Kapitel 13:
Mit großen Augen schaute Anne ihren Verlobten an. Er hatte das Pferd von hinten aufgezäumt und bislang nur berichtet, wie die Babys, nachdem sie etwa neun Monate im Leib der Mutter zugebracht haben, aus dem Bauch der Mutter heraus das Licht der Welt erblicken. „Und du sagst, es ist recht schmerzhaft?" Montgomery Fitzwilliam konnte nur noch gottergeben nicken. Sie blickte halb erschreckt, halb fasziniert an sich herab und strich sich dann mit der Handfläche über ihre flache Figur. „Ich werde es ertragen, für dich und unser Kind", sagte sie dann schlicht. Er konnte nicht anders, als sie schnell für die wundervolle Äußerung zu küssen.
Dann schloss er die Augen und machte sich innerlich bereit für die weit schlimmeren Offenbarungen. „Das wird sich alles weisen, mein Liebes, erst einmal müssen wir klären, ob du überhaupt in der Lage sein wirst, ein Kind auszutragen". „Der Arzt sagt aber doch…" Er unterbrach sie an dieser Stelle. „Hat der Arzt dich jemals nach… tja, wie soll ich das ausdrücken…nach regelmäßig auftretenden…ähm, also vielleicht sogar all monatlichen Blutungen", jetzt war das Wort heraus „gefragt?" Sie starrte ihn so verständnislos an, dass er am liebsten vor der Fortsetzung des Gesprächs weggelaufen wäre. Dann platzte es aus ihr heraus „Die Menstruation?" Halleluja, dachte er, sie kannte das Wort und konnte offensichtlich mit diesem Begriff etwas anfangen. „Die… das hat etwas mit Babys zu tun? Früher hatte ich das nicht oft, aber mittlerweile regt es mich schon ein wenig auf, es ist etwas lästig wenn es einem alle vier Wochen heimsucht" sagte sie so offen wie er es kaum für möglich gehalten hatte. Er wollte wissen, wer ihr den lateinischen Begriff beigebracht hatte, und sie erzählte ihm, dass eine Gouvernante dafür verantwortlich war. Aber sie sagte ihr damals nur das Wort, alles andere blieb geheimnisvoll bis zu diesem Tag. Da sie das ganze Gespräch ohne große Scham aufnahm, einfach weil sie nicht wusste, dass es zum guten Ton gehörte, sich bei solchen Themen zu schämen, wagte Montgomery den nächsten Schritt auf der Skala.
Und er war in diesem Moment froh, dass er eine so freimütige Mutter und eine ebensolche Schwester hatte, denn sonst hätte er über dieses für einen Mann eher erstaunliche Wissen sicher nicht verfügt. Er erklärte daher, dass sich wohl sehr kleine Eier heranbildeten, jeden Monat und dass der weibliche Körper diese dann wieder abstoßen würde, wenn es zu keiner Befruchtung des Eis gekommen war. Kam es allerdings dazu, dann würde dadurch eben ein Baby entstehen. Anne legte ihre Stirn in Falten und dachte nach.
Dann kam die Frage der Fragen, sie rollte über ihn wie eine tosende Lawine: „Ich verstehe nur nicht, wie man es fertig bringt das Ei, wie sagtest du, zu befruchten? Das alles geschieht doch tief in meinem Körper. Oder sind manche Eier schon von vorneherein befruchtet, während es der Großteil nicht ist? Muss ich mir das so vorstellen?" Er zog sie so dicht an sich heran wie nur möglich. „Liebste Anne, ich kann es dir nicht sagen". „Weil du es nicht weißt"? fragte sie. „Nein, weil ich es einfach nicht kann. Nur noch so viel, es gehören Mann und Frau dazu". „Natürlich, sonst würde man ja nicht sagen können, dass ein Baby Vater und Mutter hat", stellte Anne pragmatisch fest.
Dann, in plötzlicher weiterer Erkenntnis, sah sie Montgomery groß an. „Genau, du musst irgendwie Anteil daran haben, aber welchen?" Zähneknirschend gab er nach und machte sich daran, sie weiter aufzuklären. Nun war ihm eh schon alles egal, er ließ so gut wie nichts mehr aus. So einige Male während der vielen Erläuterungen war er versucht, ihr auf manchem Teilgebiet nicht nur die theoretischen Kenntnisse zu vermitteln. Sie war größtenteils bemüht, ruhig zuzuhören, aber an einigen Stellen war ihr doch mulmig zumute. Hie und da lief sie bis zu den Ohren rot an, an anderer Stelle wiederum wurde sie totenblass.
Sie hatte innerhalb von zwei Stunden so viele Informationen erhalten wie bislang ihr ganzes Leben über noch nicht. Ihr war daher ein bisschen schwindelig, vor allem aber auch wenn sie daran dachte, was zu tun war, um ein Baby haben zu können. Andererseits – es würde Montgomery sein, mit dem sie dies alles erleben würde. Die Frage war nur, wann?
Da ihre naive Neugier über ihre Scham siegte, wollte sie die neu erworbenen Kenntnisse sogleich in die Tat umsetzen. Nur mit großer Mühe konnte ein entsetzter Montgomery sie davon überzeugen, dass solche Dinge kaum vor der Hochzeit schicklich waren. Um sie ein wenig über die erlittene Enttäuschung hinwegzutrösten, aber auch, weil er sich für seine immense Mühe belohnen wollte, küsste er sie mit wesentlich mehr Leidenschaft als sonst. Das war ein Fehler, wie er schnell merkte. Keiner von beiden fand mehr so schnell die Notbremse. Sie hatte wie eine Strohpuppe Feuer gefangen und gab sich instinktiv, beeinflusst durch das Thema des Nachmittags, seinen Liebkosungen hin. Wäre er nicht als Soldat durch eine harte Schule der Disziplin gegangen, hätte er niemals mehr gerade noch rechtzeitig den Rückzug antreten können. Er schob sie ein kleines Stück von sich, damit er sich sammeln konnte. Mein Gott, diese Frau war unter ihrer reservierten Oberfläche ein Ausbund an Temperament. Bevor sie ihre Kleidung richtete, sagte sie ihm einen weiteren wundervollen Satz ins Ohr: „Ich glaube, ich möchte ziemlich bald ziemlich viele Babys von dir". Er blickte sie mit einer Zärtlichkeit an, die wahrscheinlich einen Klotz aus Eisen zum Schmelzen gebracht hätte, als er ihr antwortete „Das will ich hoffen, denn ich liebe dich wirklich sehr".
Anne litt in den folgenden Tagen unter seiner Abwesenheit, aber er musste für einige Zeit nach London, um dort seinen Abschied vom Offiziersleben zu nehmen. Er war mit Anne und Lady Catherine übereingekommen, dass er die Führung von Rosings nach und nach übernehmen und zu einem Landedelmann werden würde. Gleich nach Ostern, so lange noch die gesamte Familie auf Rosings weilte, würde dann Mr. Collins die Ehre haben, das werte Brautpaar zu vermählen. Dazu wurden natürlich auch die Eltern und Geschwister von Montgomery Fitzwilliam erwartet. Sein Vater, der Earl und Bruder von Lady Catherine und der seligen Lady Anne Darcy, selbstverständlich seine Mutter, die Countess, sein älterer Bruder, der Viscount, und seine Schwester, Lady Harriet. Die Vorbereitungen für das Familientreffen und die Hochzeit begannen unverzüglich.
Also hören Fitzwilliam, Elizabeth und Georgiana Darcy (ausgenommen die sehr privaten Details zwischen Anne und Montgomery), was sich den Winter über bis zu ihrer Ankunft auf Rosings zugetragen hat. Die Glückwünsche an das Brautpaar fallen sehr herzlich aus.
Lady Catherine thront über der ganzen Sippschaft in zwar gewohnter Selbstherrlichkeit, jedoch anders als früher. Sie hat sich eine gewisse Herzlichkeit angewöhnt, obgleich sie nicht immer alte Verhaltensmuster ablegt, wenn sie sich beispielsweise in sehr kritischem Ton gegenüber Elizabeth zu dem Sachverhalt mit dem Stillen des Babys äußert. „Meine liebe Nichte, vielleicht sind Sie der Meinung, es stünde mir nicht zu, Ihnen etwas vorzuschreiben, aber ich bin in der Tat ziemlich schockiert und befremdet über die Tatsache, dass sie das Kind selbst nähren. So etwas gehört sich einfach nicht! Hat Ihnen ihr Gatte da nicht ins Gewissen geredet? Oder Ihre Mutter, wie es Ihre Aufgabe hätte sein sollen?" Elizabeth antwortet ihr ruhig aber pointiert, wie es ihre Art ist und bekommt sofort von ihrem Mann den Rücken gestärkt, der Lady Catherine unmissverständlich klarmacht, es sei allein Privatangelegenheit zwischen ihm und seiner Frau. Lady Catherine schaut konsterniert, ist dann aber erstaunlicherweise still.
Am Ostersonntag herrscht dieses Mal strahlendes Wetter. Die Sonne gibt ihr Bestes. Nach dem Kirchgang zerstreuen sich die einzelnen Personen. Anne und Montgomery nutzen das prachtvolle Wetter für einen Spaziergang. Die Collins' kehren sofort ins Pfarrhaus zurück, Charlotte möchte sich nämlich gerne ein wenig hinlegen, sie leidet ab und zu unter Rückenschmerzen mit fortschreitender Schwangerschaft. Lady Catherine zieht es ebenfalls vor, die Mittagsruhe einzuhalten. Der kleine George wird in die Obhut von Miss White gegeben und Georgiana hat es sehr eilig, das Piano im Salon in Beschlag zu nehmen.
Fitzwilliam schenkt Elizabeth einen nachdenklichen Blick. Dann zieht er ihren Arm unter den seinen und spaziert mit ihr durch den frühlingsfrischen Park. Er nimmt einen ganz bestimmten Weg. Über die Brücke, über die weiten, ansteigenden Rasenflächen – und dann sieht sie den Pavillon.
„Ich dachte, wir könnten der Sache diesmal die richtige Wendung geben", sagt er zu ihr, als er vor den mächtigen Säulen stehen bleibt. Elizabeth schaut zum azurblauen Himmel und blinzelt in die Sonne. „Aber heute regnet es nicht", gibt sie sogleich zu bedenken. „Das ist wahr", lächelt er und zieht verschmitzt einen silbernen Flachmann aus der Innentasche seines Fracks. „Fitzwilliam!" kommt es da empört aus dem Mund seiner Frau „wie kannst du nur jetzt an ein derart scharfes Getränk denken!"
Er lacht so laut er überhaupt lachen kann. Seine tiefgründigen Augen sprühen Funken. Langsam öffnet er den Verschluss des von ihm zweckentfremdeten Gefäßes und verteilt den Inhalt großzügig über seinen Kopf. „Wasser, mein Herz, nur Wasser". Nun begreift sie, was er vorhat. Sie nimmt ihm die Flasche aus der Hand und kippt den spärlichen Rest über ihren Haaransatz und ihr Gesicht. Als sie ihren triefenden Gatten ansieht, muss sie so sehr lachen, dass sie sich nach einer Weile den Bauch halten muss. „Madam", ertönt seine Stimme, künstlich streng gehalten „ich muss Sie doch sehr um ein wenig mehr Ernsthaftigkeit in dieser Angelegenheit bitten!" „Also gut", japst sie zwischen zwei Lachanfällen „ich versuche es. Gib mir eine Minute, bitte".
Er entfernt sich unterdessen ein Stück, damit sie ihre richtige Position einnehmen kann und er aus der gleichen Richtung auf sie zusteuern kann wie damals. Sie steht angelehnt an eine Mauer, Tropfen auf ihrem Gesicht. Er nähert sich, sie dreht sich um, erschrickt, er setzt an „Miss Elizabeth…" dann beißt er sich auf die Lippen und fängt seinerseits wieder mit Lachen an. „Irgendwie ist es schwierig, wenn die äußeren Umstände nicht ganz stimmig sind, findest du nicht auch?", fragt er sie. „Wohl", gibt sie zur Antwort „aber darauf sollten wir besser nicht achten. Wir wissen doch jetzt auf was es uns ankommt, oder?" Sie hat sich nun völlig in der Gewalt und nimmt seine Hände in die ihren. Er nickt, schaut ihr in die Augen und sieht, auf was es ankommt: Auf tief empfundene Liebe.
Er geht ein Stück zurück, das gleiche Spiel von vorn. Er schließt kurz die Augen, atmet durch – und plötzlich fühlt er sich genau wie damals, voller Spannung, Irritation und Angst. „Miss Elizabeth, ich habe vergeblich mit mir gerungen, aber ich ertrage es nicht länger. Die letzten Monate waren eine Tortur für mich. Allein Ihretwegen bin ich hierher nach Rosings gekommen, nur um Sie zu sehen! Ich möchte Sie bitten, meiner Qual ein Ende zu bereiten". Sie tritt ein Stück vor „Ich verstehe nicht, was…"
„Ich liebe Sie! Auf das Glühendste! Bitte erweisen Sie mir die Ehre und nehmen Sie meinen Antrag an!" Irritiert schaut sie ihn an „Sir, ich weiß Ihr Ringen zu würdigen, und wenn Sie durch mich Schmerzen erlitten haben, so tut es mir leid. Glauben sie mir, es geschah in Unwissenheit".
Jetzt ist es an ihm irritiert zu schauen, sie wird doch nicht… es soll doch einen anderen Verlauf nehmen, was macht sie? Trotzdem fährt er tapfer fort: „Ist das ihre Antwort?" „Ja Sir, aber das ist noch nicht alles. Mir ist klar geworden, dass Sie der einzige Mann auf Erden sind, den mich jemals bereit erklären würde, zu heiraten!" Sein Lächeln ist nun zum Dahinschmelzen, aber er versteht es, sie noch ein Weilchen zappeln zu lassen, da sie ihn ja eben auch fast genarrt hatte.
„Und wie stehen Sie zu Mr. Wickham, Madam?" „Mr. Wickham? Wer bitte ist das?", spielt sie sogleich das Spielchen mit. „Ich glaube", erläutert er ihr „das ist der Mann, dem ich eine Unmenge Geld in den gierigen Rachen geworfen habe, damit er Sie und Ihre sowie meine Familie endlich in Ruhe lässt und ihn dann quasi mit vorgehaltener Pistole dazu gezwungen habe, aus ihrer Schwester eine ehrbare Frau zu machen". „Ach, der", antwortet sie mit einer wegwerfenden Geste „dieser Mann hat keinerlei Bedeutung. Bedeutend für mich sind ganz allein Sie, Sir. Und sonst niemand!"
Jetzt macht er einen Schritt vor, dann noch einen. Sie stehen sich ganz nah gegenüber, er beugt sich zu ihr, neigt seinen Kopf ein klein wenig zur Seite und dann endlich – der Kuss, der damals nicht stattfand!
„Madam", kommt er nach einer Weile wieder zu Atem „sie machen mich hier und heute zum glücklichsten Mann der Welt!" Nachdem er noch auf jeden ihrer Handrücken galant einen sanften Kuss platziert hat, unterhakt er ihren Arm und sie verlassen den für sie so magischen Ort.
Einige Minuten lang lassen sie alles eben Geschehene auf sich wirken, dann richtet Lizzie endlich das Wort an ihren Fitzwilliam: „Ich glaube, wir sollten uns ein wenig beeilen, unser Sohn wird schon hungrig sein". Und nach einer kurzen Pause fügt sie mit einem blitzenden Seitenblick auf ihn hinzu „Würdest du gerne dabei sein und zusehen und dann anschließend vielleicht wieder…?" sie lässt den Satz absichtlich unvollendet. Er befreit seinen Arm von ihrem, aber nur, um ihn sogleich umso fester um ihre Taille zu winden. „Ich kann mir nur sehr wenige Dinge auf dieser Welt vorstellen, die ich lieber täte, denn all dies entspringt meiner großen Liebe zu dir, Licht meines Lebens", kommt es mit Nachdruck von ihm.
Doch seine Elizabeth wäre nicht seine Elizabeth, wenn sie nicht dieser einzigartigen Liebeserklärung eine ungewöhnliche Aktion folgen ließe. Sie macht sich ungestüm von ihm los und rennt vor ihm her „Wer zuerst im Haus ist", ruft sie ihm zu. Fitzwilliam sprintet los, ohne lange zu überlegen (etwas, was er früher sicher nicht so einfach getan hätte) und hat sie bereits nach wenigen Yards mühelos eingeholt. Er umfängt sie mit beiden Armen und wirbelt sie einmal komplett im Kreis herum.
Dann setzen beide ihren Rückweg gemächlicher fort. Und er kann nicht umhin zu denken, dass dies wieder ein sehr erbaulicher, wunderbarer Aufenthalt hier in Kent ist, natürlich auch im Hinblick auf die in wenigen Tagen stattfindende Hochzeit von Cousin und Cousine. Ein weiteres Ostern auf Rosings, an das er sich bestimmt immer gerne erinnern wird!
T H E E N D !
