8. Hoffnung?

Offenbar war niemand in dem düsteren Haus am Grimmaultplatz, als Tonks eintraf. Nirgends brannte Licht und sie konnte kein Geräusch hören. Vor einem Jahr war das noch völlig anders gewesen – Sirius hatte immer Licht brennen lassen, um die düstere Atmosphäre zumindest ein wenig zu vertreiben und egal, wann man kam, meistens hörte man Kreacher aus irgendeiner Ecke murmeln oder im Schlaf jammern. Jetzt wirkte dieses Haus nicht nur unbewohnt, sondern schon fast unbewohnbar. Es war kein Wunder, dass Harry kein Interesse daran zeigte.

Sie ließ ein paar Lampen aufleuchten, um den Weg zur Küche erkennen zu können. Sie musste ein paar Pläne abholen, um die sie Kingsley, der Nachtschicht hatte, gebeten hatte. Es war bei weitem nicht so hell geworden, wie sie erwartet hatte, offenbar waren ein paar der Leuchtzauber auf den Lampen mittlerweile verblasst. Irgendjemand würde sich einmal um die Auffrischung kümmern müssen, aber das konnte noch warten.

Als Tonks die Küche betrat, glimmten auch dort ein paar Lampen auf, allerdings deutlich heller als die in der Eingangshalle. Jemand musste sich in der letzten Zeit um diesen Raum gekümmert haben. Er wirkte nicht einladender, aber deutlich gepflegter als der Rest des Hauses – obwohl sich der Orden seit fast zwei Monaten nicht mehr getroffen hatte. Tonks dachte mit einem leisen Seufzer an dieses Treffen, dass nur in gegenseitige Anschuldigungen und wüste Vermutungen ausgeartet war.

Alle Ordenskämpfer waren abgespannt, frustriert und überarbeitet gewesen. Und als dann Moody in den Raum geworfen hatte, Dawlish könne ein Verräter sein, war es eskaliert. Wenn man Auroren nicht mehr vertrauen konnte, wem dann? Abgesehen davon, und da hatte Kingsley ihr zugestimmt, was Dawlish absolut loyal zum Ministerium. Vielleicht zu loyal sogar, wie man manchmal merken konnte, aber das konnte man von Scrimgeour auch sagen.

Während sie die Pläne, die wie immer sorgsam im magisch verschlossenen Wandversteck hinter einem schimmeligen Bild, das einen einäugigen Zauberer mit gelber Haut und zu großen Ohren zeigte, versteckt waren, herausholte, dachte sie leicht melancholisch an die Briefe, sie sie sich mit Remus geschrieben hatte. Nun – es waren nicht wirklich Briefe. Die Methode, über Patroni Nachrichten zu überbringen, war kompliziert und für seitenlange Auswüchse ungeeignet. Aber diese paar Zeilen, die sie in der Woche bekam, munterten sie dennoch immer auf. Vor allem, wenn Remus sie wie beiläufig fragte, ob sie die Ohrringe denn trug.

Irgendwann war sie stutzig geworden, warum die Ohrringe ausgerechnet aus Silber bestanden. Er hatte ihr leicht belehrend geantwortet, diese Silber-Geschichten seien Legenden, Werwölfe würden aus Silber nicht anders als auf jedes andere Element reagieren – dafür gäbe es aber auch mehr Möglichkeiten, einen Werwolf zu töten, als ihn mit Silberkugeln zu erschießen.

Der Gedanke an die Silberverträglichkeit beruhigte sie, denn ihre Großmutter (väterlicherseits, natürlich) hatte ihr, als sie noch jung war, zwei wunderschöne, alte Ringe aus Silber geschenkt, als Trauringe. Bisher hatte Tonks diese Ringe herzlich wenig beachtet – jemanden, der ihr vor einem Jahr ihre Hochzeit prophezeit hätte, hätte sie wegen eines Imperius-Verdachts nach Sankt Mungo's einweisen lassen. Jetzt freuten sie diese Ringe, und die Geschichte mit ihrer Großmutter hatte sie Remus daraufhin prompt zurückgeschrieben. Der war vorsichtshalber nicht darauf eingegangen.

Sie stöhnte, als sie die Pläne überflog – was für einen Schwachsinn hob der Orden denn auf? Eine über ein Jahr alte Einsatzliste, auf der noch Vance vermerkt war, war nur das, was Tonks als erstes ins Auge fiel. Sie blätterte schnell alle Zettel durch, bis sie die Überwachungsprotokolle fand, um sie Kingsley sie gebeten hatte. Dann stopfte sie den anderen Krempel in das Versteck zurück und verließ das Haus, so schnell sie konnte. Sie hatte frei und wollte endlich einmal ausschlafen.

Sie machte einen Abstecher in die Zentrale, unterhielt sich noch schnell mit Rebekka Wyas, die mit ihr die Ausbildung absolviert hatte und steckte Kingsley die Papiere so unauffällig wie möglich zu. Dann apparierte sie weiter in ihre Wohnung. Durch das Fenster schien der fast volle Mond so hell hinein, dass sie kaum noch selber Licht zu machen brauchte.

Sie schlief etwas, allerdings schlecht und unruhig. Am nächsten Morgen hatte sie das Gefühl, als hätte sie die ganze Nacht durchgemacht. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr auch promt, dass sie zu spät aufstand. Halb 11.

Sie zog sich hastig an, was aufgrund ihrer Übermüdung etwas schwierig wurde. Beim Versuch, sich die Socken anzuziehen, fiel sie mehrmals hin und stolperte beim Aufstehen über ihre Aurorenrobe, die mitten im Zimmer lag.

Sie apparierte zum Fuchsbau und eilte in die Küche.

„Na endlich", begrüßte Molly sie wenig herzlich. „Du siehst erbärmlich aus, weißt du?"

„Schlecht geschlafen", brummelte Tonks nur.

„Immerhin. Arthur hatte Nachtschicht." Wirklich, Molly war ganz wie ihre Mutter. Immer das letzte Wort haben.

„So, lass uns gehen. Die anderen warten bestimmt schon."

Sie apparierten zusammen in einen kleinen Wald, der den Namen kaum verdiente, in der Nähe von Remus' Haus. Tatsächlich, die anderen waren schon da. Viele Ordenskämpfer hatten sich zwischen den paar kümmerlichen Bäumen versammelt und sahen sie ungeduldig an. Die Weasleys natürlich, ein völlig übermüdeter Kingsley Shacklebolt, sogar Moody und ein paar weitere waren dabei. Dann machten sie sich auf zu Remus' Haus. Molly öffnete die Tür und alle huschten hinein. Tonks fragte sich unwillkürlich, wie Molly an den Schlüssel zu Remus' Haus kam, verschob die Frage aber auf später.

Betreffender Hausbesitzer öffnete nämlich gerade eine Tür rechts von ihm und die versammelte Gruppe flüsterte „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag". Laut zu sprechen traute sich keiner, sogar an so einem Tag konnte man sich nirgends sicher fühlen.

Das Geburtstagskind schaute sehr überrascht drein und stammelte nur ein Dankeschön. Er blinzelte ein paar Mal verblüfft, während ihm noch jeder einzelne gratulierte und ein kleines Geschenk gab. Irgendwann hatte er beide Hände voll und legte die Geschenke auf eine Kommode. „Was hat das zu bedeuten?"

„Tonks' Idee, Remus", meinte Molly, die ihm gerade die Hand schüttelte. „Sie dachte sich, dass du wahrscheinlich alleine feierst, wenn überhaupt, und wollte das ändern."

„Dann... danke, Tonks", murmelte er immer noch überwältigt und sie umarmte ihn. „Kommt doch alle einmal rein."

Alle versammelten sich in angrenzenden, etwas größeren Zimmer und in der nächsten Stunde kam tatsächlich eine kleine, bescheidene Feier zustande. Es war keine große Überraschung, aber es freute Remus sichtlich. Aber schon schnell mussten alle gehen, die Arbeit wartete nicht und ungefährlicher wurde so eine Versammlung auch nicht, je länger sie bestand. Irgendwann war Tonks mit Remus allein.

„Das war toll von dir, Tonks", flüsterte er und lächelte ehrlich. „Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass jemand meinen Geburtstag zur Kenntnis nimmt."

Sie wusste, wie sehr es ihn freute, dass jemand an diesem Tag da gewesen war und strahlte ihn nur zurück an. „Hast du schon mein Geschenk aufgemacht?"

Er ging zu dem kleinen Geschenkestapel und fischte zielsicher ihres hervor. Natürlich hatte er sich nicht zu Beginn der Feier wie ein Kleinkind auf die Geschenke gestürzt, aber jetzt merkte man ihm die Freude darüber doch an. Er packte ihr kleines Paket schnell, aber vorsichtig aus und als er sah, was es war, war er sichtbar überrascht.

„Ein Zwei-Wege-Spiegel?"

„Jap. Immer nur ein paar Sätze mit den Patroni zu senden ist doch auf Dauer nicht genug, oder? Also dachte ich mir, wir könnten uns damit häufiger sprechen."

„Werden wir bestimmt." Es klang wie ein Versprechen. Er setzte sich und sah sie sofort wieder ernst an. „Ist sonst noch etwas passiert, von dem ich wissen müsste?"

„Nein. Die Arbeit ist unglaublich stressig, aber solange es beim Status quo bleibt, können wir zufrieden sein. Die Lage ist nicht völlig außer Kontrolle. Und sonst passiert nicht viel, wir haben ja kaum noch Freizeit."

„Irgendwann wird es besser." Remus' Stimme klang zuversichtlicher, als Tonks erwartet hatte.

„Glaubst du?", fragte sie deshalb nur und er nickte bekräftigend.

„Es kann nicht ewig so weitergehen. Ich glaube wirklich, dass wir irgendwann wieder Frieden haben. Irgendeinen Sinn muss dieser Krieg doch haben."

„Ich hätte nie gedacht, dass du so fest davon überzeugt bist." Tonks war ehrlich überrascht. Im letzten Jahr hatte es noch so geklungen, als würde er resignieren.

„Ich auch nicht", gestand er nachdenklich. „Aber ich habe so viele gute Menschen sterben sehen und Freunde verloren, und trotzdem hat immer jemand gekämpft, einfach, weil es richtig ist. Ich habe oft genug erfahren, dass ein Kampf auch einen Sinn hat – Lily und James haben Harry das Leben gerettet, der Orden beschützt alle, die es brauchen, und egal wie schlecht es steht, wir haben nie aufgegeben. Irgendwann können wir auf die Straße gehen, ohne Angst zu haben."

Sie hatte ihn selten so aufrichtig sprechen hören. Aber seine Sicherheit machte ihr Mut. Sie setzte sich neben ihn und lehnte sich leicht an ihn an. Zu ihrer Erleichterung zuckte er nicht zurück, sondern schob sich selber etwas in ihre Richtung.

„Was hast du dann vor, Remus?", fragte sie ihn nach einer kurzen Pause. „Nach dem Krieg, meine ich."

„Ich würde gerne wieder unterrichten, wenn man mich lässt", antwortete er ohne zu überlegen. „Ich habe es in Hogwarts wirklich genossen, und ich mag es, Lehrer zu sein."

„Willst du eigene Kinder haben?", fragte sie und versuchte, lässig zu klingen, auch wenn es nur leicht quitschig wurde. Bei der Vorstellung klopfte ihr schon das Herz.

„Vielleicht... früher wollte ich es, aber es ist so viel passiert." Er seufzte und schwieg kurz. „Ich meine, was habe ich schon zu bieten? Dieses Haus? Einen guten Job? Irgendeine Sicherheit?"

„Es gibt wichtigeres als Geld. Frieden, Liebe, Sicherheit. Warum solltest du es nicht haben, wenn der Krieg zu Ende ist?"

„Vorurteile gegenüber Werwölfen bestanden schon immer", sagte er nur. „Sogar du hast noch an diese Silber-Geschichte geglaubt. Das ist kein Vorwurf – aber es macht sich einfach kaum jemand die Mühe, das Gegenteil hinauszufinden."

Sie sah ihn an und versuchte es einmal mit Offenheit. „Ich würde es. Die Silber-Sache war doch ein guter Anfang, oder?"

„Ich bin vielleicht etwas zu alt für dich, oder?"

„Ach was. Die fünf Jahre..." Er hob eine Augenbraue.

„Du warst nie gut in Mathe, oder?"

„Dumbledore ist einhundertfünfzig Jahre alt. Glaubst du, da machen ein paar Jahre mehr oder weniger viel aus?"

„Dumbledore ist nicht verheiratet, Tonks. Das zählt nicht."

Aus seinem Gesichtsausdruck konnte sie nicht erkennen, ob er es ernst meinte. Sie lehnte sich zurück. „Mir wäre es egal", sagte sie irgendwann einfach nur. „Das Alter, das Geld, die Lykanthropie. Nichts davon ist wirklich wichtig."

Er erwiderte nichts, sondern sah sie nur nachdenklich an. Dann lächelte er und meinte nur: „Du bist wirklich außergewöhnlich, ist dir das klar?"

„Vollkommen. Das wird mir täglich gesagt, weißt du? Kingsley lag mir schon während der Ausbildung immer in den Ohren damit. „Du bist wirklich nicht normal, Tonks. Wie schaffst du es nur, gleichzeitig schusselig, ungeschickt und dämlich zu sein? Reicht nicht eins?""

„Das hat er nicht gesagt."

„Nicht wortwörtlich, aber es war so der allgemeine Tenor. Naja, wirklich geschickt habe ich mich nie angestellt, aber es war manchmal etwas übertrieben."

„Ich habe es anders gemeint."

„Ich weiß."

Wieder lehnte sie sich an ihn an und genoss nur das Gefühl der Sicherheit. Dann sagte Remus plötzlich: „Ich glaube, bei dir piept's."

Tonks hatte es auch gehört. Sie fischte das kleine, piepende Ding heraus, das sich in ihrer Tasche befand. Es war flach und schlicht. „Von der Zentrale. Es zeigt mir an, dass mein Dienst bald beginnt. Ich sollte gehen, nach einiger Zeit wird es wirklich schlimm."

„Schade." Er bedauerte es ehrlich. „ Aber wenn du frei hast, setz dich einfach mit mir in Verbindung." Er nickte in Richtung des Spiegels. Als sie aufstand, machte er es ihr nach und reichte ihr ihren Mantel. Sie umarmte ihn fest und disapparierte. Irgendwie glaubte sie nicht, dass er verstanden hatte, worauf sie hinauswollte.