Es war Samstagmorgen und Lyn erwachte in aller Frühe. Viel zu früh, nach ihrem Geschmack. Draußen dämmerte es. Verschlafen rieb sie sich die Augen und zog den Vorhang beiseite.
Die schleierhaften Schemen vor ihr nahmen allmählich Gestalt an. Claires Gestalt. Lyn vergewisserte sich, dass sie nicht noch im Halbschlaf war. Nach einigen Sekunden hatte sie allerdings festgestellt, dass dies zweifelsfrei kein Traum war.
„Meine Güte, was ist mit dir passiert?", nuschelte sie schlaftrunken.
„Super, was?", rief Claire und drehte sich stolz vor dem Spiegel. „Hat mir Dad alles geschenkt."
„Klasse", seufzte Lyn grinsend, „jetzt kann ja nichts mehr schief gehen."
Sie musterte Claire eine Weile, die den Schlafsaal auf und ab stolzierte. Auf ihrem Kopf saß eine riesige gold-rote Mütze, die ihr viel zu groß war. Sie fiel ihr fast bis über die Augen und ihr langes blondes Haar lugte strubbelig darunter heraus. Außerdem trug sie einen langen Schal in den Farben der Gryffindors, in ihren Händen hielt sie rote Fahnen mit einem Löwen und einem verschnörkelten G darauf und an ihren Armen hatte sie weitere Gryffindor-Luftballons befestigt. Ihr Umhang war gespickt mit Ansteckern brüllender Löwen.
Das laute Kampfgebrüll der Löwen musste es gewesen sein, was Lyn so unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte. Neben sich hörte sie nun ungehaltenes Gegrummel, dann erklang Emmas verschlafene Stimme:
„Was zum Teufel ist das für ein Lärm?"
Sie rappelte sich mürrisch in ihrem Bett hoch und schaute Claire entgeistert an.
„So willst du gehen?", fragte sie benommen.
„Sicher", verkündete Claire ausgelassen, „und jetzt macht ihr euch am besten fertig, oder wir kommen zu spät."
„Zu spät? Um Himmels Willen, Claire, es ist kurz nach acht!", rief Emma, die offenbar genauso müde war wie Lyn.
„Heute wird ohnehin kein Quidditchspiel stattfinden", gähnte Lyn mit einem Blick aufs Fenster.
Emma und Claire schauten sie entgeistert an.
„Wieso?", rief Claire nach einer kurzen Schreckenspause entsetzt.
„Hast du mal rausgeguckt? Es regnet in Strömen, es ist sicherlich eiskalt und außerdem bläst ein Wind, dass wir froh sein können, wenn uns das Dach nicht überm Kopf wegfliegt. Da bleibt doch kein Mensch auf nem Besen!", klärte Lyn sie geduldig auf.
Claire und Emma sahen sich eine Weile stumm an, dann prusteten sie nur so vor Lachen. Lyn sah die verdutzt an. Was sollte das nun wieder bedeuten?
„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass so ein bisschen Regen und Wind einen ordentlichen Spieler vom Quidditch abhalten?", schnaufte Emma geplättet.
„Na hör mal, das ist schon mehr als ein bisschen Regen und Wind! Die müssen doch lebensmüde sein!", sagte Lyn.
„Vielleicht sind sie das wirklich, aber wen interessiert das schon?", meinte Emma und stieg gemächlich aus ihrem Bett.
„Ihr denkt wirklich, die spielen bei diesem Wetter?", erkundigte sich Lyn noch einmal, als sie endlich fertig angezogen und in dicke Wollschals, Handschuhe und Mützen gewickelt, am Gryffindortisch saßen.
„Natürlich", erklärte Claire ihr, „jedem Quidditchspieler ist das Wetter so was von egal, da pfeifen die drauf."
„Ich weiß ja nicht. Das ist doch irgendwie...na ja, etwas krank, oder?", fragte sie zaghaft.
„Krank?", meinte Emma verblüfft. „Hey, ich hab noch nie ein Quidditchspiel gesehen, bei dem jemand vom Besen geflogen wäre. Es gibt ja auch Sicherheitsmaßnahmen."
„Ach so...die gibt es also?", erkundigte sich Lyn.
„Ja", sagte Emma schlicht und beugte sich tief über ihren Teller. Lyn bemerkte sofort, dass Emma offensichtlich nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte. Normalerweise hätte sie längst zu einer genauen Erklärung dieser Sicherheitsmaßnahmen angesetzt.
„Dann ist ja alles...in bester Ordnung", meinte Lyn. Am besten wäre es sicherlich, wenn sie sich die Sache einfach mal selbst ansah. Immerhin war es sicher interessant. Außerdem liebten alle Quidditch, also würde es wohl nicht so schlimm sein.
Langsam füllte sich die Große Halle. Immer mehr Schüler setzten sich ausgelassen in den Farben ihrer Mannschaften gekleidet an die Haustische und es waren heftige Diskussionen über den Ausgang des Spiels entfacht. Die Spieler probierten so gut es nur irgendwie ging wegzuhören und etwas Essen runterzuwürgen, während ihre Häuser ihnen aufmunternde Worte zuriefen oder sie ermutigten.
„Du MUSST etwas essen, oder ich lass dich nicht spielen, Thomas", meinte Lorrain und spießte ein Würstchen auf, das sie dem murrenden und blassen Thomas in den Mund schob, während Dylan Wood ihm beide Arme auf den Rücken festhielt.
Schließlich gab sich Thomas geschlagen und Lorrain grinste zufrieden, er hingegen wurde leicht grün im Gesicht, was wohl nicht die beabsichtigte Wirkung gewesen sein konnte.
„Wir schaffen das, wir schaffen das, wir schaffen das, wir schaffen das...", murmelte eine Viertklässlerin vor sich hin. Der Junge neben ihr, ein Fünftklässler, der offensichtlich auch Mitglied der Hausmannschaft war, klopfte ihr beruhigend auf den Rücken.
„Schon gut, Viola, so geht es uns allen das erste Mal", sagte er und strich ihr über das blonde Haar.
Lyn hatte den Eindruck, als wäre sie in einer Psychiatrie gelandet, doch sie sagte nichts.
„Das ist ganz normal", meinte Lorrain zwinkernd zu ihr. Offensichtlich hatte sie ihren Blick bemerkt. „So ist das immer. Aber spätestens, wenn sie auf dem Feld sind, wird's ihnen besser gehen." Sie tätschelte Thomas die Wange.
Lyn nahm einen Bissen ihres Kuchens, allerdings spähte sie immer noch aus dem Augenwinkel zum Gryffindorteam herüber. Thomas war jetzt mehr als grün und Viola, die die ganze Zeit probierte, sich selbst zu beruhigen, sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
„Lasst uns gehen, sonst sind die besten Plätze weg", meinte Claire, als sie sich den letzten Löffel Haferschleim in den Mund geschoben hatte und erhob sich.
Lyn hastete hinter ihr her. Im Vorbeigehen bemerkte sie, wie Viola sich schluchzend an Jimmy Kirke, den Fünftklässler, klammerte. Am Ravenclawtisch sah es ähnlich aus.
„Dad benimmt sich genauso, bevor er spielt. Es ist wirklich normal", meinte Emma und zog sie mit sich aus der Großen Halle.
„Dauert so ein Quidditchspiel lang?", erkundigte Lyn sich.
„Es kann Tage dauern", rief Claire fröhlich
„So lange, bis der Schnatz gefangen ist. Aber Tage dauert es nur ganz selten", erklärte Emma ihr.
Lyn blieb abrupt stehen.
„Was ist?", fragte Claire sie.
„Ich glaube, ich gehe besser noch mal auf die Toilette, oder?", fragte Lyn und machte kehrt. Hinter sich konnte sie Claire lachen hören. Lyns Meinung nach klang sie wie eine verrückte Hyäne. Oder als ob sie auf Drogen stünde. Aber wahrscheinlich gehörte das einfach zum Quidditch dazu.
„Wir warten vorm Stadion auf dich", rief Emma ihr noch nach.
Lyn beeilte sich. Die Korridore waren wie ausgestorben, es waren wohl alle schon draußen. Sie verspürte keine große Lust, noch länger mutterseelenallein durch die Gegend zu rennen und so war sie froh, wieder in der Eingangshalle zu sein, wo sich noch einige Schüler tummelten. Gerade wollte sie zur Tür heraus, als sie jemand an der Schulter packte.
„Wen haben wir denn da?"
Erschrocken drehte sie sich um und schaute in das grinsende Gesicht Howard Burkes'.
„Meine Güte, schleichst du dich öfters so an Leute ran?", fragte sie ihn aufgebracht.
„Nein, nur an manche. An die besonders faulen", gab er lachend zu.
Lyn musste ebenfalls grinsen. Sie hatte bereitwillig auf sein Angebot verzichtet, ihr zu helfen. Immerhin war sie noch lange nicht auf ihn angewiesen.
„Ich hab das ganz gut alleine hingekriegt", sagte sie, was eine komplette Lüge war, wo doch Emma ihren ganzen Donnerstagabend geopfert hatte, um es ihr beizubringen.
„Hast du? Na dann", meinte er und strich sich das Haar aus der Stirn. Er glaubte ihr kein Wort, das merkte Lyn sofort. „Gehst du runter zum Stadion?"
„Nein, ich dachte, ich mach mir nen netten Tag im Verbotenen Wald", sagte sie.
Er zog eine Augenbraue hoch.
„Natürlich, bei den Zentauren kann ich nicht mehr mithalten. Da fehlt es mir dann doch an Hufen", sagte er, „aber falls du dich doch noch entschließen könntest, dir das Quidditchspiel anzusehen."
Er hielt ihr die Tür auf.
„Heute sind wir aber mal ganz der Gentlemen", meinte Lyn grinsend und trat in die eisige Kälte. Wenigstens, konnte sie feststellen, hatte es aufgehört zu regnen.
„Ach was, das bin ich doch immer. Stets zu Euren Diensten, Milady." Er machte eine kleine Verbeugung. Beim Handkuss hört es aber auf, dachte Lyn amüsiert.
„Wie konnte ich das bloß vergessen?", meinte sie und zog ihren Schal ein wenig enger.
„Das frage ich mich auch", sagte er lächelnd. Sie gingen ein Weile nebeneinander her ohne etwas zu sagen. Der Wind pfiff ihnen um die Ohren und Lyn wollte einfach nur so schnell wie möglich runter zum Stadion.
„Unterwegs mit deiner Schlammblutfreundin, Burkes?", hörte Lyn eine schneidende Stimme hinter sich. Rasch drehte sie sich um.
„Oh, Malfoy, mach, dass du Land gewinnst", schnaubte Howard verächtlich. Es war der weißblonde Junge, von dessen Vater Claire und Emma berichtet hatten. Er hatte ein spitzes Kinn und kalte, graue Augen. Der Hohn und die Arroganz standen ihm geradezu ins Gesicht geschrieben. Lyn wusste nicht wieso, aber sie hasste ihn. Sie hasste ihn abgrundtief.
„Klar, Burkes, mit dir möchte ich mir lieber keinen Ärger einhandeln. Am Ende besprühst du mich noch mit Funken."
Er lachte abfällig, schlug Howard mit der flachen Hand auf den Hinterkopf und stolzierte weiter. Lyn fand es etwas dumm von ihm, immerhin war er derjenige gewesen, der im Hogwarts-Express nicht in der Lage gewesen war zu zaubern.
„Irgendwann bring ich ihn um, ich bring ihn mit meinen bloßen Händen um!", fauchte Howard und ballte die Fäuste.
„Was will er eigentlich von dir?", fragte sie schließlich, nachdem sie beschlossen hatte, die Situation nicht einfach ignorieren zu können, denn Howard dachte gerade laut über mögliche Foltermethoden nach.
„Wollen? Er will überhaupt nichts. Er ist der widerwärtigste, ekelhafteste – "
„Schon gut, lass es", sagte sie.
„Was denn? Er hat dich ‚Schlammblut' genannt! Findest du das etwa in Ordnung?", meinte er aufgebracht.
Lyn zuckte die Schultern. Im Grunde hatte sie keine Ahnung, was ein Schlammblut überhaupt war. Aber sie war sich sicher, dass es nichts besonders Gutes sein konnte, darum fragte sie lieber erst gar nicht nach.
„Du weißt nicht, was es heißt, stimmt's? Schlammblut ist ein Schimpfwort für Hexen und Zauberer, die von Muggeln abstammen. Ziemlich abartig, jemanden so zu nennen, weißt du? Unreines Blut, schmutziges Blut...Wen kümmert das heute schon noch?"
Lyn erinnerte sich, wie Emma von solchen Leuten erzählt hatten, die wert auf reines Blut legten. Wenn sie ehrlich war, konnte sie sich nicht weiter darüber aufregen, sie hielt diesen Lucius Malfoy Jr. oder wie immer er auch hieß für ziemlich dämlich. Howard hingegen stürzte sich in eine weitere Welle wüster Beschimpfungen.
„Es ist gut, Howie", sagte Lyn grinsend und legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm.
„Wenn du es sagst, Evy", meinte Howard, nun um einiges ruhiger. Er atmete noch einmal tief durch, bevor er sagte:
„Du weißt ja, wo du mich findest, wenn du eine Schulter zum Ausheulen suchst nach eurer katastrophalen Niederlage gegen uns im Quidditch."
Lyn lachte.
„Klar, leider werde ich dich überhaupt nicht brauchen!", sagte sie. Im Trubel vor dem Spielfeld hatte sie Claire und Emma entdeckt.
„Sag das nicht zu früh!", rief Howard ihr hinterher, bevor er zu einem anderen Ravenclaw-Jungen lief, den Lyn als Robert Buck identifizieren konnte.
„Holla die Waldfee!", rief Claire ihr zu. „War das jetzt ein Angebot oder nicht?"
„Das war ein Angebot für Verlierer", bemerkte Lyn bissig.
„Na dann würde ich an deiner Stelle hoffen, dass wir haushoch verlieren", sagte Claire grinsend.
„Du bist aber nicht an meiner Stelle", lachte Lyn, „Sollen wir jetzt gehen?"
„Bitte, wenn es Mylady beliebt!", flötete Claire grinsend. Lyn zwickte sie in die Seite.
„Hör schon auf zu lästern!", meinte sie, doch sie musste ebenfalls grinsen.
Sie stiegen die Tribünen empor durch die schreiende und kreischenden Menge. Lyn zog den Kopf ein, um nicht von rudernden Armen oder wild flatternden Transparenten erschlagen zu werden. Schließlich fanden die drei Freundinnen noch Plätze in der hinteren Reihe.
„So!", meinte Claire und rieb ihre frierenden Hände aneinander, „von mir aus kann's losgehen!"
Lyn grinste. Irgendwie war diese euphorische Stimmung all der anderen richtig ansteckend. Sie war total aufgeregt, obwohl sie Quidditch eigentlich überhaupt nicht kannte. Und selbst die schneidende Kälte konnte ihr die gute Laune nicht nehmen – sie veranlasste sie nur dazu, sich den Schal um die untere Hälfte ihres Gesichts zu wickeln, sodass sie aussah wie ein Bankräuber.
Harry hatte sich neben Professor McGonagall auf der Lehrertribüne niedergelassen.
„Ich hoffe mal, unser Gryffindor-Team ist dieses Jahr gut genug", sagte sie gerade zu ihm. Ihre Wangen glühten rot – ob vor Aufregung oder vor Kälte wusste Harry nicht. „Es ist schrecklich, Harry. Ich will nicht behaupten, dass wir keine guten Teams hatten in den letzten Jahren, aber so gut wie zu Ihrer Schulzeit waren wir Gryffindors nicht wieder. Jammerschade, dass das Talent der Potters nicht in die nächste Generation weitergegeben wird!"
Harry grinste wortlos in sich hinein. Natürlich, dass Professor McGonagall auf Nachwuchs bei ihm und Ginny spekulierte, konnte er verstehen. Immerhin war er auch jedes Mal total aus dem Häusschen wenn einer seiner Bekannten Nachwuchs erwartete.
„Ich denke schon, dass wir ganz gute Chancen haben!", erwiderte er und wickelte sich enger in seinen Umhang ein, „also, ich möchte jetzt nicht parteiisch erscheinen, aber das Team der Gryffindors scheint doch ganz passabel zu sein."
„Ja, das können wir nur hoffen!", seufzte McGonagall.
„Wann fangen sie denn endlich an?", murrte Claire und turnte ungeduldig auf ihrem Sitz herum.
„Sei doch nicht so ungeduldig, Claire!", wies Emma sie zurecht, „von deinem Rumgezappel wird es auch nicht schneller!"
Claire wollte zu einer bissigen Antwort ansetzen, doch in diesem Augenblick betrat Miss Bell das Spielfeld.
„Es geht los! Es geht los!", rief Claire begeistert und sprang auf. Emma verdrehte genervt die Augen.
„Herzlich willkommen zum ersten Spiel der Saison!", ertönte eine Stimme, die zweifelsohne aus einem magischen Megaphon kam, „die heiß ersehnte Begegnung Gryffindor gegen Ravenclaw. Und hier ist auch schon das Team der Gryffindors: Smith, Miller, Crames, Moon, Wood, Kirke und Clark! Dieses Jahr sind einige neue Gesichter hinzugekommen, mal sehen, ob Kapitänin Miller eine gute Auswahl getroffen hat."
„Wer kommentiert denn da?", fragte Lyn.
„Soweit ich weiß ein Drittklässler aus Hufflepuff", erwiderte Emma, „aber frag mich nicht, wie er heißt!"
„Und hier haben wir auch schon das Team der Ravenclaws: Rushton, Chang, Turpin, Jennings, Lynch, Fawcett und Lynch! Auch hier sind einige Neuzugänge anzutreffen; wir können uns also auf ein spannendes Spiel einstellen."
Lyn setzte sich auf ihrem Platz zurecht, um einen besseren Blick auf das Spielfeld zu haben, wo die Teams sich nun gegenüberstanden. Helen Lynch und Lorrain, die Kapitäninnen der beiden Teams, reichten sich die Hände und die Spieler bestiegen ihre Besen.
„Pass auf, gleich geht's los!", rief Claire aufgeregt und stieß Lyn in die Seite.
Miss Bell öffnete die Holzkiste, in der sich die Bälle befanden.
„Und schon steigen die Klatscher in die Höhe, gefolgt vom Goldenen Schnatz! Na, wenn der mal bei diesem windigen Wetter nicht davongeblasen wird!"
Lyn sah für einen kurzen Augenblick etwas goldenes glänzen, doch der Schnatz war unglaublich schnell und verschwand sofort.
„Der Quaffel wird in die Luft geworfen – und das Spiel geht los! Und Michael Jennings von den Ravenclaws schnappt sich sofort den Quaffel und fliegt auf die Torringe der Gryffindors zu! Meine Güte, geht der Junge ran! Pass zu Turpin – wieder zurück zu Jennings – autsch! Das war ein Klatscher, geschlagen von Dylan Wood. Sauberer Schlag, wirklich! Und Miller am Ball – es scheint, die Kapitänin der Gryffindors ergreift die Initiative. Chang blockt sie ab – schöner Pass zu Moon! Gryffindor weiterhin in Ballbesitz."
Lyn verfolgte gespannt die einzelnen Spielzüge. Viola Moon flog nun in einem wahnsinnigen Tempo auf die Torringe der Ravenclaws zu. Dave Fawcett, der eine Ravenclaw-Treiber, schlug einen Klatscher in ihre Richtung, doch Viola duckte sich darunter weg.
„Das ist ja noch einmal gut gegangen! Und sie passt den Quaffel zu Miller und- ja, die macht ihn rein, keine Frage, einfach zu schnell für Ravenclaws Hüter John Rushton."
Claire sprang auf und stieß einen triumphierenden Schrei aus. Auch Lyn strahlte begeistert. Das Spiel hatte kaum drei Minuten gedauert und schon lag Gryffindor mit zehn Punkten vorne. Wenn es so weiterging, standen ihre Chancen wirklich gut.
Harry klatschte begeistert mit, als die Gryffindors in Jubel ausbrachen.
„Sehen Sie?", meinte er zu Professor McGonagall, „wenn das kein guter Anfang ist!"
„Ja, Sie haben Recht!", stimmte McGonagall ihm zu, „und Lorrain ist wirklich eine ausgezeichnete Jägerin, auch wenn sie mir im Unterricht manchmal ein wenig zu – nun ja, eigensinnig ist."
Harry grinste. Er wusste, was Professor McGonagall meinte. Lorrain Miller gehörte eindeutig zu den Schülern, die man als eigensinnig bezeichnen konnte. Sie hätte sich sicherlich prächtig mit Fred und George vertragen, überlegte Harry gerade, als die Gryffindors erneut in einen Begeisterungssturm verfielen, weil Jude Crames, die andere Jägerin, einen weiteren Treffer gelandet hatte.
„Gryffindor geht jetzt mit zwanzig zu null in Führung!", verkündete der Hufflepuff-Drittklässler, „das Team der Ravenclaws sollte sich wirklich ranhalten, wenn sie dieses Spiel nicht verlieren wollen!"
Die Ravenclaws schienen sich seinen Rat zu Herzen genommen zu haben, denn wenige Minuten machte ihr Jäger Michael Jennings ein Tor und Augenblicke später landete Lindsay Chang den Treffer zum Ausgleich.
„Buuuuh!", brüllte Claire über das Jubeln der Ravenclaws hinweg, „ober-riesen-doppel-buuuuuuh!"
Auch die restlichen Gryffindors taten laut ihren Unmut über die beiden Treffer der Ravenclaws kund. Lyn überlegte, ob es bei Quidditch wohl genauso zu Ausschreitungen zwischen fanatischen Fans kam wie beim Fußball. Einen kurzen Augenblick hatte sie vor ihrem geistigen Auge ein Bild von einer Gruppe Quidditch-Hooligans, die sich gegenseitig Flüche auf den Hals jagten und sich mit Bierflaschen bewarfen, doch ihre Aufmerksamkeit wurde rasch wieder vom aktuellen Spiel vereinnahmt – Helen Lynch, die Kapitänin und Sucherin der Ravenclaws war in einen steilen Sturzflug gegangen und schoss nun in irrsinniger Geschwindigkeit auf den Boden zu. Ein Raunen ging durch die Menge. Charlotte Clark, die Sucherin der Gryffindors war Helen dicht auf den Fersen, doch einholen können würde sie sie wohl nicht.
„Komm schon!", schrie Claire. Sie war aufgestanden und sprang nun wie eine Verrückte auf ihrem Platz herum.
„Und es sieht ganz so aus, als hätte die Sucherin der Ravenclaws den Schnatz gesichtet! Oh, oh, es sieht übel aus für Gryffindor."
„KOMM SCHON!", brüllte Claire über die Menge hinweg.
Lyn erhob sich ebenfalls mit klopfendem Herzen. Helen und Charlotte näherten sich jetzt in rasender Geschwindigkeit dem Erdboden.
„Da!", rief Emma plötzlich aufgeregt. Lyn folgte ihrem Blick – und sah gerade noch, wie Dylan Wood und Jimmy Kirke beide gleichzeitig die Klatscher in Helens Richtung schlugen.
„Das schaffen die doch nie!", rief Lyn, „bei dem Tempo erwischen sie eher noch Charlotte!"
Doch sie hatte Unrecht. Einer der beiden Klatscher erreichte sein Ziel und traf Helen an der Schulter. Sie wurde beinahe aus der Bahn geschleudert, konnte sich aber zum Glück gerade noch so an ihren Besen klammern. Doch Dylan und Jimmy hatten ihr Ziel erreicht – sie hatte den Schnatz aus den Augen verloren und dieser war natürlich sofort wieder verschwunden.
„Wow!", entwich es Lyn beeindruckt, „das war ... Wahnsinn!"
Claire ließ sich neben ihr auf ihren Sitz plumpsen.
„Oh Mann, das ist ja gerade noch mal gut gegangen!", stöhnte sie, „nicht auszudenken, wenn diese Helen den Schnatz gefangen hätte!"
Harry ließ sich in seinen Sitz zurückfallen. Helen Lynch war eine ausgezeichnete Fliegerin – ohne diesen Klatscher hätte sie den Schnatz sicherlich gefangen. Gryffindor brauchte dringend einen besseren Sucher, dachte Harry bei sich. Diese Charlotte war ja ganz passabel, aber auf Dauer einfach nicht gut genug.
„Du liebe Zeit!", seufzte Professor McGonagall neben ihm, „meine armen Nerven! Ein Glück, dass zumindest die Treiber unseres Teams exzellent sind."
Harry nickte zustimmend.
Das Spiel zog sich in die Länge. Nach einer Stunde stand es neunzig zu siebzig für Gryffindor und der Schnatz war nicht wieder aufgetaucht.
„Mensch, das dauert ja Ewigkeiten!", meinte Lyn.
„Ach, das ist doch gar nichts!", erwiderte Emma vergnügt, „ich war einmal ein Spiel von meinem Dad gucken, da haben sie zwölf Stunden gespielt. Und das längste Quidditchspiel der Welt hat über drei Monate gedauert."
Lyn sagte nichts mehr. Sie war nur froh, dass sie vorher noch einmal auf der Toilette gewesen war.
Nach einer Weile fing es wieder an zu regnen. Zunächst waren es nur wenige Tropfen, doch bald hatte sich der fiese Regen vom Morgen wieder eingestellt.
„Na toll!", murrte Lyn und vergrub sich tiefer in ihren Umhang, „wir werden uns alle so was von erkälten..."
Doch Claire schien sie gar nicht zu hören, ebenso wenig Emma. Die beiden starrten trotz der Wassermassen, die der Wind von Norden her scharf gegen die Spieler peitschte, wie gebannt auf das Spielfeld. Lyn seufzte genervt auf und wollte gerade zu einer weiteren Unmutsbekundung ansetzten, als sie sah, was ihren beiden Freundinnen die Sprache verschlagen hatte.
Charlotte Clark, die Sucherin der Gryffindors, war erneut in einen steilen Sinkflug gegangen. Ihr Besen schlingerte im starken Wind bedenklich hin und her und Helen war ihr dicht auf den Fersen. Lyn stand auf.
„Mach schon!", flüsterte Claire und wirkte fast, als bete sie.
„Offenbar hat sich der Schnatz zum zweiten Mal in diesem Spiel gezeigt!", erscholl die Stimme des Kommentators, „diesmal liegt Gryffindor vorne, aber ob Clark den Vorsprung auch halten kann? Ihr Besen macht den Eindruck, als sei er nicht allzu Wetterfest, und da sich die Bedingungen wieder verschlechtert haben in dieser Hinsicht, wird Ravenclaw womöglich doch noch aufholen."
Gebannt starrte Lyn durch die Regenschnüre. Sie kniff die Augen zusammen, doch sie konnte beim besten Willen keinen Schnatz erkennen. Charlotte und Helen legten sich jetzt beinahe zeitgleich in eine scharfe linkskurve.
„Und Helen Lynch holt auf! Tja, es sieht ganz so aus, als würde sich daraus noch ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen entwickeln!"
Claire stand mittlerweile mit gekreuzten Fingern auf ihrem Sitz und schien die beiden Sucherinnen hypnotisieren zu wollen.
Helen und Charlotte waren jetzt gleichauf, doch Helen war eindeutig die bessere Fliegerin. Es sah ganz danach aus, als würde dieser Schnatzfang an die Ravenclaws gehen.
Harry verfolgte die beiden Mädchen dort unten am Spielfeld mit den Augen. Es war schwer, durch die dichten Regenfäden etwas zu sehen, die der Wind durch die Luft wirbelte, doch dass Helen nun eindeutig die bessere Position innehatte, war ihm klar. Neben ihm murmelte McGonagall vor sich hin:
„Ich habe es ja kommen sehen... Was für eine Blamage, was für eine Blamage! Elf Jahre ohne Quidditchpokal, das ist noch nie vorgekommen, nie während meiner ganzen Zeit in Hogwarts!"
Harry versuchte, nicht hinzuhören. Auch ihn wurmte es ungemein zu sehen, wie Charlotte Clark langsam aber sicher hinter Helen zurückfiel. Er seufzte.
Doch dann – es geschah viel zu schnell, um es deutlich erkennen zu können – Helen riss es fast vom Besen - Charlotte flog einen Schlenker um sie – sie streckte die Hand aus – und der Schnatz flatterte zwischen ihren Fingern.
Es dauerte einige Sekunden, bis alle begriffen, was dort gerade geschehen war. Dann brach ein Jubel auf Seiten der Gryffindors aus, der selbst den tosenden Wind übertönte. Ein Meer aus scharlachroten und goldenen Gestalten wogte auf der Tribüne auf und ab, als alle Gryffindors aufsprangen und auf ihre Sitze stiegen.
Charlotte Clark landete, den Schnatz in der Hand, ein wenig benommen auf dem Spielfeld. Sie schien noch nicht ganz realisiert zu haben, was soeben geschehen war.
„Wie ist das möglich?", rief Lyn fassungslos. Was hatte Helen Lynch dazu veranlasst, die Kontrolle über ihren Besen zu verlieren?
„Keine Ahnung!", schrie eine strahlende und wie verrückt umhertanzende Claire ihr über den Tumult hinweg zu, „ist doch egal! Wir haben gewonnen! Gewonnen!" Überschwänglich fiel sie Lyn um den Hals und warf sie damit fast zu Boden.
Alles drängte nun von den Tribünen herunter. Auch Harry verließ seinen Platz, neben sich eine freudestrahlende Professor McGonagall. Die alte Lehrerin war ihm Freudentaumel dem vor ihr sitzenden Professor Flittwick um den Hals gefallen. Ein wenig verlegen schien der kleine Professor deswegen schon zu sein, besonders weil er nun den dunkelroten Abdruck eines Kussmundes schräg auf der linken Wange hatte.
Harry sah hinunter auf das Spielfeld, wo inzwischen auch die restlichen Spieler gelandet waren. Helen Lynch massierte sich mit leicht verzogener Miene den rechten Oberarm. Sie schien ziemlich bedrückt zu sein über ihre Niederlage.
Dylan Wood, der eine Treiber der Gryffindors trat zu ihr heran. Er schien nervös zu sein und sagte irgendetwas zu ihr. Helen lächelte und winkte ab. Sie erwiderte etwas, woraufhin Dylan leicht errötete und verlegen zu Boden sah.
Madam Pomfrey, die Krankenschwester, eilte auf das Spielfeld, das einer einzigen Schlammlache glich. Sie machte sich sogleich daran, Helens Arm unter die Lupe zu nehmen.
Emma, Claire und Lyn kämpften sich durch die Masse aus Schülern. Sie quetschten sich durch einen Wald aus triefnassen, schwarzen Umhängen. Der Regen hatte sich gelegt, fast so, als hätte er auf das Ende des Spiels gewartet.
Als sie endlich außerhalb des Gewühls waren, blieben sie erst einmal stehen.
„Wow!", meinte Lyn, „das war ja echt superspannend!"
„Haben wir doch gesagt!", erwiderte Emma. Ihre Wangen glühten. „Kommt, wir gehen in den Gryffindor-Turm, da ist jetzt feiern angesagt!"
Auf dem Weg zurück zum Schloss verbreitete sich dann die Neuigkeit unter den Schülern, was Helen so aus der Bahn geworfen hatte. Dylan Wood hatte gerade noch rechtzeitig einen Klatscher in ihre Richtung geschlagen, der sie mit voller Wucht am Oberarm getroffen hatte.
„Wahnsinn!", Claire überschlug sich fast vor Begeisterung, „wie der bei diesem Wetter einen Klatscher so treffen kann, dass er auch wirklich das Ziel erreicht!"
Sie machte einen Luftsprung. „Mensch, wir haben GEWONNEN!", quietschte sie.
„Ach, auch schon gemerkt?", meinte Gabriel, der plötzlich neben ihnen aufgetaucht war, bis über beide Ohren grinsend, klitschnass von Kopf bis Fuß und mit einem ähnlich verrückten Outfit ausgestattet wie Claire. Sie knuffte ihn freundschaftlich in die Seite.
„Ja, allerdings", gab sie kess zurück, „ich wollte nur, dass du es auch endlich mitbekommst." Gabriel grinste.
Als sie die Treppen erreichten, die ins Schloss hoch führten, entdeckte Lyn Howard. Sie hielt inne.
„Was ist?", fragte Emma, als Lyn so plötzlich stehen blieb. Sie folgte ihrem Blick und ein wissendes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Du kommst dann nach, ja?", meinte sie. Und ehe Lyn noch zu einer Antwort ansetzen konnte, hatte Emma Claire und Gabriel die Treppen nach oben geschoben.
Kurz entschlossen ging Lyn hinüber zu Howard. Er wirkte wie alle Ravenclaws nicht besonders fröhlich.
„Hey!", meinte sie und grinste ihn an, „na, wer braucht jetzt ne Schulter zum Ausheulen?"
Auf Howards Gesicht erschien ein Grinsen – etwas gequält zwar, doch er grinste.
„Gratuliere", sagte er und reichte Lyn übertrieben höflich die Hand, „Miss Evy."
„Besten Dank, Mister Howie!", flötete Lyn und deutete einen Knicks an. Howard grinste wieder.
„Mann, war das ein Mistwetter!", meinte er und fuhr sich mit der Hand durch das nasse Haar, „ich hab echt gedacht, gleich schwimmt das Quidditch-Stadion weg, oder es fliegt davon."
„Und dass die Spieler sich überhaupt noch auf ihren Besen halten konnten!", erwiderte Lyn, während sie gemeinsam die Treppen zum Portal hochstiegen. Um sie her wuselten nasse Umhänge, euphorisch singende Gryffindors und geknickt wirkende Ravenclaws.
„Trotzdem", sagte Howard, „ich würde so gerne auch Quidditch spielen!"
„Na, dann tu's doch!", meinte Lyn. Howard schnitt eine Grimasse.
„Ich auf einem Besen! Ich bin ja immer schon froh, wenn ich nicht von dem Teil runterrutsche!", meinte er sarkastisch. Lyn lachte.
„Na, dann wird es ja höchste Zeit, dass sich das ändert!", meinte sie, „also, falls du jemanden brauchst, der dir das noch mal in allen Einzelheiten erklärt – du weißt ja, wo du mich findest."
„Echt? Du kannst fliegen?", fragte Howard und blieb stehen. Lyn nickte.
„Nichts leichter als das!", erwiderte sie. Howard schwieg einen Moment. Dann lachte er los.
„Das ist doch verrückt, oder?", meinte er, „einer von uns kann andere Sachen fliegen lassen, schafft es aber bei sich selbst nicht, und der andere kriegt nicht mal ne Feder dazu zu schweben, fliegt aber selbst!"
Lyn musste mitlachen.
Mittlerweile waren fast alle Schüler ins Schloss zurückgekehrt und die Eingangshalle, in der sie sich befanden, leerte sich allmählich.
„Na ja, ich glaube, ich muss dann mal in den Gryffindor-Turm", meinte Lyn, „du verstehst, trockene Klamotten anziehen. Und außerdem haben wir ja jetzt ordentlich was zu feiern."
„Dann feiert mal schön", meinte Howard, „wart's nur ab: Revanche gibt's spätestens nächstes Jahr!"
„Das wird sich zeigen!", erwiderte Lyn grinsend, „also dann, mach's gut, Howie!"
„Du auch, Evy!", rief Howard grinsend und verließ die Eingangshalle. Noch immer grinsend machte Lyn sich auf den Weg in den Gryffindor-Turm.
Als sie durch das Portraitloch trat schlug ihr lauter Jubel entgegen. Das Gryffindor-Team trug noch immer die scharlachroten Umhänge und so waren die sieben Spieler unter all den schwarzen Gestalten gut zu erkennen.
„Lyn!", brüllte Claire zu ihr herüber. Sie, Emma und Gabriel saßen auf einem der Sofas am Kamin.
„Ich komme gleich!", schrie Lyn zurück und deutete erklärend auf ihre nassen Sachen und die Treppe zu den Schlafsälen. Dann wühlte sie sich durch die Menge der anderen Gryffindors und stieg nach oben in ihren Schlafsaal.
Rasch zog sie ihre nassen Klamotten aus und schlüpfte in frische Sachen. Dann huschte sie wieder nach unten in den Gemeinschaftsraum.
„Mensch, da bist du ja endlich!", meinte Claire, als Lyn sich zu ihnen auf das Sofa plumpsen ließ. Anouk saß auf ihrem Schoß und ließ sich von ihr kraulen.
„Ich kann mich ja schlecht mit meinen nassen Sachen hierhin setzen!", meinte Lyn entschuldigend.
„Wieso?", fragte Gabriel und grinste, „unser Quidditch-Team macht das doch auch!"
Er hatte Recht. Lorrain und die anderen schien es offenbar nicht zu stören, dass ihre Umhänge ihnen wie eine zweite Haut am Körper klebten und sich kleine Pfützen zu ihren Füßen bildeten.
Charlotte Clark, die Viertklässlerin, die Gryffindors Sucherin war, wurde immer wieder beglückwünscht, doch sie wehrte verlegen ab.
„Ich hätte den Schnatz niemals gefangen", erklärte sie, und es war ersichtlich, dass sie das wurmte, „wenn Dylan nicht diesen Klatscher geschlagen hätte."
Sie hatte wohl recht. Dylan war der Star des Abends. Es hatte sich herausgestellt, dass der erste Klatscher, der Helen bei ihrem ersten Versuch, den Schnatz zu fangen, getroffen hatte, ebenfalls von ihm geschlagen worden war, und so war er nun von begeisterten Gryffindors umringt, die ihn zu seinen Glanzleistungen beglückwünschten. Ihm schien das alles zwar ein bisschen peinlich zu sein, doch er strahlte geschmeichelt und ein zufriedenes Grinsen schien auf seinem Gesicht festgewachsen zu sein.
Dominic Barnes und Nathaniel Holmes saßen etwas verloren in einer Ecke und sahen dem übermütigen Treiben etwas skeptisch zu. Sie gehörten eindeutig zu den Außenseitern und Lyn kannte sie so gut wie nicht. Gabriel allerdings schien noch immer seine Rolle als Beschützer der Neuen und Unsicheren wahrzunehmen, denn mit den Worten „Ich geh mal zu unseren zwei Sorgenkindern!" huschte er davon.
Später am Abend, als sich der ganze Trubel allmählich legte und ein Großteil der Schüler durch den Konsum mehrerer Flaschen Butterbier leicht benebelt auf den Sofas saß, zogen sich viele der Gryffindors, noch immer leise vor sich hin summend in die Schlafsäle zurück. Lorrain und Thomas saßen in einer der Ecken und schienen äußerst beschäftigt miteinander zu sein und Claire war mit dem Kopf an Gabriels Schulter kurz eingeschlafen.
„Ich denke, wir sollten uns auch so langsam mal in die Betten begeben", meinte Emma und stand auf. Das Feuer im Kamin war fast heruntergebrannt und vor den Fenstern herrschte Dunkelheit. Auch Lyn stand auf.
„Hm? Was?", murmelte Claire und richtete sich mit zerzaustem Haar und verschlafenem Blick auf.
„Ich sagte, wir sollten schlafen gehen, Claire", wiederholte Emma grinsend. Claire fuhr sich durch das Gesicht und stellte die leere Flasche mit dem Butterbier auf den Boden. Emma sah sie missbilligend an. „Wo du das Zeug schon wieder her hast – du übertreibst es echt manchmal, Claire!"
„Was denn?", protestierte Claire und stand mit einigen Schwierigkeiten auf, wobei Gabriel sie gerade noch auffangen und auf ihre eigenen Beine stellen konnte, „ups - 'tschuldige, Gabriel."
„Siehst du!", meinte Emma empört, „wie viele Flaschen von dem Kram hast du getrunken?"
„Weiß nich", nuschelte Claire und gähnte ausgiebig, „Lorrain hat doch allen einen ausgegeben, zur Feier des Tages."
Emma seufzte und warf einen missbilligenden Blick in Lorrains Richtung, die noch immer ausgiebig mit Thomas am knutschen war.
„Und so was ist Vertrauensschüler", murmelte sie mit gerunzelter Stirn.
„Komm, stütz dich an mir ab", meinte Lyn zu Claire und legte sich deren einen Arm um die Schultern.
„Na dann, gute Nacht die Damen", meinte Gabriel grinsend und verschwand in Richtung Jungenschlafsäle. Mit vereinten Kräften gelang es Lyn und Emma, Claire die Treppe hinauf zu bugsieren, ihr den noch immer bunt ausstaffierten Umhang auszuziehen, sie in ihre Nachthemd zu stopfen und ins Bett zu verfrachten.
Als sie wenige Minuten später an den dunkelroten Baldachin ihres Himmelbettes starrte, lächelte Lyn zufrieden. Quidditch war toll. Und es war ein schöner Tag gewesen, trotz des schlechten Wetter. Sie kuschelte sich in ihre weichen Kissen und war kurz darauf eingeschlafen.
