Disclaimer
Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.
Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.
Kapitel 24
Wenn Ihr die Waffen streckt...
Balian und Almaric saßen einige Zeit zusammen. Balian wollte sich nicht niederlegen, und so redeten sie über Ibelin und die Familien und Menschen, die sie dort zurück lassen mußten. Almaric sprach von seiner Sorge um seine Familie und brachte sogar Balian dazu, erstmals über sein Leben und seine Familie in Frankreich zu sprechen. Balian erzählte von seiner Kindheit und seinem Leben als Schmied im Dorf, von seiner geliebten Julie und dem Sohn, der nicht ein Jahr alt wurde. Nach einer Weile war Balian ganz in der Vergangenheit versunken, und Almaric spürte den Schmerz, den diese in Balian wieder hervorrief. Almaric fragte sich besorgt, wo Balian wieder ein Zuhause finden würde, wenn er hier alles an die Sarazenen verlor. Er hatte Ibelin zu seinem Heim gemacht und seine Vergangenheit hinter sich gelassen; aber wenn Jerusalem nicht mehr war, wohin sollte sein Freund gehen? Und Almaric wurde klar, daß egal, was hier geschah, Balian immer der Verlierer sein würde. Erhielt er Jerusalem, würde Sybilla als Königin regieren, aber Balian würde immer der Baron von Ibelin bleiben. Fiel Jerusalem, würde Balian sein Heim verlieren und nach Frankreich zurückkehren müssen, das ihm nichts zu bieten hatte. Almaric blickte in Balians traurige Augen und erkannte, daß Balian die gleichen Gedankengänge hatte, wie er und für sich keine Zukunft sah.
In diesem Augenblick kam ein Bote in den Innenhof des Gutes und fand seinen Weg sogleich an ihren Tisch. Almaric forderte ihn auf, zu sprechen, als Balian nicht reagierte und verschaffte so seinem Freund ein wenig Zeit sich zu fangen.
„Herr, in einem Innenhof ist der Scheiterhaufen für die Gefallenen gerichtet, aber seine Heiligkeit verbietet die Verbrennung. Es wird Eure Anwesenheit und Entscheidung erbeten.", sprach der Soldat und blickte dabei abwartend auf seinen Heerführer, der bislang noch keine Regung gezeigt hatte.
Balian atmete hörbar resigniert durch und erhob sich dann.
Heraclius, seine Heiligkeit, hatte bislang in allem, was er von ihm gefordert hatte, immer nur sein eigenes Wohl im Sinn gehabt. Daß er nun aus geistlichen Gründen plötzlich gegen eine Verbrennung war, konnte sich Balian nicht vorstellen. Wahrscheinlicher war, daß er die Gelegenheit sah, wieder gegen ihn zu opponieren, war er doch ein enger Vertrauter von Guy de Lusignan gewesen. Balian hatte keine Lust, sich auf ein Streitgespräch mit dem Geistlichen einzulassen und er würde, wenn es sein mußte, den Scheiterhaufen zum Wohl des Jerusalemer Volkes selbst anzünden.
Er gab dem Boten mit einem Wink zu verstehen, vorzugehen und wandte sich dann an Almaric. Er lächelte ihn scheu an und meinte dann leise:
„Ich habe die letzten zwei Stunden mit dir, mein Freund, genossen. Es hat gut getan, über das zu sprechen, was schon so lange auf meinem Herzen lastet. Ich danke dir nochmals für deine Freundschaft, Almaric, und was immer uns der nächste Tag bringen mag, ich werde zum Herrn beten, daß wir uns in einem anderen Leben wiedersehen."
Ohne eine Erwiderung abzuwarten, schritt er hinter dem Boten her und ließ Almaric tief berührt zurück.
Im Lager der Sarazenen war Salah-al-Din zusammen mit Saif unterwegs in die Dunkelheit. Etwas abseits der Feuer waren mehrere Massengräber ausgehoben worden, um die Gefallenen, wie es Allah verlangte, noch am gleichen Tage zu begraben. Balian von Ibelin hatte sich hier als Ehrenmann erwiesen, denn er ließ es zu, daß sich kleinere Trupps der Sarazenen den Mauern näherten und die Toten bargen. Sie waren beobachtet worden, aber kein einziger Pfeil war auf sie abgefeuert worden. Der junge Ritter hatte damit Achtung vor den Toten erwiesen, wie er es schon gegenüber Mohammed al-Faes getan hatte. All seine Handlungen, der Kampf gegen die Sarazenen, seine Achtung vor dem Glauben eines anderen, seine Güte und sein Mut sprachen für den jungen Baron von Ibelin.
Salah-al-Din stand tief bewegt am größten der Gräber und sprach ein Gebet für die Toten. So sehr er den Verteidiger Jerusalems bewunderte, es hatte schon zu viele Tote auf ihrer Seite gegeben. Er hob seine Hände und fuhr sich müde über seine Augen. Die Verluste schmerzten ihn sehr. Aber auch ihre mögliche Konsequenz. Wenn sie nun die Stadt einnahmen, würden sich die Lebenden für die Toten rächen und genau das war etwas, was Salah-al-Din seit Hattin hoffte vermeiden zu können. Er betete für die Toten, aber auch für die Lebenden und bat seinen Herrn um Beistand und Vergebung für seinen Wunsch, seinen Namen und die Rückeroberung Jerusalems nicht in einem Atemzug mit einem Gemetzel im Blutrausch genannt zu wissen.
Gemeinsam ging er mit Saif zurück ins Lager, wo ihn ein Berater erwartete, der lange Zeit in Jerusalem gelebt hatte. Saif hatte mit ihm bereits gesprochen und nun teilte er Salah-al-Din seine Überlegungen für den Angriff am nächsten Tag mit.
„Das Christophorustor ist die schwächste Stelle in der Mauer. Es wurde zugemauert und eine eingesetzte Mauer ist immer schwächer als die Mauer drum herum. Dies wird unser Tor nach Jerusalem", sprach Saif.
Der Berater bestätigte nochmals Saifs Ausführungen:
„Das Tor ist schwächer als die Mauer."
Der Mullah zweifelte daran und meinte:
„Oder stärker."
Aber Saif schüttelte den Kopf und erwiderte:
„Er hat es gesehen."
Salah-al-Din besah sich von der Ferne das Christophorustor und kam zu dem Entschluß, den Durchbruch dort zu versuchen. Er war sich sicher, daß er auf heftige Gegenwehr stoßen würde. Aber dort halfen dem jungen Verteidiger von Jerusalem auch keine Winkelzüge in der Verteidigung mehr. Dort würde alleine Mann gegen Mann der Kampf um Jerusalem entschieden werden. Einzig seine Präsenz und die Standhaftigkeit seiner Männer würden dort entscheiden, und es würde sich zeigen, wie gut Balian von Ibelin wirklich war, wie er seine Kämpfer zusammenschweißen konnte.
Salah-al-Din gab den Auftrag die Katapulte auf das Tor ausrichten zu lassen und mit schweren Gesteinsbrocken zu bestücken. Die Männer sollten am Morgen vorrücken und in einem Halbkreis das Tor umgeben. Sie sollten so nah wie möglich an die Mauer herangehen, ohne von den Katapultgeschossen oder den Ausbrüchen bei den Einschlägen in der Mauer gefährdet zu werden. Entscheidend für diesen Kampf war, wer als erstes die Lücke in der Mauer würde besetzen können.
Salah-al-Din blickte traurig auf Jerusalem. Um des Glaubens Willen waren in den vergangenen Tagen viele gute Männer gestorben, und noch weitere würden fallen. Möglich, daß dieses Schicksal auch Balian von Ibelin traf, einen Mann, den er gerne näher kennengelernt hätte. Was er inzwischen von dem jungen Ritter wußte, nach seinem Handeln einschätzte und aus dem Wissen um seinen Vater schloß, war er eigentlich ein Mann des Friedens. Klug, zurückhaltend und beobachtend; ein Führer, Balduin nicht unähnlich, der in einer besseren Zeit sicher seine Anerkennung und Beachtung, vielleicht sogar seine Freundschaft gehabt hätte. Salah-al-Din wandte sich ab und sprach in Gedanken ein Bittgebet:
‚Allah, gnädiger Herr, solltest Du uns morgen die Stadt in unsere Hände geben, sei barmherzig mit ihm.'
Es gab in Salah-al-Dins Leben nicht viele Menschen, die ihn so berührten, daß er sie in seine Gebete einschloß, und er staunte selbst über sich, daß er sich von Balian von Ibelin hatte so beeindrucken lassen, obwohl er ihn nicht persönlich kannte.
Balian war inzwischen mit dem Boten bei dem Scheiterhaufen angekommen. Er sprach ein Gebet und gerade, als er den Befehl zum Anzünden geben wollte, erschien der Patriarch und sprach über die Toten hinweg zu Balian:
„Wenn wir die Körper verbrennen, können sie nicht auferstehen bis zum jüngsten Gericht."
Und Balian erwiderte müde:
„Wenn wir ihre Leichen nicht verbrennen, wird die Stadt binnen drei Tagen verseucht sein und wir werden alle sterben. Gott wird es verstehen. Und wenn er es nicht tut, ist er nicht Gott und wir haben nichts zu befürchten."
Mit diesen Worten nahm Balian die Fackel aus der Hand eines Soldaten und warf sie auf die Leichen und alle Soldaten, welche die Grube umstanden, taten es ihm ohne zu zögern gleich, und rasch stand der Scheiterhaufen in hell auflodernden Flammen.
Balian hielt sich seinen schmerzenden Arm, blickte noch einige Augenblicke stumm auf die Flammen, dann wandte er sich ab. Abermals ging er zu den Soldaten und zu den Schutzsuchenden. Er sprach mit jedem, der seine Ermunterung brauchte und gab denen, die unter den Toten Freunde und Familie hatten, Trost.
Der Mond stand schon hoch, als Balian zu seinem Hause zurückkehrte. Almaric war noch wach und wartete auf ihn. Balian blickte ihn müde an, nickte und ging dann in seine Räume. Er brauchte Schlaf und Vergessen. Die Verantwortung für die Stadt und das Wissen um die alles entscheidende Schlacht am nächsten Morgen drückten ihn nieder. Egal was geschehen würde, er hatte getan was er konnte. Der morgige Tag würde aber nur noch durch die Standhaftigkeit der Männer entschieden werden und er würde sie dazu bringen müssen, nicht die Waffen zu strecken. Er war zu müde, um sich jetzt Gedanken darüber zu machen, aber er wußte, daß viel von seinen Worten an die Kämpfer um das Christophorustor abhängen würde. Er legte sich samt Waffenrock nieder und war eingeschlafen, bevor er diesen Gedanken zuende denken konnte.
Als der nächste Morgen graute, war Balian bereits wieder auf der Stadtmauer. Er trug sein leichtes Kettenhemd. Balian wußte, daß es ihm nicht einen so guten Schutz bieten würde wie das schwere Kampfhemd, aber er würde sich heute am Christophorustor in vorderster Front in den Kampf werfen und dort war es sicher besser, beweglicher zu sein, als bestmöglich geschützt.
Wie jeden Morgen hörten die Bewohner von Jerusalem die Gebete der Moslems, und auch sie beteten wie die Sarazenen um den Beistand ihres Herrn. Alle wußten inzwischen, daß heute die entscheidende Schlacht um Jerusalem stattfand, und die Männer auf den Mauern konnten sehen, wie die Katapulte bereits auf das Christophorustor ausgerichtet waren. Es würde also unmittelbar nach dem Gebet beginnen, und sie alle spürten tiefe Furcht in sich. Balian ging, wie er es in den letzten Tagen immer getan hatte, zu jedem Mauerabschnitt. Er hatte überall Truppen abgezogen und zum Christophorustor befohlen aber die verbliebenen Männer dort mußten ebenso überzeugt werden, daß ihr Schutz für den Mauerabschnitt genauso wichtig war. Sie durften nicht durch einen Überraschungsangriff an einer anderen Stelle der Stadtmauer überrumpelt werden.
Dann trat Balian mit seinem Helm unter dem Arm vor die Männer am Christophorustor. Viele Männer Ibelins waren unter ihnen, aber auch etliche Kämpfer, die er in den Tagen zuvor immer wieder in ihrem Mut bestärkt und mit ihnen Seite an Seite die Angreifer zurückgeworfen hatte. Es war ruhig geworden, die Gebete verstummt und die Männer blickten Balian, ihren Heerführer, erwartungsvoll an.
Dann kam der erste Einschlag, die Mauern bebten und Putz rieselte hernieder. Die Verteidiger standen einige Klafter von der Mauer entfernt, aber immer noch sehr nahe um den Einschlag fast körperlich zu spüren. Dann sprach Balian:
„Wenn diese Mauer fällt, wird es keine Gnade geben."
Er stand mit dem Rücken zur Mauer und hielt einen Moment inne, als ein zweites Geschoß einschlug. Und eindringlich nahm Balian die unheimliche Stille auf:
„Wenn ihr die Waffen streckt, werden eure Familien sterben. Wir haben eine Chance dieses Heer zu zerschlagen", bestärkte er seine Worte und blickte dabei offen, ohne Furcht, stark und ohne Zweifel in die Gesichter der Männer vor ihm. Keine Regung an ihm quittierte den nächsten Einschlag in das Christophorustor, und er erhob seine Stimme und rief:
„Darum sage ich Euch: Laßt sie kommen!"
Damit wandte er sich zur Mauer und rief provozierend in Richtung Sarazenen:
„Kommt schon! Na los, kommt schon!", und er drehte sich wieder zu seinen Männern und wiederholte:
„Kommt schon!", als Aufforderung an sie und riß dabei seine geballte Faust in die Höhe. Und alle fielen sie in seinen Schlachtruf mit ein. Weithin schallte die geballte Kampfeslust der Jerusalemer Verteidiger und Salah-al-Din hörte die Antwort der Menschen Jerusalems auf die Jubelrufe der Sarazenen auf die ersten Treffer in der Mauer.
Salah-al-Din gab das Zeichen zum Angriff. Die bisherigen Katapultgeschosse waren nur Distanz- und Richtungsversuche, nach denen nun die anderen Katapulte eingestellt worden waren. Mit seiner erhobenen Faust begann nun der massive Beschuß der Mauer um das Christophorustor und jeder Einschlag wurde von den wartenden Truppen vor der Mauer mit Jubeln quittiert und jeder Treffer tat Salah-al-Din gleichermaßen im Herzen weh, wie die vielen Toten, die es bereits gegeben hatte. Er blickte Saif an und sah in seinem Gesicht, daß sich bei ihm ebenfalls die Gefühle stritten und er litt.
Jeder Einschlag riß tiefe Wunden in die Mauer und die Stützen und Streben, die der Baumeister noch zur Verstärkung des Tores eingezogen hatte, bebten und gerieten langsam aus ihren Fundamenten. Es würde nicht mehr lange dauern und das erste Geschoß würde sich seinen Weg durch die Mauer bahnen und jedes weitere, würde sie zum Wanken bringen. Balian hatte sich seinen Helm aufgesetzt und stand nun in vorderster Front seiner Männer. Er würde der erste sein, der den Wall aus der niedergestürzten Mauer erklomm. Er betete darum, daß die Mauer aufgrund der zusätzlichen Streben nach außen fiel. Damit würden sie Zeit und den Vorteil des direkteren Weges haben und die Lücke vor den Sarazenen besetzen können. Er hatte noch vor seine Rede von der Mauer aus gesehen, wie nah die Soldaten des Feindes an die Mauer herangerückt waren.
Almaric stand ganz in der Nähe seines Freundes und hatte geahnt, daß Balian nicht zurückstehen würde. Er würde die Männer anführen, ihnen Mut und Halt geben, aber wenn er fiel, würde dies das Ende der Verteidigung bedeuten. Aber vielleicht hoffte Balian auch, getötet zu werden, ging es Almaric durch den Kopf und er dachte an den hoffnungslosen Blick von Balian am Abend zuvor, als sie über ihre Vergangenheit, Familie und Zukunft gesprochen hatten. Almaric spürte einen Stich im Herzen und bat im Stillen den Herrn um seinen Segen für Balian. Er wußte, daß er in dem folgenden Kampf ihm nicht mehr würde den Rücken decken können. In diesem Kampf Körper an Körper, Mann gegen Mann in einer Masse von Leibern, würde jeder nur noch um sein eigenes Überleben kämpfen und er flehte darum, daß Balians Überlebenswille letztlich über seine Hoffnungslosigkeit siegen möge.
Dann traf ein Geschoß die Mauer und brach sich Bahn. Es schoß durch den Wall und brach fast ungebremst in die hinter der Mauer wartenden Soldaten ein. Balian hatte dies befürchtet, aber die Gefahr dennoch in Kauf genommen, um die Distanz zur Mauer so gering wie möglich zu halten. Rasch schlossen sich wieder die Reihen. Fast jeden Wimpernschlag schlugen nun Geschosse verschiedener Größe in die Mauer ein, aber keines von ihnen kam sonst mehr durch. Dennoch wankte die Mauer und es war nur noch eine Frage von Momenten, und sie würde in sich zusammenbrechen. Und in diesem Augenblick geschah es. Das letzte wuchtige Geschoß riß eine Bresche und die Mauer schwankte, legte sich durch fallende Steine mitgezogen immer mehr nach vorne und brach dann in einer großen Staubwolke nach außen in sich zusammen.
Die Staubwolke hatte sich noch nicht ganz gelegt, da stürmte Balian auch schon los und erklomm den Steinwall, der auf ihrer Seite deutlich kleiner und kürzer ausfiel als auf der Seite der Sarazenen. Er hatte im Laufen noch seinen Schild von sich geworfen, um mit beiden Händen sein Schwert gegen die heranstürmenden Kämpfer führen zu können. Balian blieb nicht auf der Krone des Walles stehen, sondern er ging einige Schritte abwärts und traf dort auf die ersten feindlichen Soldaten. Andere Kämpfer hatten es ihm gleich getan und so nicht nur die Lücke in der Mauer geschlossen, sondern eine Art Sicherheitsabstand vor der Mauer geschaffen, wenngleich diese Vorgehensweise auch sehr leicht ihren Tod bedeuten konnte. Wenn sie dem Angriff nicht standhielten und die Sarazenen in ihren Rücken kamen, waren sie eingeschlossen und des Todes sicher. Balian kämpfte gnadenlos und geriet dabei Schritt um Schritt tiefer. Neben ihm fielen die Kämpfer von Jerusalem und wurden doch sogleich wieder durch andere ersetzt. Plötzlich wurde ihm bei einem Angriff das Schwert aus der Hand geschlagen und er von hinten angegriffen. Er konnte den Sarazenen über die Schulter abwerfen, und dieser rollte in eine Gruppe heranstürmender Kämpfer, die es durch den steileren Steinwall schwerer hatten, eine anständige Kampfposition einzunehmen. Balian wurde von einem Kämpfer geholfen, der sich hinter im befand, wieder einige Schritte nach oben zu machen. Er griff nach seinem Schwert und konnte im letzten Moment, von unten her durchschwingend, heranstürmende Sarazenen abwehren.
Stunden wogte nun schon die Masse der Leiber von Angreifern und Verteidigern hin und her. Es wurde mit allem gekämpft, was man hatte, bis hin zu den bloßen Händen.
Balian hatte Salem in der unübersehbaren Menge an Leibern untergehen sehen und wußte nicht, ob er gefallen war oder sich aus seiner mißlichen Lage befreien konnte. Auch Almaric war irgendwo in dieser Menge und kämpfte um sein Leben. Während die Angreifer anscheinend unerschöpflich immer wieder neue Kämpfer in die Schlacht führten, hielten die Verteidiger den Durchbruch eisern und der kleine Abstand vor der Schneise wurde von Balian und Männern aus Ibelin oder nachrückenden Soldaten aus Jerusalem standhaft verteidigt, aber die Erschöpfung forderte immer mehr Tribut. Die Arme wurden schwer, der Stand unsicher. Die Toten und das viele Blut machten es nicht leichter, sein Gleichgewicht zu halten und nicht auf den Leibern oder den glitschigen Steinen auszurutschen. Wie lange konnten sie diesen Sturm noch aufhalten? Von den Mauerseiten wurden die Angreifer mit Pfeilhagel eingedeckt, aber in diesem unermeßlich großen Heer von Salah-al-Din waren das Nadelstiche, mehr nicht.
Plötzlich wurde Balian von drei Sarazenen zugleich angegriffen und niedergerungen, er verlor sein Schwert und kam auf dem Rücken zu liegen, die Sarazenen über ihm. Wut und Verzweiflung bescherten ihm übermenschliche Kräfte, und er schaffte es, einen der Angreifer von sich zu werfen, sich aus dem Halt eines Anderen zu winden, der ihn an den Schultern niederdrückte, sich seitlich auf die Knie zu stemmen und dabei auch den letzten überraschten Angreifer den Hang hinunter zu werfen. Mehr auf den Knien krabbelnd als aufrecht gehend, gelangte Balian wieder an sein Schwert und als er es aufnehmen wollte fuhr ein Schwert auf ihn nieder und verfehlte ihn nur knapp, als er sich sofort wieder auf den Rücken warf und seinen Schwertarm zur Verteidigung hochzog. Balian hatte instinktiv reagiert. Die Angreifer waren nach wie vor unmittelbar an den Verteidigern dran und wenn die eigene Abwehr durchbrochen wurde, konnte dies den Tod bedeuten. Er schlug mit voller Wucht zu und verschaffte sich gerade soviel Zeit, sich wieder aufzustemmen und einen sicheren Stand zu finden. Der Tod hatte ihn schon in seinen Klauen gehabt, und einmal mehr hatte ihm der Herr zur Seite gestanden.
Salah-al-Din und Saif beobachteten den Stellungskampf an der Mauer. Sie hatten beide Balian von Ibelin als ersten Verteidiger in der Schneise wahrgenommen und ihnen stockte der Atem, als sie sahen, wie weit er sich den Schutthügel hinunterwagte und den Angreifern stellte. Besonders Saif behielt Balian im Auge. Es war schwer, ihn ständig unter den Kämpfenden auszumachen, da die Masse der Leiber unaufhörlich hin und her wogte und Balian auch zwischendrin tiefer in den Pulk nach unten geriet. Eine Zeitlang hatte Saif Balian nicht mehr gesehen und war bereits tief besorgt, als er seiner wieder etwas näher zur Mauer ansichtig wurde und sah, wie vehement er nach wie vor gegen die Angreifer kämpfte.
Auch Salah-al-Din hatte dies beobachtet und einen kurzen Augenblick sogar gehofft, daß der junge Heerführer gefallen wäre, denn das wäre ein Schlag für die Verteidiger Jerusalems gewesen, der vielleicht entscheidend die Schlacht beeinflussen hätte können. Aber auch er mußte zugeben, daß er Freude über dessen erneuten Anblick verspürte.
Salah-al-Din blickte zum Himmel. Die Zeit war schon weit vorgerückt und es war bereits lange nach Mittag. Die Angreifer waren keinen Schritt weiter gekommen und auch, wenn man erwarten durfte, daß die Männer Jerusalems nicht ewig die Verteidigung auf diesem hohen Niveau halten konnten, so war doch jetzt der beste Moment, dem Mullah, der bereits ganz entsetzt dem Geschehen zusah und noch vom Vortag seine Zweifel an Allahs Willen hatte, den Vorschlag nach Verhandlungen zu unterbreiten und seine Zustimmung einzufordern. Salah-al-Din hatte dies eigentlich nicht nötig, aber der Ajatola Sajid Rakin war ein Fanatiker, einer jener Männer, die den Frieden aus Voreingenommenheit und Selbstsucht zerstörten. Er hatte den obersten Geistlichen aus Damaskus zu seinem Berater gemacht, um ihn und seine Ansichten unter Kontrolle zu haben, und eingreifen zu können, wenn er zu weit ging. Zu wissen wer der Feind war, war bereits ein Schritt zum Sieg und so versuchte er nun, den Mullah mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Wenn Sajid Rakin einer Verhandlung zustimmte, mußte er sich dem Erlaß Salah-al-Dins beugen, egal was er aushandelte.
Und der Ajatola, dem es letztlich nur um die Rückeroberung Jerusalems ging, gab dem Sarazenenführer nach und beugte sich seinem Willen, wenn damit der Kampf beendet werden konnte und Jerusalem wieder den Moslems gehörte.
Salah-al-Din ließ mit stiller Genugtuung die Angreifer zurückrufen und brach damit den Sturm auf die Mauer ab. Die Verteidiger der Stadt hatten das erreicht, was er nicht zu hoffen gewagt hatte. Er konnte ohne Gesichtsverlust Verhandlungen anbieten und den Widersachern in den eigenen Reihen einen vom Mullah gestützten Kompromiß anbieten. Erst jetzt, als die Soldaten begannen, sich zurückzuziehen, konnte man erkennen, wie viele Opfer dieser Stellungskampf vor der Bresche bereits gefordert hatte und der Mullah, der seine Zustimmung erst nur widerwillig gegeben hatte, gab nun Salah-al-Din aus ganzem Herzen recht, denn er sah nicht, daß sich an der Belagerungssituation trotz der vielen Verluste irgendetwas geändert hatte. Es war wohl Allahs Wille, Jerusalem auf diesem Wege zurück zu erlangen. Dem Mullah kamen das erste Mal Zweifel daran, daß er alle Christen oder Andersgläubige über einen Kamm mit den hochfahrenden Rittern der Christenheit und ihren Kirchenoberhäuptern scheren konnte. Es war anscheinend doch nicht von Allah gewollt, daß Rache für das Gemetzel von vor fast hundert Jahren genommen wurde.
Saif ließ auf Befehl von Salah-al-Din hin ein Baldachin und eine weiße Flagge als Zeichen für Verhandlungen vor den Mauerdurchbruch auf der Ebene aufstellen und dann warteten sie auf eine Reaktion aus Jerusalem.
Balian merkte, daß sich im Angriff etwas geändert hatte. Er war nicht mehr so massiv, vielmehr hatte er den Charakter eines Rückzuges. Er beobachtete die Bewegung der Angreifer und bemerkte wahrlich zu seinem Erstaunen, daß die Sarazenen nicht mehr nachrückten, aber noch dauerte der Kampf an. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die Nachricht vom Abbruch zu allen Angreifern fortgesetzt hatte und sie nach und nach den Kampf einstellten, sichernd und nur sehr zögerlich sich zurückzogen. Immer wieder versuchten einzelne Gruppen durch Überraschungsangriffe doch noch durch die Bresche zu schlagen, aber die Vorhut der Verteidiger um Balian herum war auf der Hut, und so mußten sich schließlich die Angreifer geschlagen geben.
Balian, mit Almaric nun wieder an seiner Seite, blickte zu den geschlossenen Heerreihen der Sarazenen hinüber. Dort tat sich nichts, keine neue Formation, keine neue Ausrichtung der Katapulte oder dergleichen. Der Kampf für heute war wirklich vorbei. Balian ließ erschöpft seinen Kopf tief sinken und atmete schwer durch. Dann drehte er sich um und begab sich hinter die Mauern. Seine Bewegungen waren schwerfällig und müde. Er war verdreckt und stank nach Blut, seinem eigenen und dem der Feinde. Der Arm brannte wie Feuer und alle seine Muskeln rebellierten. Er blickte in die Gesichter der Männer, die mit ihm gekämpft hatten und sah in genauso erschöpfte Augen, wie er sich selbst fühlte.
‚Warum hat Salah-al-Din jetzt abgebrochen?', fragte er sich selbst. Noch ein wenig länger und die Verteidigung, zumindest die Vorhut, wäre vor Erschöpfung zusammengebrochen und das Heer wäre ein gutes Stück vorangekommen, wenn es nicht sogar die Stadt eingenommen hätte. Balian lächelte müde die Männer um sich an. Alle blickten fragend und erwartungsvoll, aber Balian wußte nicht, was er ihnen nun sagen sollte. Almaric, der Balians Not merkte, fragte ihn deshalb, um ihm so einen Ansatz für eine Äußerung zu geben:
„Balian, Herr, glaubt Ihr, daß es für heute vorbei ist oder wird noch eine Attacke erfolgen?"
Er blickte Balian aufmunternd an und Balian erwiderte mit trockener, rauher Stimme:
„Nein. Es wird keinen Angriff mehr geben. Was immer der Grund für den Abbruch des Sturmes sein mag, einen weiteren Vorstoß wird es zumindest heute nicht geben. Laßt die Verletzten versorgen, die Wachen sollen aufziehen, aber entfernt euch nicht zu weit vom Durchlaß, falls ich mich täuschen sollte."
Balian ging mit schleppenden Schritten durch die Soldaten, die ihm ehrerbietend einen Weg frei machten. Ein jeder blickte ihn mit Achtung und Zuneigung an. Dieser Mann hier hatte es geschafft, die Sarazenen erneut vor den Mauern Jerusalems zurückzuschlagen, etwas, an das keiner zu Beginn der Belagerung zu glauben gewagt hatte.
Balian blieb plötzlich stehen und drehte sich einmal im Kreis. Er sah in die Augen der Menschen und erkannte ihre Achtung, Stolz und Verehrung seiner Person. Er schüttelte leicht seinen Kopf und sprach dann laut und vernehmlich zu allen, die ihn gerade umgaben und seinen Worten noch lauschen konnten:
„Nicht ich habe Jerusalem verteidigt. Ihr habt standgehalten und das unmöglich Erscheinende möglich gemacht. Seid stolz auf Euch und blickt mit Zuversicht in die Zukunft."
Almaric hatte Balian beobachtet, als dieser ging und hörte nun seine Worte. Er sah die Reaktion der Menschen darauf und auch, daß ihre Verehrung Balians noch mal wuchs, wenn dies überhaupt noch möglich war. Balian war sich nicht bewußt, was er mit diesen Worten den Menschen zurückgegeben hatte, und daß diese Menschen ihm inzwischen blind vertrauten, für ihn alles tun würden. Mit den letzten Worten hatte sich der junge Ritter wieder einmal aus der ersten Reihe zurückgezogen und den Menschen gezeigt, daß sie ihm wichtig waren und nicht Ruhm und Ehre.
Almaric gab nun jene Befehle, welche die Zeit nach dem Kampf ordneten. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Verletzten geborgen waren, und auch vor der Stadtmauer fanden sich noch Überlebende. Dann machte sich Almaric auf die Suche nach Balian und fand ihn an einem Brunnen sitzend, den Rücken angelehnt, den verletzten Arm fest an den Körper gepreßt, den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen. Almaric wußte nicht ob Balian schlief. Der junge Ritter hatte vom ersten Schwerthieb bis zum Ende in vorderster Linie gekämpft. Almaric hatte beobachten können, wie er einige Male überwältigt worden war und sich dennoch jedesmal aus der mißlichen Lage hatte wieder befreien können. Immer, wenn Almaric sehen mußte, wie Balian niedergerungen wurde, war ihm das Herz aus der Brust gerissen worden. Nun saß sein Freund da, völlig unbeachtet, einer unter vielen und hatte wohl auch selbst um keine Hilfe gebeten. Almaric fühlte sich ebenso zerschlagen wie jeder hier, der Stunde um Stunde gekämpft hatte und so hätte auch Unverständnis über die Schwäche Balians in ihm keimen können, aber Almaric kannte Balian. Der junge Ritter war körperlich nicht wie ein Bär gebaut. Er war sehnig, zäh und wußte geschickt seine Kraft einzusetzen, aber er hatte seit seiner Rückkehr nach Jerusalem ständig unter Anspannung gestanden, hatte sich kaum Ruhe gegönnt, war immer für andere da gewesen und war selbst ständig in der ersten Reihe der Kämpfenden zu finden gewesen. Zudem war er nicht unerheblich verletzt, wenn man bedachte, daß der Hieb seine Schwerthand beinahe abgetrennt hatte. Nein. Almaric sah in der Erschöpfung Balians, keine Schwäche. Er trat an den Brunnen, schöpfte Wasser und begann, Balians Gesicht sanft zu waschen und behutsam den Schnitt, der sich über die linke Gesichtshälfte zog, zu reinigen. Balian erwachte und blickte erstaunt in Almarics Gesicht. Er ließ sich seine Fürsorge schweigend gefallen und schloß wieder die Augen. Daß Balian sich so gar nicht gegen diesen Dienst wehrte, zeigte Almaric, wie erschöpft sein Freund war, und er machte sich große Sorgen. Dann aber sprach Balian leise:
„Almaric, du solltest dich um deine Bedürfnisse kümmern, mein Freund. Ich bin erschöpft, mehr ist es nicht."
Almaric aber wusch das Gesicht des jungen Herrn weiter und erwiderte dabei:
„Es ist ein geringer Dienst, Balian, und bringt Euch doch etwas Eurer Lebensgeister wieder. Habt keine Sorge, ich werde mich noch um mich selbst kümmern."
Balian öffnete die Augen und lächelte Almaric dankbar an, dann aber fragte er sorgenvoll:
„Was ist mit Salem? Ich sah, wie er niedergerungen wurde. Lebt er noch?"
Almaric war völlig erstaunt darüber, daß Balian solche Vorkommnisse noch während des Kampfes wahrgenommen hatte, zumal er am weitesten in den Angreiferreihen gesteckt und gekämpft hatte, aber seine Sorge war seinem Wesen nach nicht verwunderlich. Almaric antwortete:
„Salem wurde verletzt, konnte sich aber aus dem Kampfgetümmel befreien und soweit zurückschleppen, bis er Deckung durch unsere Männer hatte. Er wurde zu den Ordensbrüdern gebracht. Ich weiß nicht, wie schwer es ist, aber er ist zäh und ich will hoffen."
Plötzlich entstand eine Unruhe unter den Männern und sie strömten zum Christophorustor. Ein Soldat kam zu Balian und Almaric gerannt und sprach ganz atemlos:
„Herr, zwischen den Heeren wurde ein Baldachin aufgestellt und ein weißer Wimpel ist daneben gehißt."
Balian dankte dem Mann für die Nachricht und ließ sich von Almaric aufhelfen. Gemeinsam gingen sie raschen Schrittes zum Durchbruch. Die Männer machten ihrem Heerführer den Weg frei und Balian erklomm erneut den Schutthaufen, der von der stattlichen Mauer geblieben war. Seine Bewegungen waren noch immer steif und schleppend. Als er oben stand und hinunter auf die Ebene blickte, sah er mit eigenen Augen, was ihm bereits der Bote mitgeteilt hatte. Dies konnte nur Verhandlungen bedeuten und Balian konnte es fast nicht glauben, daß sie es geschafft hatten, ihr erklärtes Ziel zu erreichen. Almaric sprach aus, was Balian und alle anderen hofften:
„Sie wollen verhandeln."
Und er verstärkte und brachte dadurch ihre Leistung noch deutlicher zum Ausdruck: „Sie müssen verhandeln."
Der Patriarch war neben Balian getreten, der noch immer keine Regung zeigte und nur mit müden, hängenden Schultern dastand, und sprach hektisch:
„Konvertiert zum Islam und widerruft es hernach."
Balian blickte den obersten Geistlichen der Jerusalemer Kirche angewidert an und gab tonlos zur Antwort:
„Ihr habt mich viel über Religion gelehrt, Eure Heiligkeit", und aus seinen Worten troff nur so der Zynismus.
Heraclius blickte Balian verständnislos an, erwiderte aber nichts.
Langsam schritt Balian die Halde aus Gestein und Toten hinunter, als er sah, daß Salah-al-Din ebenfalls auf den Versammlungsort zuschritt. Da dieser eine kürzere und hindernisfreie Strecke zu überwinden hatte, war er vor Balian am Baldachin angekommen. Balian selbst mußte dagegen mit großen Schritten über Tote hinwegsteigen und sich seinen Weg erst suchen. Salah-al-Din betrachtete den näherkommenden Ritter. Dies war also Balian von Ibelin, fürwahr seinem Vater sehr ähnlich, wenn man diesen gut kannte, denn die Ähnlichkeit verbarg sich in den Bewegungen, in der Haltung, dem Blick seiner Augen.
Salah-al-Din war gespannt, ob dieser junge Ritter, der es geschafft hatte, ihm mit seiner Verteidigung Verhandlungen aufzuzwingen, sich in nun eben diesen genauso geschickt verhielt.
Neben Salah-al-Din war noch ein Schreiber anwesend, der die Verhandlungen protokollieren sollte. Für den Mullah und seine Widersacher war dies notwendig. Zu gerne aber hätte er dem jungen Ritter zu verstehen gegeben, daß es seine ureigenste Hoffnung gewesen war, daß diese Situation zustande kam und er von ihm, Salah-al-Din, nichts mehr zu befürchten hatte, wenn er sich auf seine Vorschläge einließ, die er für recht moderat erachtete.
Balian zögerte einen Moment, dann trat er unter das Dach, das symbolisch einen Verhandlungsraum begrenzte, der für jeden Angriff tabu war. Sie betrachteten sich einen Moment schweigend. Salah-al-Din war nun, wo er den jungen Ritter so aus der Nähe sah, über seine Statur und seine Jugend doch sehr erstaunt. Er war hoch gewachsen, aber schmal gebaut, Saif nicht unähnlich. Er wirkte selbst jetzt, verdreckt und blutverschmiert, kraftvoll und voller Adel. Ja, Godfrey von Ibelin mußte stolz auf diesen Sohn gewesen sein. Dann beendete Salah-al-Din seine Einschätzung und stellte die alles entscheidende Frage:
„Werdet Ihr die Stadt übergeben?"
Er ließ diese Frage ohne wenn und aber in der Luft stehen und Balian blickte ihn ob dieser schnörkellos gestellten Frage, die doch mehr eine Forderung war, geradeheraus an und antwortete:
„Eher werde ich sie vernichten. Bevor Ihr diese Stadt einnehmt, werde ich sie anzünden und alles niederbrennen, was sie ausmacht und was die Menschen in den Wahnsinn treibt."
Er hatte dies mit Vehemenz und einem gewissen Grad an Wut gesprochen und wartete nun auf eine Reaktion vom Sarazenenführer.
„Vielleicht solltet Ihr das tun", erwiderte dieser süffisant und beobachtete dabei genau sein Gegenüber.
„Ihr wollt sie also zerstören?" Salah-al-Din stellte diese Frage fast sanft, als wolle er ein unbändiges Kind zügeln.
„Jedes Haus, jede heilige Stätte, die unsrigen wie die eurigen und jeden Stein in dieser Stadt. Und jeder christliche Ritter wird zehn Eurer Ritter mit in den Tod nehmen. Euer Heer wird vernichtet werden und Ihr werdet niemals wieder eines aufstellen. Das schwöre ich bei Gott", versetzte Balian mit einer Überzeugung, die Salah-al-Din erstaunte.
‚Ist die Lage der Stadt wirklich so, daß er dies durchzuziehen vermag, oder ist er nur ein harter Verhandlungsgegner und blufft?' dachte Salah-al-Din. Wie auch immer. Ihm, der schon lange dem Blutvergießen ein Ende bereiten wollte und dem es dabei auch um die Zeit nach der Schlacht ging, spielte dieses Auftreten seines Verhandlungspartners in die Hände. Ohne es zu wissen, gab ihm Balian genau die Argumente in die Hand, die ihm einen Friedensschluß ermöglichten, den auch die Fanatiker in seinen Reihen akzeptieren würden.
Salah-al-Din schwieg einen Moment. Er blickte Balian fest in die Augen, und dieser hielt seinem Blick stand. Dann gab Salah-al-Din zu bedenken:
„Die Stadt ist voller Frauen, Kinder und Alter."
Er sah, wie der junge Ritter schluckte. Dies war der Punkt, an dem er angreifbar war und nun mußte der Heerführer Jerusalems eine endgültige Entscheidung treffen, auch für die Wehrlosen.
Balian blickte an Salah-al-Din vorbei. Sein Blick ging ins Leere und er antwortete mit gelangweilter Stimme:
„Ich habe nicht um Verhandlung gebeten." Und er ließ im Raum stehen, was das nun letztlich bedeuten sollte und sein Blick wandte sich ab, als berühre ihn die Situation nicht.
Salah-al-Din beobachtete den jungen Ibelin sehr genau. Der Schreiber stand hinter ihm, so daß er seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte und der Sarazenenführer erlaubte sich ein mildes Lächeln und ein sanftes Kopfnicken. Sein Gegenüber legte seine Möglichkeiten nicht offen. Alle Einschätzungen der Lage Jerusalems wurden dadurch vage und bargen immer die Gefahr einer Niederlage der Angreifer. Balian entging die Anerkennung in Salah-al-Dins Augen, der dem Instinkt des jungen Ibelin Achtung zollte. Dann sprach der Moslem:
„Ich werde jeder Seele in der Stadt freien Abzug in christliches Land gewähren."
Salah-al-Din betonte nochmals: „Jeder Seele. Den Alten, Frauen, Kindern, allen Rittern und auch Eurer Königin. Es wird keinem ein Leid geschehen. Ihr habt mein Wort."
Balian blickte auf und sah zweifelnd in Salah-al-Dins Gesicht.
„Die Christen haben jeden getötet, als sie die Stadt einnahmen", sprach er indirekt seine Bedenken aus und ließ dabei auch erkennen, daß er sich der Gefahr eines Gemetzels durchaus bewußt war und suchte fragend den Blick Salah-al-Dins. Dieser entgegnete harsch an der Ehre gepackt:
„Ich bin nicht wie diese Männer. Ich bin Salah-al-Din." Und er betonte nochmals als wäre sein Name gleichbedeutend mit seinem Wort:
„Salah-al-Din".
Balian blickte den großen Sarazenenführer, den er gerne fern von jeder Schlacht einmal kennengelernt hätte und dem er hier große Verluste beigebracht hatte, lange schweigend an. Ihre Augen trafen sich und sie erkannten gegenseitig die Achtung für den anderen in ihnen und ein Lächeln umspielte Salah-al-Dins Lippen. Saif hatte recht und sich nicht in diesem Mann getäuscht. Er war ein Mann des Friedens, der nur kämpfte, um Wehrlose zu schützen und nicht für Ruhm und Ehre.
Balian nickte und gab Salah-al-Din die Antwort, die dieser bereits in seinen Augen gelesen hatte:
„Dann werde ich Jerusalem unter diesen Bedingungen aufgeben."
Der Moslem nickte die Vereinbarung bestätigend und grüßte:
„Salam 'alaykum" und wandte sich zum Gehen.
Balian antwortete:
„Und Friede sei mit Euch."
Und beide blickten sich nochmals in die Augen, dann wandte sich Salah-al-Din ab. Er war ein paar Schritte gegangen, als Balian ihn anrief. Er hatte einen Moment zu Boden gesehen und wollte sich gerade zur Mauer zurückwenden, als ihm ein Gedanke durch den Kopf gegangen war:
„Was ist Jerusalem wert?"
Salah-al-Din drehte sich um. Diese Frage zeigte die hohe Wertvorstellung des jungen Christen und er gab zur Antwort:
„Nichts!"
Er sah, wie Balian den Kopf senkte und schüttelte, ein Lachen erschien auf seinem Gesicht und er fügte an, in dem er beide Fäuste zueinander richtete und so symbolisch einen Zusammenschluß verdeutlichte:
„Alles!"
Dann ging Salah-al-Din begleitet vom Schreiber zurück zu seinem Heer und seine Befehle bezüglich der Einnahme von Jerusalem machten die Runde.
Balian unterdessen zögerte noch einen Moment mit seinem Rückweg. Salah-al-Din hatte ihm gerade genau das bestätigt, was er in seiner Rede zu Beginn der Verteidigung zu den Menschen gesagt hatte: „Keiner hat Anspruch auf die Heiligen Städten und doch alle." Resigniert atmete er schwer und dachte nur bei sich:
‚Wofür dann all dies hier, all die Toten und das unnötige Leid?'
Langsam und müde ging er zurück und als er am Fuße der Steinhalde angekommen war, sprach er zu den Menschen, die ihn erwartungsvoll anblickten:
„Ich habe die Stadt aufgegeben. Alle werden sicher zum Meer geleitet."
Er hielt inne und während er sich umblickte, sah er in den Augen der Menschen Unglauben und Erleichterung. Dann sprach er weiter, blickte dabei auf all die Toten hinter sich und seine Worte waren mehr an sich selbst und an den Patriarchen gerichtet, als an die Soldaten, die langsam zu begreifen begannen:
„Wenn dies das Königreich der Himmel ist, soll Gott damit machen, was er will."
Mit diesen Worten, die seine ganze Resignation, Erschöpfung und seinen Widerwillen ob der unnötigen Opfer ausdrückte, stieg er den restlichen Weg zur Mauer an und bahnte sich einen Weg durch die Menschen.
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