Kapitel 7:

Er schlief elend schlecht. Das war an sich nichts Ungewöhnliches, bislang hatte er die Ursache dafür immer in dem ungewohnt weichen Bett das Fitzwilliam Darcy hier auf Rosings sein eigen nannte, gesehen. Aber nun quälten ihn zusätzlich wirre Träume. Träume, die sich als schier unerträglich für ihn herausstellen. Früh am Morgen, kaum dass Licht das Dunkel durchdrang, warf er sich in Reitkleidung und machte sich auf den Weg in die Stallungen. Er ließ sich einen dunkelbraunen, großen Wallach von einem sehr schläfrigen Stallburschen fertig machen und preschte alsbald mit dem Pferd davon.

Colonel Fitzwilliam frühstückte mutterseelenallein. Dass die Damen noch nicht auf waren, wunderte ihn weniger, dass aber sein Cousin noch nicht zum Frühstück erschienen war, umso mehr. Auf dem Rückweg vom Frühstückssalon zu seinem Zimmer, klopfte er an seines Cousins Tür. Keine Antwort. Er öffnete die Tür und spähte in einen leeren Raum. Montgomery Fitzwilliam machte auf dem Absatz kehrt, ging einen anderen Gang entlang und klopfte wieder an eine Tür. Ein Hausmädchen öffnete einen Spalt. „Kann ich bitte auf ein Wort meine Cousine, Miss de Bourgh sprechen"? verlangte er Miss Anne zu sehen. Das Mädchen deutete an, dass Miss de Bourgh noch nicht präsentierfähig sei, deswegen kam ein Gespräch also nicht in Frage. Bevor sich die Tür wieder schloss, hörte er Annes leise Stimme dem Mädchen etwas auftragen. Das Mädchen wandte sich wieder an den Mann vor der Tür und teilte ihm mit, dass die junge Lady ihn in fünfzehn Minuten an bekanntem Ort erwarten würde.

Bevor er also den Weg in den Marmeladenkeller nahm, schaute er einer Eingebung folgend im Stall vorbei. Dort erhielt er die Information, dass sich Mr. Darcy bereits vor mehr als drei Stunden ein Pferd genommen habe und ausgeritten sei. Colonel Fitzwilliam schüttelte den Kopf: Im Morgengrauen des Karfreitag auszureiten, welch eine absurde Idee.

Beim Treffen mit Anne im Vorratsraum tauschten sie ihre Beobachtungen vom gestrigen Abend aus und waren sich einig, dass es wohl sehr viele Tiefen in der vermeintlich oberflächlichen Bekanntschaft ihres Cousins mit Miss Bennet geben müsse. Anne nahm all ihren Mut zusammen und begann vorsichtig, sich auf anderes Terrain zu begeben. „Sie wissen, chèr Cousin, dass meine Mutter in die Idee vernarrt ist, ich sei mit Cousin Fitzwilliam verlobt". Sie wartete Montgomerys Reaktion ab. Aber er sagte nichts, also fuhr sie langsam fort „Ich habe mich ihm niemals verpflichtet gefühlt und so wie die Dinge sich uns hier darstellen, ist er ebenfalls meilenweit davon entfernt, sich diesem vermeintlichen Verlöbnis zu stellen". Er lachte etwas bitter auf „Anne, Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, dass sie sich gegen den Willen Ihrer Mutter auflehnen wollen. Dass bringt Fitzwilliam wahrscheinlich kaum fertig und Sie, teuerste Cousine, erst recht nicht".

Es ging alles fast schon über die Kraft der jungen Frau, denn ihr traten bereits die ersten Tränen in die Augen, aber sie schluckte tapfer und sprach weiter „Wenn wir jedoch unserem guten Cousin bezüglich Miss Bennet behilflich sein könnten…" hilflos brach sie den Satz ab und starrte an Montgomery vorbei ins Leere. „Anne, ich bitte Sie, wie wollen Sie das anstellen", antwortete dieser resigniert. Dann sah er die Träne an ihrer rechten Wange herunter rollen. Einem ersten Impuls folgend, wollte er diese feuchte Spur mit seinem Daumen zart wegwischen, doch in letzter Sekunde überlegte er sich anders und reichte ihr taktvoll ein Taschentuch. Sie betupfte sich die Augen kurz und ging dann Richtung Tür.

Bevor sie die Türklinke herunterdrücken konnte, war er mit einem großen Schritt bei ihr. „Warten sie Anne, einen Augenblick nur", er sah auf die zierliche Person hinunter, deren Augen in dem kleinen Gesicht übergroß wirkten „Fitzwilliam weiß, glaube ich, derzeit selbst nicht recht, was er tun und lassen soll und wir können uns da nicht einmischen. Er muss selbst damit klarkommen. Er wird aber, da bin ich mir sicher, die richtige Entscheidung treffen, wenn nicht heute oder morgen, dann in nicht allzu ferner Zukunft. Und wenn ich sage, die richtige Entscheidung, auch was Sie, ma chère, betrifft, dann meine ich das so". Und mit diesen Worten zog er ihre Hand, die noch immer leicht auf der Türklinke lag, an seine Lippen. Dabei wurde ihm zum ersten Mal bewusst, dass ihr Gesicht ganz rosig wurde bei diesem Ereignis. Und sie erschien ihm plötzlich gar nicht so unscheinbar wie sonst.

Fitzwilliam Darcy wäre wahrscheinlich noch viel weiter geritten, wenn nicht das Pferd ein Hufeisen verloren hätte und ihn damit zu einer langsameren Gangart und zur Rückkehr zwang. In Hunsford gab er das Tier in die Obhut des Schmiedes und sah sich kurz im Ort um. Es war Karfreitag und es waren nur wenige Leute auf der Straße. In einiger Entfernung schimmerte das Pfarrhaus durch die noch nicht begrünten Zweige der Bäume. Er richtete sein Krawattentuch, ließ den langen Mantel in der Schmiede und machte sich, wie von einem Magneten angezogen, auf den Weg zur Pfarrei.

Die Sonne schien, es war der erste wirklich milde Tag in diesem Frühjahr. Der ausgiebige Ritt hatte seine Sinne geschärft, es war ihm klar geworden, dass er seine Entscheidung schon lange getroffen hatte, nun galt es nur noch, sie auch in die Tat umzusetzen. Doch je näher er dem Haus kam, desto nervöser wurde er. Er redete sich ein, sie nur sehen zu wollen. Außerdem waren ja auch die Collins' sicher anwesend, da konnte er unmöglich… andererseits, wenn er sie um eine Unterredung unter vier Augen bat… ach, das ganze Dorf würde es innerhalb von zehn Minuten wissen… er war völlig verunsichert. Klar war ihm nur, dass er nicht weitermachen konnte wie bisher.

Er fand die Haustür nur leicht angelehnt vor, deswegen betätigte er den Klopfer nicht. Sein Puls raste wie verrückt in ihm, fast ein Wunder, dass er nicht auf der Stelle tot umfiel. Ein minimales Geräusch drang aus dem kleinen Salon zu ihm, er ging die paar Schritte den Flur entlang, hatte, ehe er sich's versah, die Tür aufgerissen und stand vor einer völlig perplexen Miss Bennet. Sie war allein!

Nervös knetete er seine Reithandschuhe in den Händen. Kein Laut entwand sich seiner Kehle, er brachte keinen Ton heraus. Er kam sich wie ein dummer Schuljunge vor. Sie fasste sich als erste, und begann zögerlich eine Art Unterhaltung. Er steuerte mit einiger Überwindung lediglich einige völlig sinn- und zusammenhanglose Sätze bei, nur damit überhaupt etwas gesagt wurde und die Zeiten des peinlichen Schweigens zwischen den einzelnen Sätzen nicht zu lange wurden.

Mehrere Male startete Fitzwilliam Darcy den Versuch, zielstrebig und direkt auf das ihm unter den Nägeln brennende Thema zu kommen, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen. Als die Haustür mit Schwung ins Schloss fiel, nahm er sofort seinen Abschied von Miss Bennet und verschwand augenblicklich, rauschte ohne Gruß vorbei an einer leicht konsternierten Mrs. Collins.

Auf dem Weg zurück zur Schmiede verfluchte er sich selbst und die ganze Welt, die sich anscheinend gegen ihn verschworen hatte. Er warf dem Schmied mehr Münzen als notwendig hin und bemerkte dessen devote Verbeugungen nicht, als er auf das frisch beschlagene Pferd stieg. Hätte er den Mund aufgemacht, wenn Mrs. Collins nicht so bald zurückgekommen wäre? Er konnte sich selbst keine Antwort auf diese Frage geben. In hurtigem Trab kam er in den Stallungen von Rosings an, für einen scharfen Galopp hätte seine stark beeinträchtigte Konzentration nicht ausgereicht, außerdem wollte er nicht, dass das Reittier gleich wieder die neuen Eisen verliert. Zum Tee ließ er sich entschuldigen; er habe zu viel Korrespondenz zu erledigen, wurde Lady Catherine von ihm ausgerichtet. Der Colonel und Miss Anne tauschten wiederum einen viel sagenden Blick untereinander aus.