Disclaimer
Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.
Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.
Kapitel 22
Zwischen Hoffnung und Untergang
Am nächsten Morgen stand Balian bereits vor Morgengrauen auf der Stadtmauer. Als Almaric ihm den Morgengruß entgegen brachte, versuchte er erzürnt dreinzublicken und schüttelte maßregelnd den Kopf. Almaric brach daraufhin in ein Lachen aus, das in der Stille, in der sich die Stadt befand, so unwirklich hallte, wie das rhythmische Murmeln vor der Stadtmauer. Balian blickte auf ein Heer, das ihm größer noch erschien, als das in Kerak. In regelmäßigen Abständen waren zwischen den Soldaten die Katapulte zu sehen, die in der vergangenen Nacht ihre tödliche Fracht über der Stadt hatten niederregnen lassen. Die Moslems folgten ihrem Gebot des Gebetes, und ein ganzes Heer kniete im Gleichklang zu den Gebetstexten nieder, senkte seinen Kopf gen Mekka und sprach die Lobpreisung des Herrn. Wieder einmal dachte Balian, wie unsinnig der Streit zwischen den Christen und den Moslems war. Wenn es um den Herrn ging, beteten sie beide zu dem gleichen Gott, nur ihre Art der Lobpreisung war unterschiedlich und selbst in der Befolgung der Gebote hatte Balian in den letzten Monaten keinen wesentlichen Unterschied feststellen können. Er und die Menschen aus den fremden Ländern, gehörten hier nicht hin und hatten nicht das Recht sich als Herren aufzuspielen, aber der Glaube war in seinen Augen die letzte aller Berechtigungen für einen Streit. Er kämpfte hier gegen seine Überzeugung und nur die Tatsache, daß es galt Menschen zu verteidigen, die sich nicht selbst wehren konnten, machte für ihn diese Gewissensqual ertragbar.
Balian schritt nochmals alle Abschnitte der Verteidigung ab, machte allen nochmals Mut und schärfte nochmals die Vorgehensweise ein. Es durfte von den Katapulten nicht zu früh das Feuer erwidert werden und auch die Verteidiger auf der Mauer mußten warten können. Balian wußte, daß dies am schwierigsten war. Die Angst zu bändigen und Ruhe bis zum richtigen Moment zu bewahren. Er selbst war bei einem Kampfabschnitt, der nahe dem Stadttor lag, damit er rasch dorthin eilen konnte, wenn eine Ramme eingesetzt wurde. Balian kehrte nach seinem Gang an seinen Posten in der Verteidigungslinie zurück und blickte auf das Heer, das nun zum Sturm bereit stand. Er konnte zwei Reiter wartend in vorderster Front erkennen und sein Herz blutete, weil er Saif erkannte. Sie hatten es beide gewußt, daß dieser Tag kommen mußte.
Ein dritter Reiter, eindeutig an seiner Statur und seiner Kleidung als Salah-al-Din zu erkennen, ritt die Front der Angreifer ab und zügelte dann sein Tier bei den beiden anderen Reitern. Plötzlich teilte sich die Reihe der Soldaten und ein Esel wurde herausgeführt. Auf ihm saß für alle erkennbar Guy de Lusignan rücklings. Er trug außer einem Lendenschurz keine Kleidung und auf seinem Kopf thronte eine Papiertüte einer Krone gleich. Der Anblick löste bei den ersten Reihen des Heeres, die dies noch sehen konnten, große Heiterkeit aus. Die Erscheinung de Lusignans, und der Ritt auf dem Esel, sollten das Königreich von Jerusalem und sein Königshaus lächerlich machen und die Verteidiger von Jerusalem demoralisieren. Ihr König in einer solchen Situation. Aber Salah-al-Din konnte nicht ahnen, daß weder jemand dem Templer Guy de Lusignan in Jerusalem nachweinte, noch daß die Menschen sich ihren neuen Führer bereits gewählt hatten. Dieses Schauspiel konnte sie nicht mehr beeindrucken. Auch Sybilla, die von einem Zimmer des Palastes einen Blick über die Stadtmauer hatte, berührte der Anblick von Guy überhaupt nicht mehr. Mit diesem Mann verband sie nichts als ein arrangiertes Ehebündnis. Sie weinte ihm nicht nach.
Als der Esel wieder in die hinteren Reihen geführt wurde, hob Salah-al-Din seine Hand, ballte eine Faust und gab damit das Zeichen zum Vormarsch. Und für einen Augenblick schien es, als würden sich seine Augen und die Balians treffen.
Salah-al-Din ritt nach dem Morgengebet die Front seines Heeres ab und hielt auf Saif, seinen Freund, Leibwächter und Chronisten zu. An dessen Seite verharrte der Mullah, auf seinem Pferd. Der selbstgefällige, freudige Ausdruck auf seinem Gesicht gefiel Salah-al-Din überhaupt nicht. Dieser geistliche Führer war ein Fanatiker.
Salah-al-Din zermarterte sich bereits seit Hattin den Kopf, wie er verhindern konnte, daß dieser Mann die Massen so aufstachelte, daß sie bei der Einnahme von Jerusalem alle in der Stadt lebenden Menschen, gleich welchen Glaubens oder welcher Kultur, niedermetzeln würden. Als er sein Pferd neben Saif hielt, sprach ihn dieser bittend an: „Habt Gnade."
Er ließ dabei offen, ob er damit den Kampf um Jerusalem meinte oder den Mann auf dem Esel, der gerade aus den Reihen der Soldaten geführt wurde. Salah-al-Din, der das Gewissen und den Pazifismus seines Freundes sehr schätzte, antwortete aber:
„Das geht nicht", und auch er ließ offen, ob er das auf die Stadt oder den gefangenen König von Jerusalem bezog. Salah-al-Din kannte Saifs Sorge und auch er hatte durch das, was er über diesen jungen Ritter von Ibelin mittlerweile erfahren hatte, ein tiefes Bedauern in sich. Wenn er einer der Verteidiger der Stadt war, stand er auf verlorenem Posten und es war sehr wahrscheinlich, daß sie heute noch, bevor die Sonne unterging, ihr Leben lassen müßten. Salah-al-Din blickte von Saifs betrübtem Gesicht zur Stadt. Er hob seine Hand und gab mit geballter Faust das Zeichen zum Angriff. In diesem Augenblick fiel ihm ein hochaufgerichteter Ritter auf der Mauer auf, der ihn scheinbar direkt anblickte, und Salah-al-Din hatte den Eindruck als würde er in die Augen seines wirklichen Gegners blicken.
Abermals begannen die Katapulte ihre Fracht über die Stadtmauer zu schleudern. Da sie diesmal ein gutes Stück näher waren, gingen ihre Geschosse zwar in der unteren Stadt nieder, die Balian nach der gestrigen Nacht hatte räumen lassen, aber die eigenen Katapulte waren, obwohl sie nicht mehr im toten Winkel der Mauer standen, nicht in Gefahr. Abermals antworteten die Beschützer der Stadt nicht auf den Beschuß und Salah-al-Din bewunderte bereits jetzt die Kaltblütigkeit des Mannes, den er bei Beginn des Angriffes auf der Mauer gesehen hatte. Er konnte nicht begründen warum, aber sein Instinkt sagte ihm, daß dieser Ritter der Anführer der Jerusalemer Verteidiger war, und daß er hier einen Gegner hatte, der ihn noch überraschen würde. Er hatte ihn nicht so klar gesehen, als wenn er ihm gegenübergestanden hätte, aber er hatte bemerkt, daß er nach seinem Begriff für eine solche Aufgabe noch sehr jung war. Er würde sehen, ob sich dieser junge Ritter im Griff hatte und sich nicht zu dummen Handlungen hinreißen und provozieren ließ. Im Stillen aber hoffte Salah-al-Din, daß dieser Anführer geschickt genug war, ihn soweit in Bedrängnis zu bringen, daß er einen Vorwand hatte, Verhandlungen einzuleiten, die einzige Chance ein Blutbad unter der Bevölkerung von Jerusalem zu verhindern.
Balian ging wieder seine Runde und machte den Soldaten Mut und hinderte sie daran, zu früh das gegnerische Feuer zu beantworten. Langsam kamen die Massen des moslemischen Heeres immer näher und sie führten Sturmtürme in ihren Reihen mit sich, die langsam über die Ebene geschoben wurden. Immer näher kamen sie der ersten Markierung für die eigenen Katapulte und Balian gab das Zeichen, sich bereit zu machen. Es mußte schnell gehen und deshalb waren zwischen ihm und den Abschnittsführern Rufer eingesetzt, die, wenn der Befehl von ihm ausgegeben wurde, in beide Richtungen der Mauer die Befehle von Abschnitt zu Abschnitt weitergaben. So sollte Balians Befehl sich rasch auch bis zum letzten Verteidigungsabschnitt fortsetzen. Dennoch hatte Balian diese Verzögerung auch bei der Feuerdistanz der Katapulte mit bedacht und die Äußersten ein wenig kürzer einstellen lassen. Sie hatten nicht viel Zeit, in die vollen Angriffsreihen zu feuern und deshalb mußten die ersten Geschosse größtmöglichen Schaden anrichten. Danach waren die Katapulte nur noch Störmanöver der sich immer wieder schließenden Angriffsreihen. Bei einem so großem Heer, hatten sie als Verteidigungswaffe keine wirklich hervortretende Wirkung. Dagegen war es wichtig, daß die ersten Geschosse vielleicht den einen oder anderen Sturmturm beschädigten.
Immer näher kamen die Angreifer. Balian beobachtete genau die Reihen. Er hatte sehr darauf gehofft, daß die Soldaten konzentriert auf die Stadt blickten und dadurch die Markierungsreihen nicht bemerkten, die von ihnen aus wie zufällige Steinhäufchen aussehen mußten. Hätte aber einer Verdacht geschöpft, wäre der Angriff vielleicht anders verlaufen und die Steinschleudern hätten kein wirkliches Angriffsziel gehabt. Aber keinem der dort anrückenden Soldaten fiel etwas auf, bevor es zu spät war. In diesem Moment gab Balian den Befehl zum Feuern der Vierhunderter-Katapulte und sein Ruf wurde augenblicklich von Abschnitt zu Abschnitt weitergegeben.
Die Ruferkette war weithin hörbar und Salah-al-Din lobte bei sich die Geduld des jungen Ritters, und er sah sehr schnell, daß dieser Moment wirklich genau abgepaßt war, denn die Gesteinsbrocken schlugen genau in den ersten zwanzig Reihen der Angreifer ein, in denen auch die Sturmtürme mitgeführt wurden. Er sah auch, daß der Anführer klug vorgegangen war und die äußeren Bereiche kürzer feuern ließ und dadurch dort auch denselben Effekt hatte. Aber die Geschosse kamen auf diese Distanz noch zu niedrig, um den Kampfgeräten gefährlich zu werden, wenngleich sie böse Verluste im Fußvolk anrichteten. Wenn sich aber sein Gefühl bestätigen würde, dann hätte die nächste Salve mit Sicherheit größere Zerstörungskraft und würde ihn auch Türme kosten können.
In Salah-al-Dins Herz stritten zwei Seelen miteinander. Einerseits hoffte er sehr, daß sich sein Gefühl täuschte und der Kampf an diesem Abend vorbei sei und nicht so viele Opfer unter seinen Landsleuten gekostet haben würde. Andererseits bat er Allah um Vergebung für seinen Frevel, daß er inständig darum bat, daß sich der junge Heerführer von Jerusalem mit seiner Verteidigung als ebenbürtiger und unerwarteter Gegner herausstellen würde. Unerwartet vor allem, weil der Mullah aufgrund der totalen Vernichtung des christlichen Heeres so selbstherrlich schon den Untergang von Jerusalem pries und dadurch zu einem späteren Zeitpunkt kleinlaut einer Verhandlung zustimmen müßte. Saif kannte seinen Herrn und Freund sehr gut und als sie sich anblickten, wußten beide voneinander, daß sie denselben Gedanken hegten und beide verfolgten weiter gespannt den Verlauf des Angriffes.
Mittlerweile waren die Reihen der Angreifer in die Schlagdistanz für die Dreihunderter-Einstellungen der Katapulte gekommen und Balian gab den Befehl zum Feuern. Die Geschosse der Katapulte waren nun gemischt. Es waren Gesteinsbrocken und auch Kalebassen mit Teer1, deren Inhalt vor dem Abschuß angesteckt wurde. In dem Bereich, wo sie aufschlagen würden und ihre brennende, haftende Last um sich verteilten, könnte erst mal kein Soldat mehr anrücken. Balian und Almaric beobachteten gespannt den Erfolg dieser Geschoßreihe und jeder Geschützturm, der getroffen wurde, ließ ihr Herz höher schlagen. Auch auf die Soldaten hatten diese Erfolge motivierende Auswirkungen. Balian war von Rechtswegen ihr Heerführer, aber vertrauen taten sie ihm aus eigenem Antrieb. Nun kam aber aufgrund der Erfolge auch noch Glauben hinzu. Sie vertrauten ihm nun nicht nur, sie glaubten an ihn, wie es seine Männer ihnen schon vorgelebt hatten, und er gab ihnen dieses Gefühl zurück, so daß sie auch an sich und den Erfolg ihrer Sache glauben konnten. Dieses Gefühl ging durch alle Reihen und schloß die Menschen noch fester zusammen. Ihre Standhaftigkeit erhielt dadurch einen enormen Auftrieb und Balian sah zufrieden, daß sich die Reihen der Verteidiger fest zu einer Einheit zusammenschlossen. Für ihn bedeutete es, daß er in einem Notfall auch rasch seinen Posten verlassen konnte, ohne befürchten zu müssen, daß sein Abschnitt darunter litt. Ihm war es dadurch möglich, noch flexibler und rascher auf Schwächen in der Abwehr zu reagieren. Auch Almaric hatte dies wahrgenommen und begann langsam, nicht nur an Balian zu glauben, sondern auch sein Ziel für möglich zu halten.
Salah-al-Din hatte die Geschosse und ihre Treffsicherheit, aber auch ihre zerstörerische Fracht hingenommen. Er konnte nichts daran ändern, aber seine Gedanken kreisten um den jungen Ritter, der die Verteidiger von Jerusalem führte.
‚Was für ein Mann war er? Wer war er?' Die Antworten auf diese Fragen würden ihm helfen, zu beurteilen, was von ihm noch zu erwarten war. Er gab Befehl an einige ausgesuchte Soldaten, die Stadtmauer genau zu beobachten und die Bewegungen des jungen Ritters auszumachen. Es sollte darauf geachtet werden, welche Männer besonders häufig in seiner Nähe verweilten, weil diese, als Vertraute, sicher zu seinem Haus gehörten und er somit über seine Familienfarben zu identifizieren war. Saif gab seinen Befehl weiter und alle Informationen sollten zunächst ihm zugetragen werden.2
Jerusalem wurde auch weiterhin mit Katapultgeschossen eingedeckt, aber die Katapulte waren mittlerweile zurück geblieben und hatten sich auf eine Länge eingeschossen, so daß sie unter den Soldaten Jerusalems keine Verluste mehr anrichteten und auch die Angst vor dieser Waffe sich in Grenzen hielt. Einzig die Feuer, die sie auslösten, hielten die Verteidiger noch in Atem, aber Balian hatte eigens hierfür Löschgruppen zusammengestellt, die sich nur darum zu kümmern hatten. Balian hob die Hand und gab das Zeichen für die Zweihundertdistanz, und diesmal waren es ausschließlich Gesteinsbrocken großer Natur die abgefeuert wurden. Balian hatte die Katapulte noch ein wenig ausrichten lassen, um nochmals besonders die Sturmtürme ins Visier zu nehmen. Und abermals zeigte sich sein gutes Auge, denn die Geschosse krachten in mehrere Türme und brachen sie förmlich entzwei. Als die Angreifer die Markierung für die Bogenschützen erreicht hatten, gaben alle Abschnittsleiter von sich aus Befehl zum Angriff, aber das unvermeidliche Anstellen der Sturmtürme konnte nicht mehr verhindert werden. Man hatte einige dieser Kolosse bereits zerstört, aber etwas versetzt, konnten in jedem Verteidigungsabschnitt noch immer ein oder zwei anlanden. Der zweite Turm würde dann am oder nahe des Wehrturmes stehen. Dazu brachten die Angreifer Sturmleitern mit, die sie nun an der Mauer aufstellten.
Es würde nur noch wenige Momente dauern, dann konnten die Sturmtürme ihre Laufbrücken herunterlassen und die Angreifer würden über die Mauer kommen. Die Bogenschützen versuchten mit ihren Pfeilen die Türme zu durchdringen, aber sie verschwendeten nur ihre Munition. Balian hielt sie zurück und rief einigen zu, Kalebassen mit Öl zu nehmen, anzuzünden und auf seinen Befehl zu warten. Balian behielt die Nerven, bis die Laufstege der Türme heruntergelassen wurden, dann warf er sein eigenes Brandgefäß und gab damit an alle den Auftrag, es ihm gleich zu tun. Das Öl entzündete rasch den Turm und die Männer darin, waren in den Flammen gefangen. Diejenigen, die noch auf die Mauer durchkamen, wurden sogleich von Schwertern empfangen und niedergemacht. Von fast allen Sturmtürmen wurde die erste Angriffswelle zurückgeworfen. Balian sah mit Genugtuung, daß sein Abschnitt in sicheren Händen war und begab sich zum Tor, denn er hatte bei einem Blick über die Mauer gesehen, daß eine Ramme von den Angreifern eingesetzt werden sollte.
Balian eilte an toten Soldaten vorbei, die von der Mauer durch Pfeile getroffen hernieder gestürzt waren und hetzte auf den Mauerabschnitt über dem Tor. Die Ramme setzte bereits zu ihrem ersten Stoß an, als Balian den Befehl gab, daß Öl-Teer-Gemisch über Rinnen im Wehrgang auf die Angreifer unter ihnen auszuschütten. Dann nahm er selbst eine brennende Kalabasse, beugte sich weit und ungeschützt über die Mauerkrone und warf den ersten Brandsatz auf die Schutzkonstruktion der Ramme, welche die Soldaten darunter vor Pfeilen bewahren sollte. Seine Soldaten taten es ihm gleich und sehr rasch, war auch diese Holzkonstruktion in ein Flammenmeer verwandelt.
Almaric hatte gesehen, daß Balian zum Tor geeilt war. Er sah mit stockendem Atem, wie weit sich Balian aus der Deckung herausbewegt hatte und als dieser sich wieder hinter die Mauer zurückgezogen hatte, fiel ihm ein Stein vom Herzen.
‚Wie kann Balian nur so leichtsinnig sein? Solche Aktionen sollte er Männern überlassen, die ersetzbar sind.', dachte Almaric bei sich und als er hinüber zu Salem blickte und seinen Gesichtsausdruck sah, wußte er, daß er es auch gesehen hatte und mindestens ebenso geschockt war wie er. Sie würden mit Balian ein ernstes Wort zu reden haben, wenn dieser Tag vorbei war. Almaric bemerkte gar nicht, daß er nicht mehr davon ausging, daß sie diesen Tag nicht überleben würden. Ihre Verteidigung hatte sich bisher bewährt, war stärker und standhafter, als er selbst geglaubt hatte und bislang lagen alle Vorteile bei ihnen. Almaric sah nochmals zu Balian, der nun hinaus zu dem Rest des Heeres blickte, der noch nicht angriff. Er blickte zu den Wimpeln des Sarazenenanführers und Almaric folgte seinem Blick. Er sah dort Salah-al-Din, wie er gen Tor blickte. Zum Erkennen der Gesichtszüge war er zu weit entfernt, aber sein Nicken war deutlich wahrzunehmen. Almaric wurde klar, daß Salah-al-Din damit die Leistung der Verteidiger und besonders ihres Anführers ehrte und er spürte eine eigentümliche Spannung zwischen diesen beiden Männern, die einen Kampf nicht um des Kampfes willen führten.
Der Kampf an der Mauer dauerte noch den ganzen Nachmittag bis zum Abend. Woge auf Woge an Angreifern kamen die Sturmleitern hinauf und auch um die Abschnitte, an denen die Sturmtürme nicht durch Feuer zurückgeworfen werden konnten, wurde heftig gekämpft. Während alle Abschnittsführer in ihren Bereichen für eine funktionierende Abwehr sorgten, war Balian an drei Abschnitten, wo die von ihm eingesetzten führenden Soldaten durch Verletzung ausfielen, zu finden. Er stärkte immer dem einen oder anderen Verteidiger, der sich besonders hervortat, den Rücken und überließ ihm dann für kurze Zeit die Führung, bis er von einem anderen Abschnitt zurückkehrte. Als es neben Almarics Abschnitt zu einem Durchbruch zu kommen schien, standen er und Balian Seite an Seite und kämpften die Angreifer zurück. Wie lange Balian das noch durchhalten konnte, der sich mehr als jeder andere einsetzen mußte, konnte sich Almaric beim besten Willen nicht vorstellen. Der junge Ritter schien unermüdlich zu sein, ein jeder nahm sich ein Beispiel an ihm, und so gelang es ihnen schließlich, diesen Abschnitt wieder zu sichern und unter Kontrolle zu bringen.
Als die Sonne sich dem Horizont näherte, stellten die Angreifer den Kampf ein und wichen von der Mauer zurück. Sie waren den ganzen Tag umsonst gegen die Mauern Jerusalems angerannt. Nun zogen sie die Sturmtürme wieder etwas von der Mauer weg, um zu verhindern, daß die Verteidiger diese in der Nacht zerstörten. Einige Türme brannten noch immer und erleuchteten die langsam niedersinkende Dunkelheit. Balian war blutverschmiert wie jeder und völlig erschöpft, aber er wußte, daß es jedem so ging und so lief er durch die Reihen der Soldaten und sprach ihnen seinen Dank und Lob aus. Den ganzen Tag über hatten sie abwechselnd gekämpft. Balian hatte, auch auf die Gefahr hin, daß zuwenig Männer auf einem Mauerabschnitt standen, darauf bestanden, daß es immer eine zweite Reihe Kämpfer gab, die nur nach und nach im Tausch zu anderen in das Kampfgeschehen eingriffen. Die Abschnittführer waren dafür verantwortlich, daß sie erschöpfte Soldaten aus dem Kampfgetümmel herausnahmen und durch neue ersetzten. Die Verteidiger von Jerusalem konnten es sich nicht erlauben, ihre Männer aus Erschöpfung zu verlieren.
Auf den Mauern zogen nun die Wachen auf, die Balian ganz bewußt tagsüber nicht in den Kampf mit einbezogen hatte. Sie sollten nun die Schäden reparieren, die Waffen für den nächsten Tag im Schutz der Nacht herrichten und den Ruhenden die Sicherheit geben, gut bewacht zu sein. Sie mußten hellwach sein und durften sich durch einen möglichen heimlichen Angriff der Sarazenen nicht überrumpeln lassen. Am Anfang der Verteidigungsvorbereitungen hatten die Waffenmeister, die alle bereits wesentlich älter als Balian waren und schon einige Schlachten miterlebt hatten, den Kopf über solche Extravaganzen geschüttelt. Nun aber sah einer von ihnen, der die Herrichtung der Brandsätze beaufsichtigte, hinter Balian her, der seinen Rundgang machte, dankte seinem Gott dafür, einen solch umsichtigen Heerführer zum Verteidiger Jerusalems gemacht zu haben. Die Soldaten, die Balian besuchte und mit denen er sprach, blickten ihn einerseits ehrfürchtig an, andererseits waren sie voller Stolz, daß dieser Mann mit ihnen sprach. Balian stand bei ihnen nicht wie ein Ritter, sondern wie ein Soldat unter seinesgleichen und hörte sich geduldig ihre Nöte an. Sie waren keine ausgebildeten Soldaten, und viele von ihnen hatten noch nie getötet. Es gab einige unter ihnen, die damit sehr zu kämpfen hatten, weil es gegen ihren Glauben ging. Aber Balian fand auch hier wieder die richtigen Worte, um diesen Menschen die Last von den Schultern zu nehmen und ihnen den Frieden für diese Nacht zu geben.
Schließlich trat Salem zu Balian und blockierte ihm seinen Weg. Er trat sehr nahe an Balian heran, senkte den Kopf etwas und sprach leise und beschwörend:3
„Du mußt ruhen. Die Menschen brauchen dich. Nicht nur jetzt, sondern auch morgen und die nächsten Tage. Du bist ebenso erschöpft, wie sie, ich und jeder andere, der heute hier an der Mauer die Angreifer zurückgeworfen hat. Balian! Um ihretwillen: Gönn dir etwas Schlaf."
Balian blickte Salem an. Sein Verantwortungsbewußtsein verweigerte sich diesem Gedanken, aber sein ganzer Körper schrie nach Ruhe. Balian wußte gar nicht mehr, wie oft er heute die Treppen der Wehrmauer hinauf und wieder hinunter gerannt war, sich ohne zu zögern in den Kampf geworfen hatte, obwohl jeder Muskel in seinen Schultern vor Schmerz aufheulte. Er stand ganz ruhig bei Salem und hatte noch nicht geantwortet, aber mit jedem Augenblick der verging, spürte Balian mehr die Schwere seiner Arme, das Brennen in seinen Oberschenkeln, Hunger und Durst. Dann aber schüttelte er den Kopf und meinte zu Salem:
„Du hast genauso hier gestanden, gekämpft wie ich und du hast einen Teil der letzten Nacht gewacht. Es wäre eher an dir, Ruhe zu suchen, mein Freund."
In diesem Augenblick trat ein Soldat zu ihnen. Dieser hatte trotz des leisen Gespräches alles gehört und machte es nun zu einem öffentlichen Wortwechsel. Er war einer der Mannen, die Balian in den Ritterstand erhoben hatte und der sich nun berechtigt fühlte, hier und jetzt seine Meinung kundzutun und seinem Heerführer etwas von dem Halt zurückzugeben, die dieser jedem gab. Balian und Salem, die beide erst dachten, es gäbe ein Problem und sich gleichermaßen ihm zuwandten, waren von den folgenden Worten und das beifällige Gemurmel der umstehenden Soldaten überrascht:
„Mein Herr, Euer Mann hat vollkommen recht. Ihr habt mehr geleistet als ein jeder von uns. Wir haben gesehen, wie Ihr Euch, wann immer es notwendig war, in die Bresche der Angreifer geworfen und wo Ihr überall uns den Rücken gestärkt habt. Ihr seid seit dem Morgen durchgängig im Einsatz gewesen, während dank Eurer Umsicht wir zwischendrin pausieren konnten. Auch wenn ich Eurem Mann nicht seine Leistung absprechen will, Ihr habt weitaus mehr Ruhe notwendig, als jeder andere von uns."
Und ein Waffenmeister, der ebenfalls in der Nähe stand sprach:
„Wir werden einige Stunden ohne Euch zurecht kommen. Ihr habt alles gut geplant und vorbereitet. Geht und ruht aus, seid sicher, daß hier alles nach Euren Anweisungen vorbereitet wird."
Balian sah in die Gesichter, der bei ihnen stehenden und sitzenden Soldaten, blickte in die Augen des Waffenmeisters und nickte. Dann legte er eine Hand um den Oberarm von Salem und wandte sich aber an den Soldaten, der ihn angesprochen hatte:
„Ich danke Euch für Eure Fürsorge," und seine Hand drückte leicht Salems Oberarm, damit er diesen Dank auch für sich nahm. „Bitte sorgt dafür, daß auch alle anderen, die heute hier gefochten haben, Essen, Trinken und Schlaf bekommen."
Er hatte dies zu diesem Soldaten gesagt, aber alle Umstehenden wußten, daß er sie alle meinte und wieder einmal hatte Balian die Menschen ganz und gar für sich eingenommen. Sie waren alle erschöpft, und der junge Heerführer nahm ihr Anerbieten dankbar an, vergaß darüber aber nicht ihr eigenes Wohl.
Dann ging Balian mit Salem gemeinsam zu Almaric. Während Balian ein paar Schritte weiter mit einem Waffenmeister noch einige Einzelheiten der morgigen Verteidigung durchsprach, berichtete Salem Almaric von dem, was sich kurz zuvor begeben hatte und Almaric knickte nur, lächelte und meinte dann mit einem Wink in Richtung Balian:
„Er bedeutet diesen Menschen so viel. Ihm ist gar nicht bewußt, was alles an Mut, Standhaftigkeit und Überlebenswillen an seiner Person festgemacht ist. Heute auf der Mauer über dem Tor – wenn ein Pfeil ihn getroffen hätte – der Schlag, der dies für die Verteidigung hätte sein können, wäre vernichtender gewesen, als wenn es zu einem Mauerdurchbruch gekommen wäre."
Und Salem erwiderte in seiner wortkargen Art nur:
„Wir müssen mit ihm reden."
Mittlerweile war Balian mit dem Waffenmeister fertig geworden und wandte sich wieder an seine beiden Hauptleute und Freunde. An ihren Gesichtern konnte er ablesen, daß sie über ihn gesprochen hatten, und daß ihnen etwas auf der Seele lag. Er sah sie fragend an, aber Almaric schüttelte den Kopf und meinte:
„Nicht hier Balian, laß uns etwas essen gehen und dabei reden. Es ist notwendig."
Damit wandte er sich zur Treppe von der Wehrmauer herunter. Balian blickte Salem noch an, aber dieser wies ihm nur stumm den Weg. Die drei Freunde gingen zügig zum Gut derer von Ibelin. Der Verwalter hatte bereits durch einige Soldaten gehört, wie die Schlacht heute verlaufen war und wartete nun auf seinen Herrn, über den von allen nur Heldenhaftes berichtet wurde.
Als sein Herr und seine Vertrauten den Innenhof betraten, war das Essen bereits aufgetischt. Balian ging zunächst zum Brunnen, schöpfte sich Wasser und wusch sich Gesicht und Hände, leerte das Wasser aus und schöpfte neues für seine Freunde. Almaric und Salem, die dabei waren, sich gegenseitig beim Ablegen des Waffenrockes zu helfen, schüttelten über ihren Herrn den Kopf und der Verwalter war der Verzweiflung nahe, weil selbst jetzt, erschöpft wie er sein mußte, sein Herr sich keine herrschaftlichen Gebaren zulegte. Während sich dann Almaric und Salem wuschen, halfen die beiden persönlichen Diener Balians ihm, die Waffen und das Kettenhemd abzulegen. Müde setzte sich Balian dann an den Tisch und wartete auf seine beiden Freunde. Die Äußerung von Almaric vorhin verhieß eine Standpauke von seinem ersten Mann. Balian hatte ihn ganz zu Beginn ihrer herrschaftlichen Beziehung und Freundschaft dazu aufgefordert, immer ganz offen mit ihm zu sprechen und ihn auf Fehler, die ihm unterliefen hinzuweisen. Dies schien jetzt so ein Moment zu sein, obwohl Almaric bisher sich noch nie kritisierend geäußert hatte und ausgerechnet jetzt, wo die Last der Verantwortung so schwer auf seinen Schultern lag.
Als die Beiden fertig waren, kamen sie zu ihm an den Tisch, setzten sich und Salem schenkte ihnen Wein ein. Almaric griff nach den Speisen, aber Balian wollte nicht länger warten und fragte gerade heraus:
„Was ist los Almaric? Ich merke deutlich, daß dir mein Handeln nicht zusagt. Also, was ist es, was du mir sagen wolltest?" Und sein Ton war ein wenig ungehalten, was er auf seine Müdigkeit zurückführte, die ihn nun zu umklammern begann. Almaric schaute von seinem Essen auf und Balian sehr lange ins Gesicht, dann sagte er:
„Du bist leichtsinnig und kämpfst an vorderster Front ohne zu bedenken, was passiert, wenn du fällst. Was glaubst du, was passiert, wenn die Menschen sich nicht mehr an dir orientieren können?" Und sein Ton war ebenso heftig wie der von Balian.
Salem saß dabei und sagte nichts, aber er grinste über das ganze Gesicht. Dies war ein ernstes Thema, aber hier saßen zwei Freunde gegenüber, die sich anknurrten, als wenn es um eine schöne Frau ginge. Beide starrten sich noch eine ganze Weile an, ohne etwas zu sagen, dann lächelte Balian verlegen und senkte den Kopf.
„Du hast recht Almaric, aber ich kann nicht anders.", erwiderte Balian nun ohne jegliche Aggressivität in der Stimme und als er wieder aufblickte, war sein Gesichtsausdruck sanft und seine Augen blickten dankbar seine beiden Freunde an. Almaric schüttelte den Kopf. Wenn Balian so blickte, konnte er ihm nicht böse sein, und so sprach er:
„Ich weiß, aber es bringt mich um den Verstand, wenn ich sehe, in welche Gefahr du dich bringst. Bitte, Balian, achte zum Wohle der Menschen von Jerusalem auch ein wenig mehr auf deinen Schutz. Die Kämpfe sind hart genug, da mußt du nicht auch noch in jedem und allem der Erste an Ort und Stelle sein. Es mag hart klingen, aber es ist so, wir sind ersetzbar, du nicht."
Balian nickte und um das Thema abzuschließen, von dem er nicht sicher war, daß er dem Wunsch von Almaric folgen konnte, antwortete er:
„Ich werde es versuchen.", dabei beließ er es aber auch.
Nachdem sie sich am Essen ausgiebig gelabt hatten, stand Balian auf und ging in Richtung seiner Räume. Er war schon auf der Treppe, als er wahrnahm, daß Almaric und Salem sich zum Brunnen wandten und sich dort ausgiebiger mit kaltem Wasser waschen wollten. Sie hatten bereits ihre Hemden über den Kopf gezogen und abgelegt. Balian ließ müde seinen Kopf sinken, an solchen Begebenheiten waren immer wieder ihre Standesunterschiede erkennbar, und er war es so leid, immer wieder dagegen anzurennen. Dann hob er aber den Kopf und rief seine Freunde zu sich und ging weiter in seine Räumlichkeiten. Wie schon am Abend zuvor teilte er sein Bad mit den Vertrauten. Er wünschte ihnen, nachdem er eine Massage erhalten hatte, einen guten Schlaf und ging in sein Zimmer. Den Dienern schärfte er aber ein, daß er spätestens zur Nachtmesse wieder geweckt werden wollte. Almaric sollte ihn nicht nochmals einfach schlafen lassen.
Als Almaric und Salem fertig waren, gingen sie leise durch die Räumlichkeiten Balians. Dieser schlief bereits tief und fest, wie seine gleichmäßigen Atemzüge ihnen anzeigten.
Als sie das Zimmer verlassen hatten und zu ihren Kammern gingen, meinte Salem zu Almaric:
„Trotz des Erfolges heute ist es unwahrscheinlich, daß wir auf Dauer dem Ansturm dieses Heeres standhalten. Wenn es dann passiert, daß die Sarazenen die Stadt einnehmen, hoffe ich sehr, daß ihn ein Schwerthieb trifft und es schnell für Balian vorbei ist. Wenn irgendein Ritter einen gnädigen Tod verdient hat, dann ist er es", und seine Stimme klang belegt. Salem war kein Freund von vielen Worten, aber diese Äußerung zeigte Almaric, wie es in seinem langjährigen Waffenfreund aussah und er empfand ebenso.
„Er versucht eine Verhandlungsbasis zu erreichen. Er will, daß die Verteidigung solange standhält, bis Salah-al-Din lieber redet, als weiter diesen Kampf zu führen. Ich glaube inzwischen, daß wir das erreichen können", erwiderte er leise.
„Und was dann?", fragte Salem zurück.
„Er kämpft für das Leben und die Sicherheit der Bewohner Jerusalems, nicht für sich", gab Almaric zurück und ließ damit die Frage Salems unbeantwortet, die sich auf die Zukunft von Balian bezog.
Schweigend gingen die Freunde schlafen. Beide dachten sie auch an ihre Familien in Ibelin und Almaric erinnerte sich an das Versprechen von Balian.
‚Wenn es in meiner Macht steht.'
‚Der Herr möge ihm diese geben', dachte er noch, bevor er seine Augen schloß und einschlief.
Als das Abendgebet verrichtet war, kamen Salah-al-Din, Saif und der Mullah zum Speisen im Zelt des Sarazenenführers zusammen. Saif hatte mittlerweile Informationen erhalten, die ihn davon überzeugt hatten, daß kein anderer als sein Freund Balian die Verteidiger von Jerusalem anführte. Salah-al-Din hatte sich etwas zu Essen genommen und sich neben seinem Freund zum Speisen niedergesetzt, während der Mullah schweigend in die Nacht starrte. Er war enttäuscht, daß die Stadt noch nicht ihnen gehörte und er hatte gesehen, mit welch präzisen und geschickten Manövern die Soldaten der Stadt sich der Übermacht erwehrt hatten. Die ersten Zweifel nagten an ihm.
Salah-al-Din, der Menschen hervorragend einschätzen konnte, sah dies gerne. Wenn es an der Zeit war, würde ihm dies nützen. Die Jerusalemer Verteidigung hatte sich als massiver herausgestellt, als er erwartet hatte, was mit Sicherheit mit dem jungen Ritter zu tun hatte, den er als ihren Anführer ausgemacht hatte und nun wollte er hören, wer es war:
„Wer ist ihr Anführer?", fragte er deshalb nun Saif, der die Informationen gesammelt hatte, die ihm den ganzen Tag über zugetragen worden waren.
Saif antwortete einfach:
„Balian von Ibelin. Godfreys Sohn."
Der Sarazenenführer stellte sein Essen überrascht weg:
„Godfrey? Godfrey hatte mich in Jordanien schon fast getötet. Ich wußte nicht, daß er einen Sohn hatte", bekannte er, stand auf und starrte wie der Geistliche in die Dunkelheit.
Und Saif erwiderte:
„Der Mann in Kerak war sein Sohn", stand ebenfalls auf und trat zu seinem Herrn und Freund.
„Den Mann, den du am Leben ließest?", fragte Salah-al-Din und sprach weiter: „Vielleicht hättest du das besser nicht getan."
Aber Saif ließ sich von dieser nicht sehr streng vorgenommenen Maßregelung nicht einschüchtern und sprach zu seinem Mentor:
„Vielleicht hätte ich einen anderen Lehrer haben sollen?" Und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als sich Salah-al-Din kurz zu ihm umblickte. Salah-al-Din sagte nichts mehr, aber dachte bei sich:
‚Er wird mir immer ähnlicher. Saif wird ein guter Führer unseres Volkes werden und ich bin mir sicher, daß auch die Mullahs ihn anerkennen werden. Ich hoffe nur, daß er sich selbst dafür bereit fühlt, wenn es an der Zeit ist.'
Und dann gingen seine Gedanken zum Freund seines Schülers. Saif hatte nicht viel von ihm erzählt, aber er hatte Godfrey, Balians Vater, gekannt und das, was er über den jungen Ibelin gehört hatte, ließ Hoffnung ihn ihm keimen, daß der Kampf um Jerusalem letztlich ein für beide Seiten akzeptables Ende finden konnte.
Unterdessen war Balian, wie befohlen geweckt, wieder auf die Stadtmauer zurückgekehrt. Er fühlte sich ausgeruhter, wenn auch nicht wirklich erholt. Er trug keine Rüstung und hatte sich gegen die Kühle der Nacht seinen Umhang fest um sich gewickelt. Zunächst war er alle Posten abgeschritten und hatte sich selbst überzeugt, daß alle Vorbereitungen für morgen ihren Gang nahmen. Er hatte sich noch etwas wegen der Sturmtürme überlegt. Diese Kolosse mußten sie so loswerden, daß der Weg zur Mauer blockiert war und er hatte kurz, bevor er mit Almaric und Salem zum Essen ging, seine Befehle zu der neuen Taktik dem ersten Waffenmeister mitgeteilt. Nun hatte er nachgesehen, ob alles demgemäß vorbereitet wurde.
Die Soldaten hatten alles so umgesetzt, wie Balian es wünschte, und so stand er nun dort auf der Mauer und nahm sich den Moment, hinüber zu den Feuern der Sarazenen zu blicken und die kühle, aber angenehme Nachtluft zu genießen. Und ein jeder, der ihn so dort stehen sah, war von der ruhigen Gestalt, dem edlen Profil und dem warmen und sanften Gesichtsausdruck berührt. Dort stand ein Mann, der ganz in sich ruhte und wußte, daß er alles in seiner Macht stehende getan hatte, um die Menschen, die ihm anvertraut waren, zu schützen. Balian dankte in Gedanken seinem Vater für die Stärke, die er ihm gegeben hatte, André für seinen Gottesglauben und dem Herrn für seinen bisherigen Beistand. Balian hatte aufgehört, an der Nähe Gottes zu zweifeln, er hatte aber begriffen, daß es Dinge gab, die geschehen mußten, um letztlich einer höheren Sache den Weg freizumachen. Er dankte André für seine Weisheiten, die ihm den Unterschied zwischen Glauben und ‚glauben' sowie Religion deutlich gemacht hatten.
Balian blickte hinauf zum Mond und zu der sich im Wind bewegenden Fahne. Er machte seinen Frieden mit Gott und den Menschen, dann senkte er wieder seinen Blick, starrte noch eine Weile in die Flammen des vor der Mauer verbrennenden Sturmturmes, atmete tief durch und begab sich dann auf einen Rundgang durch die Katakomben und Kirchen, zu den Menschen, die dort Schutz gesucht hatten und ebenso wie die Soldaten Zuspruch und Aufmunterung brauchten.
Anmerkungen
1> Brandgeschosse Kapitel 21, Kalebassen. Weitere Informationen nachzulesen im Glossar.
2> Bezug zum Film Salah-al-Din fragte Saif: „Wer führt sie?" Und Saif antwortete: „Balian von Ibelin". Woher wußte er dies? Einzig das Zutragen von Informationen aus einer besetzten Stadt (hier eher unwahrscheinlich) oder die genaue Beobachtung der Bewegungen der Verteidiger auf der Mauerkrone konnte hier einen Schluß zulassen. Oder, und dies wäre noch eine Möglichkeit, Guy de Lusignan wurde verhört und hat dies verlauten lassen. Da er aber nach der bisherigen Erzählung dies nicht wissen konnte, habe ich die erstere Variante gewählt.
3> Bezug zum Film Nach der Szene in der Salah-al-Din Saif nach dem Anführer der Jerusalemer Verteidiger fragte, schwenkt die Kamera über den Nachthimmel mit dem Halbmond, einer im Wind flatternden Fahne auf Balian. In dieser Szene sieht er gewaschen und ausgeruht aus, was nur darauf schließen läßt, daß er Zeit gefunden hatte, zu baden und zu ruhen.
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