sechs

London, 24. September 1879

Die Idee den Brief zu schreiben, war Buffy in der Nacht gekommen, als sie verzweifelt mit den Tränen kämpfte, die einfach nicht nachgeben wollten. Bilder ihrer Mutter und ihrer Schwes­ter quälten sie gnadenlos, als sie vor ihrem inneren Auge sah, wie sie von Glory gefoltert wurden, während Giles und ihre Freunde hilflos zusehen mussten. Irgendwann war es ihr zuviel geworden und sie war aufgestanden, fest entschlossen die grausamen Bilder ein für allemal aus ihrem Bewusstsein zu verbannen. Während sie ruhelos in ihrem Zimmer auf und abgelaufen war, hatte sie in dem kleinen Schreibtisch aus dunklem Eichenholz, der schräg gegenüber von ihrem Bett stand, einige unbeschriftete Seiten Briefpapier gefunden, und auch ein Fässchen mit Tinte und ein Federhalter standen auch bereit. Die Idee kam spontan, und sie fragte sich sofort, warum sie nicht schon früher an diese Möglichkeit gedacht hatten. Nachdem sie diese altmodischen Schreibgeräte kritisch beäugt hatte, einen fragenden Blick in die Richtung von Spikes Zimmer geworfen und kurzfristig überlegt hatte, ihn zu fragen, ob er nicht schreiben wollte, diese Idee aber sofort wieder verworfen hatte, setzte sie sich kurzentschlossen hin und fing an zu schreiben. Einen kurzen Augenblick fragte sie sich, ob nicht in dem Moment, in dem sie sich dazu entschloss, diesen Brief zu schreiben, sie die Wirkung bereits spüren müsste, verwarf den Gedanken dann aber sogleich, da sie ja nicht wissen konnte, was in den nächsten Tagen hier noch geschehen würde. Noch immer etwas skeptisch, aber doch entschlossen griff sie nach dem Federhalter, öffnete das Tintenfässchen und tauchte das ungewohnte Schreibgerät hinein. Bereits nach wenigen Minuten wusste sie, warum sie in der Schule und auf dem College in erster Linie mit Bleistiften geschrieben hatte, denn der Gebrauch von Tinte war wesentlich schwieriger und flecken­för­dern­der, als man annehmen mochte. Die Seite, auf der sie den Brief schrieb, sah aus, als hätte sie das Fässchen darüber ausgekippt, aber dennoch war sie mit dem ersten Versuch eines Briefes nach Hause einigermaßen zufrieden.

Lieber Giles!

Ich hoffe, Sie werden diesen Brief erhalten, bevor es zu spät ist. Wahrscheinlich wird es Ihnen ziemlich eigenartig erscheinen, dass ich Ihnen auf diese Weise von den Ereignissen berichte, aber eine andere Art und Weise fällt mir einfach nicht ein. Es war etwa vor vier Tagen, als ich auf Patrouille war – mit Spike möchte ich sagen. Wir waren auf dem Nordfriedhof, in der Nähe der alten Van Hagens-Gruft, als Spike plötzlich vor diesem großen Energieball stehen blieb, und wir beide hineingezogen wurden. Aufgewacht sind wir dann in London im Jahr 1879. Sie können mir glauben, ich war begeistert. Zu allem Überfluss sind wir direkt alten Bekannten von Spike – oder vielmehr von William Atherby – in die Arme gelaufen, die ihn dann auch noch fast erkannt hätten. War verdammt knapp kann ich Ihnen sagen.

Nachdem wir uns dann bei Spike zu Hause etwas unauffälligere – und verdammt unbequeme! – Kleidung besorgt hatten, sind wir zum Rat der Wächter gegangen, weil wir einfach nicht wussten, was wir sonst machen sollten. Dort sind wir dann auf einen Ihrer Vorfahren gestoßen – einen Richard Giles. Sie werden es kaum glauben, aber er lässt Spike und mich doch tatsächlich bei sich wohnen. Wirklich, Ihre Familie war immer schon sehr nett.

Wir haben jedenfalls herausgefunden, dass Spike wahrscheinlich im Mittelpunkt einer Prophezeiung steht, die besagt, er würde in der Zukunft einmal die Welt retten, weil er sich dem Kampf des Guten anschließt. So genau weiß ich das jetzt auch nicht. Es wirkt so, als habe uns jemand in die Vergangenheit geschickt, um Spikes Verwandlung in einen Vampir zu verhindern, damit er niemals die Welt retten kann. Sicher sind wir uns da allerdings noch nicht.

Was ich jetzt von Ihnen will, ist eigentlich ganz einfach. Wenn ich auf Patrouille gehe und wir diesem Energiefeld begegnen, möchte ich gerne vorher gewarnt sein, um nicht den gleichen Fehler zu machen, wie beim ersten Mal. Mit anderen Worten, ich darf nicht versuchen Spike von dort wegzuziehen

An dieser Stelle beendete sie vorerst ihren Brief, sah ihn sich an, und war im Prinzip ganz zufrieden. Morgen würde sie ihn Richard und Spike zeigen, und fragen, was sie von ihrer Idee hiel­ten. Sie hoffte nur, Richard würde nicht lächelnd den Kopf schütteln und sie als dummes Blondchen hinstellen, weil ihr Plan zu absurd war, um wirklich zu funktionieren.

Die Müdigkeit überkam sie plötzlich. Hatte sie eben noch aufrecht auf dem Stuhl an dem kleinen Schreibtisch gesessen, lag ihr Kopf im nächsten Moment schon auf der Tischplatte, ein Arm als provisorisches Kissen darunter gelegt. Sie erwachte erst wieder, als sie das Klopfen an ihrer Tür hörte, kurz bevor die Verbindungstür zu Spikes Zimmer zögerlich geöffnet wurde.

„Und du sagst mir, ich hause ungemütlich?" Der spottende Ton in Spikes Stimme war genug, um sie vollständig zu wecken. Sie richtete sich auf und dankte dem Herrn für ihre Superkräfte, die sie für den Kampf gegen das Böse erhalten hatte, andernfalls würde jetzt nämlich ihr ganzer Körper durch diese unnatürliche Haltung schmerzen.

„Was willst du hier mitten in der Nacht?" Sie war gereizt und übermüdet, doch ihn schien das nicht weiter zu stören. Statt dessen schlenderte er einfach nur lässig zu ihren Vorhängen und zog einen vorsichtig zur Seite, so dass die Sonnenstrahlen ihn zwar nicht berührten, ihr jedoch direkt ins Gesicht schienen. Von der plötzlichen Lichtflut geblendet, stieß sie einen kurzen Schrei aus, schob sich die Hände vor die Augen und wartete, bis Spike den Vorhang wieder losgelassen hatte.

„Das zahl ich dir heim", murmelte sie in dem gleichen weinerlichen, quengeligen Ton, den sie bei Dawn immer angewendet hatte, wenn diese sie geärgert hatte, als sie noch zehn Jahre jünger gewesen waren.

„Komm schon, Sonnenschein, Richard möchte gleich losfahren." Er legte die paar Schritte zu dem Schreibtisch, an dem sie noch immer saß zurück, griff nach ihren Händen und zog sie sachte auf die Beine. Er konnte ihr ansehen, wie wenig und schlecht sie geschlafen hatte und fühlte sich einen Moment schlecht, weil er so gut geschlafen hatte, wie schon lange nicht mehr. Als er darauf wartete, dass sie sicher auf ihren eigenen Füßen stand, warf er einen Blick auf die Seiten, die kreuz und quer auf dem Tisch verteilt lagen. „Was ist das?"

Sie fragte sich kurz was er meinte, doch dann fiel ihr der Brief wieder ein, den sie in der vergangenen Nacht geschrieben hatte – oder vielmehr angefangen hatte zu schreiben. Bei Tageslicht betrachtet kam ihr die Idee gar nicht mehr so glorreich vor, und ihr schoss unvermittelt die Röte ins Gesicht. „Nur eine Idee, die ich letzte Nacht hatte. Konnte nicht gut schlafen, und ich dachte, wenn wir einen Brief an zu Hause schreiben, dann könnte vielleicht in 122 Jahren ver­hin­dert werden, dass uns das hier passiert." Sie betrachtete ihre Schrift, die durch den ungewohnten Federhalter und die Tinte wesentlich krakeliger aussah, als üblich. „Ich weiß, ist wahrscheinlich eine blöde Idee, aber ich dachte, einen Versuch wäre es wert. Wollte Richard heute mal fragen, was er so davon hält."

„Mmh, nicht schlecht", meinte Spike, der inzwischen Buffys Hände losgelassen hatte, nachdem er sich versichert hatte, dass sie nicht wieder umfallen würde. „Frag mich, warum ich nicht auf diese Idee gekommen bin", setzte er mit einem Augenzwinkern hinzu, legte die verschiedenen Seiten auf einem Stapel zusammen und nahm sie mit, als er sich auf den Weg zur Tür machte. „Beeil dich beim Anziehen und komm dann frühstücken. Sonst fahren wir ohne dich. Ich zeig Richard das hier schon mal... ähh, was soll ich ihm sagen, wer Rupert ist?"

Buffy saß bereits an ihrem Waschtisch und füllte die Porzellanschüssel mit frischem Wasser, das immer am Abend zuvor in einem Kübel bereit gestellt wurde, hielt bei seiner Frage allerdings in ihrer Bewegung inne. „Sag ihm einfach die Wahrheit", sagte sie entschlossen.

„Du bist sicher? Sonst könnten wir den Brief auch immer noch an Xander oder Willow schicken, oder an den Rat oder was weiß ich an wen."

Nach einem kurzen Moment schüttelte sie wieder den Kopf. „Nein, wir schicken ihn an Giles. Die Wahrscheinlichkeit, dass er dann ankommt, ist wohl am größten, oder?" Und was konnte es schon schaden, wenn Richard wusste, dass er irgendwann mal einen Nachfahren mit dem Namen Rupert Giles hatte?

„Wie du willst, du bist der Boss." Mit diesen Worten hatte er den Raum verlassen, doch statt sich zu beeilen, wie er ihr gesagt hatte, konnte sie ihm eine volle Minute nur mit offenem Mund hinterher starren. Was war das denn eben gewesen? Noch nie hatte sie den Vampir in so guter Lauen erlebt. Er war ja regelrecht euphorisch gewesen. Und was sollte der Quatsch, sie sei der Boss. Nicht, dass es nicht stimmen würde, im Prinzip sah sie sich hier schon – zumindest unter ihnen beiden – als die bestimmende Partei an, aber warum gab er das so einfach und ohne Probleme zu? War er betrunken? Nein, er hatte eigentlich nicht betrunken gewirkt.

Nachdem sie sich wieder gefangen hatte, erledigte sie ihre Morgentoilette in Rekordzeit, und war so schnell angezogen, wie noch nie, seit sie hier war. Als sie ins Esszimmer kam, warteten Richard und Spike schon auf sie, der Wächter sah neugierig und erwartungsvoll an. Anscheinend hatte Spike ihm die Briefe bereits gezeigt, wie er gesagt hatte.

„Setzen Sie sich, Miss Summers, Sie müssen ja halb verhungert sein." Nervös zog er sich die Brille von der Nase und fing an sie zu putzen – nicht wissend, wie ähnlich diese Bewegungen der von Rupert Giles waren. Buffy und Spike warfen sich einen lächelnden Blick zu. Ihnen beiden war die Ähnlichkeit durchaus aufgefallen. „So, Spike sagte, Ihr Wächter wäre ein Nach­fah­re von mir?"

Buffy, die gerade den Mund mit einem guten Bissen Rührei und Speck gefüllt hatte, konnte auf diese Frage nur nicken.

„Warum haben Sie das denn nicht schon früher erwähnt?" Ein fasziniertes Lächeln umspielte die sonst so nüchternen Züge des Wächters.

Spike kam Buffy, die noch immer den Mund voll hatte, mit einer Antwort zuvor. „Wir dach­ten uns einfach, je weniger Sie über unsere Zeit wissen, desto unwahrscheinlicher sind ir­gend­welche Eingriffe in den Lauf der Geschichte. Denn ein falscher Griff, und Rupert Giles wird möglicherweise niemals geboren werden, Buffy Summers wird nicht zur Jägerin berufen, Angelus wird der Kopf versehentlich von einem fahrenden Zug abgetrennt..." Er spürte Buffys vernichtenden Blick auf sich und setzte ein wissendes Grinsen auf. „Tschuldigung, hab mich mitreißen lassen."

„Kein Problem", antwortete sie zuckersüß, was Richard lediglich mit einem Lächeln kommentierte.

„Ich verstehe, wirklich. Aber ich fürchte, ich kann meine Neugierde trotzdem nicht im Zaum halten." Er rührte wie automatisch in seiner Teetasse und legte den Löffel dann leise klappernd zur Seite. „Wie ist er so? Ist er ein guter Wächter für Sie? Sie müssen verzeihen, aber stellen Sie sich doch mal diesen Zufall vor! Sie werden über hundert Jahre in die Vergangenheit geschickt, und der Wächter, auf den Sie hier treffen ist mit Ihrem Wächter verwandt."

„Tja, wie kann man Rupert Giles beschreiben? Er ist..." Buffy suchte nach den passenden Worten, die zwar nicht zuviel über ihren Wächter preisgaben, aber seinem Vorfahren doch eine Vor­stellung von der Wichtigkeit vermittelte, die Giles in ihrem Leben besaß. „...der beste Mensch, der mir jemals begegnet ist." Ihr Blick schien in die Ferne zu gleiten, als sie an den Mann dachte, der ihr näher stand, als es ihr eigener Vater in den ganzen letzten zehn Jahren getan hat­te. „Nachdem mein erster Wächter gestorben war, und ich schon fast mein Jägerinnendasein auf­gegeben hatte, hat er es wieder geschafft, mich auf den rechten Weg zu bringen. Er hat mir ge­zeigt, worum es bei diesem Kampf Gut gegen Böse eigentlich wirklich geht, und was es heißt die Jä­gerin zu sein." Sie senkte verlegen den Blick, als sie bemerkte, dass Richard sie mit einer Mischung aus Stolz und Rührung ansah. Es schien ihm viel zu bedeuten, einmal einen so groß­ar­ti­gen Nachfahren zu haben.

„Er scheint wirklich ein sehr anständiger Mensch zu sein."

„Ja, das ist er", antwortete die Jägerin, wurde aber von Spike jäh unterbrochen.

„Abgesehen davon ist er ein typischer Brite. Staubtrocken, ohne jeden Sinn für Humor. Konnte über Al Bundy nicht wirklich lachen." Spike fing ihre Faust ab, bevor sie in seiner Seite landen konnte, immer noch ein Grinsen auf den Lippen. „Aber das gehört vielleicht nicht wirklich hier her." Er spürte, wie ihre Hand sich in seiner entspannte und ließ sie nach einem weiteren kurzen Augenblick wieder los. „Also, was machen wir heute?" Er sprühte geradezu vor Energie und Tatendrang, und Buffy konnte ihn immer wieder nur erstaunt mustern.

„Ich würde vorschlagen zum Hauptquartier zu fahren, wenn Miss Summers ihr Frühstück be­endet hat." Sie hatte den leicht tadelnden Ton in seiner Stimme durchaus mitbekommen. „Miss Summers, Ihre Idee einen Brief als Warnung an Ihren Wächter zu schreiben, finde ich im Prinzip wirk­lich gut. Doch denke ich, wir sollten vielleicht vorher noch einige Nachforschungen an­stel­len, die in der Zukunft helfen können die ganze Angelegenheit zu verstehen, und dann wo­mög­lich sogar vollkommen verhindern zu können."

„Sie meinen, wir müssen herausfinden, wer uns da in die Vergangenheit geschickt hat, damit Buffy diesen Jemand in unserer Zeit dann zur Strecke bringen kann?" Die Leich­tig­keit und Heiterkeit waren aus seinem Verhalten verschwunden. Wer Spike in diesem Augenblick zum ersten Mal begegnete konnte sich wahrscheinlich nicht vorstellen, dass er jemals etwas anderes getan hatte, als mystische Phänomene zu untersuchen und zu recherchieren. Er wirkte ernst und seriös, fast wie ein Wächter – eine Vorstellung, die ein belustigtes Lachen auf ihre Züge zauberte.

„Ja, genau das meinte ich. Denn es steht zu befürchten, dass ein einfaches Wissen um dieses Portal nicht den nötigen Effekt haben wird, um die Geschehnisse wirklich zu verändern. Ihre Gegner werden einen anderen Weg finden, und sobald das Portal geöffnet wird, werden sich die Ereignisse wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grad wiederholen."

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Es war ein heißer Tag, wie es in London Ende September nur selten vorkam. Die Luft war schwülwarm, und Buffy wünschte sich nichts sehnlicher herbei, als eine Klimaanlage. Auf ihre Frage, ob es in England so was denn nicht gebe, schoss Spike ihr nur einen gespielt gehässigen Blick zu und beschrieb, wie wunderbar es doch sei, keine Außentemperaturen spüren zu können.

Sie hatten inzwischen eine gewisse Routine bei den Nachforschungen entwickelt. Sie waren auf­einander eingespielt und wussten oftmals schon ohne Worte, was der andere wollte, wenn eine Frage aufkam. Auf diese Weise kamen sie mittlerweile sehr schnell durch die verschiedenen Nach­schlagewerke, die Richard aus der Bibliothek des Rates zu Hilfe nahm. Besonders beein­druc­kend fand der Wächter die Zusammenarbeit zwischen Spike und Buffy, und er fragte sich, ob es an der übernatürlichen inneren Verbundenheit lag, die zwischen jedem Vampir und der Jägerin exis­tierte, oder ob es einfach an der Vertrautheit zwischen den beiden lag.

Doch trotz der guten und effektiven Arbeitsweise, schienen sie an diesem Tag nur schlep­pend voran zu kommen. Der Abend näherte sich, und Buffy war dankbar, als sie endlich die schweren Vorhänge öffnen und die Fenster aufreißen konnten, um die sich langsam abkühlende Abendluft auch in Richards Büro ihr Werk tun zu lassen.

Allmählich leerte sich das Hauptquartier des Rates, und als sich Mitternacht näherte, waren sie fast allein in dem großen, alten Gebäude. Keiner von ihnen hatte seit mindestens einer halben Stunde ein Wort gesagt, als die beiden Männer plötzlich von Buffys ruckartigen Bewegungen aus ihrer Konzentration ge­ris­sen wurden. Spike, der von diesen dämlichen Nachforschungen sowieso schon seit Stunden die Nase voll hat­te und dementsprechend gereizt war, wollte schon einen bissigen Kommentar über ihre Fähigkeit Tote erschrecken zu können abge­ben, als er ihre plötzliche Blässe bemerkte.

„Buffy?" Er legte sein Buch zur Seite, als er keine Reaktion bekam und war in der nächsten Sekunde an ihrer Seite. „Was ist los, Liebes?" Behutsam nahm er ihr das handgeschriebene Buch, in dem sie las, und auf dessen Seiten noch immer ihre vor Schreck geweiteten Augen gerichtet waren, aus der Hand, setzte sich wieder auf seinen Platz und überflog das Kapitel, in dem Buffy gerade war. Un­mit­tel­bar erkannte er die Worte, die Buffy so aus der Fassung gebracht hatten. Schlüssel und Bestie.

„Was ist los?" Richard stand ein wenig hilflos vor seinem Schreibtisch und bedachte Buffy mit einem leicht besorgten Blick. „Haben Sie etwas entdeckt?"

„Nein, sie ist nur zufällig auf einen Text gestoßen, der sie an ein Problem zu Hause erinnert hat." Spike überlegte einen Moment, als ihm plötzlich ein Gedanke kam. „Eigentlich könnte dieser Text sogar wichtig sein für unsere Nachforschungen in Sunnydale dieses Problem betref­fend. Wenn wir den Brief schreiben, können wir dann vielleicht den Inhalt dieses Textes mit ein­be­ziehen. Falls es klappt, könnten uns diese Informationen sehr von Nutzen sein." Er hielt sich nicht damit auf, sich zu fragen, seit wann es auch seine Nachforschungen in Sunnydale waren.

„Aber wäre das nicht ein Eingriff in die Weltgeschichte?" Vampir und Wächter drehten sich zur Jägerin um, die zwar immer noch blass, aber doch schon wesentlich gefasster war.

„Finde ich nicht, immerhin hast du die Textstelle selbst gefunden. Außerdem existiert der Rat der Wächter samt Bibliothek auch in 120 Jahren noch, also wahrscheinlich auch diese Auf­zeich­nungen." Spike sah das ganze von der praktischen Seite, obwohl er zugeben musste, dass ihm ein Verändern der Weltgeschichte ziemlich egal war, wenn es helfen konnte Dawn zu schützen.

„Da muss ich Spike zustimmen. Die Aufzeichnungen der Wächter gehören ebenso zur Jägerin. Vielleicht haben Sie sie in der Zukunft nur noch nicht gefunden, würden aber bald darauf aufmerksam werden. So kommen Sie sich selbst eben etwas zuvor. Der Rat hat bis jetzt noch immer alle Informationen gefunden, und ich nehme an, dass das auch in Zukunft noch so bleiben wird." Im Gegensatz zu Richard entging Spike das halblaute Schnauben, das Buffy für die Erwähnung des Rates unter der Leitung von Quentin Travers im Jahr 2001 übrig hatte, nicht. Wahrscheinlich konnte Richard sich die Schwierigkeiten zwischen der Jägerin und dem Rat nicht einmal ansatzweise vorstellen. Wenn sie ihm erzählen würde, dass sie sich vom Rat losgesagt hatte, und Giles – der Nachfahre, auf den Richard so stolz war – auf Grund mangelnder Ob­jektivität seinem Schützling gegenüber, gefeuert worden war, würde ihn vermutlich auf der Stel­le der Schlag treffen. Obwohl Richard diesen Grund vielleicht noch vor allen anderen ak­zep­tie­ren könnte. Spike hatte ihn beobachtet, im Umgang mit seiner Familie, aber auch im Um­gang mit Buffy. Entgegen aller Lehrsätze des Rates der Wächter, ging Richard feste Bin­dun­gen ein. Er hatte nicht nur geheiratet, um die Linie fortzuführen. Seine Familie, besonders seine Tochter, bedeutete ihm alles. Und auch Buffy war ihm inzwischen ans Herz gewachsen. Manchmal, wenn er sie anschaute, hatte er einen ähnlichen Ausdruck in den Augen, wie Rupert, wenn er Buffy musterte. Mit einer Mischung aus Stolz und Zuneigung, die in Ruperts Fall nur als innige Liebe bezeichnet werden konnte.

Sie beschlossen, die Arbeit auf den nächsten Morgen zu vertagen und nach Hause zu fahren. Richard hatte nicht noch mal nachgehakt, worum es bei ihrem „Problem" denn ging, und was dieser ominöse Schlüssel damit zu tun hatte. Vielleicht hatte er an ihrem Verhalten erkannt, dass sie kein Wort darüber verloren hätten. Als sie aus dem Gebäude traten, hatte es angefangen zu regnen, und der Regen brachte endlich die Abkühlung, die man den ganzen Tag herbeigesehnt hatte. Die Fahrt verlief wesentlich ruhiger, als die Abende zuvor. Buffy hing nicht wie gebannt aus dem Fenster der Kutsche und beobachtete die Passanten und die beeindruckenden Bauten von London, sondern hockte zusammengekauert in einer Ecke der Kutsche und versuchte krampfhaft die Augen offen zu halten, bis sie in ihrem Bett angelangt war.

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Sie rannte. Ohne zu wissen wohin, rannte sie einfach. Es war dunkel, so dunkel, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Und sie hatte noch nie eine solche Angst vor der Dunkelheit verspürt. Es war nicht natürlich, sie lebte in der Dunkelheit, warum fürchtete sie diese auf einmal?

Jeden Moment konnte sie gegen etwas laufen, denn sie war sich sicher, noch nie hier gewesen zu sein. Trotzdem rannte sie weiter. Sie musste. Sie durfte nicht stehen bleiben, nicht einmal langsamer werden. Ihr Leben hing davon ab.

Nein, nicht ihr eigenes Leben. Dawn. Ihre kleine Schwester. Sie musste schneller werden, sonst –

Dawn!

Es wurde heller, doch die Sicht wurde dadurch nicht besser. Im Gegenteil. Die Strahlen des frü­hen Sonnenlichts brachen sich in den Nebelschwaden und machten sie blind für die Um­ge­bung.

Ihr Herz pochte viel zu laut. Es rauschte in ihren Ohren und machte sie fast taub. Sie würde es nicht hören. Wie konnte sie es hören, wenn sie lediglich das Pochen und Rauschen ihres eigenen Seins wahrnehmen konnte? Sie musste schneller werden.

Ein Wald! Sie war in einem Wald. Es roch nach feuchten Bäumen, schwer und doch sicher. Nein, nicht sicher. Sie war nicht sicher. Sie musste schneller werden.

Jemand war hinter ihr. Sie konnte es spüren, das sichere Wissen, wenn jemand hinter einem her ist. Dieses Kribbeln im Nacken, als würde jeden Moment jemand nach ihr greifen. Fast konnte sie die kalten Finger schon spüren, die sich an ihrer Schulter festkrallen würden. Sie durfte auf keinen Fall langsamer werden. Es wäre Dawns Todesur-

Lachen! Ein kicherndes, fast kindliches und doch tödliches Lachen.

Es wurde heller, doch der Nebel lichtete sich nicht. Im letzten Moment wich sie einem Baum aus, der sich auf ihrem Weg befand. Warum sie nicht dagegen gelaufen war, konnte sie nicht sagen.

Das Lachen wurde lauter. Ein weibliches Lachen, und doch unnatürlich. Über­natürlich.

Plötzlich war der Nebel verschwunden, und sie konnte es sehen. Sie hatte Dawn. Glory! Sie entdeckte Buffy auf der anderen Seite der breiten Schlucht und grinste. Auch Dawn konnte ihre Schwester nun sehen. Ihre Augen angstgeweitet, während sie versuchte sich Glorys tödlichem Griff zu entreißen. Nein, was –

„Du bist nicht schnell genug gewesen, Schätzchen."

Das Geräusch brechender Knochen hallte auf der ganzen Welt wider.

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„Nein!"

Der Schrei riss ihn unsanft aus dem Schlaf. Für einen Moment wusste er nicht, wo er war, wie er hierher gekommen war, und auch das Warum bahnte sich nur langsam wieder seinen Weg in sein Gedächtnis. Verärgert über was auch immer ihn geweckt hatte, versuchte er sich wieder umzudrehen, um weiterschlafen zu können. Als wäre es nicht schwierig genug für ihn nachts zu schlafen, jetzt wurde er auch noch dabei gestört.

Es dauerte etwa zwei Sekunden, bis er die Stimme, die laut geschrieen hatte, im Nachhinein doch noch erkannte. Buffy! In diesem Moment konnte er es hören – ihren erhöhten Herzschlag, der ein eindeutiges Zeichen für Panik war. Er konnte ihre Angst riechen. Sie war in Gefahr und brauchte Hilfe. Ohne noch einen weiteren Augenblick zu zögern, war er auf den Beinen, hatte sich ein Paar Hosen übergestreift und die Distanz zu ihrer Verbindungstür überwunden. Er hielt sich nicht damit auf, erst anzuklopfen, sondern trat ohne zu zögern ein.

Im ersten Moment war er verwirrt, sie schlafend vorzufinden, hatte er doch damit ge­rech­net, sie im Kampf gegen einen Dämon oder Vampir anzutreffen. Spike wusste nicht, was er machen sollte, und beobachtete sie eine Weile nur hilflos, während er versuchte sich darüber klar zu werden, ob er einfach wieder gehen, oder sie aufwecken sollte. Sie hatte im Schlaf ihre Bett­decke weggestrampelt und ihre Haare klebten an ihrem ver­schwitz­tem Körper. Sie atmete schnell und unregelmäßig und warf sich fast panisch ständig von einer auf die andere Seite. Sie hatte einen Alptraum.

Vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, näherte er sich dem Bett, in dem sie nun bereits seit sechs Nächten schlief. Sie sah so klein und verletzlich aus, als er sie so betrachtete. Zwei Eigenschaften, die er bis jetzt noch nicht oft mit Buffy in Verbindung gebracht hatte. Normaler­weise strahlte sie eine Stärke aus, die jeden Mann, der über kein starkes Selbst­­bewusstsein verfügte, automatisch zurück schrecken ließ. Lahmarsch Riley Finn jedenfalls hatte mit dieser Stärke nicht um­gehen können, und sie dafür leiden lassen. Nicht, dass ihm das was ausgemacht hätte, Finn war der größte Trottel auf dieser Erde und verdiente eine Frau wie Buffy nicht. Er konnte einfach nicht mit ihr mithalten, und über kurz oder lang hätten seine Minder­wertig­keits­komplexe ihre Beziehung zerstört, oder sie hätte versucht ihm weiszumachen, dass sie ihm nicht überlegen war, und dann hätte es sie selbst zerstört. So oder so, Buffy und Finn waren nicht füreinander geschaf­fen.

Doch was Riley nicht wusste, war, dass Buffy durchaus auch eine schwache Seite hatte, die das Bedürfnis hatte, sich an eine stärkere Person anzulehnen. An eine Person, die sie trösten konnte, und ihr versichern würde, dass alles wieder gut werden würde. Spike war erstaunt und überrascht gewesen, diese seltene Schwäche in ihr kennengelernt zu haben, als sie verzweifelt auf den Stufen hinter ihrem Haus gesessen hatte, und ihm von der Krankheit ihrer Mutter erzählt hatte. Zu behaupten dieser Moment wäre schön gewesen, wäre glatt gelogen, dazu waren die Sorgen, die er sich augenblicklich um Joyce Summers gemacht hatte, zu groß gewesen. Er mochte die Frau, gab sie ihm doch immer das Gefühl, ein Mitglied der Gesellschaft zu sein, das es verdiente respek­t­voll behandelt zu werden. Und doch gehörte dieser Abend zu den ange­neh­meren Erin­ne­rungen der letzten Jahre, weil es das erste mal gewesen war, dass Buffy ihn nicht wie ein seelenloses Stück Dreck, sondern wie einen fühlenden Mann angesehen hatte. Und das hatte ihm gefallen. Sie hatten lange einfach schweigend zusammen im Garten gesessen und die Sterne betrachtet, bis sie irgendwann aufgestanden war, und müde zurück ins Haus getrottet war, ohne noch ein Wort zu sagen. Doch das war auch nicht nötig gewesen, denn er wusste, er hatte ihr an diesem Abend helfen können. Zum Glück hatte sich Joyces Krankheit als nicht so ernst herausgestellt, wie man ursprünglich vielleicht angenommen hatte. Die Medikamente, die sie bekam sollten ihr helfen das Problem in den Griff zu bekommen. Jedenfalls war es das, was die Ärzte zu Buffy gesagt hatten.

Jetzt sah er diese Verletzlichkeit, die er an diesem Abend vor noch gar nicht so langer Zeit hatte beobachten können, wieder, und es berührte sein totes Herz, sie so zu sehen. Unterbewusst fragte er sich, wann er eigentlich ein solcher Softie geworden war, schob eine Beantwortung dieser Frage aber in seinen Hinterkopf, um sich zu einem späteren Zeitpunkt damit befassen zu können.

„DAWN! NEIN!" Er schrak zusammen, als sie plötzlich laut den Namen ihrer Schwester schrie. In diesem Moment war er bei ihr und rüttelte sie sanft an den Schultern, um sie aus dem schrecklichen Traum zu befreien.

„Buffy, wach auf! Buffy!" Er rief immer wieder ihren Namen, um sie aufzuwecken, doch sie war zu tief in ihrem Traum gefangen, um äußere Einflüsse wahrzunehmen. Beruhigend griff er nach ihren Händen, doch auch das schien keine Wirkung auf sie zu haben. „Buffy, komm schon, wach endlich auf!" Er klang jetzt ärgerlich, doch die Wahrheit war, sie jagte ihm ein bisschen Angst ein. Er kannte sich nicht gut mit Alpträumen aus, doch die Art und Weise, wie ihr mittlerweile die Tränen übers Gesicht strömten, sie immer wieder den Namen ihrer Schwester rief und ihr Herzschlag immer schneller zu werden schien – das alles gefiel ihm ganz und gar nicht.

„Buffy!" versuchte er es ein letztes Mal, und als sie wieder nicht reagierte, überleg­te er nicht mehr lang, sondern verpasste ihr eine Ohrfeige. Die Strafe dafür folgte auf dem Fuß, als der sengende Schmerz in seinem Kopf ihn fast bewusstlos werden ließ. Doch sein Opfer wurde belohnt, als er sah, wie sie plötzlich die Augen aufschlug und gehetzt ihre Umgebung absuchte.

„Dawn?" Sie blickte sich fragend um, bis sie den blonden Vampir, der neben ihr auf ihrem Bett saß, erkannte. „Spike, was..?"

„Du hattest einen Alptraum, Liebes." Er erkannte, als die Erinnerung an die Bilder des Traums in ihr Bewusstsein vordrangen, denn Horror und Schmerz waren nun in ihren Zügen sichtbar. Noch immer hielt er eine ihrer Hände, und sie schien sich fast krampfhaft daran festzuhalten. Etwas ruhiger lehnte er sich in ihrem Bett zurück, so dass er aufrecht neben ihr saß, und gab ihr so die Möglichkeit, sich entweder an ihn zu lehnen, oder auch nicht. Er war mehr als überrascht, als sie sich zitternd an ihn schmiegte, als suche sie in seiner Umarmung Trost und Geborgenheit. Hätte er noch einen Herzschlag gehabt, hätte er in diesem Augenblick mit Sicher­heit für einige Sekunden aufgehört, so verblüfft war er, und als er ihre warmen Tränen auf seiner bloßen Haut spürte, legte er ihr etwas unbeholfen die Arme um die Schultern um ihr ein Gefühl der Sicherheit bieten zu können.

„Ich sollte zu Hause sein", flüsterte sie so leise, dass er es unter normalen Umständen wahr­scheinlich nicht gehört hätte, doch sein hochsensibles Vampirgehör hatte die Worte ver­standen.

„Ich weiß." Sie musste ihm nicht erklären, was sie damit meinte, denn er hatte die Angst um die Sicherheit ihrer Schwester durchaus mitbekommen, als sie am Nachmittag über dieses Kapitel über den Schlüssel gestolpert war. Auch er machte sich Sorgen um Dawn. Sie war jetzt praktisch schutzlos, und nur Giles und die Scoobies standen noch zwischen ihr und Glory. „Es geht ihr bestimmt gut", versuchte er sie zu beruhigen, auch wenn ihm bewusst war, wie leer seine Worte im Prinzip klingen mussten.

„Das kannst du nicht wissen." Ihre Worte klangen nicht anklagend, mehr, als flehe sie ihn an, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Das konnte er natürlich nicht, aber er konnte es wenigstens versuchen.

„Nein, aber ich kenn doch deine Freunde. Diese Bande von Nichtskönnern ist fähiger, als man glauben möchte. So oft, wie ihr schon meine Pläne durchkreuzt habt, ist es ein Wunder, dass es überhaupt noch nötig war, mich hierher zu schicken, um meine Verwandlung zu verhindern." Er spürte, wie sie sich leicht entspannte, und sogar ein kleines Lächeln zustande brachte.

„Wir haben dir ganz schön oft in den Hintern getreten, nicht wahr?"

„Jetzt werd hier mal nicht frech, junge Dame", antwortete er mit einer Stimme, die ihr vor zwei Jahren noch bedrohlich erschienen wäre. Sie fragte sich, ob sie in Wahrheit immer schon so ... harmlos geklungen hatte. Aber vielleicht lag es auch nur daran, dass er die Worte im Moment nicht ernst gemeint hatte. Es waren Momente, wie diese, in denen es ihr schwer fiel, sich daran zu erinnern, dass Spike im Grunde seines Wesens ein böser Dämon war, und nicht einer der Guten. Er machte es einem leicht es zu vergessen, dass die Bremse in seinem Körper keine Seele war, wie bei Angel, sondern ein Stück Metall, das nichts an dem änderte, was er war. Doch solche Gedanken wollte sie jetzt nicht haben, dazu fühlte sie sich im Augenblick zu geborgen in seiner Umarmung.

„Hätte es nicht gereicht, wenn ich allein hierher gekommen wäre?" fragte sie nach einer Weile, in der Spike schon fast die Augen wieder zugefallen wären.

„Wie meinst du das?"

„Na ja, wenn verhindert werden soll, dass du verwandelt wirst, wäre es dann nicht wahr­schein­licher, dass ich das verhindere, wenn ich gar nicht weiß, dass du der eigentliche Grund für mein Hier sein bist?" Sie löste ihre Hand aus der seinen und lehnte sich ein Stück zurück, um ihn ansehen zu können.

„Ich fürchte, ich kann dir nicht folgen, Liebes."

„Nehmen wir einfach mal an, ich wache allein hier in der Gegend auf. In London 1879. Ich treffe Leute der Gesellschaft und unter anderem einen William Atherby, der mich vom Aussehen her doch ziemlich an einen nervigen, zahnlosen Vampir aus meiner Heimat erinnert." Sie grinste, als sie sah, dass er zum Einspruch ansetzen wollte, und fuhr unbeirrt fort. „Glaubst du nicht, dass ich, während ich mit Richard Giles – der mir übrigens weit mehr vertrauen würde, wenn ich ohne Vampir bei ihm auf der Matte stehen würde – dicke Bücher wälze, zwischendurch noch ein gutes Werk vollbringe und einen jungen Mann davor bewahre zum Opfer eines verrückten Vampirs zu werden, ohne zu wissen, dass ich damit eventuell das Schicksal der Menschheit besiegeln könnte?"

„Hm, so erschreckend ich das jetzt vielleicht auch finde, aber ich glaube, ich verstehe deinen Standpunkt. Meinst du also, dass diese Typen ganz schön unüberlegt gehandelt haben, als sie uns zusammen hierher verfrachtet haben?" Sie nickte nur und schmiegte sich wieder näher an. Die Geste kam für ihn wieder unerwartet, da er eigentlich angenommen hatte, dass sie ihn sofort aus ihrem Bett werfen würde, sobald sie den ersten Schrecken verwunden hatte. „Vielleicht hatte wer immer uns hier auch hingebracht hat, die Befürchtung, du könntest dich in dieser Zeit nicht zurecht finden."

„Meinst du wirklich? Kann ich mir nicht vorstel... gut, ich kann mir vorstellen, mich hier nicht zurechtzufinden, aber ich kann nicht glauben, dass jemand meint, ich komme besser mit dir zurecht, als allein – und das meine ich jetzt nicht persönlich." Spike dachte für einen Moment über ihre Worte nach, und schüttelte dann nachdenklich den Kopf.

„Ich weiß nicht. In dieser Prophezeiung stand ja ziemlich eindeutig, dass ich ein Kämpfer des Guten werden könnte – eine Aussicht, die mich im Übrigen noch immer mit Scham und Bedauern erfüllt." Er fing die Faust auf, bevor sie seine Magengrube treffen konnte. „Vielleicht gingen Die davon aus, dass ich jetzt schon ein frommes Lamm bin, und wir zwei uns so gut verstehen, dass du, sobald wir hier sind, meinem menschlichen Ich die Möglichkeit geben möchtest auf die altmodische Art ins Gras zu beißen."

„Klingt konstruiert, find ich", sagte sie nach einer Weile.

„Ich finde, ich hab wenigstens Punkte für den Versuch verdient", protestierte er mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. Sie schien ihren Angsttraum verdrängt zu haben.

„Ich glaube, Glory hat was damit zu tun."

‚Oder auch nicht', schoss es Spike unwillkürlich durch den Kopf, als das Gespräch sich wieder Dawn zuwendete. „Meinst du, sie hat uns beide hierher bringen lassen, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen?"

„Wäre nicht so abwegig, oder? Immerhin sind wir die einzigen, die Dawn auch nur annähernd schützen können." Ein Lächeln bildete sich auf seinen Zügen, als er hörte, wie selbstverständlich sie ihn als Beschützer ihrer kleinen Schwester bezeichnete, und dieses Vertrauen versetzte ihm einen sentimentalen Stich.

„Im Prinzip ein logischer Gedanke, obwohl ich jetzt nicht so viel über diese Schlampe weiß. Aller­dings hat die Sache einen Haken." Er bewegte seinen Arm, der noch immer locker auf Buffys Schultern lag, doch sie schien das nicht zu stören. „Glory weiß nicht, dass Dawn der Schlüssel ist, und deshalb bringt es für sie nichts, wenn sie uns beide wegbringt. Sie will ja vielmehr was von dir. Den Schlüssel, und solange sie nicht weiß, wer oder was der Schlüssel ist, wird sie dich doch in ihrer Nähe haben wollen, da sie sich wahr­schein­lich noch immer ausrechnet, dass du es ihr eines Tages sagen wirst."

„Da kann sie warten, bis die Hölle zufriert", war der Kommentar, der automatisch von ihren Lippen kam. „Deine Theorie hat natürlich auch ein ziemliches Leck. Denn was ist, wenn sie denkt, ich hätte meinen Freunden oder meiner Familie von dem Schlüssel erzählt. Dann hat sie ihr Ziel erreicht. Ich bin aus dem Weg, und sie kann nach und nach all meine Freunde umbringen, bis ihr jemand die Wahrheit gesteckt hat." Die Vorstellung ließ sie wieder erschaudern. Sie beugte sich nach vorn, und griff nach der Bettdecke, die achtlos am Ende des Bettes lag und deckte sie beide damit zu, bevor sie es sich in Spikes Armen wieder gemütlich machte.

„Eigentlich glaub ich das weniger. In der Dämonenwelt wirst du als ziemliches Schreck­gespenst beschrieben. Intelligent, Einzelgänger und so weiter. Eine Jägerin würde so wichtige Geheimnisse nicht weitererzählen", sagte Spike in ziemlich nach­denk­­lichem Tonfall, was ihm tatsächlich ein Kichern von Seitens Buffy einbrachte, wenn es auch humorlos und sarkastisch klang.

„Na, dann hoffe ich mal, dass Glory diese Gerüchte auch gehört hat, und noch nicht zuviel von der extravaganten Buffy Summers gehört hat, die bisher noch jede Regel gebrochen hat." Sie seufzte tief, als sie versuchte es sich noch bequemer zu machen. Ihr Kopf lag halb auf seiner Schulter und halb auf seiner Brust, einer seiner Arme hatte sich behutsam um ihren Rücken geschlungen. „Sie ist in dich verknallt, weißt du", sagte sie plötzlich unwillkürlich.

„Was?" Spike war sich nicht sicher, ob er sie richtig verstanden hatte.

„Dawn. Sie ist in dich verknallt", murmelte sie, während ihr langsam die Augen zufielen. „Ich denke, sie hält dich für ihren Ritter in strahlender Rüstung."

„Tatsächlich?", fragte er gespielt erstaunt und grinste zufrieden. Natürlich hatte er bemerkt, wie Dawn ihn manchmal verliebt anschmachtete, doch er hätte nie gedacht, dass es auch Buffy aufgefallen war.

Spike betrachtete die Jägerin im Dunkeln, wie sie an seinen Körper geschmiegt, die Augen geschlossen, dalag, und sich ihm praktisch völlig auslieferte. Gut, sie wusste, er konnte ihr nichts antun, aber trotzdem hatte er das Gefühl, noch nie einem Menschen begegnet zu sein, der ihm so bedingungslos vertraut hatte, wenn dieses Vertrauen vermutlich auch nur für einen sehr kurzen Zeitraum halten würde.

„Wir werden einen Weg nach Hause finden", murmelte er sanft an ihre Schläfe, als er spürte, wie ihr Körper ruhiger wurde, und der Schlaf sie langsam wieder zu überkommen drohte. „Und es wird ihr gut gehen", fügte er flüsternd hinzu, innerlich betend, er möge Recht behalten. Niemand würde dem Krümel etwas antun, nicht solange er noch auf dieser Erde weilte. Er hätte sie gern nach ihrem Traum gefragt, doch er entschied, dass sie ihm davon erzählt hätte, wenn sie es gewollt hätte. Sie zu bedrängen hatte sowieso keinen Sinn, dazu war sie viel zu stur.

Gedankenverloren strich er ihr eine Haarsträhne aus der Stirn und rutschte vorsichtig, um sie nicht wieder zu wecken, im Bett ein Stück weiter nach unten, um ebenfalls in eine liegende Position zu kommen. Um keinen Preis der Welt hätte er sie jetzt verlassen. Vielleicht waren es egoistische Gründe, die ihn dazu trieben, sie weiterhin im Arm zu halten, doch er wollte dieses Gefühl noch etwas länger genießen. Das Gefühl gebraucht zu werden und wirklich helfen zu können. Das Gefühl, dass man es wert war, wenn einem Vertrauen geschenkt wurde. Das Gefühl genau da zu sein, wo das Schicksal ihn immer hatte haben wollen. Es fühlte sich einfach richtig an, und er konnte es sich auch noch so oft versuchen es Einbildung zu nennen, sein Instinkt sagte ihm, dass es Realität war.

Schon lange hatte er insgeheim etwas gespürt, was er sich im Zusammenhang mit der Vampirjägerin einfach nicht eingestehen wollte, was Richard aber anscheinend auch schon festgestellt hatte. Sicher, sie hatte einen fantastischen Körper und eine wahnsinnige sexuelle Ausstrahlung – das war ihm bereits am ersten Abend, als er sie im Bronze hatte tanzen sehen, aufgefallen. Und wäre er damals nicht mit Dru zusammen gewesen, hätte er sich ein Abenteuer mit ihr durchaus vorstellen können. Doch das allein war es nicht. Da war mehr. Eine Art Verbindung, die ihn bisher davon abgehalten hatte, sie zu töten, auch wenn er vor drei Jahren noch wirklich der Überzeugung gewesen war, genau das tun zu wollen, und wenn er ehrlich gewesen war, hatte er auch mehr als eine Chance gehabt es wirklich zu tun. Doch er hatte es nicht, und auch sie hatte keinen ihrer Angriffe auf ihn zum Ende bringen können. Wirklich so, als hätte eine höhere Macht sie daran gehindert, sie davor bewahrt den letzten Schritt zu tun, nach dem es kein Zurück mehr gab.

Vielleicht war doch etwas dran an dem, was die beiden Wächter, mit denen er jetzt in seinem Leben gesprochen hatte, gesagt hatten, und er war wirklich vom Schicksal dazu bestimmt die Welt zu retten. Aber war das möglich? Warum sollten die Mächte da oben gerade einen seelenlosen Vampir dazu auserwählen die Welt zu retten? Das wäre ja ziemlich krank, wenn man es genau betrachtete. Aber vielleicht lag auch gerade darin die Genialität. Das wahre Gute, das sogar einen bösen, seelenlosen Vampir bekehren konnte, konnte vermutlich jeden überzeugen. Aber würde er jemals wirklich gut sein können, selbst wenn er es wollte, und im Moment hatte er eigentlich nicht das Gefühl jemals soweit sein zu werden. Zugegeben, sein letzter Mord war jetzt schon verdammt lange her, und auch der Drang zu töten hatte in den letzten Monaten abgeflaut, und dennoch ... er war doch immer noch der Gleiche, oder? Der selbe Spike, der vor zwei Jahren noch Jagd auf Menschen gemacht hatte, um sich eine Mahlzeit zu organisieren, der selbe Spike, der vor wenigen Monaten noch versucht hatte, Buffy und ihre Freunde gegeneinander auszu­spielen, der selbe Spike, der willens war Buffy und die Welt zu opfern, solang er seine Drusilla in den Armen hielt und verschwinden konnte.

Warum dann konnte er sich all das jetzt nicht mehr bildlich vorstellen? Warum schob sich in seinem Bewusstsein immer wieder Buffys Gesicht davor, wenn er daran dachte jemanden zu töten? Warum war alles, woran er denken konnte, die Missbilli­gung, die er in ihrem Blick sehen würde, und die abgrundtiefe Enttäuschung über seine Tat? Warum war ihm ihre Meinung so wichtig? War sie sein Gewissen geworden, das seine Seele vor so vielen Jahren gewesen war? Hatte sie ihn wirklich so weit gebracht, dass er sich tatsächlich um das kümmerte, was er tat und wie er es tat?

Eigentlich war die Frage leicht zu beantworten. Ja. Sie war der Grund für die Verän­de­run­gen, die in ihm vonstatten gingen. Sie war das erste, an das er morgens dachte, wenn er auf­wachte, und sie war das letzte, was er sah, wenn er abends die Augen schloss. Sie war ständig da, füllte sein Bewusstsein mit süßen Gedanken und erotischen Phantasien. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war – und gerade jetzt schien er das verdammt noch mal zu sein – war dieser Zustand nicht erst eingetreten, nachdem sie hier in London gestrandet waren. Auch zu Hause schon, hatte sie ständig seine Gedankenwelt bestimmt, hatte ihn gequält mit ihrer ständigen Präsenz, doch er hatte es sich einfach nicht eingestehen wollen. Denn das war nichts, was ein Vampir leicht zugeben konnte. Es war einfach etwas, was nicht passieren sollte, und doch kam es vor. Selten zwar, aber nicht unmöglich.

Sie regte sich in seinen Armen, und unwillkürlich verstärkte er den Griff, mit dem er ihre Schulter umfangen hielt. Wie sie wohl darauf reagieren würde, wenn er es ihr sagte? Würde sie lachen, total ausflippen und ihn pfählen? Würde sie ihn ernst nehmen? Angst bekommen? Er konnte sich ihre Reaktion nicht vorstellen, wenn er ihr gestand, wie sehr er sie liebte.

Also was denkt ihr? Sind Spike und Buffy zu sehr ooc? lg, N.Snape