27.

„…nein, dieses Risiko ist einfach zu groß", hörten sie Dumbledores besorgte Stimme aus dem angrenzenden Saal. „Warte bis es uns gelungen ist, ein zweites Gegenstück herzustellen, dann wissen wir zumindest was uns dort erwartet."

„So viel Zeit haben wir aber nicht. Voldemort wird…."

Clark Silver wurde von der entrüsteten Stimme des kleinen Zauberkunstprofessors unterbrochen. „Du weißt schon wer, würde dich sofort umbringen! Ich bezweifle, dass du auch nur in die Nähe dieser Frau kommen wirst."

„Ich werde zu ihr durchkommen!", erklärte Silver mit Nachdruck. „Voldemort wird sich an mich erinnern."

„Gerade das ist es, was ich auch befürchte", seufzte Dumbledore schwer. „Er wird sich daran erinnern, dass du ein Gegner bist, den er nicht unterschätzen darf, er wird dir keine Zeit zum agieren lassen. Nein Clark, dieses Risiko ist zu groß!"

„Wenn wir zu lange warten, ist Remus tot und wir riskieren Andrea an Voldemort zu verlieren."

„Überstürztes Handeln wird uns mehr schaden als nützen!" Harry konnte sich bildhaft vorstellen, wie Dumbledore beschwörend die Hände hob.  

„Ich habe nicht vor irgendetwas zu überstürzen, doch uns läuft die Zeit davon. Wenn wir zu lange warten, verlieren wir beide."

„Ich weiß", seufzte Dumbledore schwer. „Wir werden diesen Punkt heute Abend nochmals diskutieren, doch für den Moment sollten wir unsere Kraft darauf…"

Dumbledore brach ab, als es an die Tür klopfte und Minerva McGonagall mit forschen Schritten den Raum betrat.

„Moody, Tonks und Kingsley sind eben angekommen", verkündete sie geschäftsmäßig.

„Gut, dann sollten wir sie nicht so lange warten lassen."

Aus dem Nebenraum waren Schritte zu hören und als Harry einen vorsichtigen Blick riskierte, konnte er sehen, wie Dumbledore, McGonagall und Silver den kleinen Saal verließen. Die Tür fiel ins Schloss und Moran wickelte nachdenklich die Langziehohren ein. Für einige Minuten sprach niemand. Harry hatte, genau wie Moran, seine unterbrochene Arbeite wieder herangezogen und versuchte sich nun auf die Umkehrzauber zu konzentrieren, während er das Gehörte immer wieder in Gedanken durchging. Neben sich hörte er Morans Feder über das Pergament kratzen, während er selbst noch immer Löcher in die Buchseite vor sich starrte, bis Morans Frage ihn unsanft aus der Grübelei riss.

„Ist diese Andrea als Hexe wirklich so mächtig, dass der dunkle Lord sie auf seine Seite ziehen will?"

„Nein", entgegnete Harry zögernd, nicht wissend wie er auf Morans Frage reagieren sollte.

Morans Gesicht zeigte deutlich, dass er sich von Harry eine ausführlichere Antwort erhofft hatte, doch er bohrte nicht weiter nach. Das Kinn auf die Hand gestützt, blickte er Harry nachdenklich an, ehe er sich mit einem leisen Seufzen abwandte.

„Ich weiß, Slytherins und Gryffindors vertrauen einander nicht", sagte er niedergeschlagen und kniff die Lippen zusammen, während er auf das vor ihm liegende Pergament starrte.

Einige Zeit hingen diese Worte schwer im Raum. Morans Worte sprachen nur zu deutlich aus, was auch in Harrys Kopf vor sich ging; Gryffindors und Slytherins würden sich nie vertrauen; die Kluft, welche die beiden Häuser trennte, war einfach zu groß. Gleichzeitig spürte Harry aber auch, wie etwas tief in seinem Inneren gegen diese Vorstellung zu rebellieren begann. Hier saß er einem Jungen gegenüber, der ihm sympathisch war, der Hermines Leben gerettet und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn bewiesen hatte, als er sich zu Beginn des Schuljahres für Neville einsetzte, und nur weil ihn der Sprechende Hut nach Slytherin gesteckt hatte, misstraute er ihm. „Das ist nicht richtig!", belehrte ihn eine mahnende Stimme in seinem Kopf. „Aber er ist ein Slytherin!", meldete sich eine andere Stimme und keiner von beiden konnte Harry wirklich widersprechen. Zwischen den widerstreitenden Gefühlen hin und her gerissen, beobachtete er den Slytherin, der noch immer vor sich ins Leere starrte.

„Glaubst du, dass du…mir vertrauen könntest?", sagte Harry unsicher in die Stille hinein, ohne Moran auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

Moran hob den Kopf, antwortete jedoch nicht sofort. Nachdenklich sah er in Harrys Gesicht, ehe ein zaghaftes Lächeln über sein Gesicht huschte.

„Ich kenn dich zu wenig, um diese Frage ehrlich beantworten zu können oder um sagen zu können, dass ich dir vertraue, aber das heißt nicht zwangsläufig, dass ich dir deshalb misstrauen muss. Im Grunde gibt sehr wenig Menschen denen ich wirklich vertraue und ich habe keine Ahnung was für eine Person sich hinter dem berühmten Harry Potter befindet, doch wenn du mir die Chance dazu gibst, würde ich es gern herausfinden."

Harry nickte und als Moran ihm lächelnd die Hand entgegen streckte, griff er ohne zu zögern zu. Ein irrationales Gefühl der Erleichterung machte sich in seiner Brust breit und ohne es verhindern zu können, erwiderte er das Lächeln. Moran atmete erleichtert auf und drückte Harrys Hand, ehe er sich erneut seiner Arbeit zuwandte. Doch schon nach einer Minute legte er das Pergament wieder zur Seite und sah Harry an.

„Ich mache mir Sorgen, dass Clark Silver sich da in etwas verrennt", sagte er matt und rieb sich über die Stirn.

„Warum?", sagte Harry irritiert und ließ das Buch sinken, dass er in diesem Moment zur Hand genommen hatte.

„Ich hab nur eine sehr vage Vorstellung davon um was es hier genau geht, aber ich kenne Silver lange genug, um zu bemerken, dass ihn diese Sache gewaltig an die Nieren geht. Wenn er das Gefühl hat, dass rasches Handel notwendig ist, wird er sich nicht lange zurückhalten lassen und…"

Moran beendete seinen Satz nicht und dies war aber auch nicht notwendig; Harry verstand auch so, was dem Slytherin Sorgen machte. Silvers Stimme klang selbst für Harrys Ohren ungewöhnlich hitzig; emotionaler als er es von seinem sonst so beherrschten Lehrer kannte und Harry musste Moran recht im Stillen geben. Silver würde handeln, ungeachtet der Konsequenz, die es für ihn persönlich haben konnte, auch wenn er dessen Beweggründe nur erahnen konnte.

„Du kennst ihn schon länger", stellte Harry nach einer kurzen Pause fest und plötzlich erinnerte er sich auch wieder daran, Moran in Silvers privaten Räumen getroffen zu haben.

„Ja, er war ein enger Freund meines Vaters", nickte Moran und atmete tief ein. Für einen Augenblick dachte Harry, dass Moran noch etwas hinzufügen wollte, doch er schwieg und schien mit seinen Gedanken meilenweit weg zu sein. Das fahle Licht der Schreibtischlampe warf Schatten auf sein Gesicht und ließen es plötzlich ungewöhnlich alt und müde wirken, so als hätten Jahre voller Sorge und Angst tiefe Falten in seine jungen Züge gegraben. Harry setzte bereits zu einer weiteren Frage an, doch die Tatsache, dass er in der Vergangenheitsform gesprochen hatte, ließ Harry vermuten, dass Morans Vater nicht mehr lebte und so hielt es Harry für taktlos weiter nach zu fragen.

„Ich weiß auch nur, dass sie versuchen, Remus Lupin und Andrea zu befreien", sagte Harry zögernd, ehe er unsicher hinzufügte, „und dass diese Bastet dort draußen Andrea gehört; über alles Weitere was sie vorhaben, schweigen sie sich mir gegenüber auch aus."

Moran nickte und wandte sich erneut seiner Arbeit zu.

„Diese Frau muss eine wichtige Person sein, wenn sie jemand unter die Aufsicht eines Wächters stellt", seufzte Moran nach einer längeren Pause und sah sich die lange Liste von Flüchen an, mit denen die Bastet belegt wurde.  

„Andrea ist nur ein Muggel."

„Warum sollte der dunkle Lord einen Muggel auf seine Seite ziehen wollen?", stieß Moran verblüfft aus.

„Sie wird sich Voldemort niemals anschließen!", entgegnete Harry bestimmt, ohne auf die Frage des Slytherins einzugehen.

„Silver sieht das offensichtlich anders, aber vermutlich kennst du diese Frau länger und besser", seufzte Moran mit einem Achselzucken und zog ein weiteres Buch aus dem Regal hinter sich.

Harry antwortete ihm nicht darauf. Was hätte er auch sagen sollen? Wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass er Andrea kaum besser kannte als Silver, dennoch war er der festen Überzeugung mit seiner Einschätzung richtig zu liegen; Andrea würde eher sterben als sich Voldemort anzuschließen.

„Nun, wie dem auch sei, Flitwick versucht jedenfalls ein zweites Gegenstück herzustellen, mit dessen Hilfe sie nicht nur Andreas Aufenthaltsort ausfindig machen können, sondern auch noch mitbekommen, was dort geschieht", erklärte Moran.

„Ist das der Grund, warum wir diese ganzen Gegenzauber nachschlagen?"

„Nein, wenn ich richtig vermute, brauchen sie diese Liste erst, wenn sie den Bann des Wächters brechen wollen. Für das Gegenstück benötigen sie normalerweise so etwas wie Haare, Fingernägel oder auch Blut der betreffenden Person und was genauso wichtig ist: sie müssen einen neuen Zauber sprechen, der die Bastet, das Gegenstück und die Frau miteinander verbindet."

„Geht das, wenn Andrea nicht da ist?"

„Keine Ahnung, doch Flitwick klang sehr zuversichtlich."

Harry nickte, auch wenn er nicht wusste, ob Flitwicks Zuversicht in diesem Fall wirklich gerechtfertigt war. Wie wollten sie Haare von Andrea herankommen, wenn niemand ihr Haus betreten konnte, von Fingernägeln und Blut ganz zu schweigen?

x x x x

Bis zum nächsten Abend, da Harry wie verabredet bei Silver nachsitzen musste, bekam er diesen nicht mehr zu Gesicht. Silver war zu keiner der Mahlzeiten erschienen und hätte Ginny ihm nicht am Nachmittag von ihrem Unterricht in Verteidigung gegen die dunklen Künste erzählt, so wäre Harry davon ausgegangen, dass Silver sich bereits auf die Suche nach Andrea und Remus begeben hatte. So klopfte Harry an Silvers Bürotür und augenblicklich erklang ein deutliches „herein"!

„Guten Abend, Professor!", grüßte Harry, als er Silver hinter seinem Schreibtisch sitzen sah und blickte sich neugierig im Raum um. Von der Verwüstung war nichts mehr zu erkennen und auch die zu Bruch gegangene Glasschale stand wieder auf ihrem Platz.

„Hallo Harry", lächelte Silver und rollte das Pergament in dem er gerade gelesen hatte zusammen. „Ich würde sagen, wir machen mit den Übungen in Occlumency weiter."

Harry nickte und folgte Silver aus seinem Büro.

„Wie geht es Hermine?", fragte Silver als sie die Treppen nach oben stiegen.

„Noch etwas matt, aber sonst geht es schon wieder. Madam Pomfrey wird sie morgen im Laufe des Tages aus dem Krankenflügel entlassen", erklärte Harry.

Silver nickte, als hätte er nichts anderes erwartet und öffnete die Tür. Für einen kurzen Augenblick hatte Harry erwartet Sirius gegenüber zu stehen, doch Silvers Wohnraum war leer. Mit einem unterdrückten Seufzen ließ sich Harry auf das Sitzkissen nieder und wartete, bis Silver ein Tablett mit Teetassen heraufbeschworen und sich ihm gegenüber gesetzt hatte.

„Darf ich Sie etwas fragen?", begann Harry zögernd, als Silver ihm eine Tasse gereicht hatte.

„Nur zu", nickte Silver. „Ich kann mir vorstellen, dass es eine Menge Fragen sind, die dir auf der Seele brennen."

„Ja, die gibt es allerdings", gab Harry zu, doch plötzlich wusste er seine Frage nicht mehr in Worte zu fassen. Unschlüssig drehte er seine Tasse zwischen den Händen, während Silver geduldig wartete, bis Harry seine Formulierung wieder gefunden hatte. „Als Sie sich vor dem Unterricht meine Erinnerung an diese Vision ansahen, bin ich da in Ihren Geist eingedrungen?"

„Ja, das bist du", nickte Silver und blickte ihm nachdenklich entgegen.

„Wie? Ich meine….ich wollte es nicht. Es ist plötzlich geschehen."

„Nun ich würde sagen, da kamen mehrere Faktoren zusammen. Zum einen die Tatsache, dass du offensichtlich die Begabung dazu besitzt und zum anderen, dass ich viel zu spät reagierte. Offen gestanden, habe ich nicht mit einer Attacke von dir gerechnet", erklärte Silver mit einem schiefen Lächeln. „Es war meine Unachtsamkeit, die dir eine Tür geöffnet hat und du hast sie instinktiv genutzt."

„Aber wie, ich habe doch nichts getan?"

„Man könnte es damit ausdrücken, dass die Neugier deinem Geist Flügel verliehen hatte", schmunzelte Silver und griff nach seiner Teetasse, um sie erneut zu füllen. „Diese Fähigkeit ist dir gegeben, wie dein Talent im Quidditch. Es schlummert in dir und wartet nur auf die Zeit, in der du diese Begabung auch nutzen kannst."

„Ist das eine weitere Fähigkeit, die Voldemort mir übertragen hat?", fragte Harry unsicher. „Kommt es deshalb vor, dass ich in seine Gedanken eindringen kann?"

„Schwer zu sagen!", seufzte Silver und sah ihn zweifelnd an. „Sicherlich begünstigt auch deine Narbe die Verbindung zu Voldemort, aber woher die Begabung letztendlich kommt, lässt sich schwer sagen. Ich vermute mal, dass du diese mentale Kraft schon seit deiner Geburt besitzt…"

„Heißt das nun, dass…ich auch in die Gedanken eines jeden anderen Menschen eindringen könnte?"

„Nach einer gewissen Zeit des Trainings sicherlich, doch vorerst solltest du mal lernen deinen Geist wirkungsvoll abzuschirmen", erklärte Silver mit einer Miene die deutlich zeigte, dass er nicht mehr auf diese Frage eingehen wollte. So blieb Harry nichts weiter übrig, als dieses Thema vorläufig ruhen zu lassen und sie begannen mit dem Training.

Es war spät am Abend, als Harry sich auf den Rückweg in den Gryffindorturm machte. Ohne es sonderlich eilig zu haben, schlenderte er langsam durch die verlassenen Korridore und blieb immer wieder an den Fenstern stehen, um einen Blick über die Schlossgründe zu werfen. Im Gegensatz zu seinen aufgepeitschten Gefühlen, war es eine wohltuende Stille die sich über das Schloss gelegt hatte und selbst der Sturm, der die letzten Tage immer wieder um das alte Gemäuer gefegt war, schien sich endlich eine Verschnaufpause zu gönnen. Nur vereinzelt blinkten Sterne am tiefschwarzen Nachthimmel auf, doch auch sie schafften es nicht, die dichten Wolken dauerhaft zu durchdringen. Das Licht in Hagrids Hütte war das Einzige, was Harry in der Dunkelheit klar erkennen konnte und einige Sekunden lang stellte er sich Hagrid vor, wie dieser friedlich vor einer eimergroßen Teetasse an seinem behaglichen Kamin saß und dem Spiel der Flammen zusah. Mit einem schwachen Lächeln wandte sich Harry vom Fenster ab und für einen winzigen Augenblick spielte er wirklich mit dem Gedanken, Hagrid einen kleinen Besuch abzustatten, nur um sich zu vergewissern, dass dieses Bild wirklich stimmte, aber er verwarf diesen Gedanken genauso rasch wieder, wie er entstanden war. Mit der Gewissheit, dass dort draußen nicht alles so friedlich war wie dieses Bild, das er sich eben noch vorgestellt hatte, setzte er seinen Weg fort. Silver hatte ihm erzählt, dass sie noch immer keine brauchbare Spur von Andrea oder Remus hatten und plötzlich fühlte er sich unendlich müde. Erneut blieb er an einem der Fenster stehen, um in die Dunkelheit der Nacht hinaus zu starren. „Remus, wo bist du? Geht es dir gut?" Bilder einer kalten, trostlosen Zelle stiegen unerwartet in ihm hoch und ein zerrendes Gefühl der Verzweiflung ergriff ihn. Für einen kurzen Augenblick war dieses Gefühl so stark und übermächtig, dass Harry fast aufgeschrieen hätte. Eine Eule, die genau in diesem Moment nahe am Fenster vorbei flog, riss ihn unvermittelt aus diesen Gedanken und Harry zog fröstelnd die Schultern hoch, um dieses beklemmende Gefühl abzuschütteln. Aber so einfach ging dies nicht; wie ein schleichender Schatten verfolgte Harry diese Empfindung, die so gar nichts mit seiner eigenen Realität zu tun hatte und sich doch schmerzhaft in seinen Eingeweiden wandte. Mit einem merkwürdigen Gefühl der Unwirklichkeit betrat er wenig später den Gemeinschaftsraum, nur um überrascht festzustellen, dass hier alles wie immer war. Das Feuer im Kamin war bereits niedergebrannt, auf den kleinen Tischen lagen wie üblich Dinge, die irgendwer achtlos liegengelassen hatte und mehrere Schüler der höheren Klassen saßen plaudernd beisammen. „Reiß dich lieber zusammen, sonst drehst du irgendwann noch genauso durch wie Snape!", ermahnte er sich streng und stieg, ohne auf jemanden zu achten, die Treppe zum Jungenschlafsaal hoch.

x x x x

Harry war jedoch nicht der Einzige, der in dieser Nacht mit dem Gefühl von Unwirklichkeit zu kämpfen hatte. Das Erste, was Andrea bei ihrem Aufwachen registrierte, war, dass sie mit einem dicken Federbett zugedeckt, in einem weichen Bett lag. Auf einer kleinen Anrichte neben diesem Bett brannte eine altertümliche Petroleumlampe und tauchte den Raum um sie herum in ein sanftes, warmes Licht. Schwere Brokatvorhänge waren vor die beiden Fenster gezogen und ließen Andrea vermuten, dass es Nacht sein musste. Dennoch reichte das Licht der Lampe aus, um die einzelnen Gegenstände im Raum deutlich zu erkennen. Sie erblickte einen kleinen Tisch, auf dem ein Spitzendeckchen und eine Obstschale drapiert waren, und neben dem ein wuchtiger Ohrensessel stand. In der Ecke befand sich eine nostalgische Stehlampe und an der gegenüberliegenden Wand ein Kleiderschrank aus der gleichen Zeitepoche. Neben ihrem Bett stand ein gepolsterter Stuhl, auf dem jemand einen kleinen Korb mit rostbraunem Strickzeug abgestellt hatte und über dessen Lehne eine Strickweste hing.

Unsicher versuchte Andrea sich in ihrem Bett aufzurichten, doch ihre Hände, Arme und Beine fühlten sich merkwürdig taub an, während ihr Rücken bei jeder noch so kleinsten Bewegung schmerzte und sie diesen Versuch rasch aufgeben ließ.

„Wo bin ich? Was ist mit mir geschehen? Wie komm ich hierher?" Andrea schluckte schwer, als langsam und bruchstückhaft ihre Erinnerung zurückkehrte. „Ich war im Krankenhaus, doch wo bin ich jetzt?

Noch während schemenhaft Bilder und Erinnerungen zurückkamen, hörte sie sich nähernde Schritte und kurz darauf öffnete sich mit einem leisen Quietschen die Tür. Reflexartig schloss Andrea die Augen, hielt die Luft an und lauschte. Jemand betrat den Raum, schloss leise die Tür hinter sich und kam an das Bett heran. Andrea spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte als eine Hand sanft über ihre Stirn strich und kurz darauf ein Geräusch entstand, das ihr deutlich machte, dass sich diese Person neben ihr auf den Stuhl gesetzt hatte.

„Ganz ruhig, das ist nur ein sehr seltsamer Traum! Du bleibst jetzt einfach nur still liegen und wartest, bis er vorbei ist!", dachte sie verzweifelt, während ihr Verstand das Klappern der Stricknadeln zu ignorieren versuchte. „Vielleicht bin ich ja auf den Kopf gefallen und das alles ist nur eine komische Halluzination! Bestimmt ist es gleich wieder vorbei und wenn ich die Augen aufmache, dann liege ich wieder in diesem Krankenzimmer mit der schnarchenden Zimmergenossin."

Andrea wusste nicht wie lange sie so still dalag und dem Klappern der Stricknadeln lauschte, als plötzlich ein sanftes Summen neben ihr erklang und sie unweigerlich die Augen öffnen ließ. Neben ihrem Bett saß eine alte Frau mit weißem Haarknoten und runzeligem Gesicht, das vom Schein der Petroleumlampe erleuchtet wurde und summte ein altes Kinderlied, während sie auf ihre Strickarbeit konzentriert, vor sich hin lächelte.

„Das ist nur eine Illusion, das kann nicht real sein!", stöhnte Andrea innerlich auf, doch noch ehe sie wieder die Augen schließen konnte, hatte die alte Frau ihr Wachsein bemerkt.

„Oh, du bist wach!", lächelte sie und legte das Strickzeug zur Seite. „Bestimmt bist du hungrig, warte, ich habe eine Suppe für dich warm gestellt."

Ohne Andrea die Chance auf eine Frage zu geben, verschwand die alte Frau. Durch die offenstehende Tür konnte Andrea das Knarren einer Treppe hören und wenig später kam die Frau mit einem Tablett zurück, auf dem ein Teller mit dampfender Suppe stand.

„Was ist das für ein seltsamer Traum? Das wirkt alles viel zu real!", grübelte Andrea, während die alte Frau sich auf die Bettkante setzte und ihr vorsichtig die Suppe einflößte.

Ihre Kehle fühlte sich rau und trocken an, doch bereits nach dem zweiten Löffel Suppe ging das Schlucken deutlich besser und wiedererwartend schmeckte sie ausgezeichnet.

„Wo bin ich?", schaffte es Andrea zwischen zwei Löffeln zu fragen, doch die alte Frau winkte nur mit einem gütigen Lächeln ab.

„Später, jetzt ist erst einmal wichtig, dass du etwas isst um wieder zu Kräften zu kommen. Nachher wirst du alles erfahren, was wichtig ist."

Andrea ergab sich ihrem Schicksal und schluckte folgsam einen Löffel nach dem anderen hinunter, bis die alte Frau zufrieden den leeren Teller zur Seite stellte. Doch jetzt, da Andrea gegessen hatte, fühlte sie sich plötzlich unendlich müde und noch ehe sie zu einer weiteren Frage ausholen konnte, war sie bereits wieder eingeschlafen.

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Als Harry am nächsten Morgen den Krankenflügel betrat, saß Hermine gerade in ihrem Bett und frühstückte.

„Guten Morgen!", grüßte Harry mit einem breiten Grinsen und zog sich einen Stuhl heran.

„Guten Morgen, Harry! Was machst du den hier? Hättest du nicht gerade Unterricht?", entgegnete Hermine und warf ihm einen prüfenden Blick zu.

„Zaubertränke fällt für den Rest der Woche aus und da dachte ich mir…ich könnte…dir ein bisschen Gesellschaft leisten."

„Lieb von dir", lächelte Hermine und zu Harrys Überraschung zog sich eine leichte Röte über Hermines Wangen.

„Weißt du schon, wann dich Madam Pomfrey heute aus ihren Klauen lässt?"

„Ich denke mal, noch vor dem Mittagessen. Sie will mich später noch ein letztes Mal untersuchen und dann dürfte ich wieder in den normalen Schulalltag zurückkehren."

„Du hattest ganz schönes Glück", seufzte Harry. „Wenn Moran nicht rechtzeitig reagiert hätte…."

„Hat er aber!", unterbrach ihn Hermine sanft. „Mir geht es wieder gut, du musst dir wirklich keine Sorgen machen."

Harry nickte widerstrebend, ehe er nach Hermines Hand griff. „Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir was passieren sollte", sagte er leise und noch bevor er es selbst begriff, hatte er Ihre Hand an die Lippen gezogen und einen sanften Kuss darauf gehaucht.

Hermine sah ihn einen Moment überrascht an, doch dann beugte sie sich mit einem verlegenen Lächeln vor und küsste seine Wange. „Mir geht es nicht anders, Harry. In mir sind die gleichen Gefühle entstanden."

Für einen kurzen Augenblick wollte er sie fragen, von welchen Gefühlen sie genau sprach, doch das Feuerwerk, das Hermines Blick in seinem Inneren entzündete, ließ jedes weitere Wort überflüssig werden. Einige Sekunden lang sahen sie einander nur in die Augen, bis Harry sich schließlich ein Ruck gab und sich zu Hermine aufs Bett setze. Mit rasendem Herzen und zitternden Fingern fuhr er ihr über die Wange und als Hermine die Augen schloss, war jeder Zweifel verschwunden. Wie von selbst trafen sich ihre Lippen zu einem Kuss, der die Welt um sie herum zu einem kleinen unbedeutenden Nichts verschwinden ließ.

x x x x

Als Harry zur nächsten Unterrichtstunde in Professor McGonagalls Klassenzimmer eintraf, hatte er immer noch das irreale Gefühl einige Zentimeter über dem Boden zu schweben. Eine seltsam, euphorische Hochstimmung hatte ihn ergriffen, an der auch McGonagalls strenger Blick nichts ändern konnte.

„Sie kommen zu spät, Mr. Potter!", sagte sie harsch, als Harry sich an ihr vorbei schob, um seinen Platz neben Ron einzunehmen.

„Ich weiß!", kam es wie von selbst über Harrys Lippen, ohne dass er den Ausdruck von Empörung und Unglauben im Gesicht seiner Lehrerin bemerkte, den seine Antwort auslöste.

Harry zog sein Buch über Verwandlung aus der Tasche und legte es vor sich auf den Tisch. In der Klasse herrschte Stille, bis sich McGonagall, noch immer mit einem ungläubigen Blick auf Harry, räusperte und mit ihrem Unterricht fortfuhr.

„Sag mal, was ist eigentlich in dich gefahren?", wandte sich Ron nach Unterrichtsende an Harry.

„Wieso?", gab Harry mit ehrlicher Verwirrung zurück.

„Na, erst lässt du die gute McGonagall einfach so abtropfen und dann sitzt du mit einem dämlichen Grinsen im Unterricht und kriegst nicht einmal mit, wenn dich jemand anspricht."

Harry wusste nicht, was er Ron darauf antworten sollte, doch noch ehe er sich eine passende Ausrede zurecht legen konnte, hatte ihn McGonagall bereits zu sich gerufen. Ron verdrehte die Augen und folgte den restlichen Gryffindors aus dem Klassenzimmer. Durch die offen gebliebene Tür konnte Harry sehen, dass Ron im Korridor auf ihn wartete.

„So Mr. Potter, hätte Sie nun die Güte mir zu erklären, was Ihr absonderliches Verhalten zu bedeuten hat?", begann McGonagall ungehalten, sobald der letzte Schüler ihren Unterrichtsraum verlassen hatte.

„Es tut mir leid!", sagte Harry kleinlaut und blickte starr auf den Boden zu seinen Füßen.

„Was tut Ihnen leid?", bohrte seine Lehrerin hartnäckig nach und kam einen Schritt näher an ihn heran.

„Es tut mir leid, zu spät gekommen sein."

„Und weiter!"

„Ähm…was weiter?", fragte Harry und blickte unsicher in McGonagalls Gesicht.

„Zum Beispiel den Grund für ihr Verhalten?", gab McGonagalls gereizt zurück und die roten Flecken im Gesicht seiner Hauslehrerin verrieten Harry, dass sie kurz vor der Explosion stand.

„Es tut mir leid, Professor, das…das…kann ich Ihnen nicht erklären", sagte Harry und zog vorsorglich den Kopf ein, doch das befürchtete Gewitter blieb aus.

Mit einen eigentümlichen Gesichtsausdruck starrte ihn seine Hauslehrerin an, bis sie schließlich tief einatmete und den Kopf schüttelte.

„Na gut, Potter, Sie können gehen."

Harry schnappte erleichtert nach Luft und beeilte sich der Aufforderung seiner Lehrerin nachzukommen. Er hatte die Tür noch nicht erreicht, als McGonagall ihn nochmals zurückhielt.

„Wo waren Sie eigentlich während der ausgefallenen Stunde?"

„Im Krankenflügel", antwortete Harry spontan und erst jetzt, da er sich noch einmal zu McGonagall umdrehte, bemerkte er das wissende Lächeln, das ihre Lippen umspielte.

„Ah…verstehe!", nickte sie und Harry spürte, wie sein Gesicht zu glühen begann.

Um McGonagall nicht die Chance auf eine weitere Frage zu lassen, stürmte Harry davon, vorbei an dem wartenden Ron, bis er schließlich schwer atmend in der Eingangshalle anhielt.

„Sag mal, hast du sie noch alle?", keuchte Ron, der ihn in diesem Moment eingeholt hatte und nun am Arm festhielt. „Was ist eigentlich plötzlich in dich gefahren?"

„Nichts", log Harry und machte seinen Arm frei. „Mir ist nur das Frühstück nicht so gut bekommen, aber nun geht's schon wieder."

„Häh?", brummte Ron ungläubig, doch als Harry die Große Halle ansteuerte folgte er ihm mit einem Achselzucken.

Harry wusste, dass dies wohl die dümmste aller möglichen Ausreden war und Ron ihm kein einziges Wort davon glauben würde, doch für den Moment fiel ihm beim besten Willen nichts ein, was er hätte sagen können. Mit dem Gefühl, mit beiden Beinen in den größten Fettnapf aller Zeiten gesprungen zu sein, setzte er sich an den Tisch der Gryffindors, wo Hermine bereits von Ginny und Parvati belagert wurde.

„Hallo Hermine, schön dass du wieder da bist", grinste Ron und klopfte Hermine freundschaftlich auf die Schulter, so dass ihr das Glas mit Kürbissaft aus der Hand glitt und in Ginnys Hackbraten landete. „Oh, tschuldigung", nuschelte er, während seine Schwester mit ärgerlichem Blick das Glas aus der Bratensoße zog.

„Mensch, pass doch auf!", maulte sie. „Hermine ist noch immer etwas zittrig und du haust ihr auf die Schulter, als hättest du Hagrid vor dir."

Hermine hustete, was für Harry etwas künstlich klang, doch nachdem sich ihr Gesicht ziemlich rot färbte, schien das außer ihm niemand zu bemerken.

Fortsetzung folgt…………

Autornote: Als aller erstes mal ein ganz dickes Dankenschön für die vielen Reviews und euere Geduld! Weiß selbst, dass dieses letzte Kapitel besonders lange gedauert hat, doch in den letzten Wochen vor den Ferien geht es bei uns immer besonders mächtig zu. Und ich muss mich auch gleich noch entschuldigen, dass es  auch heute noch keine Review-Antworten gibt, aber es war mir wichtiger, euch dieses neue Kapitel noch heute ins Netz zu laden. Wenn alles soweit gut läuft, dann wird das 28. Kapitel bis zum Wochenende fertig sein und dann bekommt ihr auch euere verdienten Review-Antworten!

Viele liebe Grüße von Sternchen! (das nun endlich Urlaub hat und damit auch viel Zeit zum Schreiben)