neun
London, 26. September 1879
Das erste was sie am nächsten Morgen spürte, war der kühle Körper unter ihrer Hand. Verwirrt schlug sie die Augen auf und versuchte aus den Informationen, die sie dadurch erhielt, schlau zu werden. Es war ihr Schlafzimmer – gut, vielleicht nicht wirklich ihres, aber immerhin das, in dem Richard und Elizabeth sie am Tag ihrer Ankunft untergebracht hatten. Sie lag in ihrem Bett, und es war wohl kurz nach Sonnenaufgang, wenn sie den sanften Lichtstrahlen, die sich durch die Vorhänge stahlen, Glauben schenken durfte. Soweit war alles, wie die letzten Tage auch. Der Unterschied lag vielmehr in dem Mann, der neben ihr im Bett lag, und geräuschlos schlief.
Fast erschrocken schloss sie die Augen noch einmal, nur um sie gleich darauf wieder zu öffnen – betend, der Vampir sei nur eine Ausgeburt ihrer Fantasie gewesen. Nein, er war immer noch da, als sie wieder hinsah. Und noch dazu war er halbnackt! Sie war gemütlich an seine Seite gekuschelt, einer seiner Arme lag locker um ihren Körper gelegt, die andere Hand lag entspannt neben der ihren, die noch immer auf seiner entblößten Brust lag. Wie um alles in der We-
Die Erinnerung an den Alptraum kam plötzlich und mit voller Kraft zurück. Die Bilder, die sie in der vergangenen Nacht in Panik versetzt hatten, kämpften sich wieder ihren Weg in ihr Bewusstsein und nisteten sich dort ein, wie ein Parasit, der nicht die Absicht hatte, bald wieder zu verschwinden.
Entschlossen sich von diesen Bildern nicht überwältigen zu lassen, verdrängte sie sie in eine hintere Ecke ihres Unterbewusstseins und versuchte die restlichen Ereignisse der Nacht zu rekonstruieren. Sie erinnerte sich daran, wie jemand ihren Namen rief, immer und immer wieder, bis sie irgendwann aufgewacht war. Wahrscheinlich war es Spike gewesen, der versucht hatte sie aufzuwecken. Er musste sie im Nebenraum gehört haben, und war dann zu ihr gekommen, um sie zu beruhigen. Verwundert blickte sie nun auf den schlafenden Vampir, und ein Lächeln bildete sich wie in Zeitlupe auf ihren Lippen. Sie erinnerte sich, wie sie sich ihm praktisch in die Arme geworfen hatte, und er etwas unbeholfen einfach nur reagiert hatte. Er hatte ihr seine Hilfe nicht aufgedrängt, aber als sie sie gesucht hatte, hatte er sie ihr freiwillig und ohne zu Zögern gegeben. Warum, das konnte sie nicht beantworten. Es war ja nicht wirklich so, als wären sie die besten Freunde – und doch... Seit sie hier gestrandet waren, konnte sie eine gewisse Verbundenheit zu Spike nicht leugnen. Lag vielleicht daran, dass er der Einzige war, den sie hier kannte, und dem sie deswegen auch am ehesten vertrauen konnte.
Bei dem Gedanken musste sie allerdings lachen. Hätte ihr jemand vor zwei Wochen erzählt, sie würde Spike zu den Menschen zählen, denen sie am ehesten vertrauen würde, sie hätte einen hysterischen Lachanfall bekommen... Hatte sie ihn gerade wirklich als Menschen bezeichnet?
Das lag wohl daran, dass Spike sich in den letzten Tagen hier wirklich mehr wie ein Mensch, als wie ein Vampir verhalten hatte. Vielleicht lag es an der Umgebung, die in ihm sein früheres Ich wieder zum Vorschein brachte, doch eigentlich war er nicht soviel anders, als sonst auch. Sein Benehmen war einfach nur ... menschlicher. Er war höflich, zuvorkommend, fast wie ein richtiger Gentleman. Natürlich war es offensichtlicher, wenn Richard oder seine Familie anwesend waren, denn wenn sie allein waren, war er ihr gegenüber die meiste Zeit doch noch der gleiche, nervige Vampir, den sie kannte und von Zeit zu Zeit sogar schätzte.
Doch gestern nacht war er nicht nervig gewesen, und auch nicht eklig und abstoßend. Er hatte sich um sie gekümmert, wie es in ihrem Leben bisher kaum jemand getan hatte. Zumindest niemand außerhalb ihrer Familie. Er hatte ihr zugehört und sich ihre Sorgen angehört, und dann war er darauf eingegangen, ohne sie dazu bringen zu wollen, über Dinge zu sprechen, über die sie nicht nachdenken wollte. Es war eine Seite an ihm, die wahrscheinlich nicht viele Menschen kannten. Eine Fürsorge, die an ihr Herz rührte. Sie hatte es damals gesehen, als er Angel gekidnappt hatte, um Drusilla heilen zu können. Natürlich hatte sie es zu dem Zeitpunkt nicht von diesem Standpunkt aus gesehen, denn damals war sie nur besorgt gewesen, dass er Angel etwas antun konnte – und auch jetzt war diese Vorstellung alles andere, als schön. Trotzdem hatte sie schon damals in Spike eine Eigenschaft erkannt, die sie beeindruckt hatte, war er doch nichts weiter, als ein seelenloser Vampir. Loyalität. Sie würde nicht so weit gehen zu sagen, es handelte sich um Liebe bei dem, was er für Dru empfand, denn als Jägerin war ihr bewusst, dass Vampire keine Liebe empfinden konnten. Dennoch war es ein tiefes Gefühl, das die beiden verband – und das ihn fast zerstört hätte, als sie sich von ihm getrennt hatte.
Jetzt betrachtete sie ihn und fragte sich, warum er ausgerechnet zu ihr so nett war. Es war ja nicht so, als hätten sie sich in der Vergangenheit nicht ständig bekämpft und sich gegenseitig ewigen Hass geschworen. Doch wenn sie ehrlich war, hatten sie, seit sie hier waren noch kein einziges mal eine ernsthafte Auseinandersetzung gehabt. Im Gegenteil, sie verstanden sich gut. Sie fühlte sich wohl in seiner Nähe, und wenn sie ehrlich war, war es im Moment auch nicht gerade schlecht, als sie so gemütlich an ihn gekuschelt dalag.
Entschlossen diese Nähe noch einen Augenblick länger zu genießen, schloss sie noch einmal die Augen, nur um kurz darauf durch eine plötzliche Bewegung wieder geweckt zu werden.
„Was...?" Eine große kühle Hand legte sich schnell über ihren Mund und hinderte sie so am Sprechen. Erschrocken versuchte sie Spike anzusehen, doch der Vampir hatte seinen Blick fest auf die Tür zum Korridor gerichtet.
Als er endlich seine Hand von ihrem Mund entfernte war sie wütend. „Was sollte das denn?" zischte sie praktisch, was ihn dazu veranlasste sich zu ihr umzudrehen, ein spöttisches Grinsen in den Augen.
„Dir auch einen schönen guten Morgen!" Er lehnte sich wieder gemütlich in ihrem Bett zurück, ein Arm lässig hinter seinem Kopf verschränkt, und ließ seinen Blick über ihren Körper schweifen, während er ihr gleichzeitig den Anblick seines entblößten Oberkörpers bot. „Ich dachte nur, ich hindere dich daran mich hier zu verraten, während unsere Hausherren vor der Tür stehen und sich vermutlich fragen, warum wir beide immer noch nicht aufgestanden sind."
„Oh", war alles, was sie im ersten Moment rausbrachte, bevor sie die volle Tragweite seiner Worte verstand. „Meinst du damit etwa, sie waren in deinem Zimmer und haben nach dir gesucht?" Die Vorstellung allein ließ sie blass werden. Wie sollte sie einem Mann aus dem 19. Jahrhundert erklären, warum sie mit einem nur halbbekleideten Vampir in einem Bett machte, selbst wenn eigentlich nichts passiert war?
„Nein", er lachte, als er die Panik auf ihrem Gesicht sah. „Richard hat nur leise angeklopft und meinen Namen gerufen. Aber ich dachte irgendwie, es käme nicht gut an, wenn ich von hier aus antworte, also hab ich so getan, als hätte ich ihn nicht gehört."
„Ah... gut." Buffy wusste nicht recht was sie sagen sollte, und blickte daher ziellos im Zimmer umher, bevor ihre Augen wieder auf dem Mann vor ihr landeten. „Wie spät ist es denn?"
„Oh, es dürfte so kurz nach neun sein", antwortete Spike gut gelaunt. „Richard und Lizzy sind so vor zwei Stunden aufgestanden, und kurz drauf ist der kleine Junge zum Frühstück getrottet. Im Moment hat er Latein, und irgendwie scheint er kein Talent dafür zu haben. Wird wahrscheinlich kein guter Wächter, wenn er nicht mal die Grundzüge kann."
Buffy stimmte in sein Lachen nicht mit ein, sonder guckte ihn nur stur an. „Warum hast du mich nicht geweckt?"
Spike zuckte fast zusammen, als er die Frage hörte, die er befürchtet hatte, aber auf die er keine rationale Antwort wusste. Was sollte er ihr sagen? Dass er es nicht ertragen hätte ihren friedvollen Schlaf zu stören, der ein sanftes Lächeln auf ihre Lippen gezaubert hatte? Dass er ihre warme Nähe solange genießen wollte, wie es eben möglich war? Dass er noch nie etwas schöneres gesehen hatte, als ihr beim Schlafen zuzusehen? Nein, das kam alles nicht in Frage. Also zuckte er nur gleichgültig mit den Schultern.
„Bin ich etwa so was wie dein verdammter Wecker, Jägerin?" Der verletzte Ausdruck in ihren Augen, versetzte ihm einen Stich, und er bereute seine harschen Worte augenblicklich. „Und außerdem dachte ich, du könntest vielleicht noch ein bisschen Schlaf gebrauchen. Hast ja nicht so besonders viel davon bekommen letzte Nacht." Das war nicht gelogen, auch wenn es nicht unbedingt sein vorherrschendes Motiv gewesen war.
„Ja, ähm..." Sie fuhr sich nervös durchs Haar, bevor sie es lose mit einem Haargummi zusammenband. „Wegen gestern Nacht..."
„Mach da jetzt bloß keine große Sache draus", unterbrach Spike sie, bevor sie die Chance hatte wirklich etwas zu sagen. Er wollte nichts hören, was seine Erinnerung an diese Stunden, in denen sie in seinen Armen gelegen hatte, zerstören konnte. „Du hättest mich mit deinem lauten Geschrei sowieso nur wach gehalten", sagte er so teilnahmslos, wie nur eben möglich.
Als Buffy sein Verhalten beobachtete, während er weiter versuchte seine Handlungsweise der vergangenen Nacht rational zu erklären, musste sie unwillkürlich lächeln. Es war wahrscheinlich das erste mal, dass sie ihn so leicht lesen konnte – vielleicht, weil sie sich das erste mal wirklich die Mühe machte, genau hinzusehen – und was sie sah, ließ ihr Herz schneller schlagen. Einem inneren Impuls folgend, den sie später nicht mehr hätte erklären können, beugte sie sich vor, bis ihre Lippen sanft seine Wange berührten.
Er verstummte. Unglauben und Verunsicherung strahlten ihr aus seinen tiefblauen Augen entgegen, als er sie sprachlos ansah. „Ich wollte nur danke sagen", flüsterte sie, noch immer lächelnd.
Es dauerte noch einen Moment, ehe er sich wieder so weit unter Kontrolle hatte, um sprechen zu können, und als er es tat, klang seine Stimme rau und emotionsbetont. „So, du glaubst also wirklich, ein einfacher Kuss auf die Wange macht eine Nacht in diesem unbequemen Bett zusammen mit deinem knochigen, strampelnden Körper, der mir mindestens hundert mal in die Seite gepiekst hat, wieder wett?" Innerlich betete er zu sämtlichen Göttern, die er kannte, darum, soeben nicht etwas zerstört zu haben, bevor es überhaupt angefangen hatte.
Ihr Lächeln jedoch beruhigte ihn sofort wieder. „Ja, eigentlich denke ich das schon." Sie war nicht wütend oder erbost über seinen eindeutigen Kommentar, sondern schenkte ihm auch weiterhin ihr strahlendstes Lächeln. „Und wenn du jetzt so nett sein könntest, und wieder in dein Zimmer gingest, damit ich mich anziehen und wir langsam runter gehen könnten, wäre ich dir wirklich sehr dankbar."
„Baby, die Dankbarkeit kommt erst, wenn ich hier bleibe", hauchte er ihr fast ins Ohr, doch sie konnte seinen Augen ansehen, dass er nur Spaß machte – na ja, zum größten Teil wenigstens.
„Bis nachher, Spike", sagte sie, als sie die Tür zu seinem Zimmer öffnete und ihn mit sanfter Gewalt in sein Zimmer schubste, wobei sie jedoch nicht umhin konnte, die festen Muskeln auf seinem Oberkörper zu fühlen, bevor sie ihre Tür wieder schloss.
Als er endlich außer Sicht- und Reichweite war, war sie endlich in der Lage tief durchzuatmen. Was war hier eben geschehen? Hatte sie wirklich mit dem blonden Vampir, den sie bis vor einigen Tagen für die lebende Pest gehalten hatte, geflirtet und ihn sogar geküsst, wenn auch nur auf die Wange? Sie wartete auf das schlechte Gewissen, das sie deswegen haben sollte, war jedoch erstaunt, als es nicht kam. Stattdessen breitete sich in ihrem Innern ein angenehmes, warmes Gefühl aus, das sie das letzte mal gespürt hatte, als sie noch mit Angel zusammen gewesen war. Es fühlte sich vielleicht nicht richtig an – das hatte es mit Angel auch nie – aber falsch auch nicht wirklich. Es war total verrückt, aber irgendwie mochte sie Spike. Er war witzig, intelligent, und so gar nicht das, was sie eigentlich von ihm erwartet hätte. Und wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie sogar angenommen, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber das war doch nicht möglich, oder?
Nachdem sie fertig war, und sich das neue Kleid, das Lizzy ihr am Tag zuvor gegeben hatte, endlich geschafft hatte anzuziehen – diese Mode war wirklich nichts für sie – beeilte sie sich nach unten zu gehen. Sie hielt kurz vor der Bibliothek und horchte, ob sie etwas von dem Unterricht, den Christopher dort bekam hören konnte, und war verblüfft, als sie den Jungen tatsächlich lateinische Vokabeln deklinieren hörte. War Spikes Gehör wirklich so gut, oder war es nur ein Glückstreffer gewesen? Sie schüttelte lachend den Kopf und ging weiter zum Esszimmer, wo außer an ihrem und Spikes Platz sämtliches Geschirr bereits abgeräumt war.
Es war ihr peinlich so lange verschlafen zu haben, und noch dazu nicht allein, sondern mit Spike zusammen. Sie überlegte einen Moment, was sie tun sollte, da sie nicht wusste, ob Nancy ihr trotzdem noch ihr Frühstück bringen würde. Sollte sie in die Küche gehen und sich selbst etwas machen? Wenn sie ehrlich war, hatte sie noch nicht mal die leiseste Ahnung, wo in diesem riesigen Bau sich überhaupt die Küche befand. Oder sollte sie die kleine Glocke benutzen, die sie an diesem ersten Abend bei Lizzy gesehen hatte, und die jetzt herrenlos auf der Anrichte stand.
„Morgen, Liebes. Lange nicht gesehen", riss Spikes spöttische Stimme sie aus ihren Gedanken und ließ sie fast zusammenfahren, da sie es nicht gewohnt war, dass der Vampir sich an sie heranschleichen konnte, ohne dass ihre Jägerinneninstinkte einsetzten. Jedoch nur fast.
„Ja, wirklich, hätte dich fast nicht wiedererkannt." Sie musterte ihn aufmerksam, erleichtert, dass sie nicht rot wurde unter seinen Blicken,
bis ihr etwas an ihm ins Auge sprang, was ihr noch nie zuvor aufgefallen war. „Oh, mein Gott!" Sie trat näher an ihn heran und fing an zu kichern. „Ich meine, es war ja klar, dass es eines Tages geschehen würde, aber ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell passiert."
„Was...?" Spike war irritiert. Wovon sprach diese verdammte Frau vor ihm nur? Gerade hatte er noch tolle Pläne gehabt, wie er sie möglichst schnell zu einem weiteren Kuss bringen konnte – einem richtigen Kuss diesmal – und im nächsten blickte sie ihn an, als sei ihm die Nase abgefallen. Als sie jedoch eine Hand durch sein Haar streichen ließ, wusste er augenblicklich was sie meinte. „Nein! Nicht meine Haare!" Ein entsetzter Blick begleitete seinen Schrei, der einen glauben lassen konnte, die Welt sei soeben untergegangen.
„Sie sind viel dunkler, als ich es mir vorgestellt hatte", kommentierte sie die dunklen Ansätze, die bereits deutlich unter seinen wasserstoffblonden Locken, die er in den letzten Tagen schon nicht mehr durch das übliche Haargel hatte bändigen können, hervorschienen. „Nimm's leicht, es ist ja nicht wirklich so, als müsstest du dir das ansehen." Ihr Ton war nahezu freundschaftlich und gut gelaunt, was ihn wieder an seinen früheren Plan erinnerte. Doch auch diesmal wurde er unterbrochen, als die Tür zum Esszimmer wieder geöffnet wurde.
„Ach, wie ich sehe, sind Sie beide endlich aufgestanden", begrüßte sie Lizzys fröhliche Stimme. „Wir hatten uns schon gefragt, ob etwas nicht in Ordnung sei, und ich wäre ja fast schon nachgucken gekommen, aber Richard meinte, Sie beide hätten in den letzten paar Tagen so viel gearbeitet, dass sie sich eine Auszeit verdient hätten." Sie griff nach der Glocke und schüttelte diese einmal kräftig. Noch ehe das Geräusch völlig verklungen war, stand Nancy im Raum und sah ihre Hausherrin fragend an. „Bringen Sie das Frühstück für unsere Gäste, Nancy." Obwohl sie diese Bitte als Befehl formuliert hatte, hatte ihre Stimme alles andere als unfreundlich geklungen. Trotzdem hatte Buffy noch immer Schwierigkeiten damit, dass das Hauspersonal so hin- und hergescheucht und praktisch wie Sklaven behandelt wurden. Es wäre doch wirklich kein Problem für sie gewesen, sich ihr Frühstück selbst zu holen und der armen Nancy eine Pause zu gönnen.
„So, wo war ich stehen geblieben?" Lizzy setzte sich zu ihren Gästen an den Tisch und machte einen geschäftigen Eindruck. „Ach ja. Richard ist heute allein ins Büro gefahren und lässt Ihnen ausrichten, er werde alles tun, um die Nachforschungen voranzutreiben. Wie ich es verstanden habe, sind Sie ja bereits auf einer Spur, und jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis endlich Licht ins Dunkel gebracht werden kann." Spike und Buffy konnten nicht anders, als Lizzy staunend anzusehen. Noch nie waren sie jemandem begegnet, der so viele Worte in einen Satz packen konnte, ohne zwischendurch zu atmen. Buffy hatte gedacht, Rose wäre gut gewesen, aber Lizzy war noch einen Zahn schärfer. „Wie dem auch sei, es passt eigentlich ganz gut, dass Sie heute nicht den ganzen Tag unterwegs sind. Buffy, Sie müssen sich heute natürlich rechtzeitig für das Fest bei den Adams fertig machen. Nancy wird Ihnen dabei helfen, und ich habe bereits ein Kleid von meiner Rose in Ihrem Zimmer deponieren lassen. Keine Angst, es ist kein richtiger Ball", versuchte sie die Furcht, die sich auf dem Gesicht der Jägerin widerspiegelte zu schlichten. „sondern nur ein einfache kleine Gesellschaft..."
„Von etwa hundertfünfzig Leuten", warf Spike mit einem gespielten Grinsen auf den Lippen ein. Er wusste nicht, was er von der Vorstellung hielt, dass Buffy auf diese Party ging.
„Ich sage ja, eine kleine Veranstaltung." Lizzy lächelte, obwohl sie ahnte, was den Vampir ärgerte. „Leider können Sie ja nicht mitgehen, Spike. Aber ich bin sicher, Buffy wird sich auch einen Abend ohne Sie amüsieren können. Dort werden nämlich alle wichtigen Leute der Londoner Upper Class vertreten sein. Ein guter Ort, um Kontakte zu knüpfen."
„Sie will aber keine Kontakte knüpfen, sondern nur einen Weg nach Hause finden." Als sie Worte seinen Mund verlassen hatte, bereute er seinen schroffen Tonfall sofort. Lizzy wollte nur nett sein, und hatte es nicht verdient so behandelt zu werden. „Entschuldigen Sie, Mrs. Giles, es war nicht so gemeint."
„Ist schon gut, Spike." Und es klang wirklich so, als meinte sie es. Spike schenkte ihr ein Lächeln, wie es bisher nur wenige Menschen jemals zu sehen bekommen hatten. Ein ehrliches Lächeln, ohne Arroganz und Zurückhaltung. Das Lächeln verschwand von Lizzys Gesicht, und wurde durch einen ernsten Ausdruck ersetzt. Sie musste etwas ernstes mit ihm besprechen, und sie wusste nicht, wie er darauf reagieren würde. „Spike, ich weiß, das wird Ihnen jetzt nicht gefallen, aber ich fürchte, Sie werden den größten Teil des Wochenendes in Ihrem Zimmer verbringen müssen." Sie machte eine Pause, um zu sehen, wie der Vampir auf diese Neuigkeit reagierte. Zu ihrer großen Überraschung verzog er keine Miene, sondern sah sein Gegenüber nur still an. „Unsere Tochter wird heute gegen Mittag nach Hause kommen, und da sie ... Sie, oder vielmehr Ihr Alter Ego kennt, möchten mein Mann und ich verhindern, dass sie sieht, wer zur Zeit bei uns wohnt." Sie stand auf, und griff nach der Teekanne, die auf dem Sideboard abgestellt war. „Abgesehen davon kommt unser ältester Sohn heute nach Hause, und ich fürchte mit ihm könnte es problematisch werden." Sie setzte sich wieder, nachdem sie ihre Tasse aufgefüllt hatte. „Offiziell weiß ich natürlich nichts", setzte sie mit einem Grinsen und Augenzwinkern hinzu, „aber Sie können sich ja wahrscheinlich vorstellen, dass er ein angehender Wächter ist. Er ist außerdem auch sehr mit Ihrer Familie vertraut. Wissen Sie noch, Sie sind gemeinsam auf die Schule gegangen, wenn er auch etwas jünger war, als Sie."
Spike schüttelte nur den Kopf. Es war so lange her, seit er in diesen gesellschaftlichen Kreisen verkehrt hatte, und das meiste aus dieser Zeit hatte er erfolgreich verdrängt. Viele Erinnerungen brachen jetzt wieder über ihm zusammen, aber an einen Soundso Giles aus der Schulzeit konnte er sich wirklich nicht erinnern. „Nein, tut mir leid."
„Wie alt warst du?" schaltete Buffy, die nicht in der Lage war ihre Neugierde zu beherrschen, sich in das Gespräch ein.
„Was?" Der mörderische Blick, den er ihr nun zuwarf hätte jeden anderen zu Tode geängstigt, doch Buffy kannte diesen Ausdruck inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er eigentlich nichts zu bedeuten hatte, außer, dass Spike seine eigenen Verteidigungsmauern aufbaute, um nicht über Dinge sprechen zu müssen, die auch nach so langer Zeit noch weh taten.
„Um diese Zeit jetzt, wie alt warst du da?" Ein unschuldiges Lächeln umspielte ihre Lippen, als hätte sie nicht verstanden, dass er nicht darüber sprechen wollte. „Ich meine, wenn du es nicht mehr weißt, kann ich auch einfach deine Schwester fragen, wenn ich sie heute Abend sehe."
„Was soll das jetzt, Jägerin?" Er hatte keine Ahnung, worauf sie hinauswollte.
„Oder ist es dir vielleicht peinlich?" Buffy redete unbeirrt weiter, nicht willens ihn in Trübsal verfallen zu lassen, wie sie es schon mehrfach gesehen hatte, seit sie hier waren, wenn ihm bewusst wurde, dass er Dinge, die ihm früher wichtig gewesen waren, vergessen hatte. „Ich meine, das könnte ich verstehen, allein die Vorstellung..."
„Vierundzwanzig", fauchte er dazwischen, nur um ihr Geplapper endlich einzustellen. Was war nur los mit ihr, hatte sie etwa Sabbelwasser getrunken? Oder schlimmer, hatte sie die Scotchvorräte der Familie Giles geplündert. Denn wenn die Vorliebe für dieses Gebräu auch zu dieser Zeit schon fester Bestandteil des Inventars eines Gileshaushalts war, dann hatten sie reichlich davon. Das wusste er aus der Zeit, als er noch bei Rupert gewohnt hatte.
„Siehst du, war doch gar nicht so schwer", kommentierte sie seine Antwort mit einem unschuldigen Augenklimpern, von dem er sich fragte, wo sie es sich abgeguckt hatte, denn dieses kokette Verhalten hatte er bei ihr noch nie gesehen, und wenn er ehrlich war, passte es auch gar nicht zu ihr.
„Jägerin, bist du betrunken?" Er ignorierte gekonnt das entsetzte Hüsteln von Mrs. Giles und blickte Buffy stattdessen direkt in die Augen. Außer Belustigung konnte er da noch etwas anderes sehen, doch was, das konnte er nicht sagen. Es erinnerte ihn irgendwie an diesen Morgen, als sie allein in ihrem Zimmer aufgewacht waren, aber was es zu bedeuten hatte, konnte er nicht sagen.
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Der Nachmittag verlief wesentlich schneller, als in den Tagen zuvor. Hatte sie den Vormittag noch mit Lizzy und Spike verbracht, der jedoch die meiste Zeit still war, und über irgendwelchen Dingen brütete, war sie, sobald Rose gegen Mittag aus der Schule zurückgekehrt war, völlig damit beschäftigt, sich haufenweise Klatsch und Tratsch über Personen anzuhören, die sie am Abend höchstwahrscheinlich kennenlernen würde. Ein Großteil dieses Tratsches galt Cecily Underwood, und Buffy konnte nicht anders, als dieses Weibsstück jetzt schon zu hassen. Gleichzeitig war sie aber trotzdem neugierig auf die Person, in die Spike sich verliebt hatte, bevor er verwandelt wurde. Sie freute sich auch, Lynn wiederzusehen, die an diesem Abend auch anwesend sein würden. Wäre es ein Ball gewesen, wären Rose und Lynn noch nicht eingeladen gewesen, da sie erst nächstes Jahr als Debütantinnen in die Gesellschaft eingeführt würden, aber bei einem ‚normalen' Fest waren auch die älteren Töchter bereits gern gesehen.
Etwas besorgt war Buffy jedoch bei der Aussicht, in wenigen Stunden William Atherby gegenüber zu stehen. Würde sie ihn erkennen? Natürlich, denn äußerlich hatte Spike sich wohl nicht allzu sehr verändert – bis auf die Haare natürlich – und selbst die Kleidung war sie inzwischen gewohnt.
„Sag mal, kommt eigentlich der Mann, der in dem Zimmer neben deinem übernachtet auch mit? Papa hat gar nichts gesagt." Rose und Buffy waren gerade damit beschäftigt, sich aus Lizzys Schmuckkästchen zu bedienen, als Rose plötzlich diese Frage stellte.
„Nein, er kann nicht mitkommen, glaub ich", antwortete Buffy in einem abwesenden Ton, von dem sie hoffte, er würde Rose dazu bringen das Thema sofort wieder fallen zu lassen.
„Ich hab ihn ehrlich gesagt noch nie gesehen. Eigentlich weiß ich auch nur, dass wir außer dir noch einen Gast haben, weil morgens am Frühstückstisch noch ein weiteres Gedeck aufgelegt ist. Papa macht um ihn irgendwie ein großes Geheimnis. Wahrscheinlich hat er etwas mit seiner Arbeit zu tun. Was hältst du davon?" Sie hielt sich einen langen Hänger an ihr rechtes Ohr und drehte sich so, dass Buffy es begutachten konnte.
„Mmmh, passt irgendwie nicht zur Frisur find ich. Versuch doch mal die hier." Sie hielt ihr ein paar sehr schöne, silberne Stecker in Form eines Halbmondes hin.
„Also, hast du ihn schon kennengelernt?" Buffy hatte Mühe nicht mit den Augen zu rollen. Dieses Mädchen verstand einfach keine subtilen Andeutungen.
„Ja, ich kenne ihn", antwortete sie wahrheitsgemäß, nicht willens, Rose einfach ins Gesicht zu lügen.
„Wirklich? Wie ist er denn so? Was macht er hier? Warum habe ich ihn bisher noch nicht kennengelernt, und Chris auch nicht?" Die Ohrringe in ihren Händen waren vergessen, und ihre ungeteilte Aufmerksamkeit auf Buffy gelenkt.
„Ich weiß nicht, ob ich dir wirklich was über ihn erzählen kann." Buffy fischte weiter in dem Schmuckkästchen, und legte probehalber ein Armband an, nur um es gleich wieder wegzulegen.
„Warum nicht? Komm schon, Buffy!" Als sie ihre Lippen zu einem Schmollmund verzog, konnte Buffy nicht anders, als lachen.
„Bist du sicher, dass du nicht aus dem 21... aus Amerika kommst, Rose?" Sie betete ihrer Freundin sei nicht aufgefallen, wie sie über ihre eigenen Worte gestolpert war.
„Jetzt lenk hier nicht ab." Um ihre Worte zu unterstreichen, schloss sie rigoros die Schmuckschatulle und schob sie ein Stück weiter weg, damit Buffy sie nicht mehr erreichen konnte.
„Rose, wahrscheinlich haben deine Eltern gute Gründe, weshalb sie ihn dir noch nicht vorgestellt haben. Und ich habe nicht vor, den Zorn deines Vaters auf mich zu lenken, weil ich seine Regeln missachte." Sie versuchte wieder nach dem Schmuck zu greifen, doch Rose war schneller und schob die Schatulle noch weiter weg.
„Was kann dieser Mann denn schon so schlimmes getan haben, um in seinem Zimmer eingesperrt zu werden? Das ist doch erniedrigend. Oder ist er etwa krank? Mit einer ganz fürchterlich ansteckenden Krankheit, die uns alle noch dahinraffen wird?"
„Ich glaube, jetzt geht deine Phantasie mit dir durch", lachte Buffy, die von Rose immer wieder an ihre eigene kleine Schwester erinnert wurde. „Na gut, aber verpetz mich bloß nicht bei deinem Vater!" Sie hob drohend den Zeigefinger, und surrealer Weise erinnerte es sie an die Zeit, als sie und Spike unter Willows Zauber standen und in dem Glauben gewesen waren, unsterblich ineinander verliebt zu sein. Damals hatte sie ihn auch einmal so angesehen, als er sich über ihre Mutter lustig gemacht hatte. Auch er hatte den drohenden Zeigefinger nicht ernst genommen. „Er ist ein Bekannter von mir aus Amerika, obwohl er ursprünglich aus England kommt."
„Und warum darf ich ihn nicht kennenlernen?"
„Das weiß ich nicht, aber wenn du deinen Vater fragst, wird er es dir mit Sicherheit erklären." ‚Gut so, Buffy', dachte sie zynisch. ‚Schieb ruhig Richard den Schwarzen Peter zu.'
„Ach, der würde mir doch sowieso nichts sagen. Was ist er denn so für ein Typ? Ich meine, ist er schon alt, wie Papa, oder mehr in deinem Alter? Was macht er beruflich? Komm schon, du musst doch etwas wissen, was nicht gegen Papas Codex verstößt." Ihre Augen bettelten geradezu, und Buffy konnte nicht umhin, Mitleid mit dem Mädchen zu haben.
„Er ist ..." Buffy rollte mit den Augen, als ihr auffiel, wie wenig sie Rose eigentlich tatsächlich erzählen konnte, ohne zu lügen. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie alt er wirklich ist", gut soweit keine Lüge. „Aber ich würde sagen, er sieht keinen Tag älter, als 25, vielleicht dreißig aus."
„Sieht er gut aus?"
Die Frage erwischte Buffy eiskalt. Gut, von Rose hätte sie erwarten können, eine solche Frage zu hören, doch wie beantwortete sie das? Fand sie, dass Spike gut aussah? Nun ja, er war nicht gerade hässlich, und wenn sie ehrlich war, so hatte er am Morgen ohne Hemd schon den ein oder anderen Blick von ihr auf sich ziehen können. Auch sein Gesicht war nicht gerade das, was man unter abschreckend verstand. Diese Wangenknochen allein waren schon genug, um ein Mädchen schwach werden zu lassen, und dann noch in Verbindung mit diesen tiefblauen Augen, von denen man das Gefühl hatte, sie könnten einem bis tief in die Seele blicken...
„Buffy...?"
„Hm?" Buffy zuckte zusammen, als Rose ihr locker in die Seite boxte und ihr verschwörerisch zublinzelte.
„Er sieht gut aus, nicht wahr?"
„Ich ... nein... Du bist eigentlich noch viel zu jung, um über so etwas nachzudenken, Rose." ‚Gute Reaktion, Buff, das wird sie zur Vernunft bringen', sagte sie sich mit einem innerlichen Augenrollen.
„Buffy, ich bin fünfzehn, fast sechzehn und kein Baby mehr! Nächstes Jahr bin ich schon Debütantin, und dann geht für mich offiziell die Suche nach einem Ehemann los." Rose lachte leicht, als sie Buffys entsetzten Gesichtsausdruck sah. „Ist das in Amerika nicht so? Ich glaube, ich muss da doch mal hin. Irgendwie scheint dort alles viel lockerer zu sein, nicht so von den Regeln der Gesellschaft bestimmt."
„Ja, manchmal kommt es mir auch so vor", murmelte Buffy, der zum ersten Mal ansatzweise klar wurde, wie sehr sich diese Zeit doch von der ihrigen unterschied.
Obwohl Rose vor Neugierde was diesen fremden Mann angegangen wäre, fast umkam, beschloss sie das Thema vorübergehend fallen zu lassen. Sie konnte sehen, wie unangenehm es Buffy war sich dem Willen ihres Vaters zu widersetzen, und sie wollte ihrer neuen Freundin keine Schwierigkeiten einhandeln. Stattdessen lenkte sie das Gespräch wieder auf die Gästeliste, damit Buffy sich schon im Vorhinein ein Bild von den einzelnen Personen machen konnte und am Abend auf alles vorbereitet war.
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Ihm war langweilig! Seit dieser kleine Satansbraten, den Richard und Lizzy liebevoll – und seiner Meinung nach absolut ungerechtfertigterweise – Rose nannten, nach Hause gekommen war, war er in seinem Zimmer eingesperrt und hatte nichts weiter zu tun, als sich ein Buch nach dem anderen vorzunehmen, bis das Bücherregal, auf dem Werke der großen Autoren der letzten zweihundert Jahre vertreten waren, leer war. Er hatte einfach keinen Nerv zu lesen, nur um sich zu beschäftigen. In den letzten Tagen hatte er so viele Buchstaben gesehen, dass er zweifelte jemals wieder Spaß an Literatur zu finden, und diesen Gedanken hatte er in fast 140 Jahren noch nie gehabt, denn wenn es eine Eigenschaft gab, die ihm aus seiner Zeit als Mensch geblieben war, dann war es seine Liebe zu Literatur. Seine Gruft stand voll mit Büchern, auch wenn das eigentlich niemand wusste. Harmony war einmal drüber gestolpert, aber diese Pute war ja zu blöd, um eine handsignierte Ausgabe von Alfred Lord Tennyson von einem Donald Duck-Comic zu unterscheiden, also war sie nicht weiter darauf eingegangen. Er zweifelte jedoch nicht daran, dass Giles, wenn er von seiner Sammlung antiker Werke erführe, höchst beeindruckt, und vielleicht sogar ein wenig neidisch wäre. Natürlich würde es niemals dazu kommen, denn wenn jemand von diesem Hobby erfuhr, musste er diesen Jemand dann leider umbringen. Chip hin oder her, aber dieses Geheimnis konnte seinem Ruf schaden.
Zu seiner Unlust zu lesen kam dann noch hinzu, dass er nicht schlafen konnte. Eigentlich wäre dieser Tag doch die optimale Möglichkeit gewesen endlich mal wieder tagsüber schlafen zu können, und nachts hätte er dann die Straßen von London unsicher machen können, während Buffy sich auf dieser ätzenden Party langweilte. Doch jeder Versuch endlich ein Auge zuzumachen, endete damit, dass er sie vor seinem inneren Auge sah und wie sie am Morgen ausgesehen hatte, als er aufgewacht war. Sie hatte da in seinen Armen gelegen, einen Arm besitzergreifend um seinen Oberkörper geschlungen, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. So hatte er sie bis jetzt nur sehr selten gesehen – eigentlich noch nie, wenn er ehrlich war, und es war ein völliger Kontrast zu dem hilflos und gehetzt wirkenden Mädchen, das er in der Nacht zuvor in die Arme genommen hatte, um es zu beruhigen und ihm zu helfen den Alptraum zu vergessen. Und eine Welle der Zufriedenheit war durch ihn hindurchgefahren. Es fühlte sich einfach so richtig, so gut an, sie einfach in den Armen zu halten, und plötzlich wünschte er sich nichts anderes, als dafür sorgen zu können, ihr immer ein solches Lächeln auf die Lippen zaubern zu können.
Spike war so sehr in Gedanken versunken, dass er nicht bemerkte, als die Verbindungstür zu Buffys Zimmer nach einem leisen Klopfen geöffnet wurde, und so fand Buffy ihn auf dem Bett liegend, die Augen weit geöffnet und an die Decke starrend. Was das Klopfen und ihr Eintreten nicht geschafft hatten, brachte jedoch ein leises Lachen von ihr fertig. Er wurde aus seinen Tagträumen gerissen.
„Jägerin, es ist unschicklich einfach so ins Zimmer eines Mannes zu kommen. Was sollen unsere Gastgeber von dir denken?" fragte er sie, ohne sie dabei jedoch anzusehen.
„Ich hatte angeklopft", bemerkte sie leicht amüsiert. Offenbar hatte der Vampir seine Verteidigungsmauern in diesem Haus so weit eingerissen, dass man sich schon unbemerkt an ihn heranschleichen konnte, selbst wenn man gar nicht die Absicht hatte das zu tun.
„Oh", er setzte sich auf und wollte etwas sagen, doch als er sie ansah, hatte er die Worte auch schon wieder vergessen. Er war froh, nicht atmen zu müssen, denn er war sich sicher, es in diesem Augenblick verlernt zu haben.
Es stimmte einfach alles, angefangen bei den sanften Lavendeltönen des Kleides, über den Schmuck, bis hin zu der kunstvollen Frisur, für die Nancy mit Sicherheit eine kleine Ewigkeit gebraucht hatte.
Buffy wurde unter seinen stillen Blicken allmählich nervös und fing an, sich nervös durch ihre Frisur zu streichen. „Es sieht anders aus, als sonst", kommentierte sie die Locken, die Nancy geschafft hatte so aufzustecken, dass sie in einem fantastischen Muster ihren Kopf umspielten, ohne dabei unordentlich auszusehen.
Nachdem sie etwas gesagt hatte, viel auch Spike auf, dass er etwas sagen musste, und er versuchte, sich zusammenzureißen. „Ähh, ja", war jedoch alles, was er herauszubringen im Stande war.
„Guter Gott, hab ich dich grad aus dem Tiefschlaf gerissen? Normalerweise bist du gesprächiger und hast immer genug Zeit, um mir zu sagen, wie bescheuert meine Frisur doch aussieht." ‚Mache ich das wirklich immer?' fragte Spike sich sofort, als er sie dabei beobachtete, wie sie sich in die kleine Leseecke, die neben dem Bücherregal eingerichtet war, setzte, und sich dabei ganz und gar nicht so verhielt, wie eine Dame des 19. Jahrhundert. Das riss ihn endgültig aus seiner Trance und er konnte ein Lachen nun nicht unterdrücken.
„Tschuldigung, ...äh, ich hab wohl einen Moment gebraucht, um wach zu werden", benutzte er die Ausrede, die sie ihm praktisch auf dem Silbertablett serviert hatte. „Du siehst... gut aus", sagte er schließlich und fragte sich dabei ernsthaft, wann er die Fähigkeit Komplimente zu geben verloren hatte. Auch sie schien nicht gerade begeistert zu sein, denn außer einem Schmollmund bekam er keine Reaktion. „Allerdings solltest du noch ein wenig an deiner Haltung arbeiten." Sie warf ihm einen gekränkten Blick zu, als sie seine Kritik hörte, doch er ignorierte ihn. „Du hängst da wie ein Kartoffelsack, und wenn du heute Abend nicht als Außenseiterin dastehen willst, solltest du dich bemühen einen einigermaßen geraden Rücken zu machen. Und dann deine Füße", fügte er auf besagten Körperteil deutend hinzu. „Sie dürfen niemals so weit auseinander stehen, wenn du sitzt... oder stehst." Er setzte sich zu ihr, griff nach ihrer Hand und zog daran, bis sie einigermaßen gerade saß. „Stell dir einfach vor, du hättest einen Minirock an. Dann stehst du ja auch nicht so breitbeinig wie ein Soldat da."
„Spike, gibst du mir gerade Unterricht, wie ich mich als Dame zu verhalten habe?" Ihre Stimme klang genauso ungläubig, wie sie sich fühlte.
„Scheint doch so, oder?" Er lachte, als er die Absurdität dieser Situation bedachte. „Ich will ja nicht, dass du meine Schwester blamierst, in dem du dich völlig daneben benimmst. Also, immer dran denken, Rücken gerade, Füße zusammen und niemals ein Bein über das andere schlagen. Dann kann eigentlich nichts schief gehen. Und wenn du irgendwas nicht weißt, oder nicht verstehst, halte dich einfach an Lynn und den Satansbraten, da bist du auf der sicheren Seite."
„Lass bloß nicht Richard und Lizzy hören, wie du ihre Tochter Satansbraten nennst", warnte sie ihn, mit gespielt drohendem Zeigefinger. „Was ist aus Kosenamen wie Krümel oder Kleine Maus geworden?"
„Verdient sie nicht", brummte Spike, an die vielen langweiligen Stunden in seinem Zimmer zurückdenkend. „Diese Göre macht mehr Lärm als eine ganze Horde Feroell-Dämonen, und das will wirklich was heißen! Sie quasselt in einer Tour und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie atmet zwischendurch nicht mal."
„Also, für jemanden, der immer wieder betont, wie jugendlich er trotz seiner 140 Jahre ist, bist du aber verdammt leicht zu nerven mit solchen Kleinigkeiten." Sie grinste, als er ihr einen genervten Blick zuwarf. „Du bist wütend, dass du hier eingesperrt bist?"
„Kannst du mir das verdenken?" fragte er mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen, ohne jedoch wirklich eine Antwort zu erwarten. „Wann fahrt ihr denn?"
„Gleich irgendwann, keine Ahnung, wann genau." Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, sie war nervös. Was, wenn sie sich nachher völlig zum Narren machte? Selbst wenn sie all die Dinge, von denen Spike vorhin gesprochen hatte, hinbekam, was, wenn jemand sie auf ein Thema ansprach, von dem sie gar nichts wissen konnte, aber eigentlich in dieser Zeit wissen müsste? Oder wenn...?
„Spike?"
„Ja, Liebes?" Der leichte Anflug von Panik in ihrer Stimme war ihm nicht entgangen, und er griff beruhigend nach ihrer Hand – eine Bewegung, die ihm langsam in Fleisch und Blut überging.
„Muss ich da etwa tanzen?" Das Entsetzen in ihrem Blick und die Panik in ihrer Stimme waren genug, um Spike in schallendes Gelächter ausbrechen zu lassen. Einen Moment war er versucht ihr genau das einzureden, denn er war sich sicher, dass er ihr dann ein paar Schritte hätte zeigen müssen, und die Vorstellung sie im Arm zu halten und eng an sie geschmiegt zu tanzen, war durchaus reizvoll, aber dann entschied er sich doch dagegen. Warum auch nicht, der nächste Ball kam bestimmt.
„Keine Angst, mein Schatz, das ist nur eine Party, kein Ball", beruhigte er sie. „Da sitzt die High Society Londons rum, redet über Politik und Kultur, lässt sich vollaufen und am nächsten Morgen haben alle das Gefühl einen Beitrag zu ihrem gesellschaftlichen Ansehen geleistet zu haben."
„Klingt irgendwie nicht ganz so spannend, wie das, was Rose mir erzählt hat", meinte Buffy einigermaßen ruhig. Die Vorstellung, sie hätte dort tanzen müssen, hatte sie mehr erschreckt, als jeder Dämon es bisher getan hatte, denn außer einigen Waltzer- und Foxtrottschritten, konnte sie gar nicht tanzen, und von Tänzen des viktorianischen Zeitalters hatte sie natürlich überhaupt keinen Dunst.
„Na ja, für eine Fünfzehnjährige ist es vielleicht noch etwas interessanter, als für Leute, die solche Partys praktisch jedes Wochenende besuchen. Außerdem müssen die sich ja nicht mit Politik auseinandersetzen, sondern nur mit ihren Freundinnen die Gäste beobachten und lästern, was das Zeug hält."
„Klingt doch gar nicht schlecht." Die Zuversicht in Buffys Stimme war gespielt, und das wussten sie beide.
„Stell dir einfach vor, im Bronze wäre eine Themenfete, und ihr habt euch alle wie die High Society vom viktorianischen England verkleidet", schlug er augenzwinkernd vor.
„Ja, und Willow und Xander hab ich zufällig zu Hause vergessen, nicht wahr?" Kaum hatte sie die Namen ihrer Freunde ausgesprochen, konnte er die Traurigkeit augenblicklich erkennen, die sich nun in ihrem Gesicht einnistete.
„Hey, jetzt lass nicht den Kopf hängen." Der Druck auf ihre Hand wurde stärker, als er sie ein Stück näher an sich heranzog. „Sieh das doch einfach als großes Abenteuer an. Am ersten Abend hast du doch gesagt, wie spannend das alles ist, Geschichte so hautnah zu erleben. Wie viel näher kannst du noch dran kommen, als wenn du bei diesem Haufen von Lackaffen sitzt, und deren Ansichten der Gesellschaft praktisch aufgezwungen bekommst?"
Sie blickte ihm in die Augen und für einen Moment verlor sie sich in diesen blauen Tiefen. Wie war es überhaupt möglich, dass ihr mal nicht bewusst gewesen war, wie schön und ausdrucksstark diese Augen waren? Nicht einmal, als sie unter Willows Zauber gestanden hatten, war es ihr aufgefallen. Aber sie hatte sich auch niemals die Mühe gemacht, wirklich hinzusehen, und heute wünschte sie sich sehnlichst, er könne sie an diesem Abend begleiten. Wer hätte das noch vor zwei Wochen gedacht?
„Also, ich denke, ich sollte jetzt besser runter gehen, bevor Rose nachher noch hier reingestürmt kommt. Ich glaube, sie wartet nur auf eine Ausrede, um dich mal in Augenschein nehmen zu können." Sie drehte sich langsam zu ihrer Verbindungstür um, ohne dabei jedoch seine Hand loszulassen.
„Da sei Gott vor", stöhnte er in gespielt gestresstem Tonfall, doch auch das Lachen in seiner Stimme war deutlich zu erkennen.
„Hey, es ist Gotteslästerung, wenn du zu Gott betest. Vampir, weißt du nicht mehr?"
„Ach ja, ich wusste, da war noch was", entgegnete er lächelnd, als sie die Tür schon geöffnet hatte. „Tja, ich denke, ich wünsch dir dann viel Spaß", murmelte er, bevor er sich, ohne zu überlegen, zu ihr runterbeugte, um sie sanft auf die Wange zu küssen – ähnlich, wie sie es am Morgen bei ihm getan hatte. Was er nicht hatte kommen sehen, war die leichte Bewegung, die ihr Kopf inzwischen gemacht hatte, und statt der weichen Haut ihrer Wange, fühlte er plötzlich ihre vollen, zarten Lippen unter den seinen.
Dies war erst mal das letzte Kapitel der Story... zumindest für etwa eine Woche, da ich bis dahin wegfahre und auch für diesen Zeitraum ohne PC auskommen muss. Bin mir noch nicht sicher, wie ich das finde ;) Wir sind jetzt etwa bei der Hälfte der Story angelangt. Lasst mich doch wissen, was ihr bis jetzt davon haltet. lg, N.Snape
