AN: Es hat lange gedauert, doch nun ist es endlich da….
49.
Harrys Nacht war eine der Unruhigsten der letzten Wochen; immer wieder träumte er von einer vermummten Gestalt, die durch die Gänge Hogwarts schlich. In seinem Traum verfolgte er sie, doch so sehr er sich auch bemühte, sie verschwand immer wieder aus seinem Sichtfeld. Später gingen die Träume in ein wirres Durcheinander von unterschiedlichen Bildern über. Einmal war es Hermine, die in Voldemorts Fänge geriet, dann war es wieder Ron, den man gefangen hatte und folterte. Sogar das aufgedunsene Gesicht Onkel Vernons suchte ihn in dieser Nacht heim, wenn auch nur um ihn zu sagen, dass er ein Versager auf ganzer Linie war und nicht einmal auf eine simple Kette achten konnte.
Gegen Morgen endeten die Träume abrupt und etwas anderes berührte Harrys Bewusstsein. Zuerst war es nur ein fernes Geräusch, wie das Glucksen von Wasser, das sich anhörte, als würde eine kleine, leise Welle, sacht die Kaimauer eines Hafenbeckens treffen. Langsam aber stetig wurde das Geräusch deutlicher und plötzlich hatte Harry das seltsame Gefühl an einem Landungsdock zu sitzen. Er fühlte den Wind der ihm die Haare aus dem Gesicht blies, hörte das Gekreische der Möwen und der Geruch von Salzwasser, Fisch und Teer kitzelte seine Nase, während er deutlich unter sich die raue Oberfläche der Bohlen spüren konnte. All dies fühlte sich merkwürdig real an und als Harry die Augen öffnete, spiegelte sich der volle Mond in dem unruhigen Wasser des Hafenbeckens, während nun auch aus der Ferne die nie verstummenden Geräusche einer Stadt an seine Ohren drangen. Ohne sich umzudrehen, wusste er, dass hinter ihm die Lichter der Stadt wie zu Boden gefallene Sterne in der Dunkelheit funkelten. Dies alles nahm Harry mit einer merkwürdigen Vertrautheit wahr, als wäre er selbst schon hundertmal genau an diesen Docks gesessen.
Für einen kurzen Augenblick grübelte Harry, ob er wohl im Schlaf zufällig aus seinem Bett heraus und hierher appariert war, als ihn Hermines vertraute Stimme belehrte: „Man kann in Hogwarts nicht apparieren!"
„Aber das ist auch kein Traum", hielt Harry der imaginären Stimme entgegen, während er sich gleichzeitig die Frage stellte, ob sich jemals eine Vision Voldemorts so real angefühlt hatte.
Ein leises, kaum wahrnehmbares Plätschern riss ihn unvermittelt aus seinen Gedanken und er blickte sich unwillkürlich um. Es war stockfinstere Nacht, auch wenn sich bereits am Horizont ein leichter Silberstreifen bemerkbar machte. Trotz der Dunkelheit konnte Harry deutlich die Silhouetten von Gebäuden und Schiffen erkennen, bis seine Augen schließlich auch den kleinen Kahn entdeckten, der das Plätschern hervorrief; schaukelnd und schwankend tauchte er neben einem der großen Kutter auf. Offensichtlich war es eines der kleinen Beiboote, das sich in der Nacht von einem der größeren Schiffe gelöst hatte und nun unaufhaltsam aus dem schützenden Hafenbecken hinaus auf das offene Meer trieb. Niemand schien diesen Verlust zu bemerken und auch Harry fühlte eine seltsame Teilnahmslosigkeit, während er den kleinen Kahn beobachtete, der in geringer Entfernung, an ihm vorbei trieb. Doch gleichzeitig, so widersprüchlich es auch war, gab es etwas, das verhinderte, dass Harry seinen Blick von diesem kleinen Boot wandte. Harry wusste nicht weshalb, doch plötzlich regte sich ein Gefühl unendlicher Trauer in seiner Brust, fast so, als würde mit diesem alten, schäbigen Kahn etwas Vertrautes und Liebgewonnenes verschwinden. Einen kurzen Moment lang kniff Harry Augen und Lippen zusammen und schluckte schwer, ehe er unwillig den Kopf schüttelte.
„Vielleicht verlier ich jetzt langsam den Verstand?", stöhnte er leise und schlang unwillkürlich die Arme um seinen Körper.
Plötzlich war ihm fürchterlich kalt und während Harry noch immer den davon treibenden Kahn zu ignorieren versuchte, wurde ihm plötzlich klar, was er bisher nur am Rande seines Bewusstseins wahrgenommen hatte – ein menschliches Wesen befand sich auf diesem, in die Unendlichkeit des offenen Meers hinaustreibenden Bootes.
„NEIN!" Von einsetzender Panik getrieben sprang Harry auf die Füße. „Nein, bleib hier! Du kannst nicht einfach verschwinden!"
Ohne es erklären zu können, verblasste plötzlich das Bild des Hafens und als würde Harry dem kleinen Boot folgen, befand er sich im nächsten Augenblick mitten auf dem offenen Meer. Ohne dass sein Körper vom Wasser um ihn herum berührt wurde, glitt Harry dem kleinen Kahn nach, doch so sehr er sich auch anstrengte, der Abstand zwischen ihm und dem Boot wurde beständig größer. Ja es schien fast so, als würde seine Anstrengung die Distanz nur noch vergrößern und während das kleine Boot beängstigend über die immer höher werdenden Wellen schaukelte, wurde ihm bewusst, dass ein Einholen unmöglich war. Tränen brannten in seinen Augen, als das kleine Schiffchen schließlich zwischen den haushohen Wellen im hellen Licht des neu beginnenden Tages verschwand.
„NEIN!", stöhnte er auf, ehe er selbst in einer Welle aus Resignation und lähmender Angst versank und es um ihn herum immer dunkler wurde. „Nein, bitte nicht!"
Kalter Schweiß klebte an seiner Stirn, als Harry die Augen aufschlug sich in seinem Bett im Gryffindorturm wieder fand.
„Es war ein Traum, einfach nur ein blöder Traum", versuchte er sich mit Nachdruck einzureden, während er mit der einen Hand die zur Seite gerutschte Bedecke wieder über sich zog, und mit der Anderen die Tränen aus seinem nassen Gesicht wischte.
Aber so sehr Harry sich auch bemühte, an Schlaf war nicht mehr zu denken und als er nach einer Stunde des Herumwälzens auf die Uhr blickte, war es bereits fünf Uhr morgens und er beschloss aufzustehen.
Ohne auf seine Hauskameraden zu warten, ging Harry duschen und war einer der Ersten, die an diesem Morgen zum frühstücken in der Großen Halle erschienen. Eigentlich hatte Harry gehofft, dadurch diese unangenehmen Bilder aus seinem Kopf zu bekommen, doch als er mit müden Schritten die Halle durchquerte musste er erkennen, dass diesen Bildern nicht so einfach zu entrinnen war. Immer wieder keimten diese irrationalen Gefühle von Trauer und Resignation in ihm hoch und als er den verwaisten Tisch der Gryffindors entlang blickte, stellte er fest, dass dieser ihm noch nie so lang und die Halle so groß erschienen war, wie an diesem Morgen. „Es ist ein komisches Gefühl, hier allein zu sitzen", grübelte er, während er lustlos seinen Toast verspeiste. „Fast so komisch, wie dieser seltsame Traum. War es überhaupt ein Traum?"
Es war ein merkwürdiger Zustand gewesen, doch nach einigen Überlegungen entschied Harry, dass der Begriff Traum noch am ehesten passte, obwohl er auch die Ähnlichkeit mit einer Vision Voldemorts nicht leugnen konnte. Trotz alledem war Harry sich allerdings auch sicher, dass dieses nächtliche Erleben nichts mit seinem Erzfeind zu tun hatte. Müde und erschöpft blickte er auf, als sich plötzlich die Tür der großen Halle öffnete und Ted Moran gefolgt von zwei weiteren Slytherins erschien.
„Guten Morgen, Harry!", grüßte er freundlich, als er am Tisch der Gryffindors vorbei kam.
„Morgen, Ted", nuschelte Harry und erwartete eigentlich, dass der Slytherin zügig am Tisch der Gryffindors vorbei und zu seinem eigenen Haustisch gehen würde, doch Ted blieb.
„Du siehst aus, als hättest du heute Nacht einen Ringkampf mit einem Troll verloren", sagte der Slytherin stirnrunzelnd, während er sich gleichzeitig in der leere Halle umsah, als müsse er sichergehen, dass niemand sie beobachtete.
„So fühl ich mich auch", grinste Harry schief. „Du siehst allerdings auch nicht besser aus. Was hast du getrieben?"
Um Morans Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet und Harry fragte sich unweigerlich, was dem Slytherin wohl den Schlaf geraubt haben mochte. Seine beiden Begleiter waren in einer Entfernung stehen geblieben und als Harry jetzt zu ihnen hinüber sah, bemerkte er, dass auch die beiden reichlich übernächtig und erschöpft wirkten. Im Grunde erwartete Harry jedoch keine Antwort auf diese Frage, er verspürte einfach nur den dringend Wunsch sich mit jemand zu unterhalten, auch wenn dieser Jemand ein Slytherin war.
Ted nickte langsam und für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke. Zu Harrys Verblüffung schien der Slytherin wirklich auf seine Frage antworten zu wollen.
„Nun…"
Moran verstummte schlagartig, als sich eine Seitentür der Halle öffnete und Snape mit mürrischem Gesicht herein kam. Als er Ted am Tisch der Gryffindors stehen sah, verfinsterte sich sein Gesicht und er zog mahnend die Augenbrauen empor. Eine Geste, die mehr als deutlich machte, dass Snape seinen Slytherins offensichtlich Anweisungen im Bezug auf Harry oder die Gryffindors im Allgemeinen gegeben hatte. Für einen kurzen Augenblick hielt Ted gelassen dem Blick seines Hauslehrers stand, ehe er sich mit einem leisen Seufzen und einem ergebenen Schulterzucken abwandte und wortlos seinen Hauskameraden zum Tisch der Slytherins folgte.
So kurz dieses Zwischenspiel auch war, es hatte Harrys Lebensgeister geweckt und plötzlich war alle Müdigkeit verschwunden. Was sollte das? Meinte Snape ernsthaft, er könnte verbieten, dass Ted Moran und er sich unterhielten?
Die drei Slytherins hatten inzwischen unter dem ärgerlichen Blick ihres Hauslehrers ihren Tisch erreicht und ließen sich daran nieder. Grübelnd folgte ihnen Harry mit seinen Augen und vermutlich hätte er sich auch keine weiteren Gedanken darüber gemacht, wäre da nicht genau in dem Augenblick, da er seinen Blick abwandte und zum Lehrertisch hochsah, ein Ausdruck von gehässiger Zufriedenheit auf dem Gesicht des Zaubertranklehrers erschienen.
Was auch immer Ted ihm sagen wollte, Snape hatte es verhindert und die Tatsache, dass der Hauslehrer der Slytherins sich offensichtlich darüber ärgerte, dass Harry Potter und Ted Moran miteinander sprachen, ließ ein Gefühl von Rebellion in Harrys Brust entstehen. Ohne später sagen zu können, warum oder wieso – stand Harry auf, nahm seine Teetasse und ging direkt auf den Tisch zu, an dem Moran nun saß.
„Ich denke, wir verstoßen hier nicht gegen eine bestimmte Regel, wenn wir uns bei einer Tasse Tee unterhalten", sagte Harry so laut, dass auch Snape es in der leeren Halle verstehen musste und setzte sich provokant Ted gegenüber.
Für einige Sekunden starrten ihn die drei Slytherins überrascht an, bis ein leichtes Grinsen über Teds Gesicht huschte und er mit einem Achselzucken Harrys Tasse mit Tee füllte.
„Du bist ganz schön dreist, doch ich denke nicht, dass die große Halle der passende Platz für die Unterhaltung eines Gryffindors mit einem Slytherin ist", raunte er so leise, dass Harry Mühe hatte es zu verstehen.
„Warum nicht?", grinste Harry breit.
Ted stieß hörbar die Luft aus und verdrehte die Augen, als auch schon ein lautes „POTTER!" durch die Halle dröhnte.
Harry musste nicht aufblicken, um zu wissen, dass Snape einer Furie gleich auf den Tisch der Slytherins zuschoss. „KEHREN SIE UNVERZÜGLICH AN IHREN EIGENEN TISCH ZURÜCK!"
„Warum?", entgegnete Harry bemüht einen möglichst unbefangen Gesichtsausdruck aufzusetzen. „Seit wann ist es verboten sich hier zu unterhalten?"
Es war allerdings nicht Snape sondern einer der beiden Slytherins, die mit Ted Moran in die Halle gekommen waren, der jetzt antwortete
„Verschwinde, Potter, ein Gryffindor hat hier nichts zu suchen!", sagte er laut und deutlich, fügte jedoch bedeutend leiser und warnender hinzu: „Du riskierst hier mehr, als nur einen Punktverlust für dein Haus", zischte er, während Harry über seine Schulter hinweg bereits Snape auf sich zurauschen sah.
Was Harry allerdings mehr als die Warnung irritierte, war der Ausdruck von Angst, der für einen kurzen Moment in den Augen des Slytherins aufgeflackert war.
„Potter!", bellte Snape.
„Schon gut, schon gut!", entgegnete Harry und hob beschwichtigend die Hände. „Ich wollte…."
„Es interessiert mich nicht, was Sie wollten!", fiel ihm Snape erbost ins Wort. „Sie verlassen jetzt sofort diesen Haustisch!"
Harry nickte und stand gemächlich auf, was das vor Zorn gerötete Gesicht seines Zaubertranklehrers noch eine Spur dunkler färbte. Betont gelangweilt schlenderte er an seinen Haustisch zurück, an dem sich inzwischen die ersten Gryffindors eingefunden hatten. Ein irrwitziges Gefühl der Genugtuung erfüllte Harry und er musste sich sehr beherrschen nicht laut loszulachen. Warum auch immer Snape sich so aufregte, es tat Harry nach dieser mehr als Kräfte zehrenden Nacht gut seinen verhassten Lehrer herauszufordern und selbst als Snape ihn etwas von Punkteabzug hinterher rief, konnte dies nicht die Siegesgewissheit dieses Augenblicks schmälern.
„Sag mal, hast du sie noch alle?", prustete Dean los, sobald Harry seinen Platz am Gryffindortisch wieder eingenommen hatte. Unbemerkt von Harry hatten inzwischen einige Schüler die Halle betreten. Ein paar Hufflepuffs blickten nun vom Nachbartisch ratlos von Harry zu den Slytherins und wieder zurück. Es war ihnen anzusehen, dass sie nicht so recht wussten, was sie von dieser merkwürdigen Situation halten sollten; am Tisch der Ravenclaws wurde ebenfalls getuschelt.
„Was auch immer du dort wolltest, ich hoffe es war den Punktabzug wert", schnaubte Ginny ärgerlich und selbst Neville sah ihn vorwurfsvoll an.
„Oh ja, Snapes wundervolles Gesicht war diesen Verlust an Punkten wert", dachte Harry grimmig, zog es jedoch vor zu schweigen und diese Gedanken lieber nicht laut auszusprechen.
In den nächsten Minuten füllte sich die Halle zusehends und Harry wusste, dass sein ungewöhnliches Verhalten vorherrschendes Thema an diesem Morgen sein würde. So wartete er nicht erst, bis die ersten Mitschüler mit Fragen ankamen, sondern verabschiedete sich mit der Begründung, dass er noch etwas Dringendes zu erledigen hätte. Gemächlich schulterte er seine Schultasche und schlenderte, das Geflüster um sich herum ignorierend, aus der Halle.
Hatte Harry noch Minuten zuvor ein Gefühl von Triumph empfunden, so löste sich dieses mit dem Verlassen der Großen Halle blitzschnell auf und zurück blieb ein großes dumpfes Nichts. Während er mit müden Schritten die Eingangshalle durchquerte, kam die Erschöpfung die er vor Snapes Auftauchen empfunden hatte zurück und er fühlte sich mit einem Mal nur noch leer und ausgebrannt.
„Tut mir leid, Ginny, ich befürchte so ganz war es den Punkteverlust doch nicht wert", stöhnte Harry, als er an den großen Stundengläsern, die die jeweiligen Hauspunkte anzeigten, vorbei kam. Gryffindor hatte dieses Schuljahr schon eine gewaltige Menge an Punkten durch ihn verloren. Einige Sekunden blieb er gedankenverloren davor stehen und betrachtete das Glitzern der Rubine, ehe er sich abwandte und mit langsamen Schritten weiterging.
An diesem Vormittag hatten sie Zauberkunst bei Professor Flitwick, was Ron und Hermine Gelegenheit gab Harry mit Fragen zu bombardieren und so schilderte er ihnen was sich vor ihren Eintreffen in der Großen Halle abgespielt hatte. Während Ron mit sichtlicher Genugtuung grinste, zog Hermine zweifelnd die Stirn kraus.
„Hm…vielleicht hängt das auch mit dem zusammen, dass Snape den Slytherins ausdrücklich verboten hat an den DA-Stunden teilzunehmen, doch…"
„Er hat es ihnen verboten?", fragte Harry ungläubig und auch Ron zog überrascht die Augenbrauen hoch.
„Ja, kurz vor der ersten DA-Stunde."
„Woher weißt du das schon wieder?", fragte Ron zweifelnd.
„Ted hat es mir erzählt!", erklärte Hermine und reckte trotzig das Kinn vor, doch Rons bissiger Kommentar blieb aus.
„Hm…", brummte Harry, während er Flitwick beobachtete, der in diesen Moment gerade einen abgewandelten Wachstumszauber demonstrierte.
„Na ja, Ted hatte ursprünglich vor sich DA anzuschließen und als er nicht gekommen ist, hab ich ihn einfach gefragt", erklärte Hermine mit einem Achselzucken.
„Aber warum hat Snape das verboten? Nicht, dass ich auf die Slytherins unbedingt dabei haben wollte, aber…" Ron verzog das Gesicht.
„Er begründete seine Entscheidung damit, dass er so unnötige Reibereien zwischen den Slytherins und den Gryffindors vermeiden wollte."
„Davon hast du uns gar nichts erzählt", sagte Harry und blickte sie fragend an.
„Ich hielt es nicht für so wichtig!"
Für einen kurzen Moment wollte etwas wie Zorn in ihm hochsteigen, doch einen Augenblick später wich dieses Gefühl einer dumpfen Müdigkeit. Er konnte es Hermine nicht verübeln, dass sie ihm nichts davon erzählt hatte, schließlich war er derjenige, der die letzten Tage und Wochen alles andere als gesprächsbereit war.
„Worüber grübelst du?", flüsterte Hermine nach einer längeren Pause und als Harry den Kopf hob, sah er, dass auch Ron ihn scharf beobachtete.
„Nichts Bestimmtes. Es ist nur so viel, was mir in letzter Zeit durch den Kopf geht", erklärte Harry mit einem entschuldigenden Lächeln.
Hermine nickte und verfiel nun ihrerseits ins Grübeln, bis Flitwick die Klasse aufforderte, den demonstrierten Zauber zu üben und damit die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf den Unterricht gelenkt wurde.
„Wann willst du mit Andrea reden?", fragte Hermine am Ende der Stunde leise und schulterte ihre Büchertasche.
„Ich denke direkt nach dem Mittagessen", antwortete Harry zögernd, während er Ron aus dem Klassenzimmer folgte.
„Gut!", nickte Hermine und blieb einen Augenblick stehen, ehe sich ihre Haltung straffte und sie ihn fest ansah. „Ich möchte dich gern begleiten…"
„Nein, Hermine, das ist meine Sache und ich werde sie auch alleine klären müssen", entgegnete Harry widerstrebend.
„Misstraust du mir?"
„Das hat doch nichts mit Misstrauen zu tun", entgegnete Harry augenrollend. „Es ist nur so…."
„….dass ihr diese Diskussion auf später verschiebend solltet", fiel Ron ihnen unerwartet ins Wort. „Wenn wir uns nicht beeilen, werden wir zu spät zu Professor Sprout kommen, außerdem müssen die da nichts davon mitkriegen."
Ron deutete mit einer unwirschen Kopfbewegung auf eine Gruppe Slytherins, die sich in diesen Augenblick auf das Klassenzimmer für Zauberkunst zu marschierten. Einer von ihnen war Malfoy. Innerlich bereitete Harry sich bereits auf einen seiner üblichen arroganten Sprüche vor, aber diesmal blieb jeder bissige Kommentar Malfoys aus. Während sie an ihnen vorbei gingen konnte Harry sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Malfoy viel zu müde war, um noch genug Energie für ein Streitgespräch zu haben.
„Hey, hat durchaus seinen Vorteil, wenn Snape seinen Lieblingen das Maul verbietet!", grinste Ron breit, als die Slytherins an ihnen vorbei waren und wortlos das Klassenzimmer betreten hatten. „Vielleicht sollten wir Snape eine Danksagungskarte schicken?"
„Eine Danksagungskarte?", fragte Hermine zerstreut und sah Ron verständnislos an.
„So nennen die Muggel das doch, wenn sie jemanden ne Eule schicken und sich für irgendwas bedanken?", grinste Ron.
„Muggel schicken keine Eulen!", belehrte ihn Hermine mechanisch. „Sie verschicken mit der Post."
„Ja, ja, mein ich doch…"
Harry hörte ihnen nicht weiter zu. Während sie mit eiligen Schritten nach unten liefen, grübelte er darüber nach, dass er offensichtlich nicht der Einzige war, der sich in letzter Zeit seltsam verhielt.
x x x x
Der November neigte sich seinem Ende zu und das zeigte er an diesem Tag mit eisiger Kälte und Frost. Ein grauweißer Überzug hatte sich auf die Wiesen und Bäume gelegt und gab einen kleinen Vorgeschmack auf den zu erwartenden Schnee.
Die Gryffindors hatten ihre Unterrichtsstunde in den Gewächshäusern hinter sich gebracht und stapften nun, in dicke Mäntel und Schals eingehüllt, zurück zum Schloss.
„Alles wie immer", grübelte Harry, während er ein Stück hinter seinen Klassenkameraden hertrottete und sich nachdenklich umsah. Eine Gruppe von Slytherins machte sich gerade von Hagrids Hütte aus auf den Rückweg; Harry vermutete, dass sie eben Pflege magischer Geschöpfe hinter sich gebracht hatten und wie auch die Gryffindors beeilten sich die Slytherins das warme Schloss zu erreichen.
Harry hatte sich gerade wieder zu Ron umgedreht, als Neville vor ihm abrupt stehen blieb und die Hand ausstreckte. „Hey, wer ist das?"
„Keine Ahnung!", brummte Seamus, während er fröstelnd den Hals einzog und die Hände tiefer in den Tasche seines Mantels vergrub, jedoch stehen blieb, um die vermummte Gestalt zu beobachten, die in diesen Augenblick langsam an der Südseite des Schlosses entlang ging.
„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich fast sagen, der sieht aus wie ein Todesser", hauchte Neville mit zitternder Stimme.
„So ein Quatsch, wie sollte den ein Todesser auf das Gelände von Hogwarts kommen!", lachte Seamus unbekümmert und setzte gleichgültig seinen Weg fort.
Auch Ron und Hermine waren stehen geblieben und beobachteten nun mit zusammen gekniffenen Augen die fremden Person. In einen dicken Winterumhang gehüllt und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, blieb die Gestalt immer wieder stehen und blickte die hohen Mauern des Schlosses hoch, ehe sie mit zögernden Schritten ihren Weg fortsetzte. Für einen kurzen Moment bemerkte Harry, wie sich sein Herzschlag beschleunigte und er automatisch nach dem Zauberstab in seiner Tasche tastete. Im Stillen musste er Neville recht geben, die Ähnlichkeit mit den Roben der Todesser war nicht verkennen. Sekunden später jedoch glaubte er zu wissen, um wen es sich hier handelte und atmete erleichtert auf.
„Das ist Andrea", sagte er leise und ging mit raschen Schritten auf sie zu.
„Sei vorsichtig! Woher willst du das wissen?", hörte er Hermines warnende Stimme hinter sich, doch er achtete nicht darauf.
„Hallo Andrea!", rief Harry, als er nur noch wenige Meter von ihr entfernt war.
Er konnte sehen, wie die Gestalt kurz zusammenzuckte, doch als sie sich einen Moment später umdrehte, blickte ihn Andrea mit einem schwachen Lächeln entgegen.
„Hallo Harry, Ron, Hermine!", nickte sie und schob die Kapuze zurück, während sie wartete, bis die drei Freunde sie erreicht hatten.
Sie hatte die Haare zu einem Zopf geflochten und blickte ihnen nun mit einem freundlichen, wenn auch ernstem Lächeln entgegen.
„Die gleiche Trauer, die gleiche Resignation, wie in meinem Traum", schoss es Harry durch den Kopf, als er nahe genug heran war, um den stumpfen und trostlosen Ausdruck hinter ihrem aufgesetzten Lächeln zu erkennen.
„Hallo Andrea! Wie geht es dir?", sagte Hermine fröhlich, was Harry genauso aufgesetzt vorkam, wie Andreas Lächeln, und streckte ihr die Hand entgegen.
„Gut!", erwiderte Andrea, während sie sich wieder dem Schloss zu wandte und Hermines dargebotenen Hand ignorierte. „Ich bin bisher noch nicht dazu gekommen, mir das Schloss genauer anzusehen und wollte es heute Nachmittag tun. Es ist wirklich eindrucksvoll, euer Hogwarts. Wie alt ist dieses Gebäude?"
Hermines Fröhlichkeit erstarb und sie zog unsicher die Hand zurück, während sie hilfesuchend zu Harry blickte, der anders als Ron und Hermine mit einer solchen Reaktion Andreas gerechnet hatte.
„Über tausend Jahre", gab Harry bereitwillig Auskunft, trat neben sie und folgte ihrem Blick über das alte Gemäuer.
„Euer Hogwarts", hallte es in Harrys Kopf nach, während auch er das majestätische Schloss hoch blickte, das ihm in den letzten Jahren so vertraut geworden war, dass er es als sein Zuhause ansah.
„Und es war schon immer eine Schule, nicht wahr?"
„Ja, die vier Hogwartsgründer haben sie damals als Schule erbaut", nickte Harry, während er eigentlich damit rechnete, dass Hermine dem noch etwas hinzuzufügen hatte, doch seine Freundin schwieg.
Harry konnte hören, wie Andrea leise seufzte, ehe sie sich wieder umwandte und zu den Gewächshäusern hinüber sah.
„Gryffindor, Slytherin, Hufflepuff und Ravenclaw", sagte sie in einem Ton, als würde sie die Gründer in einer Unterrichtstunde aufsagen. „Man hat mir von ihnen erzählt und auch…"
Andrea brach ab und für einen kurzen Augenblick huschte etwas wie ein dunkler Schatten über ihr Gesicht, doch einen Moment später lächelte sie schon wieder und fuhr in gleichmütigen Plauderton fort. „Kommt ihr gerade vom Unterricht?"
„Ja, wir hatten Kräuterkunde, dort drüben in den Gewächshäusern. Magst du sie dir mal ansehen?"
„Ein anderes Mal gern", nickte Andrea zögernd, während sie sich unschlüssig umsah. „Für heute möchte ich mir nur ein wenig die Füße vertreten und einen Spaziergang um das Schloss machen."
„Hast du was dagegen, wenn wir dich ein Stück begleiten?", sagte Harry, fast sicher, dass sie es ablehnen würde.
Andrea zögerte einen Moment ehe sie mit einem leisen Seufzen erneut nickte und langsam ihren Weg fortsetzte. „Nein, ich habe nichts dagegen."
Eine ganze Zeit liefen sie schweigend nebeneinander her. Sie hatte das Schlossgelände schon zur Hälfte umrundet, als Andrea plötzlich die Stille mit einer Frage durchbrach.
„Sind Remus und Sirius immer noch für Dumbledore unterwegs?"
„Ja, zumindest habe ich nichts Gegenteiliges gehört", antwortete Harry zögernd, während er irritiert einem Raben nachsah, der in diesem Augenblick mit einem Zettel am Bein im Sturzflug über ihre Köpfe hinweg schoss.
Wortlos setzten sie ihren Weg fort, wobei Harry allerdings nicht entging, dass Andrea stets darauf bedacht war, niemanden von ihnen näher als eine Armlänge an sich herankommen zu lassen. An der Nordseite des Schlosses kamen sie am Quidditchfeld vorbei und erreichten den Fuß des Nordturms, als Harry sich endlich ein Herz fasste.
„Ich muss mit dir reden, Andrea", sagte er unsicher.
„Ist nicht nötig", wehrte Andrea gleichmütig ab. „Professor Dumbledore hat mir bereits erzählt, was geschehen ist."
„Es tut mir leid."
„Es ist nicht deine Schuld, Harry."
„Professor Dumbledore sagte es gäbe hier einen Schutzzauber, der verhindert dass ein Gegenstand mit so starker Magie aus Hogwarts hinausgeschafft werden könnte", meldete sich nun Hermine zaghaft zu Wort und auch Ron nickte bestätigend.
„Wir werden den Anhänger wieder finden, ganz bestimmt."
Andrea blieb stehen und blickte einige Sekunden ins Leere, ehe sie sich abwandte und den Turm hochsah. „Niemand wird ihn finden", sagte sie tonlos, während ihre Fingerspitzen sacht über die raue Oberfläche des Mauerwerks strichen.
„Wie meinst du das, niemand wird ihn finden?", fragte Harry unsicher, doch Andrea hob nur gleichgültig die Schultern und setzte unbeirrt ihren Weg fort.
„Man könnte fast meinen, es ist ihr völlig egal, was mit dem Amulett geschehen ist", raunte Ron, während auch Hermine Andrea ungläubig nachblickte.
Harry kam nicht mehr dazu ihm zu antworten, da in diesen Augenblick ein tosendes Krachen und Knallen losbrach und gleichzeitig das Fenster über Andrea zerbarst. Einen Moment später flammten leuchtende Blitze auf und etwas, das aussah wie ein Flammenregen, prasselte auf Andrea nieder und hüllte sie sekundenlang vollständig ein.
Fortsetzung folgt…………..
Vielen, vielen Dank für eure lieben Reviews und auch euer geduldiges Warten! Es hat diesmal ganz schön lange gedauert, doch die nächsten Kapitel werden nun sicher nicht mehr so lange auf sich warten lassen. Aus Zeitmangel verzichte ich heute auf die Review-Antworten und lade lieber das neue Kapitel gleich hoch! Zum nächsten Kapitel kommen sie dann aber wieder!
Liebe Grüße und einen schönen Sonntag!
Euer Sternchen
