Kapitel 5:
Nachdem die Nachmittagsunterhaltung bei Lady Catherine vorüber war, zog sich Fitzwilliam Darcy auf sein Zimmer zurück. In Gedanken bereitete er sich auf das Zusammentreffen mit Elizabeth und das Dinner vor. Je weiter der Uhrzeiger voranschritt, umso nervöser wurde er. Wie würde sie ihm gegenübertreten? Was würde sie sagen, wenn sie ihn sah? Sicher hatte Mr. Collins bereits berichtet, dass er und sein Cousin am Mittag hier angekommen waren. Eine Überraschung würde es also nicht für sie sein. Schade eigentlich, fand er. Den Lakaien, der ihm beim Herrichten für den Abend behilflich war, nahm er kaum wahr. Er antwortete nicht einmal auf dessen Geplapper. All seine Gedanken kreisten nur um die bevorstehende Begegnung.
Während sich Fitzwilliam Darcy in seinem Zimmer um seine Gemütsverfassung sorgte, schrieb etliche Türen weiter Anne de Bourgh eine Nachricht auf einen Bogen Papier. Sie hatte sich auch auf ihr Zimmer zurückgezogen und sollte eigentlich dem Wunsch ihrer Mutter entsprechend etwas ruhen, da ja der Abend so aufregend zu werden versprach. Sie faltete das Papier zweimal, öffnete ihre Zimmertür, lugte heraus, ob sich auch niemand im Korridor befand und huschte dann hinaus. Sie ging langsam, aber nicht unbedingt wacklig. Ihr Herz klopfte zwar bis zum Hals, sie hatte derlei Dinge noch niemals in ihrem Leben getan, aber sie wollte nicht untätig bleiben in dieser Angelegenheit. Vor der Zimmertür von Montgomery Fitzwilliam angekommen, atmete sie tief durch und schob die Nachricht unter der Tür durch. Mit gesenktem Kopf steuerte sie dann sofort die Wirtschaftsräume an.
Colonel Fitzwilliam hatte das Rascheln von Papier deutlich gehört. Er schaute sich um. Komisch, er hatte weder auf dem Tisch noch irgendwo sonst im Zimmer Briefpapier deponiert. Wo kam das Rascheln nur her? Ach dort, auf dem Teppich an der Tür lag ein Zettel. Er bückte sich und hob die Nachricht auf. „Verehrter Cousin, bitte sie hiermit unmittelbar und dringend zu einem Treffen in den Marmeladenkeller. Ich weiß, dass sie wissen, wo sich dieser befindet. Ihre Cousine Anne". Um wirklich sicher zu gehen, dass ihm seine Augen keinen Streich gespielt hatten, las Montgomery Fitzwilliam die Notiz noch einmal durch. Dann schüttelte er zwar den Kopf, hatte aber die Türklinke bereits in der Hand. Was war in Anne gefahren? Was hatte sie vor? Und schon war er auf dem Weg in den Marmeladenkeller. Dort angekommen, empfing ihn zwischen den eingekochten süßen Köstlichkeiten eine zwar ängstliche, aber durchaus nicht kränklich wirkende Anne. Allerdings war ihre Courage nicht mal mehr halb so groß, als ihr Cousin dann tatsächlich vor ihr stand. Sie entschloss sich schnell, zunächst einmal alles wegzulassen, was nicht mit Fitzwilliam Darcy und dieser unbekannten Dame aus Hertfordshire zu tun hatte. Zögerlich nur begann sie, ihrem Cousin ihre Beobachtungen mitzuteilen. Er hörte anfangs nur zu, konnte dann aber hie und da auch ein Puzzlestückchen einfügen. So war es ihm auf Grund von Annes Schilderungen im Nachhinein erst aufgefallen, wie merkwürdig Fitzwilliam während der Kutschfahrt auf einige Bemerkungen reagiert hatte. Anne redete sich daraufhin in eine gewisse Begeisterung hinein, und dass sie darin ein wenig aufzugehen schien, konnte sogar Montgomery Fitzwilliam feststellen. Ihre Wangen schienen rosiger als sonst, überhaupt hatte ihr Gesicht nicht mehr diese erschreckend kranke Farbe. Er betrachtete sie zum ersten Mal eingehender und fand, dass sie nicht unbedingt hässlich zu nennen war. Dennoch musste er sie in ihrem Enthusiasmus um die von ihr gemachten Entdeckungen bremsen. „Anne, ich bitte Sie inständig, verlassen Sie den Keller und kehren Sie auf ihr Zimmer zurück. Sie möchten doch heute Abend ausgeruht sein, damit Sie ihre feinen Beobachtungen weiter betreiben können. Und ich wage zu sagen, nach all dem was wir soeben zusammengetragen und besprochen haben, dass es ein interessanter Abend zu werden verspricht". Er begleitete Anne durch die stillen Flure von Rosings bis zu ihrem Zimmer. „Madam, ganz ihr Diener"! Er verneigte sich artig, während sie ergeben knickste, dann fiel die Zimmertür hinter ihr ins Schloss. Er seufzte kurz und ging dann zu seinen Räumlichkeiten zurück.
Nun endlich waren die Gäste aus dem Pfarrhaus angekommen und hatten sich Lady Catherine und Anne de Bourgh vorgestellt, Fitzwilliam Darcy hastete mit trockener Kehle noch vor seinem Cousin in das Empfangszimmer. Er öffnete mit wackligen Knien und zittrigen Fingern die Flügeltür zum Salon, die einen kleinen knarrenden Laut von sich gab. Sofort starrte Elizabeth ihn ungläubig an und ohne Rücksicht auf Etikette sprudelten die Worte aus ihrem Mund hervor „Mr. Darcy! Was machen Sie denn hier"? Fast hätte er laut aufgelacht, weil sie doch so überrascht war. Er hatte es nicht für möglich gehalten. Nachdem Mrs. Collins ihre Dankesrede an Lady Catherine notgedrungen unterbrechen musste, und auch Mr. Collins kaum über ein gestottertes „Mr. Darcy, ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass…" hinauskam, gelang es Fitzwilliam, ohne sich räuspern zu müssen – dem Himmel sei Dank dafür – zumindest einen halbwegs passablen Satz herauszuwürgen: „Miss Elizabeth, ich bin hier zu Gast". Nun war es an der Zeit, dass Lady Catherine herrisch die Sache an sich riss. „Sie kennen meinen Neffen, Miss Bennet"? lautete ihre knapp gebellte Frage. „Ja, Ma'm", beeilte sich Elizabeth zu sagen „ ich hatte das Vergnügen, Ihren Neffen in Hertfordshire kennen zu lernen". Zwischenzeitlich hatte auch Montgomery Fitzwilliam den Weg in den Salon gefunden und er stellte sich Elizabeth vor. Dann kreuzte sein Blick den von Anne, nur für die Dauer eines Wimpernschlages.
