20.
Harrys Geduld wurde an diesem Abend auf eine harte Probe gestellt. Waren es vor der Tür des Krankenflügels nur Minuten gewesen, so saß er nun schon seit gut eineinhalb Stunden im Büro des Schulleiters und wartete auf Dumbledores Rückkehr. Die einzige Information, die man ihm bislang zukommen ließ, war die Tatsache, dass Goyle seinen Angriff überlebt hatte, aber die nächsten Tage noch im Krankenflügel verbringen musste. Die anfängliche Erleichterung darüber hielt allerdings nicht lange an, denn auch wenn Harry heilfroh war, dass seine Unbeherrschtheit nicht zum Tod eines Mitschülers geführt hatte, so stellte sich doch jetzt um so deutlicher die Frage, wie es mit ihm weitergehen sollte. Dumbledore würde wohl keine andere Wahl haben, als ihn von der Schule zu verweisen - doch wohin sollte er dann gehen? Zurück zu den Dursleys wohl kaum, dazu war es zu wichtig, dass Harry seine Ausbildung als Zauberer beendete.
„Vielleicht der einzige Vorteil, an Trelawneys Prophezeiung", dachte Harry bitter, während er vom Fenster aus in den sternenklaren Nachthimmel sah. „Sie werden ihren Hoffnungsträger nicht aus der Zaubererwelt verbannen, solange er ihnen Voldemort vom Hals schaffen kann."
Im fahlen Mondlicht konnte er Hagrid erkennen, der mit weit ausholenden Schritten auf das Schloss zukam. Hatten sie Hagrid beauftragt ihn fortzubringen? Harrys Herz krampfte sich bei diesem Gedanken unwillkürlich zusammen. Was war mit Ron und Hermine, würde Dumbledore gestatten, dass er sich noch von seinen Freunden verabschieden konnte?
Das Knarren der alten Eichentür riss Harry unweigerlich aus seinen Gedanken und als er sich umdrehte, kam Albus Dumbledore durch die Tür. Einen kurzen Moment blieb er zögernd stehen, als müsse er sich erst für das Bevorstehende wappnen, ehe er mit müden Schritten auf seinen Schreibtisch zuging und Harry durch eine Handbewegung aufforderte ebenfalls Platz zu nehmen.
„Nun, wie du sicher bereits erfahren hast, wird Mr. Goyle keinen bleibenden Schaden von deinem Fluch davontragen und kann in wenigen Tagen den Krankenflügel wieder verlassen", begann er, nachdem Harry sich auf dem Stuhl gegenüber gesetzt hatte. „Was allerdings nicht heißt, dass dieser Vorfall für dich keine Konsequenzen haben wird", erklärte Dumbledore und sah ihn ernst über seine Brille hinweg an.
Harry nickte stumm, während der Kloß in seinem Hals anschwoll und er starr auf den Teppich unter seinen Füßen blickte.
„In Übereinkunft mit deiner Hauslehrerin wurde beschlossen, dass du in den nächsten vier Wochen Strafarbeit verrichten wirst. Jeweils Montag und Mittwoch bei Professor Silver, Dienstag und Donnerstag bei Professor Snape und freitags wirst du Hagrid bei seinen Aufgaben als Wildhüter unterstützen. Darüber hinaus werden Gryffindor einhundert Punkte abgezogen."
Harrys Kopf schoss überrascht in die Höhe. Hatte er das gerade richtig verstanden, Dumbledore würde ihn nicht der Schule verweisen? Dumbledores Augen blickten ihm ruhig entgegen und als hätte er Harrys Gedanken gelesen, nickte er leicht. „Das war alles, Harry, du kannst jetzt in deinen Turm zurückkehren."
Verwirrt stand Harry auf und blickte seinen Schulleiter unsicher an. Natürlich war er unendlich erleichtert, dass er nochmals so glimpflich davon gekommen war. Dennoch störte ihn, dass Dumbledore diesen Vorfall mit wenigen Sätzen abhandelte. Was war mit dem Amulett; warum forderte Dumbledore ihn nicht auf, es unverzüglich abzulegen? Er wusste doch so gut wie Silver, dass Harrys Zauberkraft durch das Tragen des Anhängers verstärkt wurde. Warum ignorierte Dumbledore diese Tatsache? Harrys Hand wanderte unwillkürlich zum Kettenanhänger unter seiner Robe, aber noch ehe er etwas sagen konnte, beantwortete Dumbledore seine unausgesprochene Frage.
„Ich möchte dir nicht verschweigen, dass dieses Amulett in der letzten Stunde Gegenstand einer heftigen Debatte war, dennoch bin ich der Überzeugung, dass es deine Entscheidung sein muss, ob du dieses Amulett tragen möchtest oder nicht", sagte er nachdrücklich, während seine Augen Harry fixierten, als wollten sie in die tiefsten Abgründe seiner Seele blicken. „Du hast längst erkannt, dass dir dieses Amulett nicht nur einen starken Schutz bietet, sondern auch Einfluss auf deine magischen Kräfte hat. Ich denke, der Vorfall heute Abend hat dir deutlich vor Augen geführt, wie wichtig es ist, Selbstdisziplin zu üben."
„Ja", seufzte Harry zerknirscht und senkte den Blick, während er ein „Leichter gesagt, als getan" in Gedanken hinzufügte.
„Eine Aufgabe, die abhängig von persönlichen Temperament, jeder von uns lernen musste", murmelte Dumbledore mehr zu sich selbst und als Harry den Blick hob, sah er dass sein Schulleiter gedankenversunken ins Leere blickte, gerade so, als würde er sich an unzählige Situationen erinnern, in denen die Selbstdisziplin auf der Strecke geblieben war.
„Ich werde daran arbeiten, Professor", versprach Harry und wandte sich zum Gehen.
„Ich weiß, Harry", nickte Dumbledore und für einen kurzen Moment huschte ein verstehendes Lächeln über seine alten Züge, ehe sein Gesicht erneut ernst und bedrückt wurde.
Für einen kurzen Augenblick fühlte Harry den Wunsch Dumbledore von seinem Gespräch mit Sirius zu erzählen, doch als er in das sorgenvolle, runzlige Gesicht des alten Zauberers blickte, verwarf er diesen Gedanken. Dumbledore wirkte so ungewöhnlich alt und müde, wie Harry ihn nur sehr selten gesehen hatte und selbst das vertraute Glitzern seiner Augen war verschwunden. Plötzlich konnte Harry all die Last und Verantwortung erkennen, die auf den Schultern dieses alten Mannes lastete und es erschien ihm ungerecht, Dumbledore zusätzlich auch noch seine eigenen Sorgen und Nöte aufzubürden. Mit einer Mischung aus Betroffenheit und Mitgefühl verabschiedete sich Harry und ging, mit dem festen Vorsatz, Dumbledore zukünftig nicht unnötig mit Banalitäten zu belasten.
Als Harry wenig später in den Gryffindorturm kam, herrschte dort helle Aufregung. Obwohl es schon reichlich spät war, saßen noch viele Schüler um die kleinen Tische und unterhielten sich aufgeregt. Als Harry durch das Porträtloch stieg, wusste er sofort, dass er der Gegenstand ihrer Unterhaltung war. Ron und Hermine, die beide mit Ginny und Neville vor dem Kamin gesessen hatten, sprangen auf und eilten ihm entgegen.
„Ist es wahr was die Slytherins erzählen, du hast Goyle in den Krankenflügel befördert?", sprudelte es aufgeregt aus Ron hervor und schlagartig verstummten die Gespräche im Gemeinschaftsraum; jeder der anwesenden Schüler blickte Harry erwartungsvoll entgegen.
„Ja, das stimmt! Ich bin mit ein paar Slytherins aneinander geraten und hab die Nerven verloren", gab Harry zu und ließ sich erschöpft auf einen der freien Sessel fallen. „Doch Goyle wird es überleben, Dumbledore sagte, dass er in wenigen Tagen den Krankenflügel wieder verlassen kann."
„Schade! Ich hätte ihm einen längeren Aufenthalt im Krankenflügel gegönnt", stöhnte Dean, was ihm sofort einen tadelnden Blick von Hermine einbrachte.
„Man wird dich aber deshalb nicht von der Schule werfen, oder?", fragte Neville besorgt und als Harry den Kopf schüttelte, waren es nicht nur Ron, Hermine, Ginny und Neville die erleichtert aufatmeten.
„Nein, aber Dumbledore hat mir vier Wochen Nachsitzen verdonnert und Gryffindor einhundert Punkte abgezogen", sagte Harry kleinlaut und wappnete sich innerlich auf die Flut von Vorwürfen und Empörung über den Punktabzug, die nun unweigerlich folgen musste. Doch zu Harrys Verblüffung blieb der erwartete Tumult aus. Stattdessen zuckte Ginny nur die Schultern und auch bei den restlichen Gryffindors schien die Erleichterung, dass man Harry nicht von der Schule verwiesen hatte, zu überwiegen.
„Was soll´s! Die Slytherin haben eine Abreibung verdient und den Punktverlust machen wir jederzeit wieder wett", erklärte Seamus im Ton inbrünstiger Überzeugung und zwinkerte Harry zu.
„Aber vier Wochen Nachsitzen, das ist schon heftig!", murrte Ron und klopfte Harry mitfühlend auf die Schulter. Plötzlich schien Rons Groll über Harrys Austritt aus dem Quidditch-Team verraucht zu sein und auch in den Gesichtern der anderen Gryffindors war nichts mehr von dem Zorn und der Entrüstung zu lesen, mit der sie Harry noch vor einigen Stunden begegnet waren.
Es war nicht das erste Mal, dass Harry so einen Stimmungsumschwung bei seinen Mitschülern erlebte und auch wenn es ihn erleichterte, dass sie ihm offensichtlich keine Vorwürfe machten, beschlich ihn doch ein merkwürdiges Gefühl von Unbehagen. Wusste er doch ganz genau, wie leicht diese Sympathie wieder ins Gegenteil umschlagen konnte. Die Erkenntnis, wie wenig es in seinem Leben gab, das wirklich Bestand hatte, mischte einen bitteren Beigeschmack in seine Erleichterung, nicht zusätzlichen Anfeindungen seiner Mitschüler ausgesetzt zu sein. Vielleicht war auch gerade das der Grund für die tiefe Dankbarkeit, die Harry empfand, als er Hermines anklagenden Blick begegnete. In all den Höhen und Tiefen die Harry seit seinem ersten Schuljahr in Hogwarts durchleben musste, war es immer Hermine gewesen, die unbeirrt und klar an seiner Seite gestanden hatte und sich nicht von der allgemeinen Stimmung um sich herum mitreißen ließ. „Nein, nicht nur Hermine", korrigierte Harry sich in Gedanken, während sein Blick Neville folgte der gähnend die Treppe zum Jungenschlafsaal hochstieg und die Hand zum Gruß hob.
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Die Gardinen des Hotelzimmers bewegten sich leicht im Nachtwind, während Andrea bäuchlings auf dem Bett lag und sich angestrengt auf den Inhalt ihres Buchs konzentrierte. Immer wieder wanderte ihr Blick besorgt zu den rot leuchtenden Zahlen des Radioweckers auf ihrem Nachtisch. Sie hatte mit Sirius keine Zeit vereinbart, um die er spätestens zurück sein wollte und dennoch wuchsen mit jeder verstrichenen Viertelstunde ihre Sorgen. Resignierend klappte sie ihr Buch zu und lauschte in die Stille der Nacht hinaus, bis sie plötzlich leises Rascheln vor ihrem Fenster hörte. Sirius? Mit einem Ruck richtete sie sich auf, zuckte jedoch im nächsten Moment heftig zusammen, als der große, schwarze Hund mit einem mächtigen Satz durch das geöffnete Fenster in ihr Zimmer sprang.
„Meine Güte, musst du mich so erschrecken?", stöhnte sie kurzatmig, während sie sich beeilte das Fenster hinter Sirius zu schließen und die Gardinen zuzuziehen.
„Hätte ich bellen sollen?", fragte er augenrollend, sobald er seine menschliche Gestalt wieder angenommen hatte.
„Hast du etwas herausgefunden?"
„Hm, wie man´s nimmt", seufzte Sirius und plumpste in den bequemen Sessel, neben der Kommode. „Ich habe Tonks und Bill Weasley gesehen. So wie es aussieht, haben die Beiden einen heimlichen Beobachter."
„Sie werden verfolgt?"
„So sah es zumindest aus", nickte Sirius und begann ihr von seiner Beobachtung auf dem Parkplatz zu erzählen.
„Es könnte aber auch Zufall sein, dass dieser Mann Tonks beobachtet hat", sagte Andrea unsicher, doch Sirius verdrehte die Augen.
„Zufall? Andrea, ich bitte dich! Niemand schleicht zufällig jemandem hinterher."
„Hm", brummte Andrea unschlüssig, während sich eine steile Sorgenfalte auf ihrer Stirn bildete.
„Nun sei´s drum, für den Moment können wir eh nichts unternehmen, ohne dass wir unsere Tarnung hier riskieren. Wir müssen abwarten, bis Clark sich mit uns in Verbindung setzt."
Andrea nickte niedergeschlagen; sie hatten während der vergangenen Tage immer wieder darüber gesprochen, dass Sirius unter keinen Umständen Magie benutzen durfte. Doch nun, da sie bereits am ersten Abend eine wahrscheinlich wichtige Information nicht übermitteln konnten, beschlich sie der vage Verdacht, dass sie bei ihrem wohl ausgeklügelten Plan vielleicht doch einen Denkfehler begangen hatten. Möglicherweise wäre es sinnvoll gewesen, sich intensiver um eine Möglichkeit zu bemühen, um mit dem Phönixorden in Kontakt zu treten. Sirius schien es ähnlich zu ergehen, denn er begann unruhig in dem kleinen Hotelzimmer auf und ab zu laufen.
„Es bringt nichts wenn wir uns jetzt den Kopf zerbrechen", sagte Andrea nach einiger Zeit matt und unterbrach damit Sirius Wanderung durch das Zimmer. „Selbst wenn wir jetzt mitten in der Nacht die Stadt verlassen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir Dumbledore eine Nachricht übermitteln können."
„Womit du vermutlich recht hast", grummelte Sirius, die geballten Fäuste tief in den Taschen seiner Jacke vergraben. „Dennoch muss es doch irgendetwas geben, was wir tun können."
„Und was?"
„Ich könnte versuchen Tonks Spur zu finden…", sagte er halbherzig.
„Vergiss es, Sirius! Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Tonks und Bill noch immer in der Stadt sind? Wir haben zwei Uhr morgens…"
„Hm, das weiß ich auch", brummte Sirius und hob kapitulierend die Hände.
„Lass uns schlafen gehen. Wir werden morgen mehr Aussicht auf Erfolg haben, wenn wir ausgeschlafen sind."
Sirius nickte widerstrebend und nach einem kurzen Gute-Nacht-Gruß zog er sich in sein eigenes Zimmer zurück. Kurze Zeit hörte er noch die Geräusche aus dem angrenzenden Zimmer, dann wurde es ruhig und Sirius hoffte, dass wenigstens Andrea Schlaf finden würde, ihm selbst schien dies unmöglich zu sein. Unruhig wälzte er sich in seinem Bett von der einen auf die andere Seite, doch je mehr er sich darum bemühte einzuschlafen, umso mehr schien sein Kopf auf Hochtouren zu arbeiten. Seit er den Zug in Carlisle verlassen hatte, beschlich ihn das merkwürdige Gefühl, dass hier nicht alles so friedlich war, wie es den Anschein hatte.
Als Andrea und Sirius am nächsten Morgen zum Frühstück gingen, schlug ihnen bereits von weitem der Lärm der neu angekommenen Gäste entgegen und vermittelte einen kleinen Einblick in den Trubel, der ihnen mit Beginn der Festeröffnung bevor stand. Beim Durchqueren der Eingangshalle mussten sie immer wieder Reisenden und deren Koffern ausweichen, bis sie schließlich die Tür zum Speisesaal erreichten. Sie hatten kaum an ihren Frühstückstisch Platz genommen, als sie eine vertraute Stimme aufblicken ließ.
„Ist hier noch frei?", fragte Silver mit einem heimlichen Grinsen angesichts der verblüfften Gesichter. Ganz nach Muggelart war er mit einer hellen Stoffhose, hellem Hemd und einem dunkelblauen Sakko gekleidet, was vermutlich der Grund war, dass sie ihn nicht sofort erkannt hatten.
„Natürlich", nickte Sirius, der sich eher als Andrea, die Silver immer noch ungläubig anstarrte, wieder gefangen hatte. „Nehmen Sie Platz."
Silver setzte sich auf den Platz, an dem noch ein unbenutztes Gedeck lag und begann unbefangen ein Brötchen mit Butter zu bestreichen. Sirius trat Andrea unter dem Tisch auf den Fuß und löste somit ihre Erstarrung. Einige Minuten frühstückten sie schweigend, während Andrea immer wieder ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe betrachtete, bis sie es nicht mehr aushielt und Silver leise zuflüsterte: „Stimmt irgendetwas mit unserer Tarnung nicht?"
„Doch eure Tarnung ist perfekt", entgegnete er ebenso leise und goss sich Kaffee nach. „Niemand wird euch so erkennen."
„Wie hast du uns dann so schnell finden können?"
„Mein Geheimnis", schmunzelte Silver und warf einen prüfenden Blick auf die Nachbartische um sicher zu gehen, dass niemand ihr Gespräch belauschen konnte. „Ich muss mit euch reden", fügte er bedeutend ernster hinzu und erst jetzt fiel Andrea auf, wie blass und übernächtigt Silver an diesem Morgen wirkte.
„Zimmer 13", flüsterte Sirius, während er mit der Serviette über den Mund fuhr, sein Besteck beiseite legte und sich ächzend erhob. „Bei dem Trubel hier dürfte es nicht schwierig sein unbemerkt in unser Zimmer zu kommen."
Silver nickte kaum merklich um ihm anzudeuten, dass er ihn verstanden hatte und so stand auch Andrea auf und folgte ihrem angeblichen Vater aus dem Speisesaal. Sie passierten gerade den Korridor, der sie zu ihren Zimmern brachte, als ihnen ein dicklicher Mann mit Nadelstreifenanzug und einem breiten, jedoch künstlich wirkenden Lächeln entgegen kam.
„Mr. und Miss Brown wenn ich mich nicht irre", strahlte er und schüttelte ihnen überschwänglich die Hände. „Es freut mich sehr sie hier bei uns begrüßen zu dürfen. Mein Name ist Matthew Corner, ich bin der Geschäftsführer dieses Hotels und möchte Sie hiermit nochmals ganz herzlich willkommen heißen."
„Danke!", entgegnete Sirius zögernd.
„Sicher sind auch Sie wegen des wunderbaren Festes hier", strahlte Corner und machte eine weit ausholende Armbewegung. „Daher möchte ich Sie auch ganz herzlich zu unserem heutigen Tanzabend hier im Hause einladen. Ab 20 Uhr wird…"
„Vielen Dank, aber ich tanze nicht", unterbrach Sirius ihn schroff und schlurfte ohne einen Gruß in Richtung seines Zimmers davon.
„Oh…das ist schade!" Mr. Corner zuckte leicht die Achseln und wandte sich dann erneut mit einem strahlenden Lächeln Andrea zu. „Aber Sie werden es sich doch bestimmt nicht entgehen lassen?"
„Mal sehen", seufzte Andrea und blickte stirnrunzelnd Sirius hinterher. „Mein Vater ist zeitweise etwas eigenwillig."
„Ja, ja im Alter entwickeln sich so manche Marotten, doch wenn wir ehrlich sind, sind es doch genau diese Eigenarten, die unsere Senioren besonders liebenswert machen."
Ohne eine Antwort von Andrea abzuwarten steuerte er, mit leicht wippenden Schritten, die nächsten Gäste an und Andrea beeilte sich, Sirius in ihr Zimmer zu folgen.
„Du warst unhöflich", sagte Andrea kaum, dass Sirius die Tür hinter ihr geschlossen hatte.
„Mag sein, aber genau das passt doch in das Bild eines alten Mannes. Außerdem wird sich so niemand Gedanken machen, warum du allein auf dieser Tanzveranstaltung erscheinst."
„Ich soll allein dort hingehen?"
„Auf diese Weise können wir an zwei verschieden Orten gleichzeitig Ausschau halten, vielleicht entdecken wir…"
Er wurde durch das leise Klopfen an der Tür unterbrochen. Andrea öffnete und Clark Silver kam, mit einem kurzen Blick zurück auf den leeren Korridor, herein und zog rasch die Tür hinter sich zu.
„Was ist los? Solltest du nicht eigentlich um diese Zeit in Hogwarts sein und Schüler unterrichten?", fragte Sirius besorgt, dem genau wie Andrea die dunklen Ringe um Silvers Augen aufgefallen waren.
„Ja, doch Minerva wird heute meine ersten beiden Stunden vertreten", nickte Silver, ehe er ohne Umschweife zum Thema seines Besuchs kam. „Es geht um die Bastet. Dumbledore, Flitwick und Minerva haben sie vergangenen Nacht untersucht und dabei festgestellt, dass sie bei weitem nicht so harmlos ist, wie zuerst angenommen wurde."
„Was habt ihr herausgefunden?"
„Sie haben ihre Untersuchungen noch nicht abgeschlossen, doch …so wie es aussieht, ist diese Bastet ein Wächter".
„Was?", stieß Sirius betroffen aus, während er Silver mit einer Mischung aus Unglauben und Besorgnis ansah.
„Genauer gesagt Andreas Wächter", fügte dieser mit einem kurzen Nicken und einem besorgten Seitenblick auf Andrea hinzu.
„Was heißt das, ein Wächter?", sagte Andrea und sah verwirrt von Silver zu Sirius, der in diesem Moment scharf die Luft ausstieß.
„Ein magischer Gegenstand, der so ausgelegt ist, dass er dich, egal wohin du auch gehst, begleitet und so stets Auskunft darüber gibt, wo du dich gerade aufhältst", erklärte Silver, während er sich in dem Zimmer umsah, als erwartete er jeden Moment das Erscheinen der Bastet.
„Wie bitte? Das kann nicht sein!", ereiferte sich Andrea und schüttelte ungläubig den Kopf, während Sirius und Silver einen besorgten Blick wechselten.
„Ist es schon mal vorgekommen, dass du verreist bist und rein zufällig die Bastet in deinem Gepäck auftauchte?", hakte Sirius stirnrunzelnd nach, während er sich auf die Kante des Bettes setzte und Andrea eindringlich ansah, die wiederholt energisch den Kopf schüttelte.
„Das ist doch Unsinn! Selbstverständlich habe ich sie zwischendurch als eine Art Glücksbringer mit auf Reisen genommen, doch das war immer meine Entscheidung…"
„Zwischendurch oder immer?", bohrte Silver beharrlich nach, was ihm einen ärgerlichen Blick von Andrea einbrachte, der jedoch nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass in ihr eine unangenehme Beklommenheit hochstieg.
„Du willst mir jetzt aber nicht erzählen, dass diese Bastet Einfluss auf meinen freien Willen hat?", fragte sie alarmiert und griff unwillkürlich nach seinem Arm.
„Zumindest ist es nicht auszuschließen", seufzte Silver leise und drückte sacht ihre Hand, als könnte er ihr damit Kraft geben, die Information zu verarbeiten. „Wie schon gesagt, die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, doch soweit bisher feststeht, handelt es sich bei dieser Bastet um einen magischen Gegenstand, der zu deiner Überwachung dient."
„So ein Quatsch! Ich habe unzählige Male das Haus verlassen, ohne dass die Bastet je ihren Platz verlassen hätte; wenn ich zurückkam saß sie immer am selben Fleck und hatte sich keinen Zentimeter bewegt."
„Möglicherweise hast du es nur nicht bemerkt", warf Sirius ein und rieb sich nachdenklich über das Kinn, ehe er sich Silver zuwandte. „Habt ihr schon mit Rasul gesprochen?"
„Nein", sagte Silver zögernd. „Kingsley wollte ihn gestern aufsuchen, doch nach Angaben seiner Frau hat er um die Mittagszeit das Haus verlassen und ist seitdem nicht wieder aufgetaucht. Niemand weiß wohin er gegangen sein könnte."
Andrea die sich gerade in den Sessel gesetzt hatte, ruckte erschrocken nach oben. „Francesco ist verschwunden?"
„Dumbledore lässt bereits nach ihm suchen", sagte Silver besänftigend und drückte sie sanft in den Sessel zurück, doch Andrea entging nicht der flüchtige Blick den die beiden Männer wechselten und plötzlich verstand sie.
„Ihr glaubt, dass Francesco untergetaucht ist, weil diese Figur gewaltsam aus meiner Reichweite gebracht wurde."
„Wäre zumindest im Bereich des Möglichen", sagte Sirius bedächtig, während Silver zustimmend nickte.
„Derzeit können wir nur spekulieren, dennoch bleibt es eine Tatsache, dass es Rasul war, von dem du die Bastet bekommen hast und diese ganz offensichtlich als Wächter fungiert", erklärte Silver.
„Francesco sagte, diese Figur würde mich beschützen…", sagte sie unsicher. „Ich dachte immer, seine Worte sollten nur zu meiner Beruhigung dienen."
„Solche Wächter gibt es bereits seit vielen Jahrhunderten und sie haben immer den gleichen Zweck; sie werden dafür geschaffen, um jederzeit den Aufenthaltsort einer Person ausfindig zu machen. Je nach Fertigkeit des Erschaffers können diese Wächter sogar ein gewisses Eigenleben entwickeln, so dass sie beispielsweise eine Person angreifen, die diesen Wächter unbefugt berührt, oder auch der zu bewachenden Person heimlich folgen", erläuterte Sirius nun genauer. „Geschichtlich wurden sie immer wieder im Zusammenhang mit den diktatorischen Machenschaften von Schwarzmagieren erwähnt, so zum Beispiel Konstantin McCone. Er benutzte so einen Wächter um seine untreue Ehegattin des Betrugs zu überführen und im 15ten Jahrhundert kontrollierte Balthasar der Schwarze damit einen Großteil seiner Dienerschaft. Fälle dieser Art gibt es bis in die Neuzeit hinein und alle haben das gleiche Muster; die zu betreffende Person ahnte nicht, dass sie unter ständiger Bewachung steht und …mitunter auch unter einem fremden Einfluss. Das Gefährlichste daran ist aber…"
„Genug! Ich will nichts weiter davon hören!", unterbrach ihn Andrea barsch und sprang aufgebracht von ihrem Sessel hoch. „Du tust gerade so, als wollte Francesco mir mit dieser Bastet Gewalt antun…und genau das kann und werde ich nicht glauben. Francesco war mir immer ein aufopferungsvoller Freund und liebevoller Pate, er würde niemals etwas tun, was mir schaden könnte!"
„Das Gefährlichste an so einem Wächter ist die magische Fessel, die es mit seinem Opfer verbindet", vollendete Silver den von Sirius unvollendeten Satz.
„Nein, ich will mir das nicht anhören", protestierte Andrea aufgebracht, während sie gleichzeitig auf die Tür zuging um den Raum zu verlassen, doch Sirius hielt sie am Handgelenk zurück.
„Es hat keinen Sinn, Andrea, auch wenn es unangenehm ist und dir Angst macht, doch du musst es wissen."
„Es macht mir keine Angst, ich halte es nur schlichtweg für Unsinn!", fuhr Andrea ihn zornig an, konnte aber nicht verhindern, dass Tränen ihre Wangen hinab liefen.
„Diese Wächter werden immer aus einem lebendigen Teil der entsprechenden Person hergestellt. Meistens benutzt man dafür kurz zuvor abgeschnittenen Haare", setzte Silver unbeirrt seine Erklärung fort, auch wenn seine Mimik deutlich verriet, wie schwer es ihm fiel, Andrea diese Information aufzuzwingen. „Durch eine komplizierte magische Formel wird daraus ein individueller Wächter geschaffen, dessen Existenz direkt mit der Lebensenergie des betreffenden Menschen gekoppelt ist. Konkret heißt das, dass alles was dem Wächter angetan wird, auch seine zu bewachende Person zu spüren bekommt und umgekehrt."
„Erinnerst du dich noch daran, wie sehr du gestern Morgen gefroren hast? Du bist aufgewacht, als wir die Bastet mit einem Erstarrungszauber belegt haben", ergänzte Sirius und griff behutsam nach ihrer bebenden Hand.
„Mir war gotterbärmlich kalt", gab sie leise zu, ehe ihr langsam die gesamte Tragweite des Gehörten dämmerte und sie sich kraftlos in den Sessel zurückfallen ließ. Einige Minuten sprach niemand, bis Andrea schließlich selbst das Schweigen brach und hilfesuchend von einem zum anderen blickte. „Aber wie und warum? Was für einen Grund könnte jemand haben…ich war damals noch ein Kind."
„Das sind Fragen, die uns vermutlich nur Francesco Rasul beantworten kann", seufzte Silver. „Um einen Wächter zu erschaffen, ist ein hohes Potenzial an Magie erforderlich und nicht zuletzt ein umfangreiches Wissen über diesen alten, inzwischen verbotenen Zauber."
„Klingt ein bisschen wie dieser Voodoo-Zauber", sagte Andrea mit zitternder Stimme, während sie verzweifelt versuchte, der aufsteigenden Panik Herr zu werden.
„Nun, die Grundzauber sind auch identisch", nickte Silver.
„Gibt es eine Möglichkeit diese magische Verbindung zu trennen?"
„Ja, wenn auch nicht so einfach. Vorrangig muss geklärt werden, mit welchen Sprüchen diese Bastet belegt ist und erst dann kann man vorsichtig damit beginnen, die einzelnen Zauber aufzulösen."
„Verstehe!" Andrea schluckte hart. „Wo befindet sich die Bastet jetzt?"
„In einem magisch geschützten Raum in Hogwarts. Nachdem wir erkannten, was es mit der Bastet auf sich hat, leitete Dumbledore sofort spezielle Schutzmaßnahmen ein."
Andrea nickte mechanisch, während ihre Gedanken unaufhörlich um Francesco Rasul kreisten. Nur am Rande bekam sie mit, wie Sirius begann, Silver von seiner Beobachtung der letzten Nacht zu erzählen.
Fortsetzung folgt…..
AN: Vielen Dank, für euere vielen, lieben Reviews, hab mich sehr darüber gefreut! Die Antworten dazu kommen mit dem nächsten Kapitel! Großes Ehrenwort!
Liebe Grüße von euerem Sternchen!
