Disclaimer

Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.

Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.


Kapitel 12


Erwartungen

Balian wollte sich gerade André nähern, als ihn der Hauswesir ansprach und fragte:

„Mein Herr, erlaubt Ihr mir, Euch nun über Euren Besitz hier in Jerusalem zu informieren und Euch die Bücher vorzulegen? Ihr habt auch noch nichts gegessen, laßt mich für Euch auftragen."

Balian blickte den Wesir ernst an, für ihn war dies das erste Mal, daß er nun Rechenschaft von anderen für ihr Handeln mit seinem Gut einfordern mußte, und daß der Wesir ihn so rasch um eine Überprüfung bat, zeigte ihm, wie nervös der Hausverwalter war. Er fragte sich warum, oder ob seine gestrige Bemerkung über Sklaven damit etwas zu tun hatte, die schärfer ausgefallen war, als er es beabsichtigt hatte. Balian nickte und schickte den Wesir mit einer Handbewegung vor. Er selbst wandte sich aber erst noch zu André, der ihn noch immer lächelnd beobachtete.

„Mein Herr, es freut mich Euch wohlbehalten zu wiederzusehen", begrüßte André ihn denn auch fröhlich. Balian berührte diese Freude und er zeigte, was er viel zu selten sehen ließ: Ein richtiges offenes Lächeln, nicht verhalten, nicht scheu, und André liebte den jungen Mann dafür.

Balian erwiderte: „André, es tut gut Euch zu sehen. Ich hatte in dem Sturm, der unser Schiff untergehen ließ, nicht mehr damit gerechnet."

Und Andre gab zu:

„Ich", und er verbesserte sich, „Wir hatten uns wirklich große Sorgen um Euch gemacht, als wir von dem Untergang hörten. Ich bin, wie vorgesehen, eine Woche später auf ein Schiff gegangen und kam in Jaffa problemlos an. Als ich dort aber dann von dem Unglück hörte, konnte ich nicht glauben Euch verloren zu haben."

Balian blickte kurz zu Boden und sprach leise:

„Euer Glaube ist stark; ich wünschte, ich könnte meine Zweifel zum Schweigen bringen." Und dann blickte er André direkt an und fragte in einem ganz anderen Ton: „Ihr sagtet wir. Wen meintet Ihr damit?"

André lachte und bedachte Balian mit feixenden Augen:

„Sybilla, Schwester des Königs, den König selbst und Tiberias. Euer Vater war Ritter des königlichen Hauses. Glaubtet Ihr, er könnte so einfach sein Kind suchen, ohne daß er die königliche Familie davon in Kenntnis setzte? Er war dort geliebt und so sind sie alle sehr gespannt auf Euch. Als sie von dem Schiffsunglück durch mich erfuhren, war es der König, der von sich aus die Bekanntgabe des Todes Eures Vaters für zwei Monate aussetzte, um Euch, falls Ihr überlebt haben solltet, genügend Zeit zu geben, nach Jerusalem zu gelangen."

Balian sah André erstaunt an:

„Gespannt auf mich? Wer bin ich, daß die hohen Herrschaften ein solches Interesse an mir haben könnten? Selbst mein Vater wußte nicht, ob er mit einer Tochter oder einem Sohn gesegnet sein würde und ob dieses Kind überhaupt lebte, was für ein Mensch es sein würde und ob es mit ihm gehen wollte?"

Balian hatte damit genau die Situation umrissen, in der sich Godfrey vom König verabschiedet hatte. André merkte, daß Balian nicht glauben konnte, daß ihm, einem Bastard, wenn auch Herrn von Ibelin, eine solche Aufmerksamkeit zuteil werden sollte. Sein Vater hatte ihm gesagt, daß er dem König dienen würde, aber er hatte angenommen, als ein Ritter unter vielen.

André konnte die Gedanken ganz genau auf Balians Gesicht ablesen und deshalb gab er nun dem Sohn seines ehemaligen Waffengefährten die Erklärung, die dieser brauchte, um zu verstehen:

„Balian, Euer Vater war nicht nur irgendein Ritter Jerusalems mit eigener Baronie. Er war oberster Verwalter vieler Ländereien des Königshauses und vor allem war er der Lehrer, Freund und vielleicht auch so etwas wie ein Ersatzvater für die königlichen Kinder. Balduin und Godfrey teilten den Traum von einem Königreich des Gewissens, dem Leben im Einklang mit allen Kulturen und Konfessionen. Sie hofften darauf, Frieden unter den Menschen in Jerusalem zu schaffen. Tiberias lenkt für den kranken König das Reich und Godfrey sorgte für die Einhaltung der Gesetze auf den Pilgerwegen. In den letzten Jahren wurde das aber immer schwerer, weil die Ritter, welche neu in das Land kamen, mehr und mehr auf Macht und Gewinn aus waren und sind, und die Verteidigung des Glaubens als Vorwand dazu nutzen. Mein Freund, Ihr seid Godfreys Sohn" – und er verstärkte diese Aussage, in dem er anschloß – „nicht sein Bastard" – und fuhr fort: „Ihr seid der Sohn ihres Vertrauten und Lehrers, einem Mann, dem sie ihr Leben blind anvertraut hätten. Wie könnten sie da weniger Interesse an Euch haben?"

Balians Muskeln hatten sich bei dem Gehörten immer mehr verkrampft. ‚Was erwartete man von ihm? Sie kannten ihn doch gar nicht. Wie sollte er diese Erwartungen den erfüllen, ohne von vorneherein zum Scheitern verurteilt zu sein?' Und Balian blickte André mit den gleichen fragenden Augen an, wie am Lager seines Vaters nach dem Kampf im Wald, als er nach einer Antwort für seinen Glaubenszweifel bei André suchte. Und er atmete hörbar aus und fragte André:

„Wie können sie vom Vater auf den Sohn schließen und ihn, noch bevor sie ihn kennen, in einen Rang erheben, den er nicht ausfüllen kann? Wo er versagen muß? Was erwarten sie von mir?" Und es sprach fast Panik aus diesen Worten.

André blickte Balian lange und ruhig an bevor er antwortete: „Balian, Euch ist nicht bewußt wieviel von Eurem Vater in Euch steckt und dazu, wieviel mehr verborgen liegt. Euer Vater sagte Euch, Ihr werdet hier nicht nach Eurer Geburt, sondern nach Eurem Handeln beurteilt werden. Und glaubt mir, Sohn, wenn Ihr Euch treu bleibt, dann werdet Ihr nicht scheitern. Es zählen dabei nicht Siege oder Niederlagen, sondern der Weg dort hin und Eure Gründe für Euer Handeln."

Balian versuchte sich zu entspannen und nickte André dankbar zu. Er neigte den Kopf, wie er es immer tat, wenn er ihm zeigen wollte, daß er verstanden hatte. Und André teilte ihm mit, daß es der Wunsch des Königs sei, daß er sich zunächst erhole und um seine Angelegenheiten kümmere, bevor er im Palast vorstellig werde. Und so wandte sich Balian ab und ging in seine Räume, wo er den Wesir nun hatte lange genug warten lassen. Auf dem Weg zur Treppe sah er Almaric und bat ihn, mit ihm zu kommen. Almaric führte Balian zu dem Zimmer, in dem Godfrey den Geschäften nachgegangen war. Der Raum war gefüllt mit Papierrollen und gebundenen Papierstapeln. Der Wesir hatte eine Reihe von Papieren auf den großen Tisch in der Mitte des Raumes gelegt und daneben einen Teller mit Köstlichkeiten und Obst sowie einen Becher Wein gestellt. Balian nahm im großen Stuhl hinter dem Tisch Platz und bat Almaric und den Wesir sich ebenfalls zu setzen. Der Wesir war irritiert darüber, daß Almaric mit anwesend war. Wenn er seinem alten Herrn Rechnung ablegen mußte, war er mit diesem immer alleine. Balian merkte dies wohl und erklärte dem Wesir, ohne daß er dies nötig gehabt hätte:

„Verzeiht, wenn Euch die Anwesenheit von Almaric stört, aber ich brauche noch viele Antworten auf meine Fragen und wünsche, daß Almaric mir hierfür zur Verfügung steht."

Der Wesir neigte ergeben das Haupt, wollte aber gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als Balian ihn unterbrach:

„Ich bin Euch und Ihr mir fremd. Ihr hattet das Vertrauen meines Vaters, den ich aber nicht viel mehr kennenlernen durfte, wie ich dieses Land und seine Sitten bisher kenne. Nehmt mein Handeln deshalb nicht als Mißtrauen gegen Euch, sondern vielmehr gegen meine eigenen Möglichkeiten die Gegebenheiten richtig einzuschätzen. Je mehr Meinungen und verschiedene Sichtweisen ich erfahre, um so eher kann ich mir ein eigenes Bild machen und den leeren Platz, den mein Vater hinterlassen hat, ausfüllen."

Diese Erklärung überraschte den Wesir, aber keinesfalls mehr Almaric, hatte dieser doch schon die bedachte Vorgehensweise Balians kennenlernen dürfen. Aber seine Art, die Menschen, trotz möglicher anfänglicher Fehlentscheidungen, von vorneherein für sich einzunehmen, beeindruckte ihn sehr. Balian hatte ein untrügliches Gespür, wie er mit Menschen umzugehen hatte und er scheute sich nicht, Unwissenheit und Fehler zuzugeben, aber er machte auch deutlich, daß er dennoch der Herr war, der die Richtung vorgab und das Sagen hatte.

Der Wesir, nun merklich beruhigter, sah seinen Herrn an und nickte. Er gab kurze Erläuterungen zu den ersten Blättern mit Angaben zum Besitz des Hauses und schwieg dann, während Balian die feinsäuberlich aufgelisteten Zahlenkolonnen und Anmerkungen las. Ein wenig erstaunte dies sowohl den Wesir als auch Almaric, denn selbst ihr geliebter Herr Godfrey, der zwar lesen und schreiben konnte, war im Rechnen nicht so bewandert, daß er mit den vielen Zahlen etwas anfangen konnte. Aber Balian stellte gezielt Fragen und daran erkannten beide, daß ihr junger Herr durchaus in der Lage war, die Buchführung und die verschiedenen Angaben in ihrem Verhältnis zueinander zu verstehen. Am Ende stand dann noch die Liste der Sklaven, ihre Schuld und ihre Ableistung. Balian preßte die Lippen aufeinander und Almaric konnte sehen, wie sehr Balian dieses Thema berührte. Balian hatte nebenher etwas gegessen, aber tunlichst darauf geachtet, nicht mit der Hand, die das Essen berührt hatte, das feinsäuberlich beschriebene Papier zu beflecken. Dem Wesir war diese Achtung seiner Arbeit durchaus nicht entgangen. Nun wischte sich Balian die Finger an einem bereitgelegten Tuch ab und griff zum Kelch. Als er den Wein schmeckte, verzog er das Gesicht und der Wesir blickte erstaunt:

„Ist der Wein nicht gut mein Herr, soll ich einen anderen bringen lassen?", fragte der Verwalter. Aber Balian lächelte nur und schüttelte den Kopf.

„Nein, der Wein ist köstlich, nur wäre mir Wasser oder ein anderes Getränk jetzt lieber."

Almaric schmunzelte, immer mehr wurde das Bild des Wesens seines Herrn deutlicher. Es waren diese vielen kleinen Begebenheiten oder Äußerungen, die zeigten, wie sehr sich Balian von allen anderen Rittern unterschied, die Almaric kannte, einschließlich seines verstorbenen Herren Godfrey. Balian hätte nur befehlen müssen, daß ihm ein anderer Trunk gereicht wurde, aber statt dessen wies er nur bescheiden auf seinen Wunsch hin. Almaric stand auf, ging zur Tür und rief einen der persönlichen Diener zu sich. Er beauftragte ihn, Tee für den Herrn zu holen und kam dann wieder zum Tisch zurück, an dem sich Balian immer noch mit der Liste der Sklaven beschäftigte. Balian war inzwischen klar geworden, daß er dieses Problem würde nicht so leicht lösen können, aber auf Dauer war er nicht gewillt, diese Regelung aufrecht zu erhalten. Es mußte einen anderen Weg geben. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah dem Wesir in die Augen, dann nickte er und entließ den Wesir, der etwas verstört war, daß er ohne konkrete Aussage von seinem Herrn fortgeschickt wurde. Er verneigte sich und ging zur Tür. Diese hatte er fast erreicht, als Balian seine Unfreundlichkeit auffiel und er den Wesir anrief. Der drehte sich um und sah ihn erwartungsvoll an.

„Wesir, Ihr hattet das Vertrauen meines Vaters und Ihr habt das meine. Ich danke Euch für Eure Arbeit und Loyalität. Verzeiht meine Unhöflichkeit." sprach Balian nicht laut, aber klar und deutlich. Er blieb dabei ernst und kein Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht, aber sein Blick war milde und sein Gesichtsausdruck sanft. Und der Wesir, beruhigt und von den Worten Balians angetan, verneigte sich vor ihm und ging. Der junge Herr wußte, was sich gehörte, und er war klug genug zu erkennen, wer ihm ehrlich diente. Der Wesir dankte Allah für den Segen eines solchen Herrn, der ohne Mühe würde das Erbe seines Vaters antreten können. Die Familie des Wesirs war schon sehr lange dem Hause Ibelins verbunden und es freute ihn von Herzen, daß sich daran nichts ändern würde.

Mittlerweile wurde Balian der Tee gereicht, nach dem Almaric geschickt hatte, und er probierte dieses eigenartige, etwas grünliche und warme Getränk. Der Geschmack war angenehm und obwohl es warm war, hatte es einen erfrischenden Charakter. Dann lehnte er sich mit einem Lächeln und dem Glas in der Hand im Stuhl zurück und betrachtete seinen ersten Mann. Schließlich fragte er ihn geradeheraus:

„Was geht Euch durch den Kopf, Almaric? Werde ich den Erwartungen von Euch und den Bediensteten gerecht, oder gibt es etwas, bei dem ich Fehler mache, von dem ich erwarte, daß Ihr es mir sagt?"

Almaric war von dieser Frage nicht überrascht. Er hatte sie sogar fast erwartet und so brauchte er auch nicht lange zu überlegen, was er antworten wollte:

„Mein Herr, da gibt es nichts zu sagen. Ich hatte recht, als ich Euch sagte, Eure Leute werden Euch lieben. Ihr seid gewissenhaft, ehrlich und gerecht. Was soll man sich von seinem Herrn mehr wünschen? Es gibt noch viel, was Ihr nicht kennt, aber ich habe keine Zweifel, daß Ihr damit zurecht kommen werdet." gab Almaric seine Gedanken preis.

Balian blickte seinen Hauptmann lange und nachdenklich an und antwortete schließlich nur: „Danke".

Dann stand er auf und begab sich zu André.

„Ich denke, ich sollte mich beim Statthalter vorstellen, und wenn er es für richtig hält, auch beim König." äußerte er sich dann gegenüber André. Der Johanniter nickte, meinte aber dann:

„Ihr solltet Euch anders kleiden. Ihr werdet Euch als ein Ritter Jerusalems, Baron von Ibelin, einfinden und vorgestellt werden. Da ist es nur angebracht, wenn Ihr auch als Ritter gewandet, gekleidet in die Farben Eures Hauses, auftretet."

Und Balian bat André ihn in seine Räume zu begleiten, wo ihn seine persönlichen Diener mit einem entsprechenden Unterkleid, einem goldbestickten, nachtschwarzen Oberkleid aus Samt, dem Kettenhemd und dem Überwurf in den Farben derer von Ibelin kleideten. Balian überraschte das Gewicht. Er hatte in Frankreich schon mal das Kettenhemd seines Vaters getragen und darin Schwertübungen vollzogen, aber dieses hier war anders. Er blickte André fragend an und setzte sich erst mal. Andre, der ihm die ganze Zeit zugesehen hatte und in einem Stuhl ihm gegenüber sitzend nebenbei Obst naschte, fiel dies auf. Er konnte sich denken, was Balian eigentlich fragen wollte.

„Dieses Kettenhemd ist ein vollwertiges Kampfhemd1. Das, was Ihr in Frankreich getragen habt, ist ein Schutzhemd. Es dient bei Reisen zur Sicherheit. Wenn Ihr aber bewußt in einen Kampf zieht, ist dieses Kettenhemd aus stärkeren Gliedern besser zu Eurem Schutz geeignet." erklärte deshalb der Hospitaler.

Balian blickte zweifelnd. Bei dem Gewicht war man erschöpft, bevor der Kampf wirklich hart wurde. Wie sollte man da noch gewandt agieren.2 Balian entschied für sich, daß dies das einzige Mal sein würde, daß er dieses Kettenhemd tragen würde.

André konnte mittlerweile seine Neugierde nicht mehr im Zaum halten und so fragte er ihn endlich:

„Und wie gefällt Euch Jerusalem?"

Balian schwieg einen Moment, wußte er doch, daß André ihn nicht nach seinen Eindrücken von der Stadt fragte, sondern danach, wie es um seinen Glauben und seinen Frieden stand. Dann antwortete er:

„Gott spricht nicht mit mir. Nicht einmal auf dem Hügel, auf dem Christus gestorben ist."

André zog die Stirn fragend in Falten.

„Ich fürchte Gott hat mich verlassen." setzte Balian nach.

„Das habe ich nicht gehört." erwiderte Andre, der sich damit auf die Geschichten bezog, die sich bereits um Balian rankten. Aber Balian blickte ihn resigniert an:

„Wie dem auch sei. Wie es scheint, habe ich meine Religion verloren."

Darauf reagierte André eindringlicher, als man es von ihm gewohnt war:

„Ich bin kein Freund von Religionen. Ich habe erlebt, wie der Wahn von Fanatikern jeder Konfession als Wille Gottes bezeichnet wurde."

Balian, der sich inzwischen erhoben hatte und von seinen Dienern, die bislang schweigend darauf gewartet hatten, gegürtet wurde, blickte seinen Freund ernst an und schwieg zu dem Gesagten.

„Heiligkeit liegt in der gerechten Handlung und im Mut, dies auch im Namen jener zu tun, die sich nicht selbst verteidigen können." fuhr André fort. Balian hob den Kopf und seine Augen fixierten André. Er glaubte, mehr als je zu verstehen, was André und sein Vater versucht hatten, ihm auf der Reise nach Messina zu vermitteln.

„Und Güte." setzte André hinzu, stand auf und ging zu Balian. Er ließ sich Zeit mit dem Weitersprechen um die Worte bei Balian sacken zu lassen.

„Das was Gott begehrt, ist hier und hier." vertiefte der Hospitaler das Thema und zeigte dabei mit einer Handhaltung, die dem Segen eines Priesters gleich kam, nacheinander auf Balians Stirn und Herz.

„Das was Ihr entscheidet zu tun, jeden Tag, macht Euch zu einem guten Menschen." fuhr er fort. Mit einem Mal war der Ernst von Andrés Gesicht verschwunden und er lächelte verschmitzt und fügte hinzu: „Oder auch nicht."

Dann forderte er Balian auf ihm zu folgen. Es war an der Zeit, ihn zum Palast zu geleiten.

Balian und André ritten durch die Stadt, die Balian die Tage zuvor zu Fuß auf der Suche nach seinem Heim erkundet hatte, aber je näher sie der Residenz des Statthalters kamen, desto unübersichtlicher und hektischer wurde die Menge der Menschen auf der Straße, und Balian fragte sich schon, was hier vorging. Eine Antwort auf diese Frage sollte er rasch erhalten. Als sie in den Hof der Residenz einritten, sah Balian, daß eine Hinrichtung von Templern bevorstand. André hielt sein Pferd etwas abseits des Schauspiels an und stieg ab. Balian folgte ihm und ihre Pferde wurden sogleich von Bediensteten zu den Stallungen fortgeführt. Und nun erhielt Balian von André eine Erklärung für den Vorgang, der sich vor ihren Augen abspielte:

„Der König versucht seit sechs Jahren Frieden in Jerusalem zu wahren und die Stadt für alle Gläubigen jeder Konfession offen zu halten. Diese Templer haben gegen sein Gesetz verstoßen und Moslems getötet." erläuterte der Hospitaler und zog sich dabei die Lederkappe, die er unter der Kapuze seines Kettenhemdes trug, vom Kopf. Balian blickte zu der Hinrichtungsstätte hinüber und erwiderte trocken:

„Dann sterben sie für etwas, das ihnen der Heilige Vater befohlen hat."

Sie gingen dabei unter den Arkaden entlang, die sie in Richtung Amtssitz des Statthalters führten. André hielt Balian für einen Moment auf und blickte zum Vollzug hinüber. Und während die Verurteilten gehängt wurden, meinte André:

„Ja, aber dies war sicher nicht im Sinne Christus oder des Königs."

Balian sagte dazu weiter nichts. Ihn berührte der Tod dieser Männer nicht sonderlich, hatte er doch die überhebliche Art eines Templers mit Namen Guy de Lusignan schon kennengelernt und auch deutlich von diesem seine Gesinnung mitgeteilt bekommen. Wenn alle Templer so dachten, hatten es der König und sein Statthalter nicht leicht, Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten. Balian hielt mit André Schritt, als dieser durch einen weiteren Innenhof auf das Vorzimmer des Statthalters zusteuerte. Der Innenhof war mit einem Baldachin überspannt, der in einem kleinen Teil des Hofes rund um einen Brunnen so für Schatten sorgte. Hier hielten sich die edleren der Bittsteller oder wegen sonstiger Geschäfte Wartenden auf. Die Anlaufstelle zum Statthalter dagegen war deutlich an der Schlange von Bittstellern und Beschwerdeführern zu erkennen, die von Ordnungskräften zurückgehalten wurden, die zunächst ihre Eingaben aufnahmen. Sie mußten in der prallen Sonne verweilen, während die Schreiber ihrer Tätigkeit im Schatten der den Innenhof umgebenden Arkaden nachgingen.

André beachtete diese Menschenmenge überhaupt nicht und ging direkt zum Vorsteher und bat darum, dem Statthalter seine Ankunft und die des Barons von Ibelin mitzuteilen. Balian war unterdessen zu einem Tisch mit einem Modell der Stadtmauer Jerusalems getreten und hatte die Sturmtürme, die dort aufgestellt waren, in Augenschein genommen. Rasch hatte er ihren Aufbau erkannt und auch ihre Schwäche entdeckt. Zu diesem Zeitpunkt konnte er noch nicht ahnen, wie wichtig dieser kurze Blick auf die Kriegsmaschinen für die Erstürmung von Stadtmauern noch für ihn werden würde. Und noch während er das Modell des Turmes zurückstellte, betrat auch schon Tiberias den Raum, um seinen Freund und den Sohn seines engsten Waffengefährten zu begrüßen. Sie hatten nicht lange warten müssen, denn Tiberias hatte gerade seinen letzten Disput mit dem Templer Reynald de Châtillon beendet, der sich wieder einmal geschickt aus der Schlinge aus Anschuldigungen von Plündereien und Morden, die durch die Muselmane vorgebracht wurden, gezogen hatte. Irgendwann würden die Beweise genügen und de Châtillon würde seine gerechte Strafe erhalten, aber noch war es nicht soweit. Tiberias schob die unerfreulichen Gedanken an Reynald von sich und stürmte regelrecht ins Vorzimmer, wo André mit dem Jungen wartete. Aber da stand kein „Junge", da stand ein sehr ernst blickender, stattlicher junger Ritter, der so viele Merkmale seines Vaters trug, daß es Tiberias einen Moment die Stimme verschlug. Nach einem kurzen Zögern begrüßte er dann Balian in seiner typisch direkten und alles von vorneherein klarstellenden Art:

„Du bist deines Vaters Sohn. Er war mein Freund. Ich werde der deine sein."

Dabei legte er kurz seine Hände an beide Oberarme von Balian und drückt diese zum Gruß. Er nickte André zu und wandte sich auch schon wieder ab und rief ihnen nur noch zu: „Kommt!"

Er führte sie in sein Amtszimmer, wo sie etwas mehr Ruhe hatten und ging zum Tisch mit der Karaffe, füllte Wein in drei Becher und gab etwas Zimt dazu. André setzte sich in den nächsten freien Stuhl. Balian, seinen Helm unter dem Arm tragend, blieb stehen und schwieg, wie es seine Art war, obwohl er tausend Fragen hatte. Während Tiberias zu der Karaffe ging, setzte er bereits zu einem Gespräch an:

„In den Straßen von Jerusalem sagt man, du hast einen großen Fürsten von Syrien getötet. Salah-al-Din selbst schickte die Nachricht, daß der Kampf gerechtfertigt und du Grund dazu hattest. Was weißt du über Salah-al-Din?", beendete Tiberias seine Hinführung zu dem, was ihn eigentlich interessierte: ‚Wer war dieser junge Ritter, was war er?'

Wie es seiner direkten Art entsprach, wollte er dem jungen Ibelin gleich auf den Zahn fühlen und sich ein Bild von seinem Charakter machen. André hatte viel von ihm erzählt. Er war fast ins Schwärmen bei seinen Berichten gekommen, aber Tiberias war etwas nüchterner und wollte selbst erfassen, aus was für einem Holz der Junge gemacht war. Balian entgegnete ihm:

„Ich weiß, er ist der Heerführer der Sarazenen, und er hat dieses Königreich umzingelt."

Tiberias reichte er zunächst André und dann Balian den Becher, den dieser aber mit einem kurzen Kopfschütteln ablehnte. Dabei umriß er knapp Salah-al-Din's Verhältnis zu Jerusalem:

„Salah-al-Din hat alleine in Damaskus zweihunderttausend Mann. Er könnte einen Krieg gewinnen, wenn er ihn wollte." führte er mit einem Unterton der Entrüstung aus, der sich aber nicht gegen die Sarazenen richtete, sondern gegen christliche Ritter, wie seine nächste Anmerkung bewies: „Und es wird ihm jeden Tag zu diesem Krieg Anlaß gegeben von Ritterbastarden wie diesem falschen Reynald de Châtillon. Salah-al-Din und der König würden alleine zusammen eine bessere Welt schaffen." sprach Tiberias resigniert.

André, der unverbesserliche Optimist, meinte dazu nur:

„Und wenn sie nur kurz dauerte, so hat sie doch existiert."

Tiberias warf seinen Kopf in einer etwas unwirschen Geste zurück und ging wieder zu seinem Schreibtisch. An diesen gelehnt blickte er dann Balian fest an und fragte schließlich:

„Was hat dir dein Vater über deine Pflichten erzählt?"

Er war sehr gespannt, was Balian nun antworten würde und er brauchte nicht lange darauf zu warten.

„Daß ich ein aufrechter Ritter sein soll." Mehr sprach Balian nicht. Tiberias blickte einen Moment versonnen auf den jungen Ritter und sprach dann mehr zu sich selbst als zu seinen Gästen:

„Hoffen wir, daß die Welt," – er hielt einen Moment inne und sprach dann bedächtiger weiter – „und Jerusalem, bereit sind für einen" – und abermals ließ er das Wort auf den Lippen ruhen – „vollkommenen Ritter."

Eine eigentümliche Stimmung lag plötzlich in der Luft. Tiberias versonnen und fast schon andächtig auf Balian blickend, lauschte seinen eigenen Worten nach. Und André sah hoch, blickte seinen alten Freund an, der in diesen einen Satz die ganzen Erwartungen und Hoffnungen, aber auch die Schwierigkeiten dieser Zeit um Jerusalem, gelegt hatte und dieses schwere Paket ohne weitere Erklärungen an den in seinen Augen womöglich vollkommenen Ritter weitergereicht hatte. Dann sah der Hospitaler zu Balian auf, der an seiner Seite fast regungslos stand. Dieser sah ernst und gefaßt aus und André spürte, wie schon oft, Balians Integrität und die Ruhe, mit der er diese Worte Tiberias ohne Erwiderung annahm. Die Augenblicke der Stille und des Schweigens zwischen diesen Männern gaben diesem Moment etwas Mystisches, Erhabenes.

Dann schüttelte Tiberias plötzlich seinen Kopf und machte sich frei von dieser eigentümlichen Atmosphäre, die sich plötzlich zwischen ihnen entsponnen hatte. Er drehte sich abrupt um und war dabei das Zimmer zu verlassen, als er ihnen noch zurief:

„Habt ihr schon gegessen? Kommt!"

Und der Hospitaler und Balian folgten dem Statthalter durch den Palast in einen abgeschlosseneren Innenhof. Hier war für Speise und Trank gesorgt und einige andere geladene Würdenträger waren für das Mittagsmahl bereits versammelt. Tiberias winkte einige Bedienstete zu sich und wies sie an, André und Balian beim Ablegen ihrer Waffen und des Waffenrockes zu Diensten zu sein. Während je zwei Diener dieser Aufforderung folgten, gingen weitere und holten für die Herrschaften Obergewänder, die sie auf den Kettenhemden, die nicht abgelegt wurden, tragen konnten. André nahm sich eine schwarze Kutte, während man Balian ein azurblaues Gewand mit feinen goldenen Stickereien reichte. Nachdem sie es sich so etwas bequemer für das Essen gemacht hatten begaben sie sich an der Seite von Tiberias zu Tisch. Sie waren schon beim Essen, als plötzlich das Erscheinen von Sybilla, Prinzessin von Jerusalem und ihrem Gemahl Guy de Lusignan angekündigt wurde. Sybilla, wunderschön und reich gewandet, in mehrere Kleiderlagen aus feinster Seide gehüllt und mit Juwelen behangen, schritt erhaben an der Seite ihres Prinzgemahles, der in den Farben der Templer gekleidet war.

Sybilla wurde von ihrem Gemahl an ihren Platz am Kopf der Tafel geführt, wo ein Diener den Stuhl für sie bereits ein wenig zurecht gerückt hatte. Mit einem Lächeln und einem Nicken begrüßte sie die Anwesenden und ihr Blick traf dabei auch Balian, der sie nun, als er wußte, wer sie war, nachdenklich musterte. Guy de Lusignan nahm links von Sybilla Platz und saß damit Tiberias gegenüber, an dessen Seite Balian Platz genommen hatte.

Tiberias begann das Gespräch am Tisch damit, daß er Guy de Lusignan danach fragte, ob er in Frankreich erfolgreich Ritter werben konnte. Und dieser antwortete Tiberias schnippisch:

„Ja, achtzig."

Tiberias hakte nach:

„Und sie haben dem König die Treue geschworen?"

Und Guy de Lusignan, der demonstrativ Tiberias nicht ansah, sondern sich mit dem Essen beschäftigte, antwortete:

„Ja, selbstredend." Dabei blickte er auf und entdeckte Balian, der seinerseits Guy bislang nicht beachtet hatte.

„Du sitzt an meiner Tafel!" sprach Guy affektiert aus. Balian blickte auf und erwiderte ganz ruhig:

„Ist das nicht die Tafel des Königs?"

Guy, der den jungen Ritter nicht leiden konnte, beantwortete diese Frage mit einer Gegenfrage:

„Ist sie das? Ich habe seit Jahren keinen König mehr an ihr gesehen."

Und er setzte bewußt beleidigend nach und sprach zu Tiberias mit einem Kopfnicken in Richtung Balians:

„In Frankreich hätte so einer kein Recht auf ein Erbe, aber hier gelten keine zivilisierten Regeln."

Und mit einem Grinsen in die ganze Runde stand er dann auf und äußerte: „Ich mag nichts mehr essen. Ich bin wählerisch, was meinen Umgang angeht. Ich habe im Osten zu tun." Dann stellte er sich hinter Sybilla, streichelte ihr demonstrativ vor allen den Nacken und sprach in die Runde:

„Meine Frau stört meine Abwesenheit nicht. Sie ist entweder die allerbeste, oder die allerschlimmste aller Frauen." nahm noch einen Schluck des Weines und wollte sich zum Gehen wenden.

Tiberias, der sich während der Beleidigung der Prinzessin erhoben hatte, rief ihn aber nochmals an und Guy drehte sich um.

„Werdet Ihr Euch mit Reynald treffen?" fragte Tiberias.

Und Guy tat ganz entrüstet:

„Nein, mein Herr. Ich bin ein ehrenwertes Mitglied dieses Hofes. Warum sollte ich mich mit einem Unruhestifter wie ihm treffen?" fragte er nun seinerseits in einem Ton zurück, als könnte er den Grund dieser Frage nicht verstehen. Dann nahm er den letzten Schluck aus seinem Becher und warf ihn einem Bediensteten zu.

Tiberias, der die bedrückte Stimmung nach diesem Wortwechsel wieder lösen wollte, hob seinen Becher und griff die Worte Guys auf und verwendete sie als einen Trinkspruch auf die Prinzessin:

„Auf die allerbeste aller Frauen."

Und ein jeder erhob sein Becher und trank zu Ehren der Schwester Balduins. Sybilla erwiderte den Gruß auf Arabisch, in dem sie ihn zu Ehren Jerusalems zurückgab. Kaum hatten sie ihre Becher wieder abgestellt, kam ein Diener zu Tiberias und teilte ihm mit, daß der König nun den Sohn Godfreys kennenlernen wollte. Tiberias wollte schon aufstehen und mit Balian durch den Palast gehen, als ihn die Prinzessin zurückhielt und sich selbst als Führerin anbot.

Sybilla ging mit Balian durch unzählige Gänge, und Balian war beeindruckt von der Pracht der Einrichtung auch hier auf den Fluren. Edle Holzschnitzereien, prächtige Teppiche und monumentale Mosaikornamente an den Wänden. Balian fühlte sich hier fehl am Platz, und er ging eine ganze Weile schweigend neben der Prinzessin einher. Schließlich faßte er sich ein Herz und sprach Sybilla an:

„Heute morgen sprach ich, ohne zu wissen, wer Ihr seid."

Sybilla lächelte ihn an und erwiderte:

„Ich wußte, wer Ihr seid. Ich liebte Euren Vater und ich werde Euch lieben."

Balians Verwirrung wuchs und er lächelte die Prinzessin auf diese Worte hin scheu an. Sybilla, die Balians Zurückhaltung durchbrechen wollte, fragte ihn:

„Fürchtet Ihr Euch, hier mit mir zu sein?"

Einen Moment zögerte Balian, dann antwortete er aber in seiner wortkargen Art mit einer sanften und leisen Stimme:

„Nein" – er ließ ein paar Augenblicke verstreichen und fügte dann noch hinzu: „Und Ja". Balian sah dabei die Prinzessin kurz von der Seite her an und blickte dann wieder geradeaus auf ihren Weg. Er war schweigsam und zurückhaltend, auch ehrerbietig, aber nicht unterwürfig oder eingeschüchtert. Sybilla faszinierte dieser junge Mann sehr und sie lachte bei seiner Antwort auf und blieb bei einer Mitteltüre des Ganges stehen. Balian wandte sich ihr zu.

„Eine Frau in meiner Position hat zwei Gesichter. Eins, das sie der Öffentlichkeit zeigt, und eines das sie verbirgt. Für dich werde ich nur Sybilla sein."

Balian hatte sie dabei, ohne nur einmal seinen Blick aus ihrem zu lösen, angesehen und seine tiefbraunen Augen von ihm erinnerten Sybilla an süßen dunklen Kaffee, ebenso eine Versuchung wie der Mann, der ihr gegenüberstand. Balian wirkte in dem Gewand, das er trug, edel und zurückhaltend, wie seine ganze Körpersprache war; männlich und präsent, wie sie es noch nie bei einem Mann in seinem Alter gesehen hatte. Seine ganze Aura strahlte gleichzeitig Sanftmut und Stärke aus und sein Gebaren Ruhe und Gelassenheit. Als sie ein Geräusch an der Türe hörte, die sie soeben passiert hatten, wandte sie ihren Kopf in die Richtung und nahm mit einem Blick die Wache Tiberias' wahr, die sich rasch wieder zurückzog. Sybilla flüsterte Balian zu:

„Tiberias hält mich für unberechenbar." Und verschwörerisch bestärkte sie: „Ich bin unberechenbar."

Dann ging sie durch die Türe und Balian wollte ihr folgen, aber Sybilla zeigte ihm, daß er ab hier alleine den anderen Weg zu nehmen hatte.

Balian blickte in die Richtung, in welche die Schwester des Königs zuvor gezeigt hatte. Dies war nicht seine Welt, aber er war der Erbe Ibelins und nun mußte er sich alleine seinem Souverän stellen. Er atmete tief durch und ging dann durch eine weitere Türe und folgte den Arkaden, in denen ihm Bedienstete den Weg mit Fackeln erhellten, da der Tag schon fortgeschritten war und die Schatten in den Räumen tiefer wurden. Dann trat er durch eine weitere Türe, und befand sich in Räumen in Lapislazuliblau, das von den Wänden als prachtvolle Mosaiken strahlte. Ornamente in Gold und seidene, weiße Vorhänge mit goldenem Gewirke, einem Marmorboden, der glänzte, als wäre er feucht, und der von einer Farbe warmen Ockers war, ließen Balian tief beeindruckt langsamer als vorher weitergehen. Die Räumlichkeit schien sich unendlich hinzuziehen, aber dann wurde er einer Gestalt in Weiß an einem riesigen Tisch mit unzähligen Papieren gewahr. Langsam trat er näher. Balian machte dabei kaum ein Geräusch, wollte er doch die Gestalt, die dort am arbeiten war, nicht erschrecken. Balian von Ibelin war sich sicher, daß vor ihm sein König saß. Jener Herrscher, dem schon sein Vater gedient hatte und von dem Balian nur wußte, daß dieser den Frieden und die Freiheit des Glaubens liebte. Er blieb in einem angemessenen Abstand stehen und überschritt die letzte Grenze, einen etwas zur Seite zusammengerafften Vorhang aus durchscheinender Seide, nicht.

Obwohl Balian sehr leise war, mußte ihn der König gehört haben, denn er rief:

„Kommt näher!" Und mit einer freudigklingenden und festen Stimme sprach er weiter ohne sich umzudrehen:

„Ich freue mich Godfreys Sohn kennenzulernen."

Der König schrieb währenddessen fertig, was er in Bearbeitung hatte.

„Er war mein liebster Lehrer. Und er war es, nicht die Leibärzte meines Vaters, der, als ich mir beim Spiel mit den anderen Kindern den Arm verletzte, bemerkte, daß ich keinen Schmerz empfand. Er weinte, als er meinem Vater die Nachricht überbrachte, daß ich Lepra habe."

Bei diesen Worten legte er die Feder aus der Hand, stand auf und wandte sich an Godfreys Sohn. Langsam kam er näher. Er war in ein weißes Gewand ähnlich einer Kutte gehüllt und trug eine silberne Maske, die wirkte, als wäre sie mit Leben erfüllt. Er schlug die Kapuze zurück, die bisher sein Haupt umhüllte hatte und während er langsam auf Balian zuschritt, sprach er weiter:

„Die Araber glauben, daß meine Krankheit eine Strafe Gottes wider unsere Eitelkeit sei und sie glauben, daß – so elend wie ich bin – meine Qualen in der Hölle noch viel länger dauern werden. Wenn dem so ist, nenne ich es unfair."

Balduins Stimme hatte einen hellen und metallenen Klang, war aber mild und mit einer Spur Ironie versetzt. Balian hatte den König, der nun direkt vor ihm stand, die ganze Zeit direkt angeblickt. Er hatte sich weder als Zeichen seiner Achtung und des Respekts verbeugt, noch hatte er zum Gruß den Kopf geneigt. Sein Blick war fest auf den König gerichtet und dieser sah in Balians Augen kein Zeichen von Despektierlichkeit noch Widerwillen gegen den leprakranken König.

„Kommt! Setzt Euch zu mir."

Und der König wandte sich zu einem kleinen Tisch, auf dem ein aus Elfenbein geschnitztes Schachspiel stand und setzte sich nieder. Balian folgte ihm und wartete, bis der König Platz genommen hatte, bevor er selbst sich auf dem zweiten Stuhl niederließ.

„Als ich sechzehn Jahre war, errang ich einen großen Sieg. Damals glaubte ich, ich würde hundert Jahre alt. Heute weiß ich, daß ich nicht einmal dreißig werde." sprach Balduin weiter zum jungen Ibelin. Dann beugte er sich über das Schachspiel und sprach weiter:

„Wißt Ihr, keiner von uns kann sich sein Ende aussuchen. Ein König mag einen Mann fordern, ein Vater Anforderungen an seinen Sohn haben, aber seid Euch bewußt, auch wenn Ihr von einem König oder einem anderen Mächtigen gefordert werdet: Eure Seele gehört nur Euch. Und wenn Ihr vor Gott steht, könnt Ihr nicht behaupten Ihr habt so oder so gehandelt, weil man es Euch befohlen hat, und daß in diesem Moment Tugendhaftigkeit nicht angebracht war. Dies wird nicht genügen. Denkt immer daran."

Und der Balduin sprach dies zu Balian, um ihm zu verdeutlichen, daß, was immer in Jerusalem geschah, seine Wahl und seine Entscheidungen nur seinem eigenen Gewissen folgen sollten und nicht den Verlockungen oder Drohungen der Macht. Der König brauchte einen Mann in seinem Umfeld, der sich getraute, seinem eigenen Gewissen zu folgen und bereit war, auch für die einzustehen, die seiner Hilfe bedurften. Balian antwortete nur: „Das werde ich."

Und er sagte dies nicht nur in Bezug auf die Aufforderung „Denkt daran", die der König gerade an ihn gerichtet hatte, sondern auch für alles, um was ihn der König mit diesen Worten indirekt gebeten hatte. Balian hatte sehr wohl verstanden, was den jungen Herrscher, der so tapfer seinem Ende entgegen sah, bewegte.

„Nun, dann geht zum Hause Eures Vaters nach Ibelin und bewacht von nun an den Pilgerpfad. Beschützt die Wehrlosen!" befahl der König. „Und eines Tages wenn ich wehrlos sein werde, werdet Ihr kommen und mich beschützen." beendete der König sein Gespräch mit dem jungen Baron von Ibelin. Balian hatte die ganze Zeit über geschwiegen und dennoch hatte der König den Eindruck tiefer Vertrautheit mit dem Ritter. Die Augen Balians waren wachsam und dennoch sanft, sie hielten einem direkten Blick stand und waren doch zugleich so verschlossen. Balian war aufgestanden und sah nun zu seinem König hinunter. Bei den letzen Worten seines Herrn hatte Balian sanft den Kopf geneigt. Zum ersten Mal in diesem Gespräch unterbrach Balian den direkten Augenkontakt. Er senkte leicht die Lider im Gleichklang mit der Kopfbewegung, und man fragte sich unwillkürlich, was jetzt hinter den halbgeschlossenen Lidern an Gedanken vor sich ging. Dann blickte er wieder auf und ein angedeutetes Lächeln, flüchtig und doch ein Versprechen abgebend, umspielte seine Lippen, und seine Gedanken schienen in die Zukunft zu gehen. Balduin hatte Balian genau beobachtet, und er wünschte sich, ihm bliebe mehr Zeit, diesen verschlossenen, rätselhaften jungen Mann, den Sohn seines Mentors, besser kennenzulernen. Er wünschte sich, er könne ihn noch hier in seiner Nähe behalten, aber der Bericht des Hospitalers André über die Konfrontation zwischen dem Templer Guy de Lusignan und Godfrey, in dessen Mittelpunkt Balian stand, ließ dies nicht zu. Balian mußte die Gelegenheit und die Zeit erhalten, seine Position zu festigen und Erfahrungen in diesem Land zu sammeln, sollte er die Erwartungen, die in ihn gesetzt wurden, erfüllen können.

Und so entließ er Balian. Danach saß der König noch lange Zeit an dem Schachbrett und dachte über diesen jungen Ritter nach. Er hatte dessen Vater geliebt und war fast so was wie der Ziehsohn Godfreys gewesen, während sein leiblicher Sohn all die Jahre auf einen Vater hatte verzichten müssen. Ihre Lebensumstände hätten nicht verschiedener sein können und dennoch bestand zwischen ihnen eine Verbindung, die über Godfreys Präsenz weit hinausging. Balduin war sich sicher: Ließe ihm die Lepra noch Zeit, genug er würde in Balian nicht nur einen loyalen Untertan und Freund haben. Balian und ihn verband so viel mehr, als augenscheinlich war. Sie könnten Brüder sein. Und er dachte an seine Schwester und blickte in Richtung eines Durchganges, der nur von einem seidenen Vorhang verdeckt dennoch niemandem auffiel, der nicht wußte, daß er dort war. Sybilla sah die Augen ihres Bruders auf sich ruhen. Leise trat sie hinter dem Vorhang hervor und ging zu ihm. Er wußte, daß sie das ganze Gespräch mit angehört und ihm bewußt Zeit zum Nachdenken gelassen hatte, und sich deshalb erst jetzt bemerkbar machte. Sybilla sah ihrem Bruder tief in die Augen, und er sah in den ihren die Liebe, die bereits jetzt für den Sohn Godfreys in ihr entfacht war. Und würde er keine Maske tragen, das feine Lächeln, das bei dieser Erkenntnis um seine Lippen spielte, wäre keinem entgangen.

Balian ging durch die Gänge zurück, die er gekommen war. Er dachte über das nach, was der König ihm gesagt hatte. Es hatte ihn gewundert, daß Balduin nichts von ihm über sein bisheriges Leben hatte wissen wollen, aber er spürte eine tiefe Verbundenheit mit diesem König und war sich sicher, daß André ihn über sein Leben informiert hatte. Balduin hatte mit ihm als König gesprochen, aber die Nähe und das Vertrauen, das er zuließ, waren mehr die eines Freundes. Balian würde diesen Freund nicht enttäuschen.


Anmerkungen

1> Ausrüstung eines mittelalterlichen Kämpfers: Weitere Informationen nachzulesen im Glossar.

2> Bezug zum Film Balians Kettenhemd beim Besuch von Tiberias hatte eine (ver)goldete Kettenhaube und an den Armen Streifen in Gold eingearbeitet. Bei weiteren Filmszenen war dies bei dem Kettenhemd, das er trug, nicht mehr zu erkennen. Deshalb die Vermutung zweier verschiedener Ausrüstungen, die einem bestimmten Zweck gedient haben mußten, weil die Herstellung seinerzeit ein langwieriges und kostspieliges Unterfangen war.


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