Disclaimer
Die Figuren, soweit sie von Drehbuchautor William Monahan eigenständig entwickelt und/oder gegenüber ihren historischen Vorbildern abgeändert wurden, sind geistiges Eigentum von William Monahan und auch die Handlung und Reden, soweit sie sich mit der verfilmten Geschichte decken, gehört William Monahan.
Jede weitere eigenständige Erzählung um die Personen des Geschehens sind meines Geistes und mein Besitz. Mit dieser fiktiven Romanvorlage zum Drehbuch von William Monahans Werk „Kingdom of Heaven" verdiene ich kein Geld und habe sie auch keinem Verlag angeboten.
Epilog
Der Kreis schließt sich
Balian wollte zur Königin, zu Sybilla. Er mußte ihr von der Vereinbarung mit Salah-al-Din berichten und sein Weg führte ihn von der Stadtmauer in Richtung Palast. Er kam nur mühsam vorwärts, denn inzwischen hatte sich die Kunde des Verhandlungsergebnisses, der damit einhergehenden Beendigung der Kämpfe und der Gewährung des friedlichen Abzuges der Bewohner von Jerusalem überall hin verbreitet. Balian wurde auf die Schultern geklopft, er sah in glückliche und erlöste Gesichter und sein Name wurde laut skandiert:
„Gepriesen sei Gott, und lang lebe Balian!"
„Danket dem Herrn, und hoch lebe Balian!"
Diese Rufe schallten durch die ganze Stadt und begrüßten auch die, in die Stadt friedlich einziehenden Soldaten von Salah-al-Din.
Balian, so erschöpft und müde, daß er kurz zuvor noch am Brunnen eingeschlafen war, fand schließlich seinen Weg in den Palast und hoffte, dort Sybilla zu finden. Er ging durch leere Räume, über verwaiste Höfe und durch trostlos sich im Wind bewegende feine Vorhänge. Schließlich fand er Sybilla in einem Außenzimmer mit Blick auf die Stadt. Er erkannte sie fast nicht wieder, so verloren, wie sie dort am Fenster stand. Sybilla, seine geliebte Königin, trug ein graues Leinengewand und glich mit ihren kurzen Locken so sehr einer Büßerin, daß ihm das Herz aussetzte. Und er sprach zu ihr:
„Der Traum Eures Bruders lebt hier." – er legte seine Hand auf das Herz und sprach weiter – „Ein solches Königreich kann nicht aufgegeben werden."
Er blickte in ein Gesicht mit rotgeweinten Augen und einer bleichen, fast durchscheinenden Haut. Die kurzen Haarsträhnen ließen nichts mehr von Sybillas schönem Haar erkennen, in das er so gerne gegriffen und sein Gesicht hineinversenkt hatte. Sie wirkte so zerbrechlich und nicht mehr wie die starke Prinzessin. Er wollte schon zu ihr gehen, und sie in seine Arme schließen, sie trösten, als ihre Frage ihn auf der Stelle verharren ließ.
„Was soll ich tun?" fragte Sybilla, wie ein eingeschüchtertes Kind. „Ich bin immer noch Königin von Akkon, Askalon und Tripolis." fügte sie an und blickte dabei weiter starr über die Stadt. Ihre Stimme klang verloren und ihre ganze Haltung hatte nichts mehr mit der stolzen Prinzessin von Jerusalem gemein.
Balian zögerte mit einer Antwort, dann erwiderte er:
„Entscheidet Euch für ein Leben ohne Krone und ich werde mit Euch gehen."
Dieser Satz enthielt alles, was für ihn, für sie und ein gemeinsames Leben entscheidend war. Konnte sie auf die Macht verzichten, war sie die Frau, die Balian in Ibelin geliebt hatte, mit der er so glücklich war. Verzichtete Sybilla auf die Krone, dann entschied sie sich für ihre Liebe, mehr mußte er nicht wissen.
Balian wartete einen Moment, hoffte auf eine Reaktion von Sybilla. Als sie schwieg1 wandte er sich ab und ging. Er war müde und erschöpft. Sein Arm schmerzte und pochte, aber er konnte sich jetzt keine Ruhe gönnen. Die Übergabe der Stadt mußte geregelt werden, damit nicht in der aufgeputschten Stimmung Streitigkeiten den Frieden gefährdeten.
Salah-al-Din kehrte zu seinem Heer zurück und gab an alle Offiziere den Befehl, friedlich in die Stadt einzuziehen. Die Menschen von Jerusalem sollten Zeit haben, ihre Sachen zu ordnen und sich auf den Marsch zum Meer vorzubereiten. Ein jeder sollte mitnehmen dürfen, was er selbst tragen konnte. Es sollte sich um die Verletzten gekümmert und damit begonnen werden, die Toten zu bestatten. Der Palast mußte gesichert werden, aber die privaten Räumlichkeiten der Königin sollten respektiert und unangetastet bleiben. In den nächsten Tagen würde es vonnöten sein, besonnen zu handeln. Wie schnell konnte ein Streit eskalieren und der Frieden gefährdet werden?
Als Salah-al-Din dann am späten Nachmittag seinen Soldaten in die Stadt Jerusalem folgte und sein Quartier im Palast nahm, war er von der Ruhe in der Stadt, von dem friedlichen Miteinander beeindruckt. Er hörte verschiedene Berichte und immer waren es Anweisungen von Balian von Ibelin, die Streitigkeiten entschärften und für Ruhe sorgten. Als der Muezzin zum Abendgebet rief, gingen auch die Christen friedlich in ihre Kirchen um für ihre Rettung zu danken.
Balian hatte die Waffenmeister und Almaric zu sich gerufen. Er sprach mit ihnen die Vorkehrungen für den Abzug der Bewohner von Jerusalem durch und welche Maßnahmen ergriffen werden mußten, damit man Streit zwischen den Bewohnern und den Moslems im Keim ersticken konnte. Keiner wollte, daß der junge Frieden in irgendeiner Form gestört wurde. Das erste, was Balian deshalb anordnete und umgehend durchgeführt wissen wollte, war die Abgabe der Waffen. Die Bürger Jerusalems hatten alle zur Verteidigung Waffen erhalten; diese waren jetzt unnötig geworden und sollten als Zeichen des Friedens auf dem Platz vor der Hauptmoschee der Stadt niedergelegt werden.
Als die Zeit zum Gebet in der Moschee war, fingen die Menschen von Jerusalem bereits an, ihre Waffen vor dem Gotteshaus niederzulegen und still nach ihrem Gebet in den Kirchen in ihre Häuser zurückzukehren. Viele Waffen wurden auch von ausgewählten Männern bei den Soldaten eingesammelt und als Gebinde dort zu den anderen Waffen niedergelegt.
Balian gönnte sich keine Ruhe und war bei den Soldaten ebenso wie bei den einfachen Menschen. Er sprach besonders zu den Männern, die er in den Ritterstand erhoben hatte. Für sie, die nun eine neue und eigene Selbstsicherheit empfanden, war es nicht leicht, ihre Waffen zu strecken. Balian aber, stand ohne sein Waffen- und Kettenhemd vor ihnen. Er hatte es abgelegt und trug nun nur noch einfache Hose und Hemd. Der Verband an seinem Arm war blutdurchtränkt und das Schwert seiner Familie trug er mit dem Gurt auf seinem Rücken. Er zeigte ihnen so, daß auch er, der ihr Heerführer gewesen war, nun nichts mehr als ein einfacher Mann war. Und die Männer nahmen sich ein Beispiel an ihm, wie sie es schon die Tage zuvor getan hatten. Balian war und blieb in ihren Augen der Verteidiger Jerusalems. Balian schaffte es durch seine Anwesenheit und sein Geschick im Umgang mit den Menschen, Ängste und Leid zu lindern und so den Abzug aus Jerusalem geordnet vorzubereiten. Er selbst war nicht mehr in sein Haus zurückgekehrt. Es war nicht mehr sein Heim, es gehörte den Sarazenen.
Balian war auch zu den Kranken und Verletzten gegangen und hatte sie beruhigt. Sie hatten Furcht, zurückgelassen zu werden, aber Balian gab ihnen sein Wort, daß dies nicht geschehen würde, und für sie war das alles, was sie brauchten. Balian war in ihren Augen der Ritter, der Balduins Streben nach Güte und friedvollem Miteinander in seinem Herzen weitertrug. Balian fand auch Salem und setzte sich zu ihm.
„Mein Freund, wie geht es dir?", fragte er besorgt, denn Salem hatte hohes Fieber. Aber Salem lächelte sacht und meinte:
„Es sieht schlimmer aus als es ist, Balian. Sorgt Euch nicht. Ihr solltet dagegen Euren Arm erneut versorgen lassen.", sprach er leise.
Balian lächelte Salem scheu an. Er wußte nicht, was er ihm sagen sollte. Ihre Wege würden sich bald trennen. Balian drückte Salem sanft die Hand, nickte ihm als Gruß noch einmal zu und ging.
Almaric, der diesmal Balian nicht dazu bewegen konnte, sich auszuruhen, war zugegen, wann immer Balian ihn brauchte. Die Waffenablage war still und ohne Probleme erfolgt. Als letztes trat Balian zu dem Berg an Waffen und nahm sich sein Schwert vom Rücken. Er zog es aus seinem Schaft und salutierte damit ein letztes Mal. Er küßte das Schwert seines Vaters zum Abschied, steckte es zurück in seinen Schaft und legte es dann zu den anderen Waffen. Almaric und einige Männer Ibelins beobachteten diese Szene mit gemischten Gefühlen. Sie waren stolz, Männer von Ibelin zu sein, stolz die Männer Balians zu sein, aber nun? Balian, christlicher Ritter des Königreiches Jerusalem, würde Jerusalem wie jeder andere Christ verlassen müssen und war nicht länger Herr von Ibelin.
In diesem Moment trat Salah-al-Din aus der Moschee. Er sah die Sammlung an Waffen und wußte, daß dies als Zeichen des Friedens gedacht war, um die Übergabe der Stadt so friedlich wie möglich zu gewährleisten.
Salah-al-Din trat an den Berg aus Waffen heran. Saif war an seiner Seite und ihm entfuhr ein Keuchen. Rasch trat er näher und nahm ein Schwert auf, dessen Symbol im Griff er gut kannte. Er blickte von dem Schwert auf und Salah-al-Din an, der aber sah hinter einem jungen Mann her, der in der hereinbrechenden Dunkelheit verschwand. Salah-al-Din verspürte tiefe Achtung für diesen jungen Ritter.
Auch am nächsten Tag verliefen die Vorbereitungen für den Auszug der Christen aus Jerusalem ruhig ab. Die ersten Gruppen versammelten sich bereits vor der Stadt und würden bald ihren Weg zum Meer antreten. Noch immer war Balian auf den Beinen und leitete mit Almaric zusammen die Verpflegungsversorgung. Was die Menschen an Hab und Gut mitnehmen wollten, mußten sie selbst wissen; aber Balian wollte nicht, daß es den Menschen auf dem Weg zum Meer an Wasser und Essen mangelte, weshalb er hier genau darauf achten ließ, daß ein jeder auch seine Rationen bis zur nächsten Quelle bedachte und mit sich trug, statt Hab und Gut anzuhäufen.
Balian saß mit dem Rücken an einem Brunnen und ließ Almaric gewähren, der darauf bestanden hatte, den Verband an seinem Arm nun endlich zu erneuern. Er hatte gerade damit begonnen die blutdurchtränkte Binde aufzuwickeln, als fünf Sarazenen auf sie zutraten. Einer von Ihnen sprach Balian auf fränkisch an:
„Seid Ihr Balian von Ibelin, Heerführer und Verteidiger der Stadt Jerusalem?"
Balian erhob sich und bejahte die Frage, auch Almaric hatte sich erhoben und stand nun abwartend neben seinem Freund.
„Euch wird befohlen uns zu folgen", sprach der Sarazene, gab aber keinen Grund für diese Forderung an, aber die Wacht von vier Soldaten verhieß nichts Gutes.
Balian nickte und vier moslemische Soldaten nahmen ihn in ihre Mitte, aber Almaric hielt ihn am Arm zurück. Balian lächelte ihn nur schwach an und meinte:
„Salah-al-Din hat geschworen jeder Seele freien Abzug zu gewähren. Kümmere dich bitte weiter um die Menschen, Almaric und leb wohl, mein Freund", damit wandte sich Balian ab und wurde von den Sarazenen Richtung Palast eskortiert.
Balian wußte nicht, was ihm bevorstand oder er erwarten sollte. Er vertraute darauf, daß das Wort Salah-al-Dins auch für ihn galt, aber er war der Heerführer der Jerusalemer Verteidigung und somit verantwortlich für die Opfer auf der gegnerischen Seite. Vielleicht war sein Vertrauen auf das Wort des Sarazenenführers auf seine Person bezogen zuviel erwartet.
Er folgte der Führung der Soldaten schweigend. Balian wurde durch den Palast geführt. Er sah, wie die Moslems Aufzeichnungen und Papiere in den Innenhöfen verbrannten. Plötzlich verhielt seine Eskorte und er konnte sehen, wie Salah-al-Din auf der anderen Seite des Hofes durch die Gänge schritt, wie ihn seine Männer verehrten. Balian sah aber auch, wie der Sarazenenführer bei einem, auf dem Boden liegenden Standkreuz verhielt, sich niederbeugte und es aufnahm und behutsam auf einem Tisch abstellte. Diese Szene war für Balian wie ein Symbol für das, was Salah-al-Din ihm nach den Verhandlungen auf seine Frage hin geantwortet hatte. Und abermals fragte Balian in Gedanken seinen Gott nach dem Sinn dieses Krieges.
Als der moslemische Führer in anderen Räumlichkeiten verschwunden war, wurde Balian weiter geführt. Schließlich wurde er in einem Raum, in dem er noch nie gewesen war, ohne weitere Anweisungen alleine gelassen. Balian war zutiefst verunsichert, aber kaum hatten sich die Türen hinter den Soldaten geschlossen, als er eine wohlbekannte Stimme vernahm:
„Salam 'alaykum, Balian", grüßte Saif und trat aus dem Halbschatten zu Balian
„Und Friede sei mit Euch, mein Freund", antwortete Balian seinerseits und trat auf Saif zu. Saif blickte Balian lachend an und meinte:
„Es wird Zeit, daß Ihr auch mal an Euch denkt, Balian. Die Ruhe in der Stadt ist Euer Verdienst und Salah-al-Din erhält laufend Berichte, daß Ihr und Eure Männer den Abzug der Christen regelt. Er hat aber auch vernommen, daß Ihr Euch bislang weder schont oder Ruhe gönnt, weshalb er nun angeordnet hat, daß Ihr hierher verbracht werdet."
Balian hatte bislang geschwiegen und wußte auch jetzt nicht, was er darauf erwidern sollte. Er blickte seinen Freund fragend und erstaunt an.
„Kommt, mein Freund", lachte Saif ob des Gesichtsausdruckes von Balian. „Salah-al-Din will Euch kennenlernen, aber so könnt ihr nicht vor ihm erscheinen", sprach der junge Moslem und führte Balian in ein Bad. Bedienstete warteten bereits und entkleideten Balian. Ein kleines Bündel Papiere flatterte auf den Boden. Ein Diener nahm es auf und reichte sie die Blätter Saif. Der junge Moslem nahm Balians Anspannung war und ging deshalb mit den Papieren demonstrativ zu einem kleinen Tisch, den Balian auch vom Bad aus sehen konnte und legte sie dort nieder. Balian sah Saif schweigend an und sagte dann nur:
„Danke."
Saif nickte mit dem Kopf, zwischen ihnen mußte nicht viel gesprochen werden.
Dann begann ein Diener Balian den durchbluteten Verband abzunehmen. Als Saif die Wunde sah, erstarrten seine Gesichtszüge und mit harter Stimme ordnete er etwas auf Arabisch an und schnell verschwand einer der Bediensteten. Saif trat an Balian heran und fragte ihn:
„Wann hast du diese Wunde erhalten?"
Balian, dem es immer noch unangenehm war, wenn andere ihn entkleideten und wuschen, hielt sich den Arm und blickte zu Boden, als er antwortete:
„Als Eure Soldaten den Turm gestürmt hatten. Der Kampf, dort die Stellung zurückzugewinnen, war hart."
Saif merkte Balians Scheu und lächelte. Sein Freund war nach wie vor bescheiden und hatte nichts von dem herrschaftlichen Gebaren der christlichen Ritter angenommen. Saif schickte bis auf einen Bediensteten alle fort und dieser begann Balian zu waschen, achtete dabei aber besonders darauf, die Wunde nicht zu berühren. Dann wies er auf das Wasser in der Wanne und entfernte sich. Balian ließ sich in die angenehme Wärme hineingleiten. Mit einem Schlag übermannten ihn Müdigkeit und Erschöpfung und forderten ihren Tribut. Balian schloß die Augen und wäre vielleicht auch eingeschlafen, wenn nicht in diesem Moment ein fremder, aber sehr nobel aussehender, älterer Moslem in den Raum getreten wäre, den Saif mit einem sachten Kopfnicken begrüßte. Der Mann zog sich einen Hocker zur Wanne und griff nach Balians Arm, den dieser auf den Wannenrand aufgelegt hatte.
Der edel aussehende Moslem war ein Heiler und begann nun, Balians Wunde zu säubern und erneut zu nähen, denn sie war aufgerissen und sah nicht gut aus. In seiner Erschöpfung war der Schmerz aber zuviel für Balian. Der Heiler merkte dies und reichte Saif eine kleine Ampulle. Saif löste den Saft in Wein und reichte Balian den Kelch mit dem Trunk:
„Du solltest ihn besser in einem leeren, Balian. Du bist nicht mehr in der Lage, die Schmerzen der Behandlung auszuhalten. Hab Vertrauen, mein Freund", sprach Saif sanft, und Balian nahm den Kelch und leerte ihn in einem Zug.
Der Heiler wartete geduldig, bis er sah, daß das der Kräutertrank seine Wirkung tat, dann versorgte er sorgfältig Balians Arm. Er verband ihn straff, aber nicht zu eng, und legte darüber noch einen lockeren Verband an, der den unteren vor Verunreinigungen schützen sollte. Als der Heiler fertig war und aufstand, dankte ihm Balian mit leiser, schwacher Stimme. Der Moslem verneigte sich knapp, wandte sich dann an Saif und gab ihm Anweisungen. Saif nickte nur und der Medikus verließ wieder das Bad.
Balian erhob sich aus der Wanne und griff nach dem bereitgelegten Tuch und trocknete sich ab. Auf ein Klatschen von Saif hin, erschien ein Diener mit einem Gewand, das Balian sich überzog. Es war lang und offen, und wurde durch lange Binden um den Körper gezogen. Balian nahm seine Papiere auf und blickte Saif abwartend an. Er schwankte leicht und hatte das Gefühl, als würde er sich nicht lange mehr aufrecht halten können.
Saif sah dies auch und die Beobachtungen des Arztes wurden dadurch bestätigt. Die Anweisungen von ihm machten durchaus Sinn. Salah-al-Din würde noch auf den jungen Ritter warten müssen. Saif winkte Balian, ihm zu folgen und führte ihn zurück in das Zimmer, in das Balian zunächst von der Eskorte gebracht worden war. Saif öffnete eine weitere Tür und betrat ein Schlafgemach. Er drehte sich zu Balian um und sprach:
„Ich kann sehen, daß du dich kaum noch auf den Beinen halten kannst und der Medikus hatte ebenso Ruhe für dich gefordert. Geh, Balian, leg dich nieder und schlafe. Ich werde zu Salah-al-Din gehen und berichten."
Er wies nachdrücklich mit seiner Hand auf das Bett und Balian sah seinem Freund dankbar ins Gesicht und nickte. Saif schloß ohne ein weiteres Wort die Tür hinter Balian und ging.
Als Balian wieder erwachte, mochte eine Ewigkeit vergangen sein. Er fühlte sich ausgeruht und erholt. Er stand auf und fand, auf einer Truhe Kleidung für ihn liegen. Es waren noble Kleider, einem Ritter und Adligen würdig, aber Balian fand sie in seiner Situation unangemessen. Balian klatschte in seine Hände, ahmte damit Saifs Handeln nach und hoffte, daß auch jetzt ein Diener erschien. Und es kam tatsächlich ein Bediensteter. Es war der gleiche Mann, der ihn gewaschen und gekleidet hatte. Balian bat um einfachere und dunkle Kleidung. Der Mann sah den jungen Ritter erstaunt an, als dieser ihm aber nur lächelnd zunickte, ging der er. Balian mußte nicht lange warten, bis er mit neuen Kleidungsstücken zurückkam und auch eine Kleinigkeit an Obst mitbrachte. Balian dankte und begann, sich anzukleiden. Er trug nun eine schwarze Hose aus wollenem Tuch, ein einfaches, dunkelblaues Hemd und darüber einen grauen, wollenen Umhang. Das Hemd band er mit einem ledernen Gürtel. Er nahm sich eine Feige und aß sie genüßlich.
In diesem Moment hörte er ein Lachen hinter sich und wandte sich um. Saif stand in der Türe und wünschte ihm einen guten Morgen.
„Salam 'alaykum, und Allah möge dir einen guten Tag schenken, mein Freund", rief Saif.
„'alaykum as-Salam", antwortete Balian.
„Ich hätte es mir denken können, daß Ihr schlichtere Kleidung bevorzugt", sprach Saif und Balian lachte ihn an und meinte:
„Wir sind uns da sehr ähnlich, mein Freund", und wies mit seiner Hand auf Saifs Bekleidung und sprach weiter: „Auch bei unserem ersten Treffen wart Ihr schlichter gekleidet als der Ritter neben Euch, weshalb ich Euch als seinen Diener betrachtete."
Saif lächelte nur und sagte dazu nicht weiter, dann aber forderte er Balian auf, ihm zu folgen. Nach unzähligen Räumen, die sie durchschritten und in denen die Anwesenden sich immer vor Saif leicht verneigten, trat Saif in die Räume Salah-al-Dins ein. Sie waren nicht pompös ausgestattet, schlicht und edel und in satten erdigen Tönen gehalten. Balian fühlte sich wohl hier, aber die Anspannung in ihm stieg. Saif hatte nicht gesagt, wohin er ihn führte, aber Balian hatte keinen Zweifel daran, daß er Salah-al-Din nun als einfacher Mann gegenübertreten würde.
„Kommt näher, Balian von Ibelin. Tretet näher und setzt Euch zu mir", forderte ihn die herbe, aber wohltönende Stimme des Sarazenenführers auf. Balian trat näher und sah Salah-al-Din an einem Tisch auf einer Bank mit Kissen sitzen. Saif wies ihm einen Platz an und setzte sich ebenso.
„Salam 'alaykum," grüßte Balian den Moslem, und dieser gab den Gruß an Balian zurück:
„'alaykum as-Salam, junger Ibelin. Nehmt und eßt! Mir wurde von meinem Leibarzt berichtet, daß die Wunde an Eurem Arm nicht gut aussah und Ihr zudem völlig erschöpft wart. Geht es Euch wieder besser?"
Balian war erstaunt darüber, daß Salah-al-Dins seinen eigenen Leibarzt schickte und dieser seinen Arm behandelt hatte. Ihm war die Ehre bewußt, die ihm Salah-al-Din damit zuteil werden ließ, und war zutiefst dankbar.
„Ja, mein Herr, ich danke für Eure Fürsorge", beantwortete Balian die Frage. Salah-al-Din sah Balian ruhig an und meinte dann:
„Ich kannte Euren Vater. Ihr erinnert mich sehr an ihn. Er war ein guter Mensch, ein starker Ritter und ein gefährlicher Gegner, wenn man ihn zum Feind hatte. Wir kämpften häufiger gegeneinander, aber in den Regierungsjahren von Balduin war er eher Verhandlungspartner und, bis zu einem gewissen Punkt, auch Freund."
Balian wußte nicht, was er darauf antworten sollte und blickte Salah-al-Din nur schweigend und aufmerksam an. Nach einem Moment der Ruhe sprach der Moslem weiter:
„Ihr habt es durch Eure Leistung geschafft, ein Massaker zu verhindern, Balian. Grämt Euch deshalb nicht um die Toten, ihr Tod war nicht umsonst. Ich habe Euren Blick am Ende unserer Verhandlungen gesehen. Euch liegen die Opfer schwer auf der Seele, aber solange nicht alle Menschen wie Balduin oder Ihr denken, wird es immer Kampf um die Richtigkeit des Glaubens geben. Es ist Allahs Wille."
Balian konnte nicht anders, aber er verzog angewidert das Gesicht und wandte sich ab. Aber Salah-al-Din hatte es dennoch bemerkt und auch Balians Reaktion richtig gewertet.
„Gottes Wille, diese Aussage bereitet Euch Bauchschmerzen, mein Freund", stellte er indirekt seine Frage und Balian erwiderte:
„Diese Worte werden von den Menschen so schnell und leichtfertig in den Mund genommen und alles was sie tun, rechtfertigen sie damit", sprach Balian hastig und voller Widerwillen. Salah-al-Din lächelte und sprach besänftigend:
„Balian, Ihr habt recht, aber auch unrecht. Allah hat jedem Menschen seinen eigenen Willen gegeben und den Verstand sich zu entscheiden. Dies war Gottes Wille. Demnach ist es auch sein Wille, wie wir handeln - völlig wertfrei - aber ob wir in seinem Sinne gehandelt oder Sünde auf uns geladen haben, wird nur er entscheiden."
Er schwieg einen Moment und sprach dann weiter:
„Es war nicht an Euch, daran etwas zu ändern oder die Geschehnisse aufzuhalten. Ihr habt getan, was Euer Gewissen Euch befahl und seid dem Eid derer von Ibelin treu geblieben und es ist nun an Gott, Euch Euren Lohn hierfür in einem anderen Leben zu geben."
Balian blickte den Sarazenenführer lange schweigend in die Augen und neigte dann sein Haupt, wie er es bei André immer getan hatte, wenn er eine Lektion von ihm annahm. Er nahm diese Lektion von dem Moslem an und Salah-al-Din erkannte dies an den Augen Balians. Ein sanfter und warmer Ausdruck kehrte in sie zurück, und er konnte sehen, wie Balian sich entspannte. Salah-al-Din mochte diesen jungen Mann, bei dem man immer nur diesen milden Blick finden mochte.
Dann begann Balian zu sprechen:
„Herr, erlaubt Ihr mir eine Bitte?"
Er blickte den Moslem offen und ehrlich an. Salah-al-Din nickte und war gespannt, worum ihn der junge Ibelin bitten wollte. Wenn es ihm möglich war, wollte er ihm gerne jeden Wunsch erfüllen. Der junge Ritter hatte diese Anerkennung verdient, denn er war nicht nur ein ehrbarer Gegner, sondern auch ein Mann, der trotz seiner Jugend Weisheit in sich trug.
„Mein Herr", setzte Balian an, „auf Ibelin leben Moslems, Christen, Juden friedlich zusammen. Einige meiner Männer haben Familie und leben dort schon seit Generationen. Ich bitte Euch für sie. Mögen sie Euch den Friedenskuß leisten und unter Eurer Herrschaft leben, aber gestattet ihnen zu ihren Familien zurückzukehren und ihr Leben in Ibelin weiterzuführen."
Balian schwieg einen Moment und setzte dann hinzu:
„Verlangt von mir dafür, was immer Ihr wollt. Ich bin bereit, diesen Preis zu zahlen."
Salah-al-Din betrachtete den jungen Ritter ernst und fragte ihn dann:
„Ihr habt nichts, was Ihr mir geben könntet außer Euch selbst. Wärt Ihr bereit für Eure Leute in die Sklaverei zu gehen?" Er wußte von Saif, daß Balian ein solches Leben schon geführt haben mußte. Und Balian antwortete ohne zu zögern:
„Ja!"
Er blickte dabei dem Moslem fest in die Augen und wankte nicht. Der Sarazene nickte bedächtig mit dem Kopf, blickte kurz zu Saif, der völlig entgeistert seinen Herrn anblickte und antwortete:
„So soll es sein, Balian von Ibelin."
Balian stand auf und kniete sich vor seinem neuen Herrn nieder. Er nahm die Schreiben König Balduins aus seinem Hemd, den Siegelring seines Vaters von seiner Hand und reichte alles zusammen Salah-al-Din.
„Als Euer Sklave, Herr, ist es meine Pflicht Euch alles zu übergeben, was ich noch mein Eigen nennen darf", sprach Balian tonlos und senkte seinen Blick.
Salah-al-Din nahm die Papiere aus seiner Hand, legte sie zusammen mit dem Ring auf den Tisch. Er blickte still auf den jungen Ritter, der mit dieser Geste zeigte, wie ernst er es mit seinem Anerbieten zuvor meinte. Balian war nicht nur ein Christ, wie er ihn bislang nur in Balduin gefunden hatte, ein Kämpfer, der edlerer Gesinnung nicht sein konnte, nein, er war ein Mensch, der die Herzen anderer berührte. Saif hatte ihm schon von dieser Gabe des jungen Mannes erzählt und auch, daß Balian dies gar nicht bewußt war.
„Erhebt Euch wieder, Balian, nehmt den Ring und setzt Euch zurück auf Euren Platz. Ihr werdet weder mein noch irgendjemandes Sklave sein", sprach er deshalb nun fest, aber ohne harten Unterton in seiner Stimme. Balian hob seinen Blick, erhob sich verwirrt, steckte den Ring wieder an die Hand und setzte sich zurück auf seinen Platz. Er blickte den Sarazenen fragend und verzweifelt an.
‚Lehnt er doch meine Bitte ab? Habe ich ihn gekränkt, daß er nun von seinem Wort zuvor Abstand nimmt?'
Balian wartete angespannt.
„Ibelin wird bleiben, was es ist. Eure Männer mögen zurückkehren und dort mit ihren Familien in Frieden leben.", sprach Salah-al-Din nach langen Momenten des Schweigens und blickte dabei sanft Balian an. Dann fragte er ihn:
„Erlaubt Ihr mir diese Papiere zu lesen?", er wies dabei auf die Briefe, die Balian ihm gegeben hatte. Balian nickte und beobachtete dann, wie Salah-al-Din ein um das andere Schreiben des verstorbenen Königs las. Er gab Balian nur ein Schreiben zurück und sprach:
„Die beiden anderen benötigt Ihr nicht mehr. Ihr seid ein freier Mann, Balian, und könnt über Euch selbst verfügen. Guy de Lusignan hingegen ist es nicht und ich will nun von Euch wissen, ob Ihr gemäß dem Schreiben Eures Königs Guy hingerichtet hättet, wenn ich es von Euch für Ibelin fordern würde." Salah-al-Dins Stimme war hart geworden und er schaute Balian ernst an. Balian zögerte aber nicht einen Moment mit seiner Antwort:
„Nein, nicht für Ibelin, aber für die Menschen Jerusalems", stieß Balian hervor. Wenn er diese Sünde hätte begehen müssen, dann nicht für sich, denn noch mehr Schuld wollte er nicht auf der Seele spüren.
Salah-al-Dins Ärger verflog. Nein, der junge Ritter wäre nie so selbstsüchtig gewesen. Er hätte es wissen müssen. Salah-al-Din bedauerte es, daß er an ihm gezweifelt hatte, nachdem er die Schreiben gelesen hatte. Er stand auf, trat an ein Pult mit Federkiel und schrieb in einen Brief etwas hinein, faltete ihn, rief einen Diener heran und sagte:
„Bringt diesen Brief Kalif Rachid als Verwalter aller Güter und richtet ihm aus, dies möge umgehend festgehalten werden."
Der Diener entfernte sich sofort und Salah-al-Din nahm wieder Balian gegenüber Platz und sprach nun zu ihm:
„Geht, junger Ibelin. Ihr seid ein geachteter Mann unter meinem Volk und der Freund von Saif. Ich kann ihn nun gut verstehen."
Er erhob sich und zeigte damit Balian, daß dieses Treffen nun vorüber war.
„Salam 'alaykum", verabschiedete er Balian mit einem Lächeln und wandte sich ab.
„'alaykum as-Salam", antwortete Balian noch leise, während Salah-al-Din bereits dabei war den Raum zu verlassen.
Balian war verwirrt und hatte tausend Fragen in sich, aber er würde keine Antworten mehr bekommen. Der Sarazenenführer hatte ihn tief beeindruckt. Saif legte ihm eine Hand auf die Schultern und sprach:
„Salah-al-Din ist von dir ebenso beeindruckt wie du von ihm, mein Freund. Vielleicht werdet ihr euch irgendwann wiedersehen."
Balian blickte ihn zweifelnd an. Er würde das Land verlassen. Er hatte hier nichts mehr, was könnte ihm eine Rückkehr bringen?
Saif führte ihn aus dem Palast. Kurz bevor sie hinaus in die Straßen von Jerusalem traten, hielt sie ein Waffenmeister des Sultans auf und bot Balian ehrerbietig sein Schwert und ein Messer mit dem Symbol Ibelins dar. Balian blickte erstaunt seinen Freund an und dieser erklärte:
„Salah-al-Din wünscht, daß Ihr Eure Waffen zurück erhaltet. Ihr seid ein Ritter, der sich diese Ehrerbietung redlich verdient hat."
Balian nickte schweigend und nahm das Schwert seines Vaters wieder an sich, dazu das Messer und gürtete sich damit. Dann ging er mit Saif zum Stadttor. Erst jetzt wurde Balian bewußt, daß er viel länger geschlafen haben mußte als er dachte., denn ein langer Pilgerzug war bereits auf dem Weg zum Meer und auch die letzten Christen machten sich zum Aufbruch bereit. Balian mußte annehmen, daß Almaric und Salem bereits nach Ibelin unterwegs waren oder zumindest informiert wurden, aber er fragte nicht, er hatte für Ibelin und seine Männer getan was er konnte. Er reichte Saif seine Hand, dieser griff zu und schweigend blickten sie sich an und nahmen Abschied voneinander. Dann lächelte Saif, als ein Soldat ihm ein Pferd zuführte und sprach zu Balian:
„Dies ist kein gutes Pferd. Ich will es nicht mehr haben."
Er schmunzelte Balian an, denn er hatte eben jenes Tier am Zügel, das Balian ihm einst nach ihrer Ankunft in Jerusalem geschenkt hatte. Dieses Tier hatte ihn hierher getragen und nun würde es ihn auch wieder von hier fort tragen. Balian nickte lächelnd, nahm die Zügel und sagte in seiner sanften Art:
„Danke."
Dann saß er auf. Am Sattel war alles befestigt, was er benötigte. Saif hatte dies angeordnet, und dieser sprach nun nochmals zu Balian:
„Wenn Gott dich nicht liebt, wie konntest du dann all das, was du getan hast, vollbringen? Friede sei mit Dir."
Balian blicke auf seinen Freund nieder und schenkte ihm ein scheues Lächeln und antwortete:
„'alaykum as-Salam."
Er wendete das Pferd und ritt aus dem Stadttor und Saif blickte ihm noch lange nach.
Balian ritt gegen den Wind die Karawane entlang. Er blickte nicht zurück und so sah er auch nicht den Moment, in dem für die Moslems ein Traum wieder wahr wurde. Über dem höchsten Gebäude der Stadt erhob sich erneut das Zeichen des Halbmondes. Jerusalem gehörte nun wieder ihnen. Salah-al-Din beobachtete die Aufstellung des Symboles von einem Innenhof des Palastes. An seiner Seite stand ein sehr zufrieden dreinschauender Mullah und Saif hielt sich etwas im Hintergrund. Salah-al-Din betrachtete das Zeichen mit Wehmut. Viele gute Männer hatten wegen des Glaubensstreites sterben müssen, obwohl seinerzeit die Moslems die heiligen Stätten allen zugänglich gemacht hatten. Balduin hatte als Christ dies ebenfalls getan und er wollte es nun ebenso wieder halten, sobald etwas Ruhe im Land eingekehrt war. Er dachte an Balduin und Balian, beide junge Menschen, beide natürliche Führer mit großen Idealen, deren Träume noch an dem Unverstand der Zeit scheiterten. Und der Sarazenenführer fragte sich im Stillen, ob sich je die Zeiten ändern würden.
Balian hatte unterdessen in dem Zug der Vertriebenen Sybilla entdeckt. Er hielt sein Pferd an, stieg ab und gesellte sich an ihre Seite. Sie war noch immer in Grau gekleidet, hatte aber einen weiten Umhang mit einer Haube umgelegt und hob das Kleid und den Umhang etwas an, um nicht darauf zu treten. Balian schritt eine Weile schweigend neben ihr her und sprach dann:
„Eine Königin geht niemals zu Fuß und doch lauft Ihr?" Und er sah sie an und bemerkte ihren kurzen scheuen Blick, aber eine Antwort erhielt er nicht, statt dessen schob sich plötzlich sanft eine Hand in die sein. Er sah kurz hinunter, nahm sie fester in die seine und lächelte Sybilla sanft und warm an. Ihre Entscheidung war gefallen, und Balian verspürte ein Glück in sich, wie er es nie erhofft hatte. Er wußte nicht, was ihn in Frankreich erwartete, was die Zukunft bringen würde und was er tun konnte. Ihm war auch bewußt, daß Sybilla, als Tochter aus adligem Hause und noch immer Gemahlin von Guy de Lusignan, ihre Familie in Frankreich hatte. Er war sich klar darüber, daß er sich in den Augen dieser und seiner Familie erst bewähren mußte, aber Sybilla hatte sich für ihn entschieden. Sie hatte sich gegen die Macht als Königin und für seine Liebe entschieden, was brauchte er mehr zu wissen?
Als sie nach Tagen des Fußmarsches – Balian bestand darauf, daß Sybilla sein Pferd ritt – in Akkon ankamen, sorgte Balian für eine Überfahrt nach Zypern, wo sie von Tiberias erwartet und bewirtet wurden. Er hatte die Nachricht von Jerusalems Rettung bereits erhalten. Tiberias hatte feuchte Augen, als er den Sohn seines besten Freundes in die Arme schloß. Gott hatte seine Gebete erhört. Nach einigen Tagen der Ruhe brachen Sybilla und Balian mit einigen Männern Tiberias als Eskorte per Schiff weiter nach Sizilien und Messina auf, um von dort auf dem Landweg nach Frankreich zu gelangen. Balian schlug denselben Weg ein, den er vor nicht allzulanger Zeit mit seinem Vater und André geritten war. Es erschien ihm eine Ewigkeit her zu sein und dabei waren erst sechzehn Monate vergangen, seit diese Reise begann. Sybilla merkte die Balians Schwermut, aber sie wußte nicht, wie sie ihm helfen konnte. Sie hatten nach Wochen der Reise die Grenze Frankreichs erreicht und Balian, der nur den Stammsitz seiner Familie kannte, und das Dorf in dem er geboren war, wollte sich in diese Richtung wenden, aber bereits kurze Zeit später trafen sie auf einen Trupp Soldaten mit dem Wappen der Familie Sybillas, der die junge Königin nach Hause geleiten sollte. Balian war unsicher, die Wirklichkeit hatte sie eingeholt. Sybilla würde in ihre Welt der Adligen zurückkehren, während er, Balian, Ritter und Sohn Godfreys, letztlich doch immer ein Hufschmied bleiben würde. Sybilla blickte Balian bittend an, aber Balian schüttelte den Kopf.
„Ich kehre zum Familiensitz meines Vaters zurück, um seinem Bruder von seinem Tod zu berichten und meine Familie kennenzulernen", erwiderte er ihre stumme Bitte. Balian wußte nicht, ob diese Familie ihn überhaupt haben wollte, aber diese Erkenntnis war er sich selbst schuldig. Und Sybilla antwortete:
„Ich warte auf dich, Balian. Bitte, verweile nicht zulange."
Balian küßte ihre Hand und lächelte, dann trennten sich ihre Wege.
Wochen später, der Frühling hatte begonnenBalian war von seiner Familie herzlich aufgenommen worden. Er brachte die traurige Nachricht vom Tod seines Vaters, aber er gewann sehr rasch die Herzen der Familienmitglieder. Balian wurde verwöhnt und mußte sich schon fast der Vereinnahmung durch seine Familie erwehren, aber richtig glücklich war er nicht. Balian wurde hoch geschätzt, sein Ruf als Verteidiger Jerusalems und vollkommener Ritter war ihm weit vorausgeeilt. Aber die Erinnerung an Jerusalem, die Kämpfe und Ibelin, sein Zuhause, lasteten schwer auf ihm. Trotz der Liebe seiner Familie, die ihm zuteil wurde, war er wieder der stille und zurückhaltende Mann, als den ihn dereinst seine Familie, noch als unerkannter Helfer des Baumeisters, in Erinnerung hatte. Balian war nicht mittellos, denn die Gelder aus seinen Stadtlehen waren alle, wie es Balduin angeordnet hatte, einem Treuhänder übergeben worden, der nun vor einigen Tagen alles einem erstaunten Balian überantwortet hatte.
Balian hatte Sybilla einen Brief geschrieben, weil er nicht wußte, wie er bei ihrer Familie aufgenommen werden würde, wenn er einfach an ihrem Hofe erschien und wartete nun ungeduldig auf eine Nachricht. An diesem Tag hatte er sich entschieden das Grab seiner Mutter zu besuchen und in das Dorf seiner Geburt zurückzukehren. Es war ein milder Frühlingstag Anfang April. Er war in das Dorf gekommen und hatte sein Pferd an der zerstörten Schmiede festgebunden. Sie war nicht wieder aufgebaut worden, und kein neuer Schmied hatte sich gefunden. Er ging langsam durch das Dorf zum Grab seiner Mutter. Die Menschen erkannten ihn wohl wieder, aber nichts hatte sich geändert: Sie sprachen ihn nicht an und hielten Abstand. Kein freundliches Wort, kein Lächeln. Balian kniete am Grab seiner Mutter, dankte ihr für ihre Liebe und Führung. Er bat um Vergebung, daß er nicht bleiben konnte, aber dieses Dorf war nie sein Zuhause gewesen und würde es auch nie werden. Er trat an das kleine Grab seines Sohnes und dachte auch an seine Julie. Er flehte um ihren Segen für seine Liebe zu Sybilla. Julie würde dennoch immer einen Platz in seinem Herzen haben. Dann ging er zurück zur Schmiede und betrachtete gerade die verkohlten Reste und sah, daß der Balken über der Esse dem Feuer standgehalten hatte, und daß auch die Worte, die er dort eingebrannt hatte, noch zu lesen waren.
‚Was für ein Mann ist ein Mann, der nicht die Welt verbessert.'
Balian spürte diese Worte in sich nach und der Eid, den er geschworen hatte, fügte sich nahtlos an:
‚Sei ohne Furcht im Angesicht deiner Feinde. Sei tapfer und aufrecht, auf daß dich Gott lieben möge. Sprich immer die Wahrheit, auch wenn es deinen Tod bedeutet. Beschütze die Wehrlosen und tue kein Unrecht.'
Balian wurde aus seinen Gedanken von Hufschlag, der sich der Schmiede näherte aufgeschreckt. Mehrere Ritter näherten sich und einer lenkte sein Tier ganz zu den verkohlten Resten und sprach Balian an:
„Wir sind auf dem Kreuzzug, um Jerusalem zurückzuerobern."
In seiner Stimme lag eine Forderung, der Balian nicht folgen wollte und so erwiderte er mit den Worten seines Vaters:
„Jerusalem ist leicht zu finden! Geht nach Süden, bis man Italienisch spricht, dann geht weiter, bis man etwas anderes spricht."
Der Ritter sah ihn verwundert an und schwieg. Ein zweiter Ritter, noch nobler ausgestattet als ersterer, lenkte sein Pferd nach vorne und blickte den jungen Mann, den man ihm als Ritter Balian von Ibelin beschrieben hatte, sanft lächelnd an und sprach dann:
„Wir wählten diesen Weg auf der Suche nach Balian, dem Verteidiger Jerusalems."
Und trotz dieser freundlichen, indirekten Fragen nach seiner Identität, spürte Balian auch hier die Forderung, sich dem Kreuzzug anzuschließen, aber Balian wollte sich nicht als Galionsfigur in den Dienst dieses unsäglichen Streites um den Glauben stellen lassen und so antwortete er:
„Ich bin ein Hufschmied", und blickte dem Ritter offen in die Augen. Der Ritter versuchte es nochmals, in dem er nun seinerseits seine Identität preisgab:
„Und ich bin Richard von England."
Er hoffte, daß Balian sich vielleicht geschmeichelt fühlte und doch zustimmte, aber so wie der den jungen Ritter vor sich sah, stimmten die Erzählungen von ihm und er war nicht käuflich. Balian lächelte und wiederholte sanft:
„Ich bin ein Hufschmied."
König Richard nickte. Er mußte die Entscheidung dieses Ritters akzeptieren. Ein Mann mit seinem Ruf konnte nicht ignoriert oder gezwungen werden, und so wendete er sein Tier und ritt mit seiner Gefolgschaft gen Süden.
Balian blickte ihnen schweigend nach. Dann wandte sich dann hinunter in den Garten, die Bäume, die er einst gepflanzt hatte, hatten überdauert. Sanft fuhr er über die Zweige und freute sich an den Knospen und jungen Trieben. Ein Geräusch ließ ihn aufschauen. Da stand sie - Sybilla, eingehüllt in ein warmes Cape und lächelte ihn an. Balians Augen begannen zu strahlen und er eilte auf sie zu, aber sie sahen sich nur schweigend an, ihre Hand fuhr sanft über seine Narbe auf der Wange und strich ihm eine Locke aus dem Gesicht. Balian nahm keine weiteren Reiter wahr, keine Eskorte und ihm wurde klar, daß Sybilla im Gefolge von König Richard gekommen war. Er blickte Sybilla sanft und fragend an und sprach leise:
„Wählt ein Leben ohne Krone und ich werde Euch folgen."
Sybilla küßte ihn zärtlich und erwiderte:
„Ich muß, als Legitimation und Bürge für die Vereinbarung zwischen Frankreich und England zum gemeinsamen Kreuzzug, meinem Cousin folgen, aber die Krone ist ihm versprochen. Ich werde frei sein."
Balian zog sie in seine Arme und küßte sie sanft, aber anhaltend. Dann half er ihr auf das Pferd und bestieg das seine. Er würde ihr folgen, und gemeinsam ritten sie Richtung Süden, Richtung Jerusalem, dem Heer König Richards hinterher. Am Wegkreuz zögerte Balian und zügelte das Tempo seines Tieres. Er blickte auf den kleinen Grabhügel, der schon fast überwuchert war und gedachte seiner ersten Liebe und geliebten Gemahlin. Dann riß er sich los und folgte Sybilla, dem Glück seines Herzens, zurück in das Land, daß seine Heimat geworden war
Ende
Fortsetzung folgt - to be continued
Anmerkungen
1> Bezug zum Film: Als Balian Jerusalem verläßt, bemerkt er zufällig Sybilla im Zug der Christen und gesellt sich an ihre Seite. Hätte Balian Sybillas Antwort schon eher gehabt, wäre diese Szene gewiß anders dargestellt worden.
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