Disclaimer
Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.
Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.
Kapitel 9
Hoffnung
Jaffa
An der Reling eines Schiffes, das gerade in den Hafen von Jaffa eingelaufen war, wartete André, johannitischer Ordensbruder und Hospitaler, langjähriger Waffengefährte des verstorbenen Godfrey von Ibelin, Freund von Tiberias, dem Statthalter von Jerusalem und Beichtvater des Königs, darauf, von einem Boot an Land gebracht zu werden. Seine Reise mit seinen Ordensbrüdern von Messina nach Jerusalem auf dem Seeweg war ruhig verlaufen und er wollte möglichst rasch weiter. Jaffa war die der heiligen Stadt am nächsten gelegene Hafenstadt.
André hoffte sehr, daß Balian, der Sohn Godfreys und neuer Baron von Ibelin, gut angekommen war, war unterdes aber über die wenigen Schiffe im Hafen verwundert. Eine Woche vor ihm war eine Flotte von sechs Schiffen Richtung Jaffa von Messina ausgelaufen. Auf einem dieser Schiffe war Balian mit den fünf verbliebenen Männern seines Vaters. Eine nicht näher zu benennende Unruhe ergriff André und sein Blick suchte auf der Pier den Hafenmeister, der ihm Auskunft über das Eingehen von Schiffen geben konnte.
Nach einer Stunde etwa, konnte André dann endlich seinen Fuß wieder auf festen Boden setzen und er machte sich sogleich auf den Weg zu dem Manne, den er als Hafenmeister vom Schiff aus hatte ausmachen können.
„Guter Mann, aus Messina waren eine Woche vor uns sechs Schiffe aufgebrochen. Sagt mir, habt Ihr Nachricht? Ich kann keinen der Segler hier vor Anker sehen. Sind sie in Akkon oder Askalon eingetroffen?"1
Der Mann sah den Hospitaler traurig an:
„Ich hoffe, Ihr hattet keine nahen Verwandten an Bord, mein Herr. Von den sechs Schiffen waren nur zwei nach Akkon gekommen, ein Schiff mußte wegen zu starker Schlagseite in Famagusta auf Zypern zwischenlanden und ist dann auch nur noch bis Tripolis gekommen. Es hatte, als die Flotte in Höhe Zyperns war, einen fürchterlichen Sturm gegeben, der mehrere Tage anhielt. Die Schiffe wurden alle entlang der Küste Zyperns Richtung Tripolis gedrückt, so wurde mir von anderen Kapitänen, die aus Akkon hierher kamen, berichtet. Das Schiff, das nach Famagusta abgedreht hatte, war wohl auch das einzige Beschädigte, das es noch schaffte, dieser furchtbaren See zu entkommen. Die Reisenden sind heute Morgen mit einem anderen Schiff hier angekommen."
André war tief betroffen und versuchte sich an den Namen des Schiffes, an dessen Bord Balian und seine Männer gegangen waren, zu erinnern.
„Die Castelliani? War sie eines der Schiffe, die den Sturm überwunden haben?
Der Hafenmeister schüttelte den Kopf.
„Soweit wir erfahren haben, ist ihr Mast vor der Küste von Tripolis gebrochen und das Schiff gekentert. Möglich, daß sich Reisende retten konnten, sofern es ihnen gelang sich an etwas Schwimmendem festzuhalten. Es wurde von diesem Sturm berichtet, als wenn der Teufel selbst das Meer aufgewühlt hatte. Nein, mein Herr, ich glaube, daß alle armen Seelen mit der Castelliani untergegangen sind."
André ließ den Kopf hängen, seine Schultern waren schwer, und der Gedanke, nicht nur Godfrey in ferner Erde begraben haben zu müssen, sondern jetzt auch noch den Tod von Balian akzeptieren und mit dieser Nachricht Tiberias und dem König gegenüber treten zu müssen, schmerzte ihn sehr. Konnte Gott wirklich Balian sein Leben lang nur für die Sünden seines Vaters gestraft haben und ihm jetzt, wo er an seinem Glauben zweifelte, auch noch das Leben für die Tat, die er an dem Priester begangen hatte, genommen haben? André war ein sehr gütiger Mensch und glaubte immer zunächst an das Gute im Menschen; wie konnte er da an dem Wohlwollen Gottes zweifeln? Deshalb streckte er seine Schultern und schob den Gedanken an einen toten Balian beiseite. Er hatte Balian gesehen, hatte in seine Augen und sein Herz geblickt. Nein, Gott hatte sicher noch Großes mit ihm vor. Wenn er gestrandet war, dann sicher, um auf seinem Weg nach Jerusalem an der Aufgabe zu wachsen. André wollte ihn noch nicht aufgeben. Da Balian, lebte er noch, auf anderem Wege zur heiligen Stadt gelangen würde, hatte es auch keinen Sinn, in Jaffa auszuharren oder weitere Nachforschungen anzustellen. Er würde nach Jerusalem reiten, den Männern Ibelins, die in der Stadt weilten, Nachricht bringen, damit sie Ausschau halten konnten. Dann würde er Tiberias und den König informieren, damit sie die Pilgerstationen von Akkon bis nach Jerusalem durch Reiter auf den Gesuchten aufmerksam machten.
In einem Zwei-Tages-Ritt war André in Jerusalem angekommen. Er hatte sich nicht mit seinen Ordensbrüdern in Jaffa aufgehalten und sich der Karawane angeschlossen, sondern war nur mit zwei Soldaten als Begleitung direkt nach Jerusalem aufgebrochen. Er hatte Rang und Namen und konnte sich dadurch ohne Fragen von der Gemeinschaft absetzen.
In den vergangenen Monaten hatte sich in Jerusalem nichts geändert. Die Stadt wurde wie immer überflutet mit Pilgern und Händlern, von Reisenden und Karawanen, die von Ägypten über Jerusalem bis weit nach Syrien hinein Handel trieben. André lenkte sein Pferd zunächst zum Haus von Ibelin, seine Begleiter wies er an, sich direkt zum Ordenshaus zu begeben. André ritt langsam in den Hof des
Gebäudes ein.
Es war ein typisches, wenn auch nicht kleines Gebäude, das auf einer Anhöhe lag und einen Blick über die Stadt bis hin nach Golgota, dem Kreuzigungshügel, ermöglichte. Das Gebäude bestand aus dem Innenhof mit den umgebenden Gesinderäumen, Lagern und Ställen, dem ersten Stock mit den Räumen für die Herren und Gäste und im zweiten Stock einer Terrasse, die umgeben war mit Balken, in etwa alle fünf Schritte auseinander, auf denen wiederum Stangen auflagen. An diesen Stangen hingen zusammengefaßt feine, helle Tücher, die zum Schutz gegen die Sonne zugezogen werden konnten. Das Dach der Terrasse war mit Palmwedeln bedeckt. Godfrey von Ibelin war kein hoffärtiger Mann, und auch nicht auf übermäßigen Prunk bedacht. Die Einrichtung war wesentlich mehr den muslimischen Gepflogenheiten angepaßt als den christlichen, die in vielen Dingen eher bombastisch, repräsentativ waren. In diesem Gebäude herrschten warme Farben und Töne vor und die vielen feinen Tücher, welche die Räume unterteilten und dem grellen Licht von draußen die Härte nahmen, ließen eher vermuten, daß hier ein Muselmane als ein Christ lebte. Vielleicht würde dieses Haus nie wieder einen Ibelin beherbergen.
André hielt sein Pferd im Hof an und schwang sich aus dem Sattel. Dem Diener, der sein Pferd entgegennahm und versorgen wollte, fragte er nach Almaric, dem ersten unter Godfreys Männern, und erfuhr, daß der Soldat in Kürze zurück erwartet wurde und so setzte er sich an einen Tisch unter einer der schattigen Arkaden. André war bekannt in diesem Haus und unter den Dienern des Herrn von Ibelin und so wurde er sogleich mit Trank und Speise versorgt. Man reichte ihm auch eine Schale Wasser und ein Tuch, damit er sich vorher noch erfrischen konnte.
Der Mann hatte die Wahrheit gesagt, denn kaum hatte André seinen ersten Becher Wein getrunken, schritt Almaric mit zwei weiteren Soldaten, für die er derzeit verantwortlich war, durch den Torbogen. Almaric erkannte den Gast sofort und ging rasch auf ihn zu.
„Mein Herr, Willkommen zurück in Jerusalem. Bringt Ihr uns Kunde von unserem Herrn oder ist er gar selbst wieder heimgekehrt?"
Almaric verbeugte sich vor dem Hospitaler und André erwiderte den Willkommensgruß.
„Danke, Almaric, für die guten Wünsche, aber leider habe ich keine guten Nachrichten, die ich Euch mitteilen muß. Bitte setzt Euch und hört meinen Bericht. Ich bin zuerst in das Haus Godfreys von Ibelin gekommen, damit Ihr entsprechend handeln könnt."
Und Godfrey berichtete in Kürze Almaric und Salem, dem zweiten unter den Männern Ibelins, von der Reise nach Frankreich, von der Suche nach und der Begegnung mit Godfreys Sohn. Dann erzählte ausführlicher von den Geschehnissen, die zum Tode ihres Herrn geführt hatten. Er legte großen Wert darauf, daß sie erfuhren, daß Balian von seinem Vater nicht nur zum Ritter geschlagen wurde und sein Erbe vom Vater übergeben bekommen hatte, sondern auch, wie sehr Godfrey seinen Sohn innerhalb der kurzen Zeit, die sie gemeinsam gehabt hatten, lieben und schätzen gelernt hatte. Dann beschrieb er in allen Zügen, und so genau er es konnte, Balian in Statur und Aussehen, aber auch in seinem Wesen. Zuletzt teilte er ihnen mit, wie sie sich in Messina getrennt hatten, und was er in Jaffa von den Schiffen erfahren hatte.2
Almaric und Salem blickten sehr traurig drein. Sie hatten ihren Herrn sehr gemocht und waren ihm treu ergeben. Almaric erzählte André vom letzten Gespräch mit seinem Herrn, bei dem er große Zweifel daran geäußert hatte, daß ein Sohn, sollte es ihn geben, ohne Erziehung und Hintergrund den Vater würde ersetzen können. André legte ihm die Hand auf die Schulter und lächelte.
„Sollte Balian überlebt haben und hierher finden – Almaric – glaube mir, du wirst sehr schnell eines Besseren belehrt werden. Balian ist anders, als man es erwartet und soviel mehr, als man erhofft. Er hat Godfrey stolz gemacht und ihm Frieden gegeben."
Almaric sah dem Hospitaler in die Augen. Der Ordensbruder war nicht gerade ein Mann vieler Worte oder von Schwärmereien, aber wenn er von dem jungen Ibelin sprach, hörte man deutlich seine Zuneigung heraus. Er erinnerte sich an die Bitte seines verstorbenen Herrn und wollte dem langjährigen Freund und Gefährten Godfreys Glauben schenken. Er würde dem neuen Herrn unvoreingenommen zur Seite stehen. Man würde sehen, ob er das Vertrauen verdiente, falls sein Weg ihn überhaupt nach Jerusalem führte und er nicht schon tot auf dem Meeresgrund lag. Ein wenig kam Almaric die Hoffnung und Zuversicht des Hospitalers wie Wunschdenken vor, aber er äußerte sich dazu nicht.
„Wie wird der König auf diese Nachricht reagieren. Ohne Erben fällt Ibelin an die Krone zurück. Wird er nicht das Land und die Pflicht rasch einem neuen Ritter übergeben?" fragte er schließlich. Daran hatte André auch schon gedacht und er konnte nur hoffen, daß der König auf ihn hören und ebenso glauben und hoffen würde wie er selbst, daß Gott Balian doch noch nach Jerusalem führte. Almaric war ein guter Mann, und auf Ibelin und an der Pilgerstraße war unter seiner Aufsicht sicher alles wie bisher unter Kontrolle. Insofern hatte der König keine Eile, den Tod Godfreys von Ibelin bekannt zu geben, das Lehen einzuziehen und neu zu vergeben. André hoffte dies sehr und baute dabei auch auf die Unterstützung von Tiberias.
Diese Ansicht teilte er Almaric noch mit, bevor er sich verabschiedete und ihn darum bat die Augen nach dem jungen Ritter offen zu halten und auf Nachrichten zu achten, die Reisende in die Stadt brachten. Almaric sollte auch ihn informieren, wenn er etwas in Erfahrung bringen konnte.
Dann machte sich André auf den Weg zu Tiberias, dem Statthalter von Jerusalem. Vor dem Gebäude und im Innenhof standen wie immer viele Bittsteller und Beschwerdeführer, aber André konnte, ohne anzustehen und sich in eine Abfolgeliste eintragen zu müssen, an den Menschen vorbeigehen und sich im Vorzimmer zu Tiberias Amtssitz anmelden. Er mußte nicht lange warten, bis Tiberias selbst ihn im Vorzimmer begrüßte und ihn dann mit in einen etwas ruhigeren und weniger einsehbaren Raum nahm.
Tiberias, schon immer sehr direkt, kam ohne Umschweife gleich zum Punkt:
„Du bist alleine, mein Freund; das kann nur bedeuten, Godfrey ist noch nicht in Jerusalem oder er ist tot. Und das Kind und die Mutter, die er suchte?"
Er bat André Platz zu nehmen und bot ihm einen Becher Wein an, in den er einige Kräuter und Zimt gestreut hatte. Tiberias setzte sich André gegenüber und forderte ihn auf zu berichten. Und André begann erneut die Geschichte der Reise bis zur ersten Begegnung mit Balian zu erzählen. Diesmal ging er mehr ins Detail und erzählte Tiberias auch die Lebensumstände und die Geschehnisse um den Tod von Balians Weib und Kind. Nach einem tiefen Schluck aus dem Weinkelch, der aus edelsteinbesetztem Metall mit einer Goldfassung bestand, berichtete er dann von ihrer Reise nach Messina; vom Kampf, der Godfrey tödlich verwundete, und vor allen Dingen von Balian, dem jungen Mann, den alle am Ende der Reise in ihr Herz geschlossen hatten.
Hier unterbrach Tiberias André und fragte direkt:
„Und wo ist dieser Wunderknabe? Kam er nicht mit dir? Hat er etwa den letzten Wunsch seines Vaters nicht respektiert und ist nach Frankreich zurückgekehrt?"
André schüttelte den Kopf, seine Augen wurden traurig. Tiberias sah, daß er jetzt gleich etwas zu hören bekommen würde, das ihm nicht gefallen würde.
André erzählte weiter, wie sie sich in Messina auf unterschiedliche Schiffe begeben hatten, und wie er vor zwei Tagen in Jaffa an Land gegangen war. Er schloß seine Informationen für Tiberias mit dem, was er in Jaffa über die Schiffe erfahren hatte. Tiberias sah seinen alten Freund lange und still an, dann senkte er den Kopf. Lange sagte er nichts, bis er wieder aufblickte und André leise fragte:
„Glaubst du, daß er noch lebt?" - und man hörte aus seiner Stimme den Wunsch, etwas von Godfrey möge ihnen geblieben sein – „Und wenn, ist er fähig ohne Wissen und Erfahrung in diesem Land hierher zu gelangen? Wenn er in Gefangenschaft geraten ist, könnten wir dies in Erfahrung bringen."
André nickte seinem Freund erst nur zu, dann antwortete er:
„Ich glaube fest daran, mein Freund. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Gott, der Balian in seinem Leben schon so lange hat kämpfen lassen, ihm jetzt einfach sein Leben nahm."
Tiberias machte eine leichte, abfällige Handbewegung. Er glaubte nicht so fest wie André an Gott, er war davon überzeugt, daß die Menschen von Gott den Verstand bekommen hatten, um sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden, und daß es den Menschen oblag, die Welt zu verändern. Aber er respektierte Andrés Glauben. Sein Freund war ein vernünftiger Mensch und kein Glaubensfanatiker, und obwohl er einer Glaubenskongregation angehörte, hielt er selbst nichts von den verschiedenen Religionsvorstellungen.
André nahm Tiberias die abfällige Geste nicht übel. Tiberias achtete seinen Glauben, auch wenn er selbst nicht einer der festesten im Glauben war. Tiberias hatte viele andere gute Eigenschaften und Gott würde sein Handeln, nicht die Häufigkeit seiner Gebete, beurteilen. Beide sahen sich lange an und dann war es Tiberias, der die Stille brach:
„Wir werden die Nachricht dem König bringen. Ich werde ihm raten, erst Nachforschungen nach dem Verbleib des jungen Ibelin anzustellen, sowie eine gewisse Frist abzuwarten, bevor der Tod von Godfrey bekannt gegeben wird. Bis dahin ist Godfrey einfach noch in Messina."
André wies seinen Freund darauf hin, daß, sobald Guy de Lusignan wieder in Jerusalem war, es mit Sicherheit bekannt würde, daß
Godfrey schwer verletzt war, als er in Messina ankam. Andre setzte hinzu, daß er nicht wußte, ob de Lusignan Godfreys Tod zugetragen worden war.
Tiberias nickte mit dem Kopf. Viel Zeit blieb ihnen und vor allem dem Sohn Godfreys, sollte er noch leben, also nicht, bis er vor dem König erscheinen mußte, um sein Erbe antreten zu können. Und Tiberias, sonst nicht der Betfreudigste, sandte ein Stoßgebet gen Himmel. Er schenkte seinem Freund nochmals Wein ein und beide hingen eine kleine Weile ihren eigenen Gedanken und Erinnerungen an einen Kampfgefährten, Freund und besonderen Menschen nach.
Die Wände der Privaträume des Königs waren mit Mosaiken aus blauen Lapislazuli- und Glassteinen ausgelegt, die gelb hinterlegt waren und so einen Schimmer wie Gold in sich trugen. Die Möbel waren in hellem Holz mit feinen, geschnitzten Ornamenten gehalten, und das Licht der Sonne wurde durch die warmen Farben von Tüchern, Decken und Kissen, die den Raum wohnlich machten, eingefangen. In unzähligen Öllampen und Kohlebecken wurden Kräuter verbrannt und verströmten einen angenehmen Duft. Der König saß wie immer an seinem Tisch, der über und über bedeckt war mit Plänen und Schriftsätzen in Latein und Hebräisch. Balduin IV war ein sehr wißbegieriger junger Mann, der mit der furchtbaren Krankheit Lepra geschlagen war. Nichtsdestotrotz hielt er nicht inne in seinen Forschungen und ergab sich der Krankheit, sondern er nutzte jede Zeit, die ihm noch verblieb. Er war ein guter König mit sehr gutem politischen Instinkt und taktischem Können. Balduin hatte mit sechzehn Jahren Salah-al-Din die einzige Niederlage beigebracht, die dieser bis dahin erdulden mußte, und war seitdem Herr von Jerusalem von Tripolis bis Eilat am Roten Meer. Salah-al-Din und Balduin versuchten seitdem, Frieden zu wahren, aber beide hatten sie mit den Radikalen in ihren Reihen zu kämpfen, die immer wieder durch Gewaltakte den Frieden sabotierten. Salah-al-Din hatte geschworen, Jerusalem zurückzuerobern, aber er war nicht gewillt, dies um jeden Preis zu erreichen3. Zudem waren Balduin und der Sarazenenführer in Achtung miteinander verbunden, und Balduins Krankheit machte es für den Moslem absehbar, wann er Jerusalem angreifen konnte, ohne gegen den geachteten König antreten zu müssen.
Als Tiberias und André den Raum betraten, wandte sich der junge König, der eine feingearbeitete silberne Maske vor seinem Gesicht trug, um. Die Maske verdeckte sein Gesicht, das durch den Aussatz bereits so entstellt war, daß seine Wahrnehmung als König bei den Menschen sehr gelitten und so das Regieren noch erschwert hätte. Auch trug Balduin, der gerade erst zweiundzwanzig Jahre alt war, die Maske, um nicht selbst ständig die entsetzten und geekelten Mienen der Menschen um sich her erdulden zu müssen. Spiegel waren in seinen Räumlichkeiten schon lange nicht mehr und so blieb ihm sein eigener Anblick ebenso erspart. Die Maske war von einem Künstler seiner Zunft angefertigt worden, denn man hatte immer das Gefühl, als wäre die Maske mit Leben erfüllt.
Balduin sah André und begrüßte seinen Beichtvater freudig. Er bat beide, Platz zu nehmen und ließ durch einen Diener Wein bringen. Dann sah er beide erwartungsvoll an und fragte sogleich:
„André, Ihr seid zurück? Darf ich dann annehmen, daß auch Godfrey wieder in Jerusalem weilt? Warum ist er nicht bei Euch, damit ich ihn begrüßen kann?"
Und noch während er die letzte Frage stellte, sah er am Gesicht von André, daß er Godfrey, seinen liebsten Lehrer und Ziehvater, wohl niemals wiedersehen würde. Er forderte André auf, zu sprechen und alles, auch jede Kleinigkeit, von der Reise zu berichten. Und André wiederholte seine Geschichte an diesem Tag das dritte Mal, aber diesmal auch mit Einzelheiten, die er selbst zuvor Tiberias gegenüber unausgesprochen gelassen hatte.
Als er endete, sah ihn Balduin an und meinte, noch bevor Tiberias und André ihre Bitte bezüglich dem Erbe Ibelins aussprechen konnten:
„Ich werde auf Godfreys Sohn warten und eine Frist von zwei Monaten vergehen lassen, bevor ich offiziell Godfreys Tod bekannt gebe. André, Ihr habt mir Balian so lebhaft geschildert, daß ich zutiefst hoffe, ihn noch kennen zu lernen und ihm sein Erbe bestätigen zu können. Ich liebte Godfrey. Er war immer mehr als nur ein Lehrer gewesen. Balian aber könnte, wenn denn Eure Erzählung nicht zuviel der Schwärmerei beinhaltet, mir ein Freund werden und ein Mann, dem ich die Menschen von Jerusalem anvertrauen kann. Ich hoffe sehr, daß Gott ihn verschont hat."
Balduin stand auf und entließ die beiden Freunde und Ratgeber und begab sich selbst zu seiner Schwester. Er wollte ihr die Nachricht vom Tode Godfreys selbst bringen, denn er war für sie beide mehr Freund als Lehrer, mehr Vater als der eigene gewesen. Sybilla hatte Godfrey sehr geliebt, vielleicht war dieser Balian in der Lage die Leere, die Godfreys Fortgang hinterließ, zu füllen. Sybilla, vier Jahre älter als er, war seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr in einer Ehe gefangen, die von der Mutter arrangiert war und nichts mit Liebe zu tun hatte, sondern nur auf Machtstreben beruhte. Ihr Gemahl war Guy de Lusignan und wenn er, Balduin, einmal tot war, würde alles, egal wie man es wenden wollte, darauf hinauslaufen, daß Guy die Macht an sich reißen würde. Guy an der Macht bedeutete das Ende des Friedens zwischen den Sarazenen und Jerusalem, und den Menschen von Jerusalem und seiner Schwester galt bei diesen Gedanken Balduins größte Sorge.
Die neuen, machtgierigen Ritter strömten immer mehr nach Jerusalem. Tiberias, André und auch Godfrey waren schon lange seine Ratgeber und Vertrauten, aber sie waren des Kämpfens müde. Ein Mann wie Balian könnte ihm die Sorge um das Volk nehmen, wenn er denn wirklich so war, wie ihn André beschrieben hatte, der normalerweise nicht zu Übertreibungen neigte. Er war noch unverbraucht und konnte kämpfen. Er würde kämpfen und alles in seiner Macht stehende tun, das Volk zu verteidigen, weil er, wie es sein Vater vor ihm tat, an dem Eid und dem Vermächtnis von Ibelin festhalten würde.
Balduin hielt, auf seinem Weg zur Schwester an einem Kreuz in einer Nische inne. Er kniete nieder und sprach ein Bittgebet zu Gott für den jungen Ritter und Baron Balian von Ibelin, den er noch nicht kannte, von dem aber so vieles bereits erhoffte. Balduin sandte dieses Gebet an einen in seinen Augen gütigen Gott, obwohl er von André erfahren hatte, daß Balian an eben diesen seinen Glauben verloren hatte. Und er betete darum, daß der junge Ritter seinen Frieden und seinen Glauben wiederfinden möge.
Anmerkungen
1> Bezug zum Film In Messina hatte der Hospitaler Balian mit den Worten auf die Reise geschickt: „Ich folge dann in einer Woche nach." und im Film schien es so, als wären die Mannen Ibelins über einen möglichen Erben und sein Aussehen informiert. Auch der Hospitaler erwartete ihn bereits, als er ihm Haus erwachte und Sybilla kam zum Haus und wußte nach eigenen Worten bereits wer er war. Demnach mußte der Hospitaler vor Balian in Jerusalem eingetroffen sein.
2> Bezug zum Film Als die Soldaten Ibelins Balian in den Straßen von Jerusalem folgten, mußten sie bereits über ihn informiert gewesen sein, weil er ihnen nicht einmal seinen Namen nennen brauchte, damit sie ihn als ihren Herrn ansprachen.
3> Bezug zum Film Beerdigungsszene der Moslems, in der Salah-al-Din deutlich trauerte und sich der vielen Toten grämte, sowie sein Verhandlungsangebot und letztlich genannten Bedingungen, die nicht notwendig gewesen wären, weil Salah-al-Dins Heer um so vieles größer war, so daß die Verteidiger Jerusalems nicht mehr lange hätten durchhalten können.
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Die Kapitelbilder sind unter www. beim Hoster photopucket abgelegt und dort zu finden unter/albums/a310/sabaul/Roman KOH
