4. Fallen walls may have to be build again

Sie saß hier bereits seit Ewigkeiten. In diesem kleinen dunklen Raum, angekettet an einen Stuhl, blutend und allein mit einem Irren. Ihr Magen knurrte vor Hunger und ihre Zunge war so trocken, dass sie sie kaum noch spürte. Sie war ganz dick und sie dachte sie müsse ersticken. Ihren rechten Fuß konnte sie nicht mehr spüren, sie wusste nicht ob er noch an ihr hing oder ob bloß die Blutzufuhr unterbrochen war. Schon oft hatte sie ihren Peiniger bebeten ihr einen, wenigstens einen Schluck Wasser zu geben, doch er tat so als währe er nicht anwesend. Sie wusste, dass er es war. Sie wippte mit ihrem Unterteil um zu sehen ob ihre Gliedmaßen noch funktionierten, und als ein Schmerz von 1000den Nadelstichen ihr Bein eroberte war das der glücklichste Augenblick der letzten Stunden. Sie war so glücklich, dass ein kurzes Lächeln ihr Gesicht eroberte. Da spürte sie, wie etwas Nasses ihre Lippen berührte. Wasser. Sie trank hastig. Das Glas war viel zu schnell leer geworden. Sie spürte wie er sie anstarrte, und sie wusste, dass er ganz nah war. Sie konnte seinen Atem spüren. Bald darauf erfüllte sie purer Hass und Ekel. Er presste seine Lippen auf ihre und steckte seine Zunge in ihren Mund. Ihr Körper verkrampfte sich und sie machte grauenhafte Laute. Sie hätte ihm die Zunge abbeißen sollen, tat es aber nicht, denn irgendwie war er doch ein sehr netter Kidnapper. Sie lebte immerhin noch und außer, dass sie ein wenig Blut verloren hatte und ein erträglicher Schmerz ihren Körper durchfuhr, war alles in Ordnung…

Samantha kniete vor der Toilette und betete, dass sie sich nicht mehr übergeben muss. Als der Brechreiz endlich verschwand begann sie zu weinen. Sie lehnte an der Wand der Toilette und ihr Haar hing ihr ins Gesicht. Sie zog die Beine an ihren Körper und umarmte sie. Sie versuchte still zu bleiben, als sie jemanden hereinkommen hörte, doch ein kleiner Schluchzer bahnte sich ohne Erlaubnis einen Weg. Vivian hatte die Toilette neben ihr und sah dass nebenan jemand am Boden saß. Als sie fertig war, stieg Vivian auf den WC-Deckel und spähte über die Wand.

„Sam?"

Samantha antwortete nicht.

„Um Gottes Willen, was machst du hier? Was ist passiert?"

„Ich bin passiert." flüsterte Sam beinahe unhörbar.

Vivian rüttelte nun außen an der Tür. „Mach auf, Sam."

„Verschwinde!"

„Wie kann ich dir helfen Sam?"

„Verschwinde, bitte."

Vivian schlug einmal auf die Tür ein und verschwand danach direkt in Jacks Büro. Es glich einem Wunder, dass er wirklich da war. Anscheinend gab es in letzter Zeit keine neuen Spuren mehr zu verfolgen. Er saß in seinem Stuhl und las einige Berichte. Nun ja, er starrte sie eigentlich nur an.

„Jack?"

„Viv, was gibt's?"

„Sam. Sie hat sich auf der Damentoilette eingeschlossen."

Sofort sprang er auf und rannte hinter Vivian her was natürlich Martin auch nicht verborgen blieb. Er war neugierig und als Beide in die Damentoilette einbogen musste er einfach hinterher.

„Was ist los?", stellte Martin in den Raum.

„Sam? Mach auf, bitte." Jack stand vor der Tür und hatte eine Hand ganz stampft auf sie gelegt, als könne Sam sie spüren.

Sam tat so als währe sie nicht da und versteckte sich hinter ihren Knien.

„Sag mir wenigstens was los ist!" Nichts. „Sam, in ein paar Sekunden breche ich dir Tür auf."

„Das bringt doch nur eine Reparaturrechnung." Die junge Frau lehnte in der Tür. Ihr langes schwarzes Haar hing ihr über das linke Auge und den Kopf hatte sie geneigt. „Es ist nicht so schlimm.", nahm Jordana an.

„Es ist nicht so schlimm.", wiederholte Sam.

Ein knacken war zu hören. Jordana ging an die Tür und öffnete sie. Sie setzte sich neben Sam.

„Es tut mir leid.", entschuldige sie sich.

Sam schüttelte nur den Kopf und die Tränen rannten auf ihre Nasenspitze zu. „Ich will nicht fallen."

Ganz leise begann Jordana einen Song zu singen. Es war mehr ein flüstern, das durch kurzes Schluchzen unterbrochen wurde. Es war beinahe so als würde Jordana Samantha ein wenig von ihrem Schmerz abnehmen.

I hurt myself today,

to see if I still feel.

I focus on the pain

The only thing that's real.

The needle tears a hold

The old familiar sting

Try to kill it all away

But I remember everything…

Samantha kannte diesen Song. Sie wurde einfach mitgerissen und sang diesen Song mit dieser besonderen Person an ihrer Seite. Ganz Leise und zart. Ihre Tränen trockneten langsam und ihr Atem beruhigte sich wieder.

What have I become

My sweetest friend

Everyone I know goes away

In the end

And you could have it all

My empire of dirt.

I will let you down

I will make you hurt…

Jordana griff nach Samanthas Hand. Ihre Hand war kalt und Samanthas war ganz feucht von ihren Tränen die sie versucht hatte mit ihrem Handrücken zu trocknen.

I wear this crown of thorns

Upon my liar's chair

Full of broken thoughts

I cannot repair.

Beneath the stains of time

The feelings disappear

You are someone else

I am still right here…

Ihre Stimmen wurden lauter. Vivian, Martin und Jack starrten auf diese zwei Frauen am Boden. Jeder von ihnen hatte schon mal davon geträumt im richtigen Augenblick, den richtigen Song zu hören. So wie heute der Richtige Augenblick für Johnny Cashs Song Hurt war. Der Text schockierte sie alle ein wenig, da er gerade Samantha bezogen wurde und das warf einige Fragen auf.

What have I become

My sweetest friend

Everyone I know goes away

In the end

And you could have it all

My empire of dirt.

I will let you down

I will make you hurt…

Was war es, dass Samantha beinahe fallen ließ?

If I could start again

A million miles away

I would keep myself

I would find a way.

Über die Gesichter der Beiden strahlte nun ein kleines zufriedenes Lächeln. Jordana stand auf. „Wir sehen uns in ein paar Minuten." Wie gern hätte sie Samantha jetzt geküsst.

„Kommt Leute gehen wir.", forderte Jordans die restlichen Anwesenden auf.

Bevor Jordana in das Zimmer wo ihre Schwester immer noch schlief einbiegen konnte, berührte sie jemand an der Schulter. Sie drehte sich um. Ihre rechte Hand lag am Türstock dieses Raumes.

„Du bist… unglaublich."

Sie lachte. „Nein, ich bin bloß jemand dessen Mutter verschwunden ist."

„Ja, vielleicht."

„Sie lieben sie noch."

Er nickte.

„Vielleicht sollten Sie ihr sagen, dass Sie sie auffangen werden, wenn sie fallen sollte."

Sie ging und das Zimmer und lies Jack stehen. Ja, vielleicht sollte ich das tun.

Er sah nach hinten genau in Samanthas Augen die nur einige Meter von ihm entfernt stand, so als währe nichts passiert. Er wusste, dass sie sehr emotional war, aber bei diesem Fall war doch viel mehr Privates das Hauptthema gewesen. Jack schritt schnell in sein Büro. Er sperrte die absperrbare Schublade auf und holte eine Akte heraus. Samantha Spade.

12. MAI

9 Stunden vermisst.