin. Und wenn es nur halb so viel von Eurem Charakter hat, dann soll es mir willkommen sein."
André erhob sich ebenfalls und bat um die Erlaubnis, Godfrey begleiten zu dürfen. „Es wird vielleicht notwendig sein, daß ein Priester zur Vermittlung zwischen den sich fremden Parteien zur Verfügung steht."
Balduin nickte und blickte Godfrey an:
„Ja, André, begleitet Godfrey, und wenn es nur um sein Seelenheil geht, sollten Mutter und Kind nicht mehr leben. Und Ihr, Godfrey, macht Euch sobald als möglich auf den Weg. Ich werde Euch hier schwerlich vermissen und warte dringend auf Eure Wiederkehr."
Damit entließ Balduin die drei Freunde. Außerhalb der Räume des Königs blickte Tiberias seinen langjährigen Freund stumm an, gab ihm die Hand und Godfrey erwiderte den festen Händedruck.
„Finde dein Kind und kehre, so Gott will, gesund nach Jerusalem zurück. Achte wohl auf dich, die Reise ist gefährlich."
So verabschiedete Tiberias seinen Weggefährten, und auch André wünschte er die gleiche heile Rückkehr. Godfrey und André verließen gemeinsam den Palast und Tiberias blickte den beiden traurig nach. Er hatte ein ungutes Gefühl und fürchtete, sie das letzte Mal gesehen zu haben.
Godfrey kehrte zunächst in sein Haus in Jerusalem zurück. Er rief seine wichtigsten Männer, welche sich mit ihm in Jerusalem befanden, zu sich und erklärte ihnen sein Vorhaben. Danach wählte der diejenigen aus, die ihn begleiten sollten. Den anderen wies er ihre Aufgaben in Jerusalem und Ibelin zu. Dann entließ er sie für ihre Aufgaben, und diejenigen, die mit ihm reisen sollten, machten sich an die Vorbereitungen.
Nur Almaric, seinen ersten Mann, bat Godfrey noch zu bleiben.
Almaric war sein Hauptmann und hatte sich Godfreys Vertrauen in vielen Kämpfen und auch in Friedenszeiten durch seine Umsicht erworben. Ihm übergab er die Verantwortung für seine Frau und sein Kind, sollten sie ohne ihn nach Jerusalem kommen. Er sollte ihnen dienen, wie er ihm gedient hatte; und sollte Godfrey einen Sohn sein eigen nennen dürfen, diesem auch mit Rat in dieser fremden Welt bei seiner neuen Verantwortung zur Seite stehen. Almaric fühlte sich geehrt ob dieser Aufgabe, betete aber insgeheim mehr darum, das sein Herr selbst die Aufgabe würde übernehmen können, einen möglichen Sohn in dieses Leben und seine Verpflichtungen einzuweisen. Er liebte seinen Herrn und schaute zu ihm auf. Wie sollte ein Knabe ohne Bildung solch einen gerechten und edlen, im Kampf tapferen und taktisch gerissenen, Herrn wie Godfrey ersetzen können?2
Godfrey sah den verzagten und zweiflerischen Blick seines Hauptmannes, aber er konnte nicht anders. Er mußte Vorsorge treffen für den Fall, daß die Gefahren des Weges ihn unterwegs ereilten. Und plötzlich war er froh, daß André seine Begleitung angeboten hatte. Sollte ihm etwas geschehen, hätten sein Kind und dessen Mutter in André einen wehrhaften Beschützer, der ihnen zudem auch alles über sein bisheriges Leben erzählen konnte. André war sein Beichtvater und wußte wie es um sein Herz und seine Seele bestellt war. Wenn er selbst keine Vergebung bei Majon und seinem Kind erlangen konnte, war vielleicht Andrés Milde und die Tatsache, daß er kein frömmlerischer Priester war, dazu in der Lage, zu vermitteln.
Bis zur Abreise dauerte es durch die notwendigen Vorbereitungen zwei Tage, dann verließen Godfrey und André mit nur sieben Rittern und einem Knappen Jerusalem in Richtung Akkon. Von hier aus wollten sie einschiffen und nach Marseille gelangen, aber das Wetter und die stürmische See machten diese Vorhaben unmöglich. Sie waren gezwungen in kleineren Passagen3 über Zypern, die griechischen Inseln, bis nach Sizilien und dann über Messina auf dem Landweg zu reisen. Sie hatten von Messina noch eine weite Wegstrecke von mehreren Wochen durch Italien und Frankreich bis zu seinem Geburtsort vor sich.
Godfrey war ungeduldig und trieb seine Männer vorwärts. Er wollte möglichst rasch das Ziel seiner Reise erreichen, um bald wieder zurückkehren zu können nach Jerusalem und zu seinem König. Aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann war die Eile ein Ausdruck seiner Furcht. Mit der Rückkehr in das Dorf von Majon, ging er zurück in die Vergangenheit und zu einem jungen Ritter, der im Stolz verletzt, gar nicht ritterlich gehandelt hatte. Der Weg zu der Frau, die er einst so geliebt hatte, war ein Weg zurück zu sich selbst. Er mußte sich eingestehen, daß er viele Fehler4 gemacht hatte. Godfrey hatte mittlerweile viele Träume begraben, deren vieler Verluste gehabt und eine Menge Illusionen verloren. Er hatte Angst, zu spät zu kommen und keine Vergebung mehr erlangen zu können. Vergebung durch Majon und Frieden und Hoffnung durch das Weiterleben seines Traumes in einem Kind. Aber erwartete er da nicht zuviel, verlangte er nicht das Unmögliche? Doch Godfrey wollte hoffen. Und wenn das Kind nur ein wenig von Majons Wesen in sich trug, konnte alles gut werden. Im Stillen betete er zu Gott und erflehte sein Erbarmen.
Zur gleichen Zeit im Dorf am Fuße der Pyrenäen
Es war Mitte August eines sehr heißen Sommers und die Arbeit an der Esse war eine Qual, aber Balian hatte mehrere Pferde von Rittern des Erzbischofs zu beschlagen. Die Tiere waren nervös und unruhig. Besonders ein großer schwarzer Rappe war mehr als unwillig. Er tänzelte bei jeder Annäherung mit aufgeblasenen Nüstern und zerrte an den Zügeln, die ihn am Holm gebunden hielten.
Balian, der durch ruhige Bewegungen und sanftes Sprechen bisher noch jedes Pferd hatte beruhigen können, hatte diesmal seine liebe Mühe mit diesem Tier, dennoch ging die Arbeit gut voran. Es war zur Mittagszeit, in der größten Hitze, als Julie mit ihrem Sohn auf dem Arm Balian etwas zu Essen und Trinken in die Schmiede brachte. Gerade als sie an den Pferden vorbei ging, riß sich der Rappe, von einer Biene gestochen, los. Er stieg auf den Hinterhufen in die Höhe. Julie starr vor Schreck, war nicht in der Lage sich aus der Gefahrenzone der wirbelnden Vorderhufe des panischen Tieres zu bringen. Balian sprang nach vorne und riß Julie zur Seite. Der Rappe brach aus und setzte mit schleifendem Geläuf24 über sie hinweg.
Balian, den ein Huf getroffen hatte, erhob sich mühsam. Kniend versuchte er Julie aufzuhelfen, aber Julie war wie gelähmt und zitterte am ganzen Leib. Ihr Blick war leer, als wäre sie gar nicht da. Julie hatte krampfartig ihr Kind an sich gedrückt und umklammerte es so sehr, daß Balian mühsam ihre Hände von dem Kind lösen mußte. Nur sehr langsam kehrte Julie in die Wirklichkeit zurück. Balian hatte mittlerweile das Kind aus ihren Armen genommen und starrte mit brennenden Augen und aufeinander gepreßten Lippen auf seinen Sohn. Sein kleines Gesicht hatte nicht eine Schramme und doch ging kein Atem mehr durch seinen Körper. Julie hatte ihn in ihrem Schrecken so sehr an sich gedrückt, daß der Säugling erstickt war. Ein gellender Schrei brach sich seinen Weg aus Julies Kehle, und sie riß ihren Sohn aus Balians Armen und krümmte sich über seinen leblosen Körper. Balian fühlte sich plötzlich kaum mehr in der Lage, sich zu bewegen, um seine Frau, die ihren toten Sohn wie zum Schlaf wiegte, aufzunehmen und sie an seiner Brust tröstend zu bergen.
Balian fühlte sich, als wenn ein glühendes Eisen ihm sein Herz entreißen wollte. Er erhob sich quälend langsam und zog seine Frau in seine Arme. Ihr Weinen und Zittern, das monotone Wiegen und ihr leerer Blick zerschnitten ihm seine Seele. Balian wußte nicht was er tun sollte, wo er mit seinem Leid hin sollte und so hielt er Julie einfach lange Minuten, vielleicht Stunden, in seinem Armen fest. Er hatte kein Zeitgefühl mehr und er nahm auch nichts mehr in seiner Umgebung wahr. Der Schmerz überwältigte ihn, aber seine Augen brannten nur wie Feuer und keine Träne wollte sich ihren Weg bahnen.
Julie war schon zwei Tage nicht ansprechbar. Sie wollte von dem Kind nicht lassen und Balian mußte ihr fast gewaltsam das Kind nehmen, um es beerdigen zu können.
Das Dorf vergab nichts und so war keiner im Dorf bislang zu ihnen gekommen um ihnen in ihrer Not zu helfen. Balian hatte seinen Schmerz unterdrückt und sich nur um Julie gekümmert. Aber es war höchste Zeit das Kleine zu beerdigen. Balian war zum Friedhof gegangen, um ein Grab für seinen Sohn auszuheben. Er fühlte sich wie ein alter Mann, aber am schwersten war die Einsamkeit zu ertragen, die nur durch den Besuch des alten und des neuen Priesters unterbrochen wurde.
Camon, der Priester, hatte dem Kind seine letzte Ölung geben und war wortlos wieder gegangen. Sein baldiger Nachfolger im Amt, der Priester Teres, war nicht so stumm. Er gab Balian zu verstehen, das dies Gottes Wille war und er, Balian, nie Gottes Segen hatte. Der Tod seines Sohnes war die gerechte Buße für sein eigenes sündiges Sein. Julie dagegen wiegte sich nur still hin und her; und Balian war sich nicht sicher, ob sie diese Tiraden wahrgenommen hatte. Sie hatte immer noch kein Wort gesprochen und auch sein Lehrling war einfach fort geblieben.
Balian fühlte sich so allein wie noch nie in seinem Leben. Und plötzlich gaben ihm seine Beine nach. Er sank in die Knie und saß mit heruntergesunkenen Schultern vor dem begonnen Grab und war nicht mehr in der Lage, weiterzumachen.
Plötzlich fühlte er eine Hand mit einem leichten tröstenden Druck auf seiner Schulter und erschrocken sah er auf. An seiner Seite stand der Bruder seines Lehrlings. Schweigend griff dieser zu der Schaufel, die Balian mitgebracht hatte und machte sich daran Balians Arbeit weiterzuführen. Balian erhob sich schwerfällig und steif.
„Danke."
Es war mehr ein Hauch, als ein gesprochenes Wort, aber mehr brachte er nicht über seine Lippen. Balian nickte dem Totengräber kurz zu und ging mit schleppenden Schritten durch das Dorf zur Schmiede. Er wollte das Kind holen, und vielleicht gelang es ihm ja auch, Julie aus ihrer Versunkenheit zu reißen, damit sie zusammen ihren Sohn beerdigen konnten.
Als Balian das Haus betrat, stand Julie am Fenster und hielt das für die Beerdigung vorbereitete kleine, eingewickelte Etwas in ihren Armen. Sie sah zu Balian auf, und der Schmerz in ihren Augen zerriß Balian das Herz. Er ging langsam auf sie zu, nahm sie in seine Arme und sprach leise tröstende Worte zu ihr, die er selbst nicht empfand. Die Angst, Julie an die Qual in ihrem Herzen zu verlieren, ließ Balian fast an Gott verzweifeln.
„Julie, wir müssen unseren Sohn begraben. Bitte laß uns das jetzt zusammen tun."
Balian schob Julie ein wenig von sich, um ihr besser in die Augen blicken zu können.
„Julie?".
Einen langen Moment reagierte seine geliebte Frau überhaupt nicht auf die Frage in der zärtlich ausgesprochenen Anrede, doch dann nickte sie und wendete sich wortlos zur Tür. Das Schweigen seiner Gattin ließ Balian die Einsamkeit und Trostlosigkeit des Momentes so spüren, als würden unvorstellbare Lasten ihn in tief auf den Boden drücken.
Nach der Beerdigung ihres Kindes ging für Balian und Julie das Leben weiter, aber nichts war mehr wie vorher. Julie redete nicht mehr und in ihren Augen brannte kein Licht mehr. Man konnte ihren Schmerz in ihrer ganzen Körperhaltung und in den schleppenden Bewegungen erkennen. Balian machte sich große Sorgen um sie und bemühte sich sehr, ihr Trost zu geben, aber in seinem Inneren ahnte er, daß Julie sich die Schuld am Tod ihres Kindes gab, und daß sie sich selbst nicht vergeben konnte.
Balian versuchte seinen eigenen Schmerz und die tiefe Einsamkeit, die er ohne Julie verspürte, durch harte Arbeit, bis spät in die Nacht hinein, zu verdrängen. Er selbst merkte es nicht, aber er war wieder zu dem verschlossenen und schweigsamen Mann geworden, der er gewesen war, als er in dieses Dorf zurückgekehrt war. Der Tod des Kindes, das Leid von ihm und Julie wären die Möglichkeit für die Dorfbewohner gewesen, die Kluft zwischen ihnen und Balian zu überbrücken, aber keiner, außer dem Totengräber, war zu ihnen gekommen oder bei der Beerdigung dabei gewesen. Sein Lehrling war zwar wieder zurückgekommen, aber Balian fühlte sich, als wenn er der einzige Mensch in dieser Welt war, und Julie entfernte sich Tag für Tag von ihm. Bald würde von ihrem Wesen, das er so geliebt hatte, nichts mehr bleiben, und Balian haderte mit Gott, der Welt und sich.
Irgendwo auf dem Weg nach Frankreich
Die Unruhe Godfreys war seinen Männern, und schon gar nicht André, verborgen geblieben. André fragte sich ernsthaft, was Godfrey zu finden hoffte. Er wußte als Beichtvater von Godfrey um dessen Nöte seines Herzens und seiner Seele, aber was glaubte Godfrey könnte ihm die Frau von damals und das Kind, das ihn nicht kannte, geben? Sollten beide noch leben, hatten sie vielleicht ein einfacheres Leben als Godfrey, aber vielleicht ein gutes. Warum sollten sie dann mit ihm gehen? Und sollte das Kind ein Junge sein, wie würde er dann auf einen Vater reagieren, den er nie kennengelernt hatte, der aber plötzlich da war und ihn mitnehmen wollte. Das Kind, sollte es leben, mußte jetzt zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre alt sein. Alt genug, um bereits seine eigene Familie gegründet zu haben.
André fragte sich inzwischen langsam, ob es richtig war, Godfrey an die Vergangenheit und sein Kind zu erinnern, als er bei einer Beichte seine Sorgen um die Zukunft von Jerusalem und Ibelin äußerte. Andererseits, sollte Godfrey einen Sohn haben, der nur ein wenig von seinem Charakter besaß und Majon wirklich die gute starke Frau gewesen sein, von der Godfrey damals so geschwärmt hatte, dann mochte die Beziehung zwischen Sohn und Vater zwar schwierig sein, aber nicht ohne Hoffnung.
Sie waren vor mittlerweile acht Wochen von Messina aus aufgebrochen. Es war Anfang Oktober und, im krassen Gegenteil zum sehr heißen Sommer, bereits empfindlich kalt. Der Winter würde dieses Jahr früh einsetzen und für die Reisenden, welche die Hitze in der arabischen Welt verinnerlicht hatten, war es um so unangenehmer. Godfrey war, seitdem sie die Grenzen Frankreichs passiert hatten, immer stiller geworden. Er ritt überwiegend am Ende des Zuges und zog es vor zu schweigen. Godfrey hatte die Richtung zum Stammsitz seiner Familie eingeschlagen. Neben der Suche nach seinem Sohn, wollte er auch einige Ritter für Jerusalem werben. Aber er erhoffte sich auch Informationen. Er hatte dem Priester seines Vaters von
Majon erzählt gehabt, aber von dem Kind wußte er nichts. Vielleicht hatte der Priester aber etwas aus den Dörfern gehört und konnte ihm erste Anhaltspunkte geben. Das Dorf Majons gehörte ja nicht zum Lehen seines Vaters und so war es sicher besser, dort nicht gleich mit einer Reihe von schwerbewaffneten Männern einzureiten. Er wollte erst wissen, wie die Verhältnisse unter den Nachbarlehen waren.
Nach weiteren drei Wochen hatten sie den Stammsitz derer von Blanchard erreicht. Hier würden sie kurze Zeit rasten. Godfrey erfuhr, daß sein Vater schon lange verstorben war und daß sein ältester Bruder sein Erbe angetreten hatte. Godfrey wurde herzlich willkommen geheißen, aber auch ein wenig zurückhaltend behandelt. Er war nicht böse darum, hatte er es sich doch selbst zuzuschreiben. Er hatte zweiundzwanzig Jahre keine persönliche Nachricht an seine Familie geschickt. Was sie von ihm wußten, waren Berichte anderer Ritter und Reisender, die in die Heimat zurückgekehrt waren. In den nächsten Tagen hatte Godfrey keine Gelegenheit mehr, Nachforschungen nach seinem Kind anzustellen. Er lernte seine Familie neu kennen und verbrachte mehr Zeit, als die Höflichkeit gebot, mit ihnen.
Bei einem Abendessen, bei dem auch der Priester zugegen war, erzählte Godfrey dann seinem Bruder und dessen Gemahlin aus der Zeit kurz vor seinem Weggang. Er gab auch unumwunden zu, daß er ein Mädchen aus dem Dorf bei der Burg des Erzbischofs verführt hatte. Und zum ersten Mal sprach er gegenüber seiner Familie von seiner Liebe zu Majon, seiner Verzweiflung, dem verletzten Stolz und einem möglichen Kind. Bruder und Priester sahen sich überrascht an und beide hatten sie den gleichen Gedanken. War nicht ein Knabe beim Schmied als Diener herangewachsen, der so große Ähnlichkeit mit Godfrey hatte, daß es sie immer wieder irritiert hatte, wenn sie ihn gesehen hatten? Die angeborene aufrechte Haltung, die hohen Wangenknochen, die Hände, seine Stimme und seine Ansichten, alles wie Godfrey, als dieser ein junger Mann war.
Der Priester und Godfreys Bruder waren betroffen. Hätten sie es gewußt, sie hätten sich des Jungen angenommen. So war es nur eine zufällige, wenn auch große Ähnlichkeit und sie hatten keine Veranlassung dem Jungen, bei all der Unbill, die er als Diener des Schmiedes erdulden mußte, beizustehen. Daß er fast als Leibeigener dem Meister diente, war eine Vereinbarung des Vaters mit dem Meister.
Der Priester war es nun, der diese Gedanken aussprach. Er erzählte von dem Knaben, an dessen eigentümlichen Namen er sich nicht mehr erinnern konnte. Er berichtete von der schweren Zeit des Jungen, seiner Not, den neun Jahren des Dienens beim Schmied, aber auch von seinem guten Wesen und Charakter. Er ließ auch nicht aus, daß er, selbst als junger Mann und Meister, noch immer sehr gelehrig war und beim Baumeister noch Jahre gearbeitet hatte. Der Priester berichtete auch von der Sanftmut des jungen Mannes, die man nach solchen Härten an einem Menschen nicht mehr erwarten würde. Godfreys Frage, was aus seiner Mutter geworden war, konnte er nicht beantworten. Genauso wenig, wohin der stille und zurück-haltende junge Mann vor drei Jahren gegangen war. Der Baumeister, der ihm noch Auskunft darüber hätte geben können, war bei einem Unfall ums Leben gekommen.
André, der ebenfalls am Tisch saß und die Erzählung gehört hatte, sah wie Godfrey zwischen Schuld- und Glücksgefühlen hin und hergerissen war. Aber er hatte auch wahrgenommen, daß alle Fragen von Godfrey sich im Inhalt nur um die Tauglichkeit und den Wert des Jungen gedreht haben, er aber nie davon sprach, was er für den Jungen empfand, oder bereit war zu empfinden. André war sich sicher, daß hier aber der Schlüssel für die Vergebung, die Godfrey suchte, verborgen war. War der Junge wirklich im Wesen wie Godfrey und hier berichtet wurde, dann war er nicht käuflich. Wollte Godfrey, daß er ihm vergab und mit ihm ging, mußte er mit ihm als Vater zum Sohn und nicht als Baron zum Erben sprechen.
André zweifelte in diesem Augenblick daran, daß dies Godfrey gelingen würde. Er hatte Majons Liebe aufgegeben und in Ibelin seine Gemahlin und einen Sohn begraben. Außer der Liebe zu Balduin und Sybilla trug Godfrey keine Liebe und keinen Traum vom Glück mehr in seinem Herzen. Wie sollte er da einen Sohn, der sich nach einer solchen Jugend nur nach etwas Liebe sehnen würde, überzeugen? André sprach leise ein Bittgebet und hoffte inständig, daß der Junge für sein Alter weiser war, als ihm zustand und über den Schatten seiner Vergangenheit würde springen können.
Am nächsten Tag drängte Godfrey zum Aufbruch. Wollte er seinen Sohn finden und noch vor den starken Winterstürmen nach Italien zurück gelangen, dann war es nun an der Zeit, sich auf den Weg zu machen. Auskünfte bei den Menschen in der Burg und im nahe gelegenen Dorf hatten keinen Anhaltspunkt über den Verbleib seines Sohnes gebracht. Godfrey blieb nichts anderes übrig, als den einzigen Ort aufzusuchen, an dem er vielleicht seinen Jungen und seine Mutter finden oder Nachricht über sie erhalten konnte.
Derweilen war für Balian seine Welt endgültig zerstört und er verlor seinen Glauben an einen gütigen Gott. In dem Dorf, zu dem es
Godfrey drängte, war Balian zusammengebrochen und hockte mit angezogenen Beinen, den Kopf auf den Knien, in der Tür seines Heimes und weinte bitterlich. Er war nicht in der Lage das krampfhafte Beben seines Körpers unter Kontrolle zu bringen.
Der Steuereintreiber des Erzbischofs, der Balian zum Haus gefolgt war, um den Zehnten von ihm zu erhalten, stand hinter ihm und starrte auf das entsetzliche Bild im Haus, das sich ihm bot: Balians Frau hatte sich am Dachfirst des Hauses erhängt und ihr lebloser Leichnam baumelte nur eine Handbreit über dem Boden. Der Eintreiber bekreuzigte sich schnell mehrmals und wandte sich dann ab um nach dem Priester und einigen Männern zu schicken, die helfen sollten, den Leichnam abzunehmen. Der neue Priester Teres kam, aber mit ihm keine helfende Hand. Der Eintreiber war entsetzt über dieses Verhalten und half Balian, der sich inzwischen mühsam wieder aufgerichtet hatte, seine Frau abzunehmen und auf dem Bett ihres Schlafgemachs niederzulegen.
Als Balian zurück trat, um den Priester für die letzte Ölung zu seiner Frau zu lassen, sah ihn dieser nur mit giftigen Augen an.
„Sie hat Hand an sich gelegt. Sie hat kein Recht auf die letzte Salbung. Ihre Seele wird in der Hölle brennen. Verscharr sie, wo du willst, aber in heiliger Erde wird ihr Körper keine Ruhe finden."
Mit diesen grausamen und mitleidslosen Worten, die er heraus-spuckte, als wären sie Gift, wandte sich der Priester ab und ließ
Balian, der in diesem Moment seinen Glauben verlor, ohne jeden Beistand zurück.
Der Steuereintreiber des Erzbischofs wandte sich ebenfalls zum Gehen, als ihn Balian aufhielt. Mit leiser Stimme sagte er:
„Ich danke Euch für Eure Hilfe, Herr. Wartet noch, ich will Euch meine Schulden zahlen."
„Aber nein!. Ihr habt noch einen Monat Zeit, Euren Zehnten zu bringen. Laßt gut sein, ich will Euch nicht länger stören," erwiderte der Mann.
Aber Balian hielt den Mann zurück und gab ihm die Steuerschuld.
„Dieses Haus trägt bereits soviel Schuld, daß es keiner Weiteren standhält. Bitte nehmt, damit ich wenigstens darin keine Last mehr habe." sagte er. „Alles was ich liebte ist tot und das Dorf haßt mich. Ich weiß nicht, was ich tun werde." setzte er voller Bitterkeit hinzu.
Der Steuereintreiber kannte Balian nun seit drei Jahren. Er hatte immer pünktlich gezahlt und war nie unfreundlich zu ihm gewesen, im Gegensatz zu manchem anderen Schuldner. Er hatte ihm sogar umsonst seinen Rappen beschlagen, wenn es mal nötig war. Der Mann verstand die Bewohner dieses Dorfes nicht, und er bedauerte den jungen Schmied sehr, aber sein Problem war dies nicht. Er wandte sich endgültig ab und verließ, nun von Balian unbemerkt, das Haus.
Balian hatte sich inzwischen neben seine Frau ans Bett gesetzt und ihre Hand in die seine genommen. Still und ohne sich zu rühren, saß er bis in die frühen Morgenstunden neben ihr. Er machte ihr keine Vorwürfe, wußte er doch um ihren Schmerz, vielmehr haderte er mit sich, daß er nicht in der Lage gewesen war ihr zu helfen. Er haderte mit Gott, der ihm immer die Menschen, die er liebte, nahm. Julie war stärker im Glauben als er und dennoch hatte sie den Freitod gewählt. Wie mußte sie im Herzen gelitten haben? Er nahm sich das Kreuz vom Hals, das er von seiner Mutter an ihrem Sterbebett erhalten hatte und legte es Julie an. Er ging in den Wohnraum zurück um Wasser zu holen und Julie zu reinigen. Langsam und sanft bereitete er sie für ihr Begräbnis vor.
Der Tag graute gerade, als er fertig war und die Nebel waberten wie Leichentücher des neuen Tages in den Tälern. Er wollte gerade nach draußen gehen, als es klopfte. Balian öffnete die Tür. Er wußte nicht wen er erwarten sollte. Vor ihm stand der einzige Mann aus dem Dorf, der ihm je Hilfe gegeben hatte. Ja, man könnte ihn vielleicht wirklich als einzigen Freund bezeichnen, zumindest zeigte er Erbarmen. Der ältere Bruder seines Lehrlings stand mit einem Gehilfen vor der Tür und sah ihn lange Augenblicke schweigend an.
„Balian, es tut mir leid. Wir haben es vom Priester erfahren. Du darfst sie nicht auf dem Friedhof beerdigen und selbst darfst du es auch nicht tun, sonst lädst du ihre Schuld auf dich."
Balian sah den Totengräber aus verschwollenen, rotgeränderten Augen verzweifelt an.
„Was soll ich tun? Ich kann sie doch nicht einfach irgendwo verscharren lassen." Seine ganze Wut und Verzweiflung lagen in Balians Stimme.
„Balian, laß uns dein Weib begraben. Wir werden es oben beim Wegkreuz machen. Dort mag der Schatten des Kreuzes ihrer Seele Trost spenden und der Priester kann nicht dagegen sprechen, weil der Ort keine geheiligte Erde ist."
„Ich werde mit euch kommen" erwiderte Balian.
„Nein Balian, daß darfst du nicht. Geh arbeiten und verrichte dein Tagwerk. Du kannst ihr nicht mehr helfen und in dem du auch noch eine Sünde begehst, hilfst du ihrer Seele nicht. Balian, sei vernünftig!"
Mit diesen Worten schob der Totengräber Balian zur Seite und betrat den Raum. Er sah im anderen Raum das Bett mit der Toten und schritt darauf zu. Balian stand noch immer am gleichen Platz wie zuvor. Er war wie betäubt und wußte nicht, was er tun sollte. Die beiden Männer hatten mittlerweile den Leichnam aufgenommen und trugen ihn vorsichtig hinaus. Sie hatten einen Handkarren dabei, auf den sie nun die Frau legten und sich auf den Weg machten, ihr trauriges Werk zu vollbringen. Balian blieb allein zurück und diese Einsamkeit allein schnürte ihm das Herz zusammen.
Die Totengräber waren noch nicht ganz durch das Dorf hindurch, als sich zu ihnen der Priester gesellte. Sie wunderten sich sehr, wußten sie doch bereits, wie der Priester zur Tat der Toten und vor allem zu Balian stand. Noch mehr irritierte es sie, daß er eine Axt mit sich trug, aber sie stellten keine Fragen.
Anmerkungen
1> Bezug zum Film Szene als Balian zu Balduin in seine Räumlichkeiten kommt: ... Godfrey war mein bester Lehrer. Er war dabei, als ich mir beim Spiel mit den anderen Kindern den Arm verletzte. Und er war es, nicht die Leibärzte meines Vaters, dem auffiel, daß ich keinen Schmerz empfand. Er hat geweint, als er meinem Vater die Nachricht überbrachte, daß ich Lepra habe...
2> Bezug zum Film Von der ersten Begegnung an in Jerusalem wird deutlich, wie sehr die Männer über Balians Benehmen und Furchtlosigkeit erstaunt sind und immer deutlicher wird ihre Achtung für ihn.
3> Siehe im Glossar Karte des 3. Kreuzzuges über die Reiserouten der Heere.
4> Ein Pferd tritt nur mit viel Vertrauen zu seinem Reiter auf unbekanntes oder lebendes Material. Schleppendes Geläuf wird deshalb ein ungewollter Tritt eines Pferdes genannt, der zustande kommt, wenn ein Tier eigentlich über etwas hinweg setzen will, aber durch Irritation (Scheu, Geräusche, unsicheres Gelände) nur zögerlich dazu ansetzt und dadurch doch auf das Objekt, das die Irritation ausgelöst hat, tritt.
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