Kapitel 2:
So war also diese Reise zustande gekommen. Und die Kutschen sind bereits auf halbem Weg dorthin. Je weiter südlich man kommt, desto lieblicher und frühlingshafter präsentiert sich die Landschaft. Fitzwilliam erinnert sich in der schaukelnden Chaise an so viele Aufenthalte im Frühjahr auf Rosings, so viele schöne Momente seiner Kindheit, wenn er zusammen mit seinen Eltern seine Tante besucht hatte.
Seine Mutter war eindeutig das sanftere Gemüt der Fitzwilliam'schen Schwestern, seine Tante Catherine hingegen hatte schon immer, auch in jüngeren Jahren, ebenso als ihr Mann Sir Lewis noch lebte, eine ziemlich herrische Art. Aber wenn ihre Schwester Anne und ihr Schwager zugegen waren, milderte sie sich immer ab, weil sie zu ihrer Schwester nicht in allzu hartem Kontrast stehen mochte. Und Anne tadelte sie auch oftmals für ihre unnachgiebige Art und das wollte Catherine unbedingt vermeiden. Dennoch konnte sie sich selten einen bissigen Kommentar verkneifen, wenn der Junge (Fitzwilliam) zu spät zum Tee kam, weil er die Zeit draußen im Park völlig beim Spielen vergessen hatte, oder nach einem wilden Ausritt auf seinem Pony total derangiert zum Mittagstisch erschien, oder gar mit den Dorfkindern am Gemeindeteich gespielt hatte und mit völlig drecküberkrusteten, ehemals weißen Strümpfen wieder auf Rosings erschien. „Fitzwilliam, ich muss dich sehr tadeln. Ein junger Gentleman spielt nicht mit gemeinen Dorfkindern und macht sich erst recht nicht die Strümpfe schmutzig. Oder hast du deine liebe Cousine Anne sich schon einmal derart betragen sehen? Nein? Siehst du, das ist eben eine wahre Lady. Du muss dich besser benehmen lernen, mein Junge. Ich werde deiner Mutter leider mitteilen müssen, wie unangebracht dein Verhalten ist. Sie wird dir eine Strafe verhängen, auf meinen Wunsch hin". Lady Anne nahm kurz darauf die Rüge aus dem Mund ihrer Schwester zur Kenntnis und strich dann, so bald Lady Catherine den Raum verlassen hatte, ihrem angeblich ungezogenen Sohn liebevoll übers Haar. Sir Lewis und George Darcy bekamen von diesen erzieherischen Maßnahmen ihrer Ehegattinnen fast nie etwas mit, denn die Herren waren ständig unterwegs, zu Pächtern, zu anderen Grundbesitzern, zum Angeln, oder auch mal etwas ausgedehnter zu Geschäften mit Banken und Anwälten nach London.
In diesen Erinnerungen schwelgend, muss Fitzwilliam Darcy einen Moment lang schmunzeln. Erheitert schaut er aus dem Kutschenfenster. Ja, damals war er ein echter Wildfang gewesen, kein Baum war ihm zu hoch, kein Bach zu breit und kein Pony zu temperamentvoll. Und – diese Erkenntnis erstaunte ihn fast nicht mehr – er ähnelte darin sehr seiner Elizabeth. Je weiter der Fußmarsch, umso besser, je schmutziger der Saum, umso weniger kümmerte es sie. So frei hatte er sich als Kind auch immer gefühlt, an Ostern auf Rosings.
Später hatte er dieses Gefühl der Freiheit und Ungebundenheit mehr oder weniger freiwillig und nach seinem heutigen Dafürhalten viel zu schnell ablegen müssen. Erst mit einem strengen Privatlehrer, der ihm eiserne Disziplin förmlich eintrichterte, dann nach dem Tod seiner Mutter (ein Ereignis das ihn so mitnahm, dass er sich schwor, niemanden jemals wieder in sein Herz schauen zu lassen) als folgsamer Zögling in Eton und danach als Musterstudent in Cambridge. Das endgültige Aus kam mit dem Tod seines Vaters, als er plötzlich die Verantwortung für den riesigen Besitz und für seine so viel jüngere Schwester übernehmen musste. Er konnte sich einfach nicht mehr leisten, übermütig wie ein Junge irgendwo herumzutollen. Er wappnete sich mit viel äußerer Härte und trat dann aus dem Schatten von Pemberley heraus in die strahlende Sonne um die Nachfolge seines Vaters würdig anzutreten. Seinen Untergebenen gegenüber behielt er jedoch meist einen freundlichen Tonfall, aber so bald er der so genannten feinen Gesellschaft gegenüber trat, gab er sich weit weniger verbindlich. Die Damen waren in seinen Augen alles alberne Gänse, die kaum mehr als Mode, Klatsch und oberflächliche Unterhaltung im Kopf hatten. Außerdem wurde ihm mehr und mehr bewusst, dass all die Schmeicheleien, mit denen er nun bedacht wurde, weniger ihm als Person galten, sondern einfach nur gesagt wurden, weil es eben Mode war, Schmeicheleien um der Schmeichelei willen von sich zu geben. Und nicht etwa, weil einem etwas an der betreffenden Person gelegen war. Es schüttelte ihn förmlich, als er sich dessen gewahr wurde. Er versuchte, so wenig wie irgend möglich sich in London im Stadthaus der Darcys aufzuhalten, stattdessen nahm er immer mehr Zuflucht auf den ausgedehnten Landsitz von Pemberley. Auch wenn Georgiana ihm in den Sommer- und Winterferien Gesellschaft leistete, war er stets bemüht, sie wenn irgend möglich von der Stadt fernzuhalten. Einzig und allein sein jüngerer Freund Charles Bingley aus Cambridge-Tagen war ihm noch angenehm und erträglich, denn sein Benehmen war natürlich und niemals gekünstelt. Nur dessen Schwester Caroline legte bedauerlicherweise ein ähnlich aufgesetztes Betragen an den Tag wie viele andere hochnäsige Mitglieder der gehobenen Gesellschaft auch. Und damit er nicht in Versuchung geriet, sich jemals in ähnlich schmierigem Ton anderen gegenüber äußern zu müssen, gewöhnte er es sich schon bald an, eher gar nichts zu sagen. Natürlich machte er sich so seine Gedanken hinter der gerunzelten Stirn und der oftmals leicht spöttisch hochgezogenen Augenbraue, aber er – schwieg.
