Disclaimer

Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.

Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.


Kapitel 4


Zerstörte Träume

Die beiden Totengräber waren mit ihrer traurigen Fracht am Wegkreuz angekommen. Der Priester hatte sie wortlos begleitet. Drei Wege gabelten sich hier. Einer führte hinunter in die Ebene, wo noch immer der morgendliche Nebel wie ein Leichentuch über der Landschaft lag. Der andere führte rechts am Kreuz vorbei, weiter um den Berg herum. Links dagegen ging es zum Dorf am Fuße der Feste des Erzbischofs. Der Tag versprach, trotz des Nebels noch schön zu werden, aber die Luft war eisig und der Wind zerrte an der Kleidung.

Während der Priester sich etwas abseits auf einen Stein gesetzt hatte, nahmen die beiden Totengräber den Leichnam der jungen Frau aus dem Handkarren und legten ihn neben der Stelle nieder, wo sie beerdigt werden sollte. Dann fingen sie an, zu graben. Sie wechselten sich ab, weil der Boden bereits hart, wenngleich noch nicht durchgefroren war. Wie versprochen hatten sie eine Stelle im Schattenfall des Wegkreuzes ausgewählt. Der Priester hatte weder ein Gebet für die arme Seele der Frau gesprochen, noch hatte er bislang etwas zu diesem Begräbnis gesagt. Die beiden beachteten ihn nicht weiter und versuchten eine Grube tief genug auszuheben, damit kein wildes Tier den Körper von Balians Frau wieder ausgraben konnte.

Ein Windstoß fegte das Leichentuch vom Gesicht der Toten und der Priester stand auf und trat zum Leichnam. Er machte den Anschein, als wollte er das Gesicht wieder bedecken, aber so, wie er sich nach den beiden Arbeitenden umsah, wirkte seine Annäherung an die Frau falsch und hinterhältig. Er ging bei Julies Körper in die Knie und verdeckte sein Handeln mit seinem Umhang, den er wie zufällig nach vorne schwang, als wenn er sich dadurch besser vorbeugen könnte. Die beiden Totengräber waren mit ihrer Arbeit im Rücken des Priesters und konnten so nicht sehen, was er tat. Er starrte auf das Kreuz an Julies Hals, zögerte kurz und riß es ihr dann mit einem Ruck von ihrem starren Körper.

In diesem Augenblick wurde dem Priester ein Reitertrupp gewahr, der, kurz aufgehalten von einer Schafherde auf dem Weg, in ihre Richtung kam. Alle drei erhoben sich und der Ältere der Totengräber flüsterte furchtsam:

„Kreuzritter"

Ein Reiter war dem Troß voraus und bat sie, den Weg freizumachen. Der Priester nickte und die beiden Totengräber holten den Handkarren zur Seite. Als die Ritter an ihnen vorbei kamen, verbeugte sich der Priester und wagte kaum aufzusehen. Die Ritter waren in ihren Harnischen achtungsgebietende Kämpen. Aber noch vielmehr erstaunte den Priester die Fremdartigkeit der einzelnen Reiter. Sogar ein Mann mit einem schwarzen Gesicht war bei ihnen. So etwas hatten der Priester und auch die anderen bisher noch nicht gesehen.

Als die Ritter vorbei waren, wollten die beiden Männer die Frau in ihr Grab legen und ihr Werk beenden. Da meldete sich der Priester zum ersten Mal zu Wort und seine Worte waren widerwärtig und giftig.

„Köpft sie! Sie war eine Selbstmörderin."

Entsetzt sahen die beiden den Priester an.

„Wollt ihr euch verweigern und Sünde auf euch laden? Sie hat Hand an sich gelegt. Das ist eine Todsünde und ihre Seele wird in der Hölle brennen! Köpft sie und bringt die Axt zurück."

Damit drehte sich der Priester um und eilte den Rittern, die sich in Richtung Dorf entfernten, hinterher.

Der Bruder von Balians Lehrling nahm die Axt, er zögerte. Wie konnte er das Balian antun? Aber dann siegte doch die Furcht vor Gottes Strafe, und er holte mit der Axt aus und köpfte Balians tote Frau.

Nach dieser Tat wollte er nicht mehr in das Dorf zurückkehren. Er war sich sicher, daß er Balian nicht mehr in die Augen würde sehen können und so wandte er sich ab und nahm die Straße hinunter in die Ebene. Er würde nicht mehr zurückkommen. Vielleicht konnte er sich als Soldat einem Heer anschließen und für das sühnen, was er getan hatte.

Mittlerweile war der Reitertrupp dem Dorf sehr nahe gekommen und Godfrey spähte so angestrengt zu den ersten Häusern in ihrer Sichtweite, daß André nicht umhin konnte ihn zu fragen, ob er dieses Dorf kannte. Godfrey sah ihn nur wehmütig an und sein Freund ahnte, daß dies das Dorf war, in dem er Majon, die Frau, die er einst liebte, zurückgelassen hatte. André paßte das Schrittempo seines an den Trott von Godfreys Pferd an, um mit ihm auf Augenhöhe zu reiten.

„Godfrey, habt Ihr Euch überlegt, wie Ihr an Euren Sohn herantreten wollt? Sollte er in diesem Dorf zu finden sein, ist er, auch wenn er noch so warmherzig sein mag, sicher erst zurückgekehrt, als sein Stiefvater verstorben war."

Godfrey sah André überrascht an. Daran hatte er gar nicht gedacht. André fuhr fort.

„Glaubt Ihr wirklich, daß zum Mann geworden, ein Knabe vergißt, das er ab seinem achten Lebensjahr ganze neun Jahre in Fron leben und arbeiten mußte. Sicher wird er dies nicht so einfach vergeben haben. Und Ihr mögt es nicht hören wollen, aber wahrscheinlich ist, daß er mit acht Jahren seine Mutter verlor, und der Stiefvater ihn nicht mehr haben wollte. Wie glaubt Ihr, wird er jetzt auf die Rückkehr seines leiblichen Vaters reagieren?"

Godfrey senkte seinen Blick und erwiderte:

„Ihr habt Recht mein Freund. Ich weiß nicht, wie ich auf ihn zutreten soll. Majon und ich hatten zwar damals keine Zukunft, aber wie sollte das ein Knabe begreifen, wenn ihm dies nichts als Leid einbrachte? Und der Mann, der er nun ist, wird er Vertrauen haben können zu einem Mann, der aus verletztem Stolz seine Mutter ihrem Schicksal überließ?"

André abermals zu Godfrey:

„Seid Ihr Euch darüber im Klaren, warum Ihr Euer Kind suchtet? Ihr werdet keine Vergebung bei Eurem Sohn finden können, wenn Ihr nicht ehrlich zu Euch selbst seid."

Godfrey war ob der offenen Worte seines Waffengefährten erbost und trieb sein Tier zu einem stärkeren Galopp an. Wie sollte sein Sohn ein Erbe ablehnen können oder ihm seine Vergebung verweigern, war er doch gekommen, ihm seinen angestammten Platz zu geben? Aber nagender Zweifel hielt Godfrey in seinen Klauen. Was, wenn der Junge durch sein großherziges Wesen, von dem ihm in der Burg seines Bruders erzählt worden war, seinem Stiefvater vergeben hatte und einen Platz in der Gemeinschaft des Dorfes gefunden hatte? Was, wenn er bereits Frau und Kind sein eigen nennen konnte und er gar kein Interesse an dem hatte, was er, der Baron von Ibelin, ihm im Heiligen Land bieten konnte? Würde er wenigstens Vergebung finden?

André merkte Godfrey seine Unsicherheit an. Er, der Baron von Ibelin, der nie Furcht im Angesicht seiner Feinde gezeigt hatte, fürchtete sich nun, seinem eigenen Fleisch und Blut gegenüber zu treten. André wollte seinem Freund helfen und riet ihm deshalb, wenn sie den Sohn gefunden hatten, abzuwarten, was die Nachforschungen zu dem Leben des Mannes ergaben. Godfrey, so mahnte André, müsse vor allem Vater und nicht Baron von Macht und Adel sein. Bei all dem Leid, das Godfreys Sohn in seiner Kindheit erdulden mußte, und der Tatsache, daß er dennoch sein gutes Herz behalten hatte, würde der Mann nicht auf Geld und Adel aus sein, sondern den Menschen und das Herz hinterfragen.

Langsam ritten sie in das Dorf ein und André fragte nach dem Schmied. Sie wollten ihre Pferde beschlagen lassen, weil dies auch eine unverfängliche Gelegenheit bot, sich nach Majon und Balian zu erkundigen. Der Priester hatte sie im Laufschritt eingeholt und führte sie nun zur Schmiede, in der Balian bereits seit dem Morgengrauen an der Esse stand.

Balian war, nachdem die beiden Totengräber seine geliebte Julie fortgebracht hatten, die Leere im Haus unerträglich geworden und so hatte er das Holz in der Esse wieder entzündet und das Feuer zum Erhitzen von Eisen vorbereitet. Seitdem schlug er auf das Eisen ein, als wenn er sich den Schmerz aus dem Leib hämmern wollte. Ein Winkeleisen nach dem anderen formte er mit wenigen wuchtigen Schlägen, deren Hall weithin bis zur Burg zu hören war. Er sollte zweimal zehn Winkel für Bauarbeiten in der Burg fertigen, aber er hatte deren schon genug, und dennoch hörte er nicht auf. Nur der Klang der Hammerschläge und die Wucht der Rückstöße des auf den Amboß auftreffenden Hammers konnten den dumpfen nagenden Schmerz in seinem Innern betäuben.

Sein Lehrling kam mit dem Schüren des Feuers fast nicht nach und sah Balian immer wieder voller Angst an. Balian, schon seit dem Tod seines Sohnes verschlossener und in sich gekehrt, schien dem Jungen ein völlig Fremder zu sein. Er hatte noch kein Wort mit ihm gesprochen und ihn mit keinem Blick zur Kenntnis genommen. Der Zorn und der Schmerz sprachen aus seiner ganzen Haltung und aus seinen Bewegungen. Balians Augen waren von der durchwachten Nacht und den vielen Tränen, die er vergossen hatte, rotgerändert und geschwollen. Seine Lippen waren zusammen gekniffen und sein Blick starr auf das glühende Eisen gerichtet. Der Junge hatte Angst, daß noch die kleinste Unbill Balian zu einem Berserker machen mochte. Er konnte nicht ahnen, wie bald diese böse Vorahnung zur Wirklichkeit werden sollte.

Es war der Priester, den Balian als erstes wahrnahm, als die Reiter zu seiner Schmiede kamen. Der Gottesmann, der seiner geliebten Frau den letzten Segen verweigert hatte, kam neben den Rittern einhergelaufen und rief:

„Das ist der Mann, das ist der Mann!", als wollte er Balian einer Schuld bezichtigen. Balian konnte sich nur unter Aufbietung seines ganzen Willens zurückhalten, den Priester anzugreifen. Stattdessen trat er mit geballten Fäusten vor seine Schmiede und blickte, ohne Gruß, schweigend zu den Reitern auf, die noch nicht abgesessen waren.

„All diese Pferde müssen beschlagen werden. Wir brauchen Proviant und wir bezahlen."

Es war der Ritter mit dem schwarzen Umhang, auf dem ein weißes Kreuz prangte, der Balian ansprach.

Balian sah von einem Gesicht zum anderen und sein Blick verweilte auf dem von Godfrey. Dann drehte er seinen Kopf zu seinem Gehilfen und nickte. Der Ritter, der Balian angesprochen hatte, interpretierte dies als ein Ja und die Reiter saßen ab. Godfrey, aber auch André, wunderten sich über die unhöfliche Art des Schmiedes, sagten aber beide nichts. Godfrey nahm André beiseite und wies mit dem Kopf auf Balian, der bereits wieder an der Esse stand und die Eisen für die Pferde auswählte.

„Dies ist mein Sohn. Er hat die gleichen Augen wie seine Mutter, dieselbe Art sich zu bewegen und den gleichen feingliedrigen Körperbau. Auch ist er nur wenig größer als seine Mutter. Und seine dichten braunen Haare sind genauso gelockt wie bei ihr."

André zügelte Godfrey und bat ihn um Zurückhaltung, bis er Auskunft eingeholt hatte. Sollte dieser junge Mann Godfreys Sohn sein, war sein Verhalten, nach allem was sie bislang von ihm erfahren hatten, äußerst ungewöhnlich. Es war sicher besser zu erfahren, was in den letzten drei Jahren geschehen war, daß ein Mann sich so verändern konnte.

Godfrey, der es vorher hatte kaum abwarten können seinen Sohn zu finden, stimmte dem zu. Auch er brauchte noch die Zeit, die richtigen Worte zu finden, nun da er seinem Sohn gegenübertreten und ihn um Vergebung bitten konnte. Godfrey hatte sich der Ebene zugewandt und sah den Nebelschwaden des frühen Morgens zu, wie sie sich langsam lichteten. Sie waren schon lange vor Morgengrauen von dem Stammsitz seiner Familie aufgebrochen, weil er, nach dem, was er von seinem Bruder und seinem Priester erfahren hatte, nicht mehr schlafen konnte. Die Nacht war kühl und der Tag versprach nicht viel wärmer zu werden. Godfrey war zu diesem Ort aufgebrochen, ohne zu wissen, ob er hier Majon und ihren Sohn finden würde, und so war seine Stimmung ebenso trostlos gewesen, wie das Begräbnis, daß sie beim Vorbeiritt beim Wegkreuz beobachten konnten. Was hatte diese Frau verbrochen, daß sie kein Grab in geheiligter Erde finden durfte? Er konnte nicht ahnen, daß das Ausmaß der ganzen Tragödie, dessen was geschehen war, seinen Sohn betraf.

Balian, der junge Schmied, arbeitete ohne Unterbrechung und die Stunden des Tages vergingen. André gesellte sich nach langer Zeit wieder zu Godfrey und bestätigte ihm nun seine eigenen Beobachtungen.

„Der Schmied ist der Mann, den Ihr sucht. Sein Name ist Balian. Aber seid Euch bewußt, daß er trauert. Das Begräbnis, das wir am Wegeskreuz sahen, war für seine Frau. Sie hatte Selbstmord begangen. Ihr Kind starb und vor Kummer wollte sie nicht mehr leben." erklärte André. Er berichtete auch, was er über den Tod des Kindes hatte in Erfahrung bringen können und nun war Godfrey klar, warum sein Sohn, der als freundlich und warmherzig beschrieben wurde, so verschlossen und unfreundlich war. Godfrey war der eigene Schmerz über den Tod seiner Frau und seines Kindes noch sehr bewußt, obwohl dies schon Jahre zurück lag. Hier aber hatte der Tod noch nicht seinen Schrecken verloren, vielmehr war er in ganzer Wucht und ohne Gnade über Balian hereingebrochen, und der Schmerz über den Verlust brannte noch tief in der Brust seines Sohnes. Auch die Umstände des Todes seiner Frau und seines Kindes mußten tiefe Wunden in seiner Seele hinterlassen haben.

Godfrey wandte sich um und ging zur Esse hinüber, an dem Balian gerade ein angepaßtes Eisen nochmals heiß machte. Einer seiner Begleiter sprach gerade den jungen Schmied an und fragte ihn, was die Schriftzeichen in dem Balken über der Esse bedeuteten. Godfrey hielt inne, um die Antwort zu hören, denn er war von dieser Inschrift, als er sie bemerkte, überrascht gewesen. Latein in einer Schmiede vorzufinden, war nicht alltäglich, und er konnte sich nicht erinnern, sie zu Zeiten des alten Schmieds gesehen zu haben.

Balian antwortete nur:

„Was für ein Mann ist ein Mann, der nicht die Welt verbessert." und widmete sich wieder dem Entgraten des Hufeisens, damit keine
Kerben durch das Eisen in den Huf gerissen werden konnten.

„Laßt mich mit dem Mann alleine!", befahl Godfrey seinen in der Schmiede auf Holzstapeln sitzenden Männern.

Godfrey näherte sich mit diesen Worten Balian, der erstaunt, aber ohne große Regung aufsah. Die Reiter Godfreys entfernten sich, aber der Priester blieb in Hörweite. Godfrey achtete nicht weiter darauf und konzentrierte sich ganz auf den jungen Mann vor sich, dem er nun seine Vaterschaft verkünden wollte.

„Ich bedauere sehr, daß du Weib und Kind verloren hast."

Balian blickte stumm von seiner Arbeit auf. Er wollte nicht über seinen Verlust reden und was ging sein Schmerz einen Fremden an? Aber Balian war als Knecht aufgewachsen, und auch wenn er jetzt ein freier Mann war und mit dem Schmiedehandwerk einem ehrbaren Beruf nachging, so war er sich doch bewußt, welchen Respekt er einem Ritter zu zollen hatte. Und so schwieg Balian und senkte als Zeichen seines Respekts leicht sein Haupt.

Godfrey sprach betont, wenn auch zögerlich weiter.

„Auch ich habe Verluste erlitten."

Noch immer sprach Balian kein Wort und sein Blick zeigte keinerlei Interesse. Godfrey wußte nicht recht wie er weiter sein Anliegen vorbringen sollte.

„Manche sagen, Jerusalem sei der Mittelpunkt der Welt um Vergebung zu erlangen. Aber für mich ist es hier und jetzt."

Godfrey hatte gehofft, das Interesse seines Sohnes zu wecken und dadurch die Worte seines Eingeständnisses milder klingen zu lassen. Aber Balian schwieg beharrlich. Godfrey nahm seine Haube ab, die er unter der zurückgeschlagenen Kapuze des Kettenhemdes trug. Er sah Balian nach, der ungeachtet seiner Worte, zum größeren Amboß gegangen war und seine Arbeit weiterführte.

Balian indes wußte nicht was der Ritter von ihm wollte. Seine Nähe und seine Ansprache waren ihm unangenehm und über den Tod, die Sünde und den Wunsch nach Vergebung wollte er nicht sprechen. Er glaubte nicht mehr an einen liebenden Gott1 und wenn es keine Güte gab, hatten Sühne und Vergebung auch keine Bedeutung mehr. Balian zweifelte nicht mehr nur an Gott, er hatte seinen Glauben verloren.

Godfrey zögerte, wie sollte er weitersprechen? Er ging dem jungen Mann zum Amboß nach und sprach ihn erneut an.

„Ich kannte deine Mutter."

Balian sah überrascht auf und blickte direkt in das Gesicht des Mannes vor ihm. Dies war die erste Reaktion, die Godfrey von seinem Sohn auf Gesagtes erhielt. Godfrey, der etwa einen halben Kopf größer als Balian war, trat bis auf zwei Schritte an ihn heran.

„Höflicherweise muß ich sagen, daß es gegen ihre Einwände war, aber ich habe sie nicht gezwungen." Godfrey suchte nach den nächsten Worten.

Langsam ahnte Balian, was dieser Mann ihm offenbaren wollte. Alles in ihm krampfte sich zusammen. Konnte es wirklich sein? Wollte dieser Mann ihm erklären, daß er sein Vater war? Das er Godfrey war, der Mann, von dem ihm seine Mutter auf ihrem Sterbebett erzählte und ihn seinen Vater nannte. Der Mann, dem der letzte Wunsch seiner Mutter galt, er sollte ihn nicht hassen?

Balian erinnerte sich an die vielen Demütigungen und an die Verachtung, die er erduldet hatte, weil dieser Ritter seine Mutter im Stich gelassen hatte. Wie oft hatte er diesen Namen verflucht! Und wie oft hatte er deshalb seine verstorbene Mutter um Vergebung gebeten! Sie hatte nicht wollt, daß er ihn haßte und dieser Gedanke seiner Mutter ließ Balian reglos den Worten Godfreys zuhören.

„Ich liebte sie, Balian, auf meine Art." fuhr Godfrey fort. Balian starrte den Ritter nur an. Seine Wangenknochen arbeiteten und man sah, wie er seine Zähne aufeinander preßte. Er schluckte schwer. Was sollte er tun? Was erwartete dieser Mann von ihm? Balian, der sich im Moment nichts sehnlicher wünschte, als sich zu seiner geliebten Julie in den kalten Boden zu legen, der sie aufgenommen hatte, empfand nichts für diesen Mann. Seine Ruhe war erschreckend und unnatürlich.

„Balian, ich bin dein Vater. Ich habe die Pflicht, dich um Vergebung zu bitten."

Godfrey senkte sein Haupt vor seinem Sohn und wartete auf eine Antwort.

Die Pflicht, nun endlich machte sich ein Gefühl der Abscheu in Balians breit. Er trat einen Schritt auf den Mann zu, der ihm gerade seine Vaterschaft offenbart hatte, und bedachte ihn mit einem so finsteren Blick, daß, hätte Godfrey ihn trotz seines gesenkten Hauptes wahrgenommen, er jede Hoffnung auf Vergebung auf der Stelle hätte fahren lassen müssen. Balian trat an dem Mann vorbei zum Schleiftisch und schmetterte das Eisen voller Wut darauf. Dies war für Godfrey die einzige wahrnehmbare Reaktion seines Sohnes. Er hatte mit einem Wutausbruch, Beschimpfungen oder dergleichen gerechnet. Mit allen Angriffen wäre er als Ritter fertig geworden, aber diese unterdrückte Wut, die Zurückhaltung seines Sohnes, sein Schweigen, machten ihm die ganze Angelegenheit schwerer als er gedacht hatte.

Was hatte er erwartet? Dachte er wirklich, sein Kind würde ihm vor lauter Dankbarkeit um den Hals fallen? War nicht sein eigener Stolz Schuld an dem leidvollen Leben seines Sohnes? Godfrey wandte sich langsam erneut seinem Sohn zu.

„Ich bin Godfrey, Baron von Ibelin. Ich habe in Jerusalem hundert Mann unter Waffen. Wenn du mit mir kommst, wirst du ein Auskommen haben und…" Godfrey dachte kurz an den Rat seines Freundes, „meinen Dank. Was sagst du?"

Balian sah diesen Mann, der sein Vater sein wollte, ausdruckslos an. Fast tonlos antwortet er:

„Wer immer Ihr auch seid, mein Herr, mein Platz ist hier."

Godfrey konnte es nicht glauben, daß der junge Mann noch immer seine Gefühle zurückhielt und ob des Angebotes gleichgültig blieb.

„Balian, was es zu deinem Platz gemacht hat ist jetzt tot." erinnerte Godfrey ihn. Balian, den diese Worte bis ins Mark trafen, schüttelte wie zum Trotz fast unmerklich sein leicht gesenktes Haupt. Sein Kind und seine Frau waren tot, aber Balian war noch weit entfernt davon, diese Tatsache wirklich zu akzeptieren. Die Augenblicke, in denen er seinen Sohn und seine Frau warm und lebendig in seinen Armen gehalten hatte, waren noch zu frisch und vertraut. Er wollte nicht über seinen Verlust nachdenken, weil der Schmerz darüber ihn fast um den Verstand brachte.

Godfrey versuchte es nochmals eindringlicher.

„Du wirst mich nie wiedersehen. Wenn du irgend etwas von mir willst, dann nimm es jetzt."

Der Baron versuchte mit diesen Worten seinen Sohn aus der Agonie zu reißen, die ihn fest umklammert hielt. Aber Balian senkte nur den Kopf und schien weit weg zu sein. Dann antwortete er:

„Ich will nichts."

Und in seiner Stimme schwang eine tiefe Hoffnungslosigkeit und Melancholie. Was sollte er sich auch schon von diesem Manne wünschen? Alles was er liebte, war ihm genommen und kein Geld oder Land konnten ihm seine Familie und die Liebe, die ihn so kurze Zeit umfangen hatte, wiederbringen. Er schaute seinem Vater nicht in die Augen. Sein Blick war zu Boden gerichtet.

„Ich bedauere deine Unbill."

Godfrey sagte diese Worte harscher, als er wollte, setzte sich abrupt die Lederkappe wieder auf und wandte sich zum Gehen.

„Gott sei mit Dir."

Godfrey zürnte mit sich selbst. Er hatte seinem Sohn Zeit geben wollen, statt dessen hatte er ihn bedrängt; hatte gehofft, daß ein versprochenes Erbe ihn überzeugte mit ihm zu kommen. Er hatte den Schmerz des jungen Mannes falsch beurteilt und nicht mit dem tiefen Leid, das er in seinen Augen erkennen mußte, gerechnet. In diesen Augen, die so braun wie die seiner Mutter waren, hatte sich nicht nur der Kummer über den Verlust geliebter Menschen widergespiegelt, sondern auch Resignation und das ganze Leid seines Lebens, für das er mitverantwortlich war. Godfrey erschütterte diese Erkenntnis, und er war mit dieser Situation überfordert. Er mußte sich eingestehen, daß er nach seinem Kind gesucht hatte, weil er einen Erben für Ibelin brauchte, so wie es ihm André kurze Zeit vorher bereits warnend hatte deutlich machen wollen. Er hatte sich nicht damit befaßt, daß er ein Kind finden könnte, das der Liebe seines Vaters mehr bedurfte als aller Reichtümer oder Titel der Welt. Godfrey war in diesem Augenblick in der Schmiede nicht der Vater, den Balian brauchte, und Godfrey wußte auch nicht, ob er nochmals zu lieben in der Lage war. Er hatte seine erste Liebe aufgegeben, seine Frau und sein Kind begraben und der Knabe, dem er seine Liebe geschenkt hatte, verfiel vor seinen Augen durch Lepra.

Godfrey verließ die Schmiede und saß auf sein Pferd auf. Balian hatte den ganzen Tag über gut und schnell gearbeitet und die Pferde waren bereits fertig. Die Männer von Godfrey hatten Proviant besorgt und so waren sie zum Abritt bereit. Godfrey wendete nochmals sein Pferd und kehrte zu Balian zurück, der aus der Schmiede getreten war und ihnen nachblickte.

„Jerusalem ist leicht zu finden. Geh dahin, wo man italienisch spricht und dann geh weiter, bis man etwas anderes spricht. Wir ziehen an Messina vorbei."

Mit diesen Worten ließ Godfrey Balian und seine eigene Hoffnung auf Vergebung zurück. Vielleicht hatte Gott doch ein Erbarmen mit ihm und sein Sohn würde seinen Schmerz überwinden und ihnen nachfolgen.

Balian sah den Männern lange nach. Er verschwendete keinen Gedanken an das Angebot des Mannes, der gekommen war, um ihn als Sohn mit ins Heilige Land zu nehmen. Seine Mutter hatte ihm gesagt, daß Godfrey ein guter Mensch war. Dies mochte wohl so sein, aber für ihn, Balian, kam er zu spät. Was sollten ihm die Worte des Fremden bedeuten? Die Trauer hielt Balian so fest in ihren Fängen, daß er die Chance für ein neues Leben nicht sah. Er hatte die Stützen seiner kleinen Welt, die sich in Nichts aufgelöst hatte, in der Erde dieses Dorfes begraben. Für ihn gab es keinen anderen Platz.

Balian arbeitete den Rest des Tages monoton an Eisenblöcken, die er zu Schwertrohlingen formte. Als es Abend wurde, schickte er seinen Gehilfen ins Haus zum Schlafen, er wollte in der Schmiede nächtigen. Er würde das Gebäude, das mal das Heim seines ganzen Glückes war, nicht mehr betreten. Balian hatte noch immer den entsetzlichen Anblick von Julie vor Augen. Langsam ging er wieder an die Esse und machte sich daran, die vier Schwerter, die er angefangen hatte, weiter zu bearbeiten. Es war Anfang November, leichter Schneefall hatte eingesetzt und es wurde schon früh dunkel. Aber Balian störte dies nicht. Das Feuer der Esse erhellte seine Umgebung und so konnte Balian noch bis tief in die Nacht arbeiten wenn er wollte. Balian starrte in das Feuer und bewegte ab und an die Schwertrohlinge.

Plötzlich vernahm er die Stimme des Priesters aus einer dunklen Ecke der Schmiede.

„Sie hätten dich nach Jerusalem mitgenommen. Fort von alledem hier."

Der Priester machte bei diesen Worten eine vielsagende Bewegung mit seiner Hand. Balian reagierte nicht auf diesen Vorwurf. Wie er diesen Priester verabscheute! Balian war sich nicht sicher, was er tun würde, wenn dieser Gottesmann noch weiter über Julie und sein Leben lästerte. Und so versuchte er, die Worte des Gottesmannes zu ignorieren und nichts von dem Gift des Priesters wahrzunehmen.

„Ich bin dein Priester, Balian, und ich sage dir, Gott hat dich verlassen", und herablassend fügte er hinzu: „Das Dorf will dich nicht."

Mit immer gehässigeren Worten bohrte der Priester genüßlich in Balians seelischer Wunde. Seinem Gesichtsausdruck konnte man den Wunsch ablesen, Balian leiden zu sehen.

„Kein Mann hat mehr eine neue Welt gebraucht als du." setzte er hinzu. Balian hatte bei diesen Worten langsam seinen Kopf zur Seite gedreht und dem Priester in die Augen gesehen. Dann stieß er unwillig drei der Schwerter tiefer in die Glut und wandte sich mit einem glühenden Eisen zum Amboß. Er hieb auf das Eisen ein, als wenn er es mit wenigen Schlägen zu seiner vollen Länge treiben wollte.

Der Priester ließ in seiner Gehässigkeit nicht locker und setzte Balian nach. Schon seit langem hatte er darauf gewartet, Balian so am Ende zu sehen.

„Wenn du mit nach Jerusalem gehst, kannst du vielleicht das Los deiner Frau in der Hölle erleichtern."

Balian blickte ihn wütend an. Er war nahe daran, seine Beherrschung zu verlieren.

„Ich will es höflich ausdrücken," fuhr der Priester ungerührt und mit einem süffisanten Ton fort. „Sie war eine Selbstmörderin. Sie wird in der Hölle schmoren."

Als Balian immer noch nicht die vom Priester gewünschte Reaktion als gebrochener Mann zeigte, konnte der Priester nicht umhin, hinzuzufügen.

„Ich frage mich, was sie dort ohne Kopf macht?"

Balian, der mit einem Schleifstein Schlacke von dem glühenden Schwertrohling entfernte, hielt inne. Einen langen Augenblick starrte er vor sich in, als ob er das eben gehörte erst begreifen mußte. Dann drehte er sich zu dem Priester und blickte ihm mit grimmiger Miene ins Gesicht. Das Grinsen auf dem Gesicht des Gottesmannes verschwand. Er hatte plötzlich den Eindruck, daß er zu weit gegangen war. In diesem Augenblick erblickte Balian das kleine Kreuz am Hals des Priesters. Mit einer Hand griff er an den Hals des Mannes und nahm das Kreuz auf seine Fingerspitzen und betrachtete es genau. Es war tatsächlich sein Kreuz, das er Julie mit auf ihre letzte Reise gegeben hatte.

Da brach explosionsartig, wie ein überkochender Kessel, der seinen Deckel von sich sprengt, alles aus Balian heraus. Er war nicht mehr in der Lage sich länger zu beherrschen und rammte mit einem markerschütternden Schrei dem Priester das glühende Schwertstück, an dem er gerade noch gearbeitet hatte, in den Leib. Um sich schlagend fiel der Priester rückwärts in die Esse und Balian stand wie betäubt daneben und rührte sich nicht. Dann kam plötzlich Leben in ihn. Er griff durch das Feuer abermals nach dem Kreuz und wollte es den Flammen, die den Priester umfingen, entreißen.

Der Priester, noch nicht durch den Tod erlöst, ergriff die Hand von Balian, hielt sich fest und wurde, weil Balian das Kreuz nicht los lassen wollte, von ihm aus den glühenden Kohlen der Esse gezogen. Mit fuchtelnden Armbewegungen, im verzweifelten Versuch, die Flammen zu löschen, die an ihm empor züngelten, torkelte der Priester durch die Schmiede. Überall um ihn herum entzündete sich das Stroh und das Holz und schließlich brach der Priester zusammen. Balian, der seine Augen mit einem Arm vor dem Funkenflug schützte, folgte dem Priester einige Schritte und sah dann, wie dieser niederstürzte und sich nicht mehr bewegte.

Ungerührt von den Flammen um ihn her, stand Balian selbstvergessen mitten in dem Flammenmeer und öffnete die Hand, mit der er nach dem Kreuz gegriffen hatte. Das heiße Metall des Kreuzes hatte sich tief in seine Handfläche gebrannt. Die Hand sah böse aus, aber Balian merkte den Schmerz nicht. Behutsam nahm er das Kreuz und band es sich mit einem neuen Lederriemen um den Hals. Erst als sein Pferd, ein Grauschimmel, aus Panik vor dem Feuer wild um sich schlug und sich aufbäumte, realisierte Balian, daß die Schmiede inzwischen ganz in Flammen stand und er fort mußte. Er mußte raus aus dem Flammenmeer, zu dem seine Schmiede inzwischen geworden war und auch fort aus diesem Dorf. Er hatte einen Mord begangen und er würde dafür verfolgt werden.

Er zog das panische Tier aus der Schmiede und es gelang ihm auch noch einen Sattel zu retten. Nur mit einer Decke als Umhang stieg er auf das Pferd und galoppierte hinaus in die Nacht.


Anmerkungen

1> Bezug zum Film Szene zum Ende des Filmes, als die Christen die Stadt Jerusalem verlassen. Balian hatte von Saif ein Pferd geschenkt bekommen und saß auf. Saif: „Und wenn Gott dich nicht liebt, wie konntest du dann all die Dinge tun, die du vollbracht hast?


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