Disclaimer

Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.

Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.


Kapitel 10


Jerusalem

Saif war schon nicht mehr zu sehen, als Balian sich wieder dem ihm verbliebenen Pferd zuwandte und versunken darüber nachdachte, wie er nun weiter vorgehen sollte. Jerusalem war so groß, wie er es nicht erwartet hatte. Messina war dagegen nur ein Dorf gewesen und schon dort hatte ihn die Menschenmasse, die sich dort einfand und verweilte, tief beeindruckt. Jerusalem war ehrfurchtgebietend. Die Stadt wurde von einer doppelreihigen Mauer umgeben, die in etliche Vorhöfe unterteilt war, wie er beim Durchqueren des Stadttores und des inneren Ringes erkennen konnte. Aber auch hier, am ersten Brunnen, den sie erreichten, konnte er jetzt erkennen, daß sich die Stadt in unzählige unüberschaubare Gassen und Straßen aufteilte, die alle von Händlern bevölkert waren. Die Häuser der Stadt waren anscheinend alle ummauert und hatten ihre eigenen Innenhöfe, die zum Rückzug aus der lauten und überfüllten Stadt einluden. In der Stadt tummelten sich Ritter, Soldaten, Ordensbrüder, Händler, Bettler und Pilger aller Länder, die sich Balian nur vorstellen konnte. Das Stimmenwirrwarr war beängstigend, und er war fremd und unwissend, was Sprache und Gesetz in dieser Stadt anging. Balian war kein ängstlicher Mensch, aber wie er jetzt handeln wollte, mußte wohlüberlegt sein.

Zunächst wollte er das Pferd verkaufen, denn im Gegensatz zu der auf reiner Gegenseitigkeit beruhenden Gastfreundschaft in der Wüste würde er hier für alles, was er brauchte, zahlen müssen, und er hatte kein Geld. Das Pferd war das des getöteten Moslems. Es war reich geschmückt, hatte einen guten Sattel und war ein gutes Tier. Es würde ihm sicher für den Anfang genug bringen. Von André hatte er erfahren, daß sein Vater ein Haus in der Stadt hatte. Er würde sich dahin durchfragen müssen, war sich aber sicher, daß er es irgendwann finden würde. Es war mit Mannen seines Vaters besetzt, und vielleicht traf er diese in den Straßen und auf den Märkten von Jerusalem. Wenn sie die Farben seines Hauses trugen, würde er sie erkennen.

André hatte ihm auch gesagt, daß er sich zu Tiberias begeben mußte. Der Statthalter von Jerusalem, Freund seines Vaters, würde ihm sicher weiterhelfen, aber so wie er im Moment aussah, würde wohl keine Palastwache ihn vorlassen, und so schied diese Möglichkeit für den Anfang, um in Jerusalem sein Erbe anzutreten, erst einmal aus.

Balian war sich sicher, daß er einen Weg finden würde, und da zu erwarten war, daß André vor ihm Jerusalem erreicht hatte, war es sogar wahrscheinlich, daß er bereits erwartet oder gesucht wurde. Trotz dieser vernünftigen Gedanken machte sich in Balian auch eine gewisse Anspannung breit. Was war, wenn André das gleiche widerfahren war wie ihm? Wenn er noch nicht in Jerusalem war und das Haus Ibelins und Tiberias informiert hatte? Oder sein Erbe bereits verloren war, weil die Nachricht des Schiffsunglücks die Stadt erreicht hatte und man ihn für tot hielt? Auch wie ihn die Männer seines Vaters aufnehmen würden, bereitete ihm Unwohlsein. Sie waren treue Männer und liebten seinen Vater, so hatte er es von Pierre erfahren. Sein Vater hatte ihnen nur vage von seinem Kind berichten können, da er ja nicht selbst wußte, ob er eine Tochter oder Sohn hatte. Wie würden sie ihm begegnen? Ihm, dem unerfahrenen jungen Herrn, der zum Ritter geschlagen wurde, ohne sich diese Ehre wirklich verdient zu haben? Es war gut möglich, daß sie ihn ablehnten. Und wenn sie noch gar nicht wußten, daß er auf dem Weg hierher war, konnten sie ihn auch als Dieb betrachten, der Godfreys Schwert und Ring gestohlen hatte, oder – schlimmer noch – als Teil einer Mörderbande, denn lebend hätte sich ihr Herr nie vom Schwert getrennt.

Balian war sich im Klaren darüber, daß selbst wenn er Männern des Hauses Ibelin in dieser Stadt begegnete, er ihnen mit Vorsicht gegenübertreten mußte.

Dann riß sich Balian von diesen Gedanken los und ging ziellos durch die Straßen von Jerusalem, immer das Pferd am Zügel hinter sich herführend. Das Stimmenwirrwarr, die fremden Gerüche, die vielen kräftigen, erdigen Töne der Farben, die Ritter und Bewaffneten schüchterten ihn ein, und er war sich nicht mehr so sicher, daß dies sein neuer Platz sein sollte, an den Gott ihn zu stellen gedachte.
Balian hatte das Bedürfnis nach Rat von seiner Mutter, wie er es immer erfleht hatte, wenn er verzweifelt war. Er sehnte sich nach Führung seines Gottes, aber der Wunsch nach Führung und seine ständigen Zweifel an der Fügung Gottes rangen in seiner Brust. Nach einer Weile wußte er, wo seine Fragen an Gott stellen konnte, wo er Nähe, Antworten, Erlösung und Friede für sich und sein Weib zufinden hoffte.

Bei einem alten Mann, Händler von kleinen Teppichen und Tonwaren, ging er in die Knie:

„Alter Mann, wo ist der Platz an dem Christus gekreuzigt wurde?" fragte er. Seine Stimme hatte einen sanften, hellen Farbton und eine hoffnungsvolle Nuance, die viel mehr zu ihm paßte und ihn so jung erscheinen ließ, wie er war, als der verhaltene und samtig vibrierende Klang, der sonst seiner Stimme zu eigen war und seinen Ernst und seine Zurückhaltung unterstrich.

Der alte Mann lächelte dem so freundlich Fragenden zu und zeigte mit seiner Hand über die Straße hinweg zu einem Hügel, auf dem eine kleine Kapelle mit einem Kreuz, weiß und weithin sichtbar, stand. Balian dankte ihm, richtete sich wieder auf und sah zu dem Platz hinüber, an dem er Erkenntnis zu finden hoffte. Er ging weiter und versuchte zunächst, sein Pferd zu verkaufen, was ihm nach einiger Mühe auch gelang. Er hatte nicht das Problem einen Käufer für das schöne Tier und seine Schabracken zu finden, sondern er verstand nicht, was ihm die Händler anbieten wollten oder was sie als Wert festlegten und so suchte er, bis er einen Mann gefunden hatte, der ein wenig fränkisch sprach. Mochte er letztlich hier auch weniger als bei anderen erhalten haben, so wußte er jetzt wenigstens den Wert der Münzen, die ihm der Mann für das Tier gab, und war so in der Lage, damit umzugehen.

Balian dachte überhaupt nicht mehr daran, nach dem Haus seines Vaters zu suchen. Für ihn war jetzt nur wichtig, dort am Berg Trost und Erbarmen für sich und seine unglückliche Frau zu erflehen. Mochte er auch seinen Glauben hinterfragen und zweifeln, seine geliebte Julie war stark im Glauben gewesen und würde auf einen gütigen Gott hoffen.

Er stieg den Hügel an und machte dabei einem Leprakranken, der ihm bergab entgegen kam Platz. Dieser dankte es ihm mit dem Gruß „Salam 'alaykum", der, wie Balian von Saif gelernt hatte bei jeder Begegnung ausgesprochen wurde. Wenn jemand einen Raum neu betrat genauso, wie wenn jemand zu einer, sich im Gespräch befindlichen Gruppe, hinzutrat. Seine Erwiderung mit „'alaykum as-Salam." war obligatorisch und es wurde als unhöflich erachtet, dies zu unterlassen. Balian hatte aber auch von Saif erklärt bekommen, daß die Art, wie man diesen Gruß sprach, viel darüber aussagte, welchen Wert und Bedeutung der Grüßende diesen Worten beimaß.

Während der Aussätzige an ihm vorbei ging, wurde es Balian bewußt, daß er sehr viele in der Stadt gesehen hatte und ihnen hier nicht mit soviel Abscheu und Gnadenlosigkeit begegnet wurde, wie in seiner Heimat. Dort mußten sich die Aussätzigen von allen menschlichen Ansammlungen fernhalten. Sie waren verpflichtet, eine Glocke mit sich zu tragen und diese zu läuten, wenn ihnen Gesunde auf dem Weg begegneten und auszurufen „Aussätziger auf dem Weg, Aussätziger!". Damit mußten sie alle warnen und hatten so kaum eine Möglichkeit auf menschlichen Kontakt. Brunnen durften sie nicht nutzen, nur wenn Gesunde gnädig waren und ihnen Wasser hinstellten, durften sie sich bedienen. Sie waren in ihrer Not alleine, und ihr Elend wurde durch das Verhalten der Menschen, denen sie begegneten, noch größer. Was Balian noch nicht wußte war, daß, wenn der Verfall der Aussätzigen soweit fortgeschritten war, daß sie sich nicht mehr unter den Gesunden verweilen konnten, die Aussätzigen in einer Höhlenlandschaft außerhalb von Jerusalem ihr Dasein fristeten und sie dort von Familienangehörigen oder Almosengebenden versorgt wurden. Aber solange sie noch die Kraft hatten, sich selbst zu versorgen und nicht als Bettler in der Stadt herumlungerten, wurden sie in der Stadt und an den heiligen Stätten geduldet. Wer sollte es ihnen verwehren, um Erlösung zu bitten?

Balian stieg weiter, blieb kurz unterhalb der Kapelle stehen, sah zu dem Kreuz auf und sprach ein Bittgebet für seine Frau. Dann setzte er sich nieder, legte seine Decke und sein Schwert ab, nahm das Kreuz von seinem Hals und hielt es in seinen Händen. Er sah über die Stadt hinweg und weit in das Land und war bald darauf in Gedanken und in Zwiesprache mit Gott versunken, und so saß er den restlichen Tag und die ganze Nacht und suchte nach Antworten auf seine Frage:

„Gott, was verlangst du von mir?"

Balian sah die vielen kleinen Feuer, die sich Pilger und Trostsuchende rund um diese Stätte am Hang dieses Hügels angezündet hatten. Er spürte den aufkommenden, sanften Wind, der seine Haare zersauste und die Kühle der Nacht, aber er blieb in Gedanken versunken. Er blickte zu den Sternen und fragte sich immer verzweifelter, warum Gott nicht zu ihm sprach. Und als der Morgen graute, sprach Balian ein letztes Gebet für das Seelenheil seines Sohnes und seiner Frau, die in der kühlen Erde von Frankreich, so weit in Zeit und Raum entfernt, begraben lagen. Dann küßte er das Kreuz und legte es in eine kleine Grube, die er mit bloßen Händen gegraben hatte und bedeckte es mit Steinen. Damit gab er von sich, was ihn noch mit der Heimat verband.

'Wie kannst du in der Hölle sein, wenn du in meinem Herzen bist?'

Mit diesen letzten Gedanken nahm er Abschied von seiner geliebten Julie und wandte sich wieder hinunter in die fremde Stadt, wo er seinen Weg in diesem fremden Land, dem Land seines Vaters, finden mußte.

Jerusalem, Stadt mit den engen Gassen und prachtvollen Kirchen, Moscheen und Minaretten. Balian schritt durch unzählige Torbögen und vorbei an langen Zügen von Ständen, die bedeckt waren mit Töpferwaren, Teppichen, mit für Balian fremdem Obst und Gemüse sowie Kräutern und Gewürzen. Der Duft dieser Gewürze lag in der Luft und überall fand er Myrrhe und Zimt. Die bunte Vielfalt dieser Stadt, und ihrer Bewohner, beeindruckten ihn sehr. Balian hatte seit der letzten Rast vor Jerusalem, nichts mehr gegessen. Das war nun schon fast zwei Tage1 her. Er schlenderte durch einen der vielen Basare in Richtung Innenstadt von Jerusalem. Er hatte Hunger, aber vielmehr brauchte er etwas zu trinken und er hatte schon erkannt, daß auf fast jedem größeren Platz, auf den immer eine Vielzahl von Gassen zuliefen, ein öffentlicher Brunnen stand. Dorthin war er auf dem Weg, ab und zu dabei die Waren der Händler genauer betrachtend und nach etwas Ausschau haltend, das er als Speise kannte.

Es waren bereits neun Tage ohne Nachricht über den Verbleib von Balian vergangen, seit André den Männern Godfreys die Nachricht von dessen Tod und die Informationen über seinen Sohn gebracht hatte.2 Aber es hatte sich ein Funken Hoffnung breit gemacht, denn seit nunmehr zwei Tagen war ein Gerücht in den Straßen Jerusalems zu vernehmen, das den Baron von Ibelin als Sieger aus einem Kampf mit einem syrischen Fürsten benannte. Um dieses Ereignis wurden allerlei Geschichten gesponnen. Geschichten um seinen Mut und seine Barmherzigkeit, sowie den Grund des Kampfes, aber es war nicht klar, wo und wann das passiert sein sollte und ob der junge Baron inzwischen nach Jerusalem gelangt sein konnte. Aber er schien zu leben und so schwärmten die Männer um Almaric jeden Tag in den Straßen von Jerusalem aus und hielten Ausschau nach einem Manne, auf den die Beschreibung des Hospitalers paßte, und der das Schwert und den Siegelring Godfreys bei sich trug. Almaric hatte sich vorgenommen, den jungen Mann, sollten sie ihn finden, nach der Augenfarbe seines Herrn zu fragen. Möglich war ja, daß der Kämpfer das Schwert als Fundstück nach dem Schiffsuntergang aufgelesen hatte und einer der Reisenden war, der sich nur als Ibelin ausgab. Die Augenfarbe seines Herrn hatte eine Eigenheit, die nur jenen auffiel, die ihm so nahe kamen, daß sie sehen konnten, daß die erste und bei flüchtigem Hinsehen augenscheinliche Farbe nicht Grün, sondern Blau war. Dies und die Beschreibung sollten ihm zunächst genügen. Der Hospitaler würde dann informiert werden und sicher Balians Person bestätigen.3

Es war schon um die Mittagszeit, als Almaric auf den jungen Mann aufmerksam wurde, der eine gefaltete Decke über der Schulter trug und ein Schwert mit einem Riemen auf den Rücken gebunden hatte, das Almaric nur zu gut kannte. Der junge Fremde, mit kinnlangem, dunkelbraunem, fast schwarzem, leicht gewelltem Haar, hatte eine schlanke und gut proportionierte Gestalt. Er war etwa einen Kopf kleiner als Almaric und schlenderte, immer wieder mal auf die Stände blickend, langsam in Richtung Brunnen, der von dem Händler aus, bei dem er sich gerade befand, hinter einem Torbogen schon zu sehen war. Almaric nahm an, daß der Fremde seinen Blick nicht bemerkt hatte. Obwohl er nur wenige Schritte entfernt war, stand er doch mit dem Rücken zu ihm, und so folgte er ihm langsam. Er gab Salem, der nicht weit von ihm entfernt war, ein Zeichen und weitere Männer in den Farben von Ibelin schlossen auf und folgten dem Mann, der vielleicht ihr neuer Herr war.

Balian war zwar nicht der Blick des Soldaten aufgefallen, aber er hatte die Farben seines Hauses erkannt. Ihm war aber auch aufgefallen, daß sich mehrere Soldaten seines Vaters in dieser Gasse aufhielten. Er war sich unsicher, wie er ihnen, nun da er endlich einen Anhaltspunkt in dieser großen Stadt gefunden hatte, begegnen sollte. Er blickte sich vorsichtig um und sah, daß sie ihm folgten. Er beschleunigte seinen Schritt unmerklich, ging zum Brunnen, legte seine wenige Habe auf den Brunnenrand und zog langsam das Schwert seines Vaters, sein Schwert, aus der Scheide und legte es sich an die Schulter, während die Soldaten einen Halbkreis um ihn schlossen und ihn dadurch an einer möglichen Flucht hinderten. Balian war müde und erschöpft, er hatte kein Interesse an einem Kampf, atmete tief durch und sah sich mit leicht gesenktem Haupt um. Wenn diese Männer ihn als Dieb betrachteten, hatte er keine Chance. Ein Riese von einem Mann mit einem kahlen Kopf, der seinen Vater sicher noch überragt hatte, stellte sich direkt vor ihn und war anscheinend auch der Anführer der Mannen. Neben ihm stand ein Mann, in Balians eigener Größe, der einen wilden, rotblonden Lockenschopf hatte und sicher mit diesen Haaren überall auffiel. Balian seufzte, was immer nun auch geschah, es würde so oder so über seine Zukunft entscheiden.

Almaric hatte den anderen Männern und Salem ein Zeichen gegeben, sich neben ihm aufzubauen und den Mann zu umkreisen. Er sah, wie der Fremde langsam das Schwert zog. Er tat dies mit Bedacht und zeigte dadurch, daß er es zur Verteidigung, nicht zum Angriff nutzen wollte. Almaric fiel zunächst auf, daß er es, ähnlich der lässigen Art von Godfrey, an seine Schulter lehnte, aber seine ganze Haltung zeigte keine Spur von Lässigkeit, vielmehr war sie angespannt und der Fremde wirkte wie eine Katze zum Sprung bereit. Almaric war klar, daß der junge Ibelin, auch wenn er die Farben seines Hauses erkannt hatte, nicht wußte, was er von den Männern seines Vaters zu erwarten hatte, und daß er sich, da er von dem Hospitaler keineswegs als Dummkopf oder zu gutgläubig beschrieben worden war, abwartend und abwehrbereit geben würde. Almaric war sich fast schon sicher, den richtigen Mann vor sich zu haben. Obwohl Almaric seine Jugend erstaunte, mußte er anerkennen, daß sein Verhalten vernünftig und bedacht war. Ein Dieb hätte versucht in der Menschenmenge unterzutauchen oder wäre frech auf die Männer zugegangen und hätte ihnen eine Mär von einem toten Mann, seinem Schwert und seinem Ring erzählt.

Als nun die Sekunden, in denen sie sich schweigend und abschätzend gegenüberstanden, verrannen, sprach Almaric ihn offen und direkt an:

„Ihr müßt ihn gekannt haben?"

Balian irritiert ob dieser knappen Frage als Ansprache gab nur ein widerwilliges „Was?" zurück.

„Ihr müßt Godfrey gekannt haben, da Ihr sein Schwert und seinen Ring tragt."

Stellte Almaric diesmal mehr fest, als eine Frage zu stellen und Balians Blick wirkte versunken, als er nur ein rauhes „Das habe ich." zur Antwort gab.

„Ein Mann meiner Größe?" fragte nun Almaric.

Balian blickte den Soldaten kurz an, dann machte er einen Schritt auf den Mann zu. Er wollte diese Frage nicht aufs Geratewohl beantworten, war er sich doch bewußt, daß hier auch seine Ehrlichkeit auf dem Prüfstand war. Balian trat die Stufe hinunter, die den Brunnen umgab und stand nun ebenerdig zu dem Riesen. Nun blickte er ihm, seitlich stehend, schräg von unten her an und schätzte die Größe. Etwas weniger hoch hatte er seinem Vater in die Augen blicken müssen, wenn er ihm gegenüberstand, also konnte die Größe in etwa stimmen. Balian nickte nur.

„Und mit grünen Augen?"

Almaric versuchte absichtlich, den jungen Mann in die Irre zu leiten, der bisher sehr ruhig, mit Bedacht, aber auch sehr verschlossen reagiert hatte. Er sah müde und mitgenommen aus, und aus seinem Gesicht sprachen Ernst und Anspannung, aber kein Groll oder Unmut ob der Fragen.

Nun schien es fast, als streckte sich der ganze Körper des Fremden, sein Kopf hob sich und seine Augen schienen weit in die Ferne zu gehen, an einen Platz, den sie nicht erahnen konnten, zu einem Moment, der diesem Mann viel bedeutet haben mußte. Und dann sprach Balian fest und bestimmt nur ein einziges Wort.

„Blau!"

Almaric sah seinen jungen Herrn fest an, blickte dann kurz in die Gesichter seiner Begleiter rechts und links und erwies Balian dann die Ehre, die ihm gebührte.

„Kommt mit uns, mein Herr" und er senkte dabei als Ehrerbietung sein Haupt und alle anderen taten es ihm gleich.

Balian blickte erstaunt in die Runde. Er hatte mit einer weiteren Befragung gerechnet und schon gar nicht erwartet, daß die Männer seines Vaters ihm Ehre erwiesen. Die Anspannung in ihm löste sich und als Almaric wieder sein Haupt hob, sah er in sanfte, rehbraune Augen, die ihn direkt ansahen. Was es war, konnte Almaric nicht sagen, aber er mochte diesen jungen Ritter und alle Godfrey gegenüber vorgebrachten Zweifel, waren hinweggewischt. Und obwohl sein junger Herr, der in etwa in seinem Alter oder eher etwas jünger war, nicht gerade wehrlos erschien und wohl nach den Gerüchten in der Stadt auch nicht war, hatte er augenblicklich den Wunsch, ihm zu dienen und ihn zu beschützen. Und ihm fielen wieder die Worte des Hospitalers ein:

‚... glaube mir, du wirst sehr schnell eines besseren belehrt werden.'

Almaric forderte seinen jungen Herrn auf ihm zu folgen, aber Balian steckte zunächst das Schwert wieder zurück in seine Scheide und wandte sich dem Brunnen zu. Er schöpfte sich selbst Wasser, nahm einen tiefen Schluck und goß sich den Rest des Eimers über sein Haupt. Balian war müde und erschöpft und das kühle Naß sollte ihm einige seiner Lebensgeister zurückbringen. Almaric war erstaunt, daß Balian nicht danach verlangt hatte ihm Wasser zu reichen. Es wäre als Herr sein Recht gewesen, aber er sagte nichts. Er dachte an die Worte Andrés:

'Balian ist anders, als man es erwartet und soviel mehr, als man erhofft.'

Er würde gespannt sein, wie anders Balian war und wollte ihm unvoreingenommen zur Seite stehen.

Balian wollte indessen schon seine Sachen wieder aufnehmen, als ihm ein Aussätziger auf der anderen Seite des Brunnens an einer Hauswand auffiel, der eine kleine Blechdose in seiner Hand hielt und den Arm in Richtung Brunnen ausgestreckt hatte. Balian trat zu ihm: „Salam 'alaykum, brauchst du Wasser mein Freund?"

Und der Aussätzige nickte, überrascht, daß der Mann ihn ansprach. „'alaykum as-Salam. Danke mein Herr, ja, wenn Ihr so gütig wäret."

Balian trat zurück zum Brunnen und schöpfte erneut Wasser, dann ging er zu dem Mann und füllte seinen Becher, den Rest füllte er in die Wasserflasche, die dieser dabei hatte."

„Ihr müßt Balian sein. Eurer Ruf als gütiger Christ ist unter den Moslems dieser Stadt in aller Munde."

Balian blickte den Mann erstaunt an. Er lächelte verlegen zurück und neigte leicht den Kopf zum Abschied.

Dann wandte er sich wieder seinen neuen Gefolgsleuten zu, die ihn alle mit einem etwas eigenartigen Blick maßen. Balian war zutiefst irritiert. Er war nie ein Führer oder Herr, und auch unter den Männern Godfreys in Frankreich war er nur, gleicher unter gleichen gewesen. Ihm war nicht bewußt, daß er die Herzen der Männer dort gewonnen hatte, und sie ihm jederzeit gefolgt wären, hätte er das Recht des Herrn für sich in Anspruch genommen. Und weil ihm dies nicht bewußt war, war ihm nicht klar, was diese Männer nun, von ihm erwarteten und wie er sich verhalten sollte.

Dagegen hatten Almaric, Salem und die anderen, trotz der Worte des Hospitalers erwartet, daß dieser Ritter, nachdem sie ihn als Herrn anerkannt hatten, in die Fußstapfen seines Vaters treten und der Herr sein würde. Aber Balian war anders. Er war nie in seinem Leben bedient worden, hatte um alles hart kämpfen und arbeiten müssen, war dankbar für jede Hilfe, die man ihm gab; er war bescheiden, was seine Person anging und sich demütig dessen bewußt, daß die Ehrung, die man ihm zuteil werden ließ, seinem Namen und damit seinem Vater galten, aber nicht ihm, der sie sich noch verdienen mußte.

Und so forderte er Almaric nun mit einem scheuen Lächeln dazu auf, vorzugehen und folgte ihm nach. Almaric unterdessen gab Salem ein Zeichen und dieser verstand auch ohne Worte und verließ den Trupp in Richtung Ordenshaus der Johanniter. Er würde versuchen, den Hospitaler André aufzufinden und ihn über Balians Ankunft zu informieren. André würde dann sicherlich den Statthalter und den König benachrichtigen, bevor er zum Haus von Ibelin kam. Balian fiel das Zeichen auf und auch, daß der Blondschopf die Richtung wechselte und sich entfernte.

„Sagt mir bitte Euren Namen und den des Mannes, der uns gerade verlassen hat. Ihr scheint mir der Hauptmann dieser Mannen zu sein und jener Soldat Eure rechte Hand."

Almaric war nicht schlecht erstaunt, daß Balian den Wink bemerkt hatte und er zudem die Weisungsverhältnisse in diesem Trupp bereits durchschaut hatte.

„Mein Herr, ich bin Almaric. Ich war Hauptmann Eures Vaters und werde auch der Eure sein, wenn Ihr es wünscht. Salem, der uns gerade verließ, war in der Tat der Zweite hinter dem verstorbenen Baron. Er hatte die Pferde und die Versorgung unter seiner Verantwortung, während ich für die Männer, die Ausrüstung und Waffenübungen zuständig war. Die uns begleitenden Männer sind Christoph, Johann, Faruq, Faisal und Bassim." und er wies bei jedem Namen auf einen Soldaten. „In Eurem Haus werdet Ihr noch den Verwalter und seine Familie hier in Jerusalem sowie weitere Soldaten, es sind im Augenblick fünfundzwanzig in Jerusalem, und Diener kennenlernen. In Ibelin kümmert sich Latif um das Anwesen und Majd-al-Din um die Sicherheit des Pilgerpfades. Bevor Euer Vater uns verließ, hinterließ er strikte Anweisungen, um bei seiner Rückkehr oder der Euren alles im Rechten vorzufinden. Wir alle, mein Herr, waren Eurem Vater treu ergeben und sind nun die Euren."

Balian schwieg zunächst dazu, er hatte den Eindruck, als hätte er damit, daß er Almaric nicht als seinen Mann angesprochen hatte, ihn in irgendeiner Weise beleidigt. Er dachte darüber nach, was alles an Informationen für ihn in der kurzen Erklärung steckte, die er von Almaric erhalten hatte. André hatte ihm schon von einigen Dingen berichtet und auch Pierre hatte sich nicht mit Informationen zurück gehalten. Dann entgegnete er der Antwort Almarics:

„Ihr sowie Salem, Latif und Majd-al-Din –„ und er bemühte sich den Namen auszusprechen, wie er ihn gehört hatte – „hattet das Vertrauen meines Vaters, sonst hätte er Euch die Verwaltung seiner Güter nicht übergeben und so soll es auch bleiben. Verzeiht, sollte ich Euch beleidigt haben."

Almaric sah seinen jungen Herrn überrascht von der Seite her an. Es war unüblich, daß ein Herr sich bei seinen Untergebenen entschuldigte. Godfrey hatte dies manchmal getan, wenn er in seiner Ungeduld jemanden ungerecht beurteilt oder behandelt hatte, aber dies war sehr selten.

„Mein Herr, es ist nicht an Euch, sich zu entschuldigen."

Balian schüttelte jedoch den Kopf:

„Doch, Almaric, ich mag der Sohn eines Adligen sein und durch den Ritterschlag Anspruch auf Gut und Titel und seine Wertschätzung haben, aber ich bin als einfacher Mann aufgewachsen und nicht von einen zum anderen Tag durch das Erbe zu einem besseren Menschen geworden, der über anderen und dem Anstand steht."

Damit schwieg Balian und überließ Almaric seinen Gedanken. Er blickte voraus auf das Gebäude, das am Ende des Weges stand, den sie nun schon seit einer Weile immer bergan beschritten. Almaric hatte einen der Männer vorgeschickt, damit alles für den jungen Herrn, der in seinen Augen dringend eines Bades und der Ruhe bedurfte, gerichtet war.


Anmerkungen

1> Bezug zum Film Nach der Begrüßung durch Tiberias sagt dieser: „In den Straßen wird erzählt, daß Ihr einen großen Fürsten Syriens im Kampf getötet hab. Salah-al-Din selbst schickte die Botschaft..." Demnach mußte Saif die Nachricht in den Straßen Jerusalems verbreitet haben und sehr rasch zu Salah-al-Din gelangt sein. Eher ist wahrscheinlich, daß Saif durch den Karawanenführer an der Oase bei der ersten Rast, Nachricht an Salah-al-Din schickte und dieser wiederum auch seine Leute (Spione) in der Stadt hatte. Information war ein wichtiges Gut.

2> Geht man davon aus, daß die rauhe See die Schiffsflotte, mit der Balian unterwegs war, mehrere Tage (statt 7 vielleicht 3 oder 4 Tage mehr) aufgehalten hatte und Balian nach seiner Strandung zwischen 5-6 Tage nach Jerusalem brauchte, er zudem nun schon wenigstens 2 Tage in der Stadt unterwegs war, mußte André seine traurige Botschaft ca. vor 9-10 Tagen überbracht haben. Er selbst hatte eine ruhige Überfahrt, wollte eine Woche später von Messina abreisen und hatte zwei Tage von Jaffa nach Jerusalem zu Pferd gebraucht. Demnach war er selbst ca. 9-10 Tage (längerer Seeweg als bis nach Akkon) unterwegs.

3> Almaric fragte Balian gar nicht nach seinem Namen und seine Fragen muten im ersten Augenblick eigentümlich an, aber sie waren sehr geschickt gestellt, denn wenn der Angesprochen die erste Frage bejahte, aber in der Beantwortung der zweiten und letzteren falsch gelegen hätte, wäre seine Unaufrichtigkeit erwiesen gewesen. Dann wäre als Interpretation nur geblieben, einen Dieb vor sich zu haben, der nicht Godfrey sondern Balian (Kopf kleiner als Godfrey) Schwert und Ring abgenommen hatte.


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