Disclaimer

Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.

Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.


Kapitel 5


Ein Hauch von Nähe

Godfrey war mit seinen Männern schnell vorangekommen. Er war enttäuscht, grimmig und nicht gut zu sprechen. Ein flotter Galopp half ihm, seine Gedanken zu sammeln und ließ keine Zeit für Fragen von seinen Kampfgefährten. Es war später Nachmittag, als sie von dem Dorf aufbrachen. Sie ließen den Berg mit seiner Feste hinter sich und durchquerten die karstige Landschaft bis hin zu einem Wald, der sich über die Ebene in südliche Richtung erstreckte. Diese Richtung würden sie von nun an beibehalten, bis sie nach Messina gelangten. Die Nacht verbrachten sie noch am Rand des Baumbestandes, weil ihnen die schnell aufziehende Dunkelheit es nicht ermöglichte, einen sicheren Rastplatz zwischen den Bäumen zu wählen. Am Morgen ritten sie dann in einem ruhigen Trab weiter Richtung Grenze. Godfrey hatte gehofft, sein Sohn würde es sich noch in der Nacht überlegen und zu ihnen stoßen, aber dieser Wunsch erfüllte sich auch im Morgengrauen nicht und so ritt er vor sich hin sinnend am Ende seiner Männer, sich immer wieder umwendend, in der Hoffnung, Balians ansichtig zu werden, aber die Hoffnung schwand mit jeder vergangenen Stunde.

Balian hingegen war ohne Ziel in die Nacht hinaus geritten. Er wußte, daß er weit fort mußte, um nicht von den Häschern des Erzbischofs aufgegriffen und zurückgebracht zu werden. Er wäre für Julie gestorben und den Tod des Priesters bedauerte er keinen Augenblick, aber sein Leben einfach wegzuwerfen, dafür hatte Balian sein ganzes Leben lang zu hart um jedes Stück Brot kämpfen müssen. Sein Ritt ging in halsbrecherischem Tempo über einen, nur vom fahlen Mond beschienen Weg Richtung Süden. Er hatte sich unbewußt für die gleiche Richtung entschieden, in die sich der Troß des Ritters Godfrey entfernt hatte. Balian ritt die ganze Nacht hindurch und gönnte sich, auch als der Tag graute, keine Rast. Um dem Pferd etwas Erholung zu gönnen, ließ er den ganzen Tag über sein Pferd selbst die Gangart wählen und trieb es nur an, wenn es in einen langsamen Trott fallen wollte. Balian hatte seine Hand notdürftig mit einem Stoffstreifen seines Hemdes umwickelt. Die Hand schmerzte sehr und er benutzte sie nicht zum Führen der Zügel. Mit der zu einer leichten Faust geschlossenen, verletzten Hand und dem Druck der Handwurzel auf die Brust hielt er sich den Kragen der Gugel1 zu, deren Ende er über die linke Schulter geworfen hatte. Aber die Gugel war ein dürftiger Ersatz für eine anständige Jacke oder einen Umhang, der die schneidende Kälte und die Feuchte des einsetzenden Schneefalls abgehalten hätte. Balian saß vor Kälte zitternd zusammengesunken auf seinem Pferd, das im leichten Galopp dem deutlichen Weg durch den Wald, den er am Morgen erreicht hatte, folgte.

Es war schon gegen Abend und langsam Zeit sich einen Rastplatz zu suchen, als der in Gedanken versunkene Godfrey von André auf einen Reiter hinter ihnen aufmerksam gemacht wurde. Das Geräusch der Hufschläge im Viererrhythmus eines leichten Galopps war auf dem gefrorenen Boden gut auszumachen. Der Trupp hielt auf Godfreys Geheiß und er wendete sein Pferd, um dem einsamen Reiter ein wenig entgegen zu traben. Aus dem Schneetreiben schälte sich langsam eine zusammengesunkene Gestalt auf einem Grauschimmel. Godfrey mochte es zunächst nicht glauben, aber er erkannte sogleich seinen Sohn, der dort, einige Pferdelängen vor ihm, sein Pferd zum stehen brachte, als wäre er von der Anwesenheit der Reiter überrascht. Godfrey trieb sein Pferd noch ein wenig weiter in Richtung Balians.

Balian war so erschöpft, hungrig und durchfroren, daß er sich, zusammengesunken und ohne einen Blick für seine Umgebung, von seinem Pferd einfach immer weiter hatte fort tragen lassen. Als er plötzlich Stimmen vor sich hörte, hielt er sein Tier abrupt an. Dann schälte sich aus dem Nebel des Abends und dem leichten Schneefall ein Reiter. Balian war erstaunt den Ritter, der ihm seine Vaterschaft noch einen Tag zuvor offenbart hatte, vor sich zu sehen. Er war ihm nicht nachgeritten und doch hatte seine planlose Flucht ihn direkt zu ihm geführt.

Balian ließ sein Tier im Schritt näher zu Godfrey herankommen. Godfrey sprach Balian an, in der Hoffnung, daß nicht der Haß den jungen Mann zu ihm getrieben hatte.

„Bist du gekommen um mich zu töten? Das wird selbst in Zeiten wie diesen nicht leicht. Was ist?"

Balian lenkte sein Pferd noch einige Schritte näher zum Roß des Mannes, der sein Vater war. Er zögerte, blickte erst zum Boden und dann in das Gesicht Godfreys.

„Ich habe es getan", kam es gequält über seine Lippen, als wenn ihm diese Worte Schmerzen bereiten würden. „Gemordet." fügte er reumütig hinzu.

Godfrey sah seinen Sohn, der erschöpft und elendig aussah, geradeheraus an. Balian war nicht für einen weiten Ritt ausgestattet und hielt seine rechte Hand krampfhaft gegen die Brust gepreßt. Godfrey war sich sicher, daß, als Balian mit dem Beschlagen der Pferde fertig gewesen war, diese, jetzt mit einem Stoffstreifen verbundene Hand, noch in Ordnung war. Es mußte also etwas passiert sein, das Balian veranlasst hatte, zu töten.

„Haben wir das nicht alle?", fragte Godfrey sanft zurück, um Balian zum Reden zu bringen.

Balian sah kurz hoch, um dann wieder, wie vor Scham, seine Augen abzuwenden. Schließlich hob er den Kopf und blickte Godfrey in die Augen. Mit Worten, stimmlos, die wie gepreßt seine Kehle verließen, stellte Balian, die für ihn im Moment einzig entscheidende Frage an den Mann aus Jerusalem.

„Ist es wahr, daß ich in Jerusalem all meine Sünden auslöschen kann?" Und gequält setzte er nach:

„Und die meines Eheweibes? Ist es wahr?"

Balian blickte seinen Vater hoffnungsvoll an, um unstet und voller Verzagtheit, die Augen abermals abzuwenden. Er konnte dem prüfenden Blick Godfreys nicht standhalten und Godfrey sah die Not in diesen Augen, die so glanzlos und geschwollen, tief in dem von Erschöpfung und Gram gezeichneten Gesicht lagen. Er erkannte, daß er hier seine zweite Chance erhielt, Balian ein Vater zu sein und ihm in seiner Not beizustehen, wie es sein Kind immer schon verdient gehabt hätte.

„Das können wir gemeinsam herausfinden."

Balian sah auf und zeigte seinem Vater zum ersten Mal einen Schimmer von Hoffnung in seinen Augen.

„Zeig mir deine Hand."

Godfrey wollte den Moment nutzen, für seinen Sohn zu sorgen und den Hauch von Vertrauen nähren, den Balian in diesem Moment
zuließ.

Godfrey führte seinen Sohn zu seinen Leuten. Er wies sie an, nach einem geeigneten Lagerplatz Ausschau zu halten, damit sie bald für die Nacht anhalten konnten und er sich um die verletzte Hand seines Sohnes kümmern, ihn wärmen und ihm Ruhe geben konnte.

André hatte Balian schon in der Schmiede gut beobachtet und tat dies nun unauffällig wieder. Er sah die Wärme von Balians Wesen in seinen Augen und seinem Gebaren; und er hörte die Milde in seiner Stimme und der Wahl seiner Worte. André erkannte schnell, daß Godfreys Sohn die Herzen anderer Menschen berühren würde, wenn er sein eigenes Leid hinter sich lassen konnte und sich wieder dem Leben zuwandte. Und er sah auch wieder das Leben in Godfreys Augen, jene Energie, die er schon lange nicht mehr bei seinem Freund beobachtet hatte. Aber er kannte auch die Ungeduld seines Waffengefährten und nahm sich deshalb vor, Balian auch gegen seinen Vater in Schutz zu nehmen, wenn dieser zu schnell zu viel von ihm erwartete. Er würde sich zu ihrer beider Wohl zwischen Vater und Sohn stellen, wenn es sein mußte.

Nachdem sie ein Lager an einem Flußlauf aufgeschlagen hatten, suchte Godfrey zunächst aus den Kleidungstücken, die sie dabei hatten, etwas Wärmendes für seinen Sohn und ließ sich dann die Hand zeigen. Er stellte keine Fragen, woher sein Sohn diese schlimme Brandwunde hatte. Er säuberte vorsichtig die Wunde und versorgte sie mit einer austrocknenden Paste, bevor er sie mit sauberen Leinenstreifen verband. Das Feuer wärmte Balian und der heiße Wein, den sein Vater ihm vor der Wundversorgung gegeben hatte, tat bei seiner Erschöpfung das seinige. Balian aß noch ein wenig von dem Mahl, das ihm sein Vater reichte, aber dann konnte er seine Augen fast nicht mehr offen halten. Godfrey sah dies wohl. Er hatte seinem Sohn absichtlich heißen Wein gegeben, in den er einige Kräuter von André getan hatte, die den Schlaf fördern sollten. Sein Sohn war am Ende seiner Kräfte. Godfrey hatte seine Männer in viele Schlachten geführt und hatte selbst in vielen Kämpfen gelernt, seine Kräfte einzuteilen. Er erkannte, wann ein Mann nicht nur körperlich, sondern auch geistig am Ende seines Weges angekommen war und ohne Rast keine Chance zum Überleben im nächsten Kampf hatte. Sein Sohn war an einem solchen Punkt angekommen, und es war höchste Zeit, daß er in einem tiefen und traumlosen Schlaf seine Kräfte wieder sammelte, ohne daß die Unruhe seines Geistes ihm diese Erholung nahm.

Godfrey stand auf und bereitete nur einige Schritte vom Feuer entfernt aus Reisig und Decken ein Lager. Als Kopfkissen legte er einen Sattel nieder und breitete über dem Ganzen ein wärmendes Fell. Dann trat er wieder an das Feuer zu seinem Sohn und forderte ihn auf, sich dort niederzulegen. Balian sah seinen Vater erstaunt ob der Fürsorge an, widersprach aber nicht, stand vom wärmenden Feuer auf, ging hinüber und legte sich nieder. Die Decke, die ihm auf dem letzten Teil seines Rittes zusammen mit den Männern seines Vaters als Umhang gedient hatte, breitete er über sich aus und noch ehe sein Kopf richtig auf dem Sattel lag, war er schon vor Erschöpfung eingeschlafen. Godfrey betrachtete seinen schlafenden Sohn und die dürftige Decke, aber sie würde ausreichen, denn das Feuer in seinem Rücken würde den jungen Mann nicht frieren lassen.

Godfrey sah seinen Freund, den Hospitaler, nachdenklich an und André sprach seine Gedanken offen aus:

„Er wird Zeit brauchen, mit der Situation fertig zu werden und zu lernen, was er wissen muß. Verlange und erwarte nicht zuviel von ihm. Er hat alles verloren und begibt sich auf eine Reise ins Unbekannte."

Godfrey nickte, aber er wußte auch, daß die Reise ihre Gefahren hatte und daß Balian schnell lernen mußte, ihnen zu begegnen. Er würde ihn im Gebrauch der Waffen unterrichten und ihm auf dem Weg nach Messina alles über seine Familie, seine Aufgaben und seine neue Heimat erzählen. Er wußte nicht wer Balian war, außer dem, was man über ihn berichtet hatte, aber er war seines Blutes und so würde er in Jerusalem auch seine Rechte und Pflichten als Erbe von Ibelin wahrzunehmen haben und dem König dienen.

Am nächsten Morgen ließ Godfrey seinen Sohn lange schlafen. Er drängte nicht auf einen Aufbruch, und so konnten sich die Männer der Pflege ihrer Ausrüstung und Waffen widmen. Balians Erschöpfung war so tief, daß er weit über den Mittag fest schlief und die Geräusche der Männer um sich herum nicht wahrnahm. Aber langsam löste er sich aus dem tiefen Schlaf, und als etwas dumpf neben ihm auf den Boden aufschlug, war Balian schlagartig wach.

Godfrey, den er noch immer nicht als Vater bezeichnen mochte, hatte ein Schwert neben ihm fallen lassen. Er selbst trug keinen Waffenrock, hatte aber sein Schwertgurt angelegt und zog ihn gerade fester.

„Heb es auf. Wir wollen sehen, aus was für einem Holz du geschnitzt bist."

Balian zögerte nicht. Er schlug die Decke zurück , die ihn im Schlaf eingehüllt hatte, stand auf und hob gleichzeitig das Schwert an. Er hatte nicht viel Zeit zum reagieren, denn der Ritter griff bereits an. Balian wehrte geschickt die Attacke ab und hielt das Schwert zur Verteidigung mit der Schwertspitze in Richtung des Angreifers vor sich.
André, der hinter ihm gestanden hatte, mußte etwas zurücktreten, damit Vater und Sohn Platz für ihren Händel hatten.

Godfrey nahm sein Schwert zurück und ließ es sinken. Er war erstaunt über die gute Handhabung des Schwertes und die schnelle Reaktion seines Sohnes.

„Wo hast du das gelernt?" fragte er verblüfft. „Laß uns an deinen Fähigkeiten arbeiten." ergänzte er dann. Dabei blickte er seinen Sohn fragend an und Balian sah sich genötigt, etwas von sich zu erzählen.

„Ich diente einem Meister der Schwertschmiedekunst und lernte nicht nur das Fertigen der Klinge, sondern auch ihre Handhabung, um zu prüfen, ob das Schwert ausgewogen war und für einen Ritter taugte."

Godfrey und André sahen sich schweigend über Balian hinweg nach dieser Erklärung an. In der Burg hatten sie darüber anderes erfahren. Balian hatte sich das Schmieden mehr oder weniger selbst beigebracht und hatte oft als Prügelknabe mit Schwert für Jungadelige in ihrer Ausbildung zum Ritter herhalten müssen. Daß Balian diese wahre Begebenheit so einfach überging und dabei auch noch seine eigenen Fähigkeiten so zurückhaltend beschrieb, ehrte ihn und zeigte zugleich seinen guten Charakter. Wenn er seiner Vergangenheit so nicht mehr Bedeutung beimaß, dann ließ das für eine gute Zukunft hoffen.

Godfrey ging einige Schritte zurück und fing mit seiner Schulung an.

„Benutze nie eine tiefe Deckung. Nimm dein Schwert hoch, sieh so!"

Godfrey griff das Schwert mit beiden Händen und hielt es sich senkrecht über den Kopf. Seine Ellbogen waren dabei vom Körper weg, seitlich nach außen gerichtet und leicht gebeugt.

„Die Italiener nennen diese Schwerthaltung La Poste di Falcone, die Wacht des Falken. Du schlägst von oben. Ich mache es dir vor."

Und dabei vollführte Godfrey zwei, drei Schläge mit dem Schwert von schräg oben nach unten.

„Los, probier es!"

Balian machte sich daran dem Beispiel seines Vaters zu folgen. Er hob das Schwert, wie bei ihm gesehen in die Höhe und wurde sogleich von Godfrey in der Haltung des Schwertes und dem Stand seiner Beine korrigiert. Dann trat Godfrey ihm gegenüber, nahm die gleiche Schwerthaltung ein und forderte ihn auf, sich zu verteidigen. Balian wehrte gerade zwei Hiebe ab, als Godfrey ihm sein Schwert zur Seite schlug und das eigene Schwert gar nicht mehr in die Höhe zog, sondern statt dessen an der Schwertspitze festhielt und die Klinge mit dem Griff unter Balians Kinn drückte.

„Das Schwert besteht nicht nur aus seiner Klinge."

Mit diesen Worten schubste Godfrey seinen Sohn zurück und nahm einige Schritte entfernt wieder Aufstellung. Abermals tat es Balian ihm gleich, aber diesmal forderte ihn sein Vater auf, anzugreifen. Und noch schneller als zuvor war Balian entwaffnet und das Schwert, das er führte, flog in hohem Bogen zur Seite. Er selbst konnte den Schwerthieben seines Vaters nur durch Zurückweichen entgehen.

André hatte die beiden Kämpfenden gut beobachtet. Er sah sehr wohl, daß Balian noch nicht bereit war, Godfrey als seinen Vater anzunehmen, auch wenn er nun mit ihnen kam, weil er keine andere Wahl mehr hatte, was immer auch geschehen sein mochte. André sah dies am Gesichtsausdruck von Balian, als er ein zweites Mal von seinem Vater entwaffnet wurde. Er hatte sich prüfen lassen und war auch bereit zu lernen, aber sein Vater hatte ihm gerade gnadenlos eine Lektion vor allen Begleitern erteilt. Balian, der noch immer mit Zweifeln in sich kämpfte, mußte sich sehr zusammenreißen, um nicht gegen diese Behandlung, die der eines kleinen Jungen gleich kam, zu rebellieren.

André gab einem jungen, kraftvollen Mann Godfreys einen Wink, damit dieser sich als Trainingspartner anbieten sollte. Balian sollte nicht weiter gegen seinen Vater antreten müssen. Godfrey war ein hervorragender Schwertkämpfer und würde seinem Sohn unbemerkt und sicher auch ungewollt einige Demütigungen besorgen. Balian hatte noch nicht genug Vertrauen gefaßt, um eine solche Behandlung nicht mit verkehrten Gedanken zu hinterfragen.

Der deutsche Kämpe holte sich erst die Erlaubnis seines Herrn und trat dann Balian gegenüber. Immer wieder vollzog er die gleichen Attacken und gab dadurch Balian Möglichkeit, die Abfolge der Schläge kennenzulernen und zu parieren. Ein auf das andere Mal variierte er dabei die Schlag- und Stoßhärte und Geschwindigkeit, mit der er das Schwert führte, bis Balian die Feinheiten und das Gefühl für gewisse Schläge heraus hatte. Balian lernte schnell, konnte bald seinerseits den Kämpen mit gezielten Attacken unter Druck setzen und geschickt die Angriffe abwehren. Balians Vater sah dabei die ganze Zeit zu, und alle im Lager waren ob der Geschicklichkeit und der Lernfähigkeit von Balian sehr beeindruckt. Man merkte ihm an, daß er sich mit Schwertern auskannte und sicher auch etwas Übung in der Handhabung selbiger hatte, aber seine rasche Auffassungsgabe, sein Talent für die Abläufe der Streiche und seine Körperbeherrschung zeigten doch deutlich, wessen Sohn er war.

Godfrey hatte der Übung die ganze Zeit zugesehen und, ohne es sich anmerken zu lassen, tiefen Stolz für Balian empfunden. Sein Sohn überraschte ihn schon jetzt immer wieder aufs beste und er freute sich darauf, ihm langsam alle seine Geheimnisse zu entlocken. Aber er dankte auch Gott, daß André sich entschieden hatte, mit ihm zu reiten. Godfrey wußte sehr genau, daß sein alter Freund mit seiner positiven Einstellung zu den Dingen und seiner ihm eigenen gütigen Art, die Brücke zwischen ihm und seinem Sohn sein konnte. Godfrey kannte seinen Fehler, die Ungeduld, welche ihm bei seinem Sohn schweren Schaden anrichten konnte.

Auf einmal wurde Godfrey vier Reiter gewahr, die sich aus der Richtung näherten, aus der sie am Tag zuvor gekommen waren. Godfrey erhob sich, legte sein Schwert lässig an die Schulter und blickte in die Richtung der Reiter, die sich langsam näherten. Balian und der Kämpfer Godfreys, der mit ihm geübt hatte, hielten inne und wandten ihre Aufmerksamkeit den Reitern zu. Auf Rufweite entfernt hielten diese ihre Pferde an und der vorderste Reiter wandte sich an Godfrey.

„Ihr habt einen Mann bei Euch, Balian. Er hat einen Priester ermordet. Der Erzbischof schickt uns, ihn zurückzuholen."

Godfrey tippte sein Schwert gegen die Schulter und wandte sich zu seinem Sohn. Balian trat zu ihm heran und machte keine Ausflüchte.

„Es stimmt, was er sagt. Sie haben das Recht mich mitzunehmen."

Godfrey sah in das Gesicht seines Sohnes, der so ganz und gar ohne zu zögern seine Schuld zugab und auch nicht darum bat, ihm die Konsequenzen seines Handelns zu ersparen. Der Kämpfer, der vorher mit Balian geübt hatte, meldete sich zu Wort.

„Ich sage, daß er unschuldig ist und wenn Ihr was anderes behauptet, dann laßt uns kämpfen und sehen, wer Recht behält."

Der Ritter auf dem Roß, der noch immer nicht seinen Namen genannt hatte, erwiderte:

„Er ist ein Mörder, gebt ihn uns und wir wollen um was anderes kämpfen."

Balian runzelte die Stirn. Warum übergaben sie ihn nicht einfach? Er hatte getötet, und die Schergen hatten das Recht auf ihn. Godfrey, der noch immer mit dem Rücken zu den Reitern stand und Balian anblickte, zwinkerte ihm zu, drehte sich um und ging auf den Reiter zu.

„Ein Mörder bin ich auch, und wer auch immer heute hier sterben wird, Ihr werdet mit Sicherheit dazugehören."

Der Reiter sah Godfrey an und machte dann einen Rückzieher. Die vier Schergen des Erzbischofs wendeten ihre Pferde und galoppierten davon. Godfrey und seine Männer begannen sogleich, sich zu verteilen. Sie rechneten mit einem Hinterhalt und auch Balian spürte, wie die Gefahr ihm die Nackenhaare aufstellte. Und dann ging plötzlich ein Pfeilhagel auf sie nieder. Als geübte Kämpfer deckten die Männer Godfreys sofort die Flanken und suchten ihre Möglichkeiten in einem direkten Kampf. Balian seinerseits stürmte auf das Gebüsch seitlich des Flusses zu, weil er dort Bogenschützen gesehen hatte. Noch bevor die Schützen ihre Pfeile erneut auflegen konnten, hatte er das Grünzeug erreicht und schlug mit seinem Schwert bereits einen Angreifer nieder. Einem zweiten schlug er die Armbrust zur Seite, deren Pfeil sich löste und einen weiteren Soldaten des Erzbischofs niederstreckte, bevor noch Balian den Bogenschützen niederkämpfte.

André hatte sich derweilen seitlich an ein scheuendes Pferd eines gefallenen, berittenen Angreifers eingehängt, und war, geschützt durch den Leib des Pferdes, durch den Fluß galoppiert und hatte die Angreifer auf der anderen Seite des Flusses im rasenden Galopp niedergemacht. Im Lager hatten sich während dessen die anderen Männer von Godfrey im Nahkampf gegen die Soldaten durchgesetzt.
Godfrey selbst hatte einen Pfeil in die Seite abbekommen, hatte aber dennoch dem unverschämten Ritter, der vorher die Reden geführt hatte, nachgesetzt und ihn erschlagen. Aber er hatte sich dabei den Pfeil, der aus seiner Seite ragte, abgebrochen.

Mittlerweile setzte Balian einem letzten flüchtenden Soldaten hinterher und bezwang ihn mit wenigen Hieben im Zweikampf. Gerade als der Soldat fiel, wurde Balian gewahr, daß ein weiterer Reiter durch den Fluß auf ihn zu kam und er nicht mehr in der Lage sein würde, eine Verteidigungsstellung gegen den Angriff von der Höhe des Pferderückens einnehmen zu können.

Aber es war kein wirklicher Angreifer, der ihm mit der flachen Seite seines Schwertes einen leichten Schlag auf den Kopf versetzte. Es war André, der ihm zum Zeichen einer fehlenden Verteidigung, aber auch als Anerkennung seiner ersten Bewährungsprobe in ihrer kleinen Gemeinschaft, diesen Streich versetzte. André zügelte sein Pferd als er an Balian vorbei war und sah zu ihm zurück. Balian blickte ihm ohne Arg ins Gesicht und neigte zum Gruß und Dank den Kopf. Er zeigte dadurch André, daß er diese Lektion verstanden hatte und André grüßte in gleicher Weise zurück, um Balian das Gefühl zu geben, geachtet zu sein.

Der Kampf war vorbei und die Kämpfer um Godfrey waren als Sieger hervor gegangen, aber sie hatten zwei ihrer Kämpfer verloren. Darunter auch der Streiter, der Balian zuvor noch Unterricht gegeben hatte. Der Knappe von Godfrey atmete schwer und konnte es sich nicht verkneifen, Balian einen wütenden Blick zu zuwerfen. Sie alle dienten Godfrey, wußten warum sie nach Frankreich gekommen waren und würden für Godfrey jederzeit in den Kampf ziehen. Sie würden auch für ihn sterben, aber für diesen jungen Mann, ob Sohn oder nicht, der noch nicht ihren Respekt hatte, war der Tod zweier guter Kameraden ein zu hoher Preis. Und Balian wußte die Miene des Knappen wohl zu deuten und sah sich betroffen um. Er fragte sich selbst, warum der Baron von Ibelin eine solche Gefahr für ihn eingegangen war, dem Sohn, von dem er nichts wußte. Er hätte ihn stattdessen einfach ausliefern sollen, dann wäre dieser Kampf sicher zu vermeiden gewesen. Er verstand auch nicht, warum sein Übungskämpfer, der nun tot auf dem Waldboden lag, sogar für seine Unschuld eingetreten war, obwohl er doch die Tat nicht leugnete.

Godfrey hatte sich inzwischen niedergelegt. Der abgebrochene Pfeil in seiner Seite schmerzte sehr. André, Wissender der Heilkunde, versuchte, ihm mit speziell für die Wundversorgung hergestellten Zangen, den Pfeilstumpf aus der Seite zu ziehen. Godfrey erlitt dabei große Qual und André bekam ihn nach dem dritten Versuch heraus.

Balian saß am Feuer und sah zu dem Geschehen hinüber. Immer wieder fragte er sich, warum Godfrey und André diese Gefahr eingegangen waren und sie ihn mit ihrem Leben verteidigt hatten. Als André mit der Wundversorgung fertig war und Andre für Godfrey einen Wein holte, winkte dieser zwischenzeitlich seinen Sohn zu sich.

Godfrey merkte die Verwunderung von Balian und erklärte:

„Es ging nicht darum, daß sie das Recht hatten, dich mitzunehmen. Es ging darum, wie sie danach fragten."

Balian verstand den Unterschied hier nicht und flüsterte nur:

„Sie hatten das Recht, mich mitzunehmen", und senkte dabei den Blick.

Godfrey lächelte kurz und erwiderte: „Das habe ich auch."

Balian sah ihn verlegen an und erwiderte den sanften Blick seines Vaters mit einem angedeuteten, verlegenen Lächeln. Er beugte sich vor und legte seine Hand auf den Arm des Vaters. Godfrey lehnte sich erschöpft zurück. Das zarte Lächeln seines Sohnes hatte sein Herz gewärmt. Wie mußte erst ein Lächeln seines Sohnes seine Seele zum leuchten bringen, wenn schon eine Andeutung und dieser scheue Blick sein Herz aussetzen ließen? Sein Sohn war ein guter Kämpfer, mit einem hohen Ehrgefühl ausgestattet und dennoch sah er so verletzlich aus. Godfrey betete innig zu Gott, daß der abgebrochene Pfeil in seiner Seite, ihm noch genügend Zeit ließ, seinen Sohn kennenzulernen. Der Pfeil würde ihm Fieber bringen und vielleicht den Tod, aber daran wollte er jetzt nicht denken. Sein Sohn war ganz nah bei ihm und er hatte trotz der Schmerzen ein Glückgefühl in sich, das er seit dem Tod seiner Frau und ihres Kindes in Ibelin, nicht mehr in sich gespürt hatte.


Anmerkungen

1> Gugel: Typisches Kleidungsstück der einfachen Leute im Mittelalter während der kalten Monate.


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