Verstehen
Kurz nach ihrem Aufbruch aus Bruchtal trafen Aragorn und Gimli die Truppen aus Rohan, Gondor und Eryn Lasgalen. Sie erklärten Thranduil, Legolas Vater, und Éomer, dem König von Rohan alles von dem Dämon.
"Wo ist mein Sohn jetzt?" fragte der König des Waldes.
Aragorn sah ihn betroffen an. "Wir wissen es leider nicht, Herr. Er glaubte, etwas verloren zu haben, und jetzt sucht er die Einsamkeit, um darum zu trauern."
Thranduil sah ihm prüfend in die Augen. "Es muss etwas sehr Wichtiges sein, um das er weint." sagte er nachdenklich.
"Das ist es, Herr." sagte Gimli. "Wenn er zu Euch kommen sollte, richtet ihm aus, er hat sich geirrt. Alles war nur ein Missverständnis."
"Das werde ich, Meister Zwerg." sagte der König ernst. "Doch ich fürchte, er wird nicht zu mir kommen mit seinen Sorgen." Dann sah er Aragorn fragend an. "Ist es die Sehnsucht, die ihn treibt?"
"Ich hoffe es nicht. Ich glaubte, diese Sehnsucht sei in ihm wieder verblasst. Doch nun bin ich mir nicht mehr so sicher."
"Nein." sagte Gimli entschlossen. "Er wird sich nicht einfach so davon stehlen."
"Lass uns hoffen, dass einer von uns ihn bald finden wird." sagte Aragorn bedrückt. Bald darauf machten sie sich auf den Heimweg, und Gimli kehrte zurück nach Bruchtal.
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Nach Wochen des Rittes kam Aragorn wieder in Gondor an. Überglücklich nahm er seine Frau in die Arme.
"Tolech revianneth and." (1) Aufmerksam blickte Arwen ihm in die Augen. "Man mathach? Naro enî tress chîa." (2)
"Im maer." (3)Suchend blickte er sich um "Wo sind die Kinder?"
"Gut untergebracht." lächelte sie. "Erzähl mir, was dich bedrückt." Sanft zog sie ihn ans Fenster, und sah ihm tief in die Augen. Die Sorge war deutlich in ihnen zu sehen.
Er erzählte die ganze Geschichte, angefangen von der Schlacht um Dol Guldur, bis hin zu dem Verschwinden des Dämons und dem tragischen Missverständnis zwischen Melima und Legolas.
Traurig hörte sie ihm zu. "Und nun weiß keiner, wo er ist." endete der König. "Es war doch alles nur ein Missverständnis." Besorgt sah er seine Frau an. "Meinst du, er ist vielleicht doch...?"
"Nein. Dessen bin ich mir sicher." Entschlossen schüttelte sie den Kopf. "Er würde nicht gehen, ohne Lebewohl zu sagen." Arwen überlegte einen Moment. "Ich könnte mir vorstellen, dass er nach Lórien reitet. Haldir ist sein Freund. Und dort könnte er den Frieden finden, denn er sucht."
Aragorn sah seine Frau hoffnungsvoll an. "Du könntest Recht haben, meleth nîn. Ich werde sogleich einen Boten nach Lórien senden. Cebidor?" Er rief seinen Sekretär. Dieser kam gleich in die Bibliothek, wo der König mit seiner Frau stand.
"Majestät?" fragte er und verbeugte sich.
"Schickt mir einen Boten, der eine Nachricht nach Lórien, zu meinem Freund Haldir bringt."
Er schrieb schnell einen Brief. Kurz darauf war ein Räuspern zu hören. "Majestät, Ihr benötigt einen Boten?" fragte eine Stimme.
Aragorn schrieb derweil den Brief zu Ende. "Ja. Bitte beeilt Euch. Es ist dringend. Und gebt diesen Brief nur an Hauptmann Haldir." Er hielt den Umschlag dem Boten entgegen und stockte. Er sah sich den Mann an. "Ich kenne Euch." Kurz überlegte er. "Ihr ward in Bruchtal." sagte er.
Der Bote schien ein wenig verwirrt. "Ja, Majestät." Dann sah er seinen König genauer an. Jetzt erst erkannte er in diesem den Mann in der Waldläuferkleidung, der, mit dem Herrn von Bruchtal, die verletzte Frau versorgt hatte, der er sein Herz schenken wollte. Er schluckte und sah Aragorn erschrocken an. "Vor der Schlacht schicktet Ihr mich dort hin, um Lord Elrond zu berichten. Leider wurde ich verwundet und bin erst vor ein paar Tagen von dort wieder gekommen. Es tut mir leid, mein König, ich habe Euch nicht erkannt."
Aragorn machte eine wegwerfende Handbewegung. "In solch einem Gewand vermutet man ja auch keinen König." Er betrachtete den Boten genauer. Er erinnerte sich an den Abend, an dem Melima von diesem Dämon verletzt wurde. Dieser junge Mann war da gewesen. Und er hatte Angst in den Augen gehabt, als er die verletzte Frau gesehen hatte. "Außerdem ward Ihr mit anderen Sorgen beschäftigt." sagte er leise. Aufmerksam sah er den Boten an.
Der junge Mann sah ihn traurig an und nickte. Dann senkte er den Blick. "Ja, Herr. Aber nun bin ich wieder für meinen König bereit."
Jetzt war für Aragorn
alles klar. Er war es. Er war derjenige, der der jungen Frau seine
Liebe gestanden hatte - und zurückgewiesen wurde. Er war der
Grund des ganzen Missverständnisses.
Freundlich lächelte
Aragorn den jungen Mann an. "Wie ist Euer Name?"
Unsicher sah er seinen König an. "Macelius, Herr. Mein Name ist Macelius."
°°°°°
Nach
Wochen des Herumirrens kam Legolas schließlich in Lórien
an. Er fühlte sich schon gleich ein wenig leichter. Er atmete
die reine Luft ein und genoss den Anblick der großen
Mallorn-Bäume.
Langsam ritt er weiter durch den Wald. Hier
hatten bis vor zehn Jahren, Galadriel, die Herrin des Lichtes, und
ihr Mann Celeborn gelebt. Nun waren auch sie in den unsterblichen
Gefilden, und der Wald kam ihm einsamer vor als zuvor.
Langsam
verfiel der Zauber dieses Landes. Seit der Eine Ring, der
Herrscherring, der Macht über all die anderen Ringe gehabt
hatte, zerstört worden war, war auch die Kraft der drei
Elbenringe zerstört.
Galadriel war die Hüterin von
Nenya gewesen, dem Ring des Wassers. Durch ihn hatte sie aus Lórien
einen magischen Ort gemacht, dessen Grenzen nichts Böses
überschreiten konnte. Bald würde der Zauber dahin sein -
und niemals würde dieser Wald wieder so schön sein.
Er verscheuchte die traurigen Gedanken, und gab sich dem Bild hin, welches sich ihm bot: Caras Galdahon, die Stadt der Bäume. Sie war wunderschön, wie eh und je. Auf dem Berg wuchsen die Mallorn-Bäume so hoch wie nirgendwo sonst, und sie ragten in den Himmel wie Türme. In ihren reich verzweigten Ästen blühten die goldenen Blüten der Bäume, und überall schimmerten und funkelten Lichter.
Langsam ritt er zu der weißen
Brücke, welcher der einzige Übergang zu der wundervollen
Stadt war. An den großen Toren standen Elben, die ihn höflich
grüßten. Er erwiderte den Gruß und ritt langsam
weiter in das grüne Paradies. Er sah hinauf. Überall
leuchteten bunte Lichter, und die Luft war erfüllt mit Gesängen
und Gelächter.
Er sprang elegant von seinem Pferd und setzte
seinen Weg zu Fuß fort. Askar schritt langsam hinter ihm her.
Genüsslich sah Legolas sich um, und atmete die reine Luft
Lóriens ein. Die prächtigen Baumhäuser, talan oder
Flett, genannt, ragten über ihm in den Baumwipfeln. Zu ihnen
konnte man nur über lange, steile Treppen heraufkommen, die sich
um die breiten silbernen Baumstämme wandten.
Er vernahm
die wundervollen Gesänge der Elben und eine friedliche Stimmung
erwärmte sein Herz. Es war gut, dass er hier war. Hier waren
gute Freunde und entfernte Verwandte, die er schon lange nicht
besucht hatte. Freunde, die ihn auf andere Gedanken bringen
konnten.
"Mae govannen, Legolas, ernil Eryn Lasgalen, mellon
nîn. Gellon heno cen sí!" (4) Lächelnd
kam ihn ein aschblonder, großer Elb entgegen, und senkte seinen
Kopf in einer leichten Verbeugung.
"Haldir! Gellan nin, cen govo ."(5) Sagte Legolas und verbeugte sich ebenfalls. Dann sahen sie sich an. Freundschaftlich nahmen sich die beiden Männer in die Arme.
"Lange ist es her." sagte Legolas und sah seinem Freund ins Gesicht. "Viel zu lange."
Prüfend sah Haldir Legolas an. Er merkte sofort, dass seinen Freund etwas bedrückte. Dieser wirkte blass und dünn, doch er fragte ihn nicht. Er führte ihn zu einer der langen Treppen, die zu seinem talan hinaufreichte. Legolas folgte seinem Freund langsam und genoss den Blick, der mit jeder Stufe atemberaubender wurde. Oben angekommen, bat Haldir ihn in sein Baumhaus.
"Minno! Aníral maded?" (6) fragte er und bedeutete ihn einzutreten.
"Nein, danke." Legolas schüttete den Kopf. "Aber deine Gesellschaft hätte ich jetzt gerne." Er versuchte zu lächeln. "Was gibt es Neues in Lórien? Es ist einsam geworden, seit Galadriel und Celeborn Mittelerde verlassen haben."
"Du sprichst wahr, mein Freund." erwiderte Haldir. "Komm rein und setzt dich. Meine Gesellschaft gebe ich dir gerne."
°°°°°
Es war fast ein Monat vergangen. Die Wunde war dank der elbischen Arzneien, gut verheilt. Die Wunden der Seele bräuchten allerdings länger - wenn sie überhaupt heilen würden.
Melima machte lange Spaziergänge durch die Gärten. Oft zog sie sich zurück. Sie wurde wieder blass und dünn, schlief kaum und aß wenig. Sie war ruhig und redete selten. Immer schien sie in Gedanken zu sein. Ihre Augen wirkten dunkel, und hatten das Leuchten verloren.
Elrond machte sich zusehends Sorgen um sie. Dieses Bild erinnerte ihn an seine Tochter während des Ringkrieges, als auch sie langsam an gebrochenem Herzen schwand. Er ahnte, dass ihr nur ein Mann helfen konnte. Und keiner wusste, wo er war.
Er beobachtete sie, wie sie nachdenklich, und mit einem sehr traurigen Ausdruck auf dem Gesicht auf einer Bank saß. Ihre Augen starrten ins Nichts, und sie beachtete noch nicht einmal den kleinen Vogel, der neben ihr auf einem Ast saß, und fröhlich zwitscherte.
"Herr Elrond!" Die Stimme seiner Hausdame riss ihn aus den Gedanken. Hektisch kam die alte Dame auf ihn zugelaufen. "Ein Bote ist für sie angekommen. Er hat Nachrichten aus Lórien."
"Lórien! Endlich!" Eilig betrat er das Haus. Der Bote wartete dort schon und verbeugte sich.
"Le suilon, hîr. Tegin hiniath an Elrond, hîr Imladris." (7) sagte der Mann und übergab ihm einen Umschlag.
"Gen hannon." (8) Schnell nahm er den Brief entgegen. "Geht in die Küche und lasst Euch von meiner Köchin Essen und Getränke geben." sagte Elrond freundlich und widmete sich dann dem Papier. Es war mit Haldirs gleichmäßiger Handschrift beschrieben:
Mellon voron (9) , Lord Elrond,
Mein Herz ist
glücklich zu hören, dass sich der Schatten wieder aus
Mittelerde verzogen hat. Wie du mir bereits deine Vermutungen
mitgeteilt hast, kann ich diese nur bestätigen. Dieser Dämon
hat nach diesem Mädchen gesucht. Ich habe vor tausenden von
Jahren schon ähnliches erlebt, doch damals ist dieser Geist
nicht wirklich geworden.
Was diesen Mann angeht,
nach dem du fragtest, so glaube ich, ich weiss, wen du suchst. Ich
habe ihn während des Ringkrieges kennengelernt. Er kam zu uns,
kurz bevor die Ringgefährten unseren Wald betraten, und verließ
ihn kurz nach ihnen. Wohin er zog, kann ich Dir leider nicht
mitteilen. Jedoch hörte ich vor ein paar Jahren von jemandem,
dass sich ein Mann, auf die seine Beschreibung passt, im Wilderland
niedergelassen haben soll. Vielleicht ist es der, nach dem Du suchst.
Ich stimme Dir zu, er war anders als andere Menschen. Er war
neugierig und hatte viele Fragen. Wenn ich etwas über seinen
Aufenthaltsort in Erfahrung bringe, lasse ich es Dich wissen.
Ich
hoffe, ich konnte dir mit diesem Brief weiterhelfen.
In
Hoffnung, dass sich unsere Wege bald wieder vereinen mögen,
Dein
Freund, Haldir
Es stimmte also. Er hatte mit
seinen Vermutungen richtig gelegen. Auch Haldir hatte ihn als
ungewöhnlich in Erinnerung. Jetzt mussten sie nur noch diesen
Mann finden. Doch wo konnte er sein?
Wenn er sich wirklich im
Wilderland aufhielt, hatten sie eine lange Suche vor sich. Es war ein
großes, zum Teil sehr unzugängliches Gebiet. Es gab einige
von Menschen bewohnte Dörfer, aber sie lagen sehr verstreut.
Nachdenklich rieb er sich übers Kinn. Wenn sie doch nur wussten, wo sie anfangen sollten nach ihm zu suchen. Es würde eine beschwerliche Reise werden, doch Elrond spürte, dass sie notwendig war, um ein wenig Licht in das Geheimnis zu bringen, welches Melima umwob. Er war sich sicher, dass ihnen dieser junge Mann viele Fragen beantworten konnte.
Er ging hinaus auf die große Terrasse. Dort saß inzwischen der Bote, und wurde von der Köchin mit Essen und Wein versorgt.
"Ich wünsche Euch einen guten Appetit. Erzählt, was gibt es Neues in Lórien?" fragte Elrond und setzte sich zu ihm.
"Ich danke Euch, mein Herr." Der Elb nickte ihm zu. "Wir haben hohen Besuch empfangen. Auf dem Weg hierher traf ich den Prinzen von Eryn Lasgalen, der gerade auf dem Weg nach Lórien war."
"Legolas?" flüsterte eine Stimme
hinter ihnen.
Die beiden Männer drehten sich um. Melima
stand in der Tür und sah den Boten entgeistert an.
"Ja, Herrin. So ist es. Er kam, um seinen Freund Hauptmann Haldir zu besuchen, so erzählte er mir."
Ein kleiner Hoffnungsschimmer glänzte auf dem hübschen, aber blassen Gesicht der jungen Frau. Sie blickte zu Elrond. Dieser nickte. "Wir reiten morgen los."
°°°°°
Gedankenverloren sah der König auf die weiße Stadt hinunter. Arwen kam zu ihm und strich ihm sanft über den Rücken. Zärtlich nahm er sie in die Arme und küsste sie. Dann sah er in ihre dunklen Augen.
"Es war Schicksal, dass ausgerechnet dieser Bote diesen Auftrag bekam. Das fühle ich." sagte Aragorn nachdenklich. "Denn so wird nicht nur die Nachricht eine Botschaft sein. Mit ein wenig Glück wird Legolas verstehen."
"Das hoffe ich. Ich kenne ihn seit zweitausend Jahren, und noch nie hat er sein Herz an einer Frau verloren." Traurig schüttelte sie den hübschen Kopf. "Immer hing er seinen Gedanken nach. Auch als er noch jung war, war er immer ruhig und verschlossen. Und einsam." Sie sah ihren Mann an. "Ich wünsche ihm so sehr, dass er endlich sein Glück findet. Keiner hat es so verdient wie er."
"Du hast Recht, meleth nîn." Er lächelte. "Sie ist aber auch wirklich bezaubernd. Du würdest sie mögen. Sie ist die Richtige, das spüre ich. Und sie leidet ebenso."
"Ich hoffe, ich lerne die Frau bald kennen, die meinem Freund das Herz gestohlen hat." lächelte Arwen.
"Das wirst du gewiss. Wenn alles gut läuft, werden wir sie bald wiedersehen. Alle beide." Saft nahm er seine Frau in die Arme und sie schmiegte sich dicht an ihn.
°°°°°
Einige
Wochen war er bereits in Lórien, auch wenn es ihm nicht so
vorkam. Hier lief die Zeit anders.
Die Luft war klar und die
Gedanken waren hier nicht ganz so schwer. Die Bäume schienen
einen Frieden zu verströmen, den er in sich aufnahm. Es war gut
gewesen, hierher zu kommen. Hier fand er ein wenig Ruhe und er konnte
über die Dinge, die geschehen sind nachdenken.
Er machte lange Spaziergänge in dem Goldenen Wald, und lauschte stundenlang dem beruhigenden Gesang der Elben. Langsam ordnete er seine Gedanken. Doch wenn er an Melima dachte, was sehr oft vorkam, fühlte er immer noch Stiche in seinem Herzen. Noch immer sah er vor seinen Augen, wie dieser Mann sie küsste. Aber trotzdem war er glücklich darüber, dass sie lebte. Auch wenn sie ihn nicht liebte - sie lebte.
Haldir fragte nicht, auch
wenn er ganz genau spürte, dass sein Freund Kummer hatte. Doch
er fühlte, dass Legolas noch nicht bereit war, über das
Geschehene zu reden.
Legolas erzählte ihm jedoch alles über
die Schlacht um Dol Guldur und dem Dämon, der sie geplant
hatte.
"Ich habe bereits darüber gehört." sagte Haldir nachdenklich. "Elrond sandte mir einen Boten. Viele tausend Jahre ist es her, als ich schon einmal von diesem Geist hörte."
"Du weißt von ihm?" fragte Legolas ungläubig. "Erzähle mir alles darüber."
"Dieser Dämon, Dagor ist sein Name, sucht nach einem Menschen. Es ist kein gewöhnlicher Mensch nach dem er verlangt. Nein. Diese Menschenkinder sind etwas Besonderes. Was es ist, was er von ihnen begehrt, weiß ich jedoch nicht." Er überlegte einen Moment. "Elrond fragte mich auch nach einem Mann, ebenfalls ein Mensch. Vor dem Ringkrieg war er zuerst in Imladris, dann kam er nach Lórien. Es war ein junger Mann. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch dieser Mann etwas Besonderes war. Er war nur kurz in Lórien, und so fand ich es nicht heraus." Er sah Legolas an. "Er kam kurz bevor ihr, die Ringgefährten, hier eingetroffen seid, und ging am darauf folgenden Tag nach eurer Abreise." Nachdenklich blickte er in die Bäume. Dann sah er seinem Freund in die Augen. "So im Nachhinein gesehen, habe ich das Gefühl, dass er euch folgte."
"Was wollte dieser Mann?" fragte Legolas neugierig.
Haldir zuckte mit den Schultern. "Er war ein Reisender. Und er schien keine Angst vor uns zu haben, so, wie viele andere Menschen. Der Wald hat ihm den Zugang nicht verweigert, und die Herrin Galadriel hat ihm Einlass in unsere Stadt gewährt, also wusste ich, dass er nichts Böses im Sinn hatte."
Legolas blickte nachdenklich ins Leere. "Warum interessiert Elrond sich für diesen Mann?"
"Ich kann nur vermuten, dass er irgendeinen Zusammenhang zu dem Mädchen sieht, nachdem dieser Dämon verlangte." Als Haldir Melima erwähnte, zuckte Legolas unmerklich zusammen. Was konnte dieser Mann mit Melima zu tun haben?
Haldir beobachtete ihn aufmerksam. Ihm war die Reaktion seines Freundes nicht entgangen. War das der Grund seines Kummers?
°°°°°
Langsam fand Legolas seinen inneren Frieden und akzeptierte, dass er Melima für immer verloren hatte. Er würde sie immer lieben, und er war ihr dankbar, dass sie ihm dieses Gefühl der Liebe geschenkt hatte - auch wenn es schmerzte. Er hatte manchmal schon geglaubt, er wäre zu solchen Gefühlen nicht in der Lage, und sie hat ihm nun das Gegenteil gezeigt.
Der Aufenthalt hier in Lórien
tat ihm gut. Sein Herz war zwar immer noch schwer, dennoch hatte er
das Gefühl, das sich die Wunde langsam schloss. Eine große
Narbe würde jedoch sein ganzes Leben
zurückbleiben.
Gedankenverloren lehnte er an einem der
silbernen Stämme der großen Mallorn-Bäume und
knabberte an einem Grashalm, als ihn jemand ansprach.
"Entschuldigt, mein Herr. Hauptmann Haldir? Wo kann ich ihn finden?"
Legolas sah auf und erstarrte. Verunsichert blickte Macelius ihn an. "Mein Herr?"
Der Elbe traute seinen Augen nicht. Ohne Zweifel,
das war der Mann!
Langsam kam er wieder zu sich. "Entschuldigt
bitte. Hauptmann Haldir müsste dort hinten sein." Seine
Stimme klang heiser. Er zeigte in eine Richtung.
"Ich danke Euch." sagte Macelius, verbeugte sich kurz, und wollte in die von Legolas gezeigte Richtung gehen, doch dieser hielt ihn am Arm fest. Verblüfft sah ihn der Mann an.
"Wie geht es ihr?" fragte Legolas leise. Sein Herz klopfte wie verrückt.
Verwirrt sah Macelius ihn an. "Wen meint Ihr, mein Herr?"
"Melima. Mel... geht es ihr gut?"
Verstört blickte der junge Mann ihn an. "Ich... ich hoffe." sagte er. Ein Schatten überflog seine Augen, welches Legolas nicht entging.
"Wisst Ihr es denn nicht?" fragte der Elb erstaunt.
"Nein. Leider nicht." sagte er traurig. Prüfend blickte der Bote den Elben an. "Seid Ihr Legolas, der Prinz Eryn Lasgalen?"
"Ja, das bin ich." stutzte er.
"Dann, mein Herr, solltet Ihr es besser wissen als ich." Er sah ihm in die Augen. "Ihr seid derjenige, dem sie ihr Herz geschenkt hat - nicht mir."
Ungläubig sah Legolas ihn an. "Wie meint Ihr das? Seid Ihr nicht Marc?" fragte er.
"Nein, Herr." fragend sah er ihn an. "Ein Marc ist mir unbekannt. Mein Name ist Macelius."
Legolas wurde heiß und kalt zugleich. "Wie lange kennt ihr sie." Seine Stimme zitterte.
"Ich traf sie das erste Mal, als mich König Elessar als Bote nach Bruchtal schickte, kurz vor der Schlacht um Dol Guldur." Ein wenig misstrauisch sah der Mensch den Elben an.
"Oh, nein!" Erschüttert schloss Legolas die Augen. "Was habe ich getan? Warum habe ich nicht mir ihr gesprochen?" sagte er zu sich selbst.
"Sie hat auf Euch gewartet, Herr." Macelius sah ihn direkt an. "Sie liebt Euch. Mich jedenfalls wies sie zurück." Seine Stimme klang traurig.
Legolas sah ihn an. Er konnte es immer noch
nicht fassen. Wie konnte er einfach nur so davonlaufen. Es war alles
nur ein Missverständnis!
Hoffnung keimte in ihm auf. "Ich
danke Euch." sagte er mit leuchtenden Augen und rannte davon um
Haldir zu suchen.
°°°°°
Zur gleichen Zeit ritt eine Gruppe von fünf Gefährten entlang der letzten Ausläufer des Nebelgebirges im Süden. Es waren Elrond, Gimli, Melima und zwei Elben, Areneon und Filéon, die sie zum Schutz begleiteten.
Elrond hatte beschlossen, das Nebelgebirge zu umreiten. Der Weg über den Rothornpass wäre für Melima noch zu anstrengend gewesen. Sie kamen gut voran. Schon hatten sie den größten Teil des Dunlandes hinter sich gelassen, und würden am nächsten Tag den Isen überqueren.
Melima war sehr ruhig, oft in Gedanken
versunken. Aber die Reise schien ihr gut zu tun. Sie bekam wieder ein
wenig Farbe, und ihre Augen hatten ab und zu wieder dieses Leuchten,
welches sie früher hatten.
Sie beobachtete aufmerksam die
Landschaft die sie passierten. Oft stellte sie Elrond und Gimli
Fragen über die Orte, zum Beispiel das Nebelgebirge. Sie wusste,
dass sie auf den Spuren der Ringgefährten waren.
Interessiert
betrachtete sie die Berge, und verglich sie mit den Beschreibungen
aus den Büchern. Vieles passte ganz genau, so, als ob Tolkien
vor ihnen gestanden hatte, als er über sie schrieb.
"Unsinn!"
dachte Melima. "Er hat nicht über sie geschrieben, er hat
sie erfunden." Sie konnte ihre Anwesenheit hier in Mittelerde
nicht anders erklären, als dass sie irgendwie herein geraten ist
in die Geschichten, in die Bücher, in Tolkiens Welt. Trotzdem
war es immer noch schwer zu akzeptieren, dass das alles hier gar
nicht real sein sollte.
Sie verwarf den Gedanken und konzentrierte
sich auf den Weg, den sie noch vor sich hatten. Es war noch eine gute
Strecke, die sie zurücklegen mussten, doch ihr Herz klopfte bei
dem Gedanken schneller, dass sie ihn bald wiedersehen würde.
Elrond merkte, wie die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Legolas immer größer in ihr wurde, je näher sie Lórien kamen. Wieder erinnerte sie ihn an seine Tochter. Sie war ähnlich aufgewühlt gewesen, als er mit ihr zu König Elessar nach Gondor gereist war. Das Wiedersehen der beiden war sehr schön gewesen. Er musste zugeben, dass es ein Fehler gewesen wäre, wenn sie damals auf seinen Rat gehört hätte, und er war froh, dass seine sonst so gehorsame Tochter in diesem Fall nicht auf ihn gehört hatte, auch wenn er immer noch der Unsterblichkeit nachtrauerte, die sie ihrem Mann zuliebe abgeschworen hatte. Es war schwer für ihn zu wissen, dass er sie eines Tages verlieren würde.
Wieder warf er einen Blick auf Melima. Mit jedem Schritt, den die Pferde machten, schien ihre Anspannung anzuwachsen. Verträumt tätschelte sie ihrer Stute den Hals. Sie konnte sehr gut mit Tieren umgehen und hatte einen Blick für die Schönheiten der Natur. Sie war in vielen Dingen den Elben sehr ähnlich. Sie hatte einen sehr grazilen und leisen Schritt, ihre Körperhaltung war gerade und elegant. Wenn sie diese Sommersprossen auf der Nase nicht hätte, und man ihre Ohren nicht sehen würde, würde sie fast als eine, wenn auch eine etwas kleinere Elbe gehalten werden können.
Er überlegte, wie es wohl in ihrer anderen Welt war. Sie musste so ganz anders sein als Mittelerde. Nicht zuletzt, da es dort nur Menschen gab. Alles hier war neu für das Mädchen, alles betrachtete sie mit großen Augen und kindlicher Neugier.
Sie hatte ihm alles berichtet, was geschehen war, nachdem der Dämon sie niedergestreckt hatte. Sie hatte ihm erzählt, wie sie in der anderen Welt wieder zu sich gekommen war, und wie entsetzlich grau und kalt alles gewesen ist. Mit Tränen in den Augen hatte sie ihm erzählt, dass sie nicht wieder in dieser Welt leben konnte. Das sie nach Hause wollte.
Er lächelte. Ja, das waren ihre Worte gewesen. Sie wollte nach Hause. Sie hatte sich für Mittelerde entschieden - und er war sehr froh darüber.
°°°°°
Gedankenverloren saß sie nach einem langen Ritt am Feuer und starrte in die Flammen. Ein leises Lächeln zeigte sich auf ihrem Mund.
Wohlwollend beobachtete Elrond sie. Er musste nicht lange raten um zu wissen, an wen sie gerade dachte. Er wusste genau um ihre Gefühle. Auch er hatte einst die Liebe kennenlernen dürfen.
Seufzend dachte er an seine Frau. Sie war in den unsterblichen Gefilden und wartete auf ihn. Er würde sie wiedersehen. Irgendwann in ferner Zukunft. Er wusste, dass er Mittelerde noch nicht verlassen durfte. Ein Gefühl sagte ihm, dass er hier noch gebraucht werden würde.
Wieder sah er zu Melima. Er lächelte. Jetzt brauchte erst einmal sie seine Hilfe. Er hatte dieses Mädchen sehr lieb gewonnen und betrachtete sie wie eine Tochter. Es war schön, dass es wieder jemanden gab, um den er sich kümmern konnte. Arwen war in Gondor und hatte jetzt ihre eigene Familie, und seine Zwillingssöhne, Elladan und Elrohir, waren schon seit einigen Jahren in Lórien bei ihren Verwandten.
Aufmerksam betrachtete er seine neue Tochter. Zum Glück war ihre tiefe Wunde gut verheilt, so dass sie ein schnelles Tempo vorlegen konnten. Je schneller sich die beiden wieder sahen, umso besser. Wenn alles gut lief, würden sie in einer Woche in Lórien ankommen.
°°°°°
Nach
einer kurzen Erklärung an Haldir hatte Legolas ziemlich
überstürzt den Goldenen Wald verlassen.
Den Brief, den
Haldir kurz darauf von einem verstörten Boten Gondors
entgegennahm, erzählte ihm, was mit seinem Freund los war. Ja,
das erklärte so einiges an dem merkwürdigen Verhalten
Legolas. Er war also verliebt.
"Das wurde aber auch mal Zeit!" murmelte Haldir. "No galu govad gen." (10) flüsterte er und wünschte seinem Freund alles Gute.
°°°°°
Legolas ritt schnell und gönnte seinem Schimmel nur kurze Pausen. Sein Herz schlug schnell, wenn er an Melima dachte. Immer noch schalt er sich, weil er damals nicht mit ihr gesprochen hatte. Er hätte ihr, und auch sich selbst so viel Schmerz und Leid ersparen können.
Monate hatte er sie jetzt nicht gesehen, doch ihr Bild war so in sein Gedächtnis eingebrannt, das er nicht lange danach suchen musste. Sie war so wunderschön. Die blonden Haare, die Sommersprossen auf ihrer hübschen Nase, die Augen... Er liebte diese Augen. Noch nie hatte er ein solches Grün gesehen. Er erinnerte sich, wie er immer wieder in diese Augen eingetaucht war. In der letzten Nacht, in der er sie gesehen hatte, kurz bevor der Dämon sie mit seinem Schwert niedergestochen hatte, glaubte er, dass sie geglüht hatten.
Legolas verwarf den Gedanken. Augen fingen nicht einfach an zu glühen. Zumindest nicht, wenn sie nicht gerade von einem Dämon stammten. Und etwas Dämonisches hatte seine Melima nun wirklich nicht an sich. Sie war so bezaubernd. Sie hatte sich an all den Kleinigkeiten der Natur erfreut, die normalerweise nur Elben begeistern konnten.
Ein tiefes Seufzen kam aus seiner Brust. Nicht mehr lange, und er würde sie hoffentlich in seinen Armen spüren - und dieses Mal würde er sie nie wieder loslassen! Sie liebte ihn doch!
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(1)
Du hast eine lange Reise hinter dir.
(2) Wie fühlst du dich?
Erzähle mir deine Sorgen.
(3) Es geht mir gut.
(4)
Willkommen, Legolas, Prinz des Eryn Lasgalen, mein Freund. Ich bin
erfreut dich hier zu sehen.
(5) Ich freue mich dich zu
treffen.
(6) Komm rein! Möchtest du etwas Essen?
(7) Ich
grüße Euch, Herr! Ich bringe eine Botschaft, dem Herren
von Bruchtal
(8) Ich danke Euch
(9) Treuer Freund
(10) Möge
Glück dich begleiten
°°°°°
schööön! °seufz° langsam kommt der romantische teil... also, mädels: schoki und taschentücher fürs nächste kap bereithalten!
