Disclaimer

Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.

Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.


Kapitel 6


Der Weg nach Messina

Balian saß bei seinem Vater, bis dieser eingeschlafen war. Heute würden sie dieses Lager nicht mehr abbrechen. Balian dachte noch lange über die Worte seines Vaters nach, und er bedachte das Wort Vater mit Wärme. Als sein Vater Anspruch auf ihn durch seine Worte „das Recht habe ich auch" erhob, war Balian ein wohliger Schauer durch den Körper gegangen. Er war plötzlich nicht mehr allein und konnte diese Nähe auch zulassen. Die dunkle Wand, die sich vor ihm aufgebaut und ihm keinen Blick auf seine Zukunft gewährt hatte, war mit einem Mal zerrissen. Balian konnte nicht sagen, was sich plötzlich verändert hatte. Als sein Vater ihn mit dem Schwert geschult hatte, war er noch nicht bereit gewesen, sich ihm so ohne weiteres unterzuordnen. Und nun? Ohne ihn wirklich zu kennen, waren sein Vater und seine Männer für ihn eingetreten, was bis auf seine Mutter bisher niemand getan hatte. Sie hatten ihr Leben für ihn riskiert und verloren, sein Vater würde vielleicht seines auch noch geben. Er schaute auf seinen Vater nieder und war sich durchaus bewußt, daß die Verwundung ihm auch diesen Menschen sehr rasch wieder nehmen konnte. Eine sanfte Berührung an der Schulter weckte ihn aus seiner Betrachtung. Balian sah auf.

André war neben ihn getreten und hatte seine Hand auf Balians Schulter gelegt.

„Der Pfeil hat die Rippen gebrochen. Dringt das Knochenmark in sein Blut ein, wird er am Fieber sterben. Sein Leben ist in Gottes Hand."

Balian blickte bei diesen Worten zum Waffengefährten seines Vaters auf. In Gottes Hand? Wie konnte er für seinen Vater beten, wenn er doch seinen Glauben verloren hatte?1 André merkte den Zwiespalt und Zweifel in Balian und antwortete auf die unausgesprochene
Frage.

„Nur weil dir das Vertrauen in Gottes Führung abhanden gekommen ist, bedeutet dies nicht, daß Gott dich aus den Augen verloren hat. Glaube mir, Balian, man mag das Vertrauen, den Glauben an den Sinn, das Gespür für die Nähe Gottes verlieren und an den Taten der Menschen verzweifeln, aber Gott selbst verliert man nicht2. Bete für deinen Vater und bete auch für deine Feinde, wir haben nicht das Recht sie zu richten."

André hatte sehr ruhig und sanft gesprochen und seine Augen waren dabei wohlwollend auf Balian gerichtet. Balian sah ihn stumm an. Er spürte deutlich die tiefe Freundschaft des Ritters zu seinem Vater. Es erstaunte ihn sehr, daß dieser Mann willens war, diese Freundschaft uneingeschränkt auch ihm zu schenken, und so nahm er denn seine Worte an und neigte zur Bestätigung den Kopf. Andre indes hatte Balian in die Augen gesehen und er verspürte eine tiefe Befriedigung in sich, denn Balian hatte Instinkt und Weisheit genug, zu erkennen, wer es ehrlich mit ihm meinte. Mit ein wenig Zeit würde Balian sich zu einem würdigen Nachfolger seines Vaters entwickeln. André entfernte sich, um mit den verbliebenen Männern den Lagerschutz und die Bestattung der Gefallenen aus den eigenen Reihen, wie der Angreifer zu bewerkstelligen.

Balian blieb noch eine Weile bei seinem Vater. Er nahm das kleine Kreuz von seinem Hals in seine Hände und fing an leise und langsam ein Gebet und einen Rosenkranz für seinen Vater zu sprechen. Godfrey, zwischendrin kurzzeitig geweckt durch den Schmerz, bemerkte dies und hörte schweigend und mit tiefem Glücksgefühl der samtweichen, tiefen und warmen Stimme seines Sohnes zu. Godfrey hatte sich die ganze Reise über ausgemalt, wie sein Kind sein könnte; und dieser, sein Sohn, war soviel mehr, als er sich erträumt hatte. Godfrey schlief mit der Erkenntnis wieder ein, daß Balian ihn als seinen Vater angenommen hatte, und dieses Wissen gab ihm Kraft.

Nachdem Balian seine Gebete beendet hatte, gesellte er sich wortlos zu den Männern, die Gräber für die Toten aushoben. Er nahm einem, der mit der Hacke versuchte, den gefrorenen Boden etwas zu lockern, das Gerät aus der Hand und fing selbst mit wuchtigen Schlägen an, die Erde aufzubrechen und damit seinen Anteil in dieser kleinen Gemeinschaft zu leisten. Er tat dies ohne Rücksicht auf sich selbst und arbeitete hart, obwohl seine offene Wunde an der Hand dadurch wieder zu bluten begann. Balian grub, während die anderen Steine herbei schafften, um sie über den Toten aufzuhäufen. Als die Grube tief genug war, wurden die gefallenen Angreifer hineingelegt und André sprach für sie ein Gebet und segnete sie. Während Balian sich nun an das Zuschütten der Grube machte, waren die Kampfgefährten der gefallenen Männer Godfreys dabei, die Körper der Freunde anständig herzurichten und in Decken einzubinden.
Balian hatte neben der Grube zwei kleinere Gräber ausgehoben, in die nun die Leichname gelegt wurden. Sie wurden nur mit Steinen bedeckt, aber deren so viele und kunstvoll aufgeschichtet, daß kein wildes Tier sie ausgraben konnte. André hatte während dieser Vorbereitungen ein Kreuz aus stärkeren Ästen zusammen gebunden und stellte es aufrecht zwischen die beiden Gräber und verstärkte seinen Stand mit größeren Gesteinsbrocken.

Tage später auf dem Weg nach Messina

Sie kamen langsam vorwärts. Godfreys Verletzung erlaubte keinen schnellen Ritt. Ein von Balian gebautes Gestell aus Ästen ermöglichte es Godfrey, seinen Arm etwas angehoben auf der Seite abzulegen und so nicht ständig mit der Wunde in Berührung zu kommen. Godfrey hatte – wie von André bereits befürchtet – Fieber bekommen und wurde mit jedem Tag schwächer, aber dennoch bestand er noch immer darauf, zu reiten und nicht auf einer Bahre den Weg nach Messina zu bewältigen. André war ständig an seiner Seite und beide, Godfrey und er, beobachteten, wie sich Balian in die Gemeinschaft einfügte und sich langsam von dem verzweifelten, fast gebrochenen jungen Mann zu einer eindrucksvollen Persönlichkeit wandelte.

Balian war nach wie vor sehr schweigsam und zurückhaltend, aber er nahm alles auf, was er durch die Kämpfer lernen konnte und war demütig genug, nicht die Tatsache auszunutzen, daß er der Sohn ihres Herrn war. Dieses Verhalten nahmen Godfrey und André sehr wohl wahr und es erfreute nicht nur Balians Vater, sondern auch die Männer waren von dem jungen Mann und seinem Wesen sehr angetan.

Godfrey merkte, daß er langsam dahin siechte und das Fieber von André nicht unter Kontrolle zu bringen war. Er sammelte alle seine Kräfte, weil er seinen Sohn noch so weit wie möglich begleiten wollte, und er traf auch Vorkehrungen für ihn nach seinem Tod. Er sprach lange und sehr ausführlich mit André über seine Zukunft und den Stolz, den er für seinen Sohn empfand und bat André eindringlich darum, ihm beizustehen. Godfrey hätte diese Bitte nicht mehr an André richten zu brauchen, den zum einen hätte er nie die Beichtgebete seines Freundes mißachtet, noch zum anderen Balian, diesen jungen Mann, der ihn tief beeindruckte, ohne weitere Führung im Stich gelassen. Diese Aussage von André beruhigte Godfrey und er konnte sich ganz dem stillen Vergnügen hingeben, seinen Sohn bei seinen Waffenübungen mit den Männern oder beim Training mit dem Pferd in Kettenhemd und voller Montur zu beobachten.

Balian war wahrlich sein Sohn und im Umgang mit den Waffen und den Pferden ein Naturtalent. Er hatte eine Körperbeherrschung, die sie alle immer wieder überraschte und die Kraft mit der er die Waffen führte, stand im absoluten Widerspruch zu seiner Erscheinung.3
Balian war nicht sonderlich groß. Sein Vater war fast einen halben Kopf größer als er und auch seine Männer überragten ihn bis auf den Knappen, der in etwa seine Größe hatte. Balians Körperbau war trotz des körperlich fordernden und fördernden Schmiedehandwerks durch die mageren Jahre in seiner Jugend schlank und hochgeschossen. Auffallend an ihm waren seine langen schlanken Beine, und wenn er sich bewegte war es einem, als würde ihm sein weicher Gang es ermöglichen, keinerlei Spuren zu hinterlassen. Godfrey konnte sich an seinem Sohn nicht satt sehen und seine Begleiter hatten immer mehr den Eindruck, daß die beiden durch ihre Augen miteinander Zwiesprache hielten. Aber in Wirklichkeit fiel Godfrey die Reise zunehmend schwerer und er brauchte tagsüber seine ganze Kraft und Konzentration um durchzuhalten, und so blieb nichts für ein Gespräch mit Balian. Wenn dann gerastet wurde, war Godfrey oft so erschöpft, daß das Sprechen ihm sehr schwer fiel und er oft schon nach einigen Sätzen einschlief. Und so beließen es beide, Balian und Godfrey, dabei, einander nah zu sein und zu schweigen.

Es war André, der Balians Lehrer wurde und ihm von Jerusalem und den Sarazenen berichtete. Und er erzählte Balian vom Leben seines Vaters, seit dieser Frankreich verlassen hatte, um im Heiligen Land eine bessere Welt zu finden. André wurde für Balian ein väterlicher Freund. Ihm vertraute Balian an, daß er nur Vergebung in Jerusalem suchte und weiter nichts. Andre, wenig überrascht von dieser Einstellung Balians, gab ihm aber zu verstehen, daß sein Erbe, seine Rechte und seine Pflichten nicht die Erlangung des anderen ausschlossen, sondern daß es ihn vielmehr befähigte, denen, die sich nicht selbst helfen konnten, beizustehen und so Erlösung zu erlangen. Aber Andre ging es hier und heute vor allem darum, Balian begreiflich zu machen, daß es jetzt um Gnade, Erlösung und Friede für seinen Vater ging, dem man seinen körperlichen Verfall immer mehr ansah. Er würde seine Verwundung nicht überleben und Balian bedrückte dies sehr.

Balian war sehr schweigsam, sprach selten, aber wenn er etwas fragte, konnte man die Gedanken, die er sich schon vorher zum Thema gemacht hatte, nur bewundern. Balian war, wie es André schon auf der Burg des Bruders von Godfrey in einem Gebet zu Gott erfleht hatte, demütiger und weiser, als es für einen jungen Mann anstand. André war sich sicher, daß Balian die Herzen derer, die ihm anvertraut würden, durch sein Wesen und seine Zurückhaltung einnehmen und das ihm entgegengebrachte Vertrauen nie enttäuschen würde. Balian hatte unbewußt mehr Ritterliches an sich, als so mancher hochfahrende Ritter bei Hofe oder bei den Templern. Tiberias würde ihn lieben, wie er Godfrey als Freund all die Jahre geliebt und geschätzt hatte. Balian war so sehr der Vater und doch noch viel mehr. Seine Mutter mußte wirklich etwas Besonderes gewesen sein, und André verstand die Melancholie, mit der ihn Godfrey kurz vor dem Dorf, in dem Balian gelebt hatte, angesehen hatte. Hätten Majon und er damals, vor über zweiundzwanzig Jahren, eine gemeinsame Zukunft gehabt, was für ein glückliches Leben hätten sie geführt!

Mittlerweile waren sie nach langen Wochen in einem Pilgerlager an der Straße nach Messina angekommen. Godfrey ging es heute schlechter als noch die Tage zuvor, und Balian sah sich auf seinem Pferd immer wieder nach seinem Vater um. Godfrey versuchte, seinem Sohn durch ein Lächeln eine Zuversicht zu vermitteln, die er selbst schon lange aufgegeben hatte. Aber Balian war durch so etwas nicht zu täuschen und so war er immer in der Nähe seines Vaters zu finden, damit er sogleich zugegen war, wenn dieser ihn brauchte. Er vernachlässigte deshalb sogar seine Waffenübungen. Statt dessen lernte vom Knappen seines Vaters den richtigen Umgang mit der sonstigen Ausrüstung und Verhaltensregeln, die ihm als Erbe des Barons von Ibelin gut zu Gesichte standen. Dabei brauchte er sich nicht weit von seinem Vater zu entfernen. Und so trat er wie selbstverständlich an die Seite seines Vaters, als während des Aufenthalts ein großer und schwergebauter Ritter, mit einem roten Kreuz auf weißem Grund als Emblem auf seinem Gewand, selbstherrlich an das Lager von Godfrey trat, als André gerade aufs neue die Wunder versorgte.

Das Auftreten des jungen Mannes, der keinerlei Farben4 trug oder erkennbar einem Haus angehörte, irritierte den selbstherrlichen Ritter, der Godfrey zu kennen schien, es aber nicht nötig hatte, einen Gruß zu äußern. Statt dessen zeigte er auf Balian.

„Wer ist das?"

Er sprach es so gezogen und affektiert aus, daß Balian ohne jedes weitere Wort wußte, was für eine Art Adligen er hier vor sich hatte. Da er sich zudem auch Godfrey gegenüber sehr unfreundlich verhielt, war sich Balian sofort darüber im Klaren, daß dieser Ritter, wenn sie sich nochmals begegneten, immer gegen ihn stehen würde und er schon jetzt einen Feind in ihm hatte. Godfrey erwiderte auf die unverschämt vorgebrachte Frage kühl:

„Das ist mein Sohn".

Der Ritter lachte überzogen auf und meinte dann:

„Ich hätte gerne mit Euch gekämpft, als Ihr noch in der Lage wart, Bastarde zu zeugen."

Er sah Balian dabei nicht direkt an, doch die Beleidigung war mehr als deutlich. Aber Balian konnte darauf nicht reagieren, denn er war noch kein Ritter und so preßte er nur die Lippen aufeinander und sah den Mann unverschämt geradeheraus an.

Godfrey nahm der Beleidigung gegen seinen Sohn die Spitze, indem er erwiderte.

„Ich kannte Eure Mutter als sie die ihren empfing. Glücklicherweise seid Ihr zu alt, um einer der meinen zu sein."

Der Ritter lächelte gekünstelt.

„Das wäre noch zu klären...", und verließ die Stätte.

Balian und sein Vater sahen sich nachdenklich an. Auch Godfrey war klar, daß Balian schon jetzt in diesem Ritter einen unerbittlichen Feind hatte. Er machte sich Sorgen um seinen Sohn und sandte ein Bittgebet zum Herrn. Und selbst André hatte dieses Gespräch mit Sorge verfolgt. Guy de Lusignan war schon so lang er in Jerusalem war, ein Gegner von Godfrey gewesen und wie es aussah, würde
Balian diese Feindschaft erben, und – da nur einige Jahre jünger als der Templer – auch der sein, der diesen Kampf würde ausfechten müssen. Godfrey war zu angesehen und einflußreich um anfechtbar zu sein, aber sein Sohn würde sich das Vertrauen und seine Stellung erst noch verdienen müssen. Und dieses Handikaps würde sich Guy mit Sicherheit bedienen. André nahm sich vor, nicht nur Tiberias hiervon zu berichten, sondern Balians Schutz auch dem König nahezulegen. Wenn Godfrey tot war, war das Gleichgewicht von Gegnern und Befürwortern der Regierung Balduins gestört. Es war im Sinne des Königs, wenn Balian rasch in seine Stellung und in die Verantwortung fand.

Ihre Reise nach Messina, dem Tor zum Heiligen Land, ging weiter. Godfrey war nun nicht mehr in der Lage, zu reiten und seine Männer hatten ihn auf einen Pferdewagen gebettet. Balian ritt immer hinter dem Wagen, um seinem Vater nahe zu sein. Godfrey hätte darum gebeten, wenn er nicht freiwillig diesen Platz gewählt hätte, um seiner noch die kurze Zeit, die ihm verblieb, ansichtig zu sein.

Balians Miene war ernst und verschlossen. Ihm war klar, daß sein Vater im Sterben lag. Seine Sorge galt seiner Wohlfahrt, daß er nicht zuviel Ungemach hatte in der kurzen Zeit, die ihnen noch blieb. Diese Fürsorge und das Bemühen seines Sohnes berührten Godfrey sehr und er bedauerte wiederholt, seinem Sohn nicht schon eher ein Vater und Begleiter gewesen zu sein. Nun hatte er zwar seine Schuld zurecht gerückt, aber Balian wurde einmal mehr, viel zu rasch, das gefundene Glück fortgenommen. Balian war in Godfreys Augen viel zu ernst und verschlossen5 und er wünschte sich so sehr, seinen Sohn einmal lachen zu sehen.

Aber Balian hatte keinen Grund zum Lachen, und alles was sich ab und an auf sein Gesicht stahl, war ein scheues Lächeln, das kurz über sein Gesicht huschte. Dieses Lächeln war so anziehend und verheißungsvoll, daß man sich darüber freute, wie über einen Sonnenstrahl nach einem Gewitter. Und da Balian nicht oft lächelte, war es um so kostbarer in den Augen seiner Begleiter. Die Männer Godfreys, wie Godfrey und André selbst, waren schon seit langem diesem Charme und dem ihm eigenen, ehrlichen Zurückhaltung verfallen. Auch wenn es keiner je in Worte fassen würde, sie liebten ihren jungen Herrn und mochten gar nicht mehr daran denken, daß sie am Anfang ihrer Reise ihn nicht wert genug für den Tod zweier Kameraden erachtet hatten. Ganz unbemerkt und ohne daß Balian um ihre Freundschaft gebuhlt hätte, war er durch seine Freundlichkeit und Aufmerksamkeit, seinem Wesen und seiner Bereitschaft, selbst für sein Handeln einzustehen, in ihrem Ansehen gewachsen und sie hatten ihn als einen der ihren in ihrer Mitte aufgenommen. Und Balian nutzte diese Gemeinschaft. Er wuchs an dem Wissen, das sie ihm vermittelten und wurde selbstsicherer, verlor dabei aber nie seine Demut und das Wissen um seine Herkunft. Auch blieb es keinem verborgen, daß er einen scharfen Verstand und eine rasche Auffassungsgabe hatte, die es ihm ermöglichte, die Tatsachen sehr schnell auf einen Punkt zu bringen, und wenn er mal etwas sagte, redete er nicht um das Problem herum.

All dies ließ Godfrey für die Zukunft seines Sohnes hoffen. Balian würde seinen Weg am Hofe Balduins machen, und auch wenn dieser von seiner Krankheit besiegt war, würde Balian sich gegen seine Feinde zur Wehr setzen können. Godfrey spürte, daß ihm die Zeit davonlief. Wenn sie in Messina ankamen, hatte er bald sein Erbe mit seinen Träumen und Wünschen an Balian weiterzugeben. Er mußte noch vor seinem Tod Balian zum Ritter machen, damit er nicht durch den Tod seines Vaters auch noch seines Erbes beraubt würde, wie er durch den Tod seiner Mutter seiner Jugend beraubt wurde.

Messina

Godfrey war in das Spital der Johanniter gebracht worden und Balian, inzwischen auf Geheiß von Godfrey mit den Farben von Ibelin eingekleidet, saß am Bett seines Vaters, der immer mehr vom Fieber bezwungen wurde. Godfrey öffnete seine Augen und wurde erst nach einigen Augenblicken gewahr, daß sein Sohn dicht neben ihm wachte.

„Weißt du, was dich in Jerusalem erwartet?"

Godfreys Stimme war heiser und es strengte ihn an, zu sprechen, aber er hatte aus Schwäche bislang alles André überlassen, nun war es höchste Zeit, daß er selbst das Wort an seinen Sohn richtete und ihn über das Erbe, das er ihm mit auf den Weg gab, aufklärte. Godfrey dachte dabei nicht an das Gut von Ibelin oder sonstige materiellen Werte, sondern er wollte von Verantwortung und Gewissen sprechen. Er wollte seinem Sohn die Augen für die Werte öffnen, für die Ibelin stand. Balian schüttelte auf die Frage seines Vaters den Kopf.

„Eine bessere Welt, ein Königreich des Gewissens", flüsterte Godfrey.

„Ich hoffe Vergebung zu finden, mehr weiß ich nicht." antwortete Balian.

Godfrey winkte seinen Sohn näher und nahm seine Hand. Balian beugte sich weit über seinen Vater, um seine leise Stimme besser zu verstehen.

„Balian, wer immer du auch bist, du bist von meinem Blut und wirst in Jerusalem dem König dienen."

Balian sah seinen Vater ungläubig an.

„Was kann der König von einem Mann wie mir wollen?" fragte er verblüfft.

Godfrey wiederholte sich: „Eine bessere Welt als du dir vorzustellen vermagst. Ein Königreich des Gewissens. Wir leben in Frieden mit den Moslems, zumindest versuchen der König und Salah-al-Din, ihn aufrecht zu erhalten. Es sind Menschen mit Gewissen notwendig, sie dabei zu unterstützen. Hast du das erwartet?"

Balian mußte erneut den Kopf schütteln und blickte seinen Vater erwartungsvoll an.

„Balian, du bist alles, was mir geblieben ist. Meine Zeit wird kurz, bitte enttäusche mich nicht."

Balian war gerührt und befangen, was erwartete sein Vater das er tat? Von seiner Mutter wußte er, daß Godfrey schon immer die Welt verbessern wollte. Er wollte eine neue Welt entstehen lassen. Und er selbst? Hatte nicht auch er in seiner Schmiede einen Sinnvers in das Holz eingebrannt, der ihn an nichts anderes gemahnen sollte?

Er dachte an diese Worte: „Was für ein Mann ist ein Mann, der nicht die Welt verbessert?" Hatte er sich nicht schon da unbewußt entschieden, den gleichen Weg zu gehen, den sein Vater bereits dreiund-zwanzig Jahre zuvor beschritten hatte? Und André, was hatte er ihm gesagt? „Du kannst mit den Menschen und Gott hadern und den Glauben verlieren, aber Gott ist immer da." Hieß das nicht auch, daß, egal in welcher Weise man seinen Glauben praktizierte, Gott immer der gleiche war?6 Und war das nicht der Grundstock für Balduins Toleranz in Jerusalem, so wie André ihm das erklärt hatte?

Godfrey beobachtete genau das Mienenspiel seines Sohnes. Er konnte sehen, welche Gedanken ihn bewegten. Und er konnte auch erkennen, daß sein Sohn keine Vorbehalte oder Dünkel hatte, vielmehr zweifelte Balian an sich selbst und daran, daß er diese Bürde würde schultern können. Daß er dennoch nicht zurückschreckte oder diese Aufgabe ablehnte, sondern sich seine eigenen Gedanken machte und seine Position suchte, zeigte Godfrey, daß sein Sohn für den Ritterschlag bereit war. Nicht die Ausbildung an den Waffen oder Kenntnis von den Regeln des Hofes befähigten einen Mann Ritter zu sein. Es war das Erkennen von Aufgaben und Verantwortungen, und die Bereitschaft, diese zu übernehmen, und, auch wenn man nicht die Ausbildung hatte, sein Bestes zu geben, was einen adelte.7 Dies waren die wichtigsten und ehrbarsten Grundsteine eines Ritters, und ohne sie war Ritterlichkeit nur eine Phrase. Es gab leider viele solcher Menschen, und deshalb waren die zurückhaltenden und ehrbaren Männer, die sich mehr ihren Pflichten gegenüber den ihnen anvertrauten Menschen als dem Machtstreben widmeten, so kostbar wie Edelsteine. Balian gehörte ganz offensichtlich dazu. Ein jeder, der nur einige Zeit mit Balian zusammen war, sah, wie er nicht nur nach diesen Regeln lebte, sondern daß sie ein Teil von ihm waren, ohne daß er sich dessen bewußt war. Er konnte ein Beispiel für andere sein, sie inspirieren und doch dabei ohne Eitelkeit bleiben. Godfrey dankte Gott für diesen Segen eines Sohnes, auf den ein Vater stolz sein konnte. Er bedauerte nur mehr als je zuvor, so viel Zeit verloren zu haben.

Balian war mit dem Knappen in Messina auf der Mauer am Meer unterwegs. Pierre, so der Name des Knappen, war ihm ein Freund geworden, der in der Gruppe auch seinem Alter entsprach. Pierre zeigte Balian die verschiedenen Rittergruppierungen und erläuterte ihm ihre Farben und Bedeutungen. Von ihm erfuhr Balian den Unterschied zwischen den überwiegend kämpfenden Orden und den Orden, die zwar ihren Platz beim Heer hatten, aber sich mehr den Bedürfnissen der Pilger widmeten. Von Pierre erfuhr er Nebensächlichkeiten, auf die André keinen Wert mehr legte und so bekam Balian langsam eine Vorstellung davon, was ihn in Jerusalem erwartete.
Balian lernte sogar einige Worte in der Sprache der Moslems8.

Beide standen nun auf einer Mauerkrone und sahen hinaus aufs Meer. Balian fielen die betenden Menschen am Ufer auf, die sich immer wieder verbeugten, niederknieten, ihren Kopf zu Boden senkten und dann im Gebet wieder aufstanden.

„Wer sind diese Menschen?" fragte er. Pierre sah kurz dorthin, wohin Balian deutete.

„Moslems. Sarazenen." antwortete Pierre.

„Sie dürfen ihre Gebete verrichten?" fragte Balian, dem der Wind die Haare ins Gesicht fegte.

„Solange sie ihre Steuern bezahlen," bemerkte Pierre lapidar. Dann wiederholte er den Gebetsanfang, den der Vorbeter ausgerufen hatte.

„Gelobt sei Gott. Es gebührt sich, ihn zu preisen." übersetzte er sie gleich, und dabei schaute er Balian direkt an.

„Klingt wie unsere Gebete." war Balians Antwort und einmal mehr zeigte er, daß er nicht den christlichen Glauben für das alleinig Maßgebende hielt und daß er offen sein neues Leben annahm und die Menschen ohne Vorurteile behandeln wollte. Pierre war sehr froh darüber, liebte und schätzte er doch Balians Vater sehr. Es schmerzte ihn mindestens genauso, daß Balian seinen gerade gefundenen Vater so bald wieder verlieren würde. Pierre nahm sich vor, an Balians Seite zu bleiben, wenn Gott es so wollte und nicht nach dem Tod von Godfrey von Ibelin aus dem Dienst zu treten, um bei einem anderen Ritter aufzusteigen.

Sie schlenderten noch eine Weile durch die Stadt, als Pierre Balian zu den Tischen einer auf der Straße feilbietenden Wirtsstube lenkte. Er bat Balian, Platz zu nehmen und ging etwas zu essen holen. Als er zurückkam, hatte er drei Teller mit Gerichten darauf, die Balian noch nie gesehen hatte. Balian sah Pierre zweifelnd an. Er hatte die Stirn in Falten gezogen, als wollte er sagen:

„Das ist eßbar?".

Der Knappe konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und meinte nur:

„Das ist gut."

Balian probierte und er mußte Pierre recht geben. Es schmeckte für ihn zwar fremd und sah auch nach nichts aus, was er kannte, aber es war mehr als nur genießbar. Balian hatte in seinem Leben schon oft weitaus schlechteres Essen gehabt und so langte er mit Appetit zu.

Während die beiden aßen, näherte sich Guy de Lusignan ihrem Tisch. Er war inzwischen auch in Messina angekommen und hatte die beiden durch Zufall ausgemacht. Da der junge Ibelin ganz ohne Begleitung war, der Knappe zählte nicht in seinen Augen, wollte er sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, diesen jungen Spund einzuschüchtern.

Guy ließ seinen Reitstock unvermittelt auf den Tisch krachen und forderte Aufmerksamkeit. Balian sah nur kurz hoch und erkannte sogleich den Ritter aus dem Pilgerlager. Er wandte sich demonstrativ wieder dem Essen zu. Guy de Lusignan, grollte ob der Mißachtung seiner Person.

„Mein Name ist Guy de Lusignan. Merke ihn dir."

Und als Balian keine Reaktion darauf zeigte, sondern einfach weiter aß, fuhr der Ritter fort:

„Wenn der König tot ist, werden Freunde der Moslems und Verräter am Christentum wie Euer Vater keinen Platz mehr in Jerusalem
haben."

Balian konnte nur mit Mühe die Beleidigung seines Vaters hinunterschlucken. Er war noch kein Ritter und durfte Guy deshalb nicht fordern. Und zum ersten Mal wünschte er sich, daß er ein Ritter wäre und diesem eingebildeten de Lusignan zeigen könnte, was er von einem Ibelin zu erwarten hätte, wenn er mit solchen Worten um sich warf. Wie sehr ihn diese Worte ärgerten, sah Pierre daran, daß Balian innerhalb kurzer Zeit seinen Becher leerte. Er hatte bisher nie viel
getrunken.

Guy de Lusignan hatte, um das Maß vollzumachen, während er sprach, Balian seinen Reitstock unter die Nase gehalten und versetzte ihm damit sogar einen Nasenstüber. Balian riß ihm den Stock aus der Hand und warf ihn, ohne Guy oder dem Stock einen Moment Aufmerksamkeit zu widmen, zur Seite. Guy war sichtlich überrascht.

„Behalte ihn." sagte er gönnerhaft. Damit wandte Guy sich ab, ärgerlich, weil es ihm nicht gelungen war, diesen Jungen einzuschüchtern. Guy war noch keine drei Schritte gegangen, als ihn Balian anrief:

„Mein Herr!"

Balian hatte den Stock in der Hand und betrachtete ihn. Zu Guy drehte er sich nicht um.

„Wie wollt Ihr reiten, wenn Ihr keinen Stock habt, um das Pferd zu schlagen."

Mit einer kurzen geschmeidigen Bewegung dreht er sich in Richtung de Lusignans und warf dem überraschten Ritter seinen Stock zu. Balian zollte ihm keinen Respekt und achtete auch nicht weiter auf eine Reaktion von Guy. Er wandte sich wieder dem Essen zu, aber er hatte seinen Appetit verloren. Der Knappe sah ihn völlig entgeistert an, beugte sich über den Tisch näher und meinte:

„Er wird einmal König in Jerusalem werden."

Balian war dies gleich. Er hatte seinen Vater und das Haus von Ibelin beleidigt und wenn er ihn schon nicht fordern konnte, so konnte er ihm doch den Respekt verweigern.

Am Ende des Weges

Als Balian und der Knappe in das Spital der Johanniter zurückkamen, wartete dort bereits André auf sie.

„Balian, dein Vater wird den nächsten Morgen nicht mehr erleben."

Balian wollte sogleich an André vorbeistürmen und sich zu seinem Vater begeben. Diesen Moment hatte er so gefürchtet. Schon wieder würde er einen Menschen, den er liebte, verlieren und alles krampfte sich in ihm zusammen. André hielt ihn auf.

„Balian, warte, dein Vater will nun ins Reine mit sich, Gott und seinem Leben kommen. Du kannst jetzt nicht zu ihm. Ich werde dich rufen lassen, wenn es soweit ist. Bitte, warte hier und vertrau mir. Dein Vater wird nicht von dir gehen, bevor du ihn nochmals gesprochen hast."

Balian sah André fragend an und nickte dann. Er konnte André vertrauen, so wandte er sich ab und ging die Treppen hinunter in den Innenhof zum Feuer. Hier würde er warten und für seinen Vater beten. André sah ihm traurig nach. Was der Junge in seinem Leben schon verloren hatte, war nicht gerecht, und er konnte nur hoffen, daß Gottes Ratschluß dafür in Jerusalem einen Ausgleich für Balian hatte. Er nahm den Knappen mit sich, denn Godfrey wollte nicht nur beichten und sich auf den Tod vorbereiten; er wollte auch, daß in einer kleinen Kapelle alles für den Ritterschlag seines Sohnes vorbereitet wurde.

Balian saß nun schon lange am Feuer und hatte in endlosen Wiederholungen Bittgebet um Bittgebet für seinen Vater gen Himmel geschickt. Plötzlich wurde er gerufen. Pierre stand im ersten Stock an den Eisenketten, zwischen den Säulen und rief ihn zu sich. Balian stand auf und beeilte sich, zu ihm zu kommen, aber statt zu seinem Vater, wie er erst dachte, wurde er vom Knappen in einen Raum geführt, in dem alles für eine rituelle Reinigung und für eine Beichte bereit stand. Balian sah ihn erstaunt an und Pierre wies ihn nur an, sich zu waschen, und bereitgelegtes Gewand anzulegen. Das Gewand war ein einfaches Leinenhemd, das den ganzen Körper bedeckte. Danach sollte Balian einem Priester, der gleich kommen würde, beichten und seine Absolution erhalten. Pierre wollte vor dem Raum warten und ihn dann zu seinem Vater bringen. Er bat Balian sich zu eilen, weil die Zeit knapp wurde. Es war keine Zeit für weitere Erklärungen.

Balian tat wie ihm geheißen wurde, obwohl er nicht recht verstand, wozu das dienen sollte. Er wollte zu seinem Vater und nicht mit irgendwelchen Regeln aufgehalten werden. Aber wenn dies der Wunsch seines Vaters war, würde er sich fügen.

Als Balian fertig war und auch seine Beichte abgelegt hatte, wurde er von Pierre zu jener Kapelle geführt, die er für den Ritterschlag vorbereiten sollte. Als Balian und er den Raum betraten, waren zunächst bewaffnete Ordensbrüder der Johanniter die ersten Personen, die Balian sah. Sie standen in einem Ehrenspalier und traten hinter ihn, als Balian von Pierre weitergeführt wurde. Hinter einem dünnen Vorhang konnte Balian seinen Vater, auf einem Schemel vor einem Kreuz sitzend, erkennen. Er hatte dem Kreuz den Rücken zugewandt und blickte in seine Richtung. An seiner Seite war wie immer André, aber auch noch ein anderer Ordensmönch. Pierre hob den Vorhang und bat Balian weiterzugehen. Für ihn war der Weg hier zu Ende.

Balian kam zögernd näher. Es war alles so fremd und feierlich. Er sah, wie seinen Vater das Ganze anstrengte und er verstand nicht, warum er nicht lag und sich schonte. André sprach ihn an:

„Knie nieder, Balian", und dabei gab er ihm mit einem Kopfnicken den Platz an, an dem er in die Knie gehen sollte.

Balian sank nieder und blickte nun seinem Vater aufschauend in die Augen. Godfrey mühte sich aufzustehen, und der Mönch und André stützten ihn, bis er sicher stand. Er schwankte dennoch und war leicht nach vorne übergebeugt. Das alles ging über seine Kräfte, aber dies mußte er noch tun. Er mußte seinem Sohn noch sein angestammtes Recht auf sein Erbe in Jerusalem unter Zeugen geben. Er wollte Balian nicht ohne seinen Segen lassen. Balian sollte wissen, daß er ihn liebte.

Dann sprach er, mit heiserer, gebrochener Stimme, und man hörte die Anstrengung aus jedem einzelnen Wort.

„Sei ohne Furcht im Angesicht deiner Feinde. „Sei tapfer und aufrecht, auf daß Gott dich lieben möge. Sprich immer die Wahrheit, auch wenn es deinen Tod bedeutet. Verteidige die Wehrlosen und tue kein Unrecht. Das ist dein Eid."

Und damit zog er den Siegelring derer von Ibelin von seiner Hand und reichte ihn Balian. Balian hatte die ganze Zeit über fest und offen in das Gesicht seines Vaters geblickt und schaute nun erstaunt auf den Ring mit einer roten Kamee in einer goldenen Fassung. Godfrey holte mit seiner Hand aus und gab Balian so plötzlich und explosiv eine Ohrfeige, daß sein Gesicht zur Seite geschleudert wurden und seine Haare wild durcheinander flogen. Balian faßte sich betroffen an seine Nase.

„Und die war dafür, daß du ihn nicht vergißt." sagte Godfrey, während er sich vor Schwäche wieder niedersetzen mußte. Dann reichte André ihm sein Schwert, und er gab es zitternd an Balian weiter. Seine Arme fielen ihm herunter und er atmete schwer.

André forderte nun Balian auf, sich als Ritter und neuer Baron von Ibelin zu erheben, und Balian folgte dieser Aufforderung. Er stand unschlüssig da, das Schwert seines Vaters in der rechten Hand, blickte er erst zum Kreuz und dann auf seinen Vater nieder.

Plötzlich sackte Godfrey zusammen. Balian ging blitzartig wieder in die Knie und verhinderte seinen Sturz. Godfrey hob seine Hände und legte sie um das Gesicht seines Sohnes. Er lehnte sich dabei schwer gegen die Hand, mit der Balian ihn an der Schulter aufrecht hielt. Balian war ihm jetzt ganz nah, und er wollte ihm noch einen Auftrag mit auf seinen Weg zu geben. Einen Auftrag, dem er Zeit seines Lebens, und damit auch das Haus derer von Ibelin, stets gefolgt war und der ihm sehr am Herzen lag.

„Beschütze den König, und wenn der König tot ist, verteidige das Volk."

Balian blickte ihn mit ernster Miene in die Augen, und es war ein tiefes Verständnis zwischen ihnen.

André nahm Godfrey wieder etwas zurück in sitzende Haltung und stützte ihn.

„Mein Herr, es ist an der Zeit, daß Ihr Gott beichtet und nicht Eurem Sohn."

André zeigte seine Zuneigung zu dem sterbenden Freund, indem er ihm seine Hand auf die Schulter legte und sie sanft rieb.

„Bereut Ihr alle Eure Sünden?", fragte André im Beisein aller, um ihm die letzte Absolution zu erteilen.

Balian stand, ohne sich zu rühren, vor seinem Vater und dieser blickte ihm ein letztes Mal und lange in die Augen.

„Alle, bis auf eine."

Damit schloß Godfrey seine Augen und ein letzter Atemzug verließ seinen Körper. Er sackte in den Armen Andrés zusammen und erhielt von ihm die letzte Ölung und Segnung.

Godfrey, Baron von Ibelin war tot. Und mehr noch als seine letzte Handlung, mit der er seinem Sohn sein Erbe übergab und ihn zum Ritter schlug, zeigten seine letzten Worte sein Verhältnis zu Balian.

„Bis auf eine."

Selbst in der letzten Beichte bekannte er sich zu seiner Sünde des unehelichen Kindes und gab damit Balian den Segen als seinem rechtmäßigen Sohn. Balian blickte sanft und voller Trauer auf seinen Vater und sah dann auf zum Kreuz hinter ihm. Still bat er den Herrn um den Segen für die Seele seines Vaters. Tiefe Trauer war in ihm und minutenlang stand er, ohne sich zu bewegen, voller Andacht an die Menschen, die in Liebe sein Leben begleitet hatten.

Drei Tage später war Godfrey auf dem Friedhof der Johanniter beerdigt. Messina, ohnehin überfüllt, war nun wegen der Ankunft von Schiffen regelrecht in Aufruhr. Viele der Ritter, Soldaten und Pilger, die täglich in die Stadt strömten, wollten nach Jerusalem aufbrechen. André hatte sich um einen Platz für Balian und die verbliebenen Männer von Godfrey gekümmert. Er selbst würde mit seinem Orden reisen. Und so standen sie nun in der Nähe der Piers und André verabschiedete sich von Balian.

„Ihr werdet jetzt, wie es Euer Vater wünschte, nach Jerusalem aufbrechen. Ich werde in einer Woche folgen."

Balian sprach nicht. Wie so oft konnte er viel mehr mit seiner Miene ausdrücken. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, von André, seinem Lehrmeister und väterlichen Freund, getrennt zu werden. Er hatte noch soviel zu lernen, um die Bürde, die ihm sein Vater auferlegt hatte, zu bewältigen und ihn nicht zu enttäuschen.

André kannte inzwischen Balian so gut, daß er die Einsamkeit und Verletzlichkeit in Balian durchaus wahrnahm, und ihm war Godfreys Sohn inzwischen so ans Herz gewachsen, daß er ihn durchaus mit gütigen, väterlichen Augen betrachtete. Und so fügte er noch tröstend hinzu:

„Die Reise birgt viele Gefahren, aber wenn Gott eine Aufgabe dort für Euch hat, wird er Euch sicher dorthin geleiten. Und wenn nicht..." er hielt kurz inne „...Gott möge Euch segnen."

André betrachtete Balian bei diesen Worten sanft, mit viel Güte, lächelte ihm freundlich ein letztes Mal zu, dann nickte dann zum Abschied und ging.


Anmerkungen

1> Bezug zum Film Christen verlassen Jerusalem: Balian und Saif verabschieden sich: Saif: „...Und wenn Gott dich nicht liebt, wie konntest du dann all die Dinge tun, die du vollbracht hast?"

2> Bezug zum Film Szene in Kerak: König Balduin zu Balian „... wenn Ihr so weiter macht, dann werde ich eine Aufgabe für Euch finden müssen, wenn Gott Euch entbehren kann." Balian: „Gott kennt mich nicht."

3> Bezug zum Film Szene in der Wüste, Balians Kampf gegen Mohammed al Faes um das Pferd. Balian bewährt sich in seinem ersten Schwertkampf.
Bezug zum Film Szene in Jerusalem, sein erstes Gespräch mit dem Hospitaler im Haus. Balian im Kettenhemd und Montur. Er bewegt sich damit so, als wenn es nichts Neues für ihn wäre.

4> Es war üblich für einen Soldaten oder Ritter, die Wappenfarben seines Hauses zu tragen. Es war nicht nur eine Art Uniformierung, sondern es war auch eine Sache der Ehre und des Stolzes und zeigte zugleich an, welcher Gesinnung ein Ritter war. Ritter, die keinerlei Zeichen oder Farben trugen (also keine Überwürfe mit entsprechenden Emblemen) waren freie Ritter, die zumeist als Söldner dienten.

5> Bezug zum Film Die Darstellung Balians ist im ganzen Film sehr zurückhaltend und verschlossen angelegt. Ein Lachen findet man im ganzen Film nicht, aber in Ibelin, beim Bau der Brunnen, kann man kurz so etwas, wie ehrliche Freude erkennen, und Balian deutlich und offen lächeln sehen. Dadurch erhält die Szene in Ibelin eine sehr persönliche Note und ist nicht nur als Hintergrund für ein Intermezzo zwischen der Prinzessin und Balian angelegt. Hier wird deutlich Balians Charakter herausgearbeitet und gezeigt, daß, wären die Umstände anders, auch der sonst so stille Balian ein fröhlicher Mensch ist.

6> Bezug zum Film Balians Rede zur Verteidigung Jerusalems: „...wer hat Anspruch ...niemand hat Anspruch ... alle haben Anspruch..."

7> Bezug zum Film Balians Gespräch mit dem Hospitaler im Haus in Jerusalem: Hospitaler: „... Heiligkeit liegt in der gerechten Handlung und in dem Mut, dies auch im Namen jener zu tun, die sich nicht selbst verteidigen können...das, was Ihr jeden Tag entscheidet zu tun, macht Euch zu einem guten Menschen, oder auch nicht."

8> Bezug zum Film In Ibelin wird er verschiedentlich auf arabisch angesprochen und scheint zumindest den Sinn zu verstehen. Vereinzelt benutzt er auch selbst das ein oder andere Wort.


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