Es
war ein stürmischer Abend.
Ein kalter Abend.
Mit Schnee
und Eis.
Aber ein festlicher Abend.
Und wie jeden Abend zuvor
saß er in seinem Zimmer an seinem Schreibtisch und schrieb. Das
beschriebene Papier stapelte sich zu seiner Linken.
Ein Haufen
weißes Papier zu seiner Rechten.
Leise ratterte die
Schreibmaschine.
Wieder ein Blatt mit schwarzen Lettern benetzt
zusammengesetzt zu Worten aus seinen Gedanken.
Gedanken, die sich
seit Jahren dort befunden hatten wo sie nun waren. Einige waren noch
nicht ausgefeilt. Andere waren bereits glasklar.
Doch heute war
ein besonderer Abend.
Weihnachtsglocken schallten durch die
Fensterscheibe von der Straße her.
Schnee fiel auf das
breite Fensterbrett.
Das Licht einer Kerze und das Feuer in einem
kleinen Kamin erhellten den Raum.
Es war gespenstisch still.
Der
Wind rauschte.
Das Rattern der Schreibmaschine verstummte.
Er
stand auf und ging zum Fenster. Sein Atem färbte die Scheibe
weiß, als er hinaus auf die Menschenleere Straße
sah.
Heiligabend war wirklich ein schöner Tag.
Jetzt,
abends, wenn alle Kinder mit ihren Eltern Geschenke auspackten,
Lieder sangen und Kekse aßen, wurde er von keiner Stimme
begrüßt. Niemand wünschte ihm ein frohes
Fest.
Niemand brachte ihm Geschenke, niemand klopfte und keine
Kinderstimme sang ihm ein Lied.
Verwandte hatte er genug.
So
war das nicht.
Aber keiner von ihnen hatte Zeit ihn zu besuchen,
auch nur vorbei zu schauen. Alle waren in Hektik.
Zeit ist Geld,
sagten sie immer.
Er hasste es.
Er hatte zwar Arbeit.
Aber
nie war er in Hektik.
Noch intensiver als sonst wünschte
er sich heute in eine andere Welt. Eine Welt voller Magie. Voller
Staunen und Feuerwerk.
Voller Freude und Tanz.
Und voll
mystischer Wesen, welche schon lange seine Freunde waren.
Er
drehte sich um und nahm in dem großen Sessel Platz.
Das
Feuer prasselte neben seinem rechten Ohr.
Die Tür stand
offen.
In der Diele war es dunkel.
Aber hier war es
gemütlich.
Das dachte er jetzt.
Fast wie in einer
Hobbithöhle. Voll dunkler Winkel und warmen Kaminen. Geschichten
und Liebe.
Mit dem Duft von Gewürzen und altem Wein.
Gewürze
und Wein fehlten bei ihm. Aber das machte ihm nichts aus. Schließlich
war er ja kein Hobbit.
Ob ein Hobbit mit einer Schreibmaschine
hätte umgehen können?
Wohl eher nicht.
Und selbst,
wenn sie es wollten, wären sie viel zu bequem und zu faul
gewesen um es zu lernen.
Ein solcher Hobbit war der alte Bilbo
Beutlin.
Entsprungen aus einem Buch, dass sicher viele Kinder
erfreuen würde, wenn nur die Hälfte davon von seiner
Existenz wüsste.
Er selbst gehörte zu den Kindern die es
kannten.
Jedenfalls wünschte er, er wäre eines dieser
Kinder.
Doch er war schon lange kein Kind mehr.
Er zündete
eine weitere Kerze an und stellte sie vor sich auf den Couchtisch.
Daneben lagen Tannenzweige mit roten Bändern.
Ein Baum hätte
sich nicht gelohnt. Außerdem wäre er zu groß für
die kleine Wohnung gewesen. Selbst ein kleiner Baum hätte die
Sicht auf den schönen Kamin genommen.
Zwischen den Zweigen
steckten Zimtstangen.
Zwei Stück.
Eine dritte war unter
den Tisch gerollt.
Ja, das hätte Bilbo sicher gefallen.
Warm
und bequem.
Etwas zu essen, eine Pfeife und ein gutes Buch aus
fernen Welten.
Er liebte Bilbos Leben.
Bilbos Geschichte.
Wie
gern wäre er dabei gewesen, als der kleine Hobbit von ein paar
Zwergen und einem alten Zauberer von einem Abenteuer ins nächste
gestürzt wurde.
Zwerge und Zauberer.
Und Hobbits.
Ja,
das war es.
Er lehnte sich zurück und stellte sich
stellte sich vor, wie einer der berühmtesten Zwerge vor ihm
Platz nahm.
Stattlich und kämpferisch.
Mit langem Bart
und Rüstung.
Stark und königlich.
Ein Helm zierte
Gimli Gloins Sohns Kopf.
Neben dem Zwerg setzte sich ein Zauberer
auf das Sofa. Faltige Haut, ein großer Hut und den Stab gegen
den Tisch gelehnt. Der lange Bart hing zu seinen Knien herab und auf
seinem Schoß tummelte sich ein kecker Hobbit. Mit Augen wie
Kiesel groß und einem Scherz auf den Lippen.
Voller
Neugierde.
Der alte Zauberer erhob die Stimme.
"Mein alter
Freund, es ist schön dich wieder zu sehen." Er verneigte
sich ein wenig. Dann lachte er leise. Es war ein heiseres aber
fröhliches Lachen. Tief dringend, weit reichend.
Ein Gruß,
nur für ihn.
An diesem Heiligen Abend.
Er rückte
seine Brille zurecht und steckte sich seine Pfeife an. Genau wie es
der Zauberer in diesem Moment tat.
Er nickte
vorsichtig.
Unbewusst.
Doch sie schienen ihn zu
verstehen.
Frodo war es, welcher auf die Tür wies.
Ein
Schatten huschte hinein.
Ein Mensch.
Oh ja, so hatte er sich
Aragorn vorgestellt. Den Waldläufer. Den König.
Genau so
und nicht anders.
Still setzte er sich an die Seite des Zwerges.
Wie unterschiedlich sie doch waren.
Und doch so gleich.
Zwei
Krieger.
Zwei unzertrennliche Freunde.
Neben ihnen erschien
Boromir mit zwei frechen Hobbits, die sich neben den Tisch auf den
Boden legten. Ihre Augen hofften auf Geschichten. Auf Sagen und
Mythen. Und auf Geselligkeit.
Über ihnen blitzte die Krone
des Königs im Schein des Feuers.
Boromir beäugte sie
kurz.
Dann sah er wieder zu den Hobbits hinab.
Kein Laut war zu
hören.
Doch er vermisste jemanden, den er sehr ins Herz
geschlossen hatte. Er vermisste die Engel dieser Welt. Keine
Weihnachtsengel. Obwohl sie das vielleicht auch für ihn waren.
Es vermisste die Elben. Seine liebsten Wesen waren es ihm.
Und je
öfter er die Zeilen über sie weitere Male las, umso mehr
wusste er warum es so war.
Und die Elben kamen.
Galadriel,
Elrond, Legolas und Arwen.
Mir klaren Augen und blassen Wangen.
In ihren Händen die Weisheiten von hunderten von Jahren.
Ein
wunderbares Bild.
Er wischte sich eine Träne von der Wange,
sah in die Runde.
Da war auch Sam.
Am Fenster.
Derjenige,
der ihn am meisten beeindruckt hatte.
Viel Zeit hatte er diesem
Hobbit und seinem Freund Frodo gewidmet. Um den Ring zu
vernichten.
Viele Stunden hatten sie schon geteilt.
Und Sam
lächelte.
Er hatte gegrübelt und darauf gewartet, dass
sie ihm eine Antwort auf seine Fragen gaben.
Und sie mochten ihn.
Deswegen hatten sie immer geantwortet.
Heute, an diesem
Heiligabend war er nicht allein.
Alle seine Freunde waren bei
ihm.
Wie oft hatte er sie schon vor sich gesehen.
Im Krieg, im
Frieden.
Doch nie so klar wie heute, an diesem Weihnachtstag.
Sie
schwiegen.
Plötzlich klopfte es. Er zuckte zusammen, seine
Freunde verschwanden.
Versteckten sich vor fremden Blicken, vor
unwissenden Augen.
Er stand auf und ging zur Tür. Noch einmal
sah er in sein Zimmer zurück. Eine kleine Hobbithand lag am
Türrahmen.
Doch sie verschwand als er die Haustür
öffnete und der kalte Wind in die Diele wehte und ihn erzaudern
ließ.
Doch niemand stand ihm gegenüber.
Niemand
hatte ihn besucht.
Niemand wollte ihm ein frohes Fest
wünschen.
Keine Kinderstimme wollte ihm ein Lied singen.
Nur
ein Briefumschlag lag auf der obersten Treppenstufe.
Runen
kennzeichneten ihn mit seinem Namen.
Er hob ihn auf und öffnete
ihn.
Darin befand sich ein kleiner Zettel.
Wieder in Runen und
mit einer Feder geschrieben rief der Brief zum Nachdenken auf.
"Was
ist euer größter Weihnachtswunsch?"
Er dachte
nach.
Wer legte ihm einen solchen Zettel vor die Tür?
Denn
diesmal war es keine Hobbitträumerei, kein Elbenzauber.
Es
war ein Weihnachtsgruß.
Für ihn allein.
Eine leise
Stimme drang an sein Ohr und er ging in sein Zimmer zurück.
Frodo
saß vor dem Kamin und sang ein altes Lied. Den Ring in den
Fingern. Glänzend im Feuer.
Der Hobbit hielt ihm den Ring
entgegen.
"Wünsch dir was..." Dann verschwand die
kleine Gestalt.
Der Ring blieb zurück.
Er hob ihn
auf.
"Ich wünsche mir..." hauchte er leise von
einem Seufzer gefolgt. "... dass ihr nie vergessen werdet. Dass
viele Herzen sich an euch erinnern und euch genauso zum Freund haben
wie ich."
Dann warf er den Ring in die Flammen.
Er war
fort noch bevor er das Feuer erreichte.
Er setzte sich zurück
an seine Schriebmaschine.
Seine Gäste blickten über
seine Schulter und beobachteten ihn beim Schreiben. Wie Geister
tummelten sie sich in seinem Zimmer.
Und am Ende, als er den
letzten Satz vollendet hatte las er ihnen vor:
"So"
sagte er. "da bin ich wieder"
"Mami?"
"Ja?"
"Was ist das da für ein Buch auf
dem Schrank?"
Das kleine Mädchen interessierte sich
nicht für seine Geschenke. Es waren ohnehin sehr wenige. Mehr
konnten sie sich nicht leisten.
Es hatte mit seinen Eltern
gesungen, gegessen und gelacht.
Es hatte sich gefreut.
"Ach
das. Nimm es."
Die Mutter holte es vom Schrank und reichte es
ihrer Tochter.
Das Mädchen lief in ihr Zimmer, schloss die
Tür und entzündete eine Kerze, die es vor das verschneite
Fenster stellte.
Dann kletterte es in sein Bett und begann zu
lesen.
"In einem Loch im Boden lebte ein Hobbit..."
Ende
