Hier

Alles war friedlich und still. Ihr Geist flog in die Höhe.
Da. Was war das? Eine Stimme. Von wo kam sie? Und von wem kam sie? Sie hielt inne und lauschte. Sie kannte diese Stimme.

Plötzlich merkte sie, zu wem sie gehörte. Es war der Mann, den sie liebte...
Sie konnte nicht gehen. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, hielt sie sich am Leben fest. Kam immer näher ihrem Körper entgegen.

"Legolas..." flüsterte sie.

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"Legolas..." ein leises Flüstern kam von ihren Lippen. Dann überkam sie der Schmerz.

Sie atmete wieder. Langsam öffnete sie ihre Augen. "Legolas..." stammelte sie. Schmerzerfüllt verzog sie ihr Gesicht. Ihr Mund war trocken. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie schmeckte etwas Salziges.

"Edra i chin. (1) Sie lebt!" Elrond strich ihr sanft über das Gesicht. Er lächelte sie hoffnungsvoll an. Wenn sie das geschafft hatte, dann würde sie jetzt nicht sterben. Das fühlte er.
"Schnell, bringt sie rein. Merodeth, Gilwen, bringt mir Wasser, Tücher und Verbände." rief er. "Bring sie rein, Aragorn."

Aragorn hatte sie bereits auf seinen starken Armen, und trug sie vorsichtig ins Haus.

"Sie ist nicht tot?" fragte Gimli ungläubig. Dann fing er an zu lachen. "Welch tapfere Frau! Sie ist nicht tot!" rief er, drehte sich um, und rief noch lauter. "Legolas, sie ist nicht tot. Sie lebt!" Er sah sich nach seinem Freund um, doch dieser kam nicht. Nur grauer Morgen war dort draußen.

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Legolas hörte ihn nicht. In blinder Verzweiflung, Trauer und Wut war er in den Wald gerannt. Er wusste nicht wo er war, aber das wollte er auch nicht wissen. Er wollte nur seinen Schmerz betäuben, der ununterbrochen in einer schrecklichen Intensität durch ihn hindurch fuhr.

Er war blind vor Tränen und er hörte nur sein Herz, das aus dem Rhythmus gekommen zu sein schien.
Irgendwann blieb er stehen. Er wusste nicht, wie weit er gelaufen war, oder wie lange. Er brach zusammen und weinte...

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Aragorn legte Melima vorsichtig auf das Bett. Fragend sah er zu Elrond. Dieser nickte ihm zu. "Sie wird es schaffen." Dann wandte dieser sich zu ihrer Wunde. Blut quoll aus ihr heraus. Der Stich, der das Schwert des Dämons hinterlassen hatte, war tief. Er musste die starke Blutung schnell stoppen.

"Kann ich helfen?" fragte Aragorn.

Elrond nickte. "Natürlich kannst du das. Du hast die Hände eines Heilers." Ernst sah er ihn an. "Sie braucht unsere ganze Heilkunst. Gilwen, bring dem König reichlich von der Athelas-Pflanze!" sagte er an die junge Elbe.

"Sofort, mein Herr." sagte sie und eilte hinaus.

Aragorn ging zum Waschtisch und wusch sich die Hände. Er würde eine Paste aus dem Königskraut machen. Sie würde hoffentlich die Wunde schnell verschließen.
Als er ein Tuch nahm und seine Hände trocknete, betrachtete er die Schwerverletzte. Das war also die Frau, die das Herz seines Freundes in Besitz genommen hatte. Ein schmerzerfüllter Ausdruck lag auf ihrem hübschen Gesicht. Die goldblonden Haare lagen lang und verschwitzt um ihren Kopf. Kurz öffnete sie die grünen Augen.

"Legolas..." stammelte sie.

Aragon nahm ihre Hand. Sie sah ihn an. Ihr Blick wirkte verschleiert. Besorgt sah er sie an.

"Ich werde ihn finden." sagte Gimli entschlossen, der an ihre Seite kam, und sah ihr in die Augen. "Ich werde ihn finden." wiederholte er. Dann sah Aragorn an. Dieser nickte ihm zu. Gimli ging zur Tür, und wäre fast mit einem jungen Mann zusammengestoßen, der kreidebleich und mit besorgtem Gesicht an der Tür stand.

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Macelius starrte ungläubig auf den schwer verwundeten Körper der Frau, die er liebte. Hilflos sah er den Männern zu, die sich nach allen Kräften um ihre Verletzung kümmerten.

Das elbische Mädchen kam und brachte einen Bund mit einer Weißblühenden, unscheinbar aussehenden Pflanze. Der Mann, der mit einem braunen, geflickten Gewand bekleidet war, nahm sie eilig entgegen und tat sie in ein Gefäß. Dann zerstieß der das Gewächs sorgsam und fügte ein wenig Wasser hinzu.

Macelius blickte zu Elrond. Seine flinken Elbenfinger wuschen behutsam die immer noch blutende Wunde. Wenn er doch auch nur etwas tun könnte! Langsam ging er näher an ihr Bett, an dem Elrond über der verletzen Frau gebeugt war.

Der Elb sah ihn an. Der junge Mann war kreidebleich. Er sah wie Blut durch seinen Verband sickerte. Seine Verletzung war wieder aufgebrochen. "Macelius, Eure Wunde blutet wieder. Gilwen, kümmere dich um ihn." Er sah den jungen Mann wieder an. "Geht mit ihr. Im Moment könnt Ihr nichts für sie tun."

"Aber..."

"Nein, geht." sagte Elrond bestimmt.

"Kommt, Herr. Ich mache Euch einen neuen Verband." Das junge Elbenmädchen nahm ihn bei seinem Arm und führte ihn hinaus.

Elrond wandte sich wieder der schwer verletzten Frau zu. Aragorn kam an seine Seite und strich behutsam die Paste auf die Verletzung. Die Wunde war tief, aber sie würde es schaffen. Mit ihrer gemeinsamen Hilfe. Und mit der Hilfe Legolas... Wo war er nur? Er glaubte, sie wäre tot. Er hoffte, dass Gimli ihn bald finden würde. Es würde für sie leichter werden, wenn er an ihrer Seite wäre.

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"Legolas!" Rufe hallten durch den Wald. "Wo ist dieser verdammte Elb?" Gimli stapfte schimpfend und rufend durch das Gehölz. "Ich muss ihn finden. Sie braucht ihn jetzt." sagte er und rief wieder den Namen seines Freundes.
Er machte sich große Sorgen um ihn. Noch nie hatte er ihn so verzweifelt gesehen.

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Legolas saß angelehnt an einem Baum. Die aufgehende Sonne hatte die Tränen auf seinen Wangen getrocknet.
Warum musste sie jetzt sterben? Warum jetzt schon? Er hatte doch gerade erst gemerkt, dass er sie liebte.
Er wusste ja, das sie ein Mensch und somit sterblich war, und dass ihnen sowieso, gemessen an einem Elbenleben, nicht viel Zeit vergönnt gewesen wäre. Aber warum jetzt? Er hatte ihr noch nicht einmal richtig seine Liebe gestehen können. Hatte nur einmal ihre Lippen mit den seinen berühren dürfen...

Alles war leer und ausgebrannt in ihm. Auch er fühlte sich tot.

Er verstand das alles nicht. Endlich hatte er die Entscheidung getroffen in Mittelerde zu bleiben, und sich hier ein Leben und eine Familie aufzubauen - mit ihr. Und jetzt sollte sie tot sein? War ihm dieses Glück einfach nicht vergönnt?

Plötzlich drangen Rufe in sein Bewusstsein...

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Endlich war die Blutung gestillt. Elrond und Aragorn hatten behutsam die Wunde versorgt, und schließlich mit feinen Stichen genäht. Sie schlief jetzt und ihr Atem ging ruhig. Elrond hatte ihr ein Kräutertrank einflössen können, der sie tief schlafen ließ und gegen die Schmerzen wirkte.
Erschöpft sahen sich die Männer an, und nickten sich zu. Sie hatten alles getan, was in ihrer Macht stand. Jetzt blieb ihnen nur abzuwarten, bis die Kräuter und die Athelas-Pflanze ihre Wirkung zeigten.

"Wo ist nur Legolas?" fragte Aragorn besorgt.

"Er glaubt sie sei tot." erwiderte Elrond.

"Ich hoffe Gimli findet ihn bald. Ich habe ihn noch nie so gesehen. Er liebt dieses Mädchen."

"Ich weiß." Elrond sah seinen Schwiegersohn an. "Das weiß ich schon lange. Schon seit er sie hierher brachte."

Aragon blickte ihn überrascht an. "Dann wusstest du mehr als er selber."

Elrond grinste geheimnisvoll. "Ich weiß einiges mehr. Sie liebt ihn ebenso."

"Herr, wie geht es ihr?" Macelius kam in den Raum und sein fragender Blick wanderte von ihrem Bett zu Elrond.
"Sie wird es schaffen. Sie ist sehr stark." erklärte er. Glücklich sah der Mann ihn an. Dann ging er zu ihrem Bett, setzte sich neben sie und hielt ihre Hand.

Elrond nickte ihm zu. "Sie braucht jetzt Ruhe, aber bleibt. Es ist gut, wenn sie jemanden in ihrer Nähe spürt. Ich werde bald wieder nach ihr sehen."

"Ich bleibe bei ihr, Herr." sagte der junge Mann.

"Komm, mein Sohn. Du kannst mir helfen." sagte er zu Aragorn. "Ich kann deine Heilkunst gebrauchten."

Nachdenklich verließen Elrond und Aragorn den Raum. Sie würden gemeinsam ein paar Tränke und Salben ansetzten, die die Heilung beschleunigen würden.

Macelius wandte den Blick nicht von ihr ab. Er war so glücklich dass sie lebte. Er hatte solche Angst gehabt sie bereits zu verlieren, noch bevor er ihr seine Gefühle hätte gestehen können. Leise redete er auf sie ein und strich ihr immer wieder über ihre kleine Hand.

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Die Stimme wurde immer lauter. Sie rief nach ihm. Er wollte nicht antworten. Er wollte in Ruhe um sie trauern.

"Legolas, sie lebt!" rief Gimli.

Legolas horchte auf. Hatte er richtig gehört? Sie war doch vor seinen Augen gestorben! Wie war das möglich?
Sofort stand er auf den Beinen. So schnell er konnte lief er zu seinem Freund und blickte ihn hoffnungsvoll an. "Sen tîr? (2) Sie... sie lebt?" flüsterte er.

"Ja, mein Freund, sie lebt. Und sie wartet auf dich." lächelte der Zwerg und musste erst mal wieder zum Atmen kommen.

Das Gesicht des Elben erhellte sich. Ungläubig sah er Gimli an. "Sie lebt!" sagte er und rannte los. Rannte zurück nach Bruchtal, zurück zu ihr.

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(1) Sie öffnet die Augen
(2) Ist das wahr?

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