AN: Dieser Teil ist für dich, liebe Redi, ich hoffe er gefällt dir so! gggg

62.

Sirius und Remus hatten sich inzwischen ein beachtliches Stück entfernt und erreichten nun das kleinen Dickicht, welches den Wald einsäumte. Clark Silver stand jedoch nach wie vor am selben Fleck und schien auf seltsame Art und Weise unfähig sich zu bewegen. Mit starrem Gesicht und zusammen gekniffenen Augen fixierte er einen vor ihm liegenden Punkt, bis unerwartet Bewegung in sein Mienenspiel kam. Im Bruchteil einer Sekunde verschwand die bisher gezeigte Ausdruckslosigkeit und sein Gesicht spiegelte etwas, das Harry nicht deuten konnte; es schien eine diffuse Mischung aus Erkennen, Erleichterung, Angst und gleichzeitiger Hilflosigkeit zu sein.

„Er weiß es", sagte Harry stirnrunzelnd und wandte sich unwillkürlich zu Andrea um, die in diesem Augenblick die Veranda erreicht hatte und den Fuß auf die erste Treppenstufe setzte.

Harry wusste, dass Andrea zu weit entfernt war um seine leisen, mehr zu sich selbst gesprochenen Worte zu hören, umso mehr verwirrte es ihn nun, als auch sie plötzlich in der Bewegung innehielt und sich im Zeitlupentempo umdrehte.

Einige Sekunden stand sie völlig bewegungslos da und starrte Silver entsetzt an, bis sie plötzlich, ohne ersichtlichen Grund, ins Schwanken geriet und sich am Handlauf des Geländers festhielt. Auch wenn Harry nicht erkennen konnte was es wirklich war, so wusste er doch intuitiv, irgendetwas, auf einer für ihn nicht greifbaren Ebene, passierte hier. Silver streckte die Hand aus, als wollte er nach einem unsichtbaren Gegenstand fassen und trat einen zaghaften Schritt nach vorn, während sich Andrea zeitgleich an die Stirn griff und mit der anderen Hand krampfhaft am Geländer der Verandatreppe Halt suchte.

Einige endlos erscheinende Minuten geschah nichts; Silver stand, genau wie Andrea, einfach nur da und beide schienen, obwohl dies eigentlich unmöglich sein sollte, einander anzusehen, bis um Silvers Lippen plötzlich ein leises Lächeln zuckte. Langsam, aber mit einem sichtbaren Aufatmen, ließ er den Arm sinken, ehe er sich mit einem für Harry undefinierbaren Ausdruck im Gesicht umwandte. Einen kurzen Moment machte es auf Harry den Eindruck, als wollte Silver Sirius und Remus etwas zurufen, doch einen Augenblick später schüttelte Silver den Kopf, als hätte er es sich kurzfristig anders überlegt und drehte sich zurück, so dass Harry nun wieder sein Gesicht sehen konnte. Mit der Mimik eines Mannes, der sich nicht sicher war, ob er seinen Entschluss in die Tat umsetzen sollte, wanderte Silvers Blick nach oben, als würden seine Augen eine für Harry unsichtbare Wand absuchen. Mit einem kurzen Blick zurück verschwand jedoch der Ausdruck von Unentschlossenheit und seine Fingerspitzen strichen durch die Luft, wie bei jemand der versucht, einen Vorhang zu fassen um diesen zur Seite ziehen zu können, bis er erneut den Arm sinken ließ, die Augen schloss und den Kopf senkte.

Auch Andrea hatte sich inzwischen aus ihrer Erstarrung gelöst. Die Augen immer noch furchtsam auf Silver gerichtet, ging sie langsam rückwärts. Stufe um Stufe tastete sie sich nach oben, bis sie den obersten Absatz erreicht hatte und sich mit stockendem Atmen auf die oberste Stufe setzte. Harrys Blick wanderte, als würde er ein Tennismatch beobachten, von einem zum anderen, bis er beschloss, seine Beobachtungsrolle aufzugeben und auf Andrea zuging.

„Er weiß es, nicht wahr?", sagte er, blieb zögernd vor der untersten Treppenstufe stehen und blickte nach oben.

Andrea atmete tief ein, bevor sie Harry mit einem leichten Nicken antwortete.

„Ich vermute mal, du hast den Bannkreis unterbrochen, als du mit den Schuhen versehentlich den Kreidestrich verwischt hast", seufzte Harry und deutete auf ihre Turnschuhe.

Langsam, als würde dies ihr eine ungeheure Überwindung kosten, blickte Andrea auf ihre Schuhe hinab, an denen noch immer deutlich die Reste der Kreide sichtbar waren und für einen winzigen Augenblick wollte etwas wie Triumph in Harrys Brust aufflammen, doch schon einen Moment später war dieses Gefühl bereits verschwunden. So sehr Harry auch der Überzeugung war, Andrea sollte ihren Freunden ein Lebenszeichen geben, so klar führte ihn auch Andreas Reaktion vor Augen, dass es anscheinend nichts gab, was sie so sehr fürchtete, wie die Konfrontation mit genau diesen den Menschen.

„Ich weiß, dass das eigentlich nicht sein kann, aber ich konnte seine Stimme in meinem Kopf hören", erklärte Andrea nach einer Weile mit zittriger Stimme und lehnte sich, ohne jedoch Silver aus den Augen zu lassen, müde gegen den hölzernen Pfosten der Veranda. „Wie kann das sein?"

Harry hatte sehr wohl eine Vermutung, welche Fähigkeit Silver hier eingesetzt hatte; gleichzeitig bezweifelte er aber, Andrea diese auch nur annähernd verständlich erklären zu konnten. Nicht sicher, ob Andrea wirklich eine Antwort von ihm erwartete, blickte Harry zurück zu Silver, der noch immer regungslos an derselben Stelle stand.

Als würde er sich in Trance befinden", durchfuhr es Harry, während er seinen Lehrer aufmerksam beobachtete. Auch wenn er nicht die leiseste Vorstellung von dem hatte, was Silver hier zu tun beabsichtigte, so ahnte Harry dennoch, dass diese Regungslosigkeit nicht mehr lange anhalten würde.

„Warum steht er einfach nur so da… warum geht er nicht weg?", flüsterte Andrea in die Stille hinein und zog fröstelnd die Schultern hoch.

„Ich denke, er hat irgendetwas vor", antwortete Harry ebenso leise, was Andrea zu einem leisen, unwilligen Schnauben veranlasste.

„Er kann dieses Haus nicht sehen."

„Aber er kann dich fühlen", sagte Harry und fügte, als Andrea ungläubig die Augenbrauen nach oben zog, mit einem leichten Seufzen hinzu: „Frag mich nicht wie er das macht, doch er kann es."

Wie zur Bestätigung von Harrys Worten kam plötzlich Bewegung in Silvers Gestalt. Die Augen noch immer geschlossen, streckte er wie ein Blinder tastend die Hände nach vorn und stolperte mehr, als dass er ging, langsam aber beständig vorwärts.

Harry hielt unwillkürlich die Luft an, als Silver die Grundstücksgrenze erreichte und nun mit jenem Punkt in Berührung kam, welcher nach Harrys Vermutung die magische Grenze zwischen Innen und Außen darstellte.

„Das ist unmöglich!", stieß Andrea fassungslos aus und stand im nächsten Augenblick direkt neben ihm, doch Harry achtete nicht auf sie.

Gebannt beobachtete er, wie Silvers Hände plötzlich in goldenes, zuvor nicht da gewesenes Licht tauchten und sich seine Finger darin krümmten. Mit Silvers Vorwärtsbewegung breitete sich das Licht über seine Arme aus, bis es schließlich seine Brust berührte und von diesem Punkt aus in Sekundenschnelle seinen gesamten Körper erfasste. So schnell wie dieses Licht entstanden war, so verwandelte es sich auch in kleine, hektisch züngelnde Flammen, die rasch größer wurden und wenig später Silver völlig eingeschlossen hatten. Mit zusammengekniffenen Augen konnte Harry beobachten, wie Silvers Mund sich zu einem lautlosen Schrei öffnete, ehe das Feuer die Konturen des Mannes vollständig verwischte, bis nur noch die sich vor Schmerzen windenden Bewegungen seines Körpers sichtbar waren und einen beängstigend langen Augenblick glaubte Harry, sein Lehrer würde in diesem magischen Feuer verbrennen.

„NEIN!", hallte Andreas Schrei über den Garten hinweg und riss Harry damit unvermittelt aus seiner Erstarrung.

„Andrea, tu etwas!", schrie Harry auf, doch Andrea zuckte nur hilflos die Schultern.

„Ich kann nichts tun, ich hab da keinen Einfluss drauf! Ich weiß nicht einmal, was hier geschieht!", erklärte sie aufgebracht und biss sich hart auf die Lippen. „Wir können nur abwarten und hoffen, dass…"

Andrea brach ab, da es Silver in diesem Moment gelungen war, sich aus den Flammen zu befreien und er nun hustend nach vorn torkelte. Er hatte es geschafft; er hatte den Schutzzauber überwunden.

„Das kann nicht sein, das ist unmöglich! Niemand kann diesen Schutzzauber überwinden!", hauchte Andrea fassungslos, während Silver sich verwirrt umblickte.

„Nun er hat es tatsächlich geschafft", sagte Harry und konnte nicht verhindern, dass dabei ein erleichtertes Grinsen über seinem Gesicht huschte. „Das ist…"

„Großartig, wirklich großartig!", fauchte sie Harry an und riss die Arme in die Luft. Im Bruchteil von Sekunden veränderte sich ihre gesamte Haltung, die Fassungslosigkeit war verflogen und plötzlich kam der rebellischer, kämpferischer Teil von Andrea zum Vorschein, den Harry für immer verloren glaubte.

Dieser Wechsel kam für Harry derart plötzlich und unerwartet, dass er sie mit offenem Mund anstarrte und noch ehe er seine eigene Verwirrung überwinden konnte, stürmte sie bereits mit weit ausholenden Schritten auf Silver zu.

„Was glaubst du eigentlich was du hier tust!", schrie sie Silver erbost an und blieb einige Meter vor ihm stehen. „War das gestern nicht genug? Bist du dir eigentlich im Klaren, dass du dabei hättest draufgehen können? Diese Schutzzauber hätten dich um ein Haar getötet….und verdammt noch mal hör auf so dämlich zu grinsen!"

Silver grinste wirklich, während sein Blick über den Garten streifte, kurz an Harry haften blieb und dann wieder zu Andrea zurückkehrte.

„Ich freue mich auch dich zu sehen", sagte er leise, während er langsam auf Andrea zuging und sie mit strahlenden Augen ansah.

„Ich freu mich aber in keinster Weise dich zu sehen!", blaffte sie zornig zurück und verschränkte die Arme über der Brust. „Du hast hier nichts zu suchen!"

Silver war ihr inzwischen so nahe gekommen, dass er sie mit der ausgestreckten Hand erreichen konnte. „Nein, ich habe hier nichts zu suchen", sagte er leise und hob die Hand, doch er berührte sie nicht. „denn das was ich suchte, hab ich bereits gefunden."

Genauso schnell, wie wenige Augenblicke zuvor diese alte kämpferische Art wieder zum Vorschein kam, verschwand diese und Andrea hob resignierend die Arme. „Warum, Clark? Warum bist du gekommen? Warum konntest du es nicht einfach so hinnehmen?", seufzte sie verzweifelt und wandte den Kopf ab, als könne sie seinen Anblick nicht länger ertragen und plötzlich war auch aller Zorn verraucht.

„Du kennst die Antwort", entgegnete er ernst, trat einen Schritt näher und hob sanft ihr Kinn an, damit sie ihn ansehen musste. „Ich hätte diese Ungewissheit, ob ich mir deine Anwesenheit nur eingebildet habe, auf Dauer nicht ertragen können."

„Ich hatte Angst du würdest in diesem Feuer sterben", sagte sie anklagend und plötzlich schwammen Tränen in ihren Augen.

Silver nickte ernst, doch er antwortete ihr nicht darauf.

„Seit das Casa de anhelo gebaut wurde, konnte noch nie jemand seine Schutzzauber überwinden, wie hast du das geschafft?", fragte sie nach einer kurzen Pause zögernd.

„Ich sagte dir schon einmal, jeder, auch der mächtigste Zauber ist zu überwinden", entgegnete Silver mit rauer Stimme und legte seine Hand auf Andreas Wange, während sein Daumen zärtliche eine Träne, die in diesen Augenblick herab fiel, wegwischte.

„Aber wie? Ich meine, es ist zuvor noch nie passiert und ich habe an den Schutzzaubern nichts verändert, du hättest das Haus nicht sehen dürfen", sagte Andrea verzweifelt, während nun unaufhaltsam Tränen ihre Wangen hinab liefen.

„Ich habe das Haus auch nicht gesehen", sagte er zögernd und schüttelte den Kopf.

„Nicht?", sagte sie und blickte verwirrt zu ihm auf.

„Nein, ich habe mich einfach von meinem Gefühl…von meinem Gefühl zu dir leiten lassen", sagte er mit einem unsicheren Lächeln.

„Das kann nicht sein! Wie kann ein einfaches Gefühl…", Andrea brach ab und schüttelte nachdrücklich den Kopf, ehe sie verlegen zu Boden sah.

„Nun einfach ist es mit diesem Gefühl nicht", seufzte Silver schwer, während sich auf seiner Stirn eine steile Falte bildete.

„Nein, ist es nicht", bestätigte Andrea, wandte sich um und ging mit unsicheren Schritten zurück zur Treppe, wo sie erneut ihren Platz auf der obersten Stufe einnahm.

Silver blickte ihr mit einem traurigen Lächeln nach, ehe er sich nachdenklich an Harry wandte, der sich bisher bewusst im Hintergrund gehalten hatte. „Wie kommt es, dass du hier bist?"

Harry hatte diese Frage erwartet und zuckte dennoch bei Silvers Worten zusammen. „Nun, ich...na ja, wir haben uns heute Morgen noch mal das Gemälde angesehen und dabei kam mir der Verdacht, dass es möglicherweise nur ein Illusion war und da…", Harry schluckte, doch Silver hatte bereits verstanden.

„Und so bist du auf die Idee gekommen, mit Hilfe des Flohnetzwerkes Hogwarts zu verlassen, um hier nachzusehen." Silver stieß hörbar die Luft aus und fügte, als Harry ihn überrascht ansah, augenrollend hinzu: „Du hast noch immer Ruß an der Stirn kleben."

„Oh", entfuhr es Harry, ehe er sich verlegen mit dem Ärmel seiner Robe über die Stirn rieb.

Harry befürchtete, Silver würde nun Fragen stellen, wie zum Beispiel, wessen Kamin er dafür benutzt hatte oder wer ihn bei den Schutzzaubern geholfen hatte, doch diese mehr als unangenehmen Fragen blieben aus.

Silver blickte ihn lediglich einige Sekunden stirnrunzelnd an, ehe er leicht den Kopf schüttelte und sich ohne einen weiteren Kommentar erneut Andrea zuwandte. „Seit dem Abend, an dem du Hogwarts verlassen hast, wusste ich, dass du etwas plantest, doch ich muss gestehen, mit einer Illusion dieser Größenordnung hab ich nicht gerechnet. Die von dir vorgetäuschte Zerstörung wirkt erschreckend echt und hätte ich nicht dort draußen deine Aura gespürt, wäre ich vermutlich niemals auf die Idee gekommen, dass dies alles nur eine …Illusion sein könnte", sagte er langsam, während er den Kopf schief legte und sie beobachtete. „Ich vermute aber, dies war nur der erste Teil des Plans, nicht wahr?"

Andrea nickte ohne ihn anzusehen.

„Was hast du weiter vor, Andrea?"

„Ich weiß es nicht", antwortete sie mit zitternder Stimme. „Dort oben in meinem Zimmer steht ein gepackter Koffer und ich hatte eigentlich vor, hier weg zu gehen. Irgendwohin zu gehen, wo mich niemand kennt, doch jetzt wo der Schutzzauber gebrochen ist…"

„Ich habe diesen Schutzzauber überwunden, nicht gebrochen", erklärte Silver nachdrücklich und stieg die Treppen nach oben, um sich neben sie auf die Stufen zu setzen. „Der Schutzzauber ist noch immer aktiv, ansonsten wären schon längst Remus und Sirius hier, um dir eine gehörige Standpauke zu halten", fügte er mit einem leisen Lächeln und einem raschen Blick auf die beiden Männer jenseits des Schutzzaubers hinzu.

Andrea erwiderte sein Lächeln nicht und sie blickte auch nicht zu Sirius oder Remus hinüber. Die Lippen fest aufeinander gepresst starrte sie auf ihre Füße, mit denen sie nervös auf und ab wippte. „So einfach ist es trotzdem nicht", gestand sie nach einer Weile leise und fuhr sich bekümmert mit den Händen über das Gesicht, ehe sie in kraftlosen Ton hinzufügte: „Ich weiß nicht wohin ich gehen soll."

„Wohin möchtest du gehen?", entgegnete Silver ebenso leise, dennoch bemerkte Harry, dass seine Stimme plötzlich zitterte.

„Keine Ahnung! Ich möchte hier weg. So weit wie nur irgend möglich weg; doch gleichzeitig denke ich, dass dieses Haus der einzige Ort ist, an dem ich wirklich ich sein kann", erklärte sie zaghaft und stand schwer atmend auf. „Ich gehörte noch nie richtig in die Muggelwelt, doch in die Zaubererwelt gehöre ich genauso wenig. Ich bin ein seltsamer Mix aus Muggel und Hexe, für den es irgendwie keinen richtigen Platz gibt. Ich habe die Entscheidung, wohin ich gehen werde, die letzten Monate vor mir her geschoben. Ich dachte, wenn es so weit ist, wüsste ich es, doch seit ich heute morgen den Koffer geschlossen habe, sitze ich hier auf der Treppe und grüble darüber nach, ob es je wieder einen Ort geben wird, den ich ein Zuhause nennen kann. Ich fühle mich wie ein Ast, den jemand in der Nacht vom Baum abgerissen und in einen Fluss geworfen hat. Haltlos, ziellos und ohne die geringste Chance, zurückkehren zu können."

Silver schwieg, bis er ebenfalls aufstand und mit einem traurigen Lächeln nach ihrer Hand griff. „In der Muggelwelt gibt es ein Sprichwort, das sagt, Zuhause ist dort, wo man sein Herz hat… und ich bin fest davon überzeugt, die Zukunft wird dir diesen Platz zeigen."

Andrea seufze mit einem wenig überzeugendem Lächeln und erwiderte den Druck seiner Hand. „Ich habe Angst vor dieser Zukunft."

„Ich auch", gestand Silver leise und küsste vorsichtig ihre Finger. „Ich habe Angst, dass, wenn du hier weggehst, ich dich nie wieder sehen werde."

Andrea blickte ihn einen Moment überrascht an, ehe sie mit einem leisen, aber echten Lächeln den Kopf schüttelte.

„Diese Angst ist unnötig", versprach sie und legte, als er zum Widerspruch ansetzte, sanft ihre Finger auf seinen Mund.

Silver sah sie einige Sekunden unsicher an, bis sich ein erleichtertes Lächeln auf seinem Gesicht breit machte, er die Arme um Andrea schlang und sie eng an sich zog. Andrea erwiderte diese Umarmung nicht weniger zärtlich und während Harry darum bemüht war, unauffällig Abstand zu den beiden zu bekommen, konnte er mit einem merkwürdigen Gefühl der Zufriedenheit beobachten, wie Andrea ihren Kopf an Silvers Brust schmiegte und die Augen schloss. Einige Minuten, in denen Silver sanft über Andreas Rücken strich und hin und wieder ihre Stirn küsste, schienen die beiden Harrys Anwesenheit völlig vergessen zu haben.

„Ein merkwürdiges Ding, diese Liebe", ertönte plötzlich ein leises Kichern nahe an Harrys Ohr und er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass es der alte Hausgeist war, der sich ihm unbemerkt genähert hatte. „Da versucht unsereins einen jungen Burschen die Macht der Liebe zu erklären und vergisst dabei selbst diese Macht in seine Überlegungen einzubinden."

„Wie meinen Sie das?", flüsterte Harry und drehte sich verwirrt zu dem Geist um.

„Ich war es, der Andrea in den Glauben bestärkt hat, dass die Schutzzauber um unser Haus nicht überwunden werden können und an dieser Stelle sei auch gesagt, es ist bisher noch nie geschehen."

„Sie meinen…es war Silvers Liebe zu Andrea, die es ermöglicht hat diesen Schutzwall zu durchbrechen?", fragte Harry, auch wenn er die Antwort bereits zu wissen glaubte.

„Liebe die nicht fordert und nicht besitzen will, das ist das Geheimnis", flüsterte der Geist in verschwörerischen Ton. „Wie ich schon sagte, diese Macht vermag das Unmögliche möglich zu machen."

Harry nickte langsam und zum ersten Mal glaubte er wirklich verstanden zu haben. Silver, der sich in diesen Augenblick von Andrea löste, unterbrach Harrys Gedanken.

„Ich muss los", sagte Silver, drückte einen zärtlichen Kuss auf Andreas Stirn und blickte hinüber zu Sirius und Remus, die, wie Harry jetzt beobachten konnte, nahe der Stelle standen, an der Silver den Schutzzauber durchbrochen hatte und sich nun eine eifrige Diskussion lieferten. „Sie haben mein Verschwinden bemerkt und werden sich Sorgen machen."

Andrea nickte, während sie mit deutlichem Unbehagen Silvers Blick folgte. „Wirst du es ihnen sagen?", fragte sie zögernd.

„Nein, doch ich hoffe, dass du es tun wirst", erklärte Silver und strich ihr zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht. „Es ist wichtig…für dich wichtig, dass du mit Remus redest. Du kannst diese Schreckensbilder nicht überwinden, wenn du Remus aus dem Weg gehst."

Andreas Gesicht spiegelte nur zu deutlich die Angst, die Silvers Worte in ihrem Innersten auslösten, doch sie widersprach ihm nicht. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck griff sie nach Silvers Hand und hielt diese fest, als könne ihr allein diese Berührung Kraft geben.

„Diese Bilder sind so stark, so übermächtig, dass ich nicht weiß ob ich das kann", hauchte sie, während sie den Druck um Silvers Hand verstärkte.

„Du bist nicht allein", erklärte Silver fest und legte seine zweite Hand über die Andreas, die seine Finger fest umschlossen hielt.

„Dumbledore hat mir wiederholt angeboten, mein Gedächtnis so zu verändern, dass diese Bilder, die mir der Todesser in den Kopf eingepflanzt hat, verschwinden", sagte sie kraftlos und zum ersten Mal seit Silvers Auftauchen blickte sie auch Harry an. „Ich hab es immer wieder abgelehnt…weil…ich die Vorstellung nicht ertragen konnte, jemand könnte mir auch nur einen Tag Erinnerung rauben. Seit wir uns letztes Jahr kennen gelernt haben, ist so viel passiert und obwohl oder vielleicht auch deshalb, weil es so viel Schreckliches war, seid ihr mir näher gekommen…meinem Herzen viel näher gekommen, als irgendjemand in den letzten zehn Jahren zuvor." Andrea holte tief Luft, ehe sie mit einem verlegenen Lächeln weiter sprach. „Es mag verrückt klingen und…vielleicht haben mich auch die vergangen Erlebnisse verrückt werden lassen, aber ich möchte keinen einzigen Tag davon vermissen.

Ich hatte die letzten Monate sehr viel Zeit nachzudenken, über…Freundschaft, Liebe…" Sie zog Silvers Hand bei diesen Worten an ihre Brust, ehe sie stockend weiter erzählte. „…und nicht zuletzt über Aufrichtigkeit und die Lügen, die mir so lange aufgetischt wurden. Du hast vorhin zu mir gesagt", wandte Andrea sich nun direkt an Harry. „dass Francesco mich trotz all seinen Fehlern und verqueren Ansichten liebte. Nun, damit hast du sicher Recht und auch Richard Harvey tat das, auf seine Weise. So enttäuscht und zornig ich auch noch immer auf ihn bin, muss ich trotzdem zugeben, dass er mir niemals schaden wollte. Er tat das, was er für richtig oder für das kleinere Übel hielt und wer weiß, vielleicht hätten sich die Dinge völlig anders entwickelt, wenn er den Mut gehabt hätte, offen zu sein. Von seinem Standpunkt aus handelte er, genau wie Francesco, aus Freundschaft und dem Gefühl, für mich verantwortlich zu sein und auch das ist ein Punkt, der mir jetzt so zu schaffen macht. Ich habe Angst vor einer Freundschaft die mich einschränkt, die mich entmündigt, die mir das Recht abspricht so zu sein wie ich bin."

„Hast du unsere Freundschaft so empfunden?", fragt Silver und blickte sie betroffen an.

Andrea antwortete nicht sofort; mit nachdenklichem Blick starrte sie einige Sekunden ins Leere, ehe sie leise seufzte und Silver in die Augen sah. „Nein, hab ich nicht, doch ich habe Angst, dass…es irgendwann einmal so sein könnte. Menschen neigen dazu…gerade die Menschen, die sie am meisten lieben, in eine Richtung zu schieben, von der sie selbst überzeugt sind, dass diese die Richtige ist und vergessen dabei nur allzu leicht, dass es immer mehr als einen Weg gibt."

„Ich weiß was du meinst", sagte Harry mit belegter Stimme und ergriff damit erstmals das Wort. „Es geht mir nicht anders, doch genau darum ist es jetzt so wichtig, miteinander zu reden. Wir können nicht erwarten, dass jemand unseren Standpunkt anerkennt, wenn wir nicht den Mut haben diesen klar zu vertreten. Solange wir nur schweigen oder auf Rückzug gehen, laufen wir immer wieder Gefahr, dass unsere Freunde aus Unwissenheit etwas tun, was unsere eigenen Pläne durchkreuzt. Deine Aktion hier mit dem Spiegelzauber ist das beste Beispiel dafür; wie sollten deine Freunde wissen, dass du nicht in Gefahr bist, wenn du hier eine gigantische Show vom Untergang der Welt abziehst und sie in dem Glauben lässt…", Harry brach ab und fühlte sich plötzlich auf seltsame Art in sein eigenes Gespräch mit Sirius zurückversetzt. „Andrea, glaub mir, es lohnt sich zu reden", fügte er leiser hinzu. „Klar ist das nicht immer einfach, aber wenn es etwas gibt, was uns wirklich Kraft gibt, dann ist es die Gewissheit, dass es Menschen gibt, die einem zur Seite stehen."

„Das setzt voraus, dass man genug Mut aufbringt, zu vertrauen", entgegnete Andrea schwer atmend und ließ Silvers Hand, die sie bisher noch immer festgehalten hatte, los und wandte sich ab.

„Ich liebe dich, Andrea und glaub mir bitte, das Letzte was ich möchte ist, dich einzuschränken oder dir das Recht auf eigene Entscheidungen absprechen", erklärte Silver während er seine Hände auf ihre Schultern legte und sie sanft zurück drehte. „Dennoch bin ich auch nur ein Mensch, der bei allen guten Vorsätzen Fehler macht; der manchmal über das Ziel hinaus schießt und genau wie alle anderen mit den Schatten seiner Vergangenheit leben muss. Ich bin nicht perfekt, auch wenn ich es gerne wäre und…"

Andrea sah ihm tief in die Augen, als wollte sie auf diese Weise bis in das Innerste seiner Seele blicken. Bei seinen letzten Worten jedoch zuckte ein Lächeln um ihre Lippen und schneller als Harry und wohl auch Silver gerechtet hatte, stellte sie sich plötzlich auf die Zehenspitzen und verschloss Silvers Mund mit einem Kuss.

Dieser Kuss dauerte nur einen Moment und als sich Andrea löste, schien sie von sich selbst nicht weniger überrascht als Harry.

„Das weiß ich", sagte sie und wollte sich mit einem verlegenen Seitenblick auf Harry weiter zurückziehen, doch Silver hielt sie fest.

„Ich kann dir nicht versprechen, dass in Zukunft alles gut werden wird, doch wenn du denkst, dass es für mich da Platz gibt, wäre ich gern ein Teil deiner Zukunft."

Andrea nickte und auch wenn Harry ihr Gesicht nicht sehen konnte, so wusste er doch, dass sie rot wurde. Mit dem unangenehmen Gefühl hier fehl am Platz zu sein und der Befürchtung, die beiden könnten sich womöglich erneut küssen, räusperte sich Harry zaghaft.

„Ähm…ich sollte jetzt nach Hogwarts zurückkehren, ehe man mich vermisst und eine Suchaktion einleitet", sagte er verlegen und ging zielstrebig an ihnen vorbei die Treppe nach oben, um über die Küche in das Haus zu gelangen.

„Harry, warte!", hielt ihn Silver zurück. „Ich werde mit dir nach Hogsmeade apparieren; das Flohnetzwerk zu benutzen ist zu gefährlich, Dumbledore hat nicht grundlos alle Kamine in Hogwarts mit Schutzzaubern belegen lassen."

Harry nickte, doch Andrea schüttelte den Kopf. „Das wird nicht nötig sein, es gibt noch eine andere Möglichkeit."

Mit diesen Worten eilte sie ins Haus und als ihr Harry und Silver folgten, konnten sie sehen, wie Andrea im Wohnzimmer einen kleinen, rechteckigen Taschenspiegel aus ihrer obersten Schreibtischschublade zog. „Dies ist auch ein Reisespiegel", erklärte sie mit einem leichten Grinsen und drückte ihn Harry in die Hand. „Caspar hat ihn mir nach Hogwarts gebracht und obwohl er so klein ist, funktioniert er wie jeder andere Reisespiegel. Du brauchst dafür nicht einmal einen Zauberstab. Um ihn zu vergrößern, musst du lediglich mit den Fingern an seinem Rahmen entlang fahren und dabei Reducio sagen."

„Womit sich die Frage klärt wie es dir gelungen ist, unbemerkt das Gelände von Hogwarts zu verlassen", nickte Silver mit einem verstehenden Lächeln.

„Na ja, ich war mir nicht so sicher, ob ihr mich wirklich gehen lassen würdet", gab Andrea zu und wandte sich wieder an Harry. „Wenn du bereit bist, dann überlege dir einen Platz, an dem du gefahrlos in Erscheinung treten kannst. Stell dir diesen Ort genau vor und berühre mit diesem Bild im Kopf den Rahmen. Wenn du in Hogwarts angekommen bist, wird dieser Spiegel auf seine ursprüngliche Größe zurück schrumpfen."

„Danke", nickte Harry erleichtert und strich mit den Fingerspitzen den geschliffenen Rahmen des Spiegels entlang. „Reducio." Sofort zog sich der Spiegel in die Länge und Breite, bis er Harrys Körpergröße erreicht hatte, dennoch zögerte Harry ihn zu benutzen. „Ich würde gerne hierher zurückkommen, wenn ich darf", sagte er unsicher und blickte dem alten Hausgeist nach, der in diesem Augenblick das Wohnzimmer durchquerte und in der Wand zum Esszimmer verschwand.

„Es ist auch dein Haus, Harry", sagte Andrea und anders als zu Beginn seines Besuches schien sie keine Einwände mehr zu haben.

„Ich danke dir!"

„Ich bitte dich nur, nicht mitten in der Nacht in meinem Schlafzimmer in Erscheinung zu treten", sagte sie mit einem plötzlichen Anflug von Heiterkeit. „Meine Nerven wurden in letzter Zeit so sehr strapaziert, dass du Gefahr laufen würdest, von mir verhext zu werden."

Silver zog bei ihren Worten die Augenbrauen nach oben, was Andrea zu einem noch breiteren Grinsen veranlasste. „Ich habe geübt und inzwischen gelingen mir einige Zauber ganz gut."

Harry nickte verstehend und mit einem letzten Blick auf Silver, der in diesem Augenblick seinen Arm um Andrea legte, und der Vorstellung, in einem von Filchs Besenschränken zu sitzen, berührte Harry den Rahmen des Reisespiegels.

Fortsetzung folgt….

AN: So, das war es erstmal für heute, ich hoffe euch hat dieser Teil auch gefallen.

Thema Review-Antworten.Wie ich soeben erfahren habe, ist es bei nicht mehr erlaubt Antworten auf die eingegangenen Reviews an die Story anzuhängen. Tja, schade, aber leider werden wir das so hinnehmen müssen. Wenn ich euere Kommentare so lese, dann denke ich, dass dieses Kapitel schon sehr eindeutig die Richtung zeigt, in die sich die Story hinbewegen wird.

Liebe Grüße von eurem Sternchen