Disclaimer

Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.

Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.


Kapitel 21


Für die Menschen

In den Tagen, die kamen, war Balian überall zu finden. Er begutachtete die Einlagerungen an Vorräten, er sprach mit den Waffenmeistern die Einstellung der Katapulte durch. Er suchte die Bogenschützen aus, die auf der Mauer auf den letzten Distanzen die Angreifer mit Pfeilen eindecken sollten und er gab genaue Anweisungen, wo die kleinen, öl- und teergefüllten Kalebassen1 gelagert werden sollten, um sie schnell als brennende Waffen gegen Sturmtürme und Rammen einsetzen zu können. Die Menschen schöpften, wann immer die Angst über ihnen zusammenzubrechen drohte, durch seine Energie und seine Präsenz eigenen Mut. Aber Almaric und Salem, die beiden Menschen, die Balian näher standen als sonst jemand, sahen, daß ihr Freund zum Wohle der Bewohner Jerusalems mit seinen Kräften Raubbau betrieb. Am zweiten Tag nach seiner Rückkehr zogen sie ihn bei einer für andere unauffälligen Gelegenheit beiseite und drängten ihn nach Hause in sein Heim. Obwohl er aufbegehrte, gaben sie nicht nach und forderten ihn zum Essen und Baden auf. Sie bestanden darauf, daß er sich einige Stunden Schlaf gönnte. Almaric und Salem zeigten sich hier hartnäckiger als Balian, der zunächst dazu nur den Kopf schüttelte und sich wieder zur Stadtmauer begeben wollte. Aber seine beiden Hauptleute handelten als seine Freunde und ließen es sich nicht nehmen, dafür zu sorgen, daß er dem Verlangen seines Körpers Tribut zollte. Nachdem Balian gegessen und gebadet hatte, ließ sich die Erschöpfung, die zwei Tage fast ohne Schlaf mit sich brachten, nicht mehr verleugnen. Balian legte sich schlafen. Salem und Almaric sahen sich zufrieden an und gingen wieder in die Stadt, um Balians Anweisungen weiter umzusetzen. Auch wenn Balians Anwesenheit den Menschen Entschlossenheit signalisierte, es würde niemandem helfen, wenn sie miterleben müßten, wie er erschöpft zusammenbrach. So gedachten Almaric und Salem auch offen Auskunft darüber geben, daß ihr Anführer auch einmal Schlaf nötig hatte. Balian war ein Mensch wie jeder andere und gerade das war immer das gewesen, was die Menschen in seiner Nähe spürten und weshalb er andere so motivieren konnte.

Es war der dritte Tag nach der Rückkehr Balians vom Schlachtfeld Hattin, als er dabei war mit Helfern die Schußdistanzen für die Katapulte zu vermessen. Er ließ dazu im Abstand von dreihundert, zweihundert und hundertfünfzig Schritt kleine Steinhügelchen aufrichten, die zur besseren Erkennbarkeit auf der von Jerusalem sichtbaren Seite weiß gekalkt wurden. Balian vermaß gerade mit einer Dioptra2 die Distanzen für die Vierhundert-Fuß-Katapulte, als sein Blick an einem einzelnen Reiter auf einer Anhöhe hängen blieb. Der Reiter trug keine Fahne oder ein sonstiges mit bloßem Auge erkennbares Zeichen von Salah-al-Dins Heer, aber Balian war sich sicher, daß dieser Reiter sich ganz bewußt zeigte, um so die Ankunft des Gegners zu signalisieren.

Sie sind da", sagte Balian, während er sich von der Dioptra aufrichtete. Almaric, der neben ihm stand, versuchte abzuwiegeln:

„Es ist nur ein einzelner Reiter", gab er deshalb zurück. Aber Balian schüttelte den Kopf und erwiderte wie zur Bestätigung nochmals:

„Sie sind da."

Es würde noch einige Zeit dauern, bis das große Heer in Stellung gegangen war, aber die Zeit des Wartens und der Vorbereitung lief ab. Von einem Moment auf den anderen wurde nun allen bewußt, daß es kein Zurück mehr gab und auch eine Flucht zwecklos war. Alle Augen waren auf Balian gerichtet. Der junge Heerführer Jerusalems, der bislang unerschrocken agierte und Weisungen gab, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, als Verteidigungslinien aufzubauen, spürte diese Erwartungshaltung mehr als je zuvor. An seinen Nerven zerrte, daß Salah-al-Din sein Heer nicht am Tage aufmarschieren ließ, und ihm damit gezeigt hätte, womit er rechnen mußte. Salah-al-Din, bekannt als hervorragender Taktiker, wollte mit dieser Vorgehensweise sicherlich die Verteidiger bereits vor der Schlacht zermürben.

Balian hatte nicht wirklich damit gerechnet, daß Salah-al-Din so überheblich gewesen wäre, die ganze Stärke seiner Armee noch vor der Schlacht zu präsentieren. Aber er, der noch nie eine solche Schlacht miterlebt hatte und sich ganz auf seinen Instinkt verlassen mußte, hätte sich ausnahmsweise eine solche Selbstdarstellung gewünscht.

Während einer seiner letzten Rundgänge auf dem Wehrgang sprach er nochmals mit Almaric ihre Vorgehensweise durch.

„Wir werden ihren Beschuß über uns ergehen lassen. Erst, wenn sie nahe genug sind und ihre Katapulte zum Schutz ihrer eigenen Fußtruppen schweigen lassen müssen, werden wir unsere Antwort geben. Sorgt dafür, daß genügend Wasser zum Löschen bereit steht und laßt Verletzte sofort wegschaffen. Die Brunnen müssen freihalten werden. Der Zugang zum Wasser muß jederzeit möglich sein", gab Balian seine letzten Anweisungen.

Am Mittag zog sich Balian in sein Haus zurück, nahm nochmals ein Mahl ein und schlief wenige Stunden. Dies würde vielleicht für die nächsten Tage seine letzte Möglichkeit für eine Rast sein. Als er dann am späten Nachmittag wieder zur Stadtmauern ging, trug er den Waffenrock der Jerusalemer Wache und die Embleme des Heerführers. Bislang war er im einfachen Hemd und Hose unterwegs gewesen, weil er, wo immer es nötig war, selbst Hand angelegt hatte, aber nun war er voll gerüstet und bereit zum Kampf. Seine schwerste Aufgabe lag aber noch vor ihm. Er mußte zu den Menschen sprechen, mußte ihnen ihre Furcht nehmen und Hoffnung geben. Einen Moment blieb Balian stehen und schloß die Augen. Er rief sich die letzten Worte seines Vaters ins Gedächtnis zurück und flehte im Stillen um seinen Beistand. Er bat André um seine Kraft im Glauben und Gott um seinen Segen.

Dann trat Balian, ganz Heerführer, auf die Stadtmauer und ging mit festen Schritten Richtung Haupttor. Dort wollte er von oben herab seine Worte zu den Menschen von Jerusalem sprechen und er hoffte, daß er ihnen – jedem einzelnen – das geben konnte, was sie in diesen Stunden brauchten.

Auf dem Weg zum Tor kam ihm der Patriarch der Stadt entgegen. Er war völlig aufgelöst und seine Worte an Balian zeigten seine Furcht.

„Wir können die Stadt nicht verteidigen. Wir müssen flüchten", sprach er gehetzt zu Balian und hielt ihn auf seinem Weg auf.

„Und wie stellt Ihr Euch das vor, Eure Heiligkeit?", frage Balian etwas genervt.

„Wir nehmen die schnellsten Pferde und fliehen aus dem Seitentor", antwortete der Geistliche. Balian blickte ihn angewidert an:

„Und was wird aus dem Volk?", stellte er hart die Gegenfrage.

„Das Schicksal des Volkes ist bedauerlich, aber es ist Gottes Wille", kam sehr schnell die Antwort des geistlichen Oberhauptes, der sich dabei bekreuzigte. Balians Blicke hätten in diesem Moment töten können.

‚Gottes Wille', wie leichtfertig die Menschen doch mit diesem Wort umgingen, dachte er bei sich. André hatte recht, als er von den Konfessionen und Fanatikern zu ihm gesprochen hatte und er bat erneut im Stillen um Andrés Sanftmut und Stärke. Dann wandte er sich abrupt vom Patriarchen ab und nahm seinen Weg zum Tor wieder auf. Er ließ das Oberhaupt der Kirche von Jerusalem einfach stehen, denn für ihn hatte dieser sich selbst jeglicher Legitimation, in Gottes Namen zu sprechen, beraubt, als er das Volk zu seiner eigenen Sicherheit seinem Schicksal überlassen wollte.

‚Was war der Glaube ohne die Menschen?'

Aber Heraclius3, dem Oberhaupt der Kirche Jerusalems, ging es gar nicht um den Glauben und die Menschen, ihm ging es nur um sein eigenes Leben.

Und Balian, der bisher noch nicht sicher gewesen war, was er sagen, womit er die Menschen erreichen wollte, wußte nun, durch die Selbstsucht des geistlichen Hirten dieser Gemeinde, wozu er die Menschen aufrufen mußte. Er trat an den Rand der Mauer, und ein Soldat forderte mit weithallender Stimme die Menschen auf, Ruhe zu halten. Almaric, Salem und der Patriarch waren hinter Balian getreten und warteten nun gespannt, was dieser zu sagen hatte. Almaric war es klar, daß Balian die Menschen mit seinen Worten gefangen nehmen und ihnen jegliche rassen- und glaubenstrennende Voreingenommenheiten nehmen mußte, damit sie eine Chance hatten, als ein Heer Jerusalem zu verteidigen. Er mußte sie mit seinen Worten einen, zusammenschweißen und die Unterschiede zwischen ihnen hinwegwischen. Balian durfte sie, in seiner Funktion als Heerführer, keinen Zweifel daran haben lassen, daß sie ein gemeinsames Ziel und die Chance auf Erfolg hatten. Er mußte sie überzeugen, daß diese Dinge wie Reichtum, Glauben, Hautfarbe keine Rolle mehr spielten. Einzig ihr gemeinsames Ziel durften sie mehr vor ihren Augen und in ihrem Sinn sehen. Dies war eine schwere, vielleicht die schwerste Aufgabe, die sein junger Herr und Freund in seinem Leben zu bewältigen hatte. An ihrem Gelingen hing das Überleben von Jerusalems Bewohnern. Almaric sah, wie angespannt Balian war und er bat den Herrn um seine Hilfe für den Verteidiger Jerusalems.

Balian blickte zunächst schweigend in die Runde, bis der Ruf nach Ruhe alle erreicht hatte und er die ganze Aufmerksamkeit aller ihn sehenden Bewohner Jerusalems hatte. Dann trat er noch einen Schritt nach vorne und begann:

„Es ist an uns, Jerusalem zu verteidigen und wir haben uns auf die Verteidigung vorbereitet so gut man sich darauf vorbereiten kann!", rief er in die Menge. Er hielt einen Moment inne, um seiner Stimme einen noch festeren Klang zu geben und fuhr dann fort:

„Niemand von dem großen Heer, das gegen uns zieht, lebte, als diese Stadt verloren ging!" Abermals holte er tief Luft:

„Keiner von uns ist schuld, an dem, was damals geschah! Wir kämpfen wegen etwas, das wir nicht getan haben!"

Die Menschen blickten schweigend zu ihm auf und ein jeder fragte sich, worauf der junge Ritter hinaus wollte. Balian senkte kurz seinen Kopf und sprach dann weiter:

„Was ist Jerusalem?", stellte Balian die rhetorische Frage an die Menschen der Stadt. Dann gab er selbst die Antwort:

„Die heiligen Stätten Jerusalems sind erbaut auf den Ruinen der anderen. Die Römer errichteten ihre Heiligtümer auf denen der Juden. Die Moslems erbauten die ihren auf denen der Römer und die Christen wiederum auf den ihren."

Er hielt sich einen kurzen Augenblick zurück, dann fragte er provokant:

„Welche Stätte ist heiliger? Die Moschee? Die Klagemauer? Das Heilige Grab?"

Balian ließ diese Fragen erst in den Köpfen der Menschen ankommen, bevor er die entscheidende Frage stellte:

„Wer hat Anspruch auf diese Stätten?"

Balian hielt inne und ließ seine Worte in der Stille hängen, dann erst rief er den Bewohnern entgegen:

„Keiner hat Anspruch!" – und abermals wartete er einige Augenblicke und sprach dann laut und vernehmlich in das lastende Schweigen: „Alle haben Anspruch auf sie!"

Der Patriarch fuhr erbost auf:

„Blasphemie!" und wollte Balian zum Schweigen bringen, aber Almaric hielt ihn zurück und fuhr ihn an:

„Schweigt!"

Der Geistliche sah den ersten Mann Balians entgeistert an, schwieg aber entrüstet.

Balian, der davon nichts mitbekommen hatte, nahm die Spannung, die in der Luft hing auf und sprach weiter:

„Wir kämpfen nicht zum Schutz der heiligen Stätten!"

Und dann fügte er den, alles entscheidenden Satz an, der die Menschen dieser Stadt einen mußte oder an ihnen abtropfen würde wie Wasser:

Wir kämpfen für die Menschen, die in dieser Stadt leben!"

Und da war plötzlich das Gefühl der Verbundenheit, der Einheit, der Funke, der sie alle zusammenschweißte. Plötzlich, mit diesen letzten Worten, waren die Unterschiede egal. Die Resignation, die sich bei dem Gedanken an den Sinn dieses Kampfes in jedes Herz geschlichen hatte, war wie weggewischt. Sie kämpften nicht für einen Glauben, die Steine, das Hab und Gut. Sie würden gemeinsam für ihr eigenes Leben und das Leben aller in Jerusalem kämpfen und nur das zählte.

Balian fügte seinem letzten Satz nichts mehr hinzu und ließ seine Worte in ihre Gedanken sinken. Er stand noch lange ganz ruhig da und zeigte sich allen, die seinen Worten einen Anker, einen Halt in ihrem Herzen geben wollten, erst dann drehte er sich wieder zu seinen Männern um und wollte seinen Rundgang fortsetzen. Eine eigentümliche Stimmung hing in der Luft. Keiner der Menschen sprach in diesem Moment ein Wort. Alle sahen sie hinter dem Mann her, der ihnen ein Ziel, eine Gemeinsamkeit und damit Hoffnung gegeben hatte. Sie waren keine Einzelpersonen mehr, sie waren die Verteidiger von Jerusalem. Almaric, der unter Godfrey schon oft hatte beobachten können, wie unter richtiger Anleitung aus verzagten Menschen standhafte Kämpfer wurden, nickte mit dem Kopf. Balian hatte genau den Nerv der Menschen getroffen.

Als Balian seinen Weg aufnehmen wollte, trat ihm ein Soldat in den Weg, nahm seinen Helm ab, hielt ihn sich vor die Brust und verneigte er sich vor Balian. Balian betrachtete den Mann erstaunt. Er kam ihm bekannt vor, aber er konnte das Gesicht nicht mehr einordnen. Aus einer dunklen Erinnerung heraus wußte er, daß es irgendwo in Frankreich gewesen war, in einem Leben, das scheinbar so weit hinter ihm lag. Er nickte dem Mann zu, mehr um ihm zu danken, als ein Erkennen zu signalisieren und ging weiter. Der Soldat aber hatte Balian erkannt, jenen jungen Schmied aus Frankreich, der nie ein böses Wort auf seinen Lippen trug, der verschlossen, aber immer hilfsbereit war. Jenen Mann, der dennoch von den Bewohnern des Dorfes, in dem er lebte, gemieden und gehaßt wurde, weil sein Leben mit einer Sünde begann, für die er selbst nicht verantwortlich gemacht werden konnte. Ja, er erkannte Balian, und es war ihm bewußt, daß ihn dieser nicht als den Bruder seines damaligen Lehrlings wiedererkannt hatte. Dennoch freute er sich, denn nachdem er Balians Frau Julie beerdigt hatte, hatte sich immer gefragt, was nach jenem grausamen Schicksalsschlag, der dem jungen Mann jegliche Wärme aus dem Leben genommen hatte, aus diesem sanften Menschen geworden war.

Balian war von der Stadtmauer hinunter in einen der Innenbereiche zwischen den zwei Stadtwällen gegangen, als ihn Heraclius abermals aufhielt und wetterte:

„Wir können Jerusalem nicht ohne Ritter verteidigen. Wir haben keine Ritter", sprach er panisch. Es mußte doch etwas geben, um diesen jungen Heerführer zur Vernunft und ihn in Sicherheit zu bringen.
Balian blieb stehen und drehte sich zu dem Geistlichen um.

„Ist das so?", frage er mit einem Unterton, der deutlich zeigte, was er von dem neuerlichen Versuch des Patriarchen hielt. Und der Geistliche nickte nur mit dem Kopf. Er hoffte, nun da Balian sehr nachdenklich wirkte, daß er endlich ein Einsehen hätte.

Balian aber sah sich um. Um ihn herum standen Soldaten und einfache Männer, die, durch die Worte des Patriarchen wieder verunsichert, ihren Heerführer erwartungsvoll, auf eine Antwort wartend, anblickten. Balian wandte sich an den jungen Mann neben dem Geistlichen, der immer schon ganz in dessen Nähe zufinden gewesen war.

„Was ist deine Aufgabe?", fragte er ihn.

Der junge Mann, fast noch ein Knabe, antwortete verlegen:

„Ich bin ein Diener im Haushalt des Patriarchen."

Und Balian fragte erneut:

„Ist das so?"

Abermals erhielt er nur ein Kopfnicken, und der Geistliche stotterte unverständlich:

„Er ist mein Diener."

Balian sah sich nochmals um und in die erwartungsvollen Augen der Umstehenden, dann wandte er sich erneut an den jungen Christen:

„Knie nieder", sagte Balian sanft, aber bestimmt. Der junge Diener folgte seiner Anweisung, wenn auch zögerlich und Balian wandte sich ab und rief über die Köpfe der Versammelten hinweg:

„Ein jeder waffenfähige Mann oder ein jeder, der eine Waffe tragen kann, kniee nieder!"

Die Männer um ihn herum waren verblüfft und folgten seinem Aufruf, wenn auch nur widerstrebend. Nur der Mann, der sich vor Balian bereits verbeugt hatte, kniete sofort. Balian wandte sich nochmals an die Masse und rief diesmal schärfer und jeden Widerspruch niederdrückend:

„Kniet nieder!"

Diesmal beugten alle ihre Knie vor Balian, ohne daß nur einer zögerte.

Balian wandte sich an den jungen Diener, der ihn mit großen Augen anblickte und sprach:

„Sei ohne Furcht im Angesicht deiner Feinde."

Balian sprach mit fester Stimme den Eid, mit dem sein Vater ihn zum Ritter geschlagen hatte.

„Seid tapfer und aufrecht, auf das Gott Euch lieben möge.", und bei diesen Worten blickte er in die Gesichter der vor ihm knieenden Männer.

„Sprecht immer die Wahrheit, auch wenn es den Tod bedeutet."

Und als Balian dies sprach, nahm er auch Blickkontakt mit denen auf, die etwas weiter von ihm entfernt waren, damit ein jeder sich angesprochen und an diese Worte gebunden fühlten, die ihm selbst so viel bedeuteten. Dann blickte er wieder in die engere Runde und vollendete den Ritterschwur:

„Verteidigt die Wehrlosen und tut kein Unrecht. Das ist Euer Eid."

Erst blickte er noch einmal fest in die Augen aller, die zu ihm aufsahen, dann wandte sich Balian wieder an den jungen Diener und gab ihm stellvertretend für alle, die gewillt waren, diesem Eid zu folgen, eine schallende Ohrfeige, wie er sie von seinem Vater erhalten hatte und sprach:

„Und dies dafür, damit du ihn nicht vergißt."

Dann wandte er sich wieder um und sprach laut und vernehmlich:

„Erhebt Euch als Ritter! Erhebt Euch als Ritter!"

Mit diesem Ruf in die Runde, machte er allen klar, daß er sein Recht als Ritter wahrgenommen hatte und alle, die gewillt waren, an seiner Seite Jerusalem mit ihrem Blut zu verteidigen und die seinem Eid nachkommen wollten, zu Ritter erhoben hatte. Die Augen der Männer leuchteten und mehr als zuvor, standen sie zu ihrem Heerführer, der sie sich gerade ebenbürtig gemacht hatte.

Der Patriarch konnte das nicht fassen. Was dachte sich dieser Ibelin, daß er die Ordnung aufheben konnte und das Oberhaupt der Kirche Jerusalems sprach aus, was er dachte:

„Wer glaubt Ihr daß Ihr seid? Meint Ihr, Ihr könnt die Welt verbessern? Daß ein Mann, durch einen Ritterschlag, zu einem besseren Kämpfer wird?"

Balian, der sich bereits abgewandt hatte und durch die Reihen der Männer weitergehen wollte, blieb stehen, drehte sich langsam um und blickte den Patriarchen nur mitleidig an. Dann antwortete er mit nur einem Wort:

Ja!"

Aber diese kurze Silbe enthielt all seine Kraft, seine Überzeugung, all sein Streben nach einer besseren Welt, so daß Heraclius verlegen und nachdenklich schwieg. Als der Geistliche aber dennoch hinter Balian hersetzen wollte, versperrten ihm die neuen Ritter den Weg und zeigten ihm damit, wem sie folgen würden. Seine Heiligkeit mußte erkennen, daß sie ihren Heerführer schützen würden und er gab sich geschlagen. Balian, so jung er war, verstand es, die Menschen für sich zu gewinnen, und Heraclius begriff nun auch, warum Guy de Lusignan ihn fürchtete. Der junge Baron von Ibelin war nicht nur seinem Vater ähnlich, er war soviel mehr, als dieser je sein konnte. Der junge Ritter hatte eine natürliche und menschliche Autorität. Hätte das Schicksal ihn an eine höhere Stelle geboren, wäre er zu einem unvergleichlichen Führer seines Volkes geworden. Der oberste Geistliche von Jerusalem mußte dies neidvoll anerkennen und er realisierte langsam, daß möglicherweise dieser junge Ritter der einzige Mensch war, der das Wunder vollbringen konnte, die Bewohner dieser Stadt zu retten, weil er nicht von ihnen verlangte, daß sie für ihn kämpfen sollten, sondern daß er ganz selbstverständlich für sie kämpfte. Die Menschen der Stadt würden sich seinem Opfer nicht entziehen können und versuchen, es ihm gleich zu tun. Dem Patriarchen wurde klar, daß dies die Menschen zusammenschloß zu einem Moloch, der schwer zu überwinden sein würde und genau das konnte letztlich ihre Rettung sein.

Balian ging nochmals die Mauer ab und gab abermals Anweisungen, wo die Feuer für das Sieden des Öles geschürt werden sollten. Dann teilte er die Ibeliner Soldaten den einzelnen Verteidigungsabschnitten zu, damit neben den wenig erfahrenen Kämpfern auch jeweils zwei bis drei erfahrene und kampferprobte Führer standen, die in der Lage waren, mögliche auftretende Furcht und Fluchtbewegungen zu unterbinden. Die Verteidigung mußte standhalten. Sie durfte nicht daran scheitern, daß die Menschen, die noch nie gekämpft hatten, aus Mangel an Führung flüchteten.

Es war Abend geworden, und noch immer konnte man kein Heer aufmarschieren sehen. Langsam legte sich die Dunkelheit über das Land und Balian befahl, die Feuer zu entzünden und sich für den Kampf bereit zu machen. Er schickte verantwortliche Soldaten zu den Frauen und Wehrlosen und hieß sie unter ihrer Obhut den Schutz in den Katakomben und massiven Gewölben der oberen Stadt zu suchen. Dann ging er vor das Stadttor und blieb einige Schritte davor stehen. Er blickte hinaus zu den in der Schwärze der Nacht verschwindenden Hügeln und lauschte auf die Geräusche sich vorwärtsbewegender Massen. Almaric war zu ihm getreten und blickte in die gleiche Richtung.

Ein Reiter tauchte am fast schon verschwindenden Horizont mit gezogenem Schwert auf und ließ sein Pferd nervös tänzeln. Dann rief er auf Arabisch:

„Gott sei mit uns! Es kann keinen Sieg ohne Gott geben!"

Dann wendete der Reiter, dessen Ruf für die Moslems gedacht war, aber gleichermaßen auch von den Christen aufgenommen wurde, sein Pferd und ritt zurück in die mittlerweile dunkle Nacht.

Ein Soldat hatte auf den Reiter angelegt, aber Balian hatte es unterlassen einen Schießbefehl zu geben. Der Reiter hatte nur einen letzten Ehrengruß an die Gegner gegeben. Balian hätte es als ehrenrührig empfunden, wenn dieser Bote getötet worden wäre.

„Wann wird es beginnen?", fragte nun Almaric mehr den unsichtbaren Gegner als seinen Freund. Balian aber antwortete so ruhig und gefaßt, daß Almaric ihn erstaunt anblickte:

„Bald."

Dann drehte er sich um und ging mit weitgreifenden Schritten durch das Tor zurück in die Stadt. Das Tor war gerade verschlossen, als glühenden Sternen gleich schwere Geschosse aus griechischen Feuern4 über der Stadt hernieder regneten.

Balian sah die Geschosse kommen und erkannte, daß ihre Flugkurve und damit ihr Einschlag den eigenen Katapulten viel zu nahe kamen, und so rief er, so laut er konnte, den Männern zu:

„Bringt die Katapulte mehr an die Mauern!"

Und er selber rannte auf eines der Geräte zu und konnte sich selber im letzten Augenblick vor einem Geschoß durch einen Hechtsprung in Sicherheit bringen. Er rappelte sich wieder auf und rannte weiter zum Katapult. Nach einem neuerlichen Einschlag mußte er, die Arme schützend vor dem Gesicht, unter einem Hagel aus Gesteinssplittern abtauchen. Immer wieder mußte er Deckung suchen, bis er endlich die Waffe erreicht hatte. Balian stemmte sich selbst in das Gewicht des Gerätes und feuerte die Männer an, zu schieben. Gemeinsam schafften sie die Waffe näher an die Mauer heran und damit in den toten Winkel der gegnerischen Geschosse. Almaric hatte Balians Absichten und seinen lebensgefährlichen Spurt mit angesehen und schob mit den ihm zugeteilten Männern seinerseits seine Gerätschaften ebenfalls an die Mauer heran. Aber er hatte gezögert, denn er hatte schon befürchtet, Balian könnte getroffen sein und erst als er nach dessen Sprung sah, daß er wieder aufgestanden war, hatte er sich seinen Aufgaben zugewandt. Ihm war das Herz stehengeblieben und im Stillen schickte er ein Stoßgebet zu allen Heiligen, die er kannte, daß sie über Balian ihre schützenden Hände hielten.

Ein Geschoß nach dem anderen schlug in Jerusalem ein. Die Brandgeschosse waren fast noch verheerender als die reinen Steinblöcke, die pausenlos feinste Steinsplitter auf die Soldaten herunterregnen ließen, welche die Haut aufrissen. Pausenlos wurden Menschen von Fragmenten getroffen oder von den Flammen, der auflodernden Brandherden erfaßt, die von den bengalischen Feuern mit Teer weit in ihrem Einschlagsumkreis entzündet wurden. Die Verwundeten wurden sofort versorgt, und ebenso löschten die Menschen fortwährend die Feuer. Balian war mitten drin und gab Anweisungen und war für die in Panik aufgelösten Verteidiger ein Fels in der Brandung. Unentwegt schritt Balian die Verteidigungsfront ab und bestärkte die Männer. Er griff selbst mit zu und barg ebenso Verletzte.

Im gegnerischen Lager standen Salah-al-Din und Saif zusammen neben einer der riesigen Schleudern, die mittels Seilzug und einem Gegengewicht5 die wuchtigen Steingeschosse über sechshundert Fuß weit in die belagerte Stadt schossen. Die Angreiferreihe selbst war aber noch weit genug entfernt, daß antwortender Beschuß nur Zufalltreffer bringen würden. Zudem hätten die Verteidiger in eine blinde Dunkelheit hinein gefeuert und würden keine Gewißheit für Treffer oder die Möglichkeit haben, sich durch Beobachtung einzuschießen.

Am Himmel zogen die feurigen, mit Teer gefüllten Kalebassen, kometengleich leuchtende Bahnen am Himmel und dumpf hörte man ihren Einschlag. Saif fürchtete bei jedem Wurf um das Leben seines Freundes Balian. Bei den Toten von Hattin hatte er ihn nicht gefunden und sein Herz hatte gejubelt, aber so wie er ihn kannte, würde er in dieser Stadt sein und kämpfen. Er würde für die eintreten, die sich nicht selbst verteidigen konnten, was nichts anderes bedeutete, daß sie sich hier nun im Kampf um Jerusalem als Gegner gegenüber standen und daß letztlich einer von ihnen den Preis der Niederlage zu zahlen hatte. Saifs Herz war schwer und er wünschte sich diesen Kampf und den unausweichlichen Moment möglichst rasch hinter sich.

Saif hatte die Unruhe gepackt und er sprach gegenüber seinem Mentor und Herrn seine Gedanken aus:

„Warum greifen sie nicht an?"

Salah-al-Din lächelte milde, so als hätte er Nachsicht mit der dummen Frage eines Schülers, aber er wußte, was Saif bewegte, und er antwortete ohne weitere Erklärung nur:

„Sie warten."

Und Saif fragte sich, worauf nur. Er, aber auch Salah-al-Din ahnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß sie auf einen gut vorbereiteten Gegner getroffen waren, hatten sie doch nach dem Verlust des christlichen Heeres mit einer desolaten Verteidigung von Jerusalem gerechnet. Und so beobachteten sie weiter schweigend und ohne große Gedanken an das Morgen den Feuerregen, der auf Jerusalem niederging.

In Jerusalem selbst schlugen die Geschosse auch weit in der niederen und mittleren Stadt ein. Bei manchen Gesteinsbrocken hielt Balian den Atem an, wenn er sah, wie sie in eine Hauswand oder in eine Kirche einschlugen. Er hatte die Frauen und Kinder, Alten und Gebrechlichen dort hin bringen lassen und er dachte auch an Sybilla, die er seit Tagen nicht wiedergesehen hatte. Er wußte nicht, wo sie Schutz gesucht hatte. Der Palast lag trotz oder gerade wegen seiner erhöhten Lage in der Reichweite der gegnerischen Geschosse. Balian bat inständig darum, daß sie sich in die Kirche oder noch besser in die Sakristei geflüchtet hatte, dort wäre sie durch die starken Mauern vor den tödlichen Geschossen sicher.

Balian verließ auch von Zeit zu Zeit die Mauern, um in den Innenhöfen nachzuprüfen, daß die Abwehrwaffen für den nächsten Tag keinen Schaden genommen hatten. Sein Weg führte ihn auch zu den in den Katakomben kauernden Flüchtlingen, die dort eng zusammengerückt saßen und bei jedem Einschlag eines Gesteinsbrockens, wenn die Wände erbebten und Putz rieselte, furchtsam ihre Gesichter zu Boden senkten oder mit Tüchern ihr Haupt bedeckten. Balian ging durch ihre Reihen und sprach ihnen Mut zu. Er ließ sich seine Müdigkeit und die eigenen Bedenken, die er hatte, nicht anmerken. Beim Gang durch diese Schutzräume, hatte er ein wenig Gelegenheit, sich zu erholen. Er mußte keinem Feuerball ausweichen, nicht mit ansehen, wie wieder ihm anvertraute Menschen verletzt wurden und wie das nun schon stundenlange Bombardement die Verteidiger zermürbte. Er selbst fragte sich bereits, wie lange die Nacht noch andauern würde, und er wartete nur darauf, daß eines der Geschosse etwas Entscheidendes traf und damit seine Planungen zunichte machte und ihre Chance auf Verteidigung zerstörte.

Balian eilte wieder zurück auf die Stadtmauer. Es war wichtig, daß die Männer ihn sahen und sich so immer seiner Führung gegenwärtig waren. Balian war ebenso erschöpft wie sie, aber um ihretwillen gönnte er sich keine Ruhe, obwohl es derzeit unter dem Geschützhagel nichts weiter zu tun gab, als Brände zu löschen, den Verletzten beizustehen und Trümmer wegzuschaffen, wo sie behinderten oder einen Weg blockierten. Balian hatte dabei auch an die Notwendigkeit gedacht, geeigneten Nachschub für die eigenen Katapulte an Gesteinsbrocken zu haben. Er ließ die Steinbrocken, die nicht zerbarsten, bei den Katapulten zusammentragen und auch zertrümmertes Mauerwerk wurde für die eigene Verteidigung verwendet, wenn es in ausreichender Größe durch die feindlichen Geschosse aus den Gebäuden gesprengt war.

Almaric, der in einem Abschnitt der Mauer die Männer führte, sah ständig nach Balian. Er behielt seinen Freund im Auge. Der junge Ritter war Dreh- und Angelpunkt und so was wie die Heilsfigur für die Verteidiger der Stadt. Würde Balian etwas geschehen, wäre es um die Moral der Männer geschehen. Almaric sah auch, daß Balian zeitweise half Brände zu löschen und Verletzte barg. Er verschaffte immer wieder erschöpften Soldaten die Möglichkeit einer kurzen Erholung, aber er selbst gönnte sich keine Ruhe. Gegen Mitternacht nahm der Beschuß allmählich ab. Balian sah eine letzte Feuerkugel wie eine Verkündigung weiteren Unheils auf den Abschnitt zufliegen, wo er sich gerade befand. Das flammende Geschoß würde ohne Schaden über die Mauer gelangen, aber Balian krampfte das Herz zusammen, weil es genau auf einen der Vorratskeller zuflog. Als es über ihn hinwegzog, sah Balian ihm nach und senkte den Kopf ergeben, als er seine Befürchtungen bewahrheitet sah. Er würde sogleich mit Almaric dorthin gehen um zu sehen, wieviel Schaden dieses letzte Geschoß angerichtet hatte.

Es war eigenartig still, als nun die Katapulte schwiegen und keine weiteren verderbnisbringenden Frachten über Jerusalem abluden, und die Soldaten sanken, wo sie gerade waren, erschöpft nieder. Die Menschen in ihren Schutzräumen konnten zunächst gar nicht glauben, daß es für diese Nacht vorüber sein sollte und auch Sybilla, die am Sarkophag ihres Bruders Schutz gesucht hatte, lauschte in die unwirkliche Stille. Sie hatte unzählige glühende Feuerbälle an der Palastkirche durch die Fenster vorbeifliegen sehen. Die junge Königin hatte um den Beistand des Herrn für die Menschen dort draußen, die um ihr Leben kämpften und für jenen einen Mann, dem ihre ganze Liebe gehörte, gebetet. Balian war seit dem Moment im Palast, als sie ihn um seine Kraft gebeten hatte, nicht mehr bei ihr gewesen. Sie war darüber informiert gewesen, daß Balian mit Tiberias dem Heer nachgeritten war. Sie hatte auch gewußt, daß Tiberias seiner Wege ziehen würde. Er war noch bei ihr gewesen und hatte Lebewohl gesagt und sie gebeten, mit ihm nach Zypern zu gehen, von wo sie dann nach Frankreich hätte weiterreisen können. Er wollte sie in Sicherheit wissen, aber Sybilla wollte und konnte die Menschen von Jerusalem nicht im Stich lassen. Sie hatte Balian um seine Hilfe gebeten und deshalb hätte sie es nie über das Herz gebracht ihn zu verraten, in dem sie ihm und Jerusalem den Rücken gekehrt hätte. Sie liebte Balian, und wenn sie diesen Kampf überleben sollten, würde es vielleicht auch wieder einen Weg zu seinem Herzen geben. Sybilla betete darum, daß sie eine zweite Chance erhielt.

Mittlerweile hatten Almaric und Salem es geschafft Balian, davon zu überzeugen, daß auch er sich nun Ruhe gönnen mußte, damit er am nächsten Tag die Verteidigung führen konnte. Balian hatte sich dazu bereit erklärt, wenn sie sich in der Wache und der Aufsicht der Aufräumarbeiten abwechseln würden, aber zuvor wollte er den Vorratskeller besichtigen, der als letztes getroffen worden war. Almaric und Balian nahmen sich Fackeln und betraten die Kreuzgratgewölbe. Zu seiner Beruhigung sah Balian, daß die Mauer und die Decke gehalten hatten und die Vorräte sicher waren. Er wandte sich an Almaric und meinte:

„Dies war die erste Nacht. Es können noch Hunderte folgen."

Almaric sah Balian ernst an und erwiderte:

„Salah-al-Din wird keine Gnade kennen."

Der junge Ibelin sah sich nochmals mit der flackernden Fackel um und blickte dann nachdenklich Almaric an. Sein Blick ging jedoch mehr an ihm vorbei, wie in eine weite Ferne, und dann sprach er:

„Wir müssen ihn zu Verhandlungen zwingen. Er muß uns seine Bedingungen nennen. Die Verteidigung muß standhalten."

Almaric fragte erstaunt:

„Was für Bedingungen?"

Und Balian wieder ganz auf Almaric konzentriert, erläuterte:

„Wir kämpfen für die Menschen, ihr Leben und ihre Sicherheit."

Balian sagte nichts mehr, es schien damit alles gesagt zu sein und Almaric blickte sehr skeptisch, aber äußerte seine Bedenken nicht.

Nachdem sie nun wenigstens dieser Sorge enthoben waren, gingen Balian und Almaric zum Haus derer von Ibelin, um sich dort etwas Ruhe zu gönnen. Salem übernahm die erste Wacht und Beaufsichtigung der notwendigen Arbeiten. Als sie den Innenhof des Gutes betraten, wartete bereits der Verwalter und hatte für sie Essen gerichtet. Salem hatte einen Mann vorgeschickt, damit Balian und Almaric alles, was sie brauchten, sogleich vorfanden und keine unnötige Schlafenszeit verloren. Die Beiden setzten sich gemeinsam an den Tisch unter den Arkaden und aßen schweigend. Für Balian war ein Bad gerichtet, aber Almaric wollte sich am Brunnen waschen, weil die Bademöglichkeiten der Soldaten neben den Schlafräumen derselben lagen und die, welche jetzt dort ruhten, auch diesen ungestörten Schlaf nötig hatten. Balian aber schüttelte den Kopf und forderte Almaric auf, mit in seine privaten Gemächer zu kommen.

Die beiden persönlichen Diener von Balian warteten dort bereits auf ihn, um ihm beim Entkleiden zu helfen. Der junge Ritter wies einen der beiden an, Almaric zu helfen. Nachdem sie beide dann bis auf die Hose entkleidet und von den schweren Kettenhemden befreit waren, trat zunächst Balian hinter den schweren Vorhang und ließ sich von seinem Diener abreiben und stieg kurz in das warme Wasser. Dann hieß er Almaric eintreten und dieser kam nun ebenfalls in den Genuß, durch die Abreibung der Diener die verspannten Muskeln lösen zu können. Balian hielt sich gerade solange im warmen Wasser auf, daß er, kurz bevor Almaric soweit war, sich abzuspülen, aus der Wanne stieg und sich in ein für ihn vorbereitetes, erwärmtes Tuch wickelte. Er legte sich auf eine der bereitstehenden Bänke, und der Diener begann ihn zu massieren. Es war das erste Mal, daß sich Balian diese Wohltat gefallen ließ. Aber er war heute so vielen Geschossen ausgewichen und unter Gesteinshageln hindurch gelaufen, daß er sich fühlte, als hätte er einen Boxkampf hinter sich. Almaric verzichtete auf die Massage und blieb lieber ein wenig länger im Wasser. Nach einer Weile stand Balian auf, entließ die Diener, nickte Almaric müde zu und begab sich in sein Schlafgemach. Balian sank in die Kissen und war bereits einen Moment später eingeschlafen.

Almaric, der dem fast kalten Wasser entstiegen war, trocknete sich mit einem weiteren Tuch ab, zog seine Hose an und ging leise durch das Gemach Balians. Die Diener hatten seine Sachen bereits fortgetragen, so daß er nichts aufnehmen mußte und dadurch vielleicht Lärm hätte verursachen können. Er wollte sich zur Tür wenden, als er Balian im Mondlicht auf seinem Bett liegen sah. Er blieb einen Moment stehen und betrachtete seinen jungen Herrn und Freund. Er fragte sich, was der neue Morgen ihnen bringen würde und ob Balian der Belastung standhalten würde. Dieser Mann, etwas jünger als er selbst, der ihm so ans Herz gewachsen war, und der die Herzen aller ihm anvertrauten Menschen im Handumdrehen durch sein Wesen gewonnen hatte, trug eine Bürde, die selbst alte, erfahrene Kämpen in die Knie zwang. Und was würde geschehen, wenn Balian das Kunststück fertigbrachte Salah-al-Din so hart gegen die Mauern von Jerusalem anrennen zu lassen, daß er zu Verhandlungen bereit war? Was würde seinem Freund bleiben, der immer alles gab?

Almaric konnte sich seine Fragen selbst nicht beantworten und er hoffte nur, daß der Herr ein Einsehen mit Balian hatte und ihm seinen Segen gab. Leise wandte er sich ab und wollte das Zimmer verlassen, als ihn Balians vertraute Stimme zurückhielt:

„Ich danke Euch für Eure Freundschaft, Almaric, egal was uns die nächsten Tage bringen werden", ließ Balian leise und sehr sanft vernehmen. Almaric, der sich nicht umwandte, neigte nur leicht den Kopf und hatte sich dabei fast unmerklich in Richtung der Stimme gedreht.

„Hattet Ihr an die Menschen von Ibelin gedacht, Almaric? An Eure Familie und Freunde?", fragte Balian in die Stille und ließ Almaric damit erneut verharren.

Und Almaric antwortete:

„Alles geschieht, wie Gott es will", und er benutzte dabei unwissend die Worte Saifs, Balians erstem Freund in diesem Land, das sein Zuhause wurde. Balian aber erwiderte dieser fatalistischen Einstellung:

„Wenn es in meiner Macht steht, werden Ibelin und die Menschen, die dort leben, nicht ohne Schutz bleiben. Mag es mich auch einen hohen Preis kosten, mein Freund."

Almaric sagte nichts. Er rechnete nicht damit, daß sie den Sturm Salah-al-Dins überleben würden. Er glaubte an Balian, aber seine Überzeugung die Verteidigung betreffend, konnte er nicht teilen. Er nickte nochmals zum Abschied und würde nun auch etwas schlafen gehen. Später würde er dann Salem ablösen und Balian bis zum Morgengrauen ruhen lassen, egal wie sehr er darüber erbost sein würde. Das spielte im Angesicht des möglichen Unterganges keine Rolle mehr.


Anmerkungen

1> Kalbassen, ausgehöhlte Kürbisgefäße: Näheres siehe Glossar

2> Dioptra, Vorgängermeßgerät des Theodoliten. Weitere Informationen nachzulesen im Glossar.

3> Heraclius ist eine historische Figur, die tatsächlich in Jerusalem war und sich nach verschiedenen Quellen ebenso feige benommen hat wie der Patrirach im Film. Als er Jerusalem veließ, hat er noch diverse goldene Gefäße und Tafeln aus einer der Jerusalemer Kirchen mitgehen lassen. Saladin hat es bemerkt und ließ ihn gewähren. Ich danke meiner Betaleserin Gundula Wessel herzlich für ihren Hinweis zu diesem Herrn.

4> Griechisches Feuer bestand, wie bei Marcus Graecus beschrieben, aus Schwefel, Weinstein, Baumharz, Pech, Kochsalz, Erd- und Baumöl. Gut miteinander verkocht wurde dann ein Werg (Strohbalg, fest gebunden) damit getränkt und angezündet. Die besondere Wirkung des griechischen Feuers lag darin, daß es mit einfachem Wasser nicht zu löschen war. Lediglich mit Harn, Weinessig oder Sand konnte es bekämpft werden.

5> Mittelalterliche Massenvernichtungswaffen. Weitere Informationen nachzulesen im Glossar.


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