acht
Los Angeles, 16. Februar 2001
Die Stimmung im Hyperion Hotel glich der eines Bestattungsunternehmens. Kaum ein Geräusch war zu hören, die Räume waren nicht hell erleuchtet, die Vorhänge zugezogen. Es erweckte den Anschein, als sei das Gebäude unbewohnt.
In der ersten Etage saß der Besitzer des Hotels in seinem Zimmer und zeichnete. Es schien das einzige zu sein, was er in den letzten Wochen überhaupt noch getan hatte. Er zeichnete sie. Sie war alles, was seine Gedanken beherrschte, alles was im Moment zählte. Warum, das konnte er nicht einmal sagen. Sicher, sie hatte schon immer einen wichtigen Part in seinem Leben gespielt, aber seit Jahrzehnten hatte ihr Dasein nicht mehr so sehr seine Sinne von allem Anderen abgelenkt.
Sie vor vier Jahren zu vernichten war schwer gewesen, darüber ließ sich nicht streiten. Von allen Vampiren, die er gepfählt hatte, war Darlas Tod für ihn der emotionalste gewesen. Sie hatte ihn erschaffen, von ihr hatte er alles gelernt, war mit ihr mordend und plündernd durch Europa und Asien gezogen. Sie waren eine Familie gewesen, Darla, Drusilla, Spike und er. Sie waren schon ein Gespann gewesen. Manchmal wünschte er sich diese Zeiten zurück. Alles war einfacher gewesen damals. Keine Rücksicht auf irgendetwas oder irgendjemanden nehmen zu müssen hatte durchaus seine Vorteile.
Der Fluch hatte alles zunichte gemacht. Er war nie wieder der Gleiche geworden, auch wenn er sich in den ersten paar Jahren nachdem er seine Seele wiedererlangt hatte, nichts sehnlicher gewünscht hatte, als zu seiner Familie zurückkehren zu können. Doch sie hatte ihn verstoßen. Darla hatte ihm ins Gesicht gesagt, er sei verseucht, verseucht mit dem Guten. Wenn er so genau darüber nachdachte, fragte er sich aber schon, wie er mit dem Guten überhaupt gesegnet sein konnte, denn zu Lebzeiten war Liam O'Connor ein Nichtsnutz gewesen. Ein Trunkenbold und Weiberheld. Und doch war Angel ein guter Vampir. Kein Mensch, das konnte er niemals sein, aber ein guter Vampir. Zumindest hatte er das gedacht.
Als Darla vor einigen Monaten wiedergekommen war, und das nicht als Vampir, sondern als Mensch mit einer Seele, hatte sich in ihm etwas verändert. Er hatte angefangen die Dinge zu hinterfragen, hatte wieder viel mehr über seine Zeit als seelenloser Vampir nachgedacht und an die Zeit, kurz nachdem er seine Seele zurückbekommen hatte. Es hatte fast hundert Jahre gedauert, bis er wieder einigermaßen klar hatte denken können, und sein Dasein als seelenloser Vampir war im Vergleich zu Darlas fast lächerlich kurz gewesen. Keine hundertfünfzig Jahre, während sie nun auf etwas weniger als 400 Jahre Blutvergießen, Foltern und Qualen zurückblicken musste. Er hatte sich eingeredet ihr helfen zu können, sie auf den richtigen Weg zu bringen, und ihr ein normales Leben zu ermöglichen – etwas, was ihm auf ewig verschlossen bleiben würde. Doch im Endeffekt hatte er wieder nur versagt. Sie wollte seine Hilfe, aber nicht, damit sie sich an ihre Seele und die Schuldgefühle, die damit verbunden waren, gewöhnte. Nein, sie brauchte ihn, damit sie wieder zu dem werden konnte, was sie war. Das einzige, was sie kannte und sein wollte. Sie wollte die Schuld loswerden. Die Stimmen, die ihr zuflüsterten und immer lauter wurden, bis sie schrieen. Die Stimmen, die sie anklagten, sie immer wieder nach dem Warum fragten. Die Stimmen, die sie langsam aber sicher irgendwann in den Wahnsinn treiben würden. Es war unerträglich für sie. Für sie gab es keinen anderen Ausweg, als den, den sie im Endeffekt beschritten hatte, alles andere hätte sie von innen heraus vernichtet. Sie war gestorben – zum zweiten mal. Nicht durch seine Hand, das hätte er niemals getan. Niemals hätte er sie zu der Hölle verdammt, in die sie ihn vor fast 250 Jahren geschickt hatte. Und doch war er im Prinzip doch für ihren zweiten Tod – und ihre zweite Existenz als Vampir – verantwortlich, denn Drusilla – ein Vampir, den er erschaffen hatte – hatte sie verwandelt.
In dem Moment, als er sich zum ersten mal wieder dem Vampir Darla gegenüber sah, wusste er, dass er versagt hatte. Er war ein Verlierer, der es nicht verdiente überhaupt zu existieren. Hatte er deswegen so gehandelt, wie er es getan hatte? Hatte er deswegen all seine Freunde, Menschen, die ihm mehr bedeuteten, als seine richtige Familie es jemals getan hatte, einfach rausgeworfen, aus seinem Leben verbannt? Wollte er sich selbst bestrafen? Oder wollte er sie bestrafen, weil sie ihn eine Zeit lang hatten glauben lassen, er könne in dieser Gesellschaft etwas bewirken und ein Teil von ihr sein? Aber eigentlich war es auch nicht wichtig, warum er es getan hatte. Allein die Tatsache, dass er es getan hatte, lag nun schwer auf seinem Gewissen. Immer hatten sie hinter ihm gestanden, hatten ihm vertraut, obwohl sie wussten, wozu er fähig war, wenn er jemals seine Seele verlieren sollte. Cordelia hatte es am eigenen Leib erfahren damals in Sunnydale, als er den Fehler gemacht hatte, sich seinen Gefühlen für Buffy hinzugeben. Sie hatte mehr Grund ihn zu verachten und ihm zu misstrauen, als jeder andere hier in Los Angeles, und doch war sie auf ihn zugegangen und hatte ihm ihr Leben anvertraut. In dem Moment war ihm nicht bewusst gewesen, wie viel ihm diese Geste bedeutet hatte.
Aber er hatte es vermasselt. Er hatte ihnen gezeigt, wie nutzlos und wertlos er war. Immer hatte er insgeheim den Tag gefürchtet, an dem sie es erkennen würden, und jetzt da er da war, musste er zugeben, es sich niemals so schlimm vorgestellt zu haben. Er hatte auf der ganzen Linie versagt.
„Angel", die scheinbar süßeste Stimme weckte ihn aus seinen Gedanken, und für einen Moment fürchtete er, sie sei nur eine Halluzination. Aber er konnte sie riechen, ihren Herzschlag hören. Langsam, fast ängstlich vor dem Blick, den sie ihm schenken würde, drehte er sich zu ihr um.
„Cordy." Er fragte sich, ob er wirklich so verzweifelt und betrunken klang, wie er sich in diesem Moment fühlte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, und er fürchtete, es könne sie an einen Serienkiller erinnern, der dem Wahnsinn verfallen war.
„Ist alles in Ordnung bei dir?" Die Frage klang ehrlich besorgt, und wieder konnte er nicht umhin, sich selbst die Frage zu stellen, ob die ganze Szene hier real war.
„Ja... ich... mir geht's gut." Es war natürlich gelogen. Es ging ihm nicht gut, ganz und gar nicht. Aber das sollte nicht ihr Problem sein. Sie sollte sich nicht um ihn sorgen müssen.
„Du bist nicht ans Telefon gegangen." Die Bemerkung hing im Raum, und Angel wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Er hatte nicht mal mitbekommen, dass das Telefon geklingelt hatte. Tolles Vampirgehör hatte er da. Vielleicht wurde er langsam alt.
„Tschuldigung!"
„Willow versucht seit Stunden dich zu erreichen, aber da du nicht ran gegangen bist, hat sie statt dessen bei mir angerufen." Ihre Stimme klang sanft, zu sanft, wenn man bedachte, wie er sich ihr gegenüber in den letzten Tagen benommen hatte. Das Puzzle setzte sich nur langsam zusammen, und in dem Moment, in dem es ein Bild ergab, durchfuhr ihn eine schreckliche Angst.
„Buffy?" Mehr brauchte er nicht zu sagen, sie würde seine Frage auch so verstehen, deshalb war sie ja hier.
„Sie lebt. Aber ich glaube, du wirst in Sunnydale gebraucht." Cordelia setzte sich auf die Couch und legte ihre Handtasche zur Seite.
„Warum hat Buffy mich nicht selbst angerufen, wenn es ihr gut geht?"
„Ich habe nicht gesagt, dass... Sie ist im Moment wohl nicht in der Lage zu telefonieren." Cordy rieb sich mit der flachen Hand über die Stirn und versuchte einen Weg zu finden, dem Vampir ihr gegenüber soviel wie nötig, aber so wenig wie möglich von dem zu sagen, was Willow ihr am Telefon anvertraut hatte. Es war viel passiert seit sie Sunnydale verlassen hatte, und sie konnte sich nicht vorstellen, wie ihre Freunde mit alldem fertig wurden. „Willow möchte dir die Einzelheiten lieber selber erklären, abgesehen davon weiß ich auch nicht alles."
„Ich werde nicht fahren." Angel drehte sich wieder dem Fenster zu, dass mit schweren Vorhängen verdeckt war, um kein Sonnenlicht durchzulassen.
„Wie war das?" Cordy glaubte, sich verhört zu haben. Ungläubig stand sie auf und stellte sich so hin, dass Angel sie ansehen musste. „Du hast gerade nicht wirklich gesagt, was du gesagt hast, oder?" Als sie keine Antwort bekam, fuhr sie unbeirrt fort. „Angel, dass du im Moment nicht gerade bester Laune bist, das habe ich bemerkt. Gott, wir alle haben es bemerkt, als du uns mit einem Fußtritt auf die Straße befördert hast." Sie war wütend, und sie hatte vor, es ihn spüren zu lassen. „Ich weiß, du gibst dir die Schuld an der Sache mit Darla, aber du kannst dich jetzt doch nicht hier verkriechen und dich für immer bemitleiden. Ich sag dir mal was, die Welt dreht sich nicht nur um dich und dieses blonde Miststück. Du hast eine Verantwortung deinen Freunden gegenüber, und wenn du nicht langsam wieder dazu übergehst, dir dessen bewusst zu werden, hast du bald keine Freunde mehr." Frustriert, weil ihre Worte nicht halb so wütend klangen, wie sie sollten, fuhr sie sich durchs Haar und überlegte ihre nächsten Worte genau. „Angel, Darla konntest du nicht retten. Es war zu spät, und es ist an der Zeit für dich das zu akzeptieren. Es war nicht deine Schuld, es war Drusillas, und Lindsays und die von Wolfram&Hart. Aber die Scooby-Gang braucht dich jetzt. Buffy braucht dich."
„Warum sollte sie jemanden wie mich brauchen?" Es standen Tränen in seinen Augen, und Cordelia musste sich beherrschen, um ihm nicht beruhigend über die Wange zu streicheln.
„Weil sie sonst niemanden hat, der deine Stärke und deine Ausdauer besitzt. Sie sind hilflos da drüben am Höllenschlund, und sie brauchen einen Champion, der es schaffen kann, sie zu schützen."
„Ich werde mich gleich auf den Weg machen." Angel stand auf, griff nach einer Reisetasche und warf achtlos einige Kleidungsstücke hinein. Ein Schub Lebensenergie durchfuhr ihn, als er hörte, dass er von jemandem gebraucht wurde. Und dieser Jemand war Buffy. Egal, wie groß im Moment auch seine eigenen Probleme waren, sie brauchte ihn, und er würde sie nicht hängen lassen.
„Wesley und Gunn warten unten im Wagen auf uns", setzte Cordy leise hinzu, ein wissendes Lächeln auf den Lippen, als sie Angels ungläubigen Blick sah. Das hatte er nicht erwartet.
„Ihr kommt mit?" Seine Frage war so leise, dass Cordy sie fast nicht verstanden hätte.
„Denkst du etwa, wir lassen dich allein nach Sunnydale fahren, wenn meine Freunde uns brauchen?" Das Lächeln auf ihren Zügen wurde breiter, als sie sah, wie seine Augen zum ersten mal seit Wochen, wieder den Hauch eines Strahlens besaßen.
„Gib mir noch zwei Minuten."
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„Dawn?" Joyce war gerade die Haustür hereingekommen und suchte flüchtig die untere Etage des kleinen Hauses nach ihrer Tochter ab. „Schatz, bist du da?" Sie erwartete eigentlich nicht wirklich eine Antwort, aber sie musste es wenigstens versuchen. Das hatte auch Rupert gesagt. Es versetzte ihr einen Stich zu wissen, dass Buffys Wächter zur Zeit so weit weg war, nicht in der Lage ihnen helfen zu können, sollte etwas unvorhergesehenes geschehen.
Als Joyce keine Antwort bekam, stellte sie die Einkaufstüten in der Küche ab und fing an, die Lebensmittel auf Kühl- und Haushaltsschrank zu verteilen. Dabei fiel ihr Blick auf die gebrauchten Teller in der Spüle, und sie musste einen Fluch unterdrücken. Unter normalen Umständen hätte Dawn das Geschirr gespült, während sie in der Galerie war, doch im Moment war nichts, wie es einmal war. Innerlich die ganze Situation verwünschend, begann sie die Küche aufzuräumen. Eigentlich war es gar nicht so schlimm. So hatte sie etwas zu tun. Die Küche aufräumen, das konnte sie. Es war leicht, sie musste nicht darüber nachdenken. Es ging ganz automatisch, ohne großen Aufhebens. Zwischendurch lauschte sie immer wieder nach Geräuschen, die Dawn vielleicht ankündigen konnten, doch auch eine halbe Stunde nachdem sie durch die Haustür gekommen war, hatte sie noch kein Lebenszeichen von ihrer Jüngsten erhalten.
Nachdem sie fertig war, überlegte sie einen Moment, was sie tun sollte, bevor sie fest entschlossen die Treppen in die erste Etage bewältigte und erst vor der Tür zu Dawns Zimmer stehen blieb. „Dawn, Liebling, bist du da drin?" Sie hörte ein leises Geräusch, konnte aber nicht ausmachen, was es war. Aber immerhin wusste sie, dass sie zu Hause war, und nicht etwa wieder ausgebüchst, wie an dem Tag, an dem sie die Wahrheit über ihr Dasein erfahren hatte. Das war schon mal ein Vorteil.
Als sie keine Antwort auf ihre Frage bekam, klopfte Joyce zweimal vorsichtig gegen die Tür. „Schätzchen, ist alles in Ordnung?" Nach weiteren zehn Sekunden, drückte sie die Klinke hinunter, um einfach einzutreten, doch musste sie erkennen, dass sie versperrt war. „Dawn, mach sofort die Tür auf." Ihre Stimme hatte einen Großteil ihrer Sanftheit und Fürsorge verloren, jetzt war sie wütend. „Du weißt, dass du die Tür nicht abschließen sollst, wenn du allein im Haus bist. Wenn dir etwas passiert, kann niemand zu dir kommen, um dir zu helfen." Sie klopfte noch ein paar Mal energisch gegen das Holz. „Dawn, jetzt mach endlich die Tür auf." Als jedoch auch diesmal noch immer nichts geschah, und sie von ihrer Tochter ignoriert wurde, drehte Joyce sich wütend um, und floh praktisch von der ersten Etage nach unten. Es war alles zu viel, sie konnte dieses Verhalten von Dawn nicht mehr viel länger ertragen. Rupert hatte gesagt, sie müsse ihr Zeit geben, dürfe sie nicht drängen, ihr aber zu verstehen geben, dass sie immer für sie da sein würde. Doch was sollte sie machen, wenn Dawn nicht einmal zu registrieren schien, dass sie überhaupt existierte?
Sie ahnte nicht, dass ihre Tochter oben in ihrem Zimmer ähnliche Angstgedanken hatte. Die ganze Zeit, während ihre Mutter vor ihrer Zimmertür gestanden hatte, hatte sie versucht Joyce mitzuteilen, sie solle nach unten gehen und ihr Tagebuch lesen. Aber sie hatte den Mund nicht aufbekommen, wie sehr sie sich auch angestrengt hatte. Die Tränen der Anstrengung und Erschöpfung liefen ihr ungehindert die Wangen hinunter, während sich in ihrem Inneren eine Angst ausbreitete, wie sie sie noch nie verspürt hatte. Es war die Angst allein zu sein, niemanden mehr zu haben, auf den sie sich verlassen konnte.
Im Wohnzimmer ließ sich Joyce derweilen ermattet auf die Couch fallen, bevor sie in einer hilflosen Geste die Hände vors Gesicht schlug und ihr Körper sich durch die ersten Schluchzer schüttelte. Wie ein Gewittersturm überkam es sie, und nichts, was sie tat, konnte die Flut an Tränen aufhalten. Doch wie ein Gewitter auf die Natur, hatte der Sturm in ihrem Inneren eine reinigende Wirkung auf ihr Gemüt. Nachdem sie sich ausgeweint hatte, war sie wieder in der Lage sich zusammenzunehmen und ihre nächsten Schritte sorgfältig zu planen. Sie musste sich überlegen, wie sie einen Zugang zu Dawn fand, denn so konnte es nicht weitergehen. Diese Kälte zwischen ihnen, würde sie beide über kurz oder lang sicherlich zerstören. Jetzt allerdings hatte sie nicht mehr die Kraft, noch über diese Dinge nachzudenken. Unbewusst fing sie an, auf dem Tisch nach der Fernbedienung für den Fernseher zu suchen. Ein schlechter Liebesfilm war jetzt genau das, was der Arzt ihr verschrieben hatte – oder verschreiben würde. Sie lag nicht unter der dem Stapel Zeitschriften, die eigentlich sowieso keiner las, und auch nicht neben dem Stapel Rechnungen, die sie noch begleichen musste. Um ein Haar hätte sie das Heft, das mitten auf dem Tisch lag, achtlos zugeklappt, um darunter nachzuschauen, als ihr im letzten Moment noch die Worte ETWAS STIMMT NICHT, die in dicken großen Buchstaben geschrieben waren, ins Auge sprangen. Joyce sah sich das Heft irritiert an, nachdem sie erkannt hatte, worum es sich handelte. Ihr Tagebuch. Das hier war Dawns Tagebuch. Warum ließ sie es hier einfach so achtlos herumliegen? Seit sie angefangen hatte ihre Erlebnisse in einem Tagebuch festzuhalten, hatte sie stets dafür gesorgt, es vor jedermann, besonders vor Buffy, zu verstecken. Und jetzt lag es einfach offen hier im Wohnzimmer.
Joyce fragte sich einen Augenblick, was sie tun sollte. Auf der einen Seite wusste sie, wie viel Dawns Privatsphäre ihrer Tochter bedeutete, doch auf der anderen Seite, waren in diesem Buch vielleicht Antworten enthalten, die Dawn ihr von sich aus ja scheinbar nicht zu geben bereit war. Wenn sie einen Einblick in die Seele ihres Kindes erhalten könnte, wäre sie vielleicht auch in der Lage, ihm zu helfen.
Schnell war ihre innere Schlacht zu einem Ende gekommen, und Joyce begann die Zeilen zu lesen, die Dawn erst einige Stunden zuvor aufgeschrieben hatte. Noch bevor sie die Hälfte gelesen hatte, waren die Tränen auf Joyces Wangen zurückgekehrt, als sie langsam die inneren Qualen ihrer Tochter zu begreifen begann.
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„Willow, Xander!" Noch bevor sie die Tür zur Magic Box völlig aufgestoßen hatte, rief sie laut die Namen der Freunde ihrer Tochter. Die Lichter im Laden waren noch an, und sie hoffte, die Freunde hier zu finden.
„Mrs. Summers?" Willows Herz zog sich vor Angst zusammen, als sie Buffys Mutter sah. Sie sah aus, als hätte sie einen Geist gesehen – oder etwas schlimmeres. „Was ist passiert? Beruhigen Sie sich." Die Hexe führte die blasse Frau zu dem Tisch, damit sie sich setzen konnten.
„Weißt du, wie ich Rupert erreichen kann, Willow?" Ihr Herz klopfte so laut, dass sie befürchtete, es könne jeden Moment vor Überanstrengung stehen bleiben.
„Na ja, er sagte, im Notfall sollten wir einfach beim Rat der Wächter anrufen. Er hat die Nummer dagelassen. Aber..." Joyce sprang auf und lief zum Telefon hinüber. Dabei fiel Willow das Tagebuch in ihren Händen auf. „Joyce, was ist das?"
„Das habe ich zu Hause gefunden." Sie reichte Willow das Tagebuch. „Willow, wir müssen sofort Rupert anrufen und ihm davon berichten."
„Joyce, ich weiß, dass Sie Angst haben, das kann ich verstehen, wirklich, aber Giles hat im Moment selbst genug damit zu tun Buffy wieder zurückzuholen." Als Willow den Namen ihrer anderen Tochter nannte, wurde Joyce noch blasser, als sie es ohnehin schon war. Sie hatte keine Ahnung, wie es Buffy ging, und ihr Wächter versuchte alles, um sie wieder sicher nach Hause zu bringen. Doch sie hatte in den letzten Stunden nicht einmal an Buffy gedacht, sondern nur daran, wie sie endlich einen Weg finden konnte, um zu Dawn durchzudringen. Eine Welle der Schuld überrollte sie, und als die Tränen in ihre Augen zurückkehrten, machte sie keinerlei Anstalten sich dagegen zu wehren.
„Kannst du dir das hier dann bitte mal genauer ansehen. Vielleicht findest du ja einen Hinweis darauf, was sie genau meint."
„Natürlich, ich werde mich gleich an die Arbeit machen." Willow lächelte Joyce aufmunternd zu, als Xander mit einer Tasse Kaffee an ihren Tisch kam.
„Hier, Joyce, trinken Sie das, das wird Ihnen gut tun." Er setzte sich und deutete fragend auf das Tagebuch. „Die Aufzeichnungen der Dawn? Was schreibt der Zwerg denn so?" Er griff nach dem Heft und begann zu lesen, nachdem keine der beiden Frauen auf seine Frage geantwortet hatte. „Oh."
„Wie geht es Ihnen, Joyce?" Willow griff nach der Hand der Frau, die für sie in den letzten Jahren mehr eine Mutter gewesen war, als ihre eigene.
„Ehrlich?" Joyce holte einmal tief Luft und brachte dann ein tapferes Lächeln zustande. „Ich bin fertig. Die letzten Tage waren einfach zuviel. Erst die Sache mit Dawn, dann Buffys Verschwinden, dann wieder Dawns Verhalten, und jetzt ist auch noch Rupert fort."
„Sie halten sich tapfer." Xander tätschelte ihr sanft die Hand, den inneren Drang ihr helfen, sie unterstützen zu wollen, folgend. Joyce bedeutete ihnen allen viel. Sie war der Fels in der Brandung, das Stück Normalität, das man brauchte, wenn man täglich mit Höllenmonstern zu tun hatte. Sie war die Mutter, die sie alle brauchten, aber nicht hatten. Er selbst hatte nie ein inniges Verhältnis zu seiner Mutter gehabt, hatte diese Frau nie verstanden, was für ein Mensch er überhaupt war, und sich immer nur um die schlechte Beziehung zu seinem trinkenden Vater gekümmert. Willows Verhältnis zu ihren Eltern war zerbrochen, nachdem sich ihre sexuelle Orientierung nicht nur als Phase politischer Revolution herausgestellt hatte, und Anya konnte sich nicht mehr an die Zeit erinnern, in der ihre biologischen Eltern gelebt hatten. Doch Joyce hatte sie alle in ihre Familie und in ihr Herz aufgenommen, und jetzt waren sie alle es ihr schuldig, ihr so gut sie konnten, zu helfen.
„Wo ist Dawnie denn jetzt?"
„Sie hat sich in ihrem Zimmer verschanzt und die Tür abgeschlossen." Joyce schüttelte bei der Erinnerung an ihre Worte beschämt den Kopf. „Ich denke, sie wollte sich selbst davon abhalten das Tagebuch noch einmal anzurühren, denn als ich nach Hause kam, hatte sie nicht mal ihr Mäppchen weggeräumt und das Buch lag aufgeschlagen auf dem Wohnzimmertisch."
„Vielleicht können wir ja eine Kopie von Dawns Tagebuch zu Rupert faxen", machte Xander den Vorschlag, der Joyce wenigstens ein klein wenig Hoffnung zu geben schien. „Ich will damit nicht sagen, dass ich es dir nicht zutraue das Rätsel zu lösen, Will, aber diese Wächterjungs sehen manchmal mehr, als Normalsterbliche."
„Grundgütiger, was ist denn hier passiert?" ertönte plötzlich eine vertraute Stimme hinter ihnen, und alle drei zuckten erschrocken zusammen, bevor sie die Ankömmlinge erkannten.
„Angel", flüsterte Willow fast, bevor sie aufstand und praktisch in die Arme des Vampirs flog. Sie hatte es nicht zugeben wollen, aber ohne Buffy, Tara, Giles und Spike, hatte sie sich ganz schön allein gefühlt, und die Tatsache, dass Xander und Anya sie insgeheim als Anführerin auserkoren hatten, hatte den emotionalen Druck nicht gerade von ihr genommen. Mit Angel und den anderen war jetzt endlich Verstärkung eingetroffen, und die absolute Hilflosigkeit, die sie noch vor zwei Minuten verspürt hatte, wich langsam von ihr.
Es dauerte einen Augenblick, ehe Willow sich wieder von Angel lösen konnte, und als sie es endlich tat, hatte sie einen peinlich berührten Gesichtsausdruck, der allen zeigte, wie unangenehm ihr Gefühlsausbruch ihr war. „Tja, Wesley, was ist hier passiert..." Willow schaute sich einen Moment die Trümmer, die Farbmarkierungen auf dem Boden, die eindeutig eine menschliche Form hatten, und die Absperrbänder an, die sofort die Aufmerksamkeit des ehemaligen Wächters auf sich gezogen hatten. „Das war unsere neue Freundin Glory."
„Ja, das ist schon eine. Sie kam, sie sah, und sie tötete", vervollständigte Xander in sarkastischem Ton die Beschreibung.
„Oh, mein Gott, ich habe Dawn ganz allein zu Hause gelassen." Joyce sprang auf und war schon fast aus der Tür, als sie von Willow zurückgehalten wurde.
„Warten Sie, Joyce, wir werden mitkommen. Jetzt ist keine Zeit, um allein zu sein, und schon gar nicht, wenn jemand wie Glory unterwegs ist." Sie packte das Buch in eine Tasche, und nachdem sie mit allen Anwesenden alles abgesprochen hatten, machten sie sich alle auf den Weg zu Buffys zu Hause.
Dort angekommen, vergewisserte Joyce sich zuallererst, dass Dawn noch sicher in ihrem Zimmer war. Sie sah das Licht unter der Tür hervorscheinen und hörte auch Schritte aus dem Inneren. „Schätzchen, ich bin wieder da." Im Innern des Zimmers verstummte jegliches Geräusch. „Dawn, ich habe dein Tagebuch gelesen. Ich hoffe, das war in Ordnung." Joyce hielt inne, sich wünschend, sie könne ihrer Tochter ins Gesicht schauen, während sie mit ihr sprach. „Keine Angst, wir werden schon herausfinden, was hier vorgeht." Sie war schon im Begriff wieder nach unten zu gehen, als sie sich noch einmal zu Dawns Tür umdrehte. „Ich liebe dich auch, mein Schatz." Dann ging sie wirklich nach unten, um ihren Gästen eine Kleinigkeit anzubieten. Obwohl es sie eigentlich stören sollte, auf einmal so viele Leute – und Angel – in ihrem Haus zu haben, wirkte es in Wahrheit sehr beruhigend auf sie, denn in einer Weise erinnerte es sie an Zeiten, als Buffys Leben noch nicht so gefährlich gewesen war, und sie lediglich das normale Leben eines normaler Teenager gelebt hatte – na ja, wenigstens hatte sie selbst nichts von den Gefahren gewusst, denen ihre Tochter auch damals schon ständig ausgeliefert gewesen war.
Als sie runter kam, hatten es sich bereits alle im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Ohne ein Wort zu sagen, ging sie in die Küche, um etwas zu trinken vorzubereiten, während im Wohnzimmer den Mitgliedern von ANGEL INVESTIGATIONS die Ereignisse der letzten Tage erklärt wurden.
„Willst du damit sagen, dass Buffys kleine Schwester eigentlich gar nicht existiert?" Wesley war fasziniert, auch wenn er äußerst beunruhigt war. Gut, er hatte nicht erwartet hier alles friedvoll vorzufinden, denn dann hätte Willow wohl kaum um ihre Hilfe gebeten, aber die Probleme schienen ein bisher ungeahntes Ausmaß angenommen zu haben.
Cordelia stupste ihm einmal kräftig in die Seite, damit er endlich aufhörte, Willow zu unterbrechen. Auch sie war schockiert von der Geschichte über Dawn Summers, aber irgendwie spürte sie, dass das noch nicht alles war, was hier in letzter Zeit vorgefallen war.
„Nachdem Dawnie das erfahren hatte, war sie natürlich nicht allzu erfreut gewesen, besonders, weil sie es ja nicht von uns gehört hat, sondern es in Giles Tagebuch gelesen hatte."
„Warum lässt Giles so was denn auch einfach so rumliegen?" Angel war erbost. Er konnte sich nicht vorstellen, wie schlimm diese ganze
Sache für Buffy und Dawn gewesen sein musste. Dagegen erschienen ihm seine Probleme auf einmal völlig unbedeutend.
„Oh, das hat er nicht. Sie ist nachts mit Spike in die Magic Box eingebrochen, und die beiden haben..."
„Whow, halt mal", unterbrach Angel die Hexe nun zum zweiten mal. „Spike?" Jetzt, da er darüber nachdachte, fiel es ihm auf. Der Geruch des jüngsten Mitglieds seiner kleinen Familie hing geradezu überall im Haus, fast so, als wäre er ein gerngesehener Gast, der hier ein und ausging. „Seit wann ist Spike denn wieder in Sunnydale, und warum redet Dawn mit ihm?"
Zwei erschrockene Augenpaare richteten sich nun auf den Vampir, der sie fragend und unverständig ansah. „Nun..." Xander räusperte sich, nicht wissend, was er sagen sollte.
„Du weißt nicht, dass Spike wieder da ist?" Willow klang relativ kleinlaut, als sie die Frage stellte. Sie war der festen Überzeugung gewesen, Buffy hätte diese Tatsache Angel gegenüber erwähnt, und wenn nur aus dem einen Grund, um ihre Schadenfreude über Spikes Chip zu teilen. Doch Angel schüttelte nur sprachlos den Kopf, was Willow zu einem ungewollten Augenrollen zwang. Es versprach eine sehr lange Nacht zu werden.
Sie erzählte Angel und seinen Freunden alles. Angefangen beim Stein von Amara, an den Angel sich selbstverständlich noch erinnern konnte, über die Initiative, Adam und Spikes letztendliche Entscheidung auf ihrer Seite zu kämpfen, solange der Preis stimmte. Willow machte keinen Hehl daraus, dass er nicht wirklich ein Mitglied der Gruppe war, doch sie verschwieg auch Dawns offensichtliche Freundschaft und dessen Zuneigung für den Teenager nicht. Das wäre nicht fair gewesen, und außerdem konnte Spike in seiner derzeitigen Lage wahrscheinlich Pluspunkte bei seinem Erschaffer durchaus gebrauchen.
Als sie mit Spikes ‚Lebenslauf' soweit fertig war, starrten Cordy und Angel sie nur verblüfft an. „Wir reden hier von Spike, das ist euch doch nicht entgangen, oder?" Er glaubte es nicht, konnte und wollte es nicht glauben.
„Na ja, wahrscheinlich sieht er es so. Fressen oder gefressen werden. Als er erkannt hat, dass er noch Dämonen töten kann, hat er in seinem Dasein wohl wieder so eine Art Sinn entdeckt. Er könnte Schlimmeres machen, also werden wir uns nicht beschweren." Willow nahm einen Schluck Wasser, das Joyce ihr schon vor einer halben Stunde hingestellt hatte, bevor sie ins Bett gegangen war.
„Das ist ja alles schön und gut, Willow, aber das alles erklärt noch immer nicht, was mit Buffy geschehen ist." Wesley hatte keine Lust sich noch weiter über Spike zu unterhalten. Die Scoobies hatten erwähnt, dass sie dringend Hilfe brauchten, und all das Gerede über William den Blutigen brachte sie doch nicht weiter. „Wo ist sie?"
Schweigen. Willow und Xander tauschten einen traurigen und völlig erschöpften Blick aus. Anscheinend hatte Cordy ihren Freunde noch gar nichts von dem Bisschen gesagt, was Willow ihr am Telefon bereits mitgeteilt hatte.
„Wir wissen nicht wirklich viel", begann Xander, der die inneren Qualen seiner besten Freundin auch selbst spürte. „Sie ist vor fünf Tagen einfach spurlos verschwunden." Er warf Angel einen vorsichtigen Blick zu, bevor er fortfuhr. „Und Spike auch." In dem Moment, in dem die Worte seinen Mund verlassen hatte, merkte er selbst, wie sich das anhörte.
„Was?" kam die Frage gleichzeitig aus drei Mündern. Lediglich Gunn, der sich bisher sehr zurückgehalten hatte, schwieg auch weiterhin und beobachtete das ganze Gespräch interessiert.
„Nein, wir sind ziemlich sicher, dass Spike ihr nichts angetan hat", lenkte Willow nach einem wütenden Seitenblick auf Xander. Es war wirklich nicht notwendig die ganze Geschichte noch unnötig durch dumme Missverständnisse zu verkomplizieren. „Der Rat der Wächter hat in London ein Schriftstück erhalten, auf dem wohl angedeutet wird, dass Spike und Buffy... nun, dass sie..." Sie holte einmal tief Luft, um ihre Wort noch einmal zu überdenken. „... im London von 1879 sind."
Schweigen.
„Wisst ihr, das hat mich an Buffy immer schon gestört. Sie übertreibt einfach immer so maßlos."
„Cordy!" Wesley und Angel sahen ihre Freundin ungläubig an. „Willow, wie ist das passiert? Wie sind sie da hingekommen, warum sind sie da?"
„Das wissen wir auch noch nicht?" versuchte Willow die Fragen des Ex-Wächters zu beantworten. „Giles ist jetzt in London und prüft die Dokumente, die dort entdeckt wurden. Er hat die Sache soweit unter Kontrolle."
„Was Will damit sagen will ist, dass wir euch auch nicht deswegen um Hilfe gebeten haben." Xander stand auf und ging bis zum Durchgang zum Korridor, von wo aus er die Treppe im Blick hatte, die nach oben in die erste Etage und zu den Schlafzimmern der Summers führte. Er wünschte sich Anya wäre hier, doch nachdem sie im Zauberladen beinahe eingeschlafen war, hatte er sie nach Hause geschickt, damit wenigstens einer sich ausruhen konnte. „Wir brauchen eure Hilfe um Dawn zu schützen. Sobald Glory rausfindet, wer der Schlüssel ist, wird sie sich die Kurze schnappen, und niemand von uns wird in der Lage sein, den Krümel zu schützen." Unbewusst hatte er Spikes Spitznamen für Dawn benutzt, doch es brachte Willow zum Lächeln. Manchmal schienen Spike und Xander doch auf einer Wellenlänge zu liegen, nur wären beide eher gestorben, bevor sie das zugegeben hätten.
„Aber wir können doch nicht einfach tatenlos rumsitzen und warten, dass der Wächter Buffy zurückholt." Angel war außer sich. Wie hatte die ganze Sache nur solche Ausmaße annehmen können? Wann war das alles geschehen. Eben war er noch dabei gewesen, sich mit der Tatsache anfreunden zu müssen, dass Spike wieder in Sunnydale war und anscheinend einen Platz in dieser Gruppe gefunden hatte, auch wenn Willow immer wieder zu bekräftigen versuchte, dass der wasserstoffblonde Vampir lediglich gegen Geld aushalf. Angel wusste es besser. Er kannte die Scoobies gut genug, hatte ihr Verhalten beobachtet, als er sie kennengelernt hatte, und sie wie Studienobjekte seziert, als er seine Seele verloren hatte. Er kannte sie in und auswendig. Sie hatten ihn in ihrer Mitte aufgenommen und sorgten sich um ihn und Buffy fast gleichermaßen, auch wenn es ihnen vielleicht nicht bewusst war.
Aber als wäre diese Tatsache nicht schon genug zu verdauen gewesen, musste er sich jetzt auch noch damit abfinden, dass sein Childe und seine Ex-Freundin zusammen in der Vergangenheit festsaßen. Er hätte spüren müssen, dass etwas nicht in Ordnung war. Auch wenn es schon Jahre her war, und sie auf verschiedenen Seiten dieses Planeten waren, die Verbindung zwischen Sire und Childe – oder in diesem Fall Grandchilde – war stark, und wenn einem etwas zustieß konnte der andere es spüren. Das war bei ihm und Darla so gewesen, als er seine Seele zurückerhalten hatte, und es war auch bei ihm so gewesen, als Drusilla in Prag fast vernichtet worden war. Er hatte wohl auch gespürt, als Spike von der Initiative gefasst worden war, doch hatte er die Schmerzen und Qualen den jüngeren Vampirs nicht richtig einordnen können. Jetzt wusste er, was es gewesen war.
„Angel, niemand verlangt von dir die Hände in den Schoß zu legen. Nur bist du nicht hier, um gleich wieder auf die Suche nach einem Mittel, um Buffy zurückzuholen, zu gehen. Natürlich ist das eine Priorität, nur nicht unsere." Willow fragte sich ernsthaft, woher die Autorität in ihrer Stimme kam, denn sie fühlte sich alles andere, als stark. „Wir müssen herausfinden, was mit Dawnie los ist. Wir wissen, dass sie ein mystischer Schlüssel ist, der in der Lage ist die Pforte zwischen den Dimensionen zu öffnen. Nur wie das vonstatten gehen soll, davon haben wir keine Ahnung. Wir wissen, dass Glory eine Höllengöttin ist, die hier gefangen im Körper eines Menschen lebt, und gerne wieder in ihre Heimathöllendimension zurück möchte. Das sind die Sachen, die wir wissen, wenn vielleicht auch noch nicht vollständig." Willow kramte für einen Moment in ihrer Unitasche und fischte Dawns Tagebuch hervor. „Jetzt kommt der Teil, der uns wirklich Angst macht – na ja, abgesehen von dem Vorfall vorhin in der Magic Box, wo Glory einer Kundin den Hals umgedreht hat und dann verschwunden ist." Cordy verzog bei diesem Bild angewidert das Gesicht.
„Wesley", sprach Willow nun den Ex-Wächter an und überreichte ihm Dawns Heft. „Das hat Joyce heute Abend gefunden." Sie erklärte in kurzen Sätzen, wie Dawn sich verhalten hatte, nachdem sie die Wahrheit über sich erfahren hatte, wie niemand mehr zu ihr durchzuringen schien, und wie viel schlimmer es geworden war, nachdem Buffy und Spike verschwunden waren. „Wir müssen einfach herausfinden, was es mit diesem Schlüssel auf sich hat, wozu er da ist – außer, um das Portal zwischen den Dimensionen zu öffnen."
„Habt ihr irgendwo noch Unterlagen über Glory und diesen Schlüssel?" Wesley war halb in Dawns Brief vertieft und hörte mit dem anderen Ohr weiterhin der Hexe zu.
„Nur das Tagebuch von Giles. Das müsste noch in der Magic Box sein. Ansonsten haben wir die übrigen Informationen über Glory alle eher zufällig erhalten, und einige vom Rat der Wächter. Dawn hatte versucht Glory auszuhorchen, als sie mit ihr allein war, aber sie ist nicht wirklich darauf eingegangen. Sie ist leicht reizbar und wollte Dawn schon umbringen, aber wir konnten sie gerade noch retten."
„Ich werde sehen, was ich herausfinden kann." Wesley versuchte aufmunternd auszusehen, wusste aber selbst, wie wenig ihm das gelang, denn er ahnte, was Willow insgeheim befürchtete, nämlich, ob Dawns Befürchtungen nicht nur durch die Unsicherheit eines Teenagers, der nicht mehr wusste, wo er auf der Welt hingehörte, gesteuert war, sondern, ob sie guten Grund hatte anzunehmen, sie könne böse werden. Er versprach ihr im Stillen, er würde herausfinden, was in Dawn vor sich ging. Und er würde einen Weg finden es zu stoppen, wenn es sein musste. Wenn es nicht anders ging, würde er einen Weg finden, sie zu töten.
tbc
Und das zweite Kapitel heute. Angel&Co habe ich damals mit reingebracht, weil ich an dieser Stelle der Story einen kleinen Hänger hatte und mir zur Inspiration ein paar Angel-Folgen angeschaut haben. Hat funktioniert, danach lief es viel besser. Keine Sorgen also, die Story ist fertig auf meinem Computer gespeichert und wartet darauf gelesen zu werden :) Insgesamt sind es übrigens 18 Kapitel und dann folgt noch ein kurzer Epilog. lg, N.Snape
