Disclaimer

Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.

Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.


Kapitel 8


Vertrauen

Saif ging zu Balian. Er sah, daß Balians Erschöpfung größer war als er zugeben wollte.

„Euer Schiff ist untergegangen. Wie lange habt Ihr in dem Sturm der letzten Tage gekämpft?"

Balian blickte Saif an. Er gab ihm ein Zeichen, sich doch auch in den Schatten zu setzen, was Saif dankend annahm.

„Wir hatten rauhe See seit Messina und wurden, so sagte der Kapitän, weit abgetrieben. Als der Sturm losging, sah ich einen Küstenstreifen, aber ob es das Land hier war, weiß ich nicht. Ich kenne das Land nicht. Und wie lange der Sturm andauerte, kann ich auch nicht genau sagen. Unser Schiff wurde mindestens einen Tag und eine Nacht in den Wellen hin und her geworfen, bis es zerbrach. Wie lange ich mich dann an Treibgut festgehalten habe und wann ich an das Ufer gespült wurde ...? Die Sonne stand bereits hoch, als ich erwachte und mich auf den Weg machte." erzählte Balian.

Saif blickte nachdenklich den jungen Christen an. Balian erwiderte seinen Blick offen und fragte plötzlich:

„Wie lautet Euer Name?"

„Saif, junger Ibelin." antwortete der junge Moslem. „Seid Ihr enger verwandt mit Godfrey von Ibelin oder nur aus seinem Hause? Ich hatte gehört, daß er Frau und Kind vor Jahren begraben mußte."

„Mein Name ist Balian und ich bin der Sohn Godfreys."

Balian sprach dies sanft, aber mit Stolz aus, und sein Blick wanderte ins Leere während er sich an seinen Vater erinnerte, den er in Messina begraben mußte.

„Ich lebte in Frankreich und mein Vater holte mich erst jüngst. Er starb in Messina an einer Pfeilwunde."

„Friede sei seiner Seele," sprach Saif und zollte damit Balian Dank für dessen Segensgruß an seinen toten Freund.

„Sagt mir Saif, an welcher Küste befinde ich mich hier? Das Land ist so weit und groß und sein Licht so gleißend. Ganz anders, als ich es mein Leben lang kannte."

„Dies ist Tripoli, ein Kreuzfahrerstaat, aber es war einst ein Teil Syriens1, dem Stammland der Sarazenen und Salah-al-Dins, von den Christen Salahadin oder Saladin ausgesprochen, ist der Führer aller Sarazenen. Jerusalem ist ein Drei-Tages-Ritt von hier entfernt, wenn man genügend Wasser mit sich führt und schnell vorankommt. Über die Oasen und Wasserstellen sind es normalerweise zwei Tage mehr, wenn man je Halbtagesritt ein Wasserloch erreicht, aber Ihr seid zu erschöpft, wir werden öfter Rast machen."

Balian war überrascht. Zum einen hatte er sich nicht so weit weg von Jerusalem gewähnt, zum anderen nicht mit der Fürsorge des Moslems gerechnet. Und der Moslem sah die Zweifel in Balians Augen. Der junge Christ war fremd hier und unwissend, was die Gebräuche und die politische Situation anging, aber dumm und zu gutgläubig war er nicht. Saif war von dem Mißtrauen nicht beleidigt. Der junge Ibelin wäre ein Narr, würde er jedem, der ihm freundlich kam, vertrauen.

Saif tippte mit seiner Hand auf die Stelle seines Herzens, dann auf seine Lippen und zuletzt auf die Stirn:

„Ich schwöre Euch, ich bringe Euch sicher nach Jerusalem. Ihr habt mein Leben verschont. Ich bin Euch dies schuldig. Das schwöre ich bei Allah. Friede sei mit Euch."

Balian sah Saif in die Augen und sah dort einen Mann, der wie er nicht kämpfen wollte um des Kampfes Willen. Und er wiederholte den Gruß mit den Händen in gleicher Art, wie er es bei Saif gesehen hatte und erwiderte:

„Und Friede sei mit Euch".

Er hatte den Gruß in Messina in den Straßen gesehen, aber gegenüber Saif wandte er ihn selbst zum ersten Mal an und lächelte dabei verlegen, weil er nicht wußte, ob dieser Gruß angebracht war. Balian hatte nur das Gefühl, Saif das gleiche Friedensangebot entgegenbringen zu müssen.

Saif dankte für den Gruß, der ihn doch überraschte.

„Wir werden, wenn der Abend anbricht, zur nächsten größeren Oase reiten. Sie ist nah genug, um sie vor der Dunkelheit zu erreichen, aber noch weit genug um Euch einiges an Kraft abzufordern, denn wir müssen ein hohes Tempo anschlagen. Im Wasser der Oase könnt Ihr Euch aber reinigen und die Reisenden dort werden uns mit allem Notwendigen versorgen. Ihr solltet jetzt etwas ruhen."

Balian schaute wohl einwenig zweifelnd drein, denn Saif fragte:

„Glaubt Ihr mir nicht?"

„Nein, Saif, das ist es nicht, nur bin ein Christ, ein Fremder in diesem Land", Balian zögerte, „und ohne Geld. Ich kann nicht für das, was man mir gibt, bezahlen und warum sollte man einem Bettler anderen Glaubens etwas geben?"

Saif schüttelte unwillig den Kopf. Und antwortete wütend:

„Das was die Leute Euch geben, geben sie aus Gastfreundschaft. Alles was sie dafür erhoffen, ist Euer Entgegenkommen, wenn sie mal an Eure Türe klopfen. Dieses Land ist weit und man findet nicht immer wo man gerade ist, ein sicheres Lager oder Nahrung und Wasser, wenn das eigene ausgegangen ist. Das Gesetz der Gastfreundschaft, auch Fremden gegenüber, wenn diese darum bitten, ist in diesem Land und allen Moslems heilig."

„Danke, Saif, für die Erklärung. Ich wollte Euch nicht beleidigen. In meinem Land ist man nicht so großzügig. Ich weiß von den Männern meines Vaters, daß Ibelin an einer Pilgerstraße liegt und rege von Karawanen besucht wird. Ich werde mich deiner Worte erinnern, wenn ich dort lebe und jemand in Not gerät oder mich um Gastfreundschaft bittet." erwiderte Balian beschwichtigend.

Saif, der vorher erbost über soviel schlechtes Benehmen war, erkannte, daß er vergessen hatte, daß der junge Christ neu in diesem Land war und nichts von den Sitten wußte. Um so mehr war er überrascht von der Antwort Balians, die deutlich machte, daß der junge Mann wirklich gewillt war in Frieden mit den Menschen des Landes zu leben und auch bereit war von ihnen die guten und anständigen Dinge des Lebens zu lernen. Er mochte den jungen Ibelin.

Gegen Abend ritten sie los. Balian merkte bald, daß Saif seine Kräfte richtig eingeschätzt hatte, aber er war eisern gewillt, ohne Verzögerung durchzuhalten. Balian war beeindruckt von der Weite der Wüste und den Farben, das gleißende Licht schmerzte ihn aber in seinen vom Meerwasser angegriffenen Augen. Saif bewunderte das reiterische Können Balians, der den geretteten Rappen ohne Sattel ritt.

Balian hatte Saifs Angebot, das Pferd mit dem Sattel zu nehmen, dankend abgelehnt. Als sie auf eine Oase zuritten, konnte Balian das satte Grün der Palmen schon von weitem sehen und war nicht wenig erstaunt über die Größe der Oase. Balian war neugierig geworden und hatte Saif vieles über sein Land, die Anpflanzungen und die Wasserversorgung gefragt und Saif, erstaunt und erfreut über seinen Wissensdurst, hatte ihm bereitwillig Auskunft gegeben.

Seit einer Weile nun war Balian aber sehr still geworden und Saif merkte wohl, daß Balian all seine Kräfte brauchte, um noch, ohne weitere Hilfe von ihm, die letzte Wegstrecke zur Oase zu bewältigen, die noch weiter entfernt war, als man annahm, obwohl man schon die Palmen sah. Saif fühlte Bewunderung für den jungen Christen, der so gar nicht in das Bild der Kreuzritter und Pilger aus den westlichen Ländern zu passen wollte. Balian stellte zwar gezielt Fragen, sprach aber sonst recht wenig. Stellte Saif ihm Fragen, antwortete er offen und direkt, nahm aber seine Person dabei immer zurück und war, was seine eigenen Fähigkeiten anbelangte, sehr bescheiden. Dieser junge Ritter brachte Saif zum Grübeln und er konnte nicht umhin, ihm mit Achtung und Respekt zu begegnen. Bei alledem vergaß er aber auch nicht, wie er ihn hatte kämpfen sehen. Diesen jungen Ritter sollte man tunlichst nicht unterschätzen.

Balian seinerseits beobachtete Saif aufmerksam, er lernte durch seine Reden und sein Auftreten von ihm. Balian erkannte sehr schnell, daß, mochte Saif auch ein Diener sein, er hierin zumindest einen hohen Rang gehabt hatte, denn sein Wissen, sein Umgangston und seine Selbstsicherheit zeugten nicht von einem untergeordneten, demütigen Diener.

In der Oase lagerte, wie von Saif erwartet, eine Karawane und er begrüßte den Führer mit dem Gruß

„Salam 'alaykum!" und Balian machte es ihm gleich. Saif und Balian erhielten vom dem Mann die Entgegnung:

„'alaykum as-Salam."

Saif unterhielt sich mit dem Mann. Die Worte, die sie wechselten, hörten sich wie ein Gespräch unter Bekannten an, aber Balian verstand nicht ein Wort davon, obwohl er sich schon in Messina bemüht hatte etwas von dieser gutturalen Sprache zu lernen.

Nach einer kurzen Weile deutete der Führer eine Verbeugung an und wandte sich wieder ab. Saif informierte Balian kurz über die Nachrichten, die er erhalten hatte und wies dann auf einen kleinen Steinhügel am Wasser, der geschützt unter den Palmen lag.

„Dort werden wir lagern. Geht zum Wasser und erfrischt Euch, ich werde mich um die Pferde kümmern."

Balian wollte ablehnen und sich an der Arbeit beteiligen, weil er es für unhöflich hielt, Saif alles zu überlassen. Aber Saif wehrte ab:

„Junger Ibelin, Ihr seid erschöpft und dies ist kein Wunder und auch keine Schmach. Ihr seid zudem fremd in diesem Land, das kein christliches Gebiet ist. Laßt mich für alles sorgen. Ich habe geschworen, Euch sicher nach Jerusalem zu bringen."

Balian dankte Saif mit einem Kopfnicken und einem jener Lächeln, die offen und frei von Verlegenheit, wie ein Sonnenschein viel zu selten über sein Gesicht huschten. Auch Saif war dies schon aufgefallen und die Verletzlichkeit und Jugend sowie die Attraktivität dieses jungen Mannes, überraschten ihn immer wieder. Balian mußte so alt wie er sein, aber was hatte er durchgemacht, daß er soviel Liebenswürdigkeit unter einer Maske von Ernst und Scheu verborgen hielt? Saifs Volk war in seinen Sitten sehr maskulin, aber dennoch hatte es Augen für die Schönheit, die ihnen gegeben war, und sie verachteten nicht die Menschen, die mit besonderen Gaben gesegnet waren. Und dieser junge Christ hatte zweifellos viele versteckte Gaben und eine Ausstrahlung, die selbst einen zurückhaltenden Menschen gefangennehmen mußte. Saif nahm sich vor, Balian dazu zu bringen von sich zu erzählen. Bisher hatte er zwar auf Fragen geantwortet, aber dabei kaum etwas zu seiner Person oder seiner Herkunft gesagt.2

Balian war dankbar für Saifs Hilfe. Ihm war bewußt, daß er dies aus Pflichtbewußtsein und wegen seiner zu erbringenden Schuld für ihn tat, dennoch wollte er das nicht ungebührlich ausnutzen. Saifs Art, sein eigenes ruhiges Wesen, das seine eher fröhliche Natur nicht ganz zu verbergen mochte und sein Wissen, mit dem er auf Fragen gerne mit Sinnfragen antwortete3, ließen Balian bedauern, daß sie sich als Feinde gegenüberstehen würden, wenn der König starb und andere, rücksichtslosere Männer die Macht übernahmen. Im Moment wollte Balian nur die erhaltene Freundlichkeit im gleichen Maße zurückgeben und das Wissen, das Saif zu teilen bereit war, aufnehmen.

Balian ging zum Wasser, kniete sich nieder und wusch sich zuerst das Gesicht und die Augen, die inzwischen sehr entzündet waren. Es tat gut, den brennenden Schweiß und den Sand von der Haut zu entfernen. Dann nahm Balian einige Schlucke Wasser, vorsichtig und langsam, er traute seinem Magen immer noch nicht. Erst dann zog er sich das Hemd über den Kopf und spülte es im Wasser aus. Das Salz im Stoff hatte die ganze Zeit auf seiner Haut gebrannt und er wollte die Gelegenheit nutzen und wenigstens einen Teil seiner Kleidung tragbarer zu machen. Anschließend rieb sich Balian mit einem Stück Stoff, den er sich aus seiner Decke gerissen hatte, den Oberkörper ab. Er hatte nicht bemerkt, daß Saif schon seit einer Weile hinter ihm stand und ihn beobachtete. Saif hatte die feinen Narben bemerkt, die von Schlägen eines Riemens stammten. Auch nahm er wahr, daß der junge Christ muskulös und drahtig war und kein Gramm Fett zuviel hatte, obwohl er relativ schmal und feingliedrig gewachsen war. Und es erstaunte Saif einmal mehr, wie kraftvoll Balian trotz der Erschöpfung gegen seinen Freund gekämpft hatte.

„Warum reinigt Ihr nicht Euren ganzen Körper und die Kleidung?", fragte Saif und Balian drehte sich überrascht um.

„Ich wußte nicht, ob es nicht jemanden beleidigen würden, ginge ich in dem See schwimmen. Und ich habe keine andere Kleidung, um mich hinterher zu bedecken."

Saif war ob der ersten Überlegung von Balian überrascht. Fürwahr, wäre es den Männern der Karawane nicht recht gewesen, wenn Balian von ihren Frauen nackt gesehen worden wäre.

„Kommt mein Freund. Da kann Euch geholfen werden."

Und Saif führte Balian zu einem hohen Dornbusch, unter dessen ausgedehnten Ästen mit Tuch ein kleines Geviert abgesteckt war. Im Geäst hingen zwei prall gefüllte Wassersäcke. Und auf den Stangen, welche die Abtrennung aufrecht hielten, waren ein Hemd und ein rechteckiges Tuch zu sehen. Balian blickte Saif erstaunt an. Und nun war es an Saif sein Lachen zu zeigen. Es war der gleiche schelmische Blick, mit dem er zu Beginn ihrer Begegnung Balian angesprochen hatte, den er ihm jetzt zuwarf.

„Geht, wascht Euch und reinigt Eure Kleidung. Ihr werdet sonst noch vom Salz aufgefressen."

Damit wies er nachdrücklich auf den Busch, drehte sich dann um und ging zurück zu den Felsen.

Balian stellte sich unter die Wassersäcke, entkleidete sich, wobei er meinte heimliches Kichern zu hören, und fing an, auch seine Hose und seinen restlichen Leib vom Meeressalz zu befreien. Als er damit fertig war, zog er das bereitgelegte Hemd über den Kopf und besah sich zunächst verwundert das Tuch. Dann wickelte er es kurzentschlossen um seine Hüfte und verknotete es. Er zupfte etwas heftiger daran herum, um ganz sicher zu gehen, daß ihm das Tuch nicht plötzlich entglitt. Dann nahm er seine Sachen und wollte zu den Felsen zurückkehren, als ihm der Karawanenführer begegnete. Balian deutete eine Verbeugung an und sprach das einzige Wort, das er für „Danke" in arabischer Sprache kannte. Der Mann zeigte seine Überraschung und seine Freude und nickte zum Zeichen, daß er verstanden hatte.

Saif hatte mittlerweile ein Feuer angezündet und etwas zu Essen gerichtet. Balian war über die Auswahl überrascht und Saif merkte dies wohl.

„Die Speisen kommen vom Herrn dieser Karawane. Er zieht oft durch Jerusalem und Ibelin ist häufiger eine der Stätten, an denen seine Karawane rastet. Er kannte Euren Vater nicht, aber er wurde in Ibelin immer freundlich aufgenommen. Er dankt Euch dies nun mit seiner Gabe. Ihr seht, in meinem Land wird gleiches mit gleichem vergolten, im Guten wie im Schlechten. Merkt Euch das, mein Freund."

So eindringlich hatte Saif bisher noch nicht gesprochen, und es schien, als wolle er damit einem ähnlichen Gefühl Ausdruck verleihen, wie es Balian ihm gegenüber hatte. Und Balian hatte mit seinem Gespür recht. Saif sah in Balian einen Mann, dessen Freund zu sein er sich wünschte. Aber die Machtverhältnisse in den Kreuzfahrerstaaten würden ihn über kurz oder lang zu seinem Gegner machen, wenn Balian nicht wieder das Land verließ. Saif hoffte sehr, daß Allah gnädig genug war, sie nicht Auge in Auge miteinander kämpfen zu lassen, wenn es soweit sein sollte. Bis dahin aber, wollte Saif Freund dieses Mannes sein und mehr von ihm erfahren und so fragte er geradeheraus:

„Euer Rücken, er zeigt viele Narben von Schlägen. Hat Euer Vater sie euch zugefügt?"

Balians Kopf ruckte hoch, mit so einer Frage hatte er nicht gerechnet. Saifs Fragen waren bislang alle nicht persönlich gewesen. Er zögerte, blickte nieder und er schien in weite Ferne entrückt zu sein. Saif fragte sich, was ihn so betroffen gemacht hatte. Was ließ ihn zögern? Waren es nur die Erinnerungen an den Vater oder gab es etwas, was den jungen Christen belastete? Und als Balian dann den Kopf hob, sah Saif das Leid in Balians Augen, er sah einen tiefen Schmerz, der nicht nur vom Verlust des Vaters in Messina herrühren konnte, und Wut. Saif fragte sanft und ruhig:

„Was ist Euch geschehen, mein Freund?"

Balian holte tief Luft. Er würde Saif sicher nicht sein ganzes Leben erzählen, ihn aber im Glauben lassen, daß sein Vater ihm die Narben zugefügt hatte, wollte er auch nicht.

„Mein Vater kam erst vor kurzen nach Frankreich zurück. Ich bin bei Fremden aufgewachsen. Meine Mutter starb als ich acht war. Als mein Vater kam, hatte ich gerade meine Frau und meinen Sohn beerdigt, die mir Gott innerhalb kurzer Zeit nacheinander genommen hat. Und das Dorf, in dem ich lebte, war mir nicht wohlgesonnen."

Bei diesen Worten beließ es Balian und Saif fragte nicht nach. Nun wußte er, warum Balian so anders war als die hochfahrenden Ritter in Jerusalem. Er war nicht als Edler unter seinesgleichen aufgewachsen und hatte in seinem Leben alles Leid, was ein Mann erleben konnte, bereits erfahren. Aber eins wollte Saif noch erfahren: Die Wut in den Augen Balians paßte so gar nicht zu seinem Wesen. Auf wen oder was war er so wütend, daß seine Augen davon berichteten?

„Die Wut, die Ihr in Euch tragt, wem gilt sie?" Und als Saif diese Frage gestellt hatte, wußte er auch die Antwort selbst. Balian griff sich an das Kreuz am Hals. Er schwieg einen Moment und stieß dann ein Wort, wie unter großer Kraftanstrengung hervor:

„Gott!" Nach einer Pause fuhr er fort: „Ich weiß nicht, was ich bis zum Tod meiner Familie verbrochen haben soll, daß er mir seine ganze Liebe genommen hat und mich mit dem Verlust aller, die ich liebte, bestrafte. Ich bin nach Jerusalem gekommen, weil ich für meine Tat, die ich aus Zorn nach dem Tod meiner Frau begangen habe und für sie, die Hand an sich legte, Vergebung zu erlangen hoffte. Aber Gott nahm mir auch noch meinen Vater und alle Männer, die mit ihm gingen und für mich kämpften, als mir Gefahr drohte."

Balian hatte noch nicht einmal seinem Vater gegenüber seine Wut auf Gott geäußert. Nur André hatte seinen Zwiespalt gespürt und Balian erinnerte sich nur zu deutlich an seine Worte. Er atmete tief durch und verbannte dieses ohnmächtige Gefühl der Wut wieder tief in sich und als er erneut Saif ansah, konnte dieser nichts mehr von dem inneren Kampf, den Balian austrug, erkennen.

Der junge Franke dankte Saif für das Mahl und legte sich ein wenig abseits vom Feuer in die Dunkelheit. Eine bleierne Müdigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen und er war sich sicher, daß diese nicht nur von der körperlichen Erschöpfung herrührte. Die Nacht war mild und so breitete er seine Decke aus und legte sich einfach nieder. Den Arm unter den Kopf geschoben, war er bereits eingeschlafen, als Saif an ihn herantrat und mit einem weiteren Tuch bedeckte. Balian konnte nicht wissen, daß die letzten Stunden der Nacht, bevor der Morgen graute, sehr kühl werden konnten. Saif betrachtete den jungen Ritter noch eine Weile nachdenklich und wandte sich dann selbst zum Schlafen.

Am nächsten Morgen fühlte sich Balian ausgeruht und gestärkt und bat Saif einen kürzeren Weg nach Jerusalem zu wählen. Er war ungeduldig, dorthin zu gelangen, denn der einzige Mensch, der ihn noch aus Frankreich kannte – André – mußte dort wahrscheinlich schon seit einiger Zeit angekommen sein. Saif folgte seinem Wunsch und schlug ein hohes Tempo an, so daß sie zwei Wasserstellen am Tag erreichten. Und Balian hatte sich in der Einschätzung seiner Kräfte nicht vertan. Es war zwar anstrengend, den ganzen Tag auf einem Tier ohne Sattel zu reiten, das dazu so temperamentvoll wie der Rappe war, aber es machte ihm auch keine Probleme.

Und so erreichten sie an einem späten Nachmittag des fünften Tages die Stadtmauern von Jerusalem. Balian war beeindruckt von den erhabenen Mauern der Stadt und den unzähligen Gebetstürmen und Minaretten. Es strömten Unmengen von Pilgern und Berittenen in die Stadt. Saif und er mußten ihre Pferde zügeln und im Schritt langsam in die Stadt einreiten.

Balian und Saif wandten sich zunächst zu einem Brunnen. Sie hatten Durst und die Pferde brauchten Wasser. Saif betrachtete den Rappen und tätschelte seinen Hals. Es war wirklich ein schönes Tier, und er äußerte diesen Gedanken. Balian der auf der anderen Seite stand, blickte Saif an:

„Nimm das Pferd. Nimm es und geh deiner Wege."

Saif blickte Balian überrascht an:

„Das ist der Preis Eures Kampfes. Ich bin Euer Gefangener, Euer Sklave, wenn Ihr wollt," antwortete Saif gerade heraus.

Aber Balian wehrte ab: „Ich bin Sklave gewesen oder kam dem sehr nahe. Ich werde weder selbst einen Sklaven mein eigen nennen, noch jemandem ein solches Leid zufügen. Geh!"

Balian hatte ruhig und sanft gesprochen und doch soviel mit diesem Satz über sein Leben preisgegeben, daß Saif zutiefst berührt war. Noch sprachlos nahm der das Tier, führte es ein wenig weg vom Brunnen und saß auf. Dann blickte er nochmals zurück. Er wollte Balian noch eine Information geben, die ihm vielleicht noch wichtig werden konnte.

„Der Mann, den Ihr getötet habt, war ein mächtiger Fürst unter den Moslems. Sein Name war Mohammed al Faes".

Balian blickte von dem anderen Pferd, das er noch am Zügel hielt, auf.

„Ich werde für ihn beten." versprach er. In diesem Augenblick war sich Saif sicher, daß er seine Freundschaft nicht dem Falschen geschenkt hatte.

„Eure Güte mein Freund, wird unter Euren Feinden bekannt sein, bevor Ihr ihnen begegnet."

Damit neigte Saif seinen Kopf und Balian erwiderte gleichermaßen diesen Gruß. Dann ritt Saif davon, und Balian war nun in Jerusalem auf sich gestellt.


Anmerkungen

1> Siehe Karte im Glossar

2> Bezug zum Film Als die Christen Jerusalem verlassen fragt Saif Balian: „Und wenn Gott dich nicht liebt...". Woher konnte Said von dem Zwiespalt in Balian und seinem Glaubensverlust wissen und ihm mit dieser Frage letztlich die gesuchte Antwort geben?

3> Bezug zum Film Schlacht bei Kerak: Balian erwacht vor Saif aus seiner Bewußtlosigkeit. Nach den ersten Sätzen kam seine Frage: „Was wird mit uns geschehen?" Saif antwortete: „Man erntet was man sät. Davon habt ihr doch schon gehört, oder?" Er bezieht sich damit auf die faire und gütige Behandlung, die Balian ihm als Gefangenen angedeihen ließ.


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