Kapitel 6:
Das Dinner war desaströs. Zunächst hatte sich Mr. Collins den Platz rechts neben Fitzwilliam Darcy ausgesucht, was aber gleichbedeutend damit war, dass der Geistliche somit auch links neben seiner Frau hätte Platz nehmen müssen. Das war Lady Catherine natürlich sofort aufgefallen und sie fuhr Mr. Collins harsch an, er müsse seinen Stuhl sofort räumen und mit Miss Bennet die Plätze tauschen. Demutsvoll gebeugt über seinen gesellschaftlichen Fauxpas eilte Mr. Collins auf die andere Tischseite. Jetzt platzierte sich Elizabeth direkt neben Fitzwilliam. Dieser wusste nicht, ob er einfach nur aufhören sollte zu atmen, damit ihn der Tod möglichst schnell ereilt, oder ob er das nun Folgende unbeschadet durchstehen würde.
Lady Catherine verlor dann auch gar keine Zeit mehr und unterzog Elizabeth einer harten, inquisitorisch anmutenden Befragung. Die derart in die Mangel genommene junge Dame hatte nicht die geringste Chance, auch nur ein einziges Mal im Verlauf der nächsten Viertelstunde einen Löffel voll Suppe zum Mund zu führen. Abgesehen davon, dass die Suppe eiskalt zu werden drohte, schlug sich Elizabeth im Wortgefecht mit Lady Catherine mehr als beachtlich.
Fitzwilliam jedoch wand sich innerlich bei jeder der impertinenten Fragen und Behauptungen seiner Tante. Er wollte nichts sehnlicher, als mit einem festen Griff seines rechten Arms Elizabeth ganz nah zu sich heranzuziehen und sie dann so weit wie möglich weg von diesem ungemütlichen Ort zu bringen, wo sie und ihn himmlische Ruhe umfangen würde. Er versuchte, seiner Tante durch ein missbilligendes Hochziehen seiner linken Augenbraue zu verstehen zu geben, dass sie extrem unhöflich war. Diese achtete aber, wie er bereits befürchtet hatte, nicht im Geringsten auf die drohende Mimik ihres Neffen.
Ihm gegenüber an der anderen Längsseite des Tisches saßen sein Cousin und seine Cousine, die im Gegensatz zu Hausherrin sehr wohl bemerkten, dass in Fitzwilliam irgendetwas Unbehagliches vor sich ging, denn sie konnten ihn von ihrer Position aus genau beobachten.
Als anschließend der Kaffee im Salon gereicht wurde, nötigte Lady Catherine zu allem Überdruss auch noch Miss Bennet an das Pianoforte. Anne und Montgomery wechselten wieder einen raschen Blick, den keiner der anderen Anwesenden bemerkte. Zögerlich setzte sich Elizabeth an das edle Instrument. Sie klimperte eine Melodie, die zwar erkennbar war, aber doch deutlich machte, dass Elizabeth im Klavierspiel über das Anfängerstadium kaum hinausgekommen war.
Bevor Lady Catherine jetzt ihr lästiges Frage- und Antwortspiel weiter an ihm ausprobieren konnte, gab sich Fitzwilliam einen Ruck und bewegte sich zum Piano hin. Er wollte Elizabeth nicht aus ihrem Spiel bringen, ganz im Gegenteil, lediglich der Wunsch ihr nah zu sein (und vielleicht auch der, seiner Tante für ein Weilchen zu entkommen) trieb ihn an die Seite des Tasteninstruments. Sie hatten kaum zwei Sätze miteinander gewechselt, als Colonel Fitzwilliam zu den beiden trat, geschickt von einer stummen Aufforderung von Cousine Anne, die ihm so zu bedeuten gab, er solle die Stimmung zwischen den beiden eruieren.
Fitzwilliam Darcy ergab sich in sein Schicksal, das einfach nicht zuließ, dass er auch nur eine Minute allein mit Miss Bennet verbringen konnte und musste mit wachsendem Erstaunen hören, dass sie seinem Cousin all die negativen Dinge über ihr erstes Zusammentreffen in Hertfordshire offenbarte. Er sackte leicht in sich zusammen. Liebe Güte, hatte sie wirklich eine so schlechte Meinung von ihm? Wirkte er wirklich derart herablassend auf sie? Während er an seiner Unterlippe nagte, dachte er über ihre soeben geäußerten Worte nach.
Lady Catherine unterbrach seine Gedanken mit dem scharfen Ruf nach ihrem Neffen Montgomery. Eine Chance für ihn, wieder etwas an Boden zu gewinnen, deshalb senkte er seine Stimme deutlich herab, damit niemand der übrigen Gesellschaft hören konnte, was er Elizabeth zuraunte: „Ich habe nicht das Talent, mit Menschen eine Unterhaltung zu führen, die mir noch nie zuvor begegnet sind". Und sie blickte ihm zum ersten Mal an diesem Abend fest in die Augen, als sie Bezug nehmend auf eine vorher gemachte Äußerung Lady Catherines antwortete: „Ich beherrsche dieses Instrument nicht sonderlich gut. Aber ich bemühe mich redlich und übe. Vielleicht sollten Sie das ebenfalls tun". Das hatte gesessen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich mit einem wehmutsvollen Blick auf sie zurückzuziehen.
