Disclaimer
Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.
Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.
Kapitel 18
Königreich der Gewissen
Balian ritt mit seinen Männern zur Oase Waji mahad. Dort half er selbst, die Verletzten zu versorgen. Der Trupp hatte nur fünf Tote zu beklagen und dennoch lagen sie Balian schwer auf der Seele. Er achtete nicht auf die Schmerzen in seinem Rücken, das lähmende Gefühl, das sich von der Schulter bis in den rechten Arm ausbreitete, oder das Pochen in seinem Kopf, das von einem Hieb mit einer morgensternähnlichen Waffe herrührte, dem er knapp entgangen war. Das Blut an seiner Schläfe war geronnen, aber mit Schmutz verklebt und sollte gereinigt werden, aber Balian nahm das nicht wahr, wollte es nicht wahrhaben. Der Schmerz war ihm willkommen als Ausdruck seiner Seelenqual. Schließlich ging Almaric zu ihm und legte seine Hand auf die verkrampften Schultern seines Herrn. Balian blickte von dem Mann auf, dem er gerade die Wunde versorgte.
„Mein Herr, es ist an der Zeit, daß auch Eure Wunden versorgt werden. Bitte, kommt.", sprach er Balian an und wollte mit seiner Wortwahl ihn dazu bewegen, etwas abseits zu gehen, damit er ungestört mit ihm reden konnte. Salem und ihm war aufgefallen, daß Balian, obwohl er sich als Ritter bewährt hatte und sogar vom König ausgezeichnet wurde, mit dem Geschehenen und dem Tod der fünf Männer haderte. War ihm denn nicht bewußt, daß er durch seinen Umgang mit den Menschen, er ihr Leben bereits rettete, noch bevor der Kampf begonnen hatte?
Godfrey von Ibelin war von den Männern Ibelins hoch geschätzt, war in einer gewissen Weise sogar geliebt worden, wie ein Soldat seinen Dienstherrn lieben kann, aber bei Balian war dies anders. Die Menschen und die Männer, die ihm anvertraut waren, liebten in ihrem Herrn den Menschen, der er war, und so sorgten sie sich nun auch nicht um den Ritter, sondern um den Freund und Kampfgefährten, und deshalb erlaubte es sich Almaric auch, sich ihm als solchem zu nähern.
Almaric wollte Balian auf seine Zweifel und Nöte ansprechen und ihm, wenn er konnte, die Last von den Schultern nehmen, die ihn niederdrückte. Balian erhob sich und folgte ihm zum Wasser. Hier deutete ihm Almaric, sich zu setzen, und der junge Ritter ließ sich an einer Palme nieder und lehnte sich erschöpft mit seinem schmerzenden Rücken an den Stamm. Almaric feuchtete ein Tuch an und trat dann an Balian heran. Sacht wusch er ihm das Gesicht. Balian war zu erschöpft, als daß er dagegen aufbegehrt hätte, dennoch sah er nach einer Weile seinen ersten Mann an und fragte:
„Was gibt es, Almaric? Ihr habt etwas auf dem Herzen, daß merke ich wohl."
Sein Freund und Hauptmann blickte ernst und antwortete:
„Balian, was grämt Euch?"
Balian sah seinen Vertrauten überrascht an:
„Ist das so deutlich?", stellte er die Gegenfrage.
„Ja, mein Herr und alle merken es", erwiderte Almaric, und gab Balian die Sorgen der Männer um ihn kund.
„War dieser Kampf das, was von mir als Ritter erwartet wird? Daß ich, meine Männer in den Tod führe? Ich habe an den Worten des Königs wohl gemerkt, daß ich mir die Anerkennung als Ritter verdient habe, aber der Preis dafür war hoch. Wo ist da die Pflicht eines Herrn, für die seinen zu sorgen?", sprach Balian leise und bedrückt. Und Almaric spürte die Schwere der Last, die Balian auf der Seele lag. Balians Augen waren so voller Zweifel und Unverständnis. Er hatte seinem Vater geschworen, die Wehrlosen zu schützen, aber er empfand diesen Kampf als so sinnlos, weil der Konflikt provoziert war und er für die Pflicht der Verantwortlichen eingetreten war, um das zu tun, was diese unterließen. Nur deshalb hatte er Männer verloren. Männer, die zum Schutz der Menschen Ibelins da waren. Männer, die ihm vertrauten. Er hatte seinen Eid erfüllt und die Wehrlosen geschützt, aber das warum war so unnütz.
Almaric betrachtete Balian lang. Er legte ihm seine Hand auf die Schulter, um weiter seine Aufmerksamkeit zu erhalten, da der junge Ritter seinen Kopf zurückgelehnt und die Augen geschlossen hatte.
„Mein Herr, das Ränkespiel am Hofe wird Euch noch so manches Mal als Ritter Entscheidungen abverlangen, die Euch zuwider laufen, weil Ihr das Fehlverhalten anderer korrigieren und die Konsequenzen der Ehrlosigkeit mancher hoher Herren auffangen müßt, um deren Willen, die unsere Hilfe brauchen. Und auch wenn Ihr dies zutiefst mißbilligt und Euch deshalb der Verlust Eurer Männer auf der Seele liegt, es ist die Art, wie Ihr dies tut und wie Ihr die Geschehnisse hinterfragt, die Euch auszeichnet, adelt und Euch ganz im Sinne Eures Vaters und wohl auch des Königs zum Ritter macht", sprach Almaric sehr bedacht und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Wir sehen, mein Herr, daß Ihr das Wohl, der Euch anvertrauten Menschen höher gewichtet, als einen möglichen Wunsch nach Macht und Anerkennung im Kampf. Ihr werdet dafür geliebt und alle werden Euch vorbehaltlos folgen, wenn Ihr doch das Schwert ziehen solltet."
Balian sah in das Gesicht seines Freundes und sein Blick suchte die Wahrheit seiner Aussage in dessen Augen zu ergründen, dann lächelte er zögerlich und nickte:
„Danke, mein Freund."
Almaric drückte kurz zur Bestätigung Balians Schulter und meinte dann:
„Und jetzt laßt mich Euch helfen, den Waffenrock und das Kettenhemd abzulegen. Ich will mir Euren Rücken ansehen."
Balian wollte zunächst abwehren, aber am entschlossenen Gesichtsausdruck von Almaric konnte er erkennen, daß dieser keinen Widerspruch dulden würde. Almaric winkte noch einem Mann, der ihm helfen sollte, und Balian erhob sich, um es geschehen zu lassen. Als Balian dann mit bloßem Oberkörper dastand, ging Almaric um ihn herum und betrachtete den Rücken seines Herrn und zog zischend die Luft zwischen den Zähnen ein. Ein fast schwarzer Streifen zog sich auf der rechten Seite vom Genick bis unter das Schulterblatt entlang der Wirbelsäule und als er diesen immensen Bluterguß abtastete, zuckte Balian heftig zusammen und stöhnte auf. Er schwankte, weil es ihm mit einem Mal schwarz vor Augen wurde und seine Knie plötzlich den Dienst verweigerten. Almaric fing Balian gerade noch auf und hieß ihn, sich zu setzen. Er ging zum Wasser, tauchte das Tuch, mit dem er vorher das Gesicht Balians gewaschen hatte, erneut in das Wasser und legte es auf den Bluterguß. Der junge Ritter hatte seinen Kopf zwischen die Knie genommen und saß ganz still. Die Kühle brachte kurzzeitige Linderung des Schmerzes.
Almaric war unterdessen zu ihren Sachen gegangen und hatte einem Beutel eine Salbe in einem kleinen Tiegel entnommen, mit der er nun wieder an seinen Herrn herantrat. Er begann, den Bluterguß mit dieser Salbe einzureiben und zu massieren. Alles in Balian verkrampfte sich, er preßte die Lippen aufeinander, um nicht laut aufzustöhnen und ballte die Hände zu Fäusten. Almaric sah dies, aber er konnte es seinem Herrn nicht ersparen. Er winkte Salem und dieser kam zu ihnen und übernahm die Arbeit von Almaric, während dieser ein Lager für Balian richtete. Wenn sie fertig waren, würde er so erschöpft sein, daß er sich kaum mehr auf den Beinen würde halten können. Almaric wußte dies aus eigener Erfahrung, nur war seine Verletzung damals nicht halb so groß gewesen, wie der Bluterguß von Balian. Die Anspannung in dem jungen Ritter und der gepreßte Atem würden ihn auslaugen, aber er würde noch lange diese Tortur ertragen müssen. Als Almaric mit seiner Arbeit fertig war, löste er Salem wieder ab. Dies würden sie jetzt so lange machen, bis der geschundene Bereich nicht mehr hart unter ihren Händen war. Hätte Balian kein Kettenhemd getragen, wäre dieser Schlag, der wahrscheinlich mit einem Morgenstern oder einer stumpfen Axtseite1 ausgeführt worden war, tödlich gewesen.
Almaric und Salem hatten sich nun schon wiederholt abgewechselt und mit kräftigen Bewegungen das Mal bearbeitet, als Balian ein Stöhnen entrann und er in sich zusammensackte. Er war erschöpft und die Schmerzen waren in heißes Brennen übergegangen und jedesmal, wenn seine Männer bei ihrer Massage über eine bestimmte Stelle fuhren, war es Balian, als würde man ihm einen Dolch zwischen die Schulterblätter jagen. Almaric und Salem hatten dies gemerkt und wußten nun, daß dies die Ausgangsstelle des Blutergusses war und hatten ihre Tätigkeit dort konzentriert, was Balian nun nicht mehr ertrug. Almaric hatte Balian aufgefangen und sprach leise auf ihn ein, dann stützte er Balian, als dieser sich erhob und führte ihn zu dem vorbereiteten Lager. Dort legte sich der junge Ritter nieder und noch bevor sein Kopf den Sattel berührte, war Balian schon eingeschlafen.
Almaric deckte seinen jungen Herrn mit einer Decke zu und blickte dann zu Salem. Sie kannten sich schon so lange und hatten so oft nebeneinander gekämpft, daß sie wußten, was der andere dachte. Sie hatten beide schon gleiche oder ähnliche Verletzungen gehabt und wußten, wie sehr ihr Herr jetzt gelitten hatte und wie notwendig er nun den Schlaf brauchte. Die Verletzung war nicht ernst, aber sie war schmerzhaft und hätte, wäre sie nicht entsprechend behandelt worden, wie sie es getan hatten, zu einer vorübergehenden Lähmung des Schwertarmes geführt.
„Ich werde in seiner Nähe bleiben", sagte Salem, „kümmere du dich nochmals um die Wachen und dann ruhe auch du."
Und Almaric nickte und meinte:
„Er wird schlafen bis zum Morgen. Ich werde am Abend kommen und dich ablösen."
Er ging dann nochmals zu den anderen Verletzten, die es etwas schwerer getroffen hatte und sah nach, ob sie noch Hilfe benötigten, dann kontrollierte er die Wachen und teilte die Gruppen ein, erst danach legte er sich selbst nieder. Er dachte an seinen jungen Herrn, der immer zunächst an andere dachte und dann an sich selbst. Er würde mit Salem sicherstellen, daß er nicht zu kurz kam und sich zuviel zumutete, das versprach sich Almaric selbst, bevor er einschlief.
Am nächsten Morgen erwachte Balian und fühlte sich etwas besser als am Tag zuvor. Die Schmerzen in der Schulter hatten etwas nachgelassen, und er hatte keine Probleme mehr bei der Bewegung des rechten Armes. Seine Männer waren schon zum Abmarsch bereit, Salem und Almaric hatten ihn extra lange schlafen lassen, und so beeilte er sich, fertig zu werden. Salem trat an ihn heran und half dem jungen Ritter, das Kettenhemd und den Waffenrock anzulegen. Dann ritten sie gen Ibelin und auch die Kämpfer, die schwerer verletzt waren, konnten wieder reiten, aber der Trupp würde öfters Rast machen müssen. Balian ritt an der Spitze des Trupps und Almaric war an seiner Seite.
„Herr, wie geht es Euch?", fragte Almaric und Balian wußte, daß diese Frage nicht nur seinem Rücken galt.
„Ich danke dir für deine Fürsorge, Almaric, deiner und Salems," erwiderte Balian und drehte sich dabei etwas im Sattel um. Er sah in die Gesichter seiner Männer, die ihn fest und direkt anblickten. Stolz war darin zu lesen. Balian wandte sich wieder an Almaric:
„Was denken die Männer? Was sehen sie in mir?", fragte er ihn.
Balian war noch immer nicht von sich und seiner Rolle als Ritter überzeugt. Er war gewillt, seinen Eid zu erfüllen – so gut er konnte und ganz nach seinem Gewissen – aber er hatte es nie gelernt, andere zu führen, anderen zweifelsfrei Vorbild zu sein, keine Kritik an seiner Person zuzulassen. Und doch wußte er, daß er seinen Eid nur so gut würde erfüllen können, wie er andere mit seiner Überzeugung für sich und sein Streben einzunehmen vermochte.
Almaric lächelte über diese Frage. Balian hatte natürliche Führungsqualitäten. Er mußte niemanden durch Worte oder Machtdemonstration überzeugen, er tat dies alleine durch sein Handeln und sein Wesen, wie gestern im Kampf oder später bei der Versorgung der Verletzten. Er verlangte nichts von anderen, wozu er nicht selber bereit war. Dann antwortete Almaric:
„Seht Ihr nicht ihren Stolz, Eure Farben zu tragen? Wie sie Euch offen, ehrlich und stark ins Gesicht blicken? Herr! Balian, zweifelt nicht länger an Euch selbst. Wir haben nie an Euch gezweifelt und wir haben es auch nicht bereut, Eurer Sorge, Sanftmut und Fähigkeiten zu vertrauen. Baut darauf, mein Herr. Wir sind die Euren."
Balian blickte Almaric tief in die Augen, lange und schweigend, dann stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. Er nickte und wandte seinen Blick wieder nach vorne. Einige Augenblicke schwiegen sie beide und dann kam ein leises, sanftes, aber deutliches:
„Danke, Almaric, ich danke dir und meinen Männern."
Fünfzehn Tage nach dem Kampf bei Kerak ritt Balian mit einigen Männern und Almaric sowie Salem nach Jerusalem. Er folgte der Aufforderung des Statthalters, ohne daß er recht wußte, was Tiberias oder der König von ihm erwarteten. Sie ritten die gleiche Strecke, wie beim Ritt nach Ibelin und kamen gut voran.
Balian und seine Männer waren noch nicht im Hof des Hauses derer von Ibelin in Jerusalem abgesessen, als ein Soldat der Jerusalemer Wachen vor sie hin trat und sich vor Balian verneigte. Er reichte dem Ritter eine Nachricht mit dem königlichen Siegel und richtete vom Statthalter aus:
„Mein Herr, der Statthalter Tiberias bittet Euch, möglichst bald bei ihm vorstellig zu werden."
Balian sah auf die Nachricht in seiner Hand und fragte dann:
„Wie alt ist diese Nachricht? Wie lange wartet Ihr schon?"
Es erstaunte ihn, daß die Nachricht nicht einfach für ihn abgegeben wurde. Der Bote erwiderte:
„Ich wurde angewiesen, auf Euch zu warten und diese Nachricht persönlich zu übergeben. Ich warte seit zwei Tagen auf Euch. Der Statthalter erwartet Euch im Laufe dieser Woche in Jerusalem."
Balian dankte dem Boten und entließ ihn. Dann wandte er sich an Almaric und sprach: „Kümmert Euch bitte hier um alles. Ich werde ein Bad nehmen und mich dann zum Statthalter begeben. Ihr müßt nicht auf mich warten."
Aber Almaric schüttelte den Kopf:
„Herr, Ihr solltet nicht mehr ohne Begleitung gehen. Ihr habt die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen des Königs, aber im gleichen Maße auch den Haß von Guy de Lusignan. Er wird jede mögliche Gelegenheit nutzen Euch zu schaden oder vielleicht beiseite schaffen zu lassen.", riet er seinem Herrn.
Balian musterte Almaric nachdenklich und meinte dann:
„Das sind harte Anschuldigungen, mein Freund."
Aber Salem, der zu ihnen getreten war, mischte sich ein, bevor Almaric dazu Stellung nehmen konnte.
„Herr, die Kriegstreiberei von Lusignan und Châtillon ist allgemein bekannt, nur bewiesen werden konnte sie bislang nicht. Guy und Euer Vater standen auf unterschiedlichen Seiten und wäre Euer Vater nicht so angesehen gewesen, hätte Guy sicher mehr als nur verbale Beleidigungen gegen ihn eingesetzt. Ihr seid nun in die Fußstapfen Eures Vaters getreten und habt bereits einen seiner heraufbeschworenen Konflikte erfolgreich vereitelt. Er wird das nicht vergessen. Seid vorsichtig, mein Herr."
Balian erkannte die Sorge in den Augen seiner Freunde und so nickte er dann zustimmend:
„In Ordnung. Almaric, Ihr begleitet mich, aber das muß zumindest heute genügen."
Balian nahm sich nicht lange Zeit zum Baden und schon kurz nach ihrer Ankunft in Jerusalem befand er sich, wieder gewandet in Kettenhemd und Waffenrock, auf dem Weg zu Tiberias. Er ritt mit Almaric an seiner Seite durch die Stadt zum Amtssitz, wo ihre Pferde von Bediensteten versorgt wurden. Balian und Almaric schritten durch die Innenhöfe. Er nahm den gleichen Weg, wie vor einigen Monaten mit André, als er zum ersten Mal diesen Palast betreten hatte. Beim Vorsteher meldete er sich und bat darum, daß der Statthalter über seine Anwesenheit informiert werde. Kurze Zeit darauf kam Tiberias selbst und reichte Balian die Hand. Er nahm eine Veränderung in ihm wahr. Der junge Ritter war in Kerak trotz seiner Taten noch selbstzweiflerisch und voller Widersprüche gewesen. Nun stand ein Mann vor ihm, der Herr seiner selbst war und seine Vergangenheit sowie seine Zweifel an seiner Person hinter sich gelassen hatte. Tiberias war beeindruckt. Stolz und Liebe erfüllte seine Brust. Godfrey hätte keinen besseren Sohn haben können, und Tiberias war sich sicher, daß er es wußte, als er Balian seinen Segen gegeben hatte.
Tiberias lud Balian in seine privaten Gemächer ein und bat Almaric, sich im Innenhof an den dort aufgetischten Speisen zu laben und auf Balian zu warten. Dann führte er Balian durch einige Zimmer und schließlich fand sich Balian in dem Zimmer, in dem er vor einigen Monaten mit Tiberias und André zusammen gesessen und er ein wenig aus dem Leben seines Vaters erzählt bekommen hatte. Tiberias trat an einen Tisch und schenkte Balian etwas Wein ein. Dann drehte er sich zu ihm um und bat ihn Platz zu nehmen.
„Wann bist du in Jerusalem eingetroffen?", fragte der Statthalter und reichte Balian den Becher mit dem Wein.
Balian beantwortete seine Frage:
„Kurz vor Sonnenuntergang. Ich bin deiner Aufforderung, die mir der Bote bei meiner Ankunft ausrichtete, so rasch gefolgt, wie mir möglich war."
„Dann hast du noch nicht gegessen, Balian?", stellte Tiberias mehr fest, als daß er eine Frage formulierte und Balian schüttelte nur den Kopf. Tiberias klatschte laut und vernehmlich in seine Hände und kurze Zeit später erschien ein Diener. Der Statthalter trug ihm auf, ein Mahl richten zu lassen und wandte sich wieder Balian zu, der von seinem Wein genippt hatte und ihn nun ohne Umschweife fragte:
„Wozu wolltest du mich so dringend sprechen, Tiberias? Wozu brauchst du mich hier in Jerusalem, wie du es in Kerak sagtest?"
Der alte Waffengefährte von Godfrey von Ibelin schluckte und blickte sein Gegenüber ernst an. Balian machte keine großen Umschweife und er sprach nicht viel, aber er kam immer gleich zum Punkt.
‚Also gut, es ist an der Zeit Balian über die Ränke am Hof zu informieren, damit er, wenn es an der Zeit ist, seine eigenen Entscheidungen treffen kann.' dachte Tiberias, holte tief Luft und begann zu berichten:
„Der König wird sich nicht mehr lange seiner Krankheit widersetzen können. Der Ritt nach Kerak hat ihn fast all seine Kraft gekostet. Er liegt im Sterben. Dein Vater und er hatten den gleichen Traum von einem toleranten Jerusalem, in dem alle Glaubensrichtungen friedlich zum Herrn beten und leben können. Dieser Traum ist eine Utopie und auch Balduin weiß, daß machthungrige und skrupellose Männer die Gewalt an sich reißen werden, wenn er stirbt. Schon solange Guy in Jerusalem weilt, kämpft er, verborgen hinter dem Mantel der Templer, gegen die Regierungsführung von Balduin. Durch die Vermählung mit Sybilla hat er eine gewisse Unantastbarkeit, unter deren Schutz er sich immer wieder erlaubte, diejenigen, welche ihm im Wege standen, zu drangsalieren, bis sie aufgaben oder sie wurden eliminiert, ohne daß er selbst damit in Verbindung gebracht werden konnte. Die Ehe von Sybilla war von der Königinmutter beschlossene Sache, bevor König Balduin mündig wurde und nicht mehr abhängig war von den Entscheidungen seines Regenten. Erst danach zeigte Guy mehr und mehr sein wahres Gesicht. Dein Vater war für Guy immer der einzige Mann, der ihn nach Balduins Tod eventuell an der Machtergreifung hätte hindern können, weil er der Mentor der Königskinder war und auch waffenmäßig so situiert an Männern war, daß er sich Guy entgegenstellen konnte."
Einen Moment lächelte Tiberias und fuhr dann fort:
„Du bist wie dein Vater. Dir ist es bereits gelungen, Einfluß auf den König zu nehmen, weil er dich schätzt, dich gern zum Freund hätte und er bereits erkannte, daß er sich auf dich verlassen kann. Sybilla liebt dich. Und deine Männer stehen geschlossen hinter dir. Wäre das Verhältnis zu Salah-al-Din noch nicht aufgrund der Vorfälle so zerbrechlich geworden, wäre dir eine Einflußnahme für den Frieden möglich und ich glaube, du wärst in der Lage, Guy die Stirn zu bieten und ihn aufzuhalten. Aber Balduin und ich wissen, daß die Zeit gegen Jerusalem und auch gegen dich arbeitet. Wenn Guy zum König gekrönt wird, werden keine Andersgläubigen mehr sicher sein, und seinen Haß gegen das Haus von Ibelin wird er dir in voller Härte entgegenschleudern. Du mußt dir bewußt sein, daß dein Feind kein anderer als der zukünftige König sein wird."
Der Diener, der ein Mahl richten sollte, trat mit einem Tablett ein, und stellte auf einen Wink des Statthalters alles auf den Tisch vor Balian. Dann verbeugte er sich und verließ wieder den Raum. Tiberias lehnte sich in seinem Stuhl zurück und trank seinen Wein, er forderte Balian mit einer Handbewegung auf, sich von den Speisen zu nehmen und seinen Hunger zu stillen. Tiberias beobachtete Balian und versuchte, zu ermessen, was in ihm vorging.
Balian legte sich ein wenig Fleisch und Brot auf seinen Teller und lehnte sich damit ebenfalls in seinen Stuhl zurück und begann zu essen. Er dachte über die Worte von Tiberias nach und fragte sich, worauf sein Freund, der erfahrene Kampfgefährte seines Vaters, hinaus wollte. Wollte er ihn bewegen, Jerusalem und sein Lehen zu verlassen? Seinen Eid als Ritter zu vergessen und zu gehen, so lange es ihm noch möglich war?
Tiberias sorgte sich wirklich um die Sicherheit des Jungen, aber als er so Balian betrachtete und versuchte zu erahnen, was ihn ihm vorging, wurde ihm auch klar, daß der junge Ritter nie in Erwägung ziehen würde, zu gehen – und dies erst recht nicht, wenn er ihm gleich das Schreiben des Königs übergeben würde. Dieses Schreiben hätte der König Balian gerne selbst gegeben, aber Balduin mußte sich schonen, die Zeit wurde ihm knapp und es galt noch einige Vorkehrungen für seine Schwester, Jerusalem und Balian zu treffen.
Der Statthalter schenkte Balian und sich nochmals Wein nach und griff dann zu einem Schreiben mit dem Siegel des Königs, das auf einem weiteren Tisch lag und setzte sich wieder in seinen Stuhl. Er legte das Schreiben vor Balian auf den Tisch und dieser, da mit seinem Mahl fertig, stellte seinen Teller beiseite, nahm seinen Becher, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sah seinen väterlichen Freund fragend an, nahm aber das Schreiben nicht zur Hand.
Als Vertrauter des Königs wußte Tiberias, was in diesem Schreiben stand, aber er würde Balians unausgesprochene Frage nicht beantworten. Balian sollte selbst lesen, sollte die Worte des Königs, die das Übereignungsschreiben begleiteten, das Tiberias hatte aufsetzen lassen, selbst vor Augen haben. Als Tiberias nicht reagierte, nahm Balian das Schreiben in die Hand und erbrach das Siegel. Er las zunächst das zweite Schreiben, das kleiner gefaltet in das gesiegelte Schreiben eingelegt war. Die einzige Reaktion, die Tiberias an Balian darauf wahrnehmen konnte, war eine steile Stirnfalte, die mit zunehmender Lesedauer des Briefes immer tiefer wurde. Balian hatte das Schreiben des Königs noch nicht gelesen, sondern hielt seinem Freund die Übereignungsurkunde hin, der abwinkte und ihm erklärte, daß er den Inhalt kenne. Der junge Ritter blickte ihn ernst an und fragte dann unvermittelt:
„Was verlangt der König dafür? Will er meine Loyalität kaufen? Habe ich nicht bewiesen, daß ich und das Haus von Ibelin an seiner Seite stehen, wie es mein Vater vor mir tat?"
Tiberias war über diese wütende Fragestellung erstaunt. Begriff Balian nicht, was er mit dieser Urkunde an Möglichkeiten in den Händen hielt?
Balian gab ihm die Antwort auf diese Frage selbst, als wenn er sie laut ausgesprochen hätte:
„Der König braucht mich nicht zu kaufen. Ich werde auch so Guy entgegentreten, wenn er Unschuldige und Wehrlose in seinen Kampf mit hineinzieht und werde meinen Eid erfüllen, auch nach dem Tod von Balduin."
Dies war genau das, was Tiberias von Balian erwartet hatte und tiefe Genugtuung machte sich in seiner Brust breit. Aber Balian sollte dennoch das Geschenk des Königs annehmen, um Sybillas und seinetwillen, und so sprach er eindringlich zu Balian:
„Junge, der König weiß, was er an dir hat, aber dieses Geschenk soll dir und vielleicht Sybilla die Zukunft sichern. Wenn Guy König wird, kannst du alles verlieren, weil er dann die Macht hat, dir zumindest Hab und Gut zu nehmen und im Falle eines Krieges wird alles, was dein Lehen war, an die Moslems fallen. Als freier Baron aber obliegt es dir selbst, einen separaten Frieden mit Salah-al-Din zu schließen2 und so vielleicht Ibelin zu erhalten. Und selbst wenn das alles fehlschlägt, bleiben das Anrecht und die Gelder aus deinen Besitztümern erhalten und du kannst deiner Familie in Frankreich offen und nicht als verarmter Adeliger gegenübertreten. Und Sybilla, sie wird für dich erreichbar, Balian. Als unabhängiger Adeliger kannst du um sie werben, wenn sie von Guy befreit ist."
Balian blickte Tiberias ernst an. Es dauerte eine ganze Weile, bis Balian schließlich nickte und das Schreiben wortlos einsteckte. Dann widmete er sich dem Schreiben des Königs, das die Übertragungsurkunde enthalten hatte. Er las bedächtig, und Tiberias registrierte jede Regung in dem Gesicht seines jungen Freundes. Und während Balian las, wurde Tiberias bewußt, wie jung doch beide noch waren und wie ähnlich: Balduin, der König und Balian, der Ritter. Balian sagte nichts zu dem Schreiben des Königs, aber seine Hände zitterten leicht, als er das Blatt wieder zusammenfaltete und einsteckte. Dann nahm er einen Schluck seines Weines und blickte Tiberias offen in die Augen und sprach leise:
„Ich habe einen Eid geschworen, Tiberias, und Vaters letzter Auftrag an mich war: ‚Beschütze den König und ist der König tot, beschütze die Wehrlosen.'" Mehr kam nicht über seine Lippen, aber für Tiberias hatte er damit bereits alles gesagt, was er oder der König wissen mußten. Balian verweilte noch einige Momente. Sie blickten sich schweigend an und wußten doch, wie sehr sie einander vertrauen konnten. Dann erhob sich Balian, verabschiedete sich von Tiberias und wollte gehen, aber der hielt ihn noch einen Moment zurück:
„Balian, verlasse bitte nicht Jerusalem. Der König will noch mit dir sprechen und," er hielt einen Augenblick inne bevor er durch seine nächsten Worte Balian mehr von seinem Wissen zu verstehen gab, als er aussprach, „Guy wurde vom König mit einer Aufgabe im Grenzgebiet von Tiberia beauftragt; er wird erst in einigen Tagen wieder in Jerusalem erwartet."3
Balian blickte Tiberias fragend an und dieser erwiderte auf diese unausgesprochene Frage: „Der König weiß um Sybillas Liebe zu dir. Seine Schwester mag eine perfekte Maske in der Öffentlichkeit tragen, aber ihm gegenüber kann sie ihre Liebe zu dir nicht verbergen. Nutzt die Zeit, die euch der König noch schenken konnte. Ihr werdet vielleicht nie wieder diese Gelegenheit haben."
Balian nickte schweigend und verließ den Statthalter.
Tiberias wandte sich um und ging zu einer geheimen Tür in der Wand und öffnete diese. Hinter dieser Tür war ein verborgener Raum, in dem der König in einem Stuhl saß und durch kleines Fenster den Raum einsehen konnte und auch jedes Gespräch mitverfolgen konnte. Balduin winkte Tiberias zu sich und erhob sich.
„War es richtig, Balian eine solche Bürde aufzuerlegen, mein Freund?", fragte der König seinen Berater. Aber er erwartete keine Antwort. Er blickte zur Tür, durch die Balian verschwunden war und sandte ein Bittgebet zum Herrn, daß der Sohn seines Mentors, der bisher alle durch seine Ehrlichkeit, seinen Charakter und seine Sanftmut für sich eingenommen hatte, auch die Härte aufbrachte, um das Urteil, das er ihm zur Vollstreckung in die Hände gegeben hatte, zum Wohle aller Christen von Jerusalem im richtigen Moment würde vollziehen können. Balians Reaktion zeigte seine Ansicht dazu, aber würde er auch die Kraft haben, dies zu tun? Balduin hatte seinen Traum, das Wohl seiner Schwester und das Schicksal der Christen von Jerusalem mit diesem Schreiben in seine Hände gelegt. Es blieb nicht mehr viel zu tun, bevor er sich der Schwäche, die ihn immer mehr wie ein bleierner Mantel niederdrückte, ergeben würde und Balian, der Sohn seines Ziehvaters, würde sein Erbe sein.
Balian kehrte unterdessen zu Almaric zurück und beide brachen zum Anwesen derer von Ibelin auf. Balian war für Almarics Geschmack zu ernst und schweigsam, aber an der Verschlossenheit seines Herrn erkannte er, daß dieser noch zu sehr mit dem beschäftigt war, was dort hinter verschlossenen Türen besprochen worden war. Sie ritten schweigend durch Jerusalem und Balian wandte sich erst in Sichtweite vom Stadthaus an Almaric:
„Wie soll man sich entscheiden, Almaric, wenn man eine Sache als falsch und vielleicht sogar als verwerflich ansieht, aber man damit doch vielleicht Leben rettet?"
Balians Blick zu Almaric war dabei verhangen und matt, daß sich Almaric zunächst gar nicht sicher war, ob Balian die Frage wirklich an ihn gerichtet hatte.
„Mein Herr, egal wie Ihr entscheidet, Eure Seele darf dabei keinen Schaden nehmen. Ihr und nur Ihr allein müßt für Euch entscheiden, welche Last Ihr tragen könnt ohne zu zerbrechen", sprach Almaric, aber er hatte das Gefühl, als wenn sein Freund und Herr lediglich die Wahl zwischen Verhungern oder Verdursten hatte.
Balian nickte schweigend und blickte weiter dumpf vor sich hin. Als sie in den Hof des Hauses einritten, hatte Balian aber eine Entscheidung für sich getroffen, und der grüblerische und von Zweifeln geprägte Blick war verflogen. Almaric merkte die Veränderung an Balian deutlich.
Sie ritten in den Hof ein und stiegen von ihren Pferden, die von Dienern sofort versorgt wurden. Balian wandte sich an Almaric und wünschte ihm eine gute Nacht und stieg dann die Stufen zu seinen Gemächern hinauf. Der Wesir trat an ihn heran und verneigte sich vor Balian. Er wirkte ernst und etwas nervös und so versuchte Balian geduldig zuzuhören, was der Mann auf dem Herzen hatte, obwohl er sich müde und ausgelaugt fühlte. Er sehnte sich nach einem tiefen und traumlosen Schlaf. Der Wesir verneigte sich nochmals und sprach dann, auf eine Aufforderung von Balian hin, sehr leise zu seinem Herrn.
„Mein Herr, hoher Besuch wartet auf Euch. Sie hat befohlen, ihr ein Zimmer zu richten."
Balian runzelte die Stirn, von wem sprach der Wesir, aber dann fielen ihm die Worte Tiberias' wieder ein: ‚Guy wird erst in einigen Tagen wieder in Jerusalem erwartet.' und in diesem Moment wußte er, wer der hohe Besuch war. Er dankte dem Wesir für die Nachricht und ordnete an, daß er nicht gestört werden wollte, dann ging er die Treppen weiter hinauf, ging mit leisen Schritten zu seinen Räumlichkeiten und suchte mit seinen Blicken im Halbdunkel nach Sybilla.
Ab hier eine Variante für PG 18 Rating MA vorhanden zu finden unter Story KOH Variante Rating MA
Sybilla stand an einem Fenster und blickte in Richtung Palast, der auf der anderen Seite von Jerusalem, wie dieses Anwesen, auf einer Anhöhe lag. Balian trat leise an sie heran, legte seine Hände auf ihre Schultern, zog sie mit dem Rücken an seine Brust und umfaßte sie sanft mit seinen starken Armen. Sie schmiegte sich in die Sicherheit, die er ihr bot und schloß für einen Moment glücklich die Augen. Balian sagte leise:
„Dein Bruder hat uns eine kurze Weile geschenkt, meine Geliebte, aber es ist zu gefährlich, daß du bei mir bist. Guy hat zu viele Templer in der Stadt, die ihm alles, was ich tue, zutragen werden. Dies wird unsere letzte Nacht sein. Laß mich dich halten und lieben und das Wissen um unsere hoffnungslose Zukunft für einen kurzen Moment des Glücks vergessen."
Und der junge Ibelin drehte Sybilla sachte um und nahm ihren Mund voller Zärtlichkeit mit dem seinen gefangen und schenkte ihr einen Kuß, dessen Wechselspiel von Sanftheit und heißem Begehren sie schwindelnd machte und sie sich an Balian festhielt, wie ein Ertrinkender an einem Stück Holz. Er nahm sie auf seine Arme und trug sie zu seinem Bett, während sie ihren Kopf an seine Schulter bettete. Vorsichtig ließ er sie aus seinen Armen und half ihr die Gewänder abzustreifen. Zärtlich küßte er ihre milchweiße Haut und streichelte sanft ihre Hüften. Seine Berührungen waren wie ein Versprechen auf Momente unsäglichen Glücks. Dann nahm Balian die Decke vom Bett und hüllte sie ein. Er lächelte und meinte:
„So gern ich dich fest in meine Arme nehmen möchte, aber ich muß erst den Waffenrock und das Kettenhemd los werden", und er hauchte einen Kuß auf ihren Mund, drehte sich um und wollte gehen, um sich in einem anderen Raum beim Ablegen des Waffenrockes helfen zu lassen, aber Sybilla hielt ihn zurück.
Sie ließ die Decke fallen, die er ihr um die Schultern gelegt hatte und trat an Balian heran. Langsam begann sie ihm zu helfen, seine Bekleidung abzulegen. Sie bewegte sich anmutig um ihn herum, und Balians Hände suchten ihre Haut. Sanft und zärtlich berührte er immer wieder ihre alabasterfarbene Erscheinung und strich mit seinen Händen durch ihr wallendes Haar. Als Balian nur noch die Hose anhatte, nahm er sie fest in seine Arme, küßte sie mit all seiner Liebe, die er für sie empfand. Er kostete sie, bis beide keine Luft mehr bekamen und trug sie dann zurück zum Bett. Er entkleidete sich ganz und sank neben ihr in die Kissen. Seine Hände streichelten jeden Fleck ihres Körpers, und seine Küsse brannten hundertfach auf ihrer Haut. Sybilla tat es ihm gleich und so standen sie beide bereits nach kurzer Zeit in Flammen und die Hitze ihrer Körper wärmte sie, obwohl ein kühler Luftzug durch das Zimmer ging. Beide erreichten sie gleichzeitig ihren Höhepunkt, und Balian sank danach erschöpft, voller Liebe zu der Frau in seinen Armen, neben ihr nieder. Sie schmiegte sich an seinen heißen und schweißnassen Körper, sog seinen Duft tief ein und fuhr mit ihrer Hand sanft über seine Wange. Er drehte seinen Kopf zu ihr und küßte sie zärtlich. Alle Liebe, die sie im Moment für einander empfanden, stand in ihren Augen, aber sie konnte das Wissen um die Hoffnungslosigkeit ihrer Beziehung nicht verdrängen, und so rückten sie nur noch näher aneinander und hielten sich in enger Umarmung fest, bis der Morgen graute.
Vor zwei Tagen hatte ihn Sybilla im Morgengrauen verlassen und er hatte sie seitdem nicht wiedergesehen. Daß sie keine Zukunft hatten, wußten sie beide, aber das änderte nichts an der Sehnsucht, die sie durchlitten. Balian versuchte, sich abzulenken, in dem er sich mit den Befestigungsanlagen von Jerusalem beschäftigte4 und so stand er auf der Stadtmauer des südlichen Einlasses, als Guy de Lusignan von seinem Auftrag zurückkam. Beide sahen sich für den kurzen Moment an, in dem Guy durch das Tor ritt, und beide konnten deutlich in den Augen des anderen lesen, was sie voneinander hielten. Guys Augen waren voller Hass und ließen erahnen, was Balian erwarten würde, wenn dieser Mann zum König wurde. Auch Almaric hatte diesen Blick gesehen, und er fürchtete um das Leben seines Herrn.
An diesem Tag noch wurde Balian zum König gerufen und er wurde von einem Diener durch Gemächer geführt, die er noch nicht gesehen hatte. Es war bereits Abend und die Feuer und Fackeln warfen gespenstische Schatten und verbargen viel von der Pracht der Räume, die stellenweise im Licht der Fackeln aufblitzte. Dann stand Balian von Balduin und ihm zur Linken saß Tiberias.
„Nun mein Freund, es ist Zeit, daß ich meine Angelegenheiten regele", sprach der König zu Balian, der stumm vor ihm stand. „Wir haben beschlossen, Euch zum Heermeister der Jerusalemer Wachen zu machen", fuhr der König fort. Und Balian neigte den Kopf und erwiderte:
„Was immer Ihr verlangt, ich werde es tun."
Aber der König unterbrach ihn:
„Wartet und hört erst alles, bevor Ihr mir eine Antwort gebt."
Und Balian blickte den König fest in die Augen, als dieser ihm nun seine Gedanken unterbreitete:
„Würdet Ihr Sybilla zur Frau nehmen, wenn sie von Guy befreit wäre?"
Balian war geschockt, mit so etwas hatte er nicht gerechnet und so blickte er erst kurz Tiberias an und erwiderte dann dumpf mit einer Gegenfrage:
„Und Guy?"
Und Tiberias, der Balian keinen Moment aus den Augen gelassen hatte, gab statt des Königs die Antwort:
„Er würde hingerichtet werden und mit ihm alle seine Ritter, die dir den Treueschwur verweigern."
Balian blickte zu Boden und als er seine Augen wieder hob, sah er, wie ihn der König prüfend beobachtete. Schließlich antwortete Balian:
„Dafür kann ich nicht der Anlaß sein."
Und Tiberias versuchte ihn bei seiner Ehre zu greifen und wiederholte Balians Antwort vom Beginn dieser Unterredung:
"Was immer Ihr verlangt, ich werde es tun", und dabei zog er abschätzend eine Augenbraue in die Höhe. Der König schwieg bislang, aber er nahm jede Regung an Balian sehr genau wahr.
Nach einem kurzen Moment des Schweigens sah Balian dem König erneut fest in die Augen und antwortete:
„Ein König kann einen Mann fordern, aber seine Seele gehört ihm allein; das waren Eure Worte", und der junge Ritter blickte seinen Herrn abwartend an.
Und dieser antwortete:
„Ja, das habe ich gesagt."
Balian neigte ehrerbietig sein Haupt und sagte dann:
„Ihr habt meine Liebe und meine Antwort."
Der König neigte sein Kopf etwas zur Seite und betrachtete Balian voller Liebe. Hinter seiner Maske konnte dies niemand sehen, aber er empfand Stolz und Liebe für diesen Mann, den Sohn seines Lehrers. Balian erfüllte zwar nicht seinen sehnlichsten Wunsch, ergriff die Macht und sicherte so möglicherweise den Frieden, aber er war sich treu und so wußte er, daß, wenn das Schlimmste eintrat, Balian für die Menschen und seine Schwester da sein und alles in seiner Macht stehende tun würde, um sie zu verteidigen und zu retten. Und so antwortete er und entließ damit Balian:
„So sei es."
Tiberias folgte kurz darauf Balian und hielt ihn auf. Er war hin und her gerissen zwischen Stolz und Wut. Er war nicht so ein Idealist wie Godfrey und er verstand deshalb diese Skrupel nicht. Und so hielt er den Sohn seines Freundes auf und versuchte, ihm nochmals ins Gewissen zu reden:
„Balian, warum schützt du Guy? Der Mann haßt dich, er würde dich eigenhändig töten, wenn er könnte." Und etwas ruhiger und sanfter, eindringlicher fuhr er fort, während er Balian fest anblickte: „Wäre es so schwer, Sybilla zu heiraten?"
Balian blickte nieder, er wollte Tiberias nicht zeigen, wie schwer es ihm fiel zu widerstehen.
„Das Königreich hat keinen Bedarf an einem perfekten Ritter, Balian", sprach sein Freund weiter. Aber Balian hatte sich nun wieder in der Gewalt und hob seinen Blick. Fest und energisch antwortete er Tiberias:
„Nein, dies ist ein Königreich des Gewissens oder gar keines", damit ließ er den Statthalter stehen. Tiberias stand noch einen Moment wie verloren da. In seiner Brust stritten Stolz, Liebe, Achtung und Resignation miteinander. Er hatte noch seinen Besitz in Zypern, aber wie Godfrey oder André waren sie immer für den sterbenden König und seinen Traum da gewesen, und Balian war ihre letzte Hoffnung auf den Erhalt dieses Traumes.
Guy, der sich wie ein Löwe im Käfig fühlte, weil er seines besten Intriganten und Vertrauten beraubt war, erhielt laufend Informationen über Balians Aufenthalt. So wußte Guy auch, daß Balian ein langes Gespräch mit dem König hatte und er ahnte auch, daß der König versucht war, ihn noch vor seinem Tode kaltzustellen. Guy suchte deshalb, obwohl es für sein Ansehen nicht ganz unproblematisch war, Reynald de Châtillon im Kerker auf. Er konnte noch nichts für ihn tun, aber wenn der König erst tot war, würde er ihn wieder freilassen. Seine Verurteilung durfte nur bis dahin nicht vollzogen werden. Guy lehnte an dem Gitter und wußte nicht recht, wie er anfangen sollte:
„Ich habe ein Problem." sagte er schließlich einfach.
Und Reynald antwortete ebenso schnörkellos:
„Ich weiß — Balian." Und Guy trat wütend mit seinem Fuß gegen das Gitter.
„Er wurde in Kerak gefeiert." fuhr de Châtillon ungerührt fort. Dann trat er ganz nah an das Gitter und flüsterte das, woran Guy schon die ganze Zeit gedacht hatte:
„Tötet ihn."
Mehr war zwischen diesen beiden Männern nicht zu sagen und Guy, der bislang noch Skrupel gehabt hatte, würde nun seinen Leuten den Auftrag erteilen, und Balians Tage würden gezählt sein.
Einige Tage später hatte Tiberias nochmals Balian zu sich gerufen und versucht ihn umzustimmen, aber Balian blieb bei seiner Entscheidung und Tiberias mußte sie schließlich akzeptieren. Balian war in den Hof mit den Pferden zurückgekehrt, hatte gerade sein Pferd selbst gesattelt und wollte zurück zu seinem Anwesen reiten. In diesem Moment ritt Sybilla in den Hof ein. Sie hatte ihn nicht bemerkt und eilte, nachdem sie abgestiegen war, auf den Eingang des Palastes zu, als Balian aus dem Schatten trat und sie leise anrief. Sybilla drehte sich zu ihm um und eilte an seine Seite. Sie küßte seine Wange und nahm sein Gesicht in Ihre Hände, während Balian es sich verweigerte, sie in die Arme zu schließen. Dies hier war ein öffentlicher Platz und sie waren nicht alleine. Sybilla flüsterte:
„Wer seid Ihr, daß Ihr Euch einem König versagt?"
Und sie blickte in sein Gesicht und sprach weiter:
„Ich bin was ich bin und das schenke ich Euch", und sie wollte ihn zärtlich auf den Mund küssen, aber Balian entzog sich ihr.
„Ihr sagt nein?", Sybillas Stimme überschlug sich fast. Wie konnte Balian, der behauptete sie zu lieben, sie ablehnen?
Und Balian antwortete mit gedämpfter Stimme, Sybillas Reaktion tat im weh:
„Glaubt Ihr ich bin wie Guy? Glaubt Ihr, ich verkaufe meine Seele?"
Sybilla wich von ihm zurück und blickte ihn voller Entsetzen an, sah weg und wandte sich dann wieder ihm zu. Das, was er gerade gesagt hatte, war wie eine Ohrfeige für sie gewesen:
„Es wird der Tag kommen, an dem du dir wünschst, ein kleines Übel begangen zu haben um etwas wirklich Großes zu bewirken"; sie sprach dies in einem Ton und mit einer Verachtung aus, daß es sich wie eine Drohung für Balian anhörte und dann verschwand sie im Palast. Balian blickte hinterher und hatte das Gefühl, als wäre ihm gerade das Herz aus der Brust gerissen worden. Er wandte sich um und ging zu seinem Pferd. Es war später Nachmittag und Balian hatte das dringende Bedürfnis, nach diesem Gespräch allein zu sein. Er wollte aus der Stadt reiten, irgendwohin, er brauchte Zeit und Abstand, um nachzudenken.5 Er stieg auf und ritt von dannen ohne Nachricht an seine Männer oder Tiberias und er bemerkte nicht die Schatten, die ihm folgten.6
Anmerkungen
1> Streithammer waren in der Lage, Löcher in Rüstungen zu schlagen bzw. diese so zu deformieren, daß sie nicht mehr bewegt werden konnten. Siehe auch ein Bild im Glossar.
2> Bezug zum Film Beim Abzug aus Jerusalem ist bei Balian keiner seiner Männer mehr, nicht einmal Almaric. Da sie scheinbar Familie auf Ibelin hatten (siehe Ankunftsszene Ibelin) könnte es sein, daß Balian mit Hilfe von Saif einen Kompromiß mit Salah-al-Din geschlossen hat und so seine Männer als Christen unter einem toleranten moslemischen Reich weiter auf Ibelin leben durften.
(Möglicher Einstieg für einen Folgeroman.)
3> Bezug zum Film Nach der Schlacht bei Kerak und der Szene mit dem Heerlager Salah-al-Dins, wurde gezeigt, daß Balian bereits in Jerusalem war, als Guy dort einritt. Da Guy eigentlich beim Heer des Königs war, als es um Kerak ging, liegt also hier ein längerer zeitlicher Handlungsablauf dazwischen.
4> Bezug zum Film Balian wußte erstaunlich schnell darüber Bescheid, wie er Jerusalem zu verteidigen hatte, obwohl er als einfacher Schmied nicht unbedingt mit einer Verteidigung einer Burg in seinem Leben in Frankreich was zu tun haben konnte.
5> Bezug zum Film In dieser Szene bei den Pferden hatte Balian keinen Waffenrock mehr an, sondern trug nur noch einen Umhang. Und in der weiteren Filmfolge war Balian alleine an der Brunnenansammlung auf dem Weg nach Ibelin zu sehen, ohne seine Ausrüstung bis auf sein Schwert.
6> Bezug zum Film Angriff der Templer auf Balian. Weitere Informationen nachzulesen im Glossar.
Reviews bitte ans Forum oder direkt an mich:
Glossar kann hier downgeloadet werden: http/rapidshare.de/files/17947832/Glossar.doc
Die Kapitelbilder sind unter www. beim Hoster photopucket abgelegt und dort zu finden unter/albums/a310/sabaul/Roman KOH
