„Da! Da vorne sind unsere Plätze!", rief Ginny über den Lärm der Menge hinweg und zog Harry mit sich. Sie stolperten durch die Reihen der Fans, allesamt in den Farben ihrer Lieblingsmannschaft gekleidet, zu ihren Plätzen hinüber. Erleichtert ließ Harry sich darauf plumpsen. Er schloss kurz die Augen und genoss den Lärm ringsum. Wie hatte er das vermisst! Es war so lange her, dass er zum letzten Mal ein Quidditchspiel gesehen hatte, dass er schon fast vergessen hatte, wie euphorisch man dadurch wurde.
„Siehst du Lee?", meinte Ginny und deutete aufgeregt auf die Tribüne, wo der Kommentator saß. Lees Haarpracht war nicht zu übersehen und Harry nickte zustimmend.
„Mann, bin ich aufgeregt!", meinte Ginny und ihre Wangen glühten. Harry grinste. Er konnte ihre Aufregung voll und ganz nachvollziehen; ihm selbst fiel es auch unendlich schwer, still sitzen zu bleiben.
Dann, endlich, schoss aus einer kleinen Luke eine Gestalt auf einem Besen hervor, gefolgt von sechs weiteren.
„Herzlich willkommen zu diesem Quidditchspiel, der lang ersehnten Begegnung Holyhead Harpies gegen Appleby Arrows!", dröhnte Lees Stimme über das Stadion, „hier ist das Team der Harpies, geführt von Kapitän Spinnet, eine äußerst fähige Jägerin, muss der Kerl glücklich sein, der mit ihr zusammen ist!" Harry prustete los. Er konnte sehen, wie Alicia Lee von ihrem Besen aus eine Kusshand zuwarf. „Und der Rest des Teams kommt auch schon angeschossen! Johnson, Fish, Battlefield, Hook, Davies und Salem!" Die Kurve der Harpies Fans brach in ohrenbetäubenden Jubel aus. Harry und Ginny stimmten begeistert mit ein.
„Und hier sind auch schon die Herausforderer in diesem Spiel, das Team der Appleby Arrows!", dröhnte Lees Stimme, „zu vorderst Kapitän Wulf, gefolgt von seinen Leuten, Barrow, Parker, Houston, Ray, Shortman, und Dubrule!" Diesmal brachen die Fans der Appleby Arrows in einen ohrenbetäubenden Jubel aus.
„So, die Mannschaften nehmen Stellung ein und der Schiedsrichter Walter McBeth lässt die Bälle frei." Harry sah die schwarzen Klatscher in die Höhe schießen. Er erhaschte auch einen kurzen Blick auf den kleinen goldenen Schnatz, der aber sofort aus seinem Blickfeld verschwand. Der Schiedsrichter nahm den großen roten Quaffel in beide Hände und während er laut in seine Trillerpfeife blies, warf er ihn nach oben. Sofort stürzten sich die Jäger beider Mannschaften darauf.
„Und das Spiel beginnt!", donnerte Lee, „Johnson am Ball. Und – ja, schöner Pass zu Fish – oh, das hat weh getan, ein Klatscher trifft sie. Barrow jetzt am Quaffel, Parker, Barrow, Wulf – ha! Da kommt sie und schnappt ihm den Quaffel aus der Hand, phan-tas-tisch die Alicia Spinnet!"
Harry lachte. Er hatte sich seit Wochen nicht mehr so entspannt gefühlt. Seine Augen verfolgten den Quaffel, der in schnellem Tempo zwischen den Händen der Jäger hin und her flog.
Nach fünf Minuten erzielten die Harpies ihr erstes Tor – getroffen von Alicia. Lee überschlug sich fast vor Begeisterung.
„Ein WAHNSINNSSCHUSS!", rief er, „haben Sie das gesehen? Diese Frau ist einfach nur genial!"
Offenbar waren nicht alle Zuschauer mit ihm einer Meinung, denn die Fans der Appleby Arrows buhten empört. Und schon ging das Spiel weiter.
Die Arrows erzielten den Ausgleich innerhalb von zwei Minuten. Gleichstand. Die Menge auf den Tribünen kochte.
„Sie haben gute Chancen, weißt du", sagte Ginny, „die Arrows haben eine schlechte Technik, schau dir ihren einen Jäger an, Parker, er spielt nicht im Team, sondern versucht viel zu häufig einen Alleingang zu starten."
Harry nickte zustimmend. Ginny hatte recht, die Harpies waren den Arrows spieltechnisch überlegen.
„Aber der Hüter der Arrows ist erste Sahne", gab Harry zu bedenken und wies auf Shortman, der vor den Torringen seiner Mannschaft wahre Akrobatik vollbrachte.
Das Spiel zog sich in die Länge. Bald stand es sechzig zu vierzig für die Arrows, denn Fish, eine Jägerin der Harpies, hatte nach zehn Minuten einen Klatscher gegen den rechten Arm bekommen und schien nicht ganz unbeschadet geblieben zu sein. Harrys Blick wanderte zu den beiden Sucherinnen Salem und Dubrule, die über dem ganzen Geschehen kreisten.
Ein Aufheulen der Harpies sagte ihm, dass die Arrows einen weiteren Treffer gelandet hatten. Siebzig zu vierzig.
„Entweder sie müssen mehr Tore machen, oder aber Salem soll sich mit dem Fangen des Schnatzes beeilen", murmelte Harry vor sich hin.
Zehn weitere Minuten verstrichen, in denen drei weitere Tore fielen; zwei für die Arrows, eins für die Harpies. Neunzig zu fünfzig.
„Und Spinnet am Ball – Mach schon, Alicia, zeig es ihnen!", brüllte Lee ins Megafon, „und sie fliegt auf die gegnerischen Torringe zu – Passspiel zu Johnson – wieder zurück zu Spinnet – was ist das?"
Auch Harry hatte es bemerkt. Dort unten, am Fuß der Arrow-Torstangen, glitzerte es golden – und Salem und Dubrule befanden sich Schulter an Schulter im Sturzflug darauf zu.
„Mach schon!", zischte Harry und fixierte Salem mit seinen Augen. Die Zuschauer standen auf. Auch Ginny und Harry erhoben sich.
„Es sieht ganz so aus, als haben die beiden Sucherinnen dort den Schnatz entdeckt!", tönte Lees Stimme überflüssigerweise über das Stadion.
„Komm schon!", schrie Ginny und sprang nervös auf und ab. Der Lärmpegel auf den Rängen schwoll an. Harry lehnte sich weit über die Brüstung und schrie sich die Seele aus dem Leib, um Salem anzufeuern.
Sie hatten nun beinahe den Boden erreicht. Es war unmöglich, zu erkennen, wer vorne lag. Dann, in letzter Sekunde rissen beide ihren Besen wieder in die Horizontale.
„Wer hat den Schnatz? Wer hat ihn?", rief Ginny aufgeregt. Harry hielt die Luft an. Und dann sah er die kleine Gestalt Salems, den Arm in die Höhe gestreckt und zwischen den zur Faust geformten Fingern ein goldenes Glitzern.
„Salem hat den Schnatz!", rief Lee, „die Holyhead Harpies gewinnen mit zweihundert zu neunzig Punkten!"
„JAAA!", schrie Ginny und sprang in die Luft. Und ehe er sich's versah, war sie Harry um den Hals gefallen und küsste ihn begeistert. „Sie haben gewonnen! Sie haben gewonnen!"
Harry lachte und stimmte in ihren Jubel mit ein. Die Harpies-Fans um sie her waren außer sich, schwenkten ihre Fahnen, tanzten vor und auf ihren Sitzen herum und schrieen sich vor Begeisterung die Seele aus dem Leib.
Hoch über ihnen zogen die Harpies eine Ehrenrunde und winkten begeistert ihren Fans zu.
Als Harry abends im Bett lag, dachte er lächelnd an das Spiel zurück. Er ging viel zu selten zu einem Quidditchspiel. Es würde ihm gut tun, wieder in Hogwarts zu sein, schließlich fanden die Quidditch-Hausmeisterschaften immer noch statt. Er seufzte, drehte sich auf die Seite und schlief ein. Sein Schlaf war gespickt mit Träumen über Quaffel, Besen, Klatscher, Quidditchumhänge und nicht zuletzt den goldenen Schnatz, der um seinen Kopf flatterte und sich einfach nicht fangen lassen wollte.
