Kapitel 10:

Währenddessen spielte sich einer anderen Zimmerflucht weit weniger Romantisches, als Dramatisches ab. Fitzwilliam Darcy hastete vom Bett zum Schreibtisch, riss einige Blätter aus einer Lade, spitzte ungeduldig und ohne große Sorgfalt eine Feder zu und tauchte diese mit Vehemenz in die Tinte. Er fing an, sich vieles von der Seele zu schreiben. Er wusste keinen anderen Weg, sich jetzt noch an Elizabeth zu wenden. Auch wenn sie ihn nicht liebte, so wollte er doch nicht, dass sie eine so geringe Meinung von ihm hatte. Er schrieb sich in einen wahren Rausch. So ließ der Schmerz wenigstens ein klein wenig nach. Immer weiter kratzte er mit der Feder auf das Papier.

Als es dämmerte, und er zunächst ohne den Leuchter anzuzünden weiter schrieb, taten ihm nach einigen Minuten die Augen weh. Ungern nur unterbrach er den Brief, tat es aber letztendlich doch, um sein Augenlicht nicht zu gefährden. Als die Kerzen brannten, kehrte er sofort an den Schreibtisch zurück, um sein Werk zu vollenden.

Er las dann noch einmal die in seiner charakteristischen Schrift eng beschriebenen Seiten durch. Wickham! Dieser… dieser… er fand keinen Ausdruck, der schlecht genug für diesen Menschen war. Erst hatte dieser Unhold das Glück seiner blutjungen Schwester auf dem Gewissen, ganz abgesehen davon, was er vorher alles schon verlangt hatte, und nun ruinierte der boshafte Kerl auch noch sein persönliches Lebensglück, in dem er Elizabeth seine falsche Geschichte glaubhaft machen konnte. Wenn er ihm das nächste Mal begegnete, so schwor sich Fitzwilliam in diesem Moment, würde er ihn fordern.

Wie nun aber den Brief zu Elizabeth expedieren? Es war schon Abend, ein Blick auf die Uhr ließ ihn zusammenzucken. Mein Gott, das Dinner war längst vorüber! Er wunderte sich allerdings, dass man deswegen nicht nach ihm geschickt hatte. Sicher hatte Montgomery (er hatte ja auch seine guten Seiten) ihn bei Lady Catherine und Anne entschuldigt, nach der Begegnung mit ihm am Mittag in der Halle.

Er warf sich einen Mantel über die Hose und das halboffene Hemd, wollte noch zu einem Krawattentuch greifen, ließ es aber dann, weil er solche Formalität nach den ungewöhnlichen Vorkommnissen des Tages mit einem Mal für nebensächlich erachtete und schritt kraftvoll aus in Richtung Stallungen. Zum Glück hatte es aufgehört zu regnen, so dass er wenigstens nicht noch einmal nass wurde an diesem Tag. Im Stall warf er höchst selbst einen Sattel auf den Wallach und schwang sich auf den Pferderücken. Es war ja nicht mal eine halbe Meile bis zum Pfarrhaus, das würde schon gehen.

Am besten schob er den Brief unter der Eingangstür durch, überlegte er unterwegs. Aber nein, das war keine gute Idee, was wenn ihn Mr. Collins in die Finger bekam? Es war immerhin das Darcy'sche Siegel drauf und er war an Miss Bennet adressiert. Im Pfarrhaus war alles dunkel, kein einziges Licht erleuchtete auch nur ein Fenster. Fitzwiliam Darcy stieg vom Pferd ab und band es an einen Baum am Wegesrand. Offensichtlich war niemand zu Hause. Er nahm den Weg rund um das Haus, um vielleicht auf der Rückseite ein Licht zu erspähen. Ein Kaminfeuer schien irgendwo in einem der Räume zu flackern, immerhin. Er war wieder an der Frontseite des Hauses angekommen, unsicher, wie weiter zu verfahren war.

Probeweise drückte er vorsichtig die Klinke der Haustür herunter, sie war nicht verschlossen. Er trat in den schmalen Flur und sah das Feuer durch eine offene Tür schimmern. Nach wenigen Schritten bemerkte er Elizabeth, mit dem Rücken zu ihm stehend, mit unfrisierten Haaren, eingehüllt in ein wärmendes Schultertuch, reglos in einen Spiegel an der Wand starrend. Der Anblick nahm ihm fast den Atem.

Sie musste ihn jetzt bereits im Spiegel gesehen haben, obwohl sie keine entsprechende Reaktion zeigte. Er ging einen weiteren Schritt in das Zimmer hinein, völlig von ihrem eigenartigen Zauber eingefangen. Er legte den Brief auf die Fensterbank und sprach mit etwas Überwindung kurz einige erläuternde Worte dazu. Dann floh er förmlich nach draußen, noch bevor sie sich umdrehen konnte. Als sie dies tat, sich vom Spiegel abwandte, auf die offene Zimmertür starrte, war er bereits weg. Sie nahm den Brief auf und schaute durch das Fenster, wo sie nur noch eine Staubwolke von Pferd und Reiter erkannte.

Er ritt wie der Wind durch die aufkommende Nacht, nicht wissend woher er kam und wohin er wollte. Er wollte sich verausgaben, er brauchte jetzt die kalte Luft, die Bewegung, die sinnlose Vergeudung seiner Kraft.

Mehr als eine Stunde später, wieder zurück auf Rosings, entließ er sofort den Lakaien, der ihm lediglich noch half, die Stiefel auszuziehen, entledigte sich des Mantels, öffnete die Knöpfe seiner Hose, schlüpfte aus dieser, wickelte sich in seine Bettlaken und konnte endlich schlafen. Die totale Erschöpfung übertönte sein elendes Seelenleid.

Am nächsten Morgen schien die Sonne. Aber Fitzwilliam Darcy fühlte sich nicht sonnig, obwohl er gut geschlafen hatte. Ihm tat jeder Muskel seines Körpers weh, zwei Höllenritte innerhalb von drei Tagen waren vielleicht doch ein bisschen viel gewesen. Als er missmutig zum Frühstück erschien, traf er auf den unvermeidbaren Colonel und – eine Seltenheit im Frühstückszimmer, da sie meist in ihren Räumlichkeiten zu frühstücken pflegte – Cousine Anne.

Fitzwilliam stutzte. Er hätte schwören können, dass die beiden gerade die Köpfe zusammengesteckt hatten und als er so plötzlich den Raum betrat, wie ertappt auseinander fuhren. Oder er hatte jetzt schon Halluzinationen, das war auch möglich. Er verbeugte sich knapp vor Anne und nahm dann eine Tasse Kaffee. Er wusste genau, was als nächstes kommen würde, er kannte Montgomery nur zu gut. „Wo zur Hö…", mit einem rücksichtsvollen Blick auf Anne verbesserte sich der Colonel schnell „wie hast du eigentlich gestern den Tag verbracht? Bist du krank gewesen? Natürlich habe ich dich bei Aunt Catherine entschuldigt, aber sie war äußerst ungehalten über deine merkwürdigen Anwandlungen, das kann ich dir versichern. Nicht wahr, Anne?" Um Bestätigung suchend blickte der Colonel seine heimliche Verlobte an. Anne nickte nur, sagte jedoch nichts. Sie war zu befangen in der Gegenwart Fitzwilliams.

„Ich bin nicht krank", polterte Fitzwilliam los und sein scharfer Ton ließ Anne zusammenzucken „ich kann tun und lassen was mir beliebt". Montgomery ließ nicht locker und fragte spitzfindig weiter „Hat dein erbärmlicher Zustand gestern etwas mit Miss Bennet zu tun?" Jetzt riss Anne vor Schreck die Augen weit auf. Fitzwilliam stellte klirrend die Kaffeetasse ab. „Wie kommst du darauf, Montgomery?" Die Frage klang drohend, Anne wurde ganz klein auf ihrem Stuhl. „Ich würde sagen, du fragst mich nicht und ich frage dich nicht nach derlei Dingen, haben wir uns da verstanden?" richtete er eine weitere Frage an den Colonel. „Ganz wie du meinst, aber dir entgehen dann Dinge, kann ich dir sagen…", Montgomery Fitzwilliam beendete den Satz absichtlich nicht. Doch Neugier gehörte noch nie zu den Schwächen seines Cousins. Damit konnte er ihn nicht aus der Reserve locken. Erstaunt fuhr er jedoch herum, als wider Erwarten Anne das Wort ergriff und leise vorbrachte „Sehr schade, dass sie ihren engsten Verwandten nicht vertrauen, Sir". „Anne, ich weiß nicht, was Sie…", aber er konnte nicht weiter sprechen, zu ungewöhnlich war ihr Auftreten.

Er ließ sich in Resignation auf einen Stuhl plumpsen und nippte an seinem Kaffee. Dabei wurde er von den beiden anderen fixiert wie ein Kaninchen von der Schlange. Er schüttelte verwirrt den Kopf. Das war alles eindeutig zu viel für ihn. Anne jedoch, so fand er nach einem Augenblick des Überlegens, sah recht frisch und ausgeruht aus. Er konnte sich nicht erinnern, dass er sie jemals so aufgeblüht gesehen hätte, außer… ja, außer wenn Montgomery in ihrer Nähe war. Er hatte dies ja schon einige Male beobachtet, beim Handkuss zur Begrüßung war es ihm zuletzt extrem aufgefallen. Konnte es sein, dass… die beiden… nein, unmöglich, er verwarf sofort diesen absurden Gedanken. Oder doch? Nach seinen verqueren Erfahrungen der letzten Monate gab es fast nichts, was es nicht gab. Er zog seine linke Augenbraue fragend hoch, für das Paar ihm gegenüber war diese Körpersprache nicht zu übersehen. Anne lief hochrot an, sagte aber nichts.

Deswegen wurde er ein wenig offiziell, als er anfing zu sprechen „Anne, Sie wissen, ich habe mir nie diese leidliche Sache mit unserer Verlobung zu Herzen genommen, für mich ist dies nur ein Wunschdenken ihrer Mutter und nichts weiter. Sie dürfen nun nicht denken, mir wäre nichts an Ihnen gelegen, denn Sie sind mir eine hoch geschätzte und sehr liebenswerte Verwandte, aber zu mehr würde es niemals reichen. Und ich schätze Sie in Ihren Gefühlen für mich ganz genau so ein, ist das richtig?" Anne konnte wiederum nur nicken. Montgomery stand jetzt ganz nah an ihrem Stuhl.

Fitzwilliam erhob sich von seiner Sitzgelegenheit „Madam, ich entbinde Sie hiermit von allen Versprechen und Verpflichtungen mir gegenüber, die stets und immer von anderen Personen angedacht waren und niemals unserem Willen entsprachen. Sind Sie damit einverstanden?" Sie konnte erneut nur nicken, Tränen traten in ihre Augen. Fitzwilliam kam um den Tisch herum auf sie zu, nahm ihre Hand, küsste sie und legte sie dann liebevoll in die Hand des Colonels. „Ich denke, dass dies wesentlich eher Ihrem Willen und ich hoffe sehr, auch dem Willen des Colonels entgegenkommt, teuerste Cousine". Mit diesen Worten drehte er sich um und ging Richtung Tür.

Dort angekommen, blickte er das sprachlose Paar kurz an, verbeugte sich und sagte zum Schluss „Ich wünsche euch beiden alles Glück der Welt. Ihr habt es redlich verdient. Und natürlich viel Fortune im Kampf mit Lady Catherine, es wird wohl ein harter Schlag für sie sein. Vielleicht nicht der letzte, den sie zu erleiden hat", orakelte er. „Ich verlasse Rosings noch heute, ich kehre zunächst nach London zurück und bereite dort meine Abreise nach Pemberley vor. Guten Tag zusammen". Und damit verschwand er.