25.
Für einen kurzen Augenblick wusste Harry nicht, ob das gerade wirklich geschehen war. Hatte er eben Hermine geküsst? Rückblickend hätte er nicht mehr sagen können, wer von ihnen beiden erschrockener reagierte, er der Hermine schlagartig losließ oder sie, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.
„Es…es…tut…mir leid! Das…das…wollte ich…ich nicht! Ich wollte…wollte…nicht…", stammelte er erschrocken und plötzlich fühlte sich seine Kehle trocken an und seine Innereien schienen Purzelbäume zu schlagen. Außerstande, einen vernünftigen Satz zu formulieren, bemerkte er wie ihm das Blut in die Wangen schoss und seine Ohren zu glühen begannen. Hermine starrte ihn noch immer ungläubig an, als würde sie kein Wort von dem verstehen, was Harry da zusammen gestammelt hatte, bis er nochmals tief Luft holte und seine Entschuldigung wiederholte.
„Oh, nun...es ist ja nichts geschehen", entgegnete sie mit unnatürlich hoher Stimme und für einen Moment schwang etwas in ihrer Stimme mit, das Harry nicht deuten konnte. Sie wandte sich ruckartig ab und blickte zurück zum Schloss, während Harry verlegen zur Seite sah. Was war hier eben passiert? Weshalb hatte er plötzlich den Eindruck, etwas Falsches gesagt zu haben? Ein merkwürdiges Gefühl von Befangenheit machte sich in seiner Brust breit, das groteskerweise den Wunsch verstärkte, sie einfach wieder in die Arme zu ziehen.
„Bist du sauer?", fragte Harry unsicher und berührte vorsichtig Hermines Schulter.
„Nein, weshalb sollte ich sauer sein?" Hermine drehte sich kopfschüttelnd zu ihm um und zu Harrys Erleichterung lächelte sie. Erneut trafen sich ihre Blicke und Harry spürte zum wiederholten male, wie er rot wurde und wandte verlegen den Blick ab. „Verflixt Harry, das ist nur Hermine, warum um alles in der Welt wirst du nun rot?", ermahnte er sich selbst, doch es half nichts, denn als Hermine nach seiner Hand griff spürte er, wie sich sein Herzschlag erneut bescheunigte. Harry verstand sich selbst nicht und die Tatsache, dass offensichtlich Hermine genauso verlegen war, machte es ihm nicht einfacher, die Situation zu begreifen. Was war hier eben passiert? Er fühlte sich unsicher und nervös; ohne eine wirkliche Erklärung für diesen Gefühlsaufruhr zu haben. Den Blick fest auf den Boden gerichtet konnte er sehen, dass auch Hermine unruhig von einem Fuß auf den anderen trat.
„Dort ist Silver!", sagte sie unvermittelt und als Harry aufsah, konnte auch er die Gestalt erkennen, die nun mit eiligen Schritten den Weg herunter und auf sie zukam. Einen Moment lang dachte Harry, Silver wollte zu ihnen, bis ihm bewusst wurde, dass sie durch die Büsche neben ihnen wohl kaum vom Schloss her gesehen werden konnten. Tatsächlich verließ Silver auch schon nach kurzer Zeit den Weg und lief quer über die Wiese nach unten.
„Wo will der denn hin?", sagte Harry, froh seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes richten zu können.
„Es sieht so aus, als ob er es sehr eilig hätte", sagte Hermine nachdenklich und beobachtete Silver, der in diesem Moment die peitschende Weide erreicht hatte, kurz stehen blieb und sich nun suchend am Boden umsah. Einen Augenblick später bückte er sich und hob einen langen Ast vom Boden auf.
„Er will den Geheimgang benutzen", stieß Harry verblüfft aus, während er argwöhnisch die Augen zusammenkniff und plötzlich war jede Befangenheit gegenüber Hermine verschwunden.
„Woher weiß er davon?"
„Keine Ahnung, doch mich würde brennend interessieren, was er dort zu suchen hat", sagte Harry und streckte sich, um über die Büsche hinweg besser sehen zu können.
„Denkst du er hat uns gesehen?", fragte Hermine unsicher, während Silver hinter dem dicken Stamm der Weide verschwand.
„Vermutlich nicht, die Büsche hier verdecken uns", entgegnete Harry. „Komm!"
„Du willst ihm doch nicht ernsthaft hinterher schleichen?", fragte Hermine entsetzt und hielt Harry am Arm fest, als dieser sich in Bewegung setzen wollte.
„Genau das werde ich tun! Du kannst gern zum Mittagessen hochgehen, aber ich will wissen was hier los ist."
Ohne eine weitere Antwort von ihr abzuwarten, entzog er Hermine den Arm und umrundete die Büsche.
„Was glaubst du was los ist, wenn er uns bemerkt", ereiferte sich Hermine, doch Harry hörte ihr schon nicht mehr zu. Mit raschen Schritten spurtete er den Abhang hinunter und Hermine hob resignierend die Arme. Mit der Gewissheit eine Dummheit zu begehen, folgte sie ihm, bis sie die Weide erreicht hatten und Harry mit dem Ast den Knoten am Stamm berührte, der die Weide erstarren ließ.
„Irgendwie hatte ich diesen Geheimgang höher in Erinnerung", brummte Harry, als sie diesen hinunter rutschten und er sich beim Aufstehen den Kopf an der niedrigen Decke anstieß. „Wir scheinen etwas gewachsen zu sein."
Hermine verdrehte die Augen, wohl wissend, dass Harry dies in der Dunkelheit nicht sehen konnte.
„Kein Licht", raunte Harry und tastete vorsichtig die Umgebung mit den Händen ab.
„Schon klar", seufzte Hermine und wartete bis Harry ihr ein Zeichen gab vorwärts zu gehen.
Eine unheimliche Stille umgab sie hier, die nur von den leisen, schabenden Geräuschen durchbrochen wurde, die sie selbst verursachten. Es roch nach feuchter Erde und obwohl es hier unten wärmer als oben war, zog Hermine fröstelnd die Schulter hoch. Gebückt und mit einer Hand an der Wand entlang tastend, schlichen sie einige Minuten vorwärts, bis Harry stehen blieb und lauschte.
„Wir müssten doch das Licht aus seinem Zauberstab sehen oder wenigstens seine Schritte hören", flüsterte er misstrauisch.
„Er ist sicher schon weiter vorn, schließlich muss er sich nicht wie wir im Dunkeln vorantasten", seufzte Hermine, die sich vorsichtig an die Wand zu ihrer Rechten lehnte.
„Hm!", brummte Harry unschlüssig und setzte sich erneut in Bewegung.
Langsam wurde der Gang breiter und auch höher, so dass sie bequem aufrecht gehen konnten; doch auch hier war nicht das geringste Geräusch zu vernehmen. Harry, der sich eben den Kopf an einem vorstehenden Deckenstück angeschlagen hatte, stieß einen unterdrückten Fluch aus, als hinter ihnen plötzlich ein leises Lumosertönte und ein mattes Licht aufflammte. Erschrocken wirbelten sie herum, doch dauerte es einige Sekunden, bis sich ihre Augen an das plötzliche Licht gewöhnt hatten. Hinter ihnen stand Silver, die Arme vor der Brust verschränkt und blickte ihnen mit ausdruckslosem Gesicht entgegen, während einen halben Schritt neben ihm Sirius stand, dessen Zauberstab den Korridor um sie herum ausleuchtete und dem Harry ansah, dass er Mühe hatte, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen.
„Hallo Harry, hallo Hermine!", sagte er mit einem breiten Grinsen.
„Ähm…hallo Sirius", sagte Harry verdattert. „Was tust du hier?"
„Das selbe wollte ich dich auch gerade fragen", entgegnete Silver und zog eine Augenbraue nach oben. „Wenn ich mich nicht täusche, dann sollte ihr beide derzeit beim Mittagessen sitzen."
Im Bruchteil einer Sekunde wurde Harry klar, dass Silver sich hier mit Sirius verabredet hatte und plötzlich kam ihm sein eigenes Misstrauen und seine Neugier kindisch und albern vor. Unsicher, was oder wie er ihm antworten sollte, blickte er in Silvers Gesicht, doch das blieb ausdruckslos wie zuvor und auch seine Stimme verriet nicht im Geringsten, was gerade in ihm vorging. Ein Umstand, der es Harry nicht gerade leicht machte zu reagieren.
„Wir…ähm…hatten keinen Hunger", stammelte er unsicher und blickte hilfesuchend zu Sirius, doch dieser machte keine Anstalten ihm aus der Patsche zu helfen. Im Gegensatz zu Silver verriet Sirius Gesicht deutlich, dass er sich köstlich amüsierte.
„Nun, das beantwortet nicht meine Frage", sagte Silver mit einer Ruhe und Gelassenheit in der Stimme, die Harry unwillkürlich Schauer über den Rücken jagte.
Diese Ruhe erinnerte ihn an einen bevorstehenden Sturm, der nun zwangsläufig folgen musste. „Du hättest auf Hermine hören sollen, nun hast du den Schlamassel", meldete sich eine sarkastische Stimme in seinem Hinterkopf und auch wenn er sich noch so sehr dagegen sträubte, er musste dieser Stimme Recht geben. Hermine, die hilflos vom einem zum anderen sah, atmete tief ein, doch auch sie schien nicht die passenden Worte zu finden und weder Silver noch Sirius schienen ihnen die Situation erleichtern zu wollen; beharrlich blickten sie ihnen entgegen und warteten auf eine Erklärung, die Harry ihnen nicht so einfach geben konnte.
Die Zeit, in der sie sich schweigend gegenüberstanden, zog sich endlos in die Länge. Anfänglich suchte Harry noch nach einer passenden Ausrede, doch es gab keine und tief in seinem Herzen wusste er auch, dass er keinen dieser beiden Männer anzulügen konnte und wollte.
„Ich bin Ihnen nachgeschlichen, weil ich wissen wollte was Sie in diesem Geheimgang tun", gab Harry schließlich kleinlaut zu und kniff unwillkürlich die Augen zusammen, um sich für das Bevorstehende zu wappnen. Seine Worte, obwohl er sie leise gesprochen hatte, schienen als endloses Echo von den Wänden des Kellergangs widerzuhallen, doch das erwartete Gewitter blieb aus. Niemand sagte ein Wort, und als Harry den Blick hob, sah Silver ihn noch immer mit ausdrucksloser Miene entgegen.
„Ihr werdet beide unverzüglich ins Schloss zurückkehren; ich erwarte euch in einer Stunde in meinem Büro", sagte er tonlos und deutete in die Richtung aus der sie gekommen waren.
Harry nickte zögernd und sah fragend zu Sirius, der sich, die kurze Begrüßung ausgenommen, bisher in Schweigen gehüllt hatte, nun aber einen Schritt auf ihn zutrat und aufmunternd seine Schulter drückte.
„Mach dir nicht zu viele Sorgen, Harry. Wir alle tun was wir können, um Remus und Andrea da rauszuholen."
„Ich würde mir weniger Sorgen machen, wenn ich wüsste, was wirklich vor sich geht", entgegnete Harry leise und wandte sich niedergeschlagen zum Gehen.
Hinter seinem Rücken konnte er hören wie Sirius leise seufzte, doch er drehte sich nicht mehr um. Mit eiligen Schritten ging er, dich gefolgt von Hermine, den Gang zurück, bis sie die nach oben führende Öffnung erreicht hatten.
„Es tut mir leid, dich in Schwierigkeiten gebracht zu haben", sagte er reuevoll, als er Hermine die Hand reichte, um ihr aus dem Geheimgang zu helfen.
„Ich denke nicht, dass wir wirklich Schwierigkeiten bekommen", sagte Hermine und warf einen nachdenklichen Blick zurück. „Silver machte nicht den Eindruck, als wenn er sehr wütend auf uns wäre."
Harry zuckte unschlüssig die Schultern und antwortete ihr nicht darauf. Was auch immer in Silver vorging, er hatte es hinter einer Maske von Ausdruckslosigkeit verborgen und Harry musste sich eingestehen, dass ihn dies im gleichen Maße beunruhigte, wie er es auch bewunderte. Diese Gelassenheit mit der er ihnen begegnet war, erinnerte Harry zwangsläufig an eine Festung, hinter der alle persönlichen Gefühle verborgen und geschützt blieben.
Tief in Gedanken versunken erreichten sie das Schloss, als Hermine plötzlich stehen blieb und nach seiner Hand griff.
„Mir tut das, was geschehen ist nicht leid", sagte sie leise und blickte verlegen zu Boden, doch noch ehe Harry zu einer Antwort ansetzen konnte, hatte sie kurz seine Hand gedrückt und eilte davon.
Mit arg verwirrten Gefühlen sah er ihr nach, wie sie rasch die Eingangshalle durchquerte und hinter der Tür zur Großen Halle verschwand. Unschlüssig blieb er in der Mitte der Eingangshalle stehen, bis langsam die Erkenntnis einsickerte, dass Hermine möglicherweise nicht ihr Nachschleichen hinter Silver gemeint haben könnte.
„Hallo Harry! Du solltest dich beeilen, wenn du noch was vom Mittagessen willst", lachte Neville, der in diesem Augenblick mit einigen Gryffindors aus der Großen Halle kam und offensichtlich sein Mittagessen bereits hinter sich gebracht hatte.
„Hab keinen Hunger", brummte Harry lustlos und wollte sich zum Gehen wenden, als Ginny ihm in den Weg trat.
„Alles in Ordnung mit dir, Harry?", fragte sie besorgt. „Du siehst reichlich mitgenommen aus."
„Ja, alles in Ordnung", entgegnete er mit einem Schulterzucken. „Hab nur schlecht geschlafen."
Ihm war klar, dass Ginny diese Ausrede sehr wohl durchschaute. Mit dem festen Vorsatz kein weiteres Gespräch in dieser Richtung zu führen oder Ginny auch nur die Chance einer Entgegnung zu lassen, stapfte er davon. Wie von selbst fanden seine Füße den Weg in die Große Halle und an den Tisch der Gryffindors, wo Ron und Hermine saßen.
„Wir haben dir noch was aufgehoben", erklärte Ron über die Schüssel Obstsalat hinweg und zwinkerte ihm zu.
Harry nickte und setzte sich wortlos neben sie, ehe er sich die Schüsseln mit Gemüse und Fleisch heran zog. Während Hermine Ron leise erzählte wen sie im Geheimgang zur Heulenden Hütte getroffen hatten, hing Harry seinen eigenen Gedanken nach, bis Ron ihm einem Klaps gegen die Schulter gab.
„Mach dir nicht so viele Sorgen, Silver wird euch bestimmt nicht den Kopf abreißen", sagte Ron, der offensichtlich sein Grübeln falsch interpretierte.
„Warum muss mir eigentlich jeder erzählen, dass ich mir keine Sorgen machen soll", murrte Harry, als er wenig später mit Hermine auf den Weg zu Silvers Büro war.
„Wird vielleicht seinen Grund haben", lächelte Hermine und klopfte gegen Silvers Bürotür.
Von der anderen Seite der Tür erklang ein undeutliches „Herein" und einen Augenblick später schwang die Tür selbständig auf. Silver war nicht da, dafür blickten sie in Sirius grinsendes Gesicht.
„Kommt rein und macht die Tür zu", sagte er leise.
Verdutzt zog Harry hastig die Tür hinter sich ins Schloss, während Hermine mit weit aufgerissenen Augen auf Sirius zuging.
„Sirius, was machst du hier? Was, wenn dich hier jemand sieht?", sagte sie erschrocken.
„Niemand wird mich sehen, der mich nicht sehen soll", antwortete Sirius gleichmütig und deutete auf das Tablett mit Teetassen auf Silvers Schreibtisch. „Möchtet ihr Tee?"
Harry und Hermine lehnten dankend ab, während Sirius sich eine Tasse einschenkte.
„Silver hat dich hier reingeschmuggelt", spekulierte Harry mit einem unsicheren Lächeln. Er hatte nicht erwartet Sirius so schnell wieder zu sehen, und umso mehr freute er sich jetzt darüber; andererseits hatte Hermine durchaus recht, wollte Sirius weiterhin den Anschein erwecken, dass er noch immer in diesem Torbogen gefangen war, durfte er einfach nicht hier sein. Das Risiko entdeckt zu werden, war zu groß.
„Ja, er hielt es für sinnvoll, wenn ich meiner Pflicht als Pate nachkomme und dir ordentlich ins Gewissen rede", grinste Sirius und drückte Harry auf einen der Stühle vor Silvers Schreibtisch.
„Ich weiß selbst, dass das eine blöde Idee war", murrte Harry und verdrehte die Augen. „Ich hab mich von meiner Neugier hinreißen lassen."
Sirius nickte mit einem verschmitzten Grinsen, doch einen Augenblick später war es bereits wieder verschwunden und er wirkte ernst und bedrückt. Sirius stellte die Teetasse zurück auf den Schreibtisch, so als würde sie ihn daran hindern, das zu sagen, was er sich vorgenommen hatte. Er seufzte schwer.
„Außerdem denke ich, dass du erfahren solltest was letzte Nacht in Carlisle geschehen ist. Vorausgesetzt natürlich, dass du es auch wissen möchtest", fügte er leiser hinzu.
Harry nickte dankbar, ehe er die Frage stellte, die ihn mehr als alle anderen beschäftigte. „Was war das für eine Falle, die Voldemort den Ordensmitgliedern gestellt hat?"
„Voldemort wusste, dass der Orden nach Remus suchen würde und hat deshalb gezielt eine Spur nach Carlisle gelegt. Dort wurde bereits vor Remus Verschwinden Peter Pettigrew gesichtet und als dann auch noch Remus am selben Ort gesehen wurde, war es nahe liegend, dass der Orden alle Kräfte mobilisieren würde, um ihn zu finden."
„Remus Lupin war in Carlisle?", fragte Hermine entsetzt und ließ sich auf den Stuhl neben Harry sinken.
„Jemand der aussah wie Remus", korrigierte Sirius mit schwerer Stimme. „Ein Todesser, der unter der Wirkung des Vielsafttranks irrtümlich für Remus gehalten wurde. Ein raffinierter Plan, der die Ordensmitglieder genau an die Stelle lockte, wo Voldemort oder einer seiner Anhänger zuvor einen Exekutionszirkel errichtet hatten. Wir sind prompt darauf reingefallen."
„Ein Exekutionszirkel?", fragte Harry verwirrt und sah fragend zu Hermine - doch auch sie hob ratlos die Schultern.
Sirius erklärte ihnen in einfachen Worten, was unter diesem Zauber verstanden wurde und welche Auswirkungen er hatte. Harry hörte ihm gebannt zu und erst als Sirius geendet hatte, bemerkte er, dass Hermine ihr Gesicht in den Händen verborgen hatte.
„Und was bedeutet das nun für…Andrea?", fragte er unsicher, während er zögernd mit der Hand über Hermines Rücken strich. „Sie befand sich doch im Inneren des Kreises."
„Das wissen wir auch nicht", seufzte Sirius schwer und rieb sich über die Stirn. „Silver hat den Befund der Muggelärzte Madam Pomfrey gegeben, doch auch sie kann nur Vermutungen anstellen. Was mit Andrea wirklich geschehen ist, wissen wir nicht."
Für einen Moment wollte Harry nach Madam Pomfreys Vermutungen fragen, doch das Bild von Andrea, wie sie vor Voldemorts Füßen lag und sich nicht regte, würgte jede Frage ab. Nur zu deutlich war ihm bewusst, dass Andreas Leben vermutlich am seidenen Faden hing und er konnte nur hoffen, dass der Todesser, den Voldemort mit ihrer Heilung beauftragt hatte, etwas von Heilkunde verstand.
„Voldemort hat einen seiner Todesser angewiesen Andrea zu heilen", sagte Harry nach einer kurzen Pause in der sie alle drei nur schweigend da saßen und sah fragend zu Sirius hoch. „Voldemort will sie lebend, er hofft, dass Andrea sich ihm anschließen würde."
„Ich weiß, Silver hat mir von deinem Traum erzählt", nickte Sirius langsam, während er über Harrys Schulter ins Leere blickte.
„Andrea würde sich ihm nie anschließen", meldete sich nun wieder Hermine zu Wort und plötzlich kam Leben in ihre zuvor eingesunkene Haltung.
„Nein, das wird sie sicher nicht tun", entgegnete Sirius mit dem Versuch eines aufmunternden Lächelns.
„Und außerdem hat sie diesen Portschlüssel, wenn sie wieder auf den Beinen ist…", sagte Hermine hoffnungsvoll, brach jedoch ab, als Sirius niedergeschlagen den Kopf schüttelte.
„Nein, den hat sie nicht", seufzte Sirius und blickte zu Boden. „Im Krankenhaus hat man ihr alle Schmuckgegenstände abgenommen - auch den Portschlüssel. Silver hat die Kette in der Schublade ihres Nachtkästchens gefunden."
Hermine schluckte schwer und auch Harry spürte ein schmerzhaftes Ziehen, als dieser kurzfristige Hoffnungsfunke wie eine Seifenblase zerplatzte.
„Wir werden Andrea aber trotzdem finden und Dumbledore hat bereits einen Plan", versicherte ihnen Sirius, mit einem aufmunternden Lächeln.
„Was für…"
Harry kam nicht weiter, denn plötzlich flammte rund um den Türrahmen ein grellrotes Licht auf und Sirius sprang mit einem Satz von der Schreibtischkante, auf der er zuvor gesessen hatte.
„Es kommt jemand", stieß er hastig aus und einen Moment später verwandelte er sich bereits in den großen schwarzen Hund und verschwand unter Silvers Schreibtisch.
Harry und Hermine gelang es gerade noch, sich schützend vor den Schreibtisch zu stellen, als es gegen die Tür klopfte und diese eine Sekunde später mit einem lauten Rumms aufflog. Übellaunig stürmte Professor Snape herein und blieb einen Moment überrascht an der Tür stehen, als er statt Silver Harry und Hermine vor dem Schreibtisch stehend vorfand.
„Potter, Granger, was haben Sie hier zu suchen", blaffte er sie an, während er sich drohend vor ihnen aufbaute.
„Wir warten hier auf Professor Silver", entgegnete Harry ruhig, während Hermine neben ihm nervös mit der Knopfleiste ihrer Robe spielte.
„Dann warten Sie vor der Tür", schnarrte Snape und deutete mit ausgestrecktem Arm auf die noch immer offen stehende Tür.
„Professor Silver sagte, wir sollen hier auf ihn warten", beharrte Harry und verschränkte die Arme vor der Brust; er hatte nicht vor, seinen Platz vor dem Schreibtisch zu räumen und dadurch Sirius Versteck sichtbar zu machen.
„RAUS HIER! Und fünfzig Punkte Abzug für Gryffindor, weil Sie sich der direkten Anordnung eines Lehrers widersetzen."
Snapes Gesicht lief rot an. Doch je mehr sich sein Professor aufregte, umso mehr genoss es Harry, ihm gelassen gegenüber zu stehen. Er wusste selbst nicht was ihn plötzlich dazu trieb oder was ihn so sicher machte, dass Gryffindor durch diesen Zwischenfall keine Punkte verlieren würde, doch es bereitete ihn ein diebisches Vergnügen, Snape mit seiner vorgespielten Ruhe auf die Palme zu bringen. Ganz nebenbei sah er auch noch darin eine Chance, Snape von Sirius Versteck fern zu halten. Wenn sein Plan aufgehen würde, dann konnte er Snape soweit ablenken, bis Sirius unauffällig aus diesem Büro verschwinden konnte.
„Nein", entgegnete Harry mit einem freundlichen Lächeln, aber einem entschlossenen Kopfschütteln. „Wir befolgen hier Professor Silvers Anw…"
„Treiben Sie es nicht zu weit, Potter oder Sie verlieren weit mehr, als nur Punkte für ihr Haus", zischte Snape und einen Moment später hielt er Harry den Zauberstab unter die Nase.
„Komm Harry, lass uns draußen warten", drängte Hermine ängstlich und zog ihn am Ärmel seiner Robe.
„Wir befolgen hier die Anweisung eines Lehrers, deshalb bleiben wir hier", startete Harry einen letzten Versuch, auch wenn er einsehen musste, dass dies sinnlos war.
„Haben Sie nicht verstanden, was ich Ihnen gesagt habe, Potter? RAUS HIER! Ich zähle bis drei und wenn Sie dann diesen Raum noch nicht verlassen haben…."
Aus Snapes Zauberstab prasselten Funken und für den Bruchteil einer Sekunde war Harry versucht ebenfalls seinen Zauberstab zu ziehen; doch letztendlich musste er sich eingestehen, dass dies Sirius gewiss nicht helfen würde. Widerstrebend ließ er sich von Hermine zur Tür zerren, während er inständig hoffte, Snape würde nicht auf die Idee kommen, unter den Schreibtisch zu sehen und dadurch Sirius Geheimnis aufdecken. Harry war der festen Überzeugung, wenn Snape von Sirius Rückkehr erfuhr, dann würde dies bald auch der restliche Orden wissen und damit möglicherweise auch Voldemorts Spion.
Snape begann zu zählen, doch noch ehe er bei der Zahl zwei angekommen war, hatten Harry und Hermine die Tür erreicht. Mit einem letzten Blick zurück, konnte Harry sehen, wie Snape nach dem Echogramm auf Silvers Schreibtisch griff und eine bissige Bemerkung vor sich hinmurmelte. Doch er nahm das Echogramm nicht in die Hand und es dauerte einen Moment bis Harry erkannte, was Snape mitten in seiner Bewegung erstarren ließ. Direkt hinters Silvers Schreibtisch stand Sirius Black und richtete drohend seinen Zauberstab gegen Snape.
„Ich warne dich, Schniefelus, so redest du nicht mit meinem Patensohn!", sagte Sirius drohend und baute sich in voller Größe auf.
Hermine schnappte nach Luft und blickte schockiert von Sirius zu Snape und dann wieder zu Harry, der nicht weniger entsetzt als Snape, Sirius anstarrte. Für einige Sekunden regte sich niemand und Harry spürte, wie jeder im Raum unwillkürlich die Luft anhielt. Snape glaubte, einem Geist gegenüber zu stehen, dessen war sich Harry ziemlich sicher. Sirius fixierte Snape mit einem spöttischen Grinsen und schien auf eine Reaktion zu warten und diese kam auch. Plötzlich und für Harry völlig unerwartet, schnellte Snapes Hand mit dem Zauberstab nach oben und ein grellroter Blitz schoss haarscharf an Sirius Kopf vorbei und traf die Bücherwand hinter Silvers Schreibtisch. Krachend und berstend gaben einige Regalböden nach und loses Papier wirbelte durch den Raum. Sirius machte einen Sprung zur Seite, als bereits der zweite Fluch folgte und die Kommode traf. Klirrend landete eine Glasschale auf dem Boden und ihr orangefarbener Inhalt ergoss sich über den Teppich.
„Black ist tot!", brüllte Snape mit überschnappender Stimme und die Farbe in seinem Gesicht, das noch Sekunden zuvor aschgrau war, wechselte in ein tiefes Dunkelrot. „Wer sind Sie?"
Harry konnte nicht erkennen, wo Sirius sich in diesem Augenblick befand und noch viel weniger konnte er verstehen, warum Sirius sich nicht gegen Snape verteidigte. Bisher waren es nur Snapes Flüche, die Silvers Büro in Schutt und Asche legten und Harry befürchtete bereits, dass Sirius getroffen wurde, als sie etwas Unsichtbares auf den Korridor hinaus drängte und ein leichter fließender Stoff seinen Arm streifte. „Sirius steckt unter einem Tarnumhang", schoss es Harry durch den Kopf, als im selben Augenblick die Bürotür mit einem dumpfen Schlag ins Schloss fiel.
„Keine Sorge, mir ist nichts passiert", raunte ihnen Sirius körperlose Stimme zu, ehe ein erneutes Klirren verriet, dass in Silvers Büro noch mehr zu Bruch ging.
Durch die geschlossene Tür hörten sie Snapes überschnappende, verdächtig nach Wahnsinn klingende Stimme, die immer wieder brüllte, dass Sirius Black tot sei. Harry und Hermine tauschten einen hilflosen Blick, als ein erneutes Scheppern erklang und laut im Korridor widerhallte.
„Wir müssen Silver holen!", wimmerte Hermine verzweifelt.
„Ich hab keine Ahnung wo er ist", stöhnte Harry und wich unwillkürlich zurück, als etwas Schweres gegen die Tür fiel. Snape musste offensichtlich den Verstand verloren haben.
„Ich werde Silver holen", flüsterte Sirius und Harry konnte nur zu deutlich die Genugtuung über seinen gelungen Streich heraus hören.
„Beeil dich, ich fürchte, Snape schnappt total über!", drängte Harry und zog Hermine ein Stück in den Korridor zurück.
In diesem Moment erschien McGonagall, dicht gefolgt von Professor Sprout im Korridor.
„Was geht hier vor sich?", fragte McGonagall schneidend. „Wer befindet sich…"
„Sirius Black, wo bist du? Komm raus und zeige dich!", unterbrach sie Snapes hysterische Stimme durch die geschlossene Tür. Die Professoren McGonagall und Sprout tauschten einen besorgten Blick und nun da Harry Sirius in Sicherheit wusste, hatte er große Mühe sich ein Lachen zu verkneifen. Offensichtlich vermutete Snape Sirius noch immer im Raum. Inzwischen füllte sich der Korridor mit Lehrern und Schülern, die durch diesen Tumult angelockt wurden.
„Was geht denn hier ab?", gluckste ein Ravenclaw, der Professor Snapes Stimme erkannt hatte.
Aus dem Inneren des Büros folgte eine Salve von Flüchen und wüsten Beschimpfungen, die McGonagall letztendlich veranlassten tief einzuatmen und mit einem Ruck die Tür zu Silvers Büro aufzureißen. Hermine und Harry stießen gleichzeitig einen Warnruf aus, McGonagall wich rasch zur Seite und der Fluch, den Snape gegen die Tür geschleudert hatte, zischte an Professor Sprout vorbei und traf Hermine, die ungeschützt im Korridor stand, mitten in die Brust. Umhüllt von einem Schauer giftgrüner Funken sackte sie leblos zu Boden und nur Harrys schnelle Reaktion verhinderte, dass sie hart aufschlug.
„Expelliarmus", riefen einige Stimmen gleichzeitig und Harry wusste, dass man Snape entwaffnet hatte, doch das interessierte ihn nicht. Fassungslos starrte er auf Hermines Gesicht, das mit jeder Sekunde bleicher wurde.
Fortsetzung folgt…………..
Autornote: Aus Zeitmangel heute in aller Kürze: Vielen, vielen Dank für eure lieben Reviews, hab mich sehr darüber gefreut! Tut mir leid, dass ich heute nicht auf eure Reviews antworten kann, sobald ich wieder Zeit habe werde ich es nachholen.
Liebe Grüße von eueren Sternchen!
