Reise in die Zukunft

Alles war perfekt. Jeden Morgen wachte sie in seinen Armen auf, nachdem sie in ihnen eingeschlafen war. Und bald würde sie seine Frau sein! Melima lächelte verträumt bei dem Gedanken. Nie war sie so glücklich gewesen.

Sie mochte gar nicht daran denken, was passiert wäre, wenn sie damals nicht nach Mittelerde gekommen wäre. Inzwischen war sie Marc unendlich dankbar für seinen Treuebruch. Sie würde immer noch jeden Tag stundenlang in der Bücherei sitzen, einsam und alleine ihre Abende verbringen, und von der großen Liebe träumen, die ihr in der Welt wahrscheinlich niemals begegnet wäre.

Sie wischte diese düsteren Gedanken beiseite. Zum Glück ist es ja anders gekommen.

Seufzend hielt sie die Nase in die Sonne, die mit, langsam intensiveren Strahlen, durch das Blätterdach strahlte. Es wurde Frühling. Sie konnte ihn riechen. Der ganze Winter war zwar hier, in der Stadt der Blätter, frühlingshaft gewesen, doch jetzt war die Luft erfüllt mit Gerüchen und Geräuschen, die nur diese Jahreszeit besaß.

Erneut seufzte sie. Der Schnee schmolz, die Sonne schien länger und intensiver, und die Luft wurde langsam wieder wärmer. Die gelben Blüten der Mallorn-Bäume brachen schon vereinzelt ihre Knospen auf. Bald würde hier alles in wundervoller Blüte stehen. Das bedeutete, dass sie sich bald auf dem Weg nach Eryn Lasgalen machen würden, um Legolas Vater zu besuchen. Und auch, um dort zu heiraten, denn so war es Legolas Wunsch. Er wollte sie in seiner Heimat zur Frau nehmen, und sie war einverstanden mit dieser Entscheidung.

Sobald der Schnee geschmolzen war und die Wege wieder frei waren, schickten sie Boten nach Bruchtal, Minas Tirith, Edoras und Hobbingen um ihren Freunden ihre Verlobung, und die Hochzeit in Eryn Lasgalen mitzuteilen.

°°°°°

Eines Tages im Frühling am späten Nachmittag lagen Melima und Legolas verträumt unter einem der Mallorn-Bäume. Sie waren an den Rand des Waldes geritten und genossen die warmen Sonnenstrahlen.

„Weiß du eigentlich, was heute für ein Tag ist?" Legolas strich seiner Melima zärtlich über den Rücken.

„Heute?" Sie überlegte einen Moment. „Hier in Lórien vergeht die Zeit so, dass ich sie nicht greifen kann. Ich weiß noch nicht einmal, wie lange wir schon hier sind." Dann sah sie ihn neugierig an. „Was ist heute für ein Tag?"

Geheimnisvoll lächelte er. „Heute vor genau einem Jahr bist du zu mir gekommen." sagte er und strich ihr sanft über das Gesicht. „Heute vor genau einem Jahr habe ich dich im Wald gefunden." Behutsam fuhr er ihr über den Arm, der damals gebrochen war.

„Wirklich?" fragte sie lächelnd. Gedankenverloren legte sie ihre Wange auf seine Brust und sah hinauf in die Bäume. Die Sonne funkelte durch die Blätter. „Ein Jahr bin ich schon hier?" Dann sah sie ihn an und lächelte. „Ein Jahr bin ich erst hier?" Zärtlich strich sie ihm über den Arm. „Es ist merkwürdig. Einerseits kommt es mir vor, als wäre ich erst gestern nach Mittelerde gekommen, und andererseits denke ich, ich bin schon seit einhundert Jahren hier."

„Ja, du hast viel erlebt in diesem Jahr, meleth nîn."

Melima nickte. „Das ist wohl wahr." Dann sah sie ihn grinsend an. „Nun, endo nîn, ich hoffe doch, es wird jetzt nicht langweilig werden?"

Legolas grinste. „Dafür werde ich schon sorgen, Liebste. Und wenn ich zu deiner Zerstreuung ein paar Orks fangen muss." Dann drehte er sie auf den Rücken und kitzelte sie. Melima kicherte und versuchte sich zu wehren.

„Orks? Nein, da musst du dir schon etwas Spannenderes einfallen lassen!" lachte sie.

Legolas hielt inne, strich ihr über das Gesicht, und lächelte sie zärtlich an. „Da würde mir schon etwas einfallen. Etwas, was dich den ganzen Tag lang beschäftigt. Etwas, um was du dich den ganzen Tag kümmern musst…"

„Ach ja?" Melima verstand, was er ihr sagen wollte und lächelte ihn an. „Dann komm zu mir, melindo! Ohne deine Hilfe wird es nicht gehen."

Sie sahen sich tief in die Augen. Dann zog sie seinen Kopf hinunter und küsste ihn.

°°°°°

Einen Monat später machten sich die beiden auf dem Weg. Der Frühling war jetzt in jeder Pflanze und jedem Tier sichtbar. Alles blühte, lebte, duftete.

Der Abschied von Haldir war herzlich. So viel Mühe hatte er sich gemacht, ihnen den Aufenthalt hier in Lórien so schön wie möglich zu machen. Er hatte sie noch bis zu dem Rand des Waldes begleitet. Nun standen sich die drei Freunde gegenüber.

„Ich danke dir, mellon nîn." Legolas sah seinem Freund ins Gesicht, und legte eine Hand auf seine Schulter. „Für alles."

Haldir erwiderte die Geste. „Es war schön, dass ihr hier ward." Dann sah er zu Melima und verbeugte sich leicht. „Es war mit eine große Ehre, dich kennenlernen zu dürfen, unsterbliches Menschenkind. Wir haben dir viel zu verdanken."

Melima blickte ihn lächelnd an. „Ich würde es jederzeit wieder tun, auch nur, um die Schönheit Lóriens zu wahren." Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen, und zog den blonden Elben an sich. „Ich danke dir für alles, Haldir." Überrascht von der Umarmung, schloss auch Haldir lächelnd seine Arme um sie.

„Lin galu." (1) rief Haldir ihnen hinterher. Sie sahen sich noch einmal um, und winkten ihrem Freund zum Abschied zu.

„Wir sehen uns bald in meiner Heimat." sagte Legolas laut und winkte ebenfalls.

Ein wenig wehmütig, entfernten sie sich von dem Wald. Sie waren traurig, ihn wieder zu verlassen, dennoch war es für sie schön wieder unterwegs zu sein, denn dieser Ritt war ein Ritt in ihre Zukunft.

°°°°°

Am zweiten Tag kamen sie zum Saum seines Heimatwaldes. Melima sah sich staunend um, als sie durch den Wald ritten. Der „Wald der grünen Blätter" trug seinen Namen zu Recht. Die Bäume waren zwar bei Weitem nicht so groß, wie die in Lórien, aber dafür von einem satten grün. Vögel zwitscherten und flogen durch die Äste, die Melima noch nie gehört oder gesehen hatte.

Legolas beobachtete sie aufmerksam und freute sich, dass sie seine Heimat mochte. Aber auch sie ließ ihren Verlobten nicht aus den Augen. Er schien nervöser zu werden, je näher sie dem Reich seines Vaters kamen. Ihr ging es allerdings nicht viel anders. Schließlich sollte sie bald ihrem zukünftigen Schwiegervater begegnen.

°°°°°

Nach ein paar Tagen kamen sie endlich in die Nähe des Palastes. Auf dem letzten Weg, mussten sie viele Pausen einlegen, um alte Freunde, Verwandte und Bekannte von Legolas zu begrüßen.

„Adomír." Lachend entdeckte Legolas ein bekanntes Gesicht. „Es freut mich, dich zu sehen." Elegant sprang er von Askar und begrüßte seinen alten Freund. „Wie geht es dir, mellon nîn?" Es war der Hochgewachsene, dunkelhaarige Elb, der mit Legolas Seite an Seite in der Schlacht um Dol Guldur gekämpft hatte.

„Gut, mein Freund. Es ist schön, dich zu sehen." Der hübsche Mann legte freundschaftlich seine Hände auf die Schultern von Legolas. Dieser strahlte ihn an.

„Adomír, darf ich dir Melima vorstellen?" Er zeigte auf die junge Frau, sie lächelnd auf der Fuchsstute saß und geduldig wartete.

Der Elb kam auf sie zu und nahm ihre Hand. Lange sah er ihr in die Augen, dann hauchte er einen Kuss auf ihren Handrücken.

„Wunderschöne Melima, es ist mir eine Ehre Euch kennenzulernen." sagte er, und lächelte sie bezaubernd an. Er sah nicht nur gut aus, er wusste auch darum und flirtete selbstbewusst mit ihr.

Legolas schüttelte lachend den Kopf. Schon immer war dieser Elb ein Schürzenjäger und umgarnte alle schönen Frauen. „Hey, alter Freund, pass auf mit wem du flirtest! Sie ist meine…"

„Legolas?" Eine helle Stimme ließ ihn herumfahren.

„Namíra!" rief er. Stürmisch nahm er eine junge, hellblonde Elbe in die Arme. Dann betrachtete er diese. „Meine Güte, hast du dich verändert! Du bist ja erwachsen geworden. Und eine Schönheit dazu!"

Die junge Elbe wurde ein wenig rot und sah ihn mit leuchtenden Augen an.

„Es muss schon ein Jahrtausend her sein, dass ich dich das letzte Mal sah." sagte er.

„Achthundertdreiundsiebzig Jahre, fünf Monate und zwölf Tage." sagte sie leise.

Verblüfft sah Legolas sie an und lächelte. „So genau weißt du es noch?" fragte er erstaunt. Dann lächelte er sie an, wandte er sich wieder seinem Freund zu, und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Wir sehen uns hoffentlich bald, mellon nîn. Ich will jetzt erst mal zu meinem Vater."

„Natürlich. Heute Abend auf dem Fest werden wir uns treffen." lachte der Elb und küsste erneut Melimas Hand. „Herrin, ich hoffe auch Euch dort zu sehen, heute Abend." Dann wandte er sich zu der jungen Elbe. „Komm Schwesterherz. Wir haben noch viel zu erledigen." Doch diese bewegte sich nicht. Sie stand da und beobachtete Legolas verträumt, als er wieder auf seinen Hengst stieg. Dieser lachte sie noch einmal an, bevor er in Richtung Palast ritt.

°°°°°

Beide hatten, kurz bevor sie bei dem Palast des Königs ankamen, ihre besten Kleider angezogen, um auch den richtigen Eindruck bei dem Elbenkönig zu hinterlassen. So hatte Legolas sein grünes, einfaches Reisegewand gegen eine helle, mit Stickereien verzierte Tunika, eine hellblaue Hose und seine weichen Lederstiefel eingetauscht.

Melima sah in ihrem cremefarbenen Kleid aus Lórien, welches aus mehreren dünnen Lagen bestand, wunderschön aus. Es hatte einen breiten Ausschnitt und lange, weite Ärmel. Legolas hatte in ihre Haare einige dünne Zöpfe geflochten.

Der König wusste natürlich schon von der bevorstehenden Ankunft seines Sohnes und hatte zu dessen Ehren ein Fest geplant. Er hatte sich sehr verändert seit der Versöhnung mit seinem Sohn. Er war fröhlicher und lebenslustiger als früher, und grübelte nicht mehr so viel. Er hatte jetzt oft gute Laune, was früher selten vorgekommen war, und sein Volk, aber vor allem seine Dienerschaft, war glücklich und erleichtert darüber.

Als Legolas seiner Melima gerade vom Pferd half, kam er ihnen lachend entgegen. „Mein Sohn, es ist schön dass du kommst. Ich freue mich!" Erfreut nahm er seinen Sohn in die Arme. Dann sah er ihm prüfend in die blauen Augen. Diese hatten sich verändert seit ihrer letzten Begegnung bei Dol Guldur. Das Blau strahlte förmlich aus seinen Augen. Dieses Strahlen hatte er das letzte Mal gesehen, bevor seine Frau und Legolas Mutter gestorben war, vor tausenden von Jahren.

„Vater, ich freue mich auch." Glücklich sah er ihn an. Dann nahm er Melimas Hand. Erst jetzt registrierte Thranduil die junge Frau an der Seite seines Sohnes. Neugierig betrachtete er sie.

„Vater, darf ich dir Melima vorstellen? Sie ist meine Verlobte." sagte Legolas ernst.

„Verlobte?" Erstaunt blickte er seinen Sohn an. Dann ließ er einen prüfenden Blick über die nervöse junge Frau gleiten. Melima machte einen Knicks. Dann strich sie nervös die Haare hinter die Ohren.

Er stellte sich direkt vor ihr und sah ihr in die Augen. Sie hielt seinem Blick stand. Verunsichert zwar, aber sie hielt ihm stand. Es war fast dasselbe Blau in den Augen des Königs wie in denen ihres Verlobten. Ihr Herz schlug schnell. Sie war sehr aufgeregt. Ihre Hand klammerte sich an der von Legolas. Was war, wenn er gegen ihre Verbindung war? Legolas würde auf jeden Fall zu ihr stehen, aber das gerade erst wieder gute Verhältnis würde wegen ihr wieder zerbrechen. Und sie wollten doch auch hier heiraten – mit dem Segen seines Vaters.

Der König betrachtete sie genau. Sie war eine Schönheit unter den Menschen, das konnte er nicht leugnen. Kurz hatte er geglaubt, sie sei eine Elbe. Aber sie war ohne Zweifel ein Mensch. Er fragte sich, warum sein Sohn sein Herz an eine sterbliche Frau verschenkte.

Für einen kurzen Moment wollte er in seine alte Gewohnheit verfallen und seinen Sohn die Meinung darüber sagen, doch dann erinnerte er sich an das Verhalten Legolas vor der Schlacht. Das war nicht mehr der kleine Junge, dem er Vorschreibungen machen konnte. Er war jetzt ein erwachsener und selbstständiger Mann, der sehr wohl wusste, was er tat und sein Herz bestimmt nicht leichtfertig verschenken würde. Also sah er sich Melima erneut an, und blickte ihr tief in die Augen. Sie waren von einem klaren Grün, welches er noch nie gesehen hatte. Er sah in diesen Augen ein wenig Verunsicherung, aber auch sehr viel Wärme und Liebe.

Plötzlich lächelte sie der König an. „Melima. Es freut mich zu sehen, dass mein Sohn sich eine gute zukünftige Frau ausgesucht hat. Willkommen, mein Kind." Väterlich nahm er sie in seine Arme. Sie lachte ihn erleichtert an und sah, dass auch Legolas tief durchatmete.

„Eine größere Freude hättest du mir nicht machen können, mein Sohn." Erfreut sah er Legolas an. „Endlich heiratest du. Ich dachte schon, ich erlebe das nicht mehr!" Einen Arm um Legolas, den anderen um Melima, führte er sie in den Palast.

°°°°°

Sie mussten dem König ausgiebig über ihr Kennenlernen Bericht erstatten, erzählten ihm alles von dem Dämon, und als sie zu dem Punkt kamen, dass Melima in dieser Welt unsterblich war, atmete Thranduil erleichtert auf.

„Und jetzt wollte wir gerne am Sommeranfang heiraten." sagte Legolas. Und fügte dann noch hinzu: „Hier in Eryn Lasgalen."

„Hier?" erfreut lachte Thranduil. „Natürlich heiratet ihr hier! Ich bin so stolz auf dich, mein Sohn. Deine Mutter wäre überglücklich gewesen." Lachend umarmte er erst seinen Sohn und dann Melima. „Carmíl!" rief er seine Hausdame.

„Ja, Majestät?" fragte sie und sah dann Legolas. „Mein Prinz. Ihr seid wieder hier, wie schön."

„Carmíl, heute Abend wird gefeiert. Auf dem Fest geben wir die Verlobung meines Sohnes mit der bezaubernden Melima bekannt." lachte der König.

„Verlobung? Oh, mein Prinz, ich freue mich so für Euch." Die alte Dame strahlte über das ganze Gesicht und schloss Legolas, den sie schon von klein auf kannte, herzlich in die Arme. Dann sah sie Melima an, und nahm auch diese in die Arme. „Welch eine Freude! Endlich wieder eine Hochzeit!" Sie klatschte in die Hände und bekam einen ernsten Gesichtsausdruck. „Oh, noch viele Dinge müssen erledigt werden. Schnell, schnell jetzt."

„Carmíl, ganz ruhig. Es sind noch ein paar Wochen bis zur Hochzeit." versuchte Legolas sie zu beruhigen.

„Ihr glaubt gar nicht, wie bis dahin die Zeit einfach nur so dahinfliegt, mein Prinz." erklärte sie und rauschte schon aus dem Raum. Die drei sahen sich an und lachten.

°°°°°

Abends gab es ein berauschendes Fest. Alle Waldelben der Gegend kamen, und genossen reichhaltige Speisen und Getränke, lauschten der Musik, lachten, sangen und tanzten. Schon lange gab es nichts mehr zu feiern im ehemaligen Düsterwald.

Legolas wurde von vielen Freunden, Bekannten und Verwandten begrüßt, während sich Melima eher im Hintergrund aufhielt. Legolas stellte sie auch keinem als seine Verlobte vor, denn um dies zu verkünden, hatte ihn sein Vater gebeten.

Melima sah in ihrem weinroten, tief dekolletierten, seidenen Kleid wunderschön aus. Ihre Haare fielen ihr offen über die Schultern und verdeckten auch ihre Ohren. Alle Elben, die ihr vorgestellt wurden, begrüßte sie höflich in ihrer Sprache, so dass viele dachten, sie sei eine von ihnen. Nur wenigen fiel ihre menschliche Herkunft auf. Und diese wunderten sich natürlich über die Menschenfrau in ihrer Mitte. Doch sie sahen, wie liebevoll und zuvorkommend der König und sein Sohn mit ihr umgingen, und so dachten sie sich nichts weiter dabei.

Legolas musste sich sehr zurückhalten. Ihm verlangte es, seine Verlobte zu berühren, zu küssen, und es aller Welt zu zeigen, dass sie zueinander gehörten. Doch leider gab es am königlichen Hofe eigene Regeln. Und noch wusste ja niemand, außer dem König von ihrer Verbindung. So blieb dem verliebten Pärchen nur, sehnsüchtige Blicke miteinander zu tauschen, oder sich heimlich und ungesehen flüchtig zu berühren.

Endlich wurde das reichhaltige Essen auf die Tische gestellt, und die Elben setzten sich, fröhlich schwatzend an die große Tafel. Es gab Wildschweinbraten, Taubenbrüste, Rehrücken, Obst und Gemüse, und vieles mehr. Außerdem gab es viele elbische Köstlichkeiten, die Melima noch nie probiert hatte. Guter Wein wurde ausgeschenkt, und die Elben genossen das reichhaltige Mahl.

Mehrmals wurde auf das Wohl des Königs und das seines Sohnes angestoßen. Alle anwesenden Elben freuten sich über das wieder gute Verhältnis der beiden. Seit dem Tode der Königin hat es keine solch ausgelassene Feier mehr gegeben. Endlich lebten diese Hallen wieder. Die traurigen Jahrhunderte schienen nun endlich vorbei zu sein.

Nachdem nun auch die süßen Desserts verspeist waren, und alle Elben satt und zufrieden ihre Konversationen wieder aufnahmen, ließ sich der König noch einmal von dem guten Wein einschenken.

Thranduil saß in der Mitte des oberen Bogens der Tafel, Legolas auf seiner rechten Seite und Melima zu seiner Linken. Majestätisch erhob sich der König und klopfte mit dem Messer gegen seinen silbernen Pokal.

„Mein Volk, meine Freunde." sagte er feierlich und wartete einen Moment, bis alles verstummt war. „Heute haben wir zwei Dinge zu feiern." sagte er laut. „Erst einmal feiern wir, dass unser geliebter Prinz den Weg in seine Heimat zurückgefunden hat." Zustimmende Rufe ertönten. Thranduil räusperte sich deutlich, und fuhr dann fort. „Und dann, was noch ein viel freudigeres Ereignis ist, feiern wir" er nahm Melimas und Legolas Hand und führte sie zusammen, „die Verlobung meines geliebten Sohnes mit der bezaubernden Melima." Erstaunte Ausrufe kamen aus dem Publikum und schließlich ein donnernder Applaus.

Melima wusste gar nicht, wie ihr geschah. Von überall strömten Elben, um ihr zu gratulieren und sie zu umarmen. Legolas wurde ebenso belagert wie sie, und lachte sie fröhlich an.

Eine Elbe konnte sich jedoch nicht freuen. Den ganzen Abend hatte diese den Prinzen verträumt beobachtet. Nun starrte sie Legolas und Melima an. Sie war am Boden zerstört. Sie fühlte Tränen in ihren Augen aufsteigen und rannte aus dem Saal. Keiner bemerkte es.

°°°°°

Draußen ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf. „Das kann er doch nicht machen!" schluchzte sie. Die Tränen rannen über ihre Wange. „Ich liebe ihn doch! Ich liebe ihn doch schon seit eintausendfünfhundert Jahren!" Es war Namíra, die kleine Schwester seines alten Freundes Adomír.

Früher, als sie noch Kinder waren, haben die beiden Jungs das Mädchen manchmal mit in den Wald genommen. Legolas war immer so lieb zu ihr. Er hat sich immer gekümmert. Einmal ist sie gefallen und hat sich ihr Knie aufgeschlagen. Damals war sie gerade vierzig Jahre alt. Er war schon ein halbes Jahrtausend. Sanft hatte er ihr die Tränen abgewischt und ihre blutende Wunde verbunden. Dann hatte er ihren Verband geküsst, sie angelächelt und gesagt: „Wenn du heiratest, ist alles vergessen."

Seit diesem Augenblick liebte sie ihn. Sie hatte sehr darunter gelitten, als er immer weitere Reisen durch Mittelerde unternahm, und nur noch selten seine Heimat besuchte. Jetzt war er nach so langer Zeit endlich wieder da – und war verlobt!

Verzweifelt schluchzte sie auf. Sie rannte in den dunklen Wald. Sie rannte so weit, bis sie die Musik, den Gesang und das Gelächter der feiernden Elben nicht mehr hören musste.

Dunkel und einsam war es um sie herum. Sie ließ ihren Gefühlen freien Lauf.

„Ich liebe ihn doch." sagte sie immer wieder. Zusammengekauert kniete sie am Boden und heiße Tränen fielen auf den Waldboden.

Plötzlich hörte sie eine Stimme, die sie rief. „Namíra!"

Sie schreckte hoch und sah sich um, doch sie konnte nur den Wald in der Dunkelheit sehen.

„Namíra…"

Erschrocken sah sie in die andere Richtung, aus der die Stimme jetzt zu kommen schien. „Wer ist da?" fragte sie. Eine Gänsehaut überzog ihre Haut. Sie fröstelte.

„Namíra. Willst du kampflos aufgeben?" Die Stimme klang ganz nah. Panisch sah sie sich um.

„Wer bist du?" fragte sie.

„Ich will dir helfen. Ich werde dir helfen ihn zurück zu bekommen. Du liebst ihn doch?"

„Ja…" hauchte sie.

„Du willst ihn. Ich kann dir helfen, ihn zu bekommen." Die Stimme klang fast sanft.

Die junge Elbe zögerte einen Moment. Dann fragte sie entschlossen: „Was muss ich tun?"

„So ist es richtig, mein hübsches Elbenkind. Höre mir nur gut zu…" Aus der Stimme wurde ein Säuseln, doch Namíra verstand alles. Ihre Augen waren weit geöffnet, doch sie blickte ins Nichts.

Die hypnotische Stimme lullte sie völlig ein, kroch in ihr Ohr, in ihren Kopf, in ihr Herz und in ihre Seele…

Plötzlich wachte sie auf. Sie sah sich blinzelnd um. Wo war sie? Im Wald. Und es war Nacht. Dann erinnerte sie sich. Sie erinnerte sich an den Abend, an die Feier, an Legolas und diese Frau – doch sie erinnerte sich nicht an die Stimme…

Hass durchfuhr sie. Wer war diese Frau eigentlich, diese Melima? Sie war doch keine Elbe! Er konnte sein Herz doch nicht einer Sterblichen schenken!

Der Schmerz in ihrem Herzen war unsagbar groß. Um ihn zu dämpfen, kamen Wut und Zorn in ihr auf. Sie würde es dieser Frau schon zeigen! Legolas gehörte ihr! Ihr alleine!

°°°°°

Es wurde ein langer, anstrengender aber auch sehr schöner Abend für das glückliche Paar. Leider bekam Melima ihren, nun offiziellen Verlobten, nur wenig zu Gesicht. Zu viele Gäste mussten begrüßt, zu viele Hände geschüttelt und zu viele Geschichten erzählt werden.

Melima wurde von Elb zu Elb weitergereicht und musste tausend Fragen beantworten.

„Darf ich um diesen Tanz bitten, wehrte Herrin?" Eine Hand griff nach der ihren, und zog sie von einer Gruppe neugieriger Frauen weg.

Erleichtert atmete sie aus, als Adomír sie zur Tanzfläche führte. „Ich danke Ihnen, mein Herr. Ich dachte schon, ich würde dort nie wieder weg kommen." Dankbar lächelte sie den jungen Elben an.

„Bitte, nennt mich Adomír. Es ist mir eine Freude. Ihr wurdet aber auch ganz schön belagert, was?" grinste er.

„Ja, das ist wahr. Legolas erzählte, dass er Euch schon lange kennt." sagte sie.

„Wir sind zusammen aufgewachsen, und sind fast täglich durch den Wald gezogen. Nicht selten hat uns der König eine Standpauke gehalten, weil wir wieder mal die Zeit vergessen hatten." Adomír lachte und Melima erwiderte das Lachen.

„Das kann ich mir gut vorstellen."

Prüfend blickte Adomír sie an. „Ihr seid also diejenige, die meinem Freund das Herz gestohlen hat. Ich habe mich schon lange gefragt, wann er endlich eine brauchbare Frau mitbringt." Er lächelte sie an. „Aber wie ich sehe, hat er das endlich geschafft!"

Offen lächelte sie ihn an. „Ich danke Euch, mein Herr, denn das war wohl ein Kompliment."

„Ja, das sollte es sein." lachte er. „Und falls Ihr es Euch doch noch anders überlegt, ich bin auch noch zu haben." Er zwinkerte ihr zu.

„Na, versuchst du mich meiner Verlobten auszureden?" Grinsend stand Legolas hinter ihnen.

„Ein Versuch ist es doch wohl wert, mein Freund. Wenigstens einen Versuch musst du mir gönnen! Du weißt, ich kann einer solch schönen Frau nicht widerstehen." lachte Adomír und klopfte seinem Freund auf die Schulter. „Glückwunsch, mellon nîn, sie ist ein miril."(2)

„Ich weiß, mein Freund." sagte Legolas und nahm Melimas Hand. Sanft legte er die andere um ihre schmale Taille, zog sie dicht an sich und bewegte sich mit ihr elegant zur Musik. Tief sah er ihr in die Augen, hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen und lächelte sie glücklich an.

Sie wurden von vielen Elben beobachtet, wie sie so verliebt miteinander tanzten – nur eine gönnte ihnen das Glück nicht.

Namíra stand abseits und beobachtete das Paar. Hass funkelte in ihren Augen. Sie konnte es kaum ertragen ihn mit dieser Frau zu sehen, doch sie zwang sich weiterhin sie zu beobachten. Bald wäre es vorbei! Bald würde er nur noch sie so ansehen, wie er jetzt diese schwache Menschenfrau ansah…

°°°°°

(1) Viel Glück!

(2) Juwel