Disclaimer
Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.
Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.
Kapitel 7
Es geschieht alles so wie Gott es will
Balian war mit Pierre und den verbliebenen Männern seines verstorbenen Vaters an Bord eines Schiffes gegangen. Keiner von Ihnen hatte daran gedacht, nach Godfreys Tod seinen Sohn zu verlassen. Alle hatten sie ihren Treueid auch Balian gegenüber geleistet. Sie hatten ihn inzwischen schätzen gelernt und wollten ihrerseits Godfreys Wunsch entsprechen und seinem Sohn beistehen, sich in seinem neuen Leben und seiner Verantwortung zurecht zu finden und zu bewähren.
Die Überfahrt war von Anfang an rauh und nicht gerade von glücklichen Winden gesegnet. Balian war oft an Deck, denn die drückende Enge und die stickige Luft unter Deck waren kaum zu ertragen. Im Bauch des Schiffes waren sowohl Tiere wie Menschen – Pilger, Soldaten und Seeleute – sowie sonstige Ware und Proviant untergebracht. Es war feucht und modrig und die Hygiene war schlimmer als in einem von Dauerregen durchnäßten Lager im Wald.
Das Schiff wurde von heftigen Winden und argem Wellengang hin und her geworfen und Balian hatte sehr den Eindruck, daß Gott sich wieder gegen ihn gestellt hatte. Es war seine erste große Reise und die erste Seefahrt und wie so oft hätte er es als großes Wunder betrachtet, wenn die Umstände ein wenig gnädiger mit ihm gewesen wären. Und so blickte er mit einem ernsten Gesicht und sorgenvollem Blick auf das Meer hinaus in Richtung ihres Zieles, statt mit Staunen und großer Erwartung das Wunder Meer betrachten zu können. Die Reise dauerte nun schon länger als erwartet. Die Flotte von Schiffen, die von Messina aufgebrochen war, hatte ihren Kurs nicht halten können und war westlich von Akkon weit Richtung Tripoli1 gedrückt worden. Aber Balian konnte nicht wissen, daß diese See noch nichts von dem gezeigt hatte, was einige Tage später kurz vor der Küste Syriens über sie hereinbrechen sollte.
Es war zwei Tage später, als man einen Küstenstreifen erahnen konnte, als das Wetter noch einige Windstärken zulegte und die See Brecher gegen die Flotte warf, die jedem erfahrenen Seemann Angst in die Augen trieb. Die Reisenden waren alle unter Deck und die Seefahrer mühten sich, das Schiff in den Wellentälern aufrecht zu halten und es nicht kentern zu lassen. Sie mußten dazu die Wellen kreuzen, aber die Segel zerrissen in dem Sturm immer mehr und das Schiff schlingerte unkontrolliert zwischen den Brechern.
Die Pilger und einfachen Menschen unter Deck schrieen vor Furcht auf und beteten für ihre Rettung zum Herrn. Die Soldaten und Ritter versuchten ein gewisses Maß an Ruhe zu bewahren, obgleich es in ihren Herzen nicht anders als bei den einfachen Leuten aussah.
Balian hielt sich an Spanten des Schiffes fest und sah die Todesangst in den Augen seiner Männer, aber er konnte nichts für sie tun, als selbst Ruhe zu bewahren und ein Beispiel zu sein, obgleich es ihm dazu wenig zumute war. Balian hatte im Gegensatz zu ihnen nur eine Lederhose und ein Leinenhemd an und sich vorsichtshalber eine Deckenrolle umgebunden, in die er auch das Schwert seines Vaters gesteckt hatte. Seine Männer trugen ihre volle Rüstung, um weniger Gepäck zu haben, auf das sie acht geben mußten.
Stundenlang tobte schon der Sturm. Immer wieder hörten sie entfernt über dem heulenden Wind die Glocken der anderen Schiffe, die damit ihre Position den anderen im Verband mitteilen wollten. Sie hatten alle ihren eigenen Klang und so konnte man immer wieder erkennen, wann eine Glocke endgültig verstummte. Und jedem war bewußt, daß wieder ein Schiff mit Mann und Maus verloren gegangen war und die brodelnde See sich abermals ihre Opfer geholt hatte. Sie beteten darum, daß ihnen dieses Schicksal erspart bliebe, aber dann brach der Mast, und er tat dies in einem so ungünstigen Winkel, daß er Teile der Bordwand herausriß und dem Meer Einlaß in die Lagerräume des Schiffes verschaffte. Ohne Segel, mit eindringendem Wasser, war das Schiff nicht mehr zu halten. Rasch neigte es sich in einem tiefen Wellental zur Seite und wurde von einer riesigen Welle überspült. Der Mast, der sich in der Schiffswand verkantet hatte, riß sich endgültig los und zertrümmerte dabei viele Spanten des Schiffsrumpfes. Das Schiff brach auseinander und die Reisenden an Bord, die nicht von Holzteilen in den Wrackteilen festgehalten wurden, spülte die See hinfort. Das Gewicht der Rüstung machte es den Rittern und Soldaten unmöglich sich an die Wasseroberfläche zu retten und vielleicht auf einer Holzplanke oder schwimmend das Ufer zu erreichen. Viele verhedderten sich auch in den Seilen und den Segeln und wurden unter Wasser gedrückt. Balian schaffte es, sich an einem Spant des Rumpfbruchstückes, an dem er schon die ganze Zeit gesessen hatte, festzuhalten. Das Wrack wurde von den Wellen wie ein Spielball hin und her geworfen. Stundenlang, sein Zeitgefühl hatte Balian schon lange verloren, krallte er sich an dem Holz fest. Zum wiederholten Male hatte er, wenn eine Welle das Holz unter Wasser gedrückt hatte, Salzwasser geschluckt. Sein Magen war ein krampfender Klumpen und er glaubte schon, daß ihn seine Kräfte verlassen würden und er den Kampf gegen Gottes Willen verloren hätte, als die See mit einem letzten Aufbäumen die Wrackteile einiger Schiffe und ihr totes Gut an den Strand von Syrien warf und der Sturm langsam an Kraft verlor.
Balian bekam dies gar nicht mehr richtig mit. Fast sein Bewußtsein verlierend klammerte er sich mit schmerzenden Händen an das Holz, bis auch ihn die letzte Welle, in dem etwas größeren Wrackteil aus dem Rumpf des Schiffes an Land gespült hatte Hier lag er zwischen den Trümmern, dem Strandgut und den Ertrunkenen bis die Sonne hoch am Himmel stand und die brennende Hitze ihrer Strahlen ihn aus seiner Erschöpfung weckte. Balian brauchte lange, bis er wirklich zu sich kam. Zu hart war der Kampf ums Überleben gewesen. Seine Kräfte waren aufgebraucht und die Rettung aus der See allein war noch nicht das Leben selbst.
Langsam und mit sehr steifen Gliedern rappelte sich Balian auf und kletterte aus dem Wrackteil. Was er in der Umgebung sah, war grausam und er wußte nicht, wo er sich befand. Kein Mensch hier war mehr am Leben, und auch er war nicht weit vom Tod entfernt. Er hatte viel Salzwasser geschluckt. Sein Magen schmerzte und rebellierte. Der Durst war quälend und seine Haut war aufgeschürft. Seine Augen waren vom Salz verätzt und die Sonne verbrannte ihm durch die Salzkristalle auf der Haut auch noch die letzten unverletzten Stellen.
Balian stolperte zwischen den Toten umher auf der Suche nach etwas Brauchbarem. Er mußte was zum Trinken und zum Essen finden. Dann sah er eine Flasche, rasch kniete er sich nieder, nahm sie auf, öffnete und trank ohne Vorsicht. Es war Wein, nicht gerade das war er jetzt wirklich brauchte, aber besser als gar nichts. Er nahm nochmals einen Schluck und verschloß die Flasche dann sorgfältig. Balian war sich bewußt, daß er mit dem Gebräu vorsichtig umgehen und es ihm reichen mußte, bis er Wasser, trinkbares Wasser, fand.
Plötzlich hörte er das verstörte Wiehern eines Pferdes. Auch sie, wie viele andere Ritter und Soldaten, hatten ihre Pferde mit an Bord gebracht, aber daß davon eines überlebt haben sollte, grenzte schon an ein Wunder. Balian wandte sich in die Richtung aus der das Wiehern kam und entdeckte das Tier in einem Wrackteil, das wie eine Wanne aus dem Schiffsrumpf gebrochen war und so wohl wie ein Floß fungiert hatte. Das Tier war durch Netze, die zum Halten der Fracht gespannt waren, vor dem Herausspülen bewahrt worden. Dennoch war es unfaßbar, daß das Tier unverletzt geblieben war und nun, nur verstört und vor Durst fast wahnsinnig, wie wild an den hindernden Tampen- und Netzresten zerrte, die ihm um die Fesseln der Vorderläufe gespült worden waren.
Balian entfernte zunächst unter Mühen das Netz und sprach dabei dem schönen Tier leise zu. Es war ein dunkelbrauner, fast schwarzer Rappe mit wunderschöner, langer Mähne und einem fast bis auf den Boden reichenden Schweif. Das Pferd schien sich zu beruhigen und so machte sich Balian ans Werk, die Fußfesseln zu lösen. Aber kaum spürte das Tier seine Freiheit, brach es aus und Balian, überrascht und auch körperlich nicht in der Lage, so rasch zu reagieren, bekam die Zügel nicht mehr zu fassen. Das Tier galoppierte von dannen und Balian gab es nach einigen gestolperten Schritten auf, ihm zu folgen. Er war zu erschöpft um ein panisches Tier bändigen zu können. Er konnte nur hoffen, daß das Tier eine Nase für Wasser hatte und seiner Spur folgen. Wohin sollte er sich auch wenden? Er kannte dieses Land nicht und wußte auch nicht, in welcher Richtung von der Stelle aus, auf der er stand, sich die nächste Stadt befinden konnte. Er vertraute auf sein Wissen über Pferde, sammelte seine Sachen ein, die er abgelegt hatte, um das Tier zu befreien, und folgte der Spur des Rappen.
Die Sonne, hoch am Himmel stehend, schien sich nicht weiter zu bewegen, obwohl Balian sich sicher war, schon Stunden hinter der Fährte hergelaufen zu sein. Der Wein, den er als einzige Flüssigkeit hatte, war aufgebraucht und seine Schritte wurden zunehmend unsicherer. Er war erschöpft und nur das Wissen, daß, wenn er sich niederlegen würde, er nicht mehr die Kraft zum Aufstehen hatte, hielt ihn auf den Beinen und so stolperte er immer weiter der Hufspur des Pferdes nach. Schon glaubte er, daß er einem Wunschdenken nachlief, als er eine kleine Senke mit etwas Wasser darin am Ende der Spur sah. Er fiel am Rand dieser Senke nieder und spritzte sich zunächst Wasser ins Gesicht und auf die aufgerissenen Lippen, dann erst trank er vorsichtig von dem rettenden Naß.
Wie lange er so am Rand des Wassers gelegen hatte, konnte Balian nicht sagen, aber plötzlich war das ausgerissene Pferd da und labte sich ebenfalls am kühlen Wasser. Langsam erhob sich Balian und setzte dann mit einem großen Schritt über die Wasserpfütze hinweg und griff nach den Zügeln. Das Pferd scheute zunächst ein wenig, beruhigte sich aber schnell wieder unter Balians sanften Berührungen und Worten. Balian ließ es noch trinken, bevor er es in etwas Schatten an einem stacheligen Busch festband. Danach ging er selbst nochmals zurück und versuchte, das Salz von seiner Haut abzuwaschen, und seine verbrannte Haut zu kühlen. Er merkte nicht, daß er schon seit einer geraumen Weile von einer entfernten Düne aus von zwei Reitern beobachtet wurde.
Als Balian zurück beim Pferd in den Schatten des Busches trat und sein weniges Hab und Gut wieder aufnahm, wurde er der zwei Reiter gewahr, die ihn beobachtet hatten. Sie ritten auf ihn zu, wobei sich der prächtiger gekleidete Reiter zurückhielt und ihm Worte zurief, die Balian, auch ohne daß er sie verstand, wie eine Bedrohung vorkamen, so schneidend und schrill klangen sie in seinen Ohren. Der zweite Reiter, einfacher gekleidet in wallendes, dunkelblaues und schwarzes Tuch, sprach Balian an und rief ihm in fränkisch zu, was der Prächtige vorher in seiner Sprache ausgedrückt hatte:
„Er sagt, das Pferd ist sein Pferd."
Der junge Muslim zeigte dabei auf den Rappen. Balian stand abwartend, auf das Schwert seines Vaters gestützt, da und blickte erstaunt.
„Warum sollte es sein Pferd sein?"
Der Sprecher sah nicht unfreundlich aus. Er lachte sogar, als mache ihm das alles Spaß und so beantwortete er auch Balians Frage, als wenn es das normalste der Welt wäre und selbst ein dummer Christ dies wissen müßte:
„Weil es auf seinem Land steht."
Und die ausholende Armbewegung wies auf das Land rund um sie her. Die Betonung des Satzes von dem Fremden war nicht unfreundlich, aber doch überheblich genug, daß Balian bei sich dachte: ‚fast wie bei uns daheim', und antwortete:
„Ich habe das Tier dem Meer entrissen."
Nun zeigte sich, daß der Prächtige die Sprache Balians wohl verstand, aber nicht gewillt war mit ihm direkt zu sprechen, denn er warf seinem Begleiter, der ihm den Satz von Balian nicht übersetzt hatte, einen weiteren Wortschwall zu, der sehr ärgerlich klang. Der junge Mann auf dem Pferd, der in etwa im selben Alter wie Balian und ihm eigentlich sehr sympathisch war, gab den Wortschwall an Balian weiter.
„Er sagt: Du bist ein großer Lügner und er wird mit dir kämpfen, weil du lügst."
Und noch immer lächelte er, obgleich sein Blick nun etwas mehr einschätzender wurde.
Balian müde und erschöpft, ins Land gekommen um Frieden zu finden, war eigentlich nicht gewillt zu kämpfen, aber wie es schien, blieb ihm keine Wahl. Er brauchte das Pferd. Er fragte sich nur, ob er gegen einen oder beide Reiter zu kämpfen hatte. Er machte noch einen Versuch der Vermittlung.
„Ich habe keinen Bedarf an einem Kampf."
Der Reiter vor ihm erwiderte:
„Dann mußt du ihm das Pferd überlassen."
Jetzt war es klar, daß er kämpfen mußte und der prächtiger gekleidete Reiter, der beiden, griff auch schon im vollen Galopp an, den Speer hoch über seinem Kopf. Balian hatte bei seinen letzten Worten das Schwert seines Vaters, das nun seins war, bis er es an einen Erben weitergab oder im Kampf verlor, aus der Scheide gezogen und – wie er es gelernt hatte – über seinem Kopf in Stellung gebracht. Gerade als der Reiter auf seiner Höhe war und den Speer in seine Richtung schleuderte, stand er bereit und konnte mit einer leichten Drehung des Körpers den Speer ablenken und zur Seite schleudern. Er hatte sich gerade umgedreht, als der Reiter erneut angriff und dabei sein Schwert, das gebogen war wie eine weit geöffnete Sichel des Neumondes, mit voller Wucht von oben auf Balian niederfahren ließ.
Balian konnte den Hieb gerade so abblocken und mußte dabei tief in die Knie gehen. Als er nun aufstand und sich wieder dem Reiter zuwandte, rief er dem Fremden wütend zu:
„Kämpft fair mit mir!"
Der Fremde rief seiner Begleitung etwas zu, und verharrte einen Moment, verzögerte einen neuen Angriff. Der junge Begleiter des Mannes übersetzte für Balian:
„Er fragt, warum sollte er? Er ist ein Ritter."
In dieser Frage lag die Balian nur zu bekannte Hoffart vom Rittertum, die er selbst am eigenen Leib schon so oft hatte erfahren müssen. Ritter übten häufig nur Ritterlichkeit unter ihresgleichen aus, aber gegen Schwächere oder ihnen scheinbar untergeordnete Menschen hatte dieser Ehrenkodex plötzlich keine Bedeutung mehr. Und einmal mehr wurde Balian bewußt, wie anders sein Vater gewesen war und was André ihm vermitteln wollte2. Ob er André nochmals wiedersehen würde?
„Und ich bin der Baron von Ibelin."
Zum ersten Mal nahm Balian diesen Titel für sich in Anspruch und hoffte darauf, daß er damit die Chance auf einen fairen Kampf erhielt und damit auch die Möglichkeit auf einen Sieg trotz seiner Erschöpfung, die er immer mehr in seinen Muskeln spürte, je länger er sein Schwert zum Kampf bereit hielt.
Nun sah der Mann, der bislang übersetzt hatte, doch überrascht aus und das Lachen war von seinem Gesicht verschwunden. Was das wohl bedeutete? War er hier auf Feinde seines Vaters gestoßen und nicht nur auf Fremde, die Fremde nicht mochten? Was würde das nun bedeuten?
Der junge Mann warf dem moslemischen Ritter einige, wenig betonte Worte zu, aus denen Balian das Wort Ibelin erkennbar heraushörte. Daraufhin folgte ein weiterer Wortschwall vom Prächtigen, der nun besonders erbost zu sein schien.
„Er sagt: Der Baron von Ibelin ist alt. Er kennt ihn aus Damaskus."
In dieser Übersetzung war vom Jüngeren versteckt der Unglaube des Älteren und seine neugierige Frage nach der Wahrheit enthalten, und seine Mimik unterstrich dies noch. Er sah nach wie vor nicht unfreundlich drein, aber seine Miene war jetzt ernst und besorgt.
„Ich bin der Neue", erwiderte Balian und hob erneut das Schwert, bereit für einen weiteren Angriff des Moslems.
Dieser sprang von seinem Pferd und attackierte Balian mit wütenden Schwerthieben. Balian konnte gut parieren und überraschte trotz seiner Jugend und seiner augenscheinlichen Erschöpfung mit guten Gegenattacken und kraftvollen Hieben. Er konnte sogar dem Araber das Schwert aus der Hand schlagen, erhielt aber im Gegenzug vom Moslem mit dem Rücken seiner Hand einen so harten Schlag ins Gesicht, daß er benommen zurücktaumelte und seinen Vorteil nicht nutzen konnte. Im Gegenzug dazu erreichte der Moslem den Speer, den er vorher geschleudert hatte und verwendete ihn nun als Hiebwaffe. Balian, den seine Kraft mehr und mehr verließ, war gezwungen hart und gnadenlos, ohne zögern zu kämpfen, weil er sonst sicher unterlegen gewesen wäre.
Der junge Übersetzer war auf seinem Pferd geblieben. Aber er versuchte die Kontrahenten zu trennen. Immer wieder rief er auf arabisch wie auf fränkisch den Streitern zu, den Kampf zu beenden. Aber der Moslem wollte nicht hören und Balian hatte nicht die Möglichkeit, den Kampf zu beenden, weil er dem Moslem nichts mehr als seinen Überlebenswillen entgegenzusetzen hatte. Plötzlich gelang es ihm, die Deckung des Ritters zu durchbrechen, den Speer entzwei zu schlagen und mit einer ausholenden, fließenden Bewegung dem Moslem einen tödlichen Hieb zu versetzen. Der Ritter brach rücklings zusammen. Mitten in dieser Bewegung, als der Speer schon entzwei war, hatte der Reiter noch gerufen:
„Ibelin, es ist genug, haltet ein!"
Aber Balian konnte die Bewegung nicht mehr abbrechen. Es fehlte ihm dazu die Körperbeherrschung und Kraft. Die Bewegung kam aus dem Schwung heraus und Balian war zu erschöpft, um durch einen entsprechenden Kraftaufwand die Klinge noch vor dem Moslem zu stoppen. Das Blut aus der Wunde des tödlich Getroffenen spritzte weit und traf das Pferd des Reiters an den Nüstern und den Augen. Pferde scheuen vor frischem Blut und so stieg das Tier abrupt auf den Hinterläufen in die Höhe und befand sich gleichzeitig in einer seitlichen Fluchtbewegung, so daß der Reiter keinen Halt mehr im Sattel fand und zu Boden stürzte, während das Tier durchging. Er fiel so schwer zu Boden, daß er für einige wenige Augenblicke zu benommen war, um sich aufzurichten, nach einem Schwert zu greifen und sich zu verteidigen. Und so kam es, daß Balian, obwohl selbst am Ende seiner Kräfte, über dem jungen Moslem stand und sein Schwert neben ihm in den Sand rammte.
Der junge Moslem blieb ruhig liegen, als berührte ihn das Ganze nicht und Balian erstaunte dies sehr.
„Du hast es gut aufgenommen, daß ich deinen Herrn tötete."
Tonlos erwiderte der Araber:
„Es geschieht alles wie Gott es will. Seine Zeit war gekommen." Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Jetzt bringt es zu Ende."
Balian betrachtete das Gesicht des Mannes. Warum mußten sie Feinde sein? Dieser Mann war ihm gar nicht so unähnlich. Balian hatte, während er das Schwert über der Kehle des Mannes hielt, plötzlich das Gefühl, als würde sich die Wüste mit ihren Dünen wie Meereswogen unter ihm bewegen. Er brauchte Sekunden diesen Schwächeanfall mit tiefen Atemzügen zu überwinden und schwankte leicht. Aber es gab ihm auch Zeit eine Entscheidung zu treffen, während ihn der am Boden Liegende still beobachtete. Balian nahm das Schwert von der Kehle des Moslems fort und sagte nur:
„Bring mich nach Jerusalem."
Saif, so der Name des jungen Moslems, durchaus kein Diener des getöteten Mannes, sah Balian überrascht und nachdenklich nach. Dieser Mann hatte sich, obwohl er als Baron von Ibelin ein Ritter Jerusalems war, bislang nicht wie die überheblichen Mannen der verschiedenen Orden verhalten. Er war nicht versessen auf einen Kampf, suchte sogar dessen Vermeidung. Und er war nicht gnadenlos. Dies war eher ein Mann Königs Balduins, aber hier und mit so spärlicher Ausrüstung, konnte er nur mit einem Schiff, das gesunken war, her gelangt sein. Er war zudem zu jung, als daß er als Ritter schon öfter Reisen zwischen der christlichen und der arabischen Welt getätigt haben konnte. Er war also noch nicht in Jerusalem gewesen und kannte nicht die Sitten und Gepflogenheiten der Christen und Araber untereinander. Saif kannte nur Berichte von Godfrey von Ibelin, aber er hatte den Eindruck, daß sein Erbe ein besonnener Mann war.
Saif fragte sich, ob jener Christ wirklich einer der wenigen war, die in Frieden zusammen mit den eigentlichen Herren dieser Länder leben wollten, oder ob er nur aus Unwissenheit leichtgläubig gehandelt hatte. Nichtsdestotrotz hatte er ihm sein Leben zu verdanken und würde ihn sicher nach Jerusalem bringen.
Saif stand auf und fing das Pferd seines Begleiters ein. Sein Pferd war nicht mehr zu sehen und sicher nicht so leicht wieder einzufangen. Als er dem Pferd Fußfesseln angelegt hatte, um es am Flüchten zu hindern, wollte sich Saif um die Bestattung seines Begleiters kümmern. Erstaunt und zunehmend verärgert blickte er zu Balian, der sich an der Gestalt des Ritters zu schaffen machte. Saif glaubte zunächst, daß der junge Christ den Leichnam seines Freundes schänden wollte und kam mit wütenden Schritten näher. Doch dann hielt er inne. Der Christ hatte den Moslem nicht beraubt, sondern ihn in seinen Umhang eingewickelt und ihm sein Schwert und die Lanze unter seine Hände gelegt. Er band gerade den Umhang fest, damit der so verschnürte Leichnam ehrenvoll in ein Grab gebettet werden konnte. Der Fremde hatte ihm alle Ehren erwiesen. Warum?
Balian wollte aufstehen, aber seine Kräfte versagten. Er knickte nach hinten ein, mußte sich auf seine Fersen setzten und mit den Händen Halt suchen. Der tagelange Kampf ums Überleben forderte seinen Tribut. Balian sah den jungen Moslem einige Schritte von sich entfernt stehend an und wunderte sich, warum dieser wiederum nicht die Gelegenheit nutzte und ihn tötete, hatte er selbst doch gerade seinen Herrn erschlagen.
Aber Saif war ein Ehrenmann. Er hatte mehrere Gründe, diese Chance nicht zu nutzen. Er erkannte, daß der junge Ibelin den Tod seines Freundes wirklich nicht hatte verhindern können, weil seine Erschöpfung, die sich jetzt offen zeigte, ihm keine andere Wahl ließ, als alles in eine Waagschale zu werfen. Er verdankte ihm zum anderen sein Leben und er hatte sich soeben als gläubiger Mensch erwiesen, der einem Toten auf seinem letzten Weg zu Gott, gleich in welcher Sprache er angerufen wurde, Achtung erwies. Salah-al-Din, der zu tiefst bewunderte Herr über alle Sarazenen, war sein Freund und Lehrmeister. Er hätte Achtung vor diesem Fremden gehabt und so wollte er die Lehren seines Herrn nicht mißachten.
Saif trat an Balian heran und reichte ihm wortlos die Hand, half ihm auf und wies ihn an, hinüber in den Schatten zu gehen. Dann ging er zurück zum Pferd und holte aus den Satteltaschen reife Datteln und etwas Fleisch und brachte es Balian. Balian dankte dem jungen Moslem diese Freundlichkeit mit einem kleinen Lächeln und versuchte die Früchte. Er aß bewußt langsam, denn er wußte nicht, wie sein Magen reagieren würde. Er hatte außer Wasser, und dazu jede Menge salziges, seit Tagen nichts mehr zu sich genommen.
Der Moslem trug derweilen den Körper seines Freundes in den Schatten eines kleineren Strauches und bedeckte ihn zunächst mit Sand und anschließend mit Steinen, die er in der Umgebung fand. Dann sprach er noch ein Gebet für seinen Begleiter, von dem Balian den Schlußsatz bereits aus Messina kannte:
„Gelobt sei Gott, es gebührt sich ihn zu preisen."
Balian wiederholte die islamischen Worte laut und deutlich und bekreuzigte sich dabei. Es war sein letzter Gruß an den moslemischen Kämpfer, den er getötet hatte.
Saif sah ihn überrascht an. Dieser junge Christ erstaunte ihn immer mehr und er mußte zugeben, daß er ihn vom ersten Moment, als er ihm nah genug gegenüber gestanden hatte, sympathisch fand. Er bedauerte den Tod seines Begleiters, aber er hätte auch den Tod dieses ungewöhnlichen Christen bedauert.
Anmerkungen
1> Ehemals Syrien. Es ist anzunehmen, das Syrien in den Kreuzfahrerstaaten durch die Bevölkerung auch weiterhin den Zugang zum Meer hatte. (siehe Karte im Glossar)
Bezug zum Film Erstes Gespräch bei Tiberias: Tiberias erwähnt: „...in den Straßen sagt man, du hast einen großen Fürsten Syriens getötet..." und in der nachfolgenden Erzählung folgt einmal als Aussage des Begleiters dieses Fürsten zu Balian: „... das ist sein Pferd, weil es auf seinem Land steht."
2> Bezug zum Film Der Kampf mit dem Syrer, war das einzige Mal, daß Balian seinen Titel verwendete oder sich als Sohn Godfreys ausgab. Sonst war er immer nur erster unter gleichen, ohne jede Herrschaftsallüren.
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