B.ELFE.R

„Ratet mal, wo ich gerade war!", rief Emma überschwänglich, als sie den Gemeinschaftsraum der Gryffindors durch das Portraitloch betrat. Ihre Wangen glühten vor Begeisterung und sie schien äußerst zufrieden mit sich selbst.

Claire seufzte.

„Ich habe keine Ahnung", erwiderte sie, „aber du wirst es uns bestimmt gleich sagen."

„Bei McGonagall!", verkündete Emma strahlend und ließ sich auf eines der Sofas plumpsen, „sie ist einverstanden mit unserem Vorhaben. Mum hat sich wohl mit ihr in Verbindung gesetzt. Das erste Treffen von B.ELFE.Ryoung kann am Wochenende stattfinden!"

„Wahn-sinn", gähnte Claire gelangweilt, „na dann, viel Spaß!"

„Was soll das heißen?", fragte Emma, „du machst natürlich mit!"

Claire starrte sie an.

„Wie kommst du auf die Idee, ich würde bei so einem Schwachsinn mitmachen, Emma!", erwiderte sie entgeistert. Emma zog die Augenbrauen hoch und sah mehr denn je aus wie ihre Mutter.

„Ganz einfach", sagte sie, „weil dir natürlich bewusst ist, wie außerordentlich wichtig es ist, sich in solch einer Organisation zu engagieren. Und", fügte sie milde lächelnd hinzu, „weil du sicher auch in Zukunft nicht ohne meine tatkräftige Unterstützung bei den Hausaufgaben auskommen willst."

Claire sah sie mit leidgetränkter Mine an.

„Das ist Erpressung!", sagte sie klagend und sah Emma vorwurfsvoll an. Emma zuckte ungerührt die Schultern.

„Ich habe euch schon eingeteilt, welche Aufgaben ihr übernehmt", erklärte sie geschäftig, „Lyn, du bist Kassenwart. Mitgliedsbeiträge und Spenden verwalten und so weiter. Claire, du bist Schriftführerin. Dir obliegt die Aufgabe, die Mitgliederliste zu erstellen, Anwesenheitskontrolle und all solche Dinge."

„Jetzt ist sie völlig übergeschnappt", murmelte Claire, laut genug, dass Emma es hören konnte. Diese überging die Bemerkung geflissentlich.

„Ich würde euch übrigens bitten, ausreichend viele Kopien von diesem Flugblatt anzufertigen", verkündete sie und legte ihnen einen Zettel vor. Lyn nahm ihn in die Hand und las:

B.ELFE.Ryoung – die Jugendorganisation von B.ELFE.R

Wir setzen uns für die Rechte von Hauselfen und deren Durchsetzung ein. Es ist ABSOLUT NOTWENDIG, diese armen Geschöpfe aus ihrer Sklaverei durch die Zaubererschaft zu befreien!

Alle Schüler, die Interesse haben, melden sich bitte bei Emma Weasley, erste Klasse Gryffindor, oder kommen einfach zur ersten Mitgliederversammlung am kommenden Samstag um 14 Uhr. Die Versammlung findet in einem ungenutzten Klassenraum im zweiten Stock statt. Der Raum wird ausgeschildert sein.

„Die willst du doch nicht etwa in der Schule verteilen?", fragte Claire und starrte Emma entgeistert an.

„Natürlich", erwiderte diese. Claire stieß einen Stoßseufzer aus.

„Ich sag's ja: Sie hat den Verstand verloren!", klagte sie.

„Also dann, bis nachher", meinte Emma und erhob sich, „und seid fleißig!"

„Wo willst du hin?", rief Claire ihr nach, als sie durch das Portraitloch verschwand. Emma streckte den Kopf noch einmal hinein.

„Ich muss noch einige organisatorische Dinge klären", antwortete sie, „wenn wir Glück haben, bekommen wir nämlich einen prominenten Gast!"

Claire schüttelte fassungslos den Kopf.

Tatsächlich verteilte Emma die Flugblätter überall in der Schule; beim Frühstück in der Großen Halle, im Unterricht, im Gemeinschaftsraum, einfach überall, wo die Schüler darauf aufmerksam werden konnten.

Was Lyn am meisten erstaunte, war, dass tatsächlich einige andere Schüler Emma darauf ansprachen. Dass Jade und Sherryl mitmachen würden, war Lyn klar gewesen, schließlich hatte Emma mit ihnen von Anfang an darüber gesprochen. Aber dass einige Schüler, die sie gar nicht kannte, Emma auf den Gängen ansprachen, und genauere Details über B.ELFE.Ryoung wissen wollten, erstaunte sie doch ziemlich.

Am Samstag schleppte Emma sie und Claire schon direkt nach dem Mittagessen in den Klassenraum, den Professor McGonagall ihnen freundlicherweise für ihre Mitgliedertreffen zur Verfügung gestellt hatte.

Als sie den Raum betraten überraschten sie Peeves, den Poltergeist, wie er gerade den Inhalt des Papierkorbes fein säuberlich überall im Raum verteilte. Als er die Mädchen entdeckte, grinste er breit.

„Soso", säuselte er und schwebte auf sie zu, „was macht ihr denn hier, hm? Dürft ihr überhaupt hier sein?"

„Ach, halt die Klappe, Peeves!", seufzte Emma und zückte ihren Zauberstab, um die Unordnung zu beseitigen, die er hier veranstaltete hatte.

„Sollte vielleicht Filch holen", meinte Peeves und sah sie lauernd an.

„Na und?", meinte Claire ungerührt, „hol ihn doch! Nur zu deiner Information: Professor McGonagall hat uns persönlich erlaubt, diesen Raum für unsere Zwecke zu nutzen!"

„Soso", erwiderte Peeves und schwebte noch immer lauernd vor ihnen auf und ab, doch er klang nicht mehr ganz so selbstsicher, „hat sie das also?"

„Ja, Peeves, habe ich!", ertönte eine scharfe Stimme von der Tür her. Sie wandten sich um. Professor McGonagall hatte den Raum betreten. Peeves sah sichtlich enttäuscht aus. Mit einem äußerst unzufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht schwebte er aus dem Raum.

„Nun, wie ich sehe, haben Sie bereits begonnen, hier Ordnung zu machen", stellte Professor McGonagall zufrieden fest, als Emma die Papierschnipsel und zerknüllten Zettel mit ihrem Zauberstab zusammentrieb und wieder in den Mülleimer beförderte, „ich wollte Ihnen eigentlich nur sagen, dass Jacob McCornwall, einer unserer Schulsprecher, ebenfalls vorbeikommen wird. Ansonsten wünsche ich Ihnen viel Spaß und gutes Gelingen!"

„Warum kommt einer der Schulsprecher?", fragte Lyn, nachdem Professor McGonagall wieder gegangen war.

„Ist doch klar, oder?", erwiderte Claire und ließ sich auf dem Lehrerpult nieder, „die wollen nicht drei Erstklässlern das Feld überlassen. Und weil sie uns keinen Lehrer aufhalsen wollen als Verantwortlichen, schicken sie eben einen der Schulsprecher."

„Ich bin sowieso mal gespannt, wer alles kommt", meinte Emma, „hoffentlich genug, damit es eine ordentliche Versammlung wird!"

Gegen zehn vor zwei trudelten die ersten Schüler ein. Emma, Lyn und Claire hatten die Tische so gestellt, dass sie eine Art Halbkreis um das Lehrerpult bildeten, damit „es nicht so steif wie im Unterricht aussieht", wie Emma es formulierte.

Jade und Sherryl waren die ersten, die den Raum betraten.

„Wow, ihr habt ja alles schon richtig professionell eingerichtet!", meinte Jade bewundernd. Emma lächelte geschmeichelt.

„Setzt euch ruhig!", wies sie die beiden Mädchen an, „ich denke, wir warten bis zehn nach zwei; wer dann nicht da ist, der kommt auch nicht mehr."

Die restlichen Schüler kamen nach und nach in der nächsten Viertelstunde. Jacob McCornwall, der Schulsprecher, war ein Siebtklässler mit dunkelblondem kurzem Haar. Er begrüßte Emma freundlich und setzte sich dann etwas abseits auf einen der Stühle.

Schließlich, um zehn nach zwei, schloss Emma die Tür. Lyn sah sich im Raum um. Einige der Leute kannte sie. Gabriel war gekommen (wahrscheinlich auf Claires Bitte hin), ebenso wie Howard und sein Freund Robert Buck. Howard grinste Lyn zu und sie grinste zurück. Auch Nathaniel Holmes und Dominic Barnes waren unter den Anwesenden, außerdem noch zwei Mädchen aus Hufflepuff, deren Namen Naomi Vine und Sarah McLaggen waren, wenn Lyn sich recht erinnerte. Die anderen beiden Schüler, ein Mädchen und ein Junge, waren Lyn nicht bekannt. Sie waren aus der zweiten Klasse, das Mädchen hieß mit Nachnahmen Chang, soweit Lyn sich erinnern konnte, doch der Junge war ihr gänzlich unbekannt.

Emma räusperte sich etwas nervös. Sie stand vor dem Lehrerpult und hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt.

„Schön", begann sie ein wenig unsicher, „also, erst mal herzlich willkommen hier! Ich finde es echt klasse, dass so viele gekommen sind. Ein paar von euch kennen mich wahrscheinlich, aber für alle anderen noch mal, ich bin Emma Weasley. Meine Mutter ist die Gründerin und Vorsitzende des ,Bund für Elfenrechte', kurz ,B.ELFE.R'. Da ich der Meinung bin, dass die Unterdrückung und Versklavung von Hauselfen ein äußerst aktuelles Thema ist, und es auch junge Leute wie uns etwas angeht, habe ich beschlossen, eine Jugendorganisation zu gründen, genannt ,B.ELFE.Ryoung'. Zu diesem Zweck sind wir jetzt also hier. Ich würde euch bitten, euch vielleicht alle kurz vorzustellen, und zu sagen, weshalb ihr hier seid, weil sich ja bestimmt nicht alle untereinander kennen."

Claire verdrehte die Augen bei dieser Anweisung Emmas.

Nach der Vorstellung wusste Lyn, dass die beiden Zweitklässler Lindsay Chang und Avus Spring hießen.

„Gut", sagte Emma schließlich, inzwischen mit deutlich festerer Stimme, „nun, da meine Mutter ja wie gesagt die Vorsitzende von B.ELFE.R ist, hat sie auch gute Beziehungen zu einem Großteil von Hauselfen, die mit der Organisation zusammenarbeiten. Und wir haben das Glück, dass einer dieser Hauselfen, das älteste Mitglied, um genau zu sein, gegenwärtig hier in Hogwarts arbeitet. Ich habe den betreffenden Hauself gebeten, für heute unser Gast zu sein." Sie legte eine kurze Kunstpause ein. „Darf ich um Applaus bitten für Dobby?" Die Schüler begannen zu applaudieren und ein äußerst verlegen aussehender Dobby trag hinter dem Lehrerpult hervor. Er trug einen olivgrünen eingelaufenen Pullover mit dem Gesicht eines Teddybären auf der Brust, dazu eine violette kurze Hose und eine weiß-orange gestreifte Krawatte. An den Füßen hatte er zwei verschiedenfarbige Socken; die eine war in einem hellen Grauton gehalten und hatte rosane Punkte, die zweite war dunkelrot mit braunen Streifen. Auf seinem Kopf saß ein schon arg mitgenommen aussehender Teewärmer, an den die unterschiedlichsten Buttons und Anstecker gepinnt waren, ganz vorne eine große silberne B.ELFE.R-Brosche.

„Dobby ist einer der ersten Hauselfen gewesen, die ihre Versklavung erkannt haben und ihre Rechte einforderten", erklärte Emma, „Dobby, vielleicht erzählst du uns einfach mal, wie es kam, dass du zu einem freien Hauself wurdest."

„Gerne, Miss", quiekte Dobby mit seiner hohen Stimme, „Dobby ist stolz darauf, ein freier Hauself geworden zu sein! Und Dobby verdankt das alles nur einem Zauberer: dem großartigen, bewundernswerten, selbstlosen Harry Potter!"

Ein leises Murmeln ging durch die Schüler, als Dobby diesen Namen erwähnte.

„Dobby hatte jahrelang einen Meister, und Dobby war gar nicht glücklich darüber", erzählte Dobby, „und dann hat Dobby Harry Potter getroffen!" Seine Miene hellte sich bei diesen Worten auf. „Harry Potter war nett zu Dobby, obwohl Dobby einige Dinge getan hat, die Harry Potter geärgert haben." Er errötete leicht. „Aber Harry Potter war immer freundlich und hilfsbereit zu Dobby. Und dann hat Harry Potter das wunderbarste getan, was Dobby jemals passiert ist: Harry Potter hat Dobby befreit!" Tränen standen in den großen runden Augen, als er diese Worte sprach. „Er hat Dobbys alten Meister ausgetrickst, und Dobbys alter Meister hat Dobby Kleidung gegeben. Und so ist Dobby ein freier Hauself geworden!"

„Und dann?", fragte Gabriel neugierig, „ich meine, wie bist du hier nach Hogwarts gekommen?"

„Oh, Dobby hat lange Zeit Arbeit gesucht", erklärte Dobby mit seiner piepsigen Stimme, „aber niemand wollte ihn nehmen. Wissen Sie, es ist nicht leicht für einen Hauselfen, Arbeit zu finden, wenn er bezahlt werden will. Die Leute haben Dobby die Tür vor der Nase zugeschlagen, aber Dobby hat nicht aufgegeben. Und dann ist Dobby nach Hogwarts gegangen und hat mit Professor Dumbledore geredet. Und Professor Dumbledore hat Dobby nicht rausgeworfen. Er hat Dobby Arbeit gegeben und Dobby bekommt Geld für seine Arbeit und hat freie Tage!"

Er war ganz außer Atem von seinem Bericht und warf Emma einen unsicheren Blick zu.

„Vielen Dank für deinen Bericht, Dobby", sagte Emma und lächelte, „Dobbys Geschichte ist in der Tat ein hervorragendes Beispiel dafür, wie schwer es für Hauselfen ist, eine Anstellung mit Bezahlung zu finden, sobald sie einmal von ihrem alten Meister entlassen wurden. Die Hauptziele von B.ELFE.R sind die Aufklärung von Hauselfen, da es noch immer viele von ihnen gibt, denen ihre versklavte Situation nicht bewusst ist, und die Durchsetzung ihrer Rechte, dass heißt, ein Recht auf Bezahlung und Kleidung, ein Recht auf freie Tage, und ein Recht auf Schutz vor Strafe, denn viele Hauselfen werden von ihren Meistern geschlagen oder auf andere Art und Weise schlimm bestraft." Emma schwieg einen Moment. Sie schien nach Worten zu suchen. „Also, mich würde jetzt interessieren, wer von euch nach wie vor Lust hat, bei B.ELFE.Ryoung mitzumachen." Alle bis auf Claire meldeten sich, doch sie überging Emma einfach. „Sehr schön!", sagte sie zufrieden, „dann würde ich euch jetzt bitten, dass ihr euren Namen, eure Klasse und welchem Haus ihr angehört auf die Mitgliederliste schreibt, die Claire, unsere Schriftführerin, jetzt rundgehen lassen wird."

„Unfreiwillige Schriftführerin, wohl gemerkt", murmelte Claire und reichte das Blatt durch die Reihen.

„Ansonsten bleibt mir nichts mehr zu sagen", verkündete Emma, „ihr werdet rechtzeitig darüber in Kenntnis gesetzt, wann und wo das nächste Treffen stattfindet."

„Das war ja mal ein voller Erfolg!", schwärmte Emma, als sie sich im Gemeinschaftsraum der Gryffindors auf eines der Sofas fallen ließ, „ich hätte nicht gedacht, dass so viele kommen!"

„Ich auch nicht", erwiderte Claire trocken, „ich hätte nicht gedacht, dass überhaupt einer kommt."

„Tja, so kann man sich irren", gab Emma zurück.

„Ich fand es auch gut", warf Lyn ein, „ich glaube, den meisten hat es gefallen. Dobbys Bericht war auch interessant. Weißt du genaueres über diese Geschichte? Also, wann das alles passiert ist, und wer sein alter Meister war?"

„Malfoy", erwiderte Emma. Lyn sah sie an.

„Der Vater von diesem Lucius jr.?", fragte sie. Emma schüttelte den Kopf.

„Nein, sein Großvater", erklärte sie.

„Du meinst, der, der am Jubiläum aufgetaucht ist?", meinte Lyn verblüfft. Emma nickte.

„Genau der. Soweit ich weiß, ist diese Sache passiert, als Harry und meine Eltern in ihrem zweiten Jahr hier waren."

„Das ist aber schon ne ganze Weile her, oder?", fragte Lyn.

„Siebzehn Jahre", bestätigte Emma.

„Schon toll, was mein Großcousin so alles erlebt hat", meinte Lyn grinsend, „hatte wohl ein bewegtes Leben bisher."

„Allerdings", bestätigte Claire und zog eine Schachtel Bertie Botts Bohnen in sämtlichen Geschmacksrichtungen hervor, „sehr bewegt. Ich beneide ihn, ehrlich gesagt, nicht sonderlich darum."

Grinsend schob sie sich eine dunkelbraune Bohne in den Mund. Emma und Lyn sahen sie erwartungsvoll an. Claire wiegte abwägend den Kopf und kaute konzentriert.

„Ich würde sagen", meinte sie schließlich, „Blumenerde."