Alte und neue Freunde
Die fünf Gefährten machten sich nun auf dem Weg nach Gondor. Minas Tirith war nur noch drei Tagesritte entfernt. Elrond freute sich seine Tochter und seine Enkelkinder wiederzusehen, und Legolas freute sich darauf, die Frau seines Herzens seinen Freunden vorzustellen.
Schließlich erreichten sie die Weiße Stadt. Sie war schon aus einiger Entfernung zu sehen, und glänzte ihnen mit ihren weißen Mauern entgegen.
Melima staunte. Sie war wirklich so schön, wie Tolkien sie in seinen Büchern beschrieben hatte. Ihre hohen Mauern glänzten strahlend weiß in der Sonne, und sie hatte einen großen Berg im Rücken. Hoch hob sich der Turm von Ecthelion, der innerhalb der obersten Mauer aufragte, klar vom Himmel ab, und die Sonnenstrahlen reflektierten seine weißen Mauern, welche silbrig schimmerten. Ein Kiel, wie der eines Schiffes, ging durch alle der sieben Ringe der Stadt, und ganz oben, in östliche Richtung blickend, war das Deck dieses Schiffes, welches über die Stadt hinausragte.
Langsam ritten sie die Straßen der sieben Ringe hinauf, die sich allmählich nach oben schraubten. Jeder Ring war in den Berg hinein gehauen und mit einer Mauer umgeben worden, und in jeder Mauer waren gewaltige Tore, viele Meter hoch, mit Metall, Holz und auch Mithril verstärkt. Die mit weißen Steinen gepflasterte Straße führte im Zickzack durch die sieben Tore der sieben Ringe am Berg entlang hinauf zur Feste.
Die gewaltigen Tore, die die einzelnen Wälle voneinander abtrennten, waren sehr eindruckvoll. Melima legte ihren Kopf in den Nacken und sah an ihnen hoch. Jetzt, zur Friedenszeit standen sie offen, doch es musste für die Orks während des Ringkrieges wirklich schwer gewesen sein, sie zu durchbrechen.
Melima sah sich staunend um. Es war alles weitaus gigantischer, als sie es sich jemals hätte vorstellen können. Die Mauern die sie umgaben, waren hoch, aber wenn sie hinauf sah, ganz nach oben, dann wurde ihr fast schwindelig, so hoch war es. Es schien, als wenn Minas Tirith in den Himmel hineinwuchs.
Doch nicht nur die Größe beeindruckte sie. Sie sah sich in den Straßen um. Blühende Bäume und schön beschnittene Büsche standen überall auf den Plätzen. Die Fenster und Balkone waren mit bunten Blumen geschmückt. Die Straßen und Häuser wirkten sauber und robust.
Sie blickte in die Straße. Menschen liefen dort lang, und grüßten sie freundlich. Sie passierten wunderschöne kleine Häuser, bunte Stände und gemütliche Gaststuben, die Reisenden aus ganz Mittelerde Unterkunft boten, und sie mit traditionellen Gerichten aus dem Königreich Gondors versorgten.
Auf der Straße herrschte ein reges Treiben. Sie ritten entlang von Marktständen, wo alles, was man zum Leben, Feinern oder Kämpfen brauchen konnte, in einer guten Qualität verkauft wurde.
Die Menschen wirkten zufrieden, glücklich und geschäftig. Frieden und Wohlstand war mit dem neuen König in die Stadt eingekehrt, die so lange ohne eine gute Führung leben musste.
Viele Menschen begrüßten sie freundlich, denn sowohl Legolas als auch Elrond, der Vater der Königin und Großvater des Thronprinzen, waren hier gut bekannt. Viele Hände wollten geschüttelt werden, und so kamen sie nur langsam voran.
Plötzlich kam eine alte Frau an Melimas Seite, griff nach den Zügeln des Pferdes, und brachte die Stute zum Halten. Melima sah die Frau freundlich an. „Guten Tag, Herrin."
Die alte Frau musterte sie einen Moment mit ihren blauen Augen, und übergab ihr dann eine Blume. Überrascht lächelte Melima sie an. „Ein Stiefmütterchen. Wie hübsch! Vielen Dank."
Prüfend blickte die Frau sie an. „Für eine seltene Blüte eine andere Blüte, die es in Mittelerde sonst nicht gibt." flüsterte ihr die Frau zu.
Verwirrt sah Melima die alte Frau an. „Ich weiß nicht…"
„Du wirst verstehen, mein Kind. Nimm dies." Lächelnd legte ihr die Frau ein Tuch in die Hand. „Du wirst es erkennen." Noch einmal drückte sie Melimas Hände, und sah sie mit feuchten Augen an. Dann verschwand sie in der Menschenmenge.
Verblüfft sah Melima ihr nach, doch die Frau war verschwunden. Vorsichtig öffnete sie das Tuch. Es war ein Ring darin. Er war golden und schlicht, doch in der Mitte war ein winziger Edelstein eingefasst. Er glitzerte in der Sonne und brach das Licht in allen Farben. Ein Diamant!
Erstaunt hob Melima den Kopf und sah sich nach der Frau um, doch nirgendwo konnte sie diese sehen.
„Kommst du, meleth nîn?" Legolas blickte über die Schulter und sah Melima fragend an.
Verwirrt wickelte sie den Ring wieder ein und steckte ihn und die Blüte in die Tasche ihres Umhangs.
„Ja, ich komme." Sie trieb ihre Stute wieder an. Mit einem letzten suchenden Blick auf die Menschen ritt sie weiter.
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Als sie schließlich ankamen, dachte Melima sie sei direkt im Himmel. Sie schritten sie letzten Stufen nach oben und betraten den Hohen Hof. Hier hatte man einen atemberaubenden Blick über die ganze Stadt und weiter Bereiche des Landes Gondor.
Sie übergaben ihre Pferde zwei jungen Burschen. Lächelnd führte Legolas die staunende Melima auf dem Platz des Springbrunnens an dem Weißen Baum vorbei, der wunderschöne, weiße Blüten trug, die sich zum Sonnenuntergang öffneten.
Nun waren sie am Fuße des Weißen Turms, der hoch und prächtig in den Himmel ragte. Das Banner des Königs flatterte an der Spitze fröhlich im Wind.
„Großvater! Onkel Legolas!" Ein kleiner Junge mit braunen Locken kam ihnen entgegen gerannt.
„Eldarion, endo nîn!" (1) Elrond fing lachend den Jungen auf. „Du bist gewachsen."
„Ich bin ja auch schon groß, und kann auch schon mit dem Bogen schießen. Onkel Legolas hat es mir gezeigt, und ich habe fleißig geübt." sagte der Junge stolz und umarmte seinen Großvater, der ihn an sich drückte.
„Ada, Legolas, wie schön dass ihr hier seid." Stürmisch begrüßte eine wunderschöne Frau die Männer, und umarmte herzlich ihren Vater. „Es ist so gut, euch zu sehen." Sie lächelte Elrond an. Dann drückte sie Legolas an sich. Prüfend blickte sie in seine Augen. Sie lächelte, und fuhr ihm sanft über die Wange.
Dann blickte sie auf Melima, die schüchtern an der Seite stand. Lächelnd ging sie auf sie zu. „Mae govannen. Du musst Melima sein." Freundlich sah die Königin sie an.
„Majestät." sagte Melima schüchtern und machte einen Knicks.
Arwen legte eine Hand unter Melimas Kinn, und sah ihr freundlich in die Augen. „Nenn mich bitte Arwen. Es freut mich, dich endlich kennenzulernen. Ich habe schon viel über dich gehört." Freundschaftlich nahm die Königin das Mädchen in die Arme.
„Elrond, Legolas, Gimli. Was für eine Freude, dass ihr hier seid." Aragorn umarmte seinen Schwiegervater vorsichtig, denn er hatte eine zarte Last auf seinen Armen.
Ein Leuchten trat in die Augen Elronds. Das war also seine Enkeltochter. Sanft nahm er das Kind entgegen. Sie schlief friedlich.
„Mellon nîn! Es ist gut dich so glücklich zu sehen." Freundschaftlich klopfte Aragorn, nach einem Seitenblick auf Melima, seinem Freund auf die Schulter.
„Aragorn, darf ich dir Melima vorstellen?" Sanft zog Legolas diese an sich.
„Wir sind uns ja schon einmal begegnet." Der König blickte Melima an und verbeugte sich leicht. „Es freut mich, dich wieder bei bester Gesundheit zu sehen." Freundlich lächelte er. Melima blickte ihn glücklich an. „Es ist gut, euch vereint zu sehen." lächelte Aragorn.
„Nun kommt erst mal herein und erzählt, wie es dazu gekommen ist. Ich bin sehr neugierig." lachte Arwen, und alle gingen hinein in die große Halle.
Auch von innen war der Palast prächtig. Wunderschöne Bilder verzierten die Wände. Es waren große Gemälde von den früheren Königen Gondors, den Vorfahren Aragorns.
Ehrfürchtig sah Melima sich um, und folgte Legolas und den anderen in einen hellen, gemütlich eingerichteten Raum mit einem großen Kamin. Ein warmes Feuer knisterte darin. Er war von wunderschönen Statuen und Schnitzereien verziert.
Sie setzten sich auf die weichen Kissen der Sessel und Bänke, und kurz darauf brachten Diener Tee und köstliches Gebäck. Dann mussten Legolas und Melima erst einmal alles von ihrem Wiedersehen erzählen.
Aragorn und Arwen lächelten sich verschwörerisch an, als Legolas berichtete, wie er Macelius in Lórien begegnet war, und ihm dadurch sein schrecklicher Fehler bewusst geworden ist.
„Wie wir es gehofft hatten, ist der Bote zur Nachricht geworden." lachte Aragorn und drücke zärtlich die Hand seiner Frau.
Verblüfft sah Legolas seinen Freund an. Dann verstand er und auch er lachte. „Wie so oft warst du weitsichtiger als ich, mein Freund." Sanft zog er Melima an sich und sah ihr zufrieden in die Augen.
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Es wurde ein sehr schöner, langer Abend mit alten und neuen Freunden. Sie hatten einander viel zu erzählen.
Ungläubig sahen Aragorn und Arwen Melima an, als Elrond ihre Vergangenheit preisgab.
„Wie ist das möglich, Elrond?" frage Aragorn.
„Wenn ich das wüsste, mein Sohn." lächelte er. „Ich habe zwar schon vieles in diesen Landen gesehen, doch so ein Mensch, wie Melima einer ist, ist wahrlich selten anzutreffen in Mittelerde."
Gimli grinste sie an. „Ich wusste sehr wohl, dass du etwas Besonderes bist, mein Kind. Schon, als Legolas dich in dem Troll-Wald fand, und ich deine merkwürdigen Gewänder sah. Jetzt erklärt sich auch, warum du noch nie einen Zwerg gesehen hast." lachte er. „Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, wie es eine Welt ohne Zwerge geben soll."
„Inzwischen kann ich es mir auch nicht mehr vorstellen, Gimli." lachte Melima ausgelassen. „Sie würden die andere Welt zweifelsohne bereichern."
Melima fühlte sich sehr wohl. Alle waren freundlich zu ihr. Sie mochte Arwen auf Anhieb. Die beiden Frauen verstanden sich sehr gut, was Legolas und Aragorn zufrieden beobachteten. So wurden aus den Frauen der besten Freunde die besten Freundinnen. Besser konnte es ja gar nicht sein!
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Erst spät suchten sie ihre Gemächer auf. Schüchtern sah Legolas sie an. „Möchtest du… Ich meine, wenn du nicht willst…" stotterte er ein wenig hilflos.
„Ich würde gerne mit dir ein Bett teilen." flüsterte Melima und ergriff Legolas Hand. Die letzten Wochen hatten sie jede Nacht unter freiem Himmel Arm in Arm miteinander verbracht, aber jetzt in einem Gemach, das war schon etwas anderes. Hier waren sie alleine, und Wände und Türen trennten sie vor fremden Blicken.
Zärtlich hielt Legolas ihre Hand, als er sie in seine Räume führte, in denen er schon so oft genächtigt hatte – bis jetzt allerdings immer alleine.
Melima sah sich staunend um. Das Zimmer war groß, hell und freundlich. Helle Möbel und große Fenster verbreiteten eine gemütliche Stimmung. Frische Blumen standen überall und verbreiteten einen betörenden Duft.
Sie ging an das geöffnete Fenster und blickte in die sternenklare Nacht. Legolas kam an ihre Seite und umarmte sie zärtlich.
„Es ist wunderschön hier." sagte sie.
„Das stimmt." pflichtete Legolas ihr zu. „Diese Mauern sind schon etwas ganz Besonderes. Lange Jahre habe ich nach dem Ringkrieg hier verbracht. Es war eine harte Arbeit, die Stadt wieder aufzubauen und die Menschen wieder zu ermutigen."
Melima seufzte, und lehnte sich an seine starke Brust. „Weißt du, dass ich glücklich bin?" fragte sie leise.
Legolas lächelte. „Und weißt du, dass ich dich über alles liebe?" Zärtlich küsste er sie auf die Stirn. Sie drehte sich in seinen Armen und sah ihn an. Sanft fuhr sie über sein Gesicht. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die weichen Lippen.
„Nimm mich ganz fest in die Arme, heute Nacht, damit ich weiß, dass ich das alles nicht träume." hauchte sie.
„Wenn es ein Traum ist, dann träume ich ihn auch." Behutsam küsste er sie. Dann sah er ihr in die Augen. „Und dann ist es ein guter Traum." Fest nahm er sie in die Arme.
Als sie sich voneinander lösten, drehte Legolas sich taktvoll um, damit Melima in ihr Nachthemd schlüpfen konnte. Eng zog er sie dann in dem großen Bett an sich. Sanft strich er ihr über das weiche Haar. Es war so gut ihr so nahe zu sein. Es war vollkommen.
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Der nächste Tag war wieder sonnig und warm. Melima hatte herrlich geschlafen. Es war schön gewesen, Legolas so nah an ihrem Körper zu spüren.
Verträumt kämmte sie ihr Haar und hörte ihm zu, wie er im Bad fröhlich vor sich hin sang. Er hatte eine wunderschöne und helle Gesangsstimme, wie alle Elben sie besaßen.
Plötzlich fiel ihr die alte Frau ein, die ihr am vorigen Tag diesen Ring gegeben hatte. Sie hatte ihn völlig vergessen.
Sie stand auf und suchte in den Taschen ihres Umhangs. Behutsam holte sie die Blüte und das kleine Bündel aus der Tasche. Vorsichtig öffnete sie das Tuch und sah den Ring an. Warum hatte ihn die alte Frau ihr gegeben. Und was meinte sie mit ihren Worten?
Sie betrachtete den Ring genauer. Was würde sie erkennen? Das Schmuckstück war zart und schlicht. Er war aus Gold, und der Diamant glitzerte in schillernden Farben.
Doch was war das? Eine Gravur war auf der Innenseite zu erkennen. Melima hielt den Ring ins Licht und sah genauer hin.
Elisabeth & Thomas ° 20.06.1923
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Melima sah den Ring ungläubig an. 1923? Es war ein Ehering aus dem Jahre 1923! Er musste aus ihrer Welt sein!
Ihre Hände begannen zu zittern. Was hatte das zu bedeuten? Woher hatte diese alte Dame gewusst, dass sie auch aus der anderen Welt war? Sie musste diese Frau unbedingt finden!
Fröhlich pfeifend kam Legolas in den Raum. Er bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. „Was ist los, Liebste? Was ist geschehen?" fragte er. Dann sah er, was sie in den Händen hielt. Verblüfft sah er auf die Blüte. „Was ist das für eine Blume? Solch eine Pflanze habe ich noch nie gesehen." Dann sah er den Ring. „Melima, was hat das zu bedeuten?"
Sie sah ihn mit großen Augen an. Hoffnung leuchtete in dem Grün auf. „Es war ein Geschenk von einer Frau aus meiner Welt." flüsterte sie.
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Schnell hatte sie Legolas alles erklärt. „Und du glaubst, dass diese Frau aus deiner Welt kommt?" Ungläubig blickte er von Melima auf den Ring und schließlich auf die Blüte. „Was ist das für eine Blume? Ich habe sie noch nie gesehen. Solch eine Pflanze wächst nicht in Mittelerde. Dir ist sie bekannt?"
„Aber ja, in der anderen Welt wächst sie in jedem Garten. Es ist ein Stiefmütterchen. Ich habe sie erkannt, und so hatte die alte Frau gewusst, dass ich nicht aus Mittelerde komme." erklärte Melima. Dann sah sie Legolas entschlossen an. „Wir müssen sie finden."
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Beim Frühstück erzählten sie ihren Freunden davon.
Aragorn hatte nachdenklich die Stirn in Falten gelegt. „Der Name Elisabeth ist mir unbekannt, und deine Beschreibung trifft auf viele alte Frauen zu, Melima." Als er ihr betroffenes Gesicht sah, sah er sie aufmunternd an. „Ich werde sogleich einige Männer hinunter in die Stadt schicken, die sich nach ihr erkundigen sollen. Wir werden sie finden!"
Hoffnungsvoll sah sie ihre Freunde an. Dann wandte sie sich an Legolas. „Trotzdem möchte ich selbst nach ihr suchen. Sie hat mich einmal gefunden. Vielleicht hält sie Ausschau nach mir."
Legolas nickte ihr zu. „Wir gehen gleich los."
Schon kurz später machten sie sich auf dem Weg. Gimli begleitete sie. Sie gingen langsam an den Häusern und Ständen vorbei, und Melima sah jeder älteren Frau aufmerksam ins Gesicht.
Stunden suchten sie, doch noch immer gab es keine Spur dieser Frau. Wir müssen sie einfach finden." flüsterte Melima enttäuscht.
Sanft drückte Legolas ihre Hand. „Vielleicht haben die Männer Aragorns sie schon aufgespürt." sagte er tröstend.
Verzweifelt blickte sie ihn an. Dann hörte sie eine Stimme hinter sich. „Du suchst mich?"
Melima wirbelte herum, und sah in das Gesicht der alten Frau, die sie schmunzelnd ansah. Legolas war überrascht. Wo ist sie plötzlich hergekommen?
„Ja. Ich muss dringend mit Euch sprechen." sagte sie schnell.
„Das habe ich mir gedacht. Ich beobachte euch schon eine ganze Weile." lächelte sie. „Kommt mit in mein Haus. Dort sind wir ungestört."
Langsam führte sie die gebrechliche Frau durch eine kleine Gasse zu einer hölzernen Tür. Legolas duckte sich ein wenig, als er hindurch ging. Es war ein kleines Häuschen. Ein urig eingerichtetes Wohnzimmer empfing sie.
„Setzt euch. Ich mache Tee." sagte die Frau und ging schlurfend in die kleine Küche.
Melima sah sich um. Dieser Raum war anders als andere Räume in Mittelerde. Irgendwie erinnerte alles ein wenig an das alte Haus ihrer Großmutter.
Auf der kleinen Fensterbank standen Töpfe mit Stiefmütterchen in verschiedenen Farben. Fasziniert sah Legolas sich die Blüten und Blätter dieser Pflanze an.
Die alte Dame kam mit einem Tablett herein. Sie lächelte, als sie den Elben sah. Sie schenkte ihnen allen eine Tasse Tee ein und setzte sich ächzend in einen Sessel.
„Du hast also verstanden, was ich dir mitteilen wollte." Sie sah Melima aufmerksam an. Diese nickte und legte den Ring und die Blüte auf den Tisch. Die wasserblauen Augen der Frau ruhten einen Moment auf dem Mädchen. „Du bist nicht von hier, genauso wie ich. Ansonsten hättest du meine Hinweise nicht verstanden. Wie heißt du, mein Kind?"
„Mein Name war Melanie. Nun werde ich Melima genannt. Seit wann seid Ihr hier? Und wie seid Ihr hier her gekommen? „ fragte sie.
Die alte Frau machte eine abfällige Handbewegung. „Ich weiß es gar nicht so genau, mein Kind. Als mein Mann, mein Thomas, 1969 starb, wollte ich nicht ohne ihn sein." erzählte sie. „So nahm ich sämtliche Pillen und Tabletten, die in unserem Haus herumlagen, schluckte sie, und legte mich neben ihn, um ebenfalls zu sterben." Sie lächelte. „Ich erwachte hier in Mittelerde. Zuerst glaubte ich, ich würde das alles nur träumen. Doch alles hier ist real." Verschmitzt lächelte sie das junge Mädchen an. „Du würdest gerne wissen, warum ich wusste, dass du ebenfalls aus der anderen Welt stammst, oder?" Stumm nickte Melima. „Weißt du, mein Kind, nach den Jahren bekommt man einen Blick dafür. Ich habe noch nicht viele von uns getroffen, aber ich wusste sofort, dass du anders bist. Als du dann die Blume, die ich dir reichte erkanntest, da war ich mir sicher."
„Wo kommt sie her? In Mittelerde gibt es sie doch gar nicht." fragte Melima.
„Nein, das ist wahr. Es gibt sie nur hier, in diesem Haus und an wenigen anderen Orten. Kurz bevor mein Mann gestorben ist, hatte ich in meinem Kittel ein paar Samen dieser Pflanze. Ich hatte ihn noch an, als ich hier aufwachte."
„Dann seid Ihr also Elisabeth. Dies ist Euer Ring." sagte Melima und streckte ihr das Schmuckstück entgegen.
„Ja, ich bin Elisabeth. Das heißt, ich war Elisabeth. Hier ist mein Name Élisara." Sie nahm die Hand des Mädchens und schloss sie mit ihren Händen. „Den Ring benötige ich hier nicht mehr. Er ist nicht mehr als ein Andenken an die alte Welt. Doch eigentlich möchte ich gar nicht so oft an sie erinnert werden." Aufmerksam musterte die alte Frau Melima. „Außerdem habe ich das Gefühl, du könntest ihn noch einmal gebrauchen." Gütig lächelte sie. „Ich möchte, dass du ihn nimmst. Er soll dich daran erinnern, dass du hier in Mittelerde nicht alleine bist wenn du auf dem Weg nach Westen bist."
Legolas horchte auf. Auf dem Weg nach Westen? Was hatte das zu bedeuten?
Melima schüttelte den Kopf. „Aber was ist mit Euch? Das ist Euer Ehering. Ich kann ihn unmöglich annehmen."
„Was soll ich mit einem Ring aus einer anderen Welt, wenn ich meinen Mann hier an meiner Seite habe?" Sie lächelte geheimnisvoll. Dann stand sie schwerfällig auf und ging zur Tür. Sie kam wieder und ein rüstiger, alter Mann begleitete sie. Er hatte einfache Arbeitskleidung an und einen Hammer in der Hand. Freundlich nickte er den dreien zu, die ihn verblüfft ansahen.
„Das ist sie also?" Lächelnd betrachtete er sie. „Es freut mich, dich kennenzulernen, mein Kind. Ich bin Thomas, oder besser gesagt Thamos."
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„Es ist unglaublich! Das beide nach ihrem Tod hierher gekommen sind. Das sie sich wieder gefunden haben." Melima war aufgeregt. Zwar konnte – oder wollte – ihnen das alte Ehepaar nicht viel erzählen, aber es war für sie dennoch beruhigend zu wissen, dass sie nicht allein in Mittelerde war.
Sie sah an ihre Hand. Der Ring passte ihr ganz genau. Sie trug ihn an dem Ringfinger ihrer linken Hand.
Legolas betrachtete sie einen Moment. Er wusste nicht, was er von der ganzen Situation halten sollte. Irgendwie hatte er das Gefühl, das ihnen das alte Paar irgendetwas verschwiegen hatte. Élisara hatte gesagt, dass sie den Ring tragen sollte, wenn sie auf dem Weg nach Westen wäre. Was sie jedoch in der Richtung finden würden, darüber schwieg sich die alte Dame schmunzelnd aus. Sie hatte dem Elb nur noch einmal fröhlich zugezwinkert.
Doch Melima ging es jetzt sehr viel besser. Sie wusste nun, dass sie nicht die einzige war, und das war ein beruhigendes Gefühl. Doch leider konnten ihr die beiden alten Menschen nicht erzählen, wie sie hierher gekommen war, doch das wurde immer unwichtiger für sie. Die Hauptsache war, dass sie hier war.
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„Sie ist wirklich eine melima!" sagte Aragorn. Er, Legolas und Gimli beobachteten die beiden Frauen, die in der Sonne saßen, und sich angeregt unterhielten.
„Ja, du hast Recht, mellon nîn. Ich war noch nie so glücklich." seufzte er. Melima hatte die kleine Silwen auf dem Arm und fühlte sich offensichtlich sehr wohl damit. Sie liebte Kinder, das sah er.
„Einen wirklich guten Fund hast du da gemacht, damals im Wald." grinste Gimli und klopfte seinem Freund lobend auf die Schultern.
„Es freut mich, dass ihr sie mögt." lächelte Legolas.
„Man kann gar nicht anders. Arwen ist derselben Meinung. Sie verstehen sich prächtig." sagte Aragorn und sah zu den Frauen rüber.
Verträumt beobachtete Legolas seine Melima. Sie war so schön, mit dem Baby auf dem Arm. Er lächelte. Auch er wünschte sich Kinder. Dann hätte auch er endlich eine Familie. Wie auf Kommando strahle sie ihn glücklich an und ihre Augen sagten ihm, dass sie denselben Wunsch hatte.
Doch erstmal mussten sie diesen Mann finden. Erstmal mussten sie erfahren, was er wohlmöglich über ihr Hiersein wusste, und was ihnen das alte Ehepaar nicht verraten wollte. Und sie mussten sich beeilen. Die Zeit rannte ihnen davon. Er hatte schließlich nicht vor, Melimas kurzes Leben damit zu verbringen, hinter einem Mann herzujagen.
Ein Schatten setzte sich auf seine Augen. Warum musste sie nur sterblich sein?
„Onkel Legolas!" die kindliche Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Sieh nur, Großvater hat mir einen neuen Bogen geschenkt. Wollen wir damit üben?" Aufgeregt lief der Kleine auf ihn zu.
„Natürlich, tithen matheor nîn."(2) Lachend ließ er sich von dem kleinen Jungen an der Hand davonziehen.
Lächelnd sah Arwen ihre neue Freundin an, die Legolas und ihren Sohn verträumt beobachtete.
„Du machst ihn sehr glücklich. Noch nie habe ich ihn so gesehen, und ich kenne ihn schon fast mein ganzes Leben."
„Ich war auch noch nie so glücklich. Alles ist einfach Perfekt." lächelte Melima verträumt, und strich behutsam über das Gesicht des Babys.
„Es ist schön, dass ihr euch gefunden habt. Ich freue mich sehr für euch." sagte Arwen. Sie mochte dieses Mädchen und wusste, dass sie und Legolas für einander geschaffen waren.
„Ja." seufzte sie. Dann zog ein Schatten über ihre Augen. „Wenn mir doch nur mehr Zeit bliebe…" flüsterte Melima traurig.
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Am späten Nachmittag machten Legolas und Melima einen Ausritt auf Askar. Melima saß vor Legolas und lehnte sich mit dem Rücken an ihn. Er umarmte sie liebevoll und küsste sie sanft auf den Hals.
Sie ritten an der Stadt Osgiliath vorbei, die ebenfalls zu einem Teil schon wieder aufgebaut worden war.
Am Ufer des Anduin machten sie Halt. Sie setzten sich auf einen großen Stein und beobachteten den Sonnenuntergang. Seufzend kuschelte sich Melima an ihn.
Lange sagten sie nichts. Sie saßen Schweigend dicht beieinander und genossen den Frieden und die Nähe des anderen. Sie brauchten keine Worte um sich einander zu verständigen. Ihre Herzen sprachen miteinander.
Doch Melima wusste, dass sie über etwas reden mussten. Legolas wusste es ebenso, doch beide scheuten sich noch davor. Betroffen sah sie ihn an. Die untergehende Sonne bestrahlte sein schönes Gesicht. Wenn sie eines Tages alt und hässlich sein würde, wäre er immer noch so jung und schön wie heute. Ihre Lebensspanne war, in dem Leben eines Elben nur ein kurzer Augenblick. Konnte sie von ihm verlangen, dass er bei ihr blieb?
Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen. „Was geschieht mit uns, wenn ich irgendwann einmal alt bin?" fragte sie leise.
„Mach dir darüber keine Gedanken, meleth nîn. Gwestin im na cen uireb."(3) Sanft streichelte er ihr Gesicht. „Dann werde ich dich immer noch genauso lieben, wie ich es heute tue." sagte Legolas, und strich ihr sanft über das Gesicht.
„Ich weiß nicht, ob ich es ertragen kann, zu wissen, dass du mir dein Herz geschenkt hast, und wenn ich tot bin, du wieder alleine sein musst. Vielleicht…" sie stockte. „Vielleicht wäre eine Elbenfrau besser für dich…" Tränen brannten in ihren Augen.
„Besser für mich?" Er zog die Augenbrauen hoch. „Wie kann eine Frau, die nicht du bist, besser sein für mich?" Er nahm sie an den Schultern und sah sie ernst an. „Du bist die einzige Frau für mich. Ich lebe schon fast dreitausend Jahre auf dieser Welt, und du bist die erste Frau, die ich wirklich liebe. Wie könnte eine andere Frau besser sein für mich? Nur, weil sie länger lebt als du?" Zärtlich wischte er eine Träne von ihrer Wange. „Du bist die einzige Frau in meinem Leben, hörst du? Und wir sollten die Zeit, die wir haben nicht mit solchen sinnlosen Gesprächen vertun." Aufmunternd lächelte er sie an. „Melima. Es ist nicht wichtig, wie viel Zeit wir miteinander haben. Es ist nur wichtig, was wir aus dieser Zeit machen."
Melima schluchzte auf und fiel ihm in die Arme. „Es tut mir Leid, Legolas, es ist nur so schwer…"
„Ich weiß, meleth nîn. Ich weiß." Beruhigend strich er ihr über das weiche Haar. Er war sich sicher, dass er sie immer so lieben würde, egal wie alt oder hässlich sie wäre. Aber könnte er ihr beim Sterben zusehen?
Sie saßen noch lange schweigend dort und genossen die Nähe des anderen. Die Herzen von beiden waren einerseits ein wenig leichter, andererseits hatte dieses Gespräch nichts an den Tatsachen verändert.
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Trotz ihrer Sorgen, versuchten sie den Aufenthalt in der Weißen Stadt zu genießen. Sie würden nicht mehr lange bleiben. Sie wollten noch den Ende des Sommers für ihre Suche nutzen. Bald schon würden Melima, Legolas und Gimli weiterziehen, auf der Suche nach einem Mann namens Tôlkíen.
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(1) mein Enkel
(2) mein kleiner Krieger
(3) Ich schwöre ich werde ewig bei dir sein
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Noch mehr Rätsel… Was hat es mit diesem alten Ehepaar nur auf sich? Und wann zum Henker werden Lexi und Melima endlich… ihr werdet ja sehen!
