Hier nun das nächste Kapitel, viel Spaß beim Lesen, und wenn ihr wollt, könnt ihr auch eine kleine Anmerkung für mich hinterlassen. Ob Kritik oder Lob, ich nehm alles ;) lg, N.Snape
drei
London, 21.September 1879Sie begannen die Arbeit früh am nächsten Morgen. Elizabeth hatte für Buffy und Richard ein reichhaltiges Frühstück organisiert, und das Dienstmädchen hatte für Spike bei einem nahegelegenen Metzger Schweineblut besorgt, das Spike fast dankbar trank. Er brauchte zwar nicht notwendigerweise täglich frisches Blut, aber es verstärkte seine Konzentrationsfähigkeit, und er fühlte sich einfach gesünder, nachdem er getrunken hatte. Seit er sich ausschließlich von Schweineblut ernähren musste, befürchtete er manchmal, durch die zusätzlichen Kalorien dick zu werden, aber bisher hatte er noch keinerlei Anzeichen dafür erkennen können.
Nach dem Frühstück hatte Richard sie mit zum Hauptquartier des Rates genommen. Bevor sie die heiligen Hallen betreten hatten, hatte er ihnen noch einmal eingebläut unter keinen Umständen mit jemandem zu sprechen, keine Fragen zu beantworten, und einfach so zu tun, als gehören sie dazu. Um Buffy machte er sich eigentlich keine Sorgen, war es für eine junge Frau ihres Alters nicht so außergewöhnlich die meiste Zeit über schweigend zu verbringen. Doch was Spike anging, hatte er leichte Bedenken, denn obwohl der Vampir sich durchaus tadellos benehmen konnte, war ihm doch eine gewisse Arroganz den Lebenden gegenüber anzumerken, die sehr leicht bei anderen Männern als Provokation angesehen werden konnte – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Spike ein Vampir war, und die meisten Wächter ohne auch nur mit der Wimper zu zucken einen Vampir von einem Lebenden unterscheiden konnten. Richard konnte nur hoffen, dass im Hauptquartier des Rates der Wächter niemand mit einem Vampir rechnen würde, und deshalb niemand so schnell hinter das Geheimnis kommen würde. Am liebsten hätte er die Nachforschungen nach Hause verlegt, aber dazu fehlten ihm in seiner Villa die nötigen Nachschlagewerke, und er hatte außerdem keine Ahnung, wie er seine Abwesenheit im Hauptquartier dem Rat hätte erklären sollen. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als Buffy und Spike mit hier her zu bringen.
Sie hatten die Arbeit aufgeteilt. Richard suchte in den Büchern nach Prophezeiungen, die sich entweder mit Vampiren, oder mit Jägerinnen befassten, um eventuell eine Antwort darauf zu bekommen, warum die beiden in der Vergangenheit festsaßen, während Buffy und Spike nach Ereignissen in der Geschichte suchten, in denen ebenfalls ein Portal, wie das, welches sie ins Jahr 1879 gebracht hatte, beschrieben wurde. Ihnen allen war vorher bewusst, wie unwahrscheinlich es war, schnell etwas in den Büchern zu finden, da sie eigentlich keinen Anhaltspunkt hatten, wo sie anfangen sollten zu suchen.
Die Stunden vergingen wie im Flug, ohne, dass einer von ihnen etwas brauchbares gefunden hatte. Richard stellte zwischendurch immer wieder Fragen, von denen einige schwierig zu beantworten waren. Buffy wusste nicht, wie viel sie von der Zukunft erzählen durfte, ohne erheblich in den Lauf der Geschichte einzugreifen. Die vielen Star Trek Folgen, die sie früher, als sie noch ein normaler Teenager gewesen war, gesehen hatte, kamen ihr jetzt ins Bewusstsein, und warnten sie davor Giles Urahn zuviel zu verraten. Besonders die Fragen nach den Kämpfen, die Buffy schon ausgetragen hatte, um die Welt vor dem Untergang zu bewahren, wollte die Jägerin nicht so ohne weiteres beantworten. Wer konnte schon wissen, was das Mitteilen dieses Wissens in der Zukunft anstellen konnte. Und über Glory wollte sie erst recht nicht sprechen, denn in ihrer Vorstellung genügte nur ein falsches Wort, und die Mönche würden Dawn niemals zu ihr schicken, und sie wäre schuld am Tod – oder vielmehr an der Nichtexistenz – ihrer Schwester, und dieses Risiko wollte sie nicht eingehen.
Der Nachmittag kam, ohne dass sie es auch nur bemerkt hätten. Richards Sekretärin brachte eine Kleinigkeit zu Essen für sie alle und verließ den Raum sogleich wieder, jedoch nicht, ohne einen neugierigen Blick auf Spike zu werfen. Dieser hatte den Blick durchaus bemerkt, lächelte der Sekretärin freundlich zu und suchte in seinem Hirn nach einem Anhaltspunkt, ob er dieser Frau vielleicht schon mal begegnet war. Es war furchtbar. Noch nie in seinem Leben – oder Untot – hatte er sich dermaßen unsicher gefühlt. Ständig fragte er sich, ob das, was er tat und sagte den Lauf seiner Existenz ändern könnte – von der Weltgeschichte mal ganz zu schweigen. Was passierte, wenn er jemandem über den Weg lief, den er kannte, und dieser berichtete dann seiner Mutter davon. Was, wenn sie erfuhr, dass er in der Gilesvilla wohnte? Er fragte sich zum hundertsten mal, warum er seinen echten Namen genannt hatte, denn schließlich erhöhte das die Gefahr enttarnt zu werden um ein Vielfaches. Und wie leicht ihm der Name über die Lippen gekommen war! Es hatte ihn selbst erstaunt, wie vertraut er sich noch anfühlte, immerhin hatte er ihn seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr ausgesprochen.
„Spike, ich weiß, du magst Nachforschungen nicht – geht mir auch nicht anders – aber könntest du nicht wenigstens so tun, als würdest du lesen?" ertönte Buffys leicht frustriert klingende Stimme neben ihm. Bei dem Anblick, den sie bot, hatte er Mühe das Lachen zurückzuhalten. Sie sah fertig aus. Die Haare hingen ihr zerzaust um den Kopf, ihre Haut war fast blasser, als seine und sie wirkte, als könne sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Sie konnte stundenlang über einen Friedhof rennen und einen Bösewicht nach dem anderen zur Strecke bringen, ohne auch nur ins Schwitzen zu geraten, aber ein paar Stunden Nachforschungen brachten sie an den Rand ihrer Kräfte.
„Entschuldige, Liebes, ich war in Gedanken", antwortete er so anzüglich wie möglich mit Blick auf die Tür, durch die Giles Sekretärin vor wenigen Augenblicken verschwunden war. Zufrieden bemerkte er, dass Buffy seine Andeutung verstanden hatte und ihm ein abfälliges „Du bist ein Schwein, Spike" mit auf den Weg gab.
„Danke, Liebes, ich tu mein bestes." Seine Gesichtszüge formten sich zu einem breiten Grinsen. Wäre Buffy von den vielen Worten, die sich in den letzten zehn Stunden durch ihre Gehirnzellen gebohrt hatten, nicht völlig erschöpft gewesen, hätte sie ihm den Wälzer aus dem 16. Jahrhundert, der vor ihr auf dem Tisch lag, ohne zu Zögern an den Kopf geworfen.
„Ach, das ist doch sinnlos!" Buffy klappte das Buch lautstark zu und ließ sich ausgelaugt in ihrem Stuhl zurückfallen. „Ich lese jetzt schon seit Stunden in diesen dämlichen Büchern, und in keinem einzigen wird auch nur die Möglichkeit eines Zeitportals erwähnt."
„Miss Summers, durch Nörgeln kommen wir hier sicher auch nicht weiter", meldete sich Richard zu Wort, der Buffys Unmut insgeheim ziemlich amüsant fand. Sie war so völlig anders, als alle Jägerinnen, die er bisher kennengelernt hatte. Was er bis jetzt von ihr über ihr Dasein als Jägerin erfahren hatte, war zwar nicht viel, aber er konnte aus dem, was er ihr hatte entlocken können, doch erkennen, wie außergewöhnlich ihre Laufbahn bis jetzt war. Sie war ausgewählt worden, ohne wirklich auf ihre Berufung vorbereitet zu werden, und das hatte sie einzigartig werden lassen. Sie hatte ihren eigenen Kopf, der nicht immer auf das zu hören schien, was ihr Wächter ihr sagte – Richard fragte sich, wie ihr Wächter nur mit einem so starrsinnigen Mädchen zurechtkommen konnte. Keine Jägerin war wirklich einfach in ihrem Verhalten, doch wurden sie von Kindesbeinen an auf ihre Aufgaben vorbereitet und verstanden die Notwendigkeit von Disziplin und Ausdauer – nicht nur im körperlichen Kampf gegen Dämonen, sondern auch im theoretischen Teil ihrer Arbeit. Wenn er Buffy jetzt so betrachtete, konnte er sich nicht vorstellen, dass sie sich schon einmal so ausgiebig mit Nachforschungen befasst hatte. „Und bedenken Sie, je eher wir etwas herausfinden, desto eher können wir mit der Suche nach einem Weg für Sie beide nach Hause beginnen."
„Da hörst du's, Buff, also lies schön weiter in deinem Buch", stimmte Spike dem Wächter zu, der ihm dafür allerdings nur einen vernichtenden Blick zuwarf. Er verstand die Beziehung zwischen den beiden nicht, aber vielleicht lag es daran, dass sie aus einer anderen Zeit kamen. Die Neckereien, mit denen sie sich gegenseitig das Leben schwer zu machen schienen, verrieten eine Vertrautheit, die er noch nie bei zwei fremden Personen so offen hatte beobachten können. Sie waren aufeinander eingespielt, kannten den anderen in- und auswendig, wussten, wie sie einander reizen konnten, ohne aber wirklich zu weit zu gehen. Es war ein Spiel, das sie beide perfekt beherrschten.
„Natürlich gilt das auch für Sie, Mr. Ather..."
„Spike!"
„Wie bitte?" Richard sah den Vampir, der sich wieder völlig auf sein Nachschlagewerk zu konzentrieren schien, irritiert an.
„Mein Name ist Spike", erklärte er ohne aufzusehen. „Der Name Atherby gehört nicht zu mir."
Die Neugierde eines Wächters in Richard wäre beinahe mit ihm durchgegangen. Er wollte es wissen. Wie Spike an diesen Spitznamen gekommen war, seit wann er sich so nannte, wann er verwandelt worden war, wer ihn verwandelt hatte, was mit seiner Familie nach seiner Verwandlung geschehen war, doch etwas in Spikes Stimme hielt ihn davon ab. Es konnte kein Schmerz sein, denn ein Vampir schloss mit seinem menschlichen Dasein ab, sobald er aus seinem Grab gekrochen kam, aber dennoch... Etwas, ein Gefühl, verbarg sich hinter seinen harschen Worten. Er warf Buffy einen fragenden Blick zu, doch sie zuckte nur unmerklich mit den Schultern und versuchte sich wieder ihrem Buch zu widmen. Von Zeit zu Zeit wagte sie einen vorsichtigen Blick auf den Vampir, der offensichtlich kein einziges Wort von dem mitbekam, was er las.
Es war kurz nach sieben, als Buffy dachte bald den Verstand verlieren zu müssen. „Das war's, ich kann keine einzige Zeile mehr lesen, oder ich krieg nen Koller."
„Ich nehme an, Sie möchten mir auf Ihre zukünftige, amerikanische Art und Weise mitteilen, dass Sie müde sind." Es war eigentlich mehr eine Frage, als ein Feststellung, und Spike konnte wieder mal nur mit den Augen rollen. Warum waren die Menschen in dieser Zeit eigentlich so unsicher? Es war doch offensichtlich, wie erschöpft Buffy war. Man musste nun wirklich kein Experte des Amerikas des 21. Jahrhunderts sein, um das zu sehen. Der Wunsch, sich drei Stunden in eine heiße Wanne zu legen, nachdem sie das Kleid, das ihr am Körper zu kleben schien, verbrannt hatte, stand ihr so deutlich ins Gesicht geschrieben, als hätte jemand die Worte mit Tinte dort festgehalten. „Dann schlage ich vor, wir beenden unsere Nachforschungen für heute."
Richard konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte mal so früh nach Hause gegangen war, es war fast lächerlich. Normalerweise hatte er zwar auch viel Arbeit, aber nichts, was seine Aufmerksamkeit wirklich so dringend benötigte. Und jetzt? Jetzt hatte er hier einen echten Notfall, und sie verließen das Hauptquartier um halb acht, um nach Hause zu gehen. Er musste allerdings auch zugeben, wie geschafft Buffy aussah. Vermutlich hatte sie in der vergangenen Nacht auch nicht besonders gut und auf keinen Fall viel geschlafen, nicht zu vergessen, dass sie heute morgen sehr früh angefangen hatten, so dass es noch zu entschuldigen war.
Die Fahrt in der Kutsche wirkte belebend auf Buffy. Sie fand die ganze Sache unglaublich aufregend und versuchte sich jede Kleinigkeit des Weges einzuprägen, und als sie am Houses of Parliaments vorbeikamen, griff sie nach Spikes Arm, um dessen Aufmerksamkeit zu erlangen. „Sieh dir das mal an, ist das nicht einfach unglaublich!"
„Buffy, glaub's mir, oder nicht, aber ich hab das schon mal gesehen", meinte er und verdrehte die Augen, um genervt zu wirken. Die Wahrheit war, dass auch er eine gewisse Gerührtheit nicht leugnen konnte, wenn auch aus anderen Gründen. Er war lange nicht zu Hause gewesen, und die Stadt zu sehen, so wie sie zu seiner Jugendzeit gewesen war, weckte in ihm ein Gefühl der Verbundenheit, und es gefiel ihm mit anzusehen, wie sehr Buffy die Stadt gefiel.
„Ach, mit dir kann man einfach nicht reden. Wenn Dawn hier wäre, sie würde ausflippen und..." Sie wurde wieder still, und richtete ihren Blick wieder auf die vielen verschiedenen Bauten, an denen sie vorbeikamen. Der Gedanke an ihre kleine Schwester war plötzlich gekommen, und hatte ihr einen Stich versetzt. Sie vermisste Dawn und machte sich obendrein noch große Sorgen um sie und ihre Mutter. Sie waren allein, und sie wussten nicht, was Glory wirklich vorhatte. Buffy machte sich Vorwürfe so viel von ihrem Wissen über Glory für sich behalten zu haben. Es hätte Joyce zwar große Angst gemacht, aber immerhin wären sie jetzt vorbereitet die Situation eventuell allein durchstehen zu müssen. Natürlich waren da noch Giles und die Scoobies, die Buffys Familie niemals im Stich lassen würden, aber trotzdem war das nicht dasselbe, als wenn sie selbst da wäre, um sie zu beschützen.
„Keine Sorge, Buffy. Dein Wächter passt schon auf den Krümel auf." Sie warf Spike einen Blick zu und versuchte zu lächeln.
„Ich weiß." Sie versuchte noch einen letzten Blick auf Big Ben zu erhaschen, bevor die Kutsche um eine Ecke bog, und der Glockenturm außer Sicht war. „Es würde ihr hier supergut gefallen."
„Kein Problem, wenn wir wieder zu Hause sind, setzt du dich in den nächsten Flieger und verbringst ein paar schöne Tage mit ihr hier. Gut, es fahren in 120 Jahren nicht mehr ganz so viele Kutschen hier rum, aber trotzdem ist London noch immer eine schöne Stadt – zumindest war sie das in den 60er Jahren, als ich das letzte Mal hier war. Wer weiß, vielleicht kann euch sogar jemand Karten für ein ManU Spiel besor..." Spike wurde von einem heftigen Hustenanfall von Seiten Richards unterbrochen. Der Wächter starrte sie an, als kämen die beiden von einem anderen Stern – ein Ausdruck, den er ihrer Meinung nach viel zu oft hatte.
„Ein Flieger?" Seine Stimme war dünn und erinnerte Buffy schmerzhaft an Giles, wenn dieser von etwas hörte, was er nicht glauben konnte. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie er auf die Erklärung eines Flugzeugs reagieren würde, und eigentlich hatte sie auch keine Lust ihm das alles zu erklären. Er war noch relativ jung, er würde es wahrscheinlich sogar noch selbst miterleben, wie die Gebrüder Wright ihr erstes Flugzeug in die Lüfte brachten.
„Fragen Sie besser nicht, Mr. Giles."
„Aha." Giles war nicht gerade glücklich darüber immer wieder mit solchen Sätzen abgespeist zu werden, aber auf der anderen Seite konnte er auch verstehen, dass Spike und Buffy keine Lust hatten ihm jede Kleinigkeit zu erklären, die er nicht verstand, weil ihm einfach das nötige Wissen von 120 Jahren Entwicklung fehlte. Allerdings fing er auf diese Weise an, sich selbst einige Dinge zusammen zu reimen, die wahrscheinlich viel schlimmer – oder aufregender – waren, als die Wirklichkeit.
Die Kutsche hatte gerade erst vor der Villa gehalten, als auch schon die Tür aufsprang und Elizabeth rausgelaufen kam. „Was macht ihr denn schon hier?" fragte sie atemlos, als sei sie gerade einen Marathon gelaufen.
„Wir waren erschöpft und haben beschlossen heute früher Schluss zu machen", erklärte Richard, der die Aufregung seiner Frau nicht verstehen konnte.
„Mrs. Giles, wir sind es einfach nicht gewöhnt, so lange über Büchern zu hocken, und dazu kommt noch der Jetlag." Buffy grinste entschuldigend, doch Lizzy schien ihr überhaupt nicht zuzuhören. Stattdessen zog sie ihren Mann auf die Seite und vergewisserte sich, dass Spike und Buffy nicht zuhörten, während sie auf die Hausherren warteten, um endlich das Haus betreten zu können.
„Richard, wir haben Besuch." Sie sah ihren Mann eindringlich an, als wolle sie ihm eine stumme Botschaft schicken, die er jedoch nicht zu entschlüsseln verstand.
„Aber was ist da denn so schlimm dran, Liebling?" Richard verstand das Verhalten seiner Frau nicht, und wäre er nicht selbst so müde gewesen, wäre es ihm wahrscheinlich sogar unangenehm Buffy und Spike gegenüber gewesen.
„Rose hatte einige Freundinnen zum Tee eingeladen, und die Mädchen scheinen einfach zu keinem Ende kommen zu wollen." Mehr musste Lizzy nicht sagen, denn nun verstand auch Richard, worauf sie hinauswollte. Er warf einen relativ hilflosen Blick auf den Vampir, der neben der Jägerin stand und offensichtlich über etwas lachte, was sie gerade gesagt hatte – wieder etwas, was ihn stutzen ließ.
„Sie darf ihn auf keinen Fall sehen!"
„Das dachte ich mir auch, deswegen bin ich ja rausgekommen. Ich würde vorschlagen, es ihm einfach zu sagen. Dann kann er ihr aus dem Weg gehen, solang sie hier ist", meinte Lizzy, doch Richard war von der Idee nicht wirklich begeistert.
„Ich weiß nicht. Vorhin habe ich..." Er überlegte, ob er ihr von Spikes Überreaktion auf seinen Geburtsnamen erzählen sollte, entschied sich aber im letzten Moment dagegen, denn eigentlich wusste er nicht, wie sie die jetzige Situation anders regeln sollten. „.. ach, egal. Ich werde mit ihm reden."
„Ich gehe wieder rein, sonst wundern sich die Mädchen noch, wo ich geblieben bin." Sie drehte sich um und griff nach Buffys Hand, bevor sie wieder ins Haus ging. „Kommen Sie, Buffy. Wollen wir doch mal sehen, was die Köchin gutes für heute Abend vorbereitet hat."
„Spike, ich fürchte, wir haben ein kleines Problem", begann Richard, der sich des misstrauischen Blickes des Vampirs durchaus bewusst war.
„Nur raus damit, Richard." Seine Stimme klang überheblich, als er dem Wächter gegenüberstand. Es war, als wappne er sich innerlich gegen die Anklagen, die er jetzt von Richard erwartete. Weshalb sonst hätte Elizabeth Buffy schon mit reinnehmen sollen, wenn nicht, damit Richard mit Spike ein leichteres Spiel hatte.
„Ich ... nun, es sieht so aus, als könnten Sie sich heute nicht ganz so frei im Haus bewegen, wie Sie es vielleicht möchten. Ich muss sie bitten nun auf direktem Wege auf Ihr Zimmer zu gehen und dort zu bleiben, bis meine Frau oder ich Ihnen etwas anderes sagen." Er blickte Spike gerade in die Augen, ohne sich seine Nervosität anmerken zu lassen.
„Warum?" Spike war weniger erfolgreich, als Richard, seine Emotionen zu verbergen. Richard konnte sehen, wie Spike seine Kiefer fest aufeinander presste und ihn mit kalten, stahlblauen Augen betrachtete. Er war wütend, verletzt. Er hatte nichts verbrochen, und sah nicht ein, warum er wie ein Kind unter Hausarrest gestellt werden sollte.
„Nun..." Richard wusste nicht, was er sagen sollte. Sollte er es vor Spike verbergen und Gefahr laufen, dass er es selbst herausfand? Sollte er einfach lügen? Nein, das war nicht fair, und eigentlich auch gar nicht notwendig. Es würde die Dinge nur unnötig verkomplizieren. „Lynn ist hier."
Es gab Momente, in denen Spike wahrhaft froh war, nicht atmen zu müssen, denn wäre er tatsächlich auf Sauerstoff angewiesen gewesen, wäre er in diesem Moment wahrscheinlich ohnmächtig geworden. Tausend Dinge gleichzeitig schossen ihm durch den Kopf, als die Worte langsam in sein Bewusstsein vordrangen. In einem verzweifelten Versuch seine Gefühle, die er selbst noch nicht definiert hatte, nicht zu zeigen, brachte er ein gleichgültiges „Oh" zustande, rührte sich allerdings nicht von der Stelle. Stattdessen nahm er einen tiefen Atemzug und starrte auf die Eingangstür. „Dann bleibe ich wohl besser in meinem Zimmer", murmelte er, als Richard ihn zum Haus führte.
„Die Mädchen werden im kleinen Salon sein, direkt neben dem Esszimmer. Wenn Sie also direkt die Treppe hinaufgehen, sind Sie auf der sicheren Seite." Bevor sie das Haus betraten, vergewisserte Richard sich, dass sich niemand in der Eingangshalle befand, bevor er auch Spike erlaubte einzutreten. „Ich werde Buffy ... äh, Miss Summers meine ich natürlich, gleich etwas zu Trinken für Sie mitgeben."
„Danke", antwortete er geistesabwesend. Unter normalen Umständen hätte Spike über Richards Unbehagen, als er Buffy bei ihrem Vornamen genannt hatte, gelacht, doch im Moment könnte ihn das nicht weniger kümmern. Sobald er die Eingangshalle betreten hatte, konnte er ihren Duft wahrnehmen. Der gleiche Geruch, den er auch in ihrem Zimmer wahrgenommen hatte, nur viel lebendiger. Tausende Bilder und Szenarien erschienen vor seinem inneren Auge. Die vielen Jahre, die er glücklich mit Lynn und ihrer Mutter verbracht hatte, bevor er Drusilla traf. Seine geschärften Vampirsinne konnten fast nicht anders, und als er das leise Lachen aus dem Salon hörte, wäre er fast über seine eigenen Füße gestolpert, während er die Treppe hinaufging.
In seinem Zimmer angekommen, ließ er sich schwer gegen die Tür fallen und rutschte hinunter, bis er zusammengekauert auf dem Boden saß. Die Erinnerungen an die Zeiten mit seiner Schwester, und die Gewissheit, dass sie nur wenige Meter von ihm entfernt zusammen mit Freundinnen saß und lachte, war überwältigend. Auch wenn es ihm bewusst gewesen war, dass sie in dieser Zeit lebte, es ihr gut ging und noch nichts von den Schrecken der Welt wusste, so hatte er die Möglichkeit ihr zu begegnen, ihr wieder so nah sein zu können, nicht in Betracht gezogen. Wie hätte sie wohl reagiert, wenn sie ihn so gesehen hätte? Allein die Tatsache, dass er hier war, in diesem Haus, hätte sie aus der Fassung gebracht, aber wie hätte er ihr seine gebleichten Haare erklären sollen? Und die Tatsache, dass er am Morgen noch völlig anders ausgesehen hatte.
„Spike?" Buffys Stimme drang nur langsam in sein Bewusstsein vor, und als er aufsah, sah er sie mit fragendem Blick in den Augen, vor ihm stehen. „Was ist los?"
Der erste Gedanke, der ihm kam, war, dass es gut war, dass Buffy nicht mehr Lynns Kleid trug, denn es war nicht ausgeschlossen, dass seine Schwester es bemerkt hätte, wenn sie Buffy begegnete.
Als Spike auf ihre Frage nicht antwortete, und nur mit durchdringendem Blick das Kleid musterte, das Lizzy ihr vorhin gegeben hatte, fing sie an, sich Sorgen um den Vampir zu machen. Sie fragte sich, was Richard noch mit Spike zu besprechen hatte und warum Lizzy so nervös gewesen war, als sie Buffy in ihr Zimmer begleitet hatte. Sie ging vor ihm in die Hocke und bewegte vor seinen Augen eine Hand, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Es dauerte jedoch einige Sekunden, bis er aus seiner Trance gerissen wurde, und sie mit leerem Blick musterte. „Spike, was ist mir dir? Hat Richard ..." Sie wusste nicht, wie sie die Frage formulieren sollte, Gott, sie wusste ja nicht mal, welche Frage sie stellen sollte. „Was wollte er von dir?" War es Beschützerinstinkt, der sich in ihr regte, als sie den Vampir so in sich zusammengesunken auf dem Boden sah? Die Tränen standen ihm in den Augen, und sie konnte sich nicht vorstellen, was ihn so aus der Fassung gebracht haben könnte.
„Hast du sie gesehen?" Seine Stimme brach, als er die Frage stellte, ohne Buffy eine Antwort auf ihre zu geben.
„Wen?" Buffy selbst war erstaunt, wie sanft ihre Stimme klang, als sie es sich neben Spike auf dem Fußboden bequem machte. Sie hatte das Gefühl ein Kind vor sich zu haben, das soeben durch einen schrecklichen Alptraum geweckt worden war.
„Du musst mir einen Gefallen tun." Spike richtete nun völlig klare Augen auf die Jägerin und sah sie eindringlich an. In einer plötzlichen Bewegung stand er auf und zog Buffy an einem Arm hoch, bevor sie auch nur reagieren konnte. „Du gehst da jetzt runter und ... keine Ahnung, du musst dir halt eine Ausrede einfallen lassen ... Überzeug dich einfach davon, dass es ihr gut geht, okay?" Er hatte die Tür zum Flur schon geöffnet und schob sie praktisch nach draußen.
„Spike, wovon redest du eigentlich?" fragte Buffy, nachdem sie ihren Arm sanft aus seinem Griff befreit hatte, doch in diesem Moment entdeckte sie etwas in seinen Augen, etwas, was sie schon einmal dort gesehen hatte, nämlich als sie zu seiner Gruft gekommen war, um ihn zu fragen, ob Dawn vielleicht bei ihm sei, nachdem sie weggelaufen war, nachdem sie die Wahrheit über sich selbst erfahren hatte. In diesem Augenblick hatte sie es nicht bemerkt, doch als sie abends im Bett lag, und die Ereignisse des Tages noch einmal Revue passieren ließ, konnte sie nicht anders, als über die Emotionen, die Angst um das Wohlergehen ihrer kleinen Schwester und die ehrliche Fürsorge, in seinen Augen erschrocken zu sein. „Ist es Lynn? Ist es deine Schwester?" Das schwache Nicken hätte sie fast nicht wahrnehmen können. „Sie ist hier?" Es war eigentlich keine richtige Frage, denn sie kannte die Antwort bereits.
„Du musst jetzt da runter gehen." Seine Augen blickten sie fast flehend an, als er ein leises aber intensives „Bitte" hinzufügte.
Die Tatsache, dass er sie tatsächlich um etwas bat, brachte sie kurz aus dem Konzept, doch Buffy brauchte nicht lang, um sich zu entscheiden seinem Wunsch nachzukommen, denn sie erkannte, wie wichtig Spike diese Angelegenheit war. Er schien einfach dieses dringende Bedürfnis zu haben, sich nach all den Jahren davon zu überzeugen, dass es seiner kleinen Schwester, die er zu Lebzeiten vergöttert haben musste, gut ging, obwohl er eigentlich genau wissen musste, dass es Lynn zu diesem Zeitpunkt an nichts fehlte. Doch dieses feste Band zwischen den Geschwistern hatte sie schon vorher registriert, als sie zusammen Lynns Zimmer betreten hatten. Der sanfte, fast wehmütige Ausdruck in seinem Gesicht hatte mehr ausgesagt, als es mit Worten jemals möglich gewesen wäre, und jetzt spürte sie einfach, dass es etwas war, was sie für ihn tun musste.
Allerdings war das nicht der einzige Grund, aus dem sie jetzt auf dem Weg nach unten war. Sie konnte auch eine gehörige Portion Neugierde nicht abstreiten, denn wer wäre eine besser Quelle, um etwas über Spikes menschliches Ich zu erfahren, als seine kleine Schwester? Einen Moment fragte sie sich, warum sie überhaupt so neugierig auf sein Leben vor seiner Verwandlung war, doch gleichzeitig musste sie zugeben, dass der Vampir, der jetzt mit Sicherheit in seinem Zimmer saß und jedem Atemzug in diesem Haus lauschte, sie schon immer neugierig gemacht hatte. Er war so völlig anders, als alle Vampire, denen sie bisher begegnet war. Sicher, am Anfang war er einfach nur nervig und gefährlich gewesen – eine tödliche Gefahr, die sie umbringen wollte. Doch je länger sie sich kannten, desto öfter war es ihr möglich hinter die Fassade zu blicken, hinter der er sein wahres Ich zu verbergen versuchte. Und dieses wahre Ich verbarg Menschlichkeit – etwas, was sie noch bei keinem Vampir entdeckt hatte. Anders konnte sie die Sorge um Dawn nicht erklären, und auch die Gefühle, die er jetzt für seine Schwester zeigte, ließen keine andere Erklärung zu.
Als sie am Fuß der Treppe angelangt war, überlegte sie kurz, was sie als nächstes tun sollte. Sie konnte ja schlecht einfach den kleinen Salon betreten, aus dem sie vorhin Stimmen gehört hatte und hallo sagen. Sie verfluchte sich dafür nicht mehr über viktorianische Sitten und Gebräuche zu kennen, sonst wäre sie jetzt nicht in dieser Bredouille. Allerdings hatte Elizabeth auch gesagt, dass Buffy einfach runter in den Salon zum Esse kommen sollte, sobald sie sich einigermaßen frisch gemacht hatte. Also ging Buffy einfach in Richtung Esszimmer, und hoffte auf diesem Weg irgendwie in dem Salon zu landen, in dem Rose mit ihren Freundinnen saß. Es wäre wesentlich einfacher gewesen, wenn Lizzy heute morgen ihre Tochter hätte vorstellen können, doch als Richard, Spike und Buffy um halb sieben das Haus verlassen hatten, war Rose gerade erst aufgestanden.
Buffy war gerade im Begriff die Tür zum Esszimmer, das direkt neben dem kleinen Salon lag, in dem die Mädchen saßen und wie wild durcheinander redeten, zu öffnen, als sie ein gewohntes Kribbeln im Nacken spürte. Nach einem hastigen Blick auf den kleinen Salon, drehte sie sich um und entdeckte Spike nur wenige Meter hinter ihr. Ärgerlich raffte sie ihren Rock zusammen, um nicht aus Versehen darauf zu treten und legte die wenigen Schritte zu Spike zurück. „Was machst du hier?" Sie griff nach seinem Arm und zog ihn außer Sichtweite des Salons. „Spike, du weißt genauso gut wie ich, dass du sie nicht sehen kannst." Sie versuchte ihm in die Augen zu sehen, um ihre Worte zu unterstreichen, doch sein Blick schien durch die Mauern, die ihn von seiner Schwester trennten, hindurchzugehen. „Hör zu, ich werde versuchen da jetzt irgendwie reinzukommen, und wenn ich nachher wieder raufkomme, werde ich dir alles ganz genau erzählen, ja?" Als er noch immer nicht reagierte, berührte sie sanft mit einer Hand seine Wange und lenkte seinen Blick auf sie. Ihr brach fast das Herz, als sie die Verzweiflung in ihm erkennen konnte.
„Spike, was tun Sie hier unten, ich hatte Ihnen doch gesagt, Sie sollen in Ihrem Zimmer bleiben", erklang Richards Stimme plötzlich hinter ihnen. Buffy entfernte hastig ihre Hand von Spikes Wange, löste aber nicht den Augenkontakt. Sie war nicht sicher, ob der Vampir den Wächter überhaupt wahrgenommen hatte.
„Du versprichst es?" Die Frage kam so leise, dass sie nicht sicher wahr, ob sie ihn richtig verstanden hatte, doch als sie nickte, hellte sich sein Gesicht etwas auf. Er richtete seinen Blick auf Richard, bevor er sich umdrehte und wieder nach oben in sein Zimmer ging.
„Was hatte das denn zu bedeuten?" fragte Richard, als Spike außer Sehweite war.
„Ich muss da irgendwie rein, und seine Schwester kennenlernen. Könnten Sie mir dabei vielleicht irgendwie helfen?" Buffy hatte keine Zeit und Lust dem Wächter die Gründe zu erklären, obwohl diese eigentlich ziemlich offensichtlich waren. Ihre Bitte brachte ihr bei Richard jedoch ein kurzes, ungläubiges Lachen ein. „Noch nie bin ich einem anhänglichen Vampir begegnet, es ist kaum zu glauben. Reagiert er immer so empfindlich auf seine menschliche Familie?"
„Ich beginne langsam genau das zu glauben", antwortete sie nachdenklich, mit ihren Gedanken völlig bei dem wasserstoffblonden Vampir. Bevor er wieder in sein Zimmer gegangen war, hatte er mehr wie ein kleines, verstörtes Kind, das seine Mama verloren hatte, gewirkt, als wie ein Meistervampir, der in seinem Leben vermutlich genügend Menschen getötet hatte, um eine Kleinstadt auszurotten.
„Ich verstehe", erklärte Richard lächelnd. Langsam lernte er seine beiden Gäste näher kennen, und er war sich sicher zu wissen, um wen sich ihre Gedanken jetzt kreisten. „Jetzt werde ich Lizzy holen, damit sie Sie dort hineinbringen kann. Diese vielen schnatternden Mädchen sind mehr, als ich um diese Uhrzeit ertragen könnte." Damit verschwand er in die Richtung, aus der er gekommen war, und ließ eine verblüffte Buffy allein auf dem Flur zurück. Bei diesem letzten Satz hatte Richard sich ganz genauso angehört, wie Rupert Giles.
Während sie auf Elizabeth wartete, konnte Buffy eine gewisse Nervosität nicht leugnen. Wie würde Lynn Atherby wohl sein? Wenn sie ehrlich war, hatte Buffy nie wirklich versucht sich ein Bild von Spikes Schwester zu machen, selbst dann nicht, als sie in ihrem Kleiderschrank gewühlt hatte, um etwas zum Anziehen zu finden. Doch jetzt fragte sie sich, ob sie das Mädchen gleich erkennen würde, oder ob Lynn vielleicht keinerlei Ähnlichkeit mit ihrem Bruder hatte. Hatte sie vielleicht sogar etwas Ähnlichkeit mit Dawn – eine mögliche Erklärung, warum Spike so vernarrt in ihre kleine Schwester war. Vielleicht erinnerte ihn Dawn einfach an Lynn, und er hatte das Gefühl durch Dawn eine zweite Chance als großer Bruder zu haben. Und wenn die Mönche, die Dawn erschaffen hatten, in der Lage waren, eine so weitreichende Manipulation an der halben Bevölkerung einer Stadt zu vollziehen, hatten sie vielleicht auch sichergestellt, dass Spike – derjenige, der neben Buffy der stärkste Kämpfer in Sunnydale war – in Dawn eine Art Schwesterersatz sah, und sie somit instinktiv mit seinem Leben verteidigen würde.
„Buffy, da sind Sie ja." Elizabeth blieb vor der Jägerin stehen und griff ohne Vorwarnung nach der Türklinke der Salontür und zog diese schwungvoll auf. Für einen kurzen Moment hatte Buffy das Gefühl plötzlich von einem alten Film verschluckt worden zu sein, so irreal kam ihr die Szene vor, die sich vor ihren Augen abspielte. Ihr gegenüber saßen etwa zehn junge Mädchen – keines älter als 16 – gekleidet in den schicksten Kleidern, die Buffy jemals gesehen hatte, die kunstvollsten Frisuren, die sie sich nur vorstellen konnte, und alle mit tadellosen Manieren.
„Rose, Darling, das ist Miss Buffy Summers, die junge Dame von der ich dir vorhin erzählt habe, die für einige Zeit bei uns wohnen wird", stellte Lizzy Buffy einer hübschen, etwa 15jährigen Brünetten vor. Rose stand auf und reichte Buffy höflich die Hand. „Herzlich willkommen, Buffy... ich darf doch Buffy sagen, oder?" Rose redete sogleich drauf los, und Buffy wurde das Gefühl nicht los, dieses Mädchen schon seit Jahren zu kennen. „Wir scheinen vom Alter her nicht so weit auseinander zu sein, da erscheint es mir lächerlich, dich mit Miss Summers anzusprechen. Komm, ich stell dich meinen Freundinnen vor." Das war es, sie war in den Kreis aufgenommen. Sie war peinlich berührt, als sie bemerkte, wie schnell ihr Herz vor Aufregung pochte. Es war wieder, wie in ihrer Schule in LA, als sie noch zu der Clique der angesagten Mädchen gehörte – nie etwas anderes im Kopf, als die coolsten Klamotten, die neuesten CDs und die heißesten Jungs. Diese Gruppe von Mädchen hier war die In-Gang des Londons der 1870er, und sie hatte eine Eintrittskarte in diese Welt erhalten. Sie lächelte jedem der Mädchen freundlich zu, während sie allen nacheinander vorgestellt wurde. Als sie bei ihr angelangt waren, hätte Rose ihren Namen nicht zu nennen brauchen, denn Buffy wusste in dem Augenblick, in dem sie in Lynn Atherbys blaue Augen sah, ganz genau wen sie vor sich hatte.
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Die Warterei war furchtbar. Was zur Hölle machten sie alle da unten? Er blieb vor dem Fenster stehen, das einen Blick in den dunklen Garten hinterm Haus freigab, marschierte dann aber wieder ans andere Ende des Zimmers, wo er zum hundertsten Mal die Büchersammlung betrachtete, ohne aber wirklich etwas wahrzunehmen. Den Versuch still sitzen zu bleiben hatte er schon vor mindestens zwei Stunden aufgegeben. Mittlerweile war es nach zehn Uhr abends, und Spike fragte sich, ob er sich an den Tag erinnern konnte, an dem Lynnie so spät nach Hause gekommen war. Er konnte sich nicht entsinnen, obwohl er sich nicht vorstellen konnte den Ärger, den seine Mutter ihr gemacht haben musste, vergessen zu haben. Vielleicht war seine Mutter aber auch an diesem Abend mit ihrer Bridgerunde unterwegs. Das machten sie einmal im Monat, und dann war Constance Atherby niemals vor Mitternacht zu Hause. Umso unverständlicher, dass er sich nicht an diesen Abend erinnern konnte, denn wenn seine Mutter nicht daheim war, um auf Lynns Heimkehr zu warten, musste er zu Hause gesessen haben und einen Tod nach dem anderen gestorben sein, wenn seine kleine Schwester um diese Uhrzeit noch nicht wieder aufgetaucht war.
Gerade als er der Überzeugung war, es nicht mehr aushalten zu können und die Tür zum Flur öffnete, hörte er, wie eine Horde lachender Mädchen unten die Eingangshalle betrat. Sie schienen sich zu verabschieden. Unter den verschiedenen Stimmen konnte er zwei ganz deutlich ausmachen, und sein Herz hätte fast wieder zu schlagen angefangen, als er hörte, wie Lynns Stimme sich von Buffy verabschiedete. Seine Füße wollten sich schon selbständig machen, als die schwere Haustür sich öffnete, und plötzlich wieder Stille im Haus eingekehrt war.
Als Spike kurz darauf Schritte auf der Treppe hörte, hoffte er, es sei Buffy, die ihm einen vollständigen Bericht über den Abend liefern wollte, doch die Bewegungen passten zu niemandem, den er kannte. Er schaffte es, außer Sicht zu gelangen, bevor Rose Giles ihn entdecken konnte. Unter normalen Umständen hätte er sich nicht vor dem jungen Mädchen versteckt, aber er wusste nicht, was Richard und Elizabeth ihrer Tochter über die Hausgäste erzählt hatten, und er hatte nicht vor derjenige zu sein, der die Erklärungen abgab, wie zum Beispiel, warum der Kerl, der im Gästezimmer schlief genauso aussah, wie der Bruder ihrer besten Freundin. Das sollte wirklich von anderen Leuten kommen.
Frustriert nahm er wieder seinen Platz am Fenster ein, bevor er seinen Weg zum Bücherregal zurücklegte, sich eine Ausgabe von Browning ansah, sie einmal durchblätterte, ohne etwas von dem zu registrieren, was seine Augen berührte, das Buch zurückstellte und wieder zurück zum Fenster marschierte. Der Garten hielt seine Aufmerksamkeit auch nicht besonders lange, und so korrigierte er seinen üblichen Kurs und steuerte statt des Bücherregals sein Bett an und ließ sich schwer darauf fallen, war aber sofort wieder auf den Beinen, als er Buffys Schritte auf dem Flur hörte. Gerade, als sie im Begriff war zu klopfen, riss er seine Tür auf.
„Also, was hat sie gesagt?" Ohne zu Zögern, griff er nach ihrem Arm und zog sie in sein Zimmer, die Tasse mit aufgewärmten Blut in ihren Händen gar nicht bemerkend.
„Ich hab dir dein Dinner mitgebracht", sagte sie, als sie die Tasse auf seinen Nachttisch stellte und sich dann auf dem Bett niederließ, den Vampir nie aus den Augen lassend.
„Was?" Verwirrt entdeckte nun auch er die Tasse mit der dunklen Flüssigkeit, schenkte ihr aber auch jetzt keine Aufmerksamkeit. „Danke. Also, erzähl schon."
„Willst du mir etwa sagen, dass du nicht gelauscht hast?" Das konnte sie nicht glauben, hatte sie die Neugierde und Sehnsucht nach seiner Schwester deutlich in seinen Augen gesehen, und auch jetzt war es ihm völlig egal, dass er seine Gefühle so offen vor ihr, der Jägerin, ausbreitete. Sie musste ihm sehr viel bedeutet haben, wenn er seine Schutzmauern so weit herunterließ.
Der lockere, freundschaftliche Ton, in dem sie die Frage gestellt hatte, ließ etwas von Spikes Anspannung weichen, und er brachte sogar ein kleines Lächeln zustande. „Hab's versucht, aber ihr habt einfach alle durcheinander geredet, da war es schwer einzelne Stimmen zu erkennen. Und wenn du nicht sofort ausspuckst, worüber ihr da unten geredet habt, werde ich dich beißen, Jägerin." Der sanfte und trotzdem flehende Ausdruck in seinen Augen, widersprach der Drohung vollkommen.
„Also gut", sie seufzte, als wäre das alles für sie eine unglaubliche Belastung, was ihr allerdings nur einen weiteren drohenden Blick von Spike einbrachte. „Nachdem ich dann endlich herausgefunden hatte, wer deine Schwester ist", sie hatte nicht vor ihm zu erzählen, dass sie Lynn sofort an ihren Augen erkannt hatte, die den seinen so ähnlich waren, das hätte seinem Ego zu sehr geschmeichelt. „habe ich mich sogar ein paar Minuten mit ihr unterhalten können. Sie sind übrigens alle sehr nette Mädchen, auch wenn ich mir neben ihnen total alt vorkam. Willst du dein Dinner gar nicht?" Sie sah ihn unschuldig an, als er ein Knurren nicht mehr zurückhalten konnte.
„Jägerin, du spielst mit deinem Leben."
„Mein Gott, sind wir heute aber reizbar. Na gut, bevor du mir hier noch einen Schlaganfall bekommst." Sie holte einmal tief Luft, noch einmal überlegend, was sie ihm eigentlich sagen sollte. „Wir haben eigentlich über ganz alltägliche Dinge geredet, wie Schule und Familie und so. Natürlich habe ich meine Schulzeit ein wenig abändern müssen, denn irgendwie glaube ich nicht, dass irgendjemandem da unten das Konzept einer amerikanischen High School bekannt ist. Ich habe ihr von Dawn erzählt, und von meiner Mutter, und im Gegenzug hat sie mir von ihrem großen Bruder vorgeschwärmt, der ihrer Meinung nach eine große Karriere in der Bank von London ..."
„Das hat sie gesagt? Verdammt, ich war der kleinste Angestellte, den es in dieser Bank jemals gegeben hat!" Spike war wieder aufgestanden und lief wieder unruhig im Zimmer auf und ab.
„Sie liebt dich, du bist ihr großer Held in strahlender Rüstung. Es ist ihr egal, ob du nun wirklich eine große Karriere vor dir hast, oder nicht, aber in Gegenwart von anderen möchte sie dich als den Mann hinstellen, der du ihrer Meinung nach warst." Er schoss ihr einen wütenden Blick zu, auch wenn er nicht wirklich wütend war. Die Vorstellung, dass Buffy gerade mit Lynn gesprochen hatte, war immer noch schwierig zu verstehen, und mit der Liebe seiner kleinen Schwester wieder konfrontiert zu sein, war schlimmer als alles, was er in seiner bisherigen Existenz erlebt hatte.
„Hat sie sonst noch was über mich gesagt?"
„Nur, dass du sie wahrscheinlich vierteilen würdest, wenn sie so spät nach Hause kommt. Allerdings hat Mrs. Giles wohl eins der Dienstmädchen zu den einzelnen Familien geschickt, um die Verspätung der Mädchen anzukündigen." Sie überlegte kurz und sah wieder zu ihm auf. „Ist dir schon mal aufgefallen, wie praktisch ein Telefon ist?"
„Ich kann mich nicht daran erinnern." Spike verließ seinen Posten am Fenster und setzte sich neben sie aufs Bett.
„Woran?" In diesem Moment wäre es so einfach gewesen nach seiner Hand zu greifen. Die Einsamkeit und Leere, die von ihm ausging war fast zuviel, um sie zu ertragen, und sie musste alle Willenskraft aufbringen, um dem Bedürfnis ihn trösten zu wollen, nicht nachzugeben.
„An diesen Tag. Sie hat recht, ich hätte sie umgebracht, wenn sie erst so spät nach Hause gekommen wäre. Aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie ich wirklich reagiert habe."
„Du kannst dich nicht mehr daran erinnern, weil dir doch Bescheid gegeben wurde, dass sie später kommt. Du musstest dir keine Sorgen machen, und deshalb war es auch nicht wichtig." Es war ein Versuch ihn zu beruhigen, doch der Sturm, der in seinen tiefblauen Augen tobte, verriet ihr, dass sie gescheitert war.
„Schwachsinn", er starrte Buffy verächtlich an. „Wenn sie nur fünf Minuten zu spät war, bin ich schon aus der Haut gefahren. Sie war doch noch viel zu jung, um allein auszugehen. Hast du eine Ahnung, wie gefährlich diese Stadt damals für junge Mädchen war? Ich habe ihr die Hölle heiß gemacht, da bin ich mir ziemlich sicher." Er verzog die Lippen zu einem sarkastischen Grinsen. „Ich hab's nur vergessen."
„Spike, es sind immerhin über 120 Jahre vergangen. Da ist es doch normal, dass man das ein oder andere vergisst, oder?"
„Ja, aber ich dachte doch immer, dass das etwas ist..." Seine sonst so kräftige Stimme verlor sich und ohne den Satz zu beenden stand er wieder auf und starrte einmal mehr gedankenverloren aus dem Fenster.
„... dass die Momente mit deiner Schwester etwas sind, was du niemals vergessen würdest?" beendete sie in einer sanften Frage seinen Satz. Er brauchte nichts zu erwidern, denn seine Antwort war eindeutig. Genauso eindeutig, wie die Tränen, die jetzt lautlos seine Wangen hinunterliefen, als er sich bewusst wurde, wie viel er inzwischen vergessen haben musste, ohne es zu bemerken. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie an den jungen Mann dachte, den Lynn ihr in den schillerndsten Farben beschrieben hatte, und der plötzlich von einem Tag auf den anderen in ein blutrünstiges, seelenloses Monster verwandelt worden war. Und doch... in Momenten wie diesen konnte sie diese seelenlose Kreatur in ihm nicht wahrnehmen. Er war einfach nur ein Mann, der trauerte – um das, was er verloren hatte, und was er nie wieder erreichen konnte.
So lautlos wie möglich, stand Buffy auf und verließ sein Zimmer durch die Verbindungstür. Den Rest konnte sie ihm auch morgen noch erzählen, wenn er den ersten Schock über das plötzliche Aufeinandertreffen mit seiner Schwester verdaut hatte, und auch sie selbst hatte eine Menge, worüber sie nachdenken musste.
