Und hier das nächste Kapitel von "Die Zeitreise". Viel Spaß beim Lesen, und lg, N.Snape

vier

London, 22.September 1879

„Guten Morgen, Buffy", wurde die Jägerin am nächsten Morgen freundlich von Rose Giles begrüßt. „Hast du gut geschlafen? War ja gestern Abend ziemlich spät, nicht wahr, ich kann gar nicht glaube, dass ich um diese Uhrzeit jetzt schon auf bin. Aber ich fahre heute morgen wieder zurück zur Schule. Eigentlich bleiben meine Freundinnen nicht so lange, aber wir hatten uns ja soviel zu erzählen. Ich hoffe nur, niemand hat zu Hause Probleme bekommen, das wäre mir wirklich sehr unangenehm."

‚Also, ihr Talent in einem Atemzug hundert Worte zu sagen vererbt sie nicht an Giles weiter', schoss es Buffy durch den Kopf, als sie sich lächelnd am Tisch nieder ließ und eines der Dienstmädchen ihr eine Platte mit dem Frühstück brachte. „Danke, Nancy", murmelte sie halblaut. Es war ihr unangenehm sich einfach so bedienen zu lassen, doch Richard und Elizabeth bestanden darauf. Wahrscheinlich wäre es unhöflich gewesen sich einfach selbst zu bedienen. „Also, Lynn hatte schon Bedenken, dass ihr Bruder wütend werden könnte", bemerkte Buffy und beobachtete aufmerksam Roses Reaktion.

„Ja, wahrscheinlich schon. Er hat mit Sicherheit getobt und sie dann ganz fest in die Arme genommen. Er ist wirklich einer der liebsten und fürsorglichsten Menschen, die ich kenne, wenn auch manchmal etwas nervös, wenn es um Lynn geht. Weißt du, ihr Va­ter ist schon vor einigen Jahren gestorben, und seitdem hat er sich immer für Lynn und ihre Mutter ver­antwortlich gefühlt. Leider übertreibt er es mit seiner Fürsorge manchmal ein klein­wenig." Rose zwinkerte belustigt mit den Augen. „Immerhin sind wir keine Kinder mehr, aber das scheint William nicht immer einzusehen."

„Kennst du ihn denn gut?" Buffy fühlte sich gar nicht wohl bei dem Gedanken, denn immerhin lebte Rose mit Spike unter einem Dach, wenn sie ihn auch noch nie zu Ge­sicht bekommen hatte. Doch die Wahrscheinlichkeit sich hier zufällig mal über den Weg zu laufen war nicht gerade gering.

„Nicht wirklich, obwohl ich Lynn schon mein Leben lang kenne. Ich glaube nicht, dass ihn überhaupt jemand wirklich kennt. Er ist ziemlich schüchtern und hockt ständig nur über seinen Büchern und schreibt. Als ich noch jünger war, fand ich ihn allerdings un­glaublich toll. Hab mir immer gewünscht mein großer Brüder wäre so fein­füh­lig und rücksichtsvoll." Sie lachte, als sie sich an eine Zeit erinnerte, die noch nicht wirklich lange her sein konnte, Rose aber mit Sicherheit wie eine Ewigkeit vorkam. „Weißt du, er hat die schönsten Augen auf der ganzen Welt, und es ist eine Schande, dass er sie hinter dieser dämlichen Brille verstecken muss, denn..." Sie unterbrach sich, als Buffy unerwartet heftig zu husten anfing. „Oh, tut mir leid. Ich wollte nicht... ich weiß, manchmal bin einfach viel zu direkt. Mutter sagt das auch immer." Roses Gesicht war vor Scham gerötet, als ihr auffiel, wie sie mit Buffy – einer ihr eigentlich fremden Person – so offenherzig über die äußerlichen Vorzüge eines erwachsenen Mannes gesprochen hatte. Was Rose nicht ahnte, war, dass Buffy an sich halten musste, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Denn allein die Vorstellung von Spike mit Brille war genug, um ihren Tag zu retten.

„Nein, nein, du warst nicht... ich hab mich an meinem Tee verschluckt." Sie blickte ihre neue Freundin um Entschuldigung heischend an. „Du warst in ihn verknallt, oder?" fragte sie etwas leiser, verschwörerisch, woraufhin Rose nur noch roter wurde.

„Bis über beide Ohren", gab diese ohne zu Zögern zu und grinste frech. „Aber sag's nicht Lynn. Es wäre mir unglaublich peinlich, wenn er davon erführe." Sie trank einen Schluck Tee und knabberte an ihrem Toast. „Außerdem ist das alles ja schon ewig her, ich weiß gar nicht, ob er mich jemals bemerkt hat. William Atherby hat nämlich schon seit Jahren nur Augen für Londons Diva Nummer eins. Sag keinem, wer dir das gesagt hat, aber Cecily Underwood ist das größte Miststück, das auf dieser Erde wandelt. Sie war ein paar mal zum Tee bei uns eingeladen, und mein älterer Bruder war hingerissen von ihr. Dabei ist sie eine absolut falsche Schlange, die jeden Kerl um den kleinen Finger wickelt, bevor sie ihn wieder fallen lässt."

Buffy hing wie gebannt an den Lippen des jungen Mädchens und fragte sich, ob alle wohlerzogenen jungen Damen des späten 19. Jahrhunderts so unverblümt lästerten und auch eine solch derbe Ausdrucksweise hatten. Irgendwie bezweifelte sie das. Doch sie konnte nicht anders, als fasziniert über das zu sein, was sie hörte. Es ergab alles einen Sinn, und langsam fügte sich das Bild, das sie von Spike hatte zusammen. Hatte sie zu Beginn ihrer ‚Bekanntschaft' gedacht, er wäre nichts weiter, als ein weiterer Vampir, den es so schnell wie möglich zu töten galt, so stellte sie immer häufiger fest, wie komplex sein Wesen doch eigentlich war.

„Glaub mir, wenn er erst einmal bemerkt, wie falsch diese Person wirklich ist, wird er sich wünschen, er hätte mich bemerkt, bevor es zu spät war und..."

„Wofür ist es zu spät, Schwesterchen?" Buffy und Rose schreckten auf, als plötz­lich die junge männliche Stimme hinter ihnen ertönte. Wenn möglich wurde Rose noch eine Schattierung dunkler im Gesicht, als ihr bewusst wurde, wie offen sie mal wieder ihre Meinung gesagt hatte, und jetzt fragte sie sich, wie viel ihr Bruder, der soeben den Raum betreten hatte, von der Unterhaltung mitbekommen hatte. „Oh, Sie müssen Miss Summers sein." Er reichte Buffy eine Hand, die sie höflich entgegennahm, während sie sich nur eine Frage stellte. ‚Ist er Giles Ururgroßvater?' Die Ähnlichkeit war nicht zu leugnen. „Ich bin Christopher Giles, Roses Zwillingsbruder." Er setzte sich und ließ sich sein Frühstück bringen. „Sie kommen aus Amerika? Wahnsinn. Die Reise muss doch sehr lang gewesen sein, oder?" Er sah sie mit den neugierigen Augen eines jungen Er­wach­senen an, den der Tatendrang gepackt hatte, den aber trotzdem die Unschuld der Jugend noch nicht verlassen hatte.

„Oh, es kam mir vor, als wären es nur ein paar Augenblicke gewesen", murmelte Buffy, sich an die unangenehme Erfahrung erinnernd, in Sunnydale 2001 das Bewusstsein zu ver­lie­ren und in London 1879 wieder aufzuwachen, mit niemand anderem als Spike an ihrer Seite.

„Sie müssen mir unbedingt erzählen, wie es da ist. Es soll ja wirklich fantastisch sein, viel größer und moderner, als hier. Besonders die Städte Boston und New York sollen ja einmalig sein. Ich habe gehört, in New York gibt es die tollsten Museen und Häuser, die bis in den Himmel ragen. Aus welcher Stadt kommen Sie denn?" Buffy wusste nicht, welche Frage sie zuerst beantworten sollte, und wäre Richard fast dankbar um den Hals gefallen, als er ihr die Entscheidung abnahm, und seinem Sohn mit ernster Miene gegenübertrat.

„Christopher, ich glaube nicht, dass das eine Art ist, mit einem Gast, den man gerade erst kennengelernt hat, zu sprechen. Das arme Mädchen kommt ja kaum dazu Luft zu holen, wenn es dir zuhören muss." Der stolze Ausdruck in seinen Augen strafte seinen ernsten Tonfall Lügen, doch Christopher schien das nicht zu bemerken, als er in seinem Stuhl zusammensank und leise sein Frühstück beendete. „Rose, dein Wagen ist da, es wäre unhöflich den Fahrer warten zu lassen", informierte er seine Tochter, die daraufhin erfreut von ihrem Platz aufsprang. Buffy konnte sie nur irritiert anschauen. Es war doch nicht normal sich so auf die Schule zu freuen! Andererseits, wenn die Schule nicht gerade auf dem Höllenschlund stand, und man nicht drei Jahre lang Angst um sein Leben haben musste, jedes mal wenn man sie betrat, konnte Schule vielleicht ganz witzig sein. Sie beobachtete, wie Rose ihren Vater liebevoll umarmte, und fühlte einen Anflug von Eifersucht in sich aufsteigen, als sie die innige Beziehung zwischen Vater und Tochter sah.

„Auf Wiedersehen, Papa, bis zum Wochenende." Rose strahlte ihren Vater an, bevor sie sich wieder zu Buffy und Christopher wandte. „Bye, Chris. Oh, Buffy, am Freitag Abend ist im Haus der Adams ein Fest, und es wäre wirklich schön, wenn du mitkommen könntest." Ohne ein weiteres Wort war Rose auch schon aus dem Haus, das mit einemmal sehr still wirkte.

„Christopher, ich glaube, es wird auch für dich Zeit. Wenn du dein Frühstück beendet hast, wartet sicher Sir Montague in der Bibliothek auf dich." Der zärtliche Tonfall, mit dem Richard Rose auf Wiedersehen gesagt hatte war verschwunden, und Buffys Herz zog sich zusammen, als sie Christopher ein leises „Ja, Sir", murmeln hörte, ohne dass er von seinem Teller aufsah. Die Beziehung zwischen Richard und seinem jüngeren Sohn war anscheinend alles andere als einfach.

„Miss Summers, ist Sp..." Richard warf seinem Sohn einen vorsichtigen Blick zu, wollte er doch nicht, dass Christopher seinem zweiten Hausgast zu nahe kam. Buffy spürte sein Unbehagen und reagierte prompt.

„Nein, ich habe noch nichts gehört." Die Atmosphäre im Raum war so angespannt, dass man es fast spüren konnte, und Buffy suchte verzweifelt nach einem Thema, das sie auch vor Christopher besprechen konnten, doch in ihrem Hirn hatte sich eine Leere ausgebreitet, die sie bis dahin nur aus dem Französischunterricht gekannt hatte.

Christopher verschlang seine letzten Bissen und stand dann auf, nickte Buffy freundlich, aber schüchtern zu und verließ still den Raum, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen.

„Er hat einen Hauslehrer?" fragte Buffy, nachdem Christopher die Tür hinter sich geschlos­sen hatte.

„Ja, seit etwa einem Jahr", antwortete Richard, während Nancy einen Teller mit seinem Früh­stück auf seinen Platz stellte. „Wir hatten darüber nachgedacht ihn auch auf eine Privat­schule zu schicken, wie Rose, aber dann entschieden wir uns doch dagegen. Er ist sehr tempe­ra­ment­voll müssen Sie wissen, und manchmal hat er große Schwierigkeiten sich zu konzentrieren, und wir fürchteten, er könnte mit den strengen Lehrern auf einer Privatschule nicht zurecht kommen. Sein Hauslehrer ist ein alter Freund und er versteht sich sehr gut mit Christopher. In zwei Jahren wird er dann auf das gleiche College gehen, auf dem Arthur jetzt auch ist", er nahm einen Schluck Tee und erzählte weiter. „Das ist mein ältester Sohn. Er wird am Wochenende nach Hause kommen, da beginnen dann auch seine Ferien. Innerhalb des Semesters ist es ihm nicht erlaubt die Universität zu verlassen."

„Ist das eine Regel des Rates?" fragte Buffy, woraufhin Richard ihr einen irritierten und erstaunten Blick zuwarf.

„Woher..."

„Es war nicht allzu schwer herauszufinden. Mein Wächter hat mir viel über die Fami­lien­traditionen erzählt, dass das Wächteramt von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird."

„Aus welcher Familie stammt ihr Wächter denn? Vielleicht kenne ich sie ja", stellte Richard die Frage, die Buffy seit ihrem ersten Zusammentreffen gefürchtet hatte. Konnte sie ihm die Wahrheit sagen? Würde er danach Hunderte von Fragen stellen, die sie nicht beantworten konnte? Oder wäre er entsetzt, wenn er hörte, dass man seinen Nachfahren aus dem Rat der Wächter ausgeschlossen hatte, und erst kürzlich wieder eingestellt hatte, weil sie dafür gekämpft hatte? Wahrscheinlich aber wäre er stolz zu hören, wie wichtig Giles in ihrem Leben war, und wie außergewöhnlich seine Karriere bis jetzt gewesen war. Sie wollte gerade Luft holen, um zu antworten, als die Tür aufgestoßen wurde, und ein Vampir mit hängenden Schultern den Raum betrat.

„Morgen", murmelte er, ohne Giles oder Buffy auch nur eines Blickes zu würdigen. Sie konnte ihm ansehen, wie wenig er geschlafen hatte, wenn überhaupt. Hätte sie es nicht besser gewusst hätte sie geschworen dunkle Ringe unter seinen Augen zu sehen – etwas, was na­tür­lich nicht sein konnte, war er doch ein Vampir, dessen Körper­funktionen anders arbeiteten, als bei einem Menschen. Er murmelte noch ein „Danke", als Nancy seinen Becher mit Blut brachte, einen nervösen Blick auf den Fremden gerichtet. Buffy fragte sich, was Richard oder Lizzy ihr wohl erzählt hatten, wofür Spike das Blut brauchte, hielt es jetzt aber nicht für den geeigneten Zeitpunkt danach zu fragen.

Die nächsten Minuten verliefen schweigend, und Giles und Buffy wechselten zwi­schen­­­durch besorgte Blicke Spike betreffend. Richard wusste, dass Spike am Vor­abend noch nach unten gekommen war und Buffy gebeten hatte, mit seiner Schwester zu re­den, und er ahnte, dass die unvorhergesehene Begegnung ihn sehr mitgenommen hat­te, doch er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, Buffy zu fragen, was passiert war, als sie Spike am Abend noch gesehen hatte.

Nachdem sie alle ihr Frühstück beendet hatten, fuhren sie in Richards ge­schlos­sener Kutsche zum Rat der Wächter, um ihre Suche nach einer Erklärung fortsetzen zu können.

Die Stimmung an diesem Montagmorgen war im Hauptquartier des Rates zum Zer­reißen gespannt. Hatten die drei am Vortag noch ungestört ihre Arbeit verrichten kön­nen, wurden sie heute ständig von irgendwelchen Mitarbeitern gestört – alle einen inte­re­ssierten und fragenden Blick auf die Besucher gerichtet – die Richard mit Fragen und Problemen konfrontierten. Etwas Großes war im Anmarsch, das konnte Buffy spüren. Sie war zu lange die Jägerin, um nicht zu wissen, wenn eine große Gefahr lauerte. Dafür hatte sie im Laufe der Jahre einen Instinkt entwickelt, der sich selten irrte. Die Frage, die sie jetzt beschäftigte war, ob sie und Spike für diese Unruhe verantwortlich waren. Ob ihr Hiersein vielleicht die Mächte aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, und eventuell sogar in einer Apokalypse enden konnte.

„Sir, wir haben eine Situation hier, die ihre Aufmerksamkeit erfordert", ertönte auf ein­mal, als sie dachten, es sei inzwischen ruhiger geworden, die Stimme eines jungen Wäch­ters, der leise eingetreten war und nun zurückhaltend, aber doch mit ausge­spro­chenem Selbstbewusstsein an der Tür stand und darauf wartete von seinem Vorgesetzten gebeten zu werden, näher zu treten.

„Einen Augenblick, Mr. Wyndham-Pryce, ich bin gleich für Sie da", sagte Richard, ohne die Stimme zu erheben und schrieb die Notiz, die er gerade angefangen hatte, noch zu Ende, bevor er sich erhob und dem jungen Wächter nach draußen folgte. Bei der Nennung des Namens hatte Buffy interessiert nach oben geschaut, um zu sehen, ob sie vielleicht irgendeine Ähnlichkeit zwischen Wesley und seinem Vorfahren erkennen konnte, doch sie hatte nichts bemerken können.

Nachdem die Tür sich hinter Richard geschlossen hatte, wagte sie einen vor­sich­ti­gen Blick auf Spike, der noch immer grübelnd in einer Ecke des Büros saß und schein­bar fieberhaft in einem Buch las. Buffy bezweifelte jedoch, dass er wirklich etwas von dem, was er las, mitbekam. Sein Blick hielt noch immer die Trauer, die sie am Vorabend auf seinem Gesicht gesehen hatte, und es brach ihr das Herz ihn so zu sehen. Ihn, den sie das erste mal vor mehr als vier Jahren hinterm Bronze gesehen hatte, sein über­heb­li­ches Grinsen auf dem Gesicht und ihr versprechend, sie bald umzubringen. Was war mit diesem Vampir geschehen, der alles und jeden auf die leichte Schulter nahm und sich scheinbar um nichts scherte? In diesem Augenblick wünschte sie ihn sich fast zurück, denn dann müsste sie nicht mehr darüber nachdenken, wie ein Vampir zu solch tiefen Gefühlen fähig war.

„Hast du vergangene Nacht einigermaßen geschlafen?" Die Frage klang bei weitem nicht so, wie sie sie eigentlich hatte stellen wollen, aber ihr Mundwerk war mal wieder schneller gewesen, als ihr Verstand. Die zu erwartende Reaktion folgte auch auf den Fuß, als er ihr einen tödlichen Blick zuwarf.

„Nein", sagte er nach einem langen Moment des Schweigens wahrheitsgemäß und wandte sich wieder seinem Buch zu. Kein überheblicher Kommentar, kein Sarkasmus, nichts. Sie machte sich Sorgen. Die ganze Situation nagte stark an Spike, und sie konnten es sich nicht leisten, dass er unkonzentriert war. Er durfte nicht die Nerven verlieren über den Gedanken, seiner Familie – insbesondere seiner Schwester – wieder so nah sein zu können, denn sie wusste nicht, was dann passieren könnte.

„Willst du darüber reden?" Sie wusste nicht, wie sie mit einem depressiven Vampir umgehen sollte, aber sie wollte den Versuch wagen und einfach so tun, als wäre er einer ihrer Freunde. Natürlich, hätte sie jetzt Willow oder Xander in einer ähnlichen Situation vor sich, säße sie jetzt neben ihnen, würde ihre Hand halten und sanft und beruhigend auf sie einreden, aber so freundschaftlich stand sie Spike nun auch wieder nicht gegenüber.

„Nein", kam seine Antwort, diesmal jedoch ohne von den Seiten aufzublicken. „Ich möchte einfach nur dieses dämliche Buch hier durchkriegen, mir das nächste vor­neh­men und dann so schnell wie möglich einen Weg nach Hause finden."

„Nun, das kann ich verstehen, geht mir nämlich genauso." Sie blätterte eine Seite weiter und nahm einen Schluck aus der Teetasse, die vor ihr stand. „Aber weißt du, Spike, du solltest nicht alles in dich hineinfressen. Sonst wirst du eines Tages explodie­ren, wenn wir es am wenigsten erwarten, oder gebrauchen können."

„Ich. Möchte. Nicht. Darüber. Reden, Jägerin, also halt dein verdammtes Maul!" Sei­ne Stimme war zu ruhig, und obwohl Buffy es besser wusste, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Seine Stimme klang gefährlich – zu gefährlich für ihren Ge­schmack. Er war nicht der trauernde Vampir, der er gewesen war, nachdem Dru ihn ver­las­sen hatte. Das hier ging tiefer, viel tiefer. Sie fühlte sich plötzlich unbehaglich mit ihm allein im Zimmer, und sie stellte erstaunt fest, dass sie dieses Gefühl ihm ge­gen­über schon lange nicht mehr kannte.

Die Tür ging wieder auf, und Buffy war erleichtert Richard wieder eintreten zu sehen. „Entschuldigen Sie die Störung, ich hoffe, es wird nicht noch einmal vorkom­men", sagte der Wächter, bevor er sich wieder an seinem Schreibtisch niederließ und das Buch, das er dort hatte liegen lassen wieder zur Hand nahm.

Die nächsten Stunden verliefen einigermaßen ereignislos, hatte keiner der drei auch nur den Hauch einer Spur. Die Stimmung im Raum war extrem angespannt, das konnten sie alle spüren, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Buffy war einfach nur noch frustriert, die Kleidung, die sie trug war unbequem und die vielen Worte, die sich langsam nur noch zu einem riesigen, verschwommenen Bild zusammentaten, bereiteten ihr Kopfschmerzen. Spike konnte einfach kein einziges Wort von dem, was er las verstehen, sah er doch immer nur das Bild seiner Schwester vor seinem inneren Auge, und die Vorstellung sie nicht sehen zu dürfen brachte ihn fast um den Verstand. Richard hingegen war hin und hergerissen zwischen der Neugierde, wie das alles hatte passieren können, und dem Wunsch seinen neuen Freunden in ihrem Seelenleid zu hel­fen. Das Gefühl Buffy schon ein Leben lang zu kennen, festigte sich von Minute zu Mi­nute, und die Tatsache, dass er Spikes Alter Ego William Atherby persönlich, wenn auch nur flüchtig, kannte, und dessen kleine Schwester als Roses beste Freundin prak­tisch zur Familie gehörte, war schon Grund genug, um sich seiner anzunehmen. Er wollte sich schon dem allgemeinen Unmut und der Frustration anschließen, als er es sah. Das erste Anzeichen einer Spur.

„Ich hab was." Es war kaum mehr als ein Flüstern, und doch hatten Buffy und Spike den Wächter genau verstanden. Sie sahen sich einen Moment wie erstarrt an, bevor sie gleichzeitig aufsprangen und um Richards Tisch herumgingen, um auch in das Buch einsehen zu können, in dem er eine Lösung für ihr Problem gefunden zu haben glaubte.

„Hier. Diese Textstelle bezieht sich auf eine Zeit in ferner Zukunft – was für Sie beide wahrscheinlich nicht ganz so ferne Zukunftsmusik ist. Ein Vampir, der sich, obwohl er im tiefsten Innern seines Wesens böse ist, dem Guten zuwendet und durch die höchste aller Gaben die Welt vor dem Untergang bewahrt." Er streifte seine Brille ab und schaute Spike prüfend an. „Hätte nicht gedacht, dass Sie mal eine so wichtige Rolle spielen werden, Spike."

Der Vampir rümpfte jedoch nur angewidert die Nase und schnappte sich das Buch, um sich die Textstelle genauer anzusehen. „Wer sagt denn, dass es sich bei diesem Vampir wirklich um mich handelt? Es ist ja nicht so, als sei ich der einzige meiner Art." Er ließ den Band mit einem lau­ten Knall wieder auf den Tisch fallen. „Könnte doch auch sein, dass dein Schatzie damit ge­meint ist, oder?"

Buffy schoss das Blut in die Wangen, als Spike Angel erwähnte, und sie nun fürchten musste diese ganze Beziehung Richard erklären zu müssen. „Das glaube ich nicht, denn hier steht doch ein Vampir, im Innern dunkel wie die Nacht. Das deutet für mich darauf hin, dass der Vampir, um den es hier geht, keine Seele hat – im Gegensatz zu Angel."

„Wie bitte, ein Vampir mit Seele?" Richard war plötzlich sehr hellhörig, als er von Angel hörte. Der Name kam ihm irgendwie bekannt vor, konnte ihn aber nicht einordnen.

„Nicht so wichtig, Mr. Giles." Richard konnte an Buffys Tonfall erkennen, dass sie nicht über das Thema sprechen wollte, und er beschloss es erst einmal ruhen zu lassen. Doch er war sich sicher, noch etwas über diesen Angel zu hören, solange seine Gäste hier waren. „Gut, jetzt haben wir eine Textstelle, die sich eventuell auf Spike beziehen könnte." Buffy richtete sich gerade auf und bereute Giles niemals, oder nur selten bei Nachforschungen geholfen zu haben. „Aber was können wir jetzt damit anfangen? Gibt es irgendwie eine Möglichkeit herauszufinden, wann sich das ganze ereignen soll? Vielleicht wäre das ja schon mal ein Anhaltspunkt."

„Ich werde es sofort weitergeben, um den Text genauer untersuchen zu lassen. Es gibt hier in diesen Gemäuern wirklich Leute, die da wesentlich fähiger sind, als ich, und auch wenn ich nichts versprechen kann, so bin ich doch sehr zuversichtlich, bald we­sent­lich mehr über diese Prophezeiung zu wissen." Richard wartete nicht erst auf ir­gend­­welche eventuellen Proteste von Spike und Buffy, die befürchteten zuviel Aufsehen beim Rat zu erregen, sondern verließ sofort mit dem Schriftstück den Raum.

Buffy drehte sich zu Spike um und beobachtete, wie er sich nervös mit einer Hand durchs Haar fuhr und laut seufzte.

„Was?" Okay, da war er wieder, dieser zickige, ungeduldige Ton in ihrer Stimme, der sie oft genug selbst nervte, Spike im Moment jedoch zu amüsieren schien, denn er hatte seinen Mund schon wieder zu seinem für ihn typischen Grinsen verzogen.

„Nichts, ich hoffe nur gerade, dass nicht ich mit dieser Prophezeiung gemeint bin." Er ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen und streckte die Beine, die noch immer in dieser ungewohnten Kleidung steckten, weit von sich.

„Äh, ich glaub da komm ich nicht ganz mit." Buffy runzelte die Stirn und blickte Spike fragend an. „Willst du nicht wieder nach Hause?"

„Was? Doch natürlich!" kam die prompte Antwort.

„Warum..."

„Siehst du denn nicht, was der dämliche Text da behauptet?" Er konnte ihr ansehen, dass sie keine Ahnung hatte, worauf er hinauswollte. „Wenn da wirklich von mir gesprochen wird, werde ich mich irgendwann in ein schlimmeres Weichei als Angel verwandeln. Ich habe keine Seele, zum Donner noch mal, warum sollte ich auf der guten Seite kämpfen?" Er stand auf und stellte sich ans Fenster, vor dem die Vorhänge geschlossen waren, um den Vampir vor der Sonne zu schützen.

„Vielleicht wirst du keine andere Wahl haben", versuchte Buffy ihn aufzumuntern, erntete dafür jedoch nur ein verächtliches Schnauben. „Außerdem wäre es nicht das erste mal, dass du hilfst die Welt zu retten." Er drehte sich erstaunt um, um sie zu fragen, worauf sie hinauswollte, erinnerte sich dann aber an diese Sache vor fast drei Jahren.

„Das war etwas anderes. Ich wollte nur Dru wiederhaben, und in dem Moment, in dem ich sie in meinen Armen hielt, war mir die Welt wieder scheißegal." Er zog vorsichtig an dem Vorhang und wagte einen Blick nach draußen, nachdem er sich vergewissert hatte, keinen direkten Sonnenstrahlen ausgesetzt zu werden. Die Scheibe war aus billigem Glas und mit der Zeit milchig geworden, doch er konnte die Straße erkennen, die außerhalb des Geländes vorbeilief. Es war später Nachmittag und viele Kutschen waren unterwegs, um die Ehemänner und Väter nach der Arbeit wieder nach Hause zu ihren Familien zu bringen. Er sah Familien mit Kindern, die von ihren Nach­mit­tags­spaziergängen kamen, manche hatten Körbe mit den Resten des Picknicks dabei, andere schoben Kinderwagen vor sich her. ‚Warum sollte man eine solche Welt auch retten wollen?' fragte er sich insgeheim, als er plötzlich eine Hand auf seinem Arm spürte. So hastig als hätte er sich verbrannt ließ er den Vorhang los und sperrte die Sonne wieder aus. Als er sie wieder ansah war er nicht auf die offene, ehrliche Besorg­nis in ihren Augen vorbereitet, die ihm dort begegnete. Es war fast ein Schock, wie sehr ihm der Gedanke, sie könne sich um ihn Sorgen machen, gefiel, doch er erholte sich schnell wieder, und setzte einmal mehr sein Grinsen auf.

„Was ist, Liebes, Angst, ich könne dem Sonnenschein Guten Tag sagen?" Der Kommentar kam nicht ganz so zynisch rüber, wie er geplant hatte, trotzdem enttäuschte sie ihn nicht und rollte genervt mit den Augen. Die Besorgnis war verschwunden, als sie ihn das nächste mal fixierte, und an ihre Stelle waren Härte und Ungeduld zurückge­kehrt.

„Auch wenn Giles etwas gefunden zu haben glaubt, sollten wir besser noch weiter suchen. Könnte ja sein, dass wirklich nicht du mit diesem Text gemeint warst, und es uns überhaupt nicht weiterhelfen kann." Sie drehte sich wieder weg und kämpfte mit sich selbst, die Tränen, die in ihr aufsteigen wollten, zu unterdrücken. Seit wann war sie eigentlich so nah am Wasser gebaut? Sie war die Jägerin, Himmel noch mal! Sie sollte ihre Emotionen besser unter Kontrolle haben. Und dann auch noch wegen Spike, um Gottes Willen! Oder war sie einfach nur wütend auf sich selbst, weil sie eine zeitlang vergessen hatte, mit wem sie es eigentlich zu tun hatte. Hatte die ganze Situation sie tatsächlich vergessen lassen, wer Spike, alias William der Blutige, eigentlich war, und in dem Moment, in dem der Chip entfernt werden würde, auch wieder werden würde? Die innere Qual für ihn, seiner Familie wieder so nah zu sein, ihre langsame Erkenntnis, wer William Atherby gewesen war, bevor Drusilla Spike erschaffen hatte, ihr Zusammen­tref­fen mit Lynn und Spikes emotionaler Zusammenbruch am Abend zuvor, das alles hatte in den letzten Tagen ihren Blick getrübt, und dafür schalt sie sich jetzt.

„Es tut mir leid", hörte sie ihn auf einmal hinter sich flüstern. „Ich hätte meinen Frust nicht an dir auslassen sollen."

Da war es wieder. Dieses Gefühl, nicht wirklich dem Spike ihrer Zeit, sondern vielmehr einer Mischung aus dem Vampir und dem jungen Banker, den Lynn so liebevoll beschrieben hatte, gegenüber zu stehen. Und sie spürte die Vorsicht ihm gegenüber, zu der sie sich gerade noch selbst ermahnt hatte, wieder schwinden. „Ist schon gut", hörte sie sich selbst mit sanfter Stimme sagen. Er lächelte ihr zu, und diesmal fand sie sein Lächeln nicht ganz so arrogant und überheblich. „Ich könnte mir vorstellen, du stehst unter ziemlich mächtigem Druck."

„Sagen wir's mal so, ich hatte schon mehr Spaß im Leben." Als wäre es ein beson­ders guter Witz gewesen, brachen sie beide in schallendes Gelächter aus, ohne eigentlich zu wissen, wes­halb. Es war wie eine Droge, die sich langsam in einen Organismus frisst und dort ihr unheilvolles Werk beginnt. Der Effekt lässt sich nicht abwenden und man kann nur warten, bis die Wirkung nachlässt, oder einen zerstört. Genauso fühlten Spike und Buffy sich, als das Gelächter sie überkam, und sie nichts tun konnten, um es zu stoppen. Buffy konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, als sie, nach Luft japsend ihren Bauch hielt und beobachtete, wie auch Spike vor Lachen nicht mehr stehen konnte und sich auf den Boden fallen ließ, den Rücken gegen einen alten Schrank gelehnt, die Tränen in den Augen. „Ich meine, wie bescheuert ist diese Idee denn?" Als er sprach, klang er nicht so außer Atem, wie sie erwartet hatte, aber das lag wohl daran, dass er als Vampir nicht atmen musste. „Kannst du dir vorstellen, wie am Arsch die Erde sein muss, wenn sie auf jemanden wie mich angewiesen ist, um sie zu retten." Mühselig robbte Buffy zu Spike rüber, bis sie neben ihm auf dem Boden saß und ließ sich ebenfalls ge­gen die Holztür des Schranks sinken, verzweifelt bemüht, das Lachen solange einzu­stel­len, um ein paar Züge zu atmen. „Liegt... vielleicht an deiner... Verbindung mit der... Bruderschaft des... Aurelius", warf Buffy ein, sich selbst über ihre klare Artikulation wundernd. „Ihr seid ein ziemlich... eigenwilliger Vampirclan."

„Sag's aber nicht weiter, Liebes", sagte er zwischen verschiedenen Versuchen wie­der Kontrolle über sich zu erlangen. „Es gibt tatsächlich noch Vampire und Dä­mo­nen,... die vor uns Aureliusjungs Respekt haben." Sie dachten beide einen Moment über seine Worte nach, bevor sie wieder von neuen Lachattacken überwältigt wurden. „Frag mich nicht warum, denn immerhin ist Dru die einzige noch Aktive aus der Familie, und die meiste Zeit kann sie nicht oben von unten unterscheiden."

„Mir... ist nie... aufgefallen, was für... armselige Vampire... ihr wirklich seid." Die Tränen liefen Buffy nun ungehindert über die Wangen, teils vor Lachen, teils vor Schmerz, den das Lachen in ihrem Bauch verursacht hatte. „Zwei tote Vampire,... eine komplett... Ver­rück­te,... ein Vampir mit Seele... und zur Krönung... noch einer mit nem... Chip im Schädel,... der ihn harm­los macht." Sie sah ihn an und wurde etwas ruhiger, als sie seinen nach­denk­lichen, wenn auch noch weiter belustigten Blick bemerkte. „Ihr seid ein lustiger Verein." Das Lachen war versiegt, aber die Stimmung zwischen ihnen war bei weitem nicht mehr so angespannt, wie noch vor fünf Minuten.

„Wir sind eben einzigartig", er lächelte sein Paradelächeln und verstärkte den Druck auf ihre Hand. Gedankenverloren blickte er auf ihre ineinanderverschlungenen Fin­ger... und erschrak. Wann war das passiert? Plötzlich und unvermittelt ließen sie sich ge­­gen­seitig los und rappelten sich wieder auf die Füße, peinlich bemüht, einander nicht in die Augen zu sehen.

„Also, ich hab die Schriftstücke jetzt einem Kollegen anvertraut, von dem ich glaube, dass er durchaus Sinn ins Dunkel bringen kann. Trotzdem sollten wir unsere Suche noch nicht einstellen, sondern vielleicht noch nach weiteren Hinweisen gucken, die uns weiterhelfen könnten." Richard blieb vor seinem Schreibtisch stehen und blickte die Jägerin und den Vampir einen Moment schweigend an. Etwas war passiert, während er nicht im Raum gewesen war, und auch wenn er es niemals zugeben würde, er starb fast vor Neugierde, worum es ging. „Ist etwas passiert, während ich weg war?"

„Nein!" kam die Antwort gleichzeitig und etwas zu schnell aus beiden Richtungen. Buffy und Spike blickten beide betreten zu Boden, und Richard hätte schwören können, Buffy rot werden zu sehen.

„Aha. Gut, dann sollten wir besser keine Zeit mehr verlieren." Er öffnete eine Schublade seines Schreibtisches und fischte einen Schlüssel heraus. „Buffy, gehen Sie doch bitte eine Etage weiter nach oben. Dort ist ein Zimmer, auf dessen Tür steht Biblio­thek – ist natürlich totaler Humbug, denn das ganze Gebäude scheint mir manchmal eine einzige Bibliothek zu sein. Jedenfalls finden Sie dort eine Miss Wyndham-Pryce, das ist die Bibliothekarin. Sagen Sie ihr, ich hätte Sie geschickt, um mir die Aufzeich­nun­gen über die Bruderschaft des Aurelius zu holen."

„Warum?" Alle Aufmerksamkeit war jetzt auf den Wächter gelenkt, der gar nicht verstand, weshalb seine Gäste ihn auf einmal aus weit aufgerissenen Augen nicht allzu freundlich anstarrten. Während Buffy fast ängstlich aussah, stand in Spikes Blick reine Mordlust, und Richard fragte sich, ob es wirklich klug gewesen war, Buffy in Bezug auf Spikes Unfähigkeit einen Menschen zu töten, Glauben zu schenken.

„In dem Text wird diese Bruderschaft erwähnt, doch der Zusammenhang ist noch nicht klar. Es könnte sein, dass der Bund dafür verantwortlich ist, dass Sie beide hier sind." Er blickte von Buffy zu Spike und wieder zurück zu Buffy. „Warum ist das so schlimm?"

„Könnte es auch sein, dass es sich bei dem, der die Welt retten soll, um einen Vampir aus dem Geschlecht der Bruderschaft des Aurelius handelt?" Buffy ließ Spike gar nicht erst die Gelegenheit etwas zu sagen. Auch sie konnte die Mordlust in seinem Blick sehen, und sie beschloss, dass es wohl besser war, wenn sie das Reden übernahm – jedenfalls für jetzt.

„Möglich. Wie gesagt, die Zusammenhänge sind noch ziemlich unschlüssig. Der größte Teil des Textes ist in Altsumerisch gehalten, und es gibt nicht mehr allzu viele Menschen, die das fließend sprechen." Es vergingen noch weitere vier Sekunden, bis es ihn traf. Seine Augen weiteten sich, und Buffy hätte schwören können, wieder Angst in seinem Blick zu erkennen. „Sie gehören zum Aureliusbund?" Ein leichtes Zittern in seiner Stimme deutete an, wie schockierend er diese Neuigkeit fand. Warum auch nicht, immerhin waren die Meistervampire dieses Ge­schlechts für ihre Grausamkeit und Gnadenlosigkeit bekannt.

Spikes Blick verriet nichts von seinen Gefühlen, als er nickte, seine Augen stahlhart und fest auf sein Gegenüber gerichtet. Lediglich ein gewisser Stolz war in Spikes Verhalten, in seiner Körpersprache, zu spüren. Verteidigungstaktik, schoss es Buffy durch den Kopf, als sie den stummen Austausch zwischen Vampir und Wächter beobachtete, nicht sicher, was sie tun sollte, sollte es zum ernsten Eklat kommen.

„Buffy, es wäre nett, wenn Sie trotzdem ins Archiv gehen könnten, um mir diese Unter­lagen zu beschaffen." Seine Augen verließen nie den Vampir, während er mit Buffy sprach. Sie schluckte hart, nicht sicher, was sie tun, wie sie sich verhalten sollte. Auf der einen Seite konnte sie Richards Verhalten durchaus verstehen, doch auf der anderen Seite auch wieder nicht. Immerhin lebten sie und Spike jetzt schon seit fast zwei Tagen bei den Giles und der Vampir hatte in der ganzen Zeit nicht eine falsche Bewegung gemacht, sondern sich wie der reinste Musterschüler verhalten. „Keine Sorge, ich werde Spike kein Haar krümmen, während Sie weg sind." Die ruhige, abgeklärte Stimme ließ Buffy einen Schauer über den Rücken laufen, doch tat sie, um was Richard sie gebeten hatte.

Kaum hatte sie den Raum verlassen, wich etwas von der Anspannung in Spikes Körper. Er hatte ihre Unsicherheit gespürt, als Richard das fehlende Puzzleteil entdeckt hatte, doch konnte er sich keinen Grund dafür vorstellen. Nun musste er sich wenigsten darüber nicht den Kopf zer­brechen.

„Es gehen schon seit zwei Monaten Gerüchte um, dass sich die drei in London aufhalten." Richard musste nicht erklären, von wem er sprach, Spike war auch so im Bilde. „Deshalb auch die Aufregung hier den ganzen Tag, es scheint, wir haben eine Spur entdeckt." Richard sank in seinen bequemen Schreibtischstuhl und seufzte tief. „Ich nehme also nicht an, dass wir sie erwischen werden, oder?"

„Nein", war Spikes einsilbige Antwort.

„Ich weiß, Sie wollen nicht über diese Angelegenheit sprechen, aber ich möchte es wissen. Wie lange dauert es noch, bis Sie... nun, bis Spike erschaffen wird?" Spike verstand die Frage. Sie lautete nicht wirklich, wann William Atherby stirbt, sondern, wie lange Angel, Darla und Dru noch mordend durch London ziehen würden.

„Etwa sechs Monate." Mehr würde er nicht sagen. Jedes Wort, das er zuviel über diese Angelegenheit verlor, konnte seine Existenz gefährden.

„Wo?" Richard musste einfach fragen, auch wenn er wusste, dass Spike vermutlich nicht darauf antworten konnte und wollte.

„In London", antwortete der blonde Vampir ohne die Spur eines Lächelns auf den Lippen.

„Darla oder Angelus?" Spike hob eine Augenbraue, überrascht, wie gut Richard seine „Fa­mi­lie" scheinbar kannte. Allerdings waren seine „Vorfahren" in diesem Jahrhundert auch we­sent­lich aktiver gewesen, als im folgenden. ‚Tja, woran mag das wohl gelegen haben, Angel?', dachte er zynisch.

„Drusilla." Der Name hing in der Luft, und Richard war nicht sicher, ob er Spike richtig verstanden hatte.

„Aber... sie ist verrückt." Nervös begann Giles seine Brille zu putzen, woraufhin Spike ihm einen belustigten Blick zuwarf. „Sämtliche Untersuchungen haben das ergeben. Bevor Angelus sie erschaffen hat, hat er ihr den Verstand geraubt. Es ist unmöglich, dass sie einen Vampir erschafft, und der dann über hundert Jahre überlebt..." Richard war fassungslos, und dieses Gefühl übertraf im Moment die Angst, die er eigentlich verspüren sollte.

„Ich habe ja auch nicht behauptet sämtliche Tricks und Kniffe von Dru zu haben. Was meine „Ausbildung" zum Vampir angeht, haben Angelus und Darla schon ein Wörtchen mitzu­reden gehabt – und das war kein Spaß kann ich Ihnen verraten." Er schnaubte verächtlich bei der Erinnerung an seine „Unterrichtsstunden" bei Angelus, von denen er heute noch nicht wusste, wie er da jemals lebend – oder vielmehr untot – hatte rauskommen können. Ein Schauder überlief ihn, riss sich aber sogleich wieder zusammen. Keine Notwendigkeit nun Schwäche zu zeigen.

„Hätte ich am ersten Tag gewusst, aus welchem Geschlecht Sie kommen, hätte ich keinen Moment gezögert und Sie gepfählt." Die unverblümte Ehrlichkeit und Härte in Richards Stimme ließen Spike zusammenzucken. Zwar hatte der Wächter Buffy versprochen, ihm nichts anzutun, solange sie nicht da war, aber konnte er sicher sein, dass der Brite sein Wort halten würde, einer Person gegenüber, die er eigentlich gar nicht kannte? Doch er sah nun auch noch etwas anderes in Richards Miene. Vertrauen? Nein, das war es nicht – sollte es auch nicht sein. Den Wunsch Spike vertrauen zu können. Das kam der Sache schon näher.

„Und warum tun Sie es jetzt nicht?" Er wusste, dass er mit seinem Leben spielte, doch wusste er nicht, wie er sonst hätte reagieren können. Sarkasmus wäre wahrscheinlich nicht gut angekommen.

„Um ehrlich zu sein, ich mag Sie." Bei Spikes erstauntem, fast entsetztem Gesichtsausdruck hätte Richard lachen können. Diese Antwort hatte der Vampir garantiert nicht erwartet. „Sie sind nicht gerade das, was man von einem Vampir erwartet, aber das wissen Sie ja selbst. Sie haben einwandfreie Manieren – wenn Sie es wünschen, möchte ich anmerken – sind belesen und in­telli­gent. Natürlich hätte mir diese Kombination schon früher die Augen öffnen sollen, denn alle Vampire aus der Aurelius-Linie verstehen es sich als Menschen zu tarnen, wenn sie es wollen. Aber was Ihr Mitgefühl anderen Menschen gegenüber angeht, sind Sie einzigartig."

„Was... wie... wen..." Spike war wie vor den Kopf geschlagen, wusste nicht, was er sagen sollte. Wenn man Richard zuhörte, konnte man ja annehmen, er sei genauso erbärmlich wie Angel es jetzt schon seit hundert Jahren war. „Hören Sie mal, denken Sie etwa den Namen Spike hab ich im Lexikon nachgeschlagen und mir gedacht, der könnte zu mir passen?" Er war wütend aufgestanden und lief jetzt in dem geräumigen Büro auf und ab.

„Oh, ich gehe schon davon aus, dass Sie ein gefährlicher, unberechenbarer und kaltblütiger Vampir waren." Er lachte humorlos. „Anders hätten Sie Darla und Angelus wohl auch nicht überlebt nehme ich an. Aber das ist hier auch nicht der Punkt."

„Und was ist ihr verdammter Punkt?" Die Ungeduld, die in seiner Stimme mitschwang amüsierte Richard, wenn er es sich auch nicht anmerken lassen wollte. Spikes Stolz stand bereits auf dem Prüfstand, und er wollte nicht noch mehr Salz in die Wunde streuen.

„Der Punkt ist die Art und Weise, wie Sie damit umgehen nicht mehr töten zu können." Spike warf dem Wächter einen fragenden Blick zu, der Richard verriet, dass er keine Ahnung hatte, wovon dieser sprach. Ermattet ließ er sich wieder in seinen Sitz fallen und gab sich geschlagen.

„Was meinen Sie damit?" Er hasste diese britische Angewohnheit, sich die Dinge einzeln aus der Nase ziehen zu lassen. Giles – also Rupert Giles – hatte das von Zeit zu Zeit auch echt gut drauf. Ob er selbst früher auch so gewesen war?

„Sie benutzen diesen Chip als Ausrede."

Schweigen.

„Ähh, wie bitte?"

„Gehen wir doch jetzt mal für einen Augenblick logisch an die Sache ran. Sie sind ein Vampir, richtig?" Spike nickte, nicht fähig einen zusammenhängenden Satz zu formulieren. „Sie sind über ein Jahrhundert durch die Welt gezogen und haben eine breite Blutspur hinter sich hergezogen, richtig?"

Nicken.

„Und dann mit einem Mal, von einer Sekunde auf die andere, nimmt man Ihnen die Möglichkeit zu töten, richtig?"

Zögerliches Nicken.

„Also schließen Sie sich, nach einiger Zeit natürlich erst, der Jägerin an und helfen ihr im Kampf gegen das Böse, denn Dämonen sind ja das einzige, was Sie noch bekämpfen können."

Spikes blaue Augen bohrten sich in sein Gegenüber, sein Nicken auf Richards Annahme kaum noch spürbar.

„Schwachsinn!"

Spike war sprachlos. Hatte dieser Wächter gerade wirklich „Schwachsinn" gesagt? Er wusste gar nicht, dass es dieses Wort zu dieser Zeit schon gegeben hatte – er selbst hatte es mit Sicherheit nicht gekannt.

„Spike, stellen Sie sich doch jetzt einfach mal vor, Angelus wäre in Ihrer Situation." Ein verklärtes Lächeln trat auf Spikes Lippen. Ja, ein Chip im Schädel seines Erschaffers, ja das hätte was. „Glauben Sie wirklich, er würde sich jemals dem Guten anschließen, so wie Sie es getan haben? Glauben Sie ernsthaft, er würde der Jägerin bei ihrer Arbeit helfen? Das kann ich mir nur sehr schwer vorstellen." Jetzt musste Spike doch lachen, als er an Angel dachte, und wie er heute war. Nein, das hätte sich auch niemand vorstellen können, und doch war es geschehen, und Angel war jetzt ein wahres Schoßhündchen. Doch wäre er es auch geworden, wenn er lediglich einen Chip im Schädel hätte, der ihn vom Töten abhält? „Wir beide wissen doch, dass Angelus immer einen Weg finden würde, um seine Grausamkeiten an der Menschheit auszulassen, nicht wahr?"

Spike blickte Richard noch immer verwundert und leicht erschrocken an. „Woher wissen Sie so viel über Angelus und Darla? Ich meine, ich weiß, dass sie in den letzten hundertdreißig Jahren zu einem gewissen Ruhm gelangt sind, aber ich hatte nicht erwartet, dass der Rat der Wächter so genau über sie Bescheid weiß."

„Sie waren das erste Vampir-Geschlecht, mit dem ich mich befasst hatte, als ich noch ein Anfänger war. Ich habe über Angelus meine Diplomarbeit verfasst – keine einfache Aufgabe, das kann ich Ihnen versichern. Und es hat sich mir mehr als einmal der Magen umgedreht, bei den Dingen, die er in seinem Leben angestellt hat. Aber was will man auch von einem irischen Raufbold erwarten, der in seinem Leben schon immer lieber Tiere gequält und Sklaven geprügelt hat, als alles andere. Wenn so einer zum Vampir wird ist das eigentlich nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Böses Potential hatte dieser Mann schon, als er noch ein verzogener Knabe aus reichem Hause war, und als Darla Angelus erschaffen hat, hat sie ein blutrünstiges Monster in diese Welt gebracht." Richard wagte einen Blick auf den Vampir, und sah, dass Spike ihn aufmerksam musterte. „Aber das wissen Sie ja wohl auch sehr gut, oder?"

„Ja, Angelus hat mit seiner Vergangenheit niemals hinterm Berg gehalten." Spike erinnerte sich gut an die vielen Geschichten, die Drusillas Erschaffer ihm erzählt hatte, als William sich lang­sam aber sicher in Spike verwandelt hatte, und nicht nur einmal hatten diese Geschichten einem bestimmten ‚erzieherischen' Zweck gedient. Niemals, auch in hundert Jahren nicht, könnte Spike jemals soviel Unheil stiften, wie Angel und Darla in ihrer Vergangenheit angerichtet hat­ten.

„Angelus versteht Tod und Folter als Kunst, und nicht als Weg, sich Nahrung zu beschaffen. Er folgt seinen Trieben, seinem Blutrausch, weicht dabei aber nur selten von seinem eigenen Stil ab, habe ich Recht?"

„Wenn Sie soviel über uns wissen, wozu brauchen Sie dann noch diese Unterlagen, die Buffy holen soll?" Spike fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, und er hatte das unbändige Verlangen nach einer Zigarette. Diese Gespräche über seine „Familie" gefielen ihm nicht, und in ihm festigte sich der Wunsch, Buffy möge sich beeilen. Innerlich schalt er sich ein Weichei, als Muttersöhnchen und Warmduscher, und trotzdem flehte er die Jägerin innerlich fast herbei, und wenn aus keinem anderen Grund, als Richard auf ein anderes Thema lenken könnte.

„Na ja, könnte ja sein, dass ich was vergessen habe. Der Name dieses Bundes wird in der Prophezeiung erwähnt, und ich möchte wissen, ob wirklich Sie damit gemeint sind." Richard entspannte sich wieder etwas. Die Rückkehr in die Welt des Angelus machte ihm jedes Mal schwer zu schaffen. Auch wenn er sich eigentlich jeden Tag mit den Grausamkeiten der verschiedensten Dämonen auseinander setzte, so hatten die Taten von Angelus und Darla schon immer den größten Effekt auf ihn gehabt. Warum das so war, konnte er nicht einmal sagen, blutrünstig und gnadenlos waren fast alle Vampire und Dämonen. Vielleicht lag es an der intelligenten Art, in der die beiden Meistervampire mordeten. Vielleicht an ihrer Verbindung zum Meister, die sie gefährlicher machte, als den Durchschnittsvampir. Und jetzt saß er hier in seinem Büro, keine zwei Meter von einem Nachkommen des Meisters entfernt. Ein Meistervampir, der mehr als 120 Jahre überlebt hatte, ausgebildet von einem seiner schlimmsten Alpträume. Und doch entspannte er sich, als er die unterschwellige Nervosität des Vampirs sah. Hatte er Angst? Nein, Vampire hatten keine Angst. Er fühlte sich unwohl, das war ihm anzusehen. Einen Moment schwieg Richard und schaute in dieser Zeit Spike prüfend an. „Sie mögen sie sehr, nicht wahr?"

Hätte Spike wirklich die Zigarette gehabt, nach der er sich schon fast verzweifelt sehnte, hätte er sich jetzt wahrscheinlich an dem Rauch verschluckt, so unerwartet kam für ihn Richards abrupter Themenwechsel. So starrte er ihn nur sprachlos an und musste jeden Gedanken einzeln sortieren, bevor er wieder in der Lage war auch nur einen Ton rauszubekommen. „Wen meinen Sie?" Er hatte eine Ahnung, stellte sich aber lieber dumm. Oder hatte er sich die Frage nur eingebildet?

„Sie wissen genau, dass ich Miss Summers meine." Richards Stimme war leise, wirkte da­durch aber nicht weniger bedeutungsvoll. Er war auf der Suche nach der Lösung eines Rätsels, und dieser Puzzlestein schien ihm von großer Wichtigkeit zu sein, während Spike sich nur fragte, ob dieser Tag noch schlimmer werden konnte. Dennoch sah er etwas in dem Wächter. Keine An­kla­ge oder Verachtung, sondern einfach nur Interesse und – ja, vielleicht so etwas wie Ver­ständ­nis.

„Buffy?" Spikes Gedanken rasten. Was meinte Richard damit, er würde sie mö­gen? „Sie ist ganz in Ordnung", sagte er gleichgültig mit den Schultern zuckend. „Ich meine, für ‚ne Jägerin und so." Er vermied den Blick des Wächters, konnte aber nicht umhin dessen überlegendes „Soso" zu hören.

„Dann habe ich mir die Pfeile, die Sie mir am liebsten in den Rücken geschossen hätten, als ich Miss Summers am ersten Abend ins Bett gebracht habe, also nur eingebildet." Richard war amüsiert. Er fragte sich, ob Spike bewusst war, wie offensichtlich seine Körpersprache manchmal war. Gerade jetzt suchte er nervös nach seinen Zigaretten, die natürlich den ganzen Tag noch nicht da gewesen waren. Oh ja, diesen Vampir hatte es ganz schön erwischt – wie das möglich war, darüber wollte Richard später nachdenken. Allein die Tatsache, dass es so war, wirkte auf ihn jedoch entspannend, also war es vorrübergehend in Ordnung es einfach nur zu wissen. „Natürlich geht es mich eigentlich gar nichts an. Obwohl es ein sehr interessantes Thema für eine Abhandlung wäre. Denn es kommt offensichtlich nicht oft vor, dass sich ein Vampir in eine Jägerin verliebt."

„Hey, ich habe nie gesagt, dass ich..." Spike konnte es nicht einmal aussprechen. Es war geradezu lächerlich auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Sicher, Buffy ging ihm unter die Haut, und machte ihn manchmal fast verrückt, wenn sie in ihren hautengen Outfits durch die Gegend stolzierte, als warte sie nur darauf von Männern attackiert zu werden. Aber das hieß doch noch lange nicht, dass er sich in sie verliebt hatte. Sie war einfach nur eine verdammt heiße Braut, und er war schließlich immer noch ein Mann. Welcher Kerl würde da nicht schwach werden wollen?

„Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, dass es eventuell Vorsehung war?" Richard sah noch immer Spikes Versuch mit dem Gedanken klar zu kommen, jemand könne denken, er sei in die Jägerin verliebt. Es war amüsant, um nicht zu sagen köstlich mit anzusehen. Er hatte ihn aus dem Konzept gebracht und hatte nicht vor, ihn jetzt wieder aus den Fängen zu lassen. Seine Frage drang jedoch nur langsam ins Bewusstsein des Vampirs vor.

„Was? Gott, das muss eine Familiensache sein, oder so was", murmelte Spike, nachdem er die irgendwie vertrauten Worte aus Richards Mund hörte.

„Wie bitte?" Diese Reaktion hatte Richard nicht erwartet. Wenn er ehrlich war, hatte er keinen Schimmer, was Spike gerade gemeint hatte.

„Ach... nichts." Spike hätte sich ohrfeigen können. Er hatte mit Buffy zwar nicht darüber geredet, aber sie waren anscheinend stillschweigend überein gekommen, Rupert Giles vor Richard nicht zu erwähnen. Wahrscheinlich hatte die Jägerin Angst, ein falsches Wort und Rupert war Geschichte – oder vielmehr niemals dagewesen. „Ich meine nur, dass ich diese Worte schon mal gehört habe, und ich gebe Ihnen jetzt die gleiche Antwort, wie ihrem Vorgänger. Nein, ich habe nie darüber nachgedacht." Aus der Ungeduld in seiner Stimme, hörte Richard raus, dass Spike nicht die Wahrheit sagte. Wer immer es auch gewesen war, der bereits mit dem Vampir gesprochen hatte, er schien einen Nerv getroffen zu haben.

„Ich glaube Ihnen nicht." Spike stöhnte genervt auf und überlegte, ob er die paar hundert Meter bis zur nächsten Kneipe im Sonnenlicht überleben könnte. Er hatte wirklich genug gehört für einen Tag, und wenn er schon keine Zigarette haben konnte, musste doch wenigstens ein Drink drin sein. „Sehen Sie, Spike. Es passt einfach alles zusammen. Sie sind ein Meistervampir aus dem grausamsten Vampirgeschlecht, das mir jemals unter die Finger gekommen ist. Und Sie wollen mir ernsthaft weismachen, dass Sie einfach die Seiten wechseln, nur weil Sie selbst nicht mehr zuschlagen können. Angelus hätte einen Weg gefunden, auch weiterhin so vielen Menschen wie möglich Schaden zuzufügen. Sie jedoch haben das nicht getan."

„Hab ich wohl", versuchte Spike sich energisch zu verteidigen. „Ist noch gar nicht so lange her, da hätte ich die Jägerin und ihre kleinen Freunde fast zu Schaschlik verarbeiten lassen."

„Aber Sie haben es nicht getan." Richard war von dieser Enthüllung alles andere, als be­geis­tert, doch er hatte nicht vor, sich jetzt in die Enge treiben zu lassen. „Was ist passiert? Haben Sie gesehen, dass Buffy mit der Situation fertig werden wird und sind weggelaufen?"

Spike schloss die Augen, als er sich an diese letzten Minuten erinnerte, in denen er sich gefragt hatte, warum er sich Adam angeschlossen hatte. Was hatte ihn dazu getrieben? Er wusste es nicht mehr. Ja, er war im Prinzip einfach weggelaufen, aber nicht, ohne es so hinzustellen, als hätte er ihnen in letzter Minute noch geholfen. Das war es doch, was böse Buben taten, oder? Das Fähnchen nach dem Wind drehen, sich immer der Siegerseite anschließen. Nein, er war nicht gut! Er war alles andere, als das. Ohne mit der Wimper zu zucken hatte er die Freunde gegeneinander aufgestachelt – und es hatte fast funktioniert. Sie hatten sich entfremdet, und ihm war schon immer klar gewesen, dass ihre Freunde Buffys Verbindung zur normalen Welt war. Sie waren der Grund für ihre Stärke, ihr Grund sich dem Bösen tagtäglich zu stellen. Ohne die Scoobies war sie nichts.

„Spike." Richards Stimme riss ihn wieder aus seiner Erinnerung. „Sehen Sie denn nicht, dass das alles zusammen passt? Und jetzt auch noch diese Prophezeiung. Wenn wirklich der Vampir, der sich zum Guten wendet, gleichzeitig der Vampir ist, der aus der Linie des Aurelius stammt, dann können eigentlich nur Sie dafür in Frage kommen."

Spike öffnete seine Augen wieder und ließ die Worte des Wächters einen Augenblick sinken. „Im Prinzip sagen Sie doch nichts anderes, als wenn sich diese Prophezeiung tatsächlich auf mich bezieht – und wir tun jetzt einfach mal einen Moment so, als wäre das der Fall – dann bin ich hier um..."

„Sie wären dann wahrscheinlich von irgendeiner bösen Macht hierher geschickt worden, damit verhindert werden kann, dass Sie zum Vampir werden. Denn nur, wenn Sie ein Vampir sind, werden Sie so lange leben können, um den Untergang der Welt zu verhindern." Erleichtert stellte Richard fest, dass Spike sich langsam mit dem Gedanken anzufreunden schien. Er stellte bereits selbst Überlegungen an, das war ein gutes Zeichen.

„Schön, aber was hat dann Buffy hier zu suchen? Wissen Sie, sie wird zu Hause gebraucht. Im Moment ist echt ein schlechter Zeitpunkt, um ihr eine Auszeit vom Höllenschlund zu schenken."

Richard sparte sich jeglichen Kommentar, als er Spike zuhörte. Ob dieser Vampir überhaupt merkte, was er da sprach? Wahrscheinlich nicht. Und falls er die Sorge in seiner eigenen Stimme doch irgendwann bemerkte, wäre er wahrscheinlich schockiert von sich selbst – genauso schoc­kiert wie vor einigen Minuten, als er die Möglichkeit erwähnt hatte, Spike könne sich in die Jägerin verliebt haben.