Kapitel 4:

Auf dieser weiteren Teilstrecke und je näher man dem Ziel kommt, denkt Fitzwilliam Darcy sehr intensiv über die Beziehung zwischen ihm und seiner Frau nach. Wie sie das vorhin in dem Gasthaus bewerkstelligt hat, dass er plötzlich so mir nichts dir nichts dem Kind die Windeln wechselte – ja, in der Tat, sie hatte ihn verzaubert, völlig. Ostern auf Rosings, dass bedeutet für ihn, nachdem er diesen Ort im letzten Jahr ja nicht aufsuchen konnte, immer auch die schicksalhafte Begegnung mit Elizabeth vor zwei Jahren, als er ihr diesen unseligen ersten Antrag machte. Unwillkürlich schließt er seine Augen, erstens weil er nach dem Mittagsmahl und dem Kampf mit den vielen Stofflagen seines Sohnes müde ist, aber auch, damit man ihm den Schmerz aus der Erinnerung heraus nicht von seinen Augen ablesen kann. Zwar hat sich alles zum Guten gewendet, er kann sich heute als wahrhaft glücklicher Mann bezeichnen, doch bis es soweit war, hatte er einen langen Weg zurücklegen müssen, Und dieser Weg führte ihn wie so oft nach Rosings an Ostern.

Während einer nicht allzu langen Kutschfahrt von London nach Kent, die er das Vergnügen hatte, zusammen mit seinem Cousin, dem auf Urlaub befindlichen Colonel Montgomery Fitzwilliam, zu absolvieren, wurden Neuigkeiten zwischen den beiden Männern ausgetauscht. Fitzwilliam Darcy war kein Freund von langatmigen Erklärungen und Konversation aus purer Höflichkeit, auch nicht seinem Cousin gegenüber. Man redete über Fakten und notwendige Gegebenheiten.

Als er nun von Montgomery Fitzwilliam gefragt wurde, was er so lange Zeit im Herbst getrieben habe, da man ihn weder in London noch in Derbyshire zu Gesicht bekommen hatte, rückte er mit ein paar zunächst unbedeutenden Informationen heraus. Über seinen Aufenthalt mit Bingley in Hertfordshire, über Netherfield, über die Leute dort. Die Leute! Sofort entstand vor seinem geistigen Auge ein Bild – Miss Elizabeth Bennet! Er wischte sich flüchtig mit dem Handrücken über die ozeanfarbenen Augen, als könne er damit die Imagination verscheuchen. Es gelang natürlich nicht, er fluchte innerlich. In der Zeit in London hatte er sich deutlich besser im Griff gehabt, es war ihm dort fast gelungen, sie ganz aus seinen Gedanken zu streichen – oh dieser vermaledeite Montgomery, was musste er auch so neugierig sein! Er antwortete immer einsilbiger auf die Fragen des Cousins.

Doch lenkte eine Frage Montgomerys ihn endlich auf ein weniger verfängliches Thema, das zwar noch immer mit den Geschehnissen in Hertfordshire einherging, aber doch wenigstens wieder zu einer halbwegs erträglichen Unterhaltung führte. Er fragte ihn nämlich, ob Bingley noch auf Netherfield weile. So erzählte Fitzwilliam seinem Cousin, dass er Bingley nach London geholt habe, um ihn vor der Dummheit zu bewahren, sich einer unmöglichen Familie anzuvermählen. Der Colonel hörte der Geschichte mit Interesse zu und gab dann einen weiteren Satz von sich, der Fitzwilliam augenblicklich zu Eis erstarren ließ: Lady Catherine habe ihm, Montgomery, in ihrem letzten Brief geschrieben, dass Mr. Collins, der Geistliche von Hunsford, im Winter eine Frau aus Hertfordshire geheiratet habe. Nun wollte er von seinem Cousin wissen, ob er diesen Pfarrer und womöglich auch seine Frau kenne. Da er doch offensichtlich Bekanntschaft mit der Gesellschaft Hertfordshires gemacht hatte, war es vielleicht gar nicht abwegig, dass er auch die jetzige Mrs. Collins kannte, oder?

Fitzwilliam Darcy hätte in diesem Augenblick fast die Kutsche anhalten lassen, damit er sich hinter dem nächstbesten Baum von seiner starken Übelkeit befreien konnte. Aber er tat es nicht. „Elizabeth verheiratet mit diesem… diesem … Schleimbolzen", das war alles was er denken konnte. Er versuchte, so normal wie möglich zu atmen, was ihm nur schwer gelang. Und dann kam der nächste Satz seines Cousins, der ihm sogleich den Magen in die andere Richtung umdrehte: „und Aunt Catherine schrieb mir auch, dass diese Mrs. Collins eine Freundin von ihr zu Besuch erwartet, jetzt über Ostern, ich glaube eine gewisse Miss Eliza Bennet, wenn mich nicht alles täuscht!"

Fitzwilliam sah plötzlich wieder das Blau des Himmels. Aber nur kurz, dann wurde ihm erneut übel. Er würde sie wieder sehen, vielleicht schon bald. An diesem Abend? Nein, nicht so hastig, Montgomery hatte ja nichts darüber verlauten lassen, wann Elizabeth in Hunsford erwartet wurde. Über Ostern, das war ein weiter Begriff.

Als die Kutsche die Pfarrei von Hunsford passierte, erblickten die Männer nur den kleinen, etwas gedrungenen Geistlichen, der sich übertrieben oft verneigte und ihnen dann enthusiastisch nachwinkte. Von Damen nicht die Spur. Weder von einer Mrs. Collins noch von Miss Bennet. Vor der imposanten Fassade von Rosings Park stieg Fitzwilliam etwas ernüchtert aus der Chaise. Er gab nur kurz Anweisung was sein Gepäck anlangte, und machte sich sofort mit seinem Cousin auf den Weg, um der Tante die Aufwartung zu machen.

Sie wurden natürlich beide schon von ihr erwartet. Statt einer liebenswürdigen, oder zumindest doch höflichen Begrüßung, bekamen die Männer sofort eine Strafpredigt von Lady Catherine zu hören: „Ist es möglich, dass meine Neffen auch endlich anwesend sind? Ich erwartete sie beide bereits vor Stunden. Warum nur hat das so lange gedauert? Und dann in staubiger Reisekleidung, meine Herren, ich muss doch sehr bitten! Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich erst dann wieder aufzusuchen, wenn Sie angemessen gekleidet sind und sich auch sonst entsprechend arrangiert haben"? Fitzwilliam und sein Cousin verbeugten sich knapp, verließen unter gemurmelten Entschuldigungen den Salon und grinsten sich vor der Tür sofort an. „Weißt du Fitzwilliam", fing sein Cousin an „ich bin nun doch schon mehr als dreißig Jahre alt und du bist auch nicht mehr allzu weit davon entfernt. Wir haben hier viele Osterfeste zusammen verbracht, und ich glaube, ich habe selten von ihr andere Worte der Begrüßung gehört als heute. Vielleicht hie und da mal in der Formulierung variiert, aber im Großen und Ganzen bleibt es sich immer gleich". Fitzwilliam nickte zustimmend.

Eine gute halbe Stunde später trafen sie sich wieder zum erneuten Zeremoniell. Dieses Mal war die Tante wohlwollender, reichte beiden die Hand zum Kuss, ebenso – und das war Fitzwilliam doch etwas unangenehm – fiel die Begrüßung für ihre Cousine Anne aus. Er fühlte er sich immer förmlich von den Falkenaugen der Tante durchbohrt, wenn er Anne einen Kuss auf den Handrücken hauchte. Montgomery hingegen absolvierte diese Übung mit großer Gelassenheit. Anne lief dabei ganz leicht rosa an, was bei ihr schon viel war, denn sie war stets so bleich wie ein Damasttischtuch. Fitzwilliam beobachtete dies schon zum wiederholten Male an Anne. Küsste er ihr die eiskalte Hand, blieb sie unbewegt und kreideweiß, kaum jedoch näherte sich Montgomery ihrer Hand, rutschte sie auf dem Stuhl hin und her und errötete ein klein wenig. Interessant, er sollte der Sache vielleicht mal nachgehen.

Doch dann blieb keine Zeit mehr für diese Art von Überlegungen, denn Lady Catherine hatte extremen Nachholbedarf an Konversation und nutzte den Besuch ihrer Neffen daher weidlich aus. Montgomery gab oftmals Antworten in ganzen, zum Teil sogar langen Sätzen, während Fitzwilliam sich auf einsilbig eingeworfene oder auch nur geknurrte „Mmh's" und „Ja's", „Aha's" oder wenn es sein musste auch mal ein „doch, doch" beschränkte.

Schließlich kam das Gespräch auf Mr. und Mrs. Collins. Früher oder später, so wusste Fitzwilliam, würde sie darauf zu sprechen kommen und so war es dann auch. Mr. Collins habe sich eine ganz reizende und überaus passende Frau von seinem Aufenthalt in Hertfordshire mitgebracht. Und nun sei ja auch die viel gepriesene Freundin von Mrs. Collins eingetroffen und heute Abend würden alle gemeinsam hier dinieren. Lady Catherine wurde nicht müde, zu erwähnen, dass sie den Collins' und ihrem Besuch eine große Ehre mit der Dinnereinladung erwiesen habe.

Fitzwilliam hatte unterdessen den Atem für eine ganze Weile angehalten, als er vernahm, dass Elizabeth bereits hier in Kent war und dass sie noch heute aufeinander treffen würden. Niemand hatte seine Befangenheit bemerkt, so dachte er wenigstens. Aber er war nicht der einzige gute Beobachter in der Familie. Es gab jemanden, dem sein Verhalten, das er so geschickt zu verbergen bemüht war, auffiel.