Harry blinzelte. Etwas schläfrig richtete er sich auf und rieb sich die Augen. Er tastete nach seiner Brille, die irgendwo auf dem Nachttisch lag und gähnte ausgiebig. Endlich hatte er seine Brille gefunden und setzte sie sich auf die Nase. Sein Zimmer nahm Konturen an. Harry warf einen Blick auf die Uhr – und erschrak. 10:27! Um elf Uhr fuhr der Hogwarts-Express! Harry stöhnte und wühlte sich aus dem Bett. Am ersten Arbeitstag verschlafen, so was konnte auch nur ihm passieren!
So schnell er konnte wusch er sich, streifte seine Klamotten über und schlang rasch ein wenig zu essen runter. Dann sah er sich noch einmal hastig um, vergewisserte sich, dass alle Fenster geschlossen, das Licht aus und die Haustür verschlossen war und disapparierte mit einem leisen –Plop!-.
Evelyn saß erneut auf der Rückbank von Mr. Shinewaters Auto. Der Kofferraum und der Sitz neben ihr waren vollgestopft mit ihrem Gepäck. Neben sich hatte sie den silbernen Käfig mit ihrem Waldkauz, den sie Herbert genannt hatte, stehen. Er hatte den Kopf unter den Flügel geschoben und schlief ein Weilchen.
Evelyn war es etwas flau in der Magengegend. Natürlich, sie freute sich riesig auf Hogwarts und konnte es kaum erwarten, endlich in den Schulzug zu steigen. Aber die Vorstellung, für mehrere Monate nicht nach Hause zu fahren, ängstigte sie schon ein wenig.
Endlich erreichten sie den Bahnhof von Kings Cross. Mr. Shinewater brauchte einige Zeit, um einen Parkplatz zu finden, doch schließlich stand der Wagen nicht weit vom Eingang entfernt.
Während Mr. Shinewater Evelyns Gepäck auf einen der Karren lud, wandte Cloe sich mit feuchten Augen an ihre Tochter:
„Also, Evy, pass gut auf dich auf! Schreib mir, sobald du gut angekommen bist, ja?"
„Jaah, Mum!", antwortete Evelyn entnervt. Sie hasste lange Verabschiedungsszenen.
„Und du bist sicher, dass ich nicht noch bis auf den Bahnsteig mitkommen soll, Evy?", fragte Cloe und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Mum, ich schaff das schon!"
Harry warf einen hastigen Blick auf die Bahnhofsuhr. Er stellte erleichtert fest, dass er noch zehn Minuten hatte, um zum Hogwarts Express zu gelangen. Das würde er schaffen.
Nun, vielleicht würde es doch etwas knapp werden, bei dem Getümmel. Gerade machte sich eine Horde Kleinkinder daran, sich hinter seinen Beinen zu verstecken, während ihre Mutter wie ein aufgescheuchtes Huhn umherlief, scheinbar damit beschäftigt, sie zu suchen. Er schob die Kinder sachte beiseite, bahnte sich seinen Weg durch einen Kegelverein und erreichte dann, fünf Minuten später, die Absperrung zum Gleis 9 ¾ .
Evelyn schob ihren vollbeladen Wagen, zuoberst Herberts Käfig, durch die überfüllte Bahnhofshalle. Gleis 9 ¾ stand auf ihrer Fahrkarte, das musste sich dann ja wohl irgendwo im Bereich zwischen Gleis neun und zehn befinden. Etwas unschlüssig blieb sie vor einem Fahrkartenschalter stehen, der an der Mauer zwischen den Gleisen neun und zehn befestigt war. Weit und breit war kein Schild mit der Aufschrift Gleis 9 ¾ zu sehen.
Harrys Blick fiel auf ein wohl zehn- oder elfjähriges Mädchen mit langem, schwarzem Haar, das einen vollbeladenen Gepäckkarren vor sich herschob. Obendrauf stand ein silberner Käfig, in dem eine Eule saß. Das Mädchen blickte etwas hilflos zwischen den Gleisen neun und zehn hin und her. Harry ging zügig auf sie zu.
„Hallo", sagte er und das Mädchen blickte auf, „nach Hogwarts?"
„Ja. Aber ich weiß nicht wie - ", setzte das Mädchen an, doch Harry unterbrach sie:
„...wie du zum Gleis kommen sollst, stimmt's?" Das Mädchen nickte. Harry fühlte sich mit einem Mal an seinen ersten Schultag erinnert.
„Also das ist überhaupt kein Problem", erklärte er, „du gehst einfach schnurstracks auf den Fahrkartenschalter zu. Wenn du nervös bist, dann renn lieber ein bisschen."
Evelyn blickte ihn zweifelnd an.
„Und ich krach nicht dagegen?", fragte sie. Harry schmunzelte.
„Nein, keine Sorge!", versicherte er.
„Okay", sagte das Mädchen, „auf Ihre Verantwortung!" Und sie nahm ihren Karren und schob ihn ohne zu zögern auf den Fahrkartenschalter zu. Wenige Sekunden später war sie durch die Absperrung verschwunden.
Evelyn sah sich um. Sie hatte es tatsächlich geschafft. Nicht einmal einen blauen Fleck hatte sie sich geholt.
Vor ihr stand eine scharlachrote Lok und blies Dampf über die lärmende Menge hinweg.
Der schwarzhaarige Mann war ihr durch das Tor hinweg gefolgt, allerdings konnte sie durch das Fenster ihres Abteils, das sie mit Müh und Not ergattert hatte, sehen, dass er dann von einer Frau mit buschigem braunen Haar, um die eine Schar kleiner Kinder umherlief, aufgehalten wurde.
Moment, fuhr es ihr durch den Kopf, das musste die Frau sein, der sie in Weasleys Zauberhafte Zauberscherze begegnet war. Ihr Blick schweifte über ihre Kinder. Tatsächlich fand sich unter ihnen das rothaarige gelockte Mädchen, das nun fröhlich über den Bahnsteig sprang. Mittlerweile hatte sie wieder eine normale Nase, der Zauber musste wohl seine Wirkung verloren haben.
„Harry, hast du Sirius und James gesehen?", fragte die Frau nun den schwarzhaarigen Mann, der, ganz offensichtlich, Harry heißen musste.
„Nein, aber sie werden schon nicht verloren gehen", meinte der Mann namens Harry.
„Das ist ja auch nicht das Problem!", rief die Frau. „Ich habe nur keine Ahnung, was sie anstellen werden, bevor ich sie finde. Ich glaube, sie haben heute Morgen Eulen von Fred und George bekommen, obwohl sie es die ganze Zeit abstreiten!"
Harry zog die Stirn kraus.
Evelyn grinste amüsiert.
„Ich habe keine Ahnung, was aus denen mal werden soll. Wenn sie erst mal nach Hogwarts kommen!"
„Nun, wir werden sie wohl dieses Jahr noch ein wenig erziehen müssen, Hermine.", sagte der Mann, der nun mit einem kleinen Jungen auf dem Arm den Bahnsteig durch die Absperrung hindurch betreten hatte.
Hermine seufzte. „Und du denkst tatsächlich, dass das Sinn hat?"
„Wie auch immer, ich muss jetzt gehen. Ihr wisst schon, der Hogwarts-Express fährt gleich ab. Macht's gut!", sagte Harry, während Hermine aufbrauste: „Emma! Wo ist Emma?"
Ein Mädchen, ungefähr in Evelyns Alter, eilte zu ihr.
„Emma! Hast du dein Zeug?", fragte die Frau zerstreut, und umarmte Harry zum Abschied.
„Ja, Mum", antwortete das Mädchen. Evelyn stellte fest, dass sie verblüffende Ähnlichkeit mit ihrer Mutter hatte.
„Bist du dir sicher?"
„Ja, Mum!", erwiderte das Mädchen nun etwas fester.
„Gut, nun dann." Die Frau schloss ihre Tochter in die Arme.
„Schreib uns, ja? Benimm dich! Lern schön! Beeil dich! Wenn etwas nicht stimmt, geh zu Harry! Pass auf deine Sachen auf!"
„Schon gut, Mum. Tschüss, Dad." Sie drückte ihren Vater.
„Ich mag mitkommen!", meldete sich nun eine ihrer Schwestern zu Wort.
„Du bist noch zu klein dazu, Julia. In ein paar Jahren kannst du mit", tröstete ihre Mutter sie.
„Beeil dich, Emma, sonst verpasst du den Zug!", drängelte ihr Vater sie.
Hermine drückte das Mädchen ein letztes Mal an sich und küsste sie auf die Stirn.
Evelyn beneidete sie ein wenig. Es musste toll sein, in so einer Familie aufzuwachsen.
„Ist hier noch frei?" Das Mädchen namens Emma zog die Tür zu Evelyns Abteil auf.
„Ich habe im ganzen Zug gesucht, aber die Älteren wollen kleine Mädchen wie mich natürlich nicht bei sich haben! Typisch! Naja, egal, dann komm ich halt hier hin. Ist mir ohnehin lieber, bei jemandem in meinem Alter zu sitzen."
Scheinbar erwartete sie gar keine Antwort von Evelyn, denn sie hatte bereits ihr Gepäck verstaut und ihren Kopf wieder zur Tür rausgestreckt.
„Hey, Claire, komm her, ich hab noch ein Abteil gefunden!", rief sie durch den Gang und setzte sich gegenüber von Evelyn.
„Es macht dir doch nichts aus, wenn meine Cousine auch noch kommt, oder?", fragte sie und schon hatte sich ein hübsches, silberblondes Mädchen zur Tür hereingeschoben.
„Hi", sagte sie.
„Hallo", meinte Evelyn. Die Mädchen machten einen netten Eindruck.
„Ich bin Emma." Das braunhaarige Mädchen streckte ihr die Hand entgegen.
„Evelyn."
„Evelyn. Mein Gott, gibt es dafür nicht ne Abkürzung?", fragte das silberblonde Mädchen, während sie verzweifelt versuchte, ihren Koffer unterzubringen.
„Alles, aber nicht Evy!", sagte Evelyn und dachte genervt an ihre Mutter, die diesen Spitznamen gebrauchte, seit sie denken konnte.
„Dann nennen wir dich einfach Lyn. Ich bin Claire", stellte sich das Mädchen vor und ließ sich neben Emma nieder.
„Dein erstes Jahr in Hogwarts?", fragte Claire nun.
„Ja, bei euch auch?", erkundigte sich Evelyn.
Die beiden nickten.
„Es soll wohl so eine Art Aufnahmeprüfung geben.", klärte Emma sie auf. Evelyn schluckte. Aufnahmeprüfung?
„Fred und George haben mir erzählt, dass es sich um so etwas wie einen Ringkampf mit einem Troll handeln soll.", fuhr Emma fort.
Claire jedoch schnaubte. „Das glaubst du ihnen doch nicht?"
„Nein, natürlich nicht!", rief Emma. „Ich wollte es ja nur mal sagen."
„Fred und George sind unsere Onkels. Man muss sie nicht besonders ernst nehmen, weißt du. Tunichtgute, sagt mein Dad immer", wandte sich Claire an Evelyn, „sie haben diesen Zauberscherzartikelladen. Weasleys Zauberhafte Zauberscherze."
Evelyn erinnerte sich an ihren Besuch. Fred und George mussten also die beiden Zwillinge sein.
„Sind alle in eurer Familie Zauberer?", fragte Evelyn mächtig interessiert.
„Ja...Eigentlich schon.", überlegte Claire.
„Meine Mum ist eine Muggelstämmige", erklärte Emma, „und du?"
„Ich komme aus einer Muggelfamilie", meinte Evelyn. Es musste aufregend sein, in einer richtigen Zauberfamilie zu leben.
„Oh, da musst du dir überhaupt keine Sorgen machen!", rief Emma sofort. „Weißt du, meine Mum war immer die Jahrgangsbeste. Manche behaupten ja, dass es nur die Reinblütigen unter uns zu richtig guten Hexen und Zauberern bringen könnten, aber das stimmt nicht. Meine Mum ist eine wirklich gute Hexe, obwohl ihre Eltern Muggel sind. Es hat sie nie daran gehindert, zu lernen! Also, ich meine, jeder, der in seine Bücher guckt, wird es ja wohl schaffen, oder?"
Evelyn hatte daran noch überhaupt keinen Gedanken verschwendet, aber jetzt, wo Emma es ausgesprochen hatte, war ihr schon etwas mulmig zumute.
„Habt...Habt ihr schon viel gelernt?", fragte sie zögernd.
„Klar, meine Mum hat mir ein paar Zaubersprüche beigebracht!", rief Emma begeistert. Claire verdrehte die Augen.
„Nöö, ich hab noch gar nichts gelernt. Dafür gehen wir schließlich nach Hogwarts, oder?", meinte sie. Evelyn wurde klar, dass Emmas Eifer scheinbar außergewöhnlich groß war.
„Wollt ihr mal was sehen?", fragte Emma. Claire und Evelyn nickten begeistert.
Emma begann umständlich ihren Zauberstab auszupacken, allerdings wurde sie von einem Jungen unterbrochen, der stürmisch die Abteiltür aufriss.
„Hi", rief er fröhlich. Scheinbar kannte er Emma und Claire.
„Das ist Dominic", sagte er und schob einen schüchtern aussehenden Jungen vor sich ins Abteil, „er ist muggelstämmig."
„Hi Dominic, das hier ist Lyn. Sie ist auch muggelstämmig", sagte Emma und deutete auf Evelyn.
„Nicht ganz. Meine Mum ist eine Squib", meinte Evelyn.
„Nun, wir sehen uns dann wohl in Gryffindor", rief der braunhaarige Junge und zog Dominic mit sich weiter den Gang entlang.
„Bis dann, Gabriel", rief Claire ihm hinterher, aber das hörte er wohl schon nicht mehr.
„Ihr kennt ihn?", erkundigte sich Evelyn.
„Ja, die meisten Zaubererfamilien kennen sich untereinander", sagte Claire.
„Seine Eltern waren mit meiner Mum und meinem Dad zusammen in Gryffindor", klärte Emma sie auf.
Evelyn runzelte die Stirn.
„Und...ähm...was genau ist Gryffindor?", fragte sie.
„Mensch, Lyn, das hab ich ja vergessen. Das kannst du ja gar nicht wissen", sagte Claire.
„Wenn sie Geschichte Hogwarts' gelesen hätte schon", warf Emma ein. Claire verdrehte die Augen.
„Emma!", seufzte sie, „nicht jeder liest das gesamte Sortiment von Flourish & Blotts rauf und runter. Merk dir das doch endlich!"
Emma streckte ihr die Zunge raus, aber sie grinste.
„Also, in Hogwarts gibt es vier Häuser. Gryffindor, Slytherin, Ravenclaw und Hufflepuff. Am Anfang des ersten Schuljahres wird entschieden in welches Haus du kommst."
„Und wie wird das entschieden?", unterbrach Evelyn Emma.
„Keine Ahnung", gab diese zu, „aber das werden wir ja heute noch erfahren."
„Wenn wir heute noch ankommen und unser Zug keine Verspätung hat", warf Claire ein.
„Kann man denn nicht vorher wissen, in welches Haus man kommt?"
„Nein, eigentlich nicht."
„Und woher wusste dieser Gabriel dann eben, dass er nach Gryffindor kommen wird?"
„Naja, wenn deine ganze Familie in Gryffindor war, stehen die Chancen, dass du auch dorthin kommst, ziemlich hoch. Natürlich ist das keine Gewissheit und Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel."
„Wo waren eure Eltern denn?"
„Gryffindor, alle beide."
„Mein Dad war auch in Gryffindor."
„Und deine Mum?"
„Die kommt aus Frankreich, war also gar nicht in Hogwarts."
„Wie? Hat die keine Ausbildung?"
„Doch, natürlich. Hogwarts ist schließlich nicht die einzige Zaubererschule auf der Welt. Mum war in Beauxbatons."
Evelyn fand es unglaublich spannend, dass Hogwarts nicht die einzige Zaubererschule der Welt war.
Der Zug fuhr in eine Kurve und Herberts Käfig neigte sich leicht zur Seite. Der Waldkauz schuhute empört.
„Deine Eule, Lyn?", fragte Claire. Evelyn nickte. „Ich wollte ja eigentlich auch eine Eule haben. Aber Mum mag keine Vögel. Die machen so viel Dreck, sagt sie. Deshalb hab ich dann Anouk bekommen." Sie zeigte auf einen geflochtenen Korb mit Gittertür, in dem eine flauschige weiße Katze schlief.
„Ich hab ja Artemis", meinte Emma und wies auf die schwarze Schleiereule, die in ihrem Käfig vor sich hin döste, „hab sie zum letzten Geburtstag bekommen."
„Mein Vater hat sich auch über Herbert beschwert (Claire kicherte leise, als sie den Namen hörte). Er hat gesagt, sein Cousin hätte damals auch so ein verdammtes Eulenvieh gehabt", erzählte Evelyn.
„Wie? Der Cousin deines Vaters ist ein Zauberer?", fragte Claire verdutzt.
„Ist oder war", erwiderte Evelyn, „ich weiß nicht, ob er noch lebt. Ich weiß noch nicht mal, wie er heißt. Ich wusste bis vor Kurzem nicht einmal, dass es ihn überhaupt gibt."
„Na, ich an deiner Stelle würde dann aber alles dran setzen, herauszufinden, wer er ist. Ich meine, ein Verwandter in der Zaubererwelt wäre doch eine wichtige Kontaktperson für dich", sagte Emma.
„Ich weiß nicht", meinte Evelyn und zuckte die Schultern, „ich kenn ihn ja gar nicht. Dann wäre er für mich doch sowieso wie ein Fremder."
In diesem Moment öffnete sich die Abteiltür ein weiteres Mal. Das runzlige Gesicht einer alten Hexe blickte herein.
„Etwas Süßes, ihr Lieben?", fragte sie und zeigte auf einen Wagen, auf dem sich haufenweise Süßigkeiten stapelten.
„Was haben Sie denn?", fragte Claire, hielt es dann allerdings doch für besser, die Sachen selbst in Augenschein zu nehmen und stand auf.
„Kein Hunger", meinte Evelyn und Emma sagte:
„Ich hab selbst was zu essen dabei."
„Das macht sechs Sickel und fünf Knuts", sagte die Hexe und Claire kramte aus den Tiefen ihrer Umhängetasche eine Galleone hervor.
Sie setzte sich zurück auf ihren Platz und schmiss die gesamte Ladung Süßigkeiten schwungvoll neben Evelyn.
Diese warf einen Blick darauf und stellte verdutzt fest, dass es sich hier keineswegs um Schokoriegel oder Gummibärchen handelte. Auf einer der Schachteln war Bertie Botts Bohnen in allen Geschmacksrichtungen zu lesen und auf einer anderen stand etwas von Schokofröschen. Aber das hätte sie sich ja denken können.
Claire schob sich einen Lakritzzauberstab in den Mund.
„Wann sind wir denn endlich da?", fragte Evelyn ungeduldig, „wir müssen doch schon mindestens eine Stunde gefahren sein."
„Nun, Dad hat mir erzählt, dass die Fahrt meistens dauert, bis es dunkel wird. Also werden wir wohl noch ein Weilchen brauchen", meinte Claire und riss nun das Papier von einem der Schokofrösche.
„Verdammt, die Karte hab ich schon!", meinte sie, während sie dem, zu Evelyns Unbehagen, zappelnden Frosch ein Bein abbiss.
„Sind da Karten drin?", erkundigte sie sich interessiert.
„Ja, von berühmten Hexen und Zauberern", meinte Claire und warf die Karte aus dem offenen Fenster.
„Claire", rief Emma entsetzt, „du kannst doch nicht diese Karten aus dem Fenster werfen!"
„Du siehst doch, dass ich das kann! Was soll denn daran so schlimm sein?", meinte Claire und war drauf und dran, dies mit der Karte, die sie soeben ausgewickelt hatte, zu wiederholen.
„Stop!", rief Emma, sprang auf und packte sie an der Hand, „das kannst du nicht machen!"
„Ähm...Wo liegt denn da das Problem?", erkundigte sich Evelyn nun, „ich meine die Karte ist aus Papier, sie wird verrotten, oder?"
„Das ist es nicht." Emma setzte sich, nachdem sie das Fenster sicher verschlossen hatte. „Hast du dir jemals eine dieser Karten angeguckt?", fragte sie Evelyn.
„Nein", gab diese zu.
„Hier!", rief Claire und schmiss ihr eine davon auf den Schoß.
„Die bewegen sich ja!", stellte sie verblüfft fest.
„Eben", meinte Emma, „stell dir vor, irgendein Muggel macht seinen Sonntagsspaziergang und findet diese Karte!"
„Wer, um alles in der Welt, sollte hier seinen Sonntagsspaziergang machen? Mitten in der Pampa, hierhin verirrt sich doch keiner", sagte Claire und wollte das Fenster wieder öffnen.
„Naja, vielleicht nimmt sie der Wind mit und weht sie auf einen Bauernhof oder auf das Dach der Hütte eines Einsiedlers oder – "
Doch bevor sie weiter erläutern konnte, welche Gefahren das Aus-dem-Fenster-werfen von Schokofroschkarten mit sich brachte, hatte Evelyn sie schon unterbrochen:
„Hier steht Harry Potter drauf!"
„Na und?", schmatzte Claire und wischte sich etwas Schokolade aus dem Mundwinkel.
„Und hier ist ein Bild von ihm!", sagte sie und musterte das Bildchen auf der Schokofroschkarte.
„Ja, schon klar. Das ist meistens so. Siehst du", sagte Claire und hielt ihr eine Karte vor die Nase, auf der ein tattrig aussehender Hexenmeister abgebildet war.
„Das ist der Mann, mit dem deine Mum gesprochen hat!", rief sie.
„Ja, Mum und Dad sind Harrys beste Freunde", meinte Emma.
„Er hat mir durch die Absperrung geholfen. Alleine hätte ich es nicht geschafft", sagte Evelyn, „wahrscheinlich würde ich jetzt in einem Zug nach Kent oder sonst wohin sitzen."
„Ja, Harry ist ganz nett", sagte Emma und begann, ihre Taschen zu durchwühlen. Evelyn betrachtete die Karte genauer:
Harry Potter, gegenwärtig Auror im Dienst des Ministeriums.
Gilt als einer der größten Zauberer der jüngeren Geschichte.
Potters Ruhm beruht vor allem auf der Tatsache, dass er bereits im Alter von nur einem Jahr den schwarzen Magier Voldemort vorläufig vertrieb und ihn schließlich im Alter von achtzehn Jahren besiegte. Außerdem gilt Potter bei vielen als Wunderkind, da er bereits in frühen Jahren erstaunliche magische Leistungen vollbracht hat.
In seiner Freizeit spielt Harry Potter mit Vorliebe Quidditch.
Sie runzelte die Stirn.
„Hört sich ziemlich schwülstig an, was?", meinte Claire und grinste, „aber eigentlich ist er ganz okay."
„Ein bisschen verpeilt manchmal vielleicht", fügte Emma lachend hinzu, „aber im Großen und Ganzen..."
„Ähm...was ist denn ein Auror?", fragte Evelyn nach einem erneuten Blick auf die Karte.
„Auroren sind Leute, die Schwarzmagier fangen", erklärte ihr Emma.
„Todesser und so", fügte Claire hinzu und als Emma mit dem Kopf fast in ihrer Tasche verschwunden war, hüpfte sie leise auf, öffnete das Fenster und warf einige Karten hinaus.
„Du brauchst nicht zu denken, dass ich das nicht gesehen hab", tadelte Emma sie.
Claire zuckte mit den Schultern. „Wie ich schon gesagt hab: Hier findet sie niemand. Ich könnte sie genauso gut in Omas Fischteich werfen. Falls Opa nicht plötzlich versucht, auf Muggelart zu tauchen, werden sie da ziemlich sicher sein."
„Was sind denn Todesser schon wieder?", fragte Evelyn und kam sich allmählich ziemlich dumm vor.
„Die Anhänger von Lord Voldemort", meinte Claire.
„Ähm und Lord Voldemort ist?"
„Er war der gefürchtetste Schwarzmagier unserer Zeit. Früher hieß er Tom Riddle, er war wohl der letzte Nachfahre Salazar Slytherins. Du musst wissen, dass die Schulhäuser nach ihren Gründern benannt sind. Das Haus von Slytherin hat wohl mehr schwarze Magier hervorgebracht als alle anderen zusammen. Slytherin schätzte reines Blut, weißt du, und Voldemort schätzte es ebenfalls, obwohl sein eigener Vater ein Muggel war.
Nachdem er Hogwarts verlassen hatte, tauchte er ab und unterzog sich einer Menge gefährlicher Operationen und scharrte Leute um sich, die sich selbst als Todesser bezeichneten.
Er hielt Muggelstämmige für Abschaum und war bereit, alles zu tun, um sich selbst an die Macht zu bringen und die Zaubererwelt zu säubern", meinte Emma.
„Hat gemordet, gefoltert, ihm war nichts heilig. Hat nichts und niemanden geliebt, hatte keine Freunde. Sagt Harry", fügte Claire hinzu.
„Nun, alle hatten furchtbare Angst vor ihm, Angst, seinen Namen auszusprechen, viele hatten Angst, sich zu wehren. Die, die es taten, kamen oft nicht mit dem Leben davon.
Harrys Eltern haben sich gegen ihn gewehrt und mussten sich verstecken. Magisch natürlich", meinte sie nach einem fragenden Blick Evelyns, „ein Freund von ihnen hat sie verraten. Voldemort kam als Harry ein Jahr alt war in ihr Haus und hat sie getötet, alle beide. Er hat es auch mit Harry versucht, aber er hat ihn nicht gekriegt. Der Fluch ist auf ihn selbst zurückgeprallt und er ist verschwunden."
„Ist er...tot?"
„Damals war er nur plötzlich weg, keiner wusste so genau, was mit ihm passiert war. Aber er ist zurückgekommen, fast vierzehn Jahre später."
„Und, was ist jetzt mit ihm?"
„Weißt du, es gab da so ne Prophezeiung. Hat scheinbar besagt, dass Harry Voldemort zu Fall bringen würde, wenn er ihn nicht tötete. Voldemort hatte nur diesen Teil mitgekriegt, und versuchte daraufhin, Harry zu töten.", sagte Claire.
„Der zweite Teil besagte allerdings, dass Harry Kräfte besitzen würde, die er nicht kennt und dass Voldemort ihn als ihm ebenbürtig zeichnen würde. Also Mum sagt, es hätte damit zu tun, dass Harrys Mutter gestorben ist, um ihn zu retten. Die Kraft, die Voldemort nicht kannte, ist also die Liebe", fuhr Emma fort, „indem er probiert hat, Harry zu töten, hat er ihm Kräfte übertragen, er hat ihn also als Ebenbürtigen gezeichnet.
Ich weiß nicht so genau, aber ich glaube, dass Dad gesagt hat, keiner hätte leben können solange der andere lebte."
„Weiter?"
„Harry hat ihn gekriegt!", rief Claire und hüpfte auf.
Evelyn war ziemlich beeindruckt.
„Und diese Leute, Todesser heißen sie, oder? Sind die noch da?", erkundigte sie sich.
„Natürlich haben es viele geschafft, sich zu verstecken oder behaupten, er hätte sie gezwungen oder verhext, aber ich glaube, die meisten haben die Auroren dingfest gemacht", sagte Emma stolz.
„Was macht Harry Potter dann im Hogwarts-Express? Er hat doch sicher besseres zu tun als hier rumzuhängen", sagte Evelyn.
„Er ist hier Lehrer. Nur dieses Jahr. Für Verteidigung gegen die dunklen Künste!", kicherte Claire.
Evelyn verstand nicht, was daran so komisch sein sollte.
„Tut mir leid, es ist einfach nur – na ja, es ist halt Harry", entschuldigte sich Claire, „du kennst ihn ja nicht. Die Vorstellung ist einfach zu ulkig. Obwohl mir Dad gesagt hat, dass er wohl zu seiner Schulzeit in irgendeinem Geheimclub den Lehrer gemacht hat."
„Mum und Dad meinen, er wäre damals ganz gut gewesen", ergänzte Emma und blätterte eines ihrer Bücher durch.
Evelyn warf einen weiteren Blick auf die Karte. Soweit war alles geklärt, außer –
„Was zum Teufel ist denn Quidditch?"
Emma und Claire stürzten sich mit Begeisterung in eine Schilderung und am Ende ihres Vortrages konnte Evelyn zumindest erahnen, dass es sich scheinbar um eine Sportart handeln musste, die in der Luft auf Besen gespielt wurde und bei der es einen Haufen Bälle gab. Die einen schienen mit Vorliebe irgendwelche Spieler von den Besen zu ballern, mit anderen erzielte man Tore und einer war offensichtlich so klein, dass man einen extra Flieger brauchte, der sich ganz der Aufgabe widmete, ihn zu fangen.
Was allerdings ein Wronski-Bluff sein sollte, war Evelyn absolut schleierhaft.
Die Fahrt neigte sich dem Ende zu, es begann zu dämmern.
„Wie wär's, ziehen wir mal unsere Umhänge an?", gähnte Claire und erhob sich, „ich hätte ja nie gedacht, dass die Fahrt so ewig dauert."
Evelyn zog sich ihren neuen Umhang über.
„Denkt ihr, dass wir bald da sind?", fragte sie.
„Naja, immerhin ist es schon dunkel, es wird also nicht mehr allzu lange dauern", meinte Emma und fegte ein paar Schokofroschkarten von ihrem Schoß. Grinsend ging Claire auf das Fenster zu.
„Soll ich sie rausschmeißen?", fragte sie hämisch, „das ist wirklich kein Problem, weißt du, Emma. Ich mach das gern, wenn sie dich nerven."
Emma schnaubte.
„Lass das bloß sein! Ich weiß wirklich nicht, was du dir dabei – "
Doch sie schluckte den Rest ihrer Predigt herunter, als ihr Blick die Abteiltür streifte.
„Burkes, du mieser kleiner –"
Sie hatte, genau wie Evelyn und Claire, den weißblonden Jungen gesehen, der mit wutverzerrtem Gesicht auf einen am Boden liegenden Erstklässler starrte.
Der Erstklässler blickte auf und Evelyn bemerkte, dass sich durch sein Gesicht ein blutiger Schnitt zog. In seinen Augen konnte sie allerdings die selbe Abscheu lesen.
„Hast uns verraten, he? Denkst, du wärst was besseres?", schrie der blonde Junge und zückte seinen Zauberstab.
„Nur weil ich nicht so bin wie ihr", sagte der Erstklässler laut und spuckte ihm vor die Füße.
Evelyn erschrak. Die Augen des Älteren blitzten hasserfüllt auf.
„Wie kannst du es wagen?"
Er setzte zum Fluch an, allerdings war sich Evelyn nicht sicher, ob er groß etwas mit seinem Zauberstab ausrichten konnte. Es machte den Anschein, als wollte er erst einmal Eindruck schinden, indem er seinen Zauberstab mit jeder Menge Geflüster und Gemurmel über seinem Kopf kreisen ließ.
Gerade machte er einen Schlenker nach hinten, als ihm ein Mädchen den Zauberstab aus der Hand riss. Evelyn schätzte sie auf mindestens fünfzehn Jahre. Sie wirkte ziemlich wütend und angespannt, als sie den Jungen anschrie:
„Hast du eigentlich nichts anderes zu tun? Denkst wohl, du könntest den Neuen mächtig Angst einjagen, was, Malfoy?"
Der Junge namens Malfoy blickte sie verächtlich an, warf dann aber einen Blick auf das silberschimmernde Abzeichen auf ihrem Umhang, auf dem ein V zu sehen war.
Er drehte sich schwungvoll um und stolzierte den Gang entlang.
„Du brauchst nicht zu glauben, dass du so davonkommst, Malfoy! Hörst du? Ich werde mit Slughorn reden!"
Malfoy beachtete sie nicht, sondern verpasste dem sich aufrappelnden Erstklässler einen letzten Tritt mit dem Fuß.
„Konnte wohl nicht mehr als Funken sprühen", grinste Claire, während die Vertrauensschülerin dem verletzten Jungen vom Boden aufhalf.
Evelyn wusste nicht, was sie davon halten sollte. Ob es wohl öfters so in der Zaubererwelt zuging?
„Ja, wahrscheinlich. Habt ihr dieses alberne Zauberstabgeschlenker gesehen? Lächerlich", sagte Emma in einem abfälligen Ton.
„Sein Großvater war einer der größten Anhänger von Voldemort", klärte Claire Evelyn auf, „nachdem Harry seinen großen Boss dann besiegt hat, ist er untergetaucht, spurlos verschwunden. Keine Ahnung, ob er noch lebt."
„Lucius Jr.", Emma betonte den Namen höhnisch, „ist der Sohn von Draco Malfoy. Draco war mit meinen Eltern in Hogwarts. Dad sagt, er hätte sehr viel auf reines Blut gegeben. Er hat Mum gehasst. Aber ich glaube, noch mehr hat er Harry gehasst. Keine Ahnung, wieso."
„War dieser Draco, der Vater von eben dem", sie deutete auf den nun leeren Gang, „auch ein Todesser?"
„Weiß nicht", meinte Emma und zuckte die Schultern, „ich glaub, Harry hat mal gesagt, es wär ihm dann doch zuviel geworden, als er sah, was man von ihm erwartete. Zu feige, aber ich denke, den Grundgedanken von Voldemort fand er ganz gut."
„Sollen wir mal rausgehen? Ich hätte Lust, mir das Ganze hier mal etwas genauer anzuschauen", lenkte Evelyn sie ab.
Wenn sie ehrlich war, hatte sie für heute genug von diesem Voldemort und seinen Anhängern.
„In Ordnung", stimmte Claire ihr zu und auch Emma stand auf.
Sie streiften durch den Gang und Evelyn stellte fest, dass es scheinbar nicht gerade selten war, dass sich die Schüler gegenseitig verhexten.
„Huuh, seht euch den mal an", sagte Claire und deutete fachmännisch in ein Abteil, „Flederwichtfluch. Ginny hat mir mal gezeigt, wie das geht. Sie sagt, es könnte ganz nützlich sein."
„Ginny ist unsere Tante", meinte Emma und warf ebenfalls einen Blick in das Abteil.
„Und was soll daran nützlich sein?", fragte Evelyn. Sie stellte sich vor, dass man unter Hexen und Zauberern auf alles gefasst sein muss und den ganzen Tag damit verbringt, sich gegenseitig Flüche auf den Hals zu jagen.
„Keine Ahnung. Vielleicht, wenn Harry sich nicht benimmt", lachte Claire.
„Was hat eure Tante denn jetzt wieder mit Harry Potter zu schaffen?", fragte Evelyn verwirrt.
„Nun, sie sind zusammen. Ewig schon. Ich frag mich immer, wann sie endlich heiraten. Ich hätte nämlich noch mal Lust auf so n großes Fest. Wie damals, als Neville und Hannah geheiratet haben", meinte Claire und wandte sich an Emma, „weißt du noch, wie dein Dad mit Nevilles Großmutter getanzt hat und ihm dieser eigenartige Geierhut auf den Kopf gefallen ist? Es sah echt zu komisch aus."
Emma lachte schallend.
„Ja, er hatte eine Woche danach noch eine blutige Stelle am Hinterkopf. Der Geier ist da genau mit dem Schnabel reingekracht", grinste sie, „tja, hätte er halt nicht zu viel Feuerwhiskey trinken sollen!"
In dem Moment, als Emma ansetzen wollte, zu erklären, von wem sie überhaupt sprachen, öffnete sich ein Abteil vor ihnen und ein Junge, ein paar Jahre älter als Evelyn, trat mit einem Mädchen heraus, das zweifelsfrei seine Schwester sein musste. Der Junge trug eine dicke Hornbrille.
Als er Emma und Claire erblickte stockte er. Seine Schwester hatte die beiden ebenfalls bemerkt, allerdings machte es den Anschein, als probierte sie verzweifelt, sie einfach zu ignorieren. Sie schob ihren Bruder mit hartem Gesicht an den drei Mädchen vorbei und Evelyn sah, wie sich Emmas Miene schlagartig verfinsterte und Claire einen angewiderten Gesichtsausdruck aufsetzte.
Sie wusste nicht, ob es klug war, jetzt irgendwelche Fragen zu stellen, aber als Emma ihr Gesicht bemerkte, lächelte sie wieder.
„Lasst uns zurückgehen", meinte sie und Claire und Evelyn folgten ihr wortlos.
Kaum hatten sie wieder Platz genommen, fing Claire an zu erklären:
„Roger und Georgia", sie zog die Namen geringschätzig lang, „sind die Kinder von unserem Onkel, Percy. Er ist der Bruder von unseren Dads."
„Als Voldemort zurückkehrte, wollten wenige es glauben. Sie haben die Tatsache verdrängt und es als ein Hirngespinst Harrys, der ihn zurückkommen sehen hatte, abgetan. Sie haben Harry als eine Art Geistesgestörten hingestellt, weil sie es einfach nicht wahrhaben wollten. Der damalige Zaubereiminister, Fudge, hat es ziemlich geschürt, weißt du.
Aber unsere Großeltern haben ihm geglaubt und sich auf seine Seite geschlagen. Es gab damals etwas wie einen geheimen Orden, der gegen Voldemort kämpfte.
Unsere Familie ist eingetreten, Percy nicht. Er meinte, unsere Großeltern seien verrückt, Harry zu glauben und ist abgehauen. Hat nicht mehr mit ihnen geredet, weil er der Meinung war, alles, was das Zaubereiministerium tut, sei absolut richtig.
Nachdem Voldemorts Rückkehr offiziell war, konnte er wohl seinen Stolz nicht überwinden. Er hat sich nie entschuldigt. Unsere Großmutter war sehr traurig darüber, aber für unsere Onkels, Ginny und unseren Großvater war er gestorben.", sagte Emma wütend.
„Wir haben keinen Kontakt zu ihnen. Dad sagt, er würde sich lieber ein Ohr abschneiden, als jemals noch mal mit ihm zu reden", meinte Claire und offenbar teilte sie die Meinung ihres Vaters, „Percy ist ziemlich arrogant, weißt du. War früher n Streber, immer in allem der Beste –"
„Obwohl das natürlich nicht schlimm ist!", rief Emma dazwischen. Scheinbar hatte auch sie vor, immer in allem die Beste zu werden. Allerdings wohl eher, weil ihre Mutter es auch war, vermutete Evelyn.
„Seht mal."
Emma zog ihren Zauberstab und löschte das Licht im Abteil. Es war stockfinster.
„Wie soll man denn jetzt noch was sehen?", fragte Claire.
„Lumos", flüsterte Emma gespannt und die Spitze ihres Zauberstabs fing an zu leuchten.
„Wahnsinn!", rief Evelyn begeistert, „ist das schwierig?"
„Nein, ich denke, wir werden es direkt am Anfang lernen", antwortete ihr Emma.
Und plötzlich merkte Evelyn, wie die Freude in ihr hochkroch. Bald würde auch sie zaubern können!
Einige Zeit später hallte eine Stimme durch den Zug:
„In fünf Minuten kommen wir in Hogwarts an. Bitte lassen Sie ihr Gepäck im Zug, es wird für Sie zur Schule gebracht."
„Wir sind da! Endlich!", johlte Claire und sprang begeistert auf.
„Was ist mit den Tieren? Sollen wir die wirklich hier lassen?", fragte Evelyn bekümmert.
„Klar, wenn die das sagen", meinte Emma unbeschwert, „hey, wir sind hier in Hogwarts, hier läuft schon alles glatt!"
„Wenn sie Herbert vergessen?", hakte Evelyn, immer noch ein wenig zweifelnd, nach.
„Den werden sie schon nicht vergessen!", lachte Claire und warf einen Blick auf Herbert, der sich offensichtlich von der Aufbruchstimmung hatte anstecken lassen und nun wie ein Wilder schuhute.
Endlich hielt der Zug. Evelyn konnte es gar nicht erwarten auszusteigen und hastete hinter Claire her, die sich mit ihren Ellbogen schnell einen Weg durch das Getümmel gebahnt hatte.
Die Abendluft war kalt, Evelyn zitterte.
„Seht mal, da oben!", rief Emma plötzlich und deutete mit dem Finger auf ein kleines Häuschen, nicht weit vom Bahnsteig entfernt. Im obersten Stockwerk brannte Licht und eine junge Frau hatte sich aus dem Fenster gelehnt.
Sie war auffallend hübsch und hatte flammend rotes Haar, das selbe Haar, was sie bei einigen von Emmas Geschwistern gesehen hatte.
Die Frau grinste breit und winkte ihnen zu.
„Ginny!", rief Claire aus, wedelte mit den Armen und hüpfte auf und ab.
Auch Emma winkte, die Frau lächelte ihnen noch ein letztes Mal zu, dann schloss sie das Fenster.
„Erstklässler hier her! Erstklässler zu mir!", ertönte eine kräftige Stimme und Evelyn wandte sich um.
Ein Mann stand vor ihr, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Er war riesig, viel größer, als Evelyn jemals einen Menschen gesehen hatte. Außerdem war er mindestens dreimal so breit wie ein normaler Mensch.
Aber er sah ohnehin eher aus wie ein Riese und es hätte Evelyn nicht gewundert, wenn er einer wäre. Nach allem, was sie in den letzten Tagen erfahren hatte, war sie sich fast sicher, dass dieser Mann ein Riese war.
„Erstklässler zu mir! Hier rüber!", schrie er erneut und schwenkte eine Laterne.
„Hagrid!", rief Emma freudig.
Langsam fragte Evelyn sich, ob die beiden nicht wirklich jeden kannten.
„Er ist ein Freund von Mum und Dad", meinte Emma.
Das hätte sie sich ja denken können.
„Außerdem ist er Wildhüter und Lehrer in Hogwarts für die Pflege magischer Geschöpfe", fügte Claire hinzu.
„Ahh, ihr zwei", brummte der Mann namens Hagrid, „na dann mal mir nach!"
Seine Stimme dröhnte durch die Nacht und die Erstklässler folgten ihm in die Dunkelheit.
