18.
Andrea wurde am nächsten Morgen durch das Klappern der maroden Fensterläden geweckt und sie musste nicht erst zum Fenster sehen, um zu wissen, dass der Sturm der Nacht kein bisschen nachgelassen hatte. Unablässig peitschten Windböen den Regen an die Fenster und die Gardinen blähten sich leicht auf. Kälte kroch durch alle Ritzen in den unbeheizten Raum hinein und Andrea zog fröstelnd die Bettdecke ein Stück höher, bis nur noch ihre Nasenspitze freilag. „Grandiose Aussichten auf den bevorstehenden Winter", stöhnte sie leise auf, ehe sie sich überwand die Bettdecke zurückzuschlagen und in ihren Morgenmantel schlüpfte. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es viel zu früh war, um auf einen bereits fertigen Kaffee zu hoffen; Sirius würde sicher noch schlafen, denn als sie kurz nach Mitternacht Gute Nacht sagte, brütete er noch immer über einigen alten Büchern.
„Für Zauberer ist das alles kein Problem, die schwingen einfach ihren Zauberstab und schon ist es angenehm warm", grummelte sie ungehalten, während sie schlotternd ein Paar warme Socken und eine dicke Wolljacke aus der Kommode kramte und diese eilig überzog. Seufzend stieg sie die Treppe nach unten und steuerte die Küche an, als sie überrascht stehen blieb. Durch die geschlossene Tür des Wohnzimmers drangen gedämpfte Stimmen und der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee hing in der Luft.
Mit einem zaghaften Klopfen öffnete sie die Tür und streckte den Kopf hinein. Clark Silver und Sirius saßen vor dem Kamin, jeder eine Tasse Kaffee in der Hand und um sie herum unzählige, teils aufgeschlagene Bücher. Die Kerze auf dem kleinen Beistelltisch brannte noch immer und ließ Andrea vermuten, dass Sirius die ganze Nacht hier gesessen hatte.
„Einen wunderschönen guten Morgen, Andrea!", begrüßte sie Silver mit einem leichten Schmunzeln, während Sirius sich darauf beschränkte, kurz die Hand zu heben und ihr zuzuzwinkern.
„Auch einen guten Morgen", nuschelte sie, während sie fröstelnd die Arme um sich schlang und sich stirnrunzelnd umsah. „Sagt mal, brauchen Zauberer eigentlich keinen Schlaf?"
„Nur hin und wieder", grinste Sirius mit einem verhaltenen Gähnen und stand auf. „Komm setzt dich, du siehst ziemlich durchgefroren aus."
„Das bin ich auch! In meinem Zimmer war es eiskalt", stöhnte Andrea und rieb sich über die Arme, während sie Sirius´ Platz am Kamin einnahm. „Für den Winter muss ich mir dort oben was einfallen lassen, mein Schlafzimmer hat keinen Kamin."
„Keine Sorge, es gibt auch andere Möglichkeiten dein Zimmer warm zu bekommen", lächelte Sirius. „Möchtest du Kaffee?"
„Ja gern!", nickte sie und erwiderte dankbar sein Lächeln.
Sirius verließ den Raum und Andrea befiel eine merkwürdige Befangenheit. Auch wenn Silvers Gegenwart ihr nicht unangenehm war, so ergriff sie doch eine seltsame Nervosität, wenn sie seinen Blick auf sich spürte.
„Was verschafft uns die Ehre deines frühen oder sollte ich lieber sagen, deines nächtlichen Besuches?", fragte sie leichthin, während sie ihre Hände dem Feuer entgegenstreckte.
„Freut mich, dass du meinen Besuch als Ehre empfindest", lachte er. Es war ein leises, ungezwungenes Lachen, das Andrea unwillkürlich zu ihm aufsehen ließ. Für einige Momente trafen sich ihre Blicke und Andrea kam nicht umhin, das sanfte, warme Lächeln zu erwidern, ehe sie verlegen den Blick senkte. Plötzlich war es wieder da, dieses Herzklopfen, das sie bei seinem kurzen Abschiedskuss gespürt hatte und es ihr so schwer machte, einen klaren Gedanken zu fassen.
„Mein Besuch hat verschiedene Gründe", erkläre Silver in die Stille hinein und Andrea war zutiefst dankbar, dass er nicht auch seine Sprache verloren hatte. „Zum einen bat mich Sirius darum, für ihn einige Nachforschungen in Hogwarts zu betreiben und zum anderen bin ich auch auf Dumbledores Wunsch hier."
„Oh weh! Du sollst uns dieses Vorhaben ausreden", stöhnte sie augenrollend.
„Nein, Dumbledore ist weise genug um zu wissen, wann gut gemeinte Ratschläge nutzlos sind", entgegnete er gleichmütig und nippte an seiner Tasse. „Er bittet euch lediglich darum, auch von der Muggelwelt aus Kontakt zu uns zu halten."
„Und wie stellt er sich das vor? Sirius darf in Carlisle keine Magie benutzen und soweit ich unterrichtet bin, kann man nach Hogwarts nicht telefonieren."
„Das ist richtig, wir dachten eher an eine Kontaktaufnahme vor Ort."
„Hm…", brummte sie zögernd und sah hilfesuchend zu Sirius, der im gleichen Moment mit einer Tasse Kaffee zurückkam. „Aber besteht dabei nicht die Gefahr, dass unsere Tarnung auffliegt?"
„Wir haben leider keine andere Wahl, denn außer uns befinden sich auch noch die Mitglieder des Phönixordens vor Ort, um nach Remus suchen", seufzte Sirius und reichte ihr die Tasse. „Um zu verhindern, dass wir uns gegenseitig behindern, wird Clark mit uns in Carlisle Kontakt halten."
Andrea seufzte tief, ehe sie widerstrebend nickte. Auch wenn sie diese Vorstellung nicht begeisterte, musste sie sich doch eingestehen, dass diese Kontakte sicher sinnvoll wären.
„Es geht nicht darum euch zu kontrollieren, Dumbledore möchte nur verhindern, dass ihr beide dort zwischen die Fronten geratet", sagte Silver mit einem matten Lächeln. „Wir haben keine Ahnung was dort wirklich vor sich geht, doch wenn Voldemort…"
„Ich versteh schon", unterbrach sie ihn mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Trotzdem habe ich ein ungutes Gefühl dabei."
Sirius nickte und Andrea konnte seinem Gesicht ansehen, dass er ihre Sorgen teilte, dennoch schien er sich Dumbledores Wunsch zu fügen. Während sie ihren Kaffee trank, erläuterten ihr Sirius und Silver wie sie vorzugehen gedachten.
„Das heißt, sobald diese Giftbrühe dort unten fertig ist, können wir aufbrechen", sagte sie, als die beiden ihre Erklärung beendet hatten.
„Der Vielsaft-Trank ist fertig", grinste Sirius.
„Prima, ich freu mich schon!", entgegnete sie trocken, konnte es sich jedoch nicht verkneifen, angewidert das Gesicht zu verziehen, ehe sie ihre leere Kaffeetasse zur Seite stellte und aufstand. „Dann werde ich mal den Rest meiner Sachen einpacken und…"
„Warte mal, da gibt es noch etwas anderes", hielt Sirius sie zurück und deutete auf das Regal, in dem noch immer die Bastet stand. „Hast du etwas dagegen, wenn Clark die Figur mit nach Hogwarts nimmt, um sie dort genauer zu untersuchen?"
„Ähm…nein", sagte Andrea zögernd und sah irritiert von der Bastet, die wie sie erst jetzt bemerkte, mit einem gräulichen Belag bedeckt war zu Silver. „Aber was ist mit ihr?"
„Das würden wir gern herausfinden. Sirius und ich haben heute Nacht mit einigen speziellen Zaubern versucht, hinter ihr Geheimnis zu kommen, leider ohne Erfolg. Die Bastet ist mit einigen mächtigen Zaubern belegt, die wir nicht brechen konnten. Deshalb möchte ich, dass die Professoren McGonagall und Flitwick sie sich ansehen."
„Mächtige Zauber? Bisher hielt ich sie für ein einfaches, wenn auch magisches Souvenir", sagte Andrea zweifelnd und hob die Bastet vom Regal. „Ich hab sie schon seit meiner Kindheit und sie hat mir nie Probleme gemacht."
„Abgesehen von der Tatsache, dass sie auf magische Personen aggressiv reagiert", seufzte Silver und nahm ihr die Bastet aus der Hand. „Wir mussten sie mit einem starken Bannzauber belegen, um sie überhaupt berühren zu können."
„Behandelt sie aber pfleglich, denn wenn sie auch nichts Besonderes ist, so hängt doch mein Herz daran", entgegnete Andrea mit einem unsicheren Lächeln. „Francesco hat sie mir geschenkt, damit…." Andrea brach ab und zog die Stirn in Falten, ehe sie ungläubig den Kopf schüttelte. „Vielleicht solltet ihr Francesco fragen was er mit der Bastet gemacht hat."
„Wie meinst du das?"
„Nun…", begann sie zögernd und strich sich mit einer fahrigen Bewegung die Haare aus dem Gesicht. „Als Kind wurde ich Zeuge, wie meine Freundin von einem Werwolf getötet wurde und es hat sehr lange gedauert, bis ich dieses Erlebnis überwinden konnte. Anfänglich traute ich mich nicht mal, alleine in meinem Zimmer zu bleiben; ich hatte schreckliche Angst, der Werwolf könne wiederkommen. Es wurde erst besser, als mir Francesco aus dem Urlaub diese Bastet mitbrachte. Er tat damals sehr geheimnisvoll und meinte, wer auch immer mir etwas Böses tun wollte, diese Figur würde mich beschützen. Es hat funktioniert, denn in meiner kindlichen Vorstellung wurde die Bastet zu einem Schutz, den ich immer bei mir tragen konnte und langsam verblassten diese Schreckensbilder. Ich weiß nicht wann ich damit aufgehört habe, sie überall mit hinzuschleppen…doch irgendwann fühlte ich mich auch ohne diesen Schutz sicher. Als ich erwachsen wurde, hatte dieses Geschenk nur noch symbolischen Charakter und ich bin nie davon ausgegangen, Francesco könnte sie tatsächlich mit einem Zauber belegt haben."
„Das wäre natürlich eine Erklärung, doch warum hat sie nie auf Remus reagiert?", grübelte Sirius.
„Möglicherweise ist er ihr nie so nahe gekommen."
„Hm", brummte Silver und rieb sich nachdenklich über die Stirn. „Wir werden Francesco Rasul einfach fragen…"
Eine Stunde später verabschiedete sich Silver und Andrea traf gemeinsam mit Sirius die letzten Vorbereitungen für ihre Abreise, die sie für den späten Nachmittag geplant hatten.
Harry konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal eine ähnlich schlimme Nacht hinter sich hatte. Sein Schlafanzug war durchgeschwitzt, sein Kopf brummte unerträglich, als hätte sich ein Bienenschwarm darin eingenistet und seine Glieder fühlten sich an, als wäre er in der Nacht in eine Schlägerei verwickelt gewesen. Harry atmete tief durch, ehe er sich erschöpft in seinem Bett aufrichtete und müde in die grelle Morgensonne blinzelte. Ohne ihnen Einhalt gebieten zu können, stiegen die Bilder dieser seltsamen Nacht in ihm hoch: Nur zu deutlich erinnerte er sich; er war gerannt, als hinge sein Leben davon ab, doch je mehr er sich bemüht hatte, umso weniger war er vom Fleck gekommen. Immer wieder hatte er sich panisch umgedreht und obwohl er wusste, dass ihn dieses namenlose Grauen verfolgte, konnte er es doch nicht sehen. Die Bilder wechselten, bis er Hermine sah, wie sie barfuss über eine Sommerwiese lief und lachend auf ihn zukam. Ihr zitronengelbes Kleid leuchtete in der Sonne, während sie mit einer Hand den Strohhut auf ihrem Kopf festhielt und mit der anderen aufgeregt winkte. Harry sah sich selbst, wie er freudig die Arme ausbreitete und ihr entgegen lief. Ein sanfter, warmer Wind strich über seine Haut und Hermine kam immer näher. Plötzlich jedoch zogen dunkle Gewitterwolken auf und Harry beeilte sich zu ihr zu gelangen, aber noch ehe er sie erreichte, tat sich unerwartet die Erde unter ihren Füßen auf und Hermine wurde von der Wiese verschluckt. Sein eigener, greller Schrei schmerzte ihn in den Ohren und er taumelte vorwärts, bis er die Stelle erreichte und plötzlich vor Hermines Grab stand. Mit unbarmherziger Klarheit standen auf dem weißen Marmor ihr Name mit dem Geburtsdatum und dem Tag an dem sie gestorben war. Harry schloss die Augen, während heiße Tränen durch seine geschlossenen Lider drangen, seine Beine knickten ein und er fühlte den kalten, harten Stein unter sich. Haltlos schluchzend krallte er seine Finger um den Stein und wünschte, die Erde würde sich ein zweites Mal auftun und ihn ebenfalls verschlingen, doch sie tat es nicht. Er blieb allein zurück.
Harry erschien es, als wäre er Ewigkeiten so dagelegen, unfähig sich zu rühren und ohne die Hoffnung Hermine je wieder erreichen zu können. Schwarze Schatten tanzten wie die Abbilder von riesigen Raubvögeln um seinen schutzlosen Körper und obwohl er sich nichts sehnlicher wünschte, als diesen Ort verlassen zu können, schienen ihn doch magische Fesseln an diesen kalten Marmor zu binden. Seine Arme und Beine fühlte sich seltsam taub an, als würden sie gar nicht mehr zu ihm gehören und während ein kalter Wind über ihn hinwegfegte, verlor sich das Gefühl für den Untergrund auf dem er lag. Aus einer merkwürdig hohen Perspektive sah er zu, wie sich sein Körper willenlos aufrichtete. Als wäre er eine Marionette, deren unsichtbare Fäden jemand zog, stand er auf und blickte sich um. Sein Geist, der von einer höheren Warte aus das Schauspiel beobachtete, stieß einen stimmlosen Schrei aus, der unbemerkt mit dem eisigen Wind weggefegt wurde.
Eine stählerne Faust schien sein Herz zusammenzudrücken und zwang ihn doch gleichzeitig das zu sehen, was er nicht sehen wollte; Hermines Grab war nicht das Einzige, rings um ihn herum befanden sich unzählige Gräber und alle hatten sie denselben, weiß leuchtenden Marmor. Harry musste nicht erst die Inschriften lesen, um zu wissen, wer in diesen Gräbern die letzte Ruhe gefunden hatte. Dennoch zwang ihn diese unsichtbare Kraft, sich jedes einzelne Grab anzusehen. Sirius, seine Eltern, Remus, Tonks, alle waren sie hier begraben und als Harry auf ein großes Familiengrab zuging wusste er auch, dass hier die Ruhestätte der Familie Weasley lag. Rons Quidditchumhang flatterte wie eine Fahne über den kalten Stein und wieder wollte Harry schreien, aber es ging nicht. Verzweiflung und abgrundtiefer Schmerz krallte sich in seine Eingeweide, während er den Umhang aufhob und an sich presste.
Unweit davon entfernt befanden sich die Gräber von McGonagall, Dumbledore und Mad Eye Moody; alle schienen sie da zu sein, schienen sich hier tief unter der Erde versammelt zu haben, doch so sehr Harry es sich auch wünschte, er konnte nicht zu ihnen gelangen. Er war allein, nur vereinzelt saßen schwarze Eulen und Krähen auf den weißen Grabsteinen und ihre Schreie klangen, als wollten sie Harry auslachen, der hilflos und verloren durch die langen Reihen von Gräbern wanderte und doch wusste, dass er der Einzige war, der überlebt hatte.
Diese Traumbilder rasten ohne dass Harry es verhindern konnte, in rascher Folge durch seinen Kopf. Neben sich hörte er das leise Schnarchen Nevilles und als Harry die Brille aufsetzte und zu Rons Bett hinüberblickte, sah er diesen tief schlummernd in seine Decke gewickelt daliegen. Ein irrationales Gefühl der Erleichterung überkam ihn. „Es war nur ein Traum, nichts weiter als nur ein blöder Alptraum!", sagte er sich fest und beobachtete Ron, der im Schlaf leise vor sich hin brabbelte. So wütend und enttäuscht er auch am Tag zuvor von Ron gewesen war, jetzt, da Harry noch immer klar und deutlich diese Traumbilder in seinem Kopf hatte und gleichzeitig seinen Kumpel friedlich schlafend im Bett neben sich sah, wünschte Harry sich nichts sehnlicher, als mit Ron über solche Nebensächlichkeiten wie Quidditch reden zu können. Warum hatte er sich überhaupt so darüber aufgeregt, dass es für Ron derzeit nichts Wichtigeres als Quidditch gab? Ron war eben Ron und er hatte mehr als einmal bewiesen, dass er Harry ein treuer Freund war, der, wenn es darauf ankam, an seiner Seite stand.
Während Harry sich wenig später duschte und anzog, beschloss er, nach dem Frühstück mit Ron zu reden, um sich mit ihm wieder zu vertragen. Ein Entschluss, der leichter gefasst, als in die Tat umzusetzen war. Ron seinerseits schien nämlich nicht die leiseste Lust zu verspüren mit Harry zu reden. Jedes Mal wenn Harry in seine Nähe kam, machte er auf dem Absatz kehrt und lief davon oder wenn dies nicht machbar war, ignorierte er ihn einfach. Am Nachmittag war es Harry leid, hinter Ron herzulaufen und zog sich frustriert in die hinterste Ecke des Gemeinschaftsraums zurück, um wenigstens seinen Aufsatz für Snape fertig zu schreiben. Wenn Ron nicht mit ihm reden wollte, dann sollte er es eben lassen, er, Harry würde ihm nicht länger hinterherlaufen. Missmutig schlug er sein Buch über Zaubertränke auf und begann zu arbeiten.
Harry hatte seinen Aufsatz gerade beendet, als Hermine sich zu ihm setzte. „Ich muss die ganze Zeit an das denken, was wir gestern im Lehrerzimmer gehört haben", flüsterte sie leise und lehnte sich vorwärts, als wollte sie seinen Aufsatz kontrollieren. Harry nickte und warf einen raschen Blick zum Nachbartisch, an dem Ginny und Neville gerade leise lachten.
„Geht mir nicht anders", murmelte Harry, während er unauffällig Neville beobachtete, der plötzlich nach Ginnys Hand griff.
„Denkst du…sie haben Silver damals rausgeworfen?"
„Möglich, es hörte sich fast so an!"
„Aber…"
„Nicht hier, Hermine. Lass uns lieber spazieren gehen", sagte er leise.
Hermine nickte und während Harry seine Schulsachen zusammenpackte, hörte er wie Ginny etwas vom nächsten Hogsmeade-Wochenende erzählte; offensichtlich wollten die beiden gemeinsam ins Dorf gehen.
„Neville hat sich seit dem letzten Schuljahr sehr verändert", grübelte Harry, als er mit Hermine durch das Porträtloch stieg. „Findest du nicht auch?"
„Ja schon!", schmunzelte Hermine und warf einen kurzen Blick zurück. „Er ist viel selbstbewusster und mutiger geworden."
„Ist mir auch schon aufgefallen. Wenn ich nur daran denke, wie er Malfoy…warum grinst du so?" Auf Hermines Gesicht hatte sich wirklich ein amüsiertes, wissendes Grinsen breit gemacht.
„Nur so!", entgegnete sie mit einem gleichgültigen Achselzucken, grinste jedoch noch immer.
„Du siehst aus, als hättest du eine Erklärung für seine unerwartete Veränderung."
„Natürlich hab ich die!", lachte Hermine, während Harry sie verständnislos ansah.
„Ah…und welche?"
„Na, es liegt doch auf der Hand", kicherte sie. „Du erinnerst dich doch sicher daran, dass Nevilles Zauberstab, beim Kampf in der Mysteriumsabteilung zerbrochen ist." Harry nickte, auch wenn er nicht wusste worauf Hermine hinauswollte. „Er hatte fürchterliche Angst, dass seine Oma ihn den Kopf abreißen würde, weil dieser Zauberstab doch früher seinem Vater gehörte. Als Neville nach Hause kam, war seine Großmutter zwar nicht begeistert über den kaputten Zauberstab, doch gleichzeitig war sie ungeheuer stolz darauf, dass Neville so mutig den Todessern entgegengetreten ist. Neville erzählte mir, dass seine Großmutter die gesamten Ferien über von nichts anderem gesprochen hat und kurz vor Schulbeginn hat sie ihm dann auch noch einen neuen Zauberstab gekauft. Nun, dieser passt viel besser zu ihm." Harry nickte erneut, während er an Mr. Olivander dachte, der immer sagte, dass der Zauberstab sich seinen Zauberer aussucht. „Dir ist sicher aufgefallen, dass Neville in Zauberkunst und Verwandlung wesentlich besser geworden ist. Das stärkt sein Selbstbewusstsein und außerdem…denke ich, dass Ginny ihm gut tut."
„Was hat das mit Ginny zu tun?", fragte Harry verwirrt.
„Oh Harry! Sag bloß du hast davon noch nichts mitbekommen?"
„Was mitbekommen?"
„Na, dass Ginny und Neville zusammen sind!", erklärte Hermine und rollte demonstrativ die Augen.
„Sie sind zusammen?", stieß Harry ungläubig hervor und blickte automatisch zurück zu dem Bild der fetten Dame, welches den Gemeinschaftsraum verschloss.
„Ja schon seit…hm weiß auch nicht genau wie lange."
„Ah!", sagte Harry und nun huschte auch über sein Gesicht ein Grinsen. „Wahrscheinlich war ich zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, als dass ich das mitbekommen hätte."
„Was ja nicht verwunderlich ist", seufzte Hermine und genauso plötzlich wie die heitere Stimmung gekommen war, verschwand sie auch wieder.
„Ich komm schon klar damit!", sagte Harry leise und drückte ihre Hand. „Schließlich bin ich ja nicht allein."
Hermine errötete und auch Harry konnte spüren, wie sein Herz plötzlich schneller schlug. Es war seltsam mit Hermines Nähe: einerseits gab sie ihm das Gefühl von Sicherheit; doch in Situationen wie diesen machte sie ihn nervös. „Liegt vermutlich am Stress!", überlegte er, während ihm nicht bewusst wurde, dass er Hermines Hand noch immer fest umschlossen hielt, während sie gemeinsam den Korridor entlang gingen.
Andrea hielt unwillkürlich die Luft an, als Sirius ihr den Becher mit dem Vielsaft-Trank reichte. Angewidert starrte sie auf den dampfenden Inhalt, der sie stark an blubbernden Schlamm erinnerte. Sie empfand seinen Geruch noch immer abartig, doch wenn ihr Plan funktionieren sollte, musste sie wohl oder übel diesen Zaubertrank schlucken.
„So und nun die wichtigste Zutat!", grinste Sirius und holte zwei Tütchen aus seiner Tasche. „Das sind die Haare von den Leuten, in die wir uns verwandeln werden."
Andrea nickte mit zusammengekniffenen Lippen, während sie resignierend die Haare beäugte. In der einen Tüte sah sie die schlohweißen Haare eines älteren Herrn, während sich in der anderen Tüte die dunkelbraunen, fast schwarzen Haare einer jungen Frau befanden. Sirius zog vorsichtig eines der weißen Haare aus der Tüte und ließ es in seinen Becher fallen, bevor er das für Andrea bestimmte Haar in ihren Becher gleiten ließ. Der Schlamm schäumte und begann seltsam zu zischen, bis er einen noch übler aussehenden Gelbton annahm. Sirius Trank hatte einen Besorgnis errechenden Grünton angenommen, doch das schien ihn nicht zu kümmern.
„Auf zur ersten Runde!", feixte er und erhob seinen Becher, als wollte er Andrea zuprosten. Mit einem breiten Grinsen setzte er den Becher an die Lippen und kippte den Inhalt in einem Zug hinunter.
„Hm, lecker!", krächzte er noch, ehe sich sein Gesicht verzog und er zu zittern begann. Andrea blinzelte, als könnte sie nicht glauben, was sich eben vor ihren Augen abspielte. Sirius lange schwarze Haare wichen einer schlohweißen Haarpracht, sein Gesicht wurde hagerer, bekam unzählige Runzeln und die Farbe seiner sonst dunklen Augen, wechselte in ein strahlendes Hellblau. Seine Statur wurde minimal kleiner, seine breiten Schultern schrumpften und auf seinen knochigen Händen hatten sich braune Pigmentflecken bebildet. Vor ihr stand, leicht nach vorn gebeugt, ein alter Mann, der sie nun schalkhaft angrinste und mit krächzender Stimme sprach.
„Na los! Du bist dran!"
Andrea schnappte ein paar Mal unsicher nach Luft, ehe sie auf den Becher in ihrer zitternden Hand blickte. „Und du bist sicher, dass ich nicht augenblicklich tot umfalle?", fragte sie zweifelnd, während das Panikgefühl in ihrer Brust immer stärker wurde.
„Silver hat es für mich überprüft, der Vielsaft-Trank wirkt auf einen Muggel genauso wie auf einen Zauberer", krächzte Sirius mit der fremden Stimme eines alten Mannes. „Komm schütt ihn runter, es ist gleich vorbei!"
Andrea wusste selbst nicht woher sie plötzlich den Mut nahm, doch sie kippte den dickflüssigen Trank in ihre Kehle und schluckte ihn todesmutig hinunter. Einen Augenblick später stöhnte sie leise auf; ihr Magen schien plötzlich in Flammen zu stehen und sie von innen heraus zu verbrennen. Dieser Schmerz hielt allerdings nur einen Moment an, bis sie ein merkwürdiges Ziehen in ihren Armen und Beinen bemerkte; ihr Körper veränderte seine Form. Ihre Hände wurden etwas breiter, dafür die Fingernägel kürzer, ihre Jeans begann plötzlich unangenehm zu kneifen und auch ihre Schuhe waren mit einem Mal zu klein.
„Perfekt!", nickte Sirius, während er sie eingehend musterte.
„Mir ist gotterbärmlich schlecht!", keuchte Andrea unter dem verzweifelten Versuch, diesen Zaubertrank nicht gleich wieder von sich zu geben.
„Das vergeht gleich", versicherte ihr Sirius und deutete auf den großen Reisespiegel in dem Andrea nur verschwommen ihr Spiegelbild sehen konnte.
„Meine Augen! Ich kann nichts sehen", stöhnte sie matt und öffnete den obersten Knopf ihrer Jeans, um so etwas mehr Luft zu bekommen.
„Oh, das hätte ich fast vergessen", sagte Sirius und setzte ihr unerwartet eine Brille auf die Nase.
Aus dem Spiegel blickte ihr nun eine fremde Frau mit schulterlangen, dunkelbraunen Haaren entgegen. Mit zittrigen Fingern befühlte Andrea unsicher ihr neues Gesicht und selbst die Berührung ihrer eigenen Nase fühlte sich seltsam fremd an.
„Als Andrea bist du eindeutig hübscher", grinste Sirius und legte den Arm um ihre Schultern, um sich gemeinsam mit ihr im Spiegel betrachten zu können. „Aber für unsere Tarnung ist dies das unauffälligste Erscheinungsbild. Darf ich vorstellen, Mr. und Mrs. Brown, wobei du natürlich meine Tochter spielst."
Andrea nickte ergeben. Es war schließlich ihr Vorschlag gewesen, Sirius in einen alten Mann zu verwandeln. Denn sollte er Probleme in der Muggelwelt haben, so konnte sie dies immer auf die Verwirrtheit eines alten Mannes schieben, der mit der Modernisierung nicht Schritt halten konnte.
„Ich werde jedes Mal erschrecken, wenn ich an einem Spiegel vorbeigehe", seufzte Andrea, wobei sie zu ihrer Beruhigung feststellte, dass wenigsten die Stimme nicht allzu sehr von ihrer eigenen abwich und auch die Übelkeit nach und nach verschwand.
„Du wirst dich daran gewöhnen", lachte Sirius mit heiserer Stimme, während er mit den Runzeln in seinem Gesicht Grimassen schnitt.
Sirius füllte den Zaubertrank in mehrere Flaschen, denen er jeweils einige Haare zufügte und verstaute sie in den Reisetaschen. „So nun aber los, in einer Stunde lässt die Wirkung wieder nach und wir müssen der Vielsaft-Trank erneut schlucken, da möchte ich nicht gerade im Taxi sitzen."
„Wäre schon etwas seltsam, wenn wir im Taxi unsere Flaschen auspacken", entgegnete Andrea mit einem leichten Lächeln, hob ihre Reisetasche an und berührte den Rahmen des Reisespiegels.
Fortsetzung folgt…..
Aus Zeitmangel heute die Review-Antworten in Kurzform: Ein ganz, ganz herzliches Dankeschön an euch alle, die ihr mir mit so viel Lob und konstruktiver Kritik zur Seite steht.
Tatze, Eva Luna, laser-jet, X-Ray, Kaori, Sölämen, Moondrow, Six 83, Lavendel, Lea, Janine Black, auxia, Schnuckiputz, Miss Shirley-Blythe, Rapunzelou, AragornsHope, Kiki, Padfoot´s Mate, ming, Frodo, Dark Lord, Kirilein, Kara, Fluffy Bond, Eisblume, ich, maya, Fränzi, Millicent-vs.-Hermione, Geckole …und auch die vielen Anderen die mir immer so fleißig Reviews schreiben…
…ihr seid ein ungeheuerer Ansporn mich möglichst schnell an das neue Kapitel zu setzten!
Und dir liebe Janine Black, ein ganz besonders herzliches Dankeschön für dein Gedicht! Ich war... hm...gerührt...ist eigentlich ein viel zu schwacher Ausdruck dafür! Ich war begeistert und hab mich riesig gefreut!
AragornsHope: Keine Sorge, ich hab dir deine Kritik sicher nicht übel genommen, nur durch hilfreiche Kritik wird eine Story besser. Kann dir aber versprechen, die Story wird in den nächsten Kapiteln aktionsreicher.
Fränzi: Auf die Antwort musst du noch ein paar Kapitel warten, aber sie kommt ganz bestimmt! fg
Geckole: Die Erklärung für McGonagalls Verhalten kommt noch! Versporchen!
Liebe Grüße von eueren Sternchen!
